Die wichtigste Veranstaltung der Gemeinde ist und bleibt der sonntägliche Gottesdienst. Hier wird die Gemeinde geistlich genährt und Gott gelobt. Alle Mitglieder erfahren besondere Gemeinschaft mit Gott und miteinander. Gottesdienste zu feiern, ist ein klares biblisches Gebot (Hebr 10,25; 12,22-24). Doch wie sieht es mit weiteren Gemeindeveranstaltungen aus?
Biblische Grundlage
In der Bibel werden uns keine konkreten Veranstaltungen wie Jugendabend oder Bibelstunde vorgeschrieben. Viele Stellen und Begebenheiten in der Bibel machen jedoch deutlich, dass Christen nicht nur am Sonntag und nicht nur in ordentlichen Gottesdiensten nach Gemeinschaft und Unterweisung streben sollen. In Apostelgeschichte 20 können wir einiges von der Praxis von Paulus lernen. Er nutzte jede Gelegenheit, um das Wort zu verkünden (Apg 20,31). Manche Treffen berief er extra ein (Apg 20,17), andere zog er sehr in die Länge (Apg 20,7). Sowohl in öffentlichen Versammlungen als auch in Hauskreisen verkündete er das Wort und stärkte christliche Gemeinschaft (20,20). Dieses Streben nach intensiver Gemeinschaft, Unterweisung, gemeinsamem Gebet und Lobpreis sehen wir bereits bei der Urgemeinde in Jerusalem:
Und sie blieben beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und in den Gebeten. … Und jeden Tag waren sie beständig und einmütig im Tempel und brachen das Brot in den Häusern, nahmen die Speise mit Frohlocken und in Einfalt des Herzens; sie lobten Gott und waren angesehen bei dem ganzen Volk.
Apg 2,42.44.46.47
Ziele
Die Verse über die intensive geistliche Gemeinschaft der Urgemeinde zeigen auf, dass auch alle weiteren Versammlungen dazu dienen sollen, die Gemeinde über den ordentlichen Gottesdienst hinaus – besonders unter der Woche – in der Lehre zu unterweisen, gemeinsam zu beten, geistliche Gemeinschaft zu haben und Gott zu loben.
Diese Versammlungen können auch nützlich sein, um spezifische Gruppen zu lehren, wie Paulus es in Titus 2,1-10 andeutet. Dort gibt er Titus den Auftrag, ältere Männer, ältere Frauen, junge Männer und Knechte jeweils besonders zu unterweisen. Die reiferen Frauen wiederum erhalten den Auftrag, jüngere Frauen anzuleiten.
Chancen
Diese Gruppen und Kreise bieten viele Chancen für das Gemeindeleben.
Förderung der Gemeinschaft. Gerade die Treffen unter der Woche können die Gemeinschaft, insbesondere die geistliche Gemeinschaft der Gemeindeglieder stärken. Sie sind oftmals eine gute Gelegenheit, um sich gegenseitig Anteil am Glaubensleben, an Nöten und Ermutigungen zu geben und intensive Gebetsgemeinschaft zu haben, wofür in den öffentlichen Gottesdiensten zu wenig Zeit und Raum ist. Auch die Teilnehmeranzahl ist hier von Bedeutung. Es ist offensichtlich, dass es in kleineren Gruppen leichter fällt, persönliche Beziehungen zueinander aufzubauen und zu pflegen.
Förderung der Evangelisation. So können manche Gruppen – wie evangelistische Hauskreise – sehr hilfreich sein, um Kirchenferne einzuladen und in die Gemeinschaft hineinzunehmen, um sie mit dem rettenden Evangelium zu erreichen.
Förderung von Mitarbeitern. Kleinere und spezifischere Gruppen sind zudem eine gute Gelegenheit, begabten Geschwistern die Möglichkeit zur Mitarbeit zu geben. So können zum Beispiel jüngere Männer zum Lehr- und Leitungsdienst ermutigt und gefördert werden, indem sie erstmal im kleineren und geschützten Rahmen die Bibel auslegen.
Gefahren
Trotz dieser wunderbaren Möglichkeiten dürfen wir nicht die Gefahren aus dem Blick verlieren, die von Kleingruppen ausgehen können.
Gefahr der Zersplitterung der Gemeinde durch zu viele Gruppen und Kreise. Wir müssen darauf achten, dass die Gemeinschaft der gesamten Gemeinde Priorität hat. Zu viele Kleingruppen gehen meistens auf Kosten der Teilnahme am Gottesdienst, an der Bibelstunde oder – wie es häufiger der Fall ist – am Gebetskreis. Deshalb sollte die Gründung neuer Kreise im Vorfeld sorgfältig überdacht sein. Unterstützt der neue angedachte Kreis das Wachstum und die Gemeinschaft der ganzen Gemeinde oder ist er eher hinderlich und beansprucht zusätzliche Kräfte und Ressourcen?
Gefahr der Förderung einer falschen Haltung zu Gemeinde. Aufgrund der vielen „Angebote“ kann bei einigen der Gedanke aufkommen, die Gemeinde und ihre Mitarbeiter seien bloße Dienstleister, um die Bedürfnisse der Gemeindeglieder zu stillen. So kann es passieren, dass immer mehr und speziellere Kreise gewünscht werden, weil das bisherige Angebot noch nicht auf die eigenen Bedürfnisse oder die Familiensituation passgenau zugeschnitten ist.
Gefahr, den Fokus auf die Hauptaufgaben der Gemeinde zu verlieren. Wenn eine Gemeinde wächst, wächst üblicherweise auch der Bedarf oder der Wunsch nach mehr Angeboten. Das liegt natürlich auch daran, dass es in einer größer werdenden Gemeinde schwieriger wird, mit allen Mitgliedern eng verbunden zu sein. Durch Kleingruppen soll persönlichere Gemeinschaft ermöglicht werden. Doch die Folge von immer mehr Angeboten durch immer mehr Kleingruppen ist, dass sich die Gemeinde immer mehr um sich selbst dreht. Die Aufgabe der Evangelisation und Mission kann so zum Beispiel vernachlässigt werden. Und auch die Pastoren und Prediger haben immer weniger Zeit für Bibelstudium und Predigtvorbereitung aufgrund des wachsenden Organisations- und Verwaltungsaufwands.
Gefahr von Parteiungen in der Gemeinde: Durch viele Kleingruppen kann die Entstehung von Cliquen und Parteien begünstigt werden. Ein Klima der Kritik kann entstehen, bis hin zu einer offenen Opposition gegen die Gemeindeleitung.
Gefahr der Vernachlässigung der Familie und des Rückzugs aus der Welt. Wenn man jeden Abend eine andere Gemeindeveranstaltung besuchen muss oder kann, leidet oft das Familienleben. Aber nicht nur das. Man hat – vielleicht abgesehen von seiner Arbeitsstelle – kaum noch Kontakte zur Gesellschaft und damit zu ungläubigen Menschen, sondern lebt in seiner christlichen Blase.
Chancen nutzen und Gefahren vermeiden
Wie schon erwähnt, sollte man gründlich überlegen, welche und wie viele Gruppen und Kreise für eine Gemeinde sinnvoll und hilfreich sind.
Die entscheidende Frage, die man sich bei der Gründung einer neuen Gruppe stellen sollte, lautet: Unterstützen sie die Unterweisung, die Gemeinschaft und die Hauptaufgaben der ganzen Gemeinde (vgl. Teil 2 dieser Artikelreihe Gemeinde nach Gottes Willen – Biblische Grundlagen zum Thema Gemeinde in BK 89, S. 32-41)? Bringen die Kreise die Gemeindeglieder näher zu Christus und fördern sie den Zusammenhalt der ganzen Gemeinde?
Hilfreich ist auch eine Unterscheidung zwischen ordentlichen Gemeindeveranstaltungen und Treffen von Gemeindegliedern, die mehr oder weniger von gemeinsamen Interessen geprägt sind. Das wichtigste Kennzeichen einer ordentlichen Gemeindeveranstaltung ist, dass das Wort Gottes im Zentrum steht. In der neuen Gemeindeordnung der Bekennenden Evangelisch-Reformierten Gemeinden (BERG) findet sich eine hilfreiche und prägnante Erklärung dazu:
„Neben dem sonntäglichen Gottesdienst gehören zu den ordentlichen Gemeindeveranstaltungen: Bibelstunde und Gebetsstunde. Sie sind Teil der biblisch verankerten „Lebenswurzeln“ der Gemeinde.
Von diesen Gemeindeveranstaltungen zu unterscheiden sind mehr oder weniger private Treffen, die den Charakter von Freizeitveranstaltungen tragen. Bei diesen Zusammenkünften kann man natürlich ebenfalls die Bibel studieren und zusammen beten. Aber selbst im Fall, dass diese Zusammenkünfte in den Gemeinderäumen stattfinden, sind sie nicht zu ordentlichen Gemeindeveranstaltungen geworden. (Allenfalls gelten sie als außerordentliche Gemeindeveranstaltungen.) Hier ist zu denken an Treffen von Gemeindegliedern, die von gleichen Interessen bestimmt sind, wie zum Beispiel Begegnungen junger Ehepaare, Mütter oder Senioren. Ferner ist zu denken an Spartengruppen, in denen gemeinsame Vorlieben oder spezielle Anliegen gepflegt werden, wie zum Beispiel Musik- oder Gesangsverbindungen.
Derartige Zusammenkünfte sind so lange statthaft, wie sie nicht auf Kosten der Teilnahme an den ordentlichen Gemeindeveranstaltungen gehen. Wenn jedoch durch sie die ordentlichen Gemeindeveranstaltungen in den Hintergrund gedrängt werden, entsprechen diese Treffen nicht dem Sinn eines an der Heiligen Schrift gebundenen Gemeindelebens.“
Gruppen und Veranstaltungen, die tatsächlich veranstaltet werden sollen, müssen gut organisiert werden. Mitarbeiter und Gruppenleiter sollten mit Bedacht ausgewählt und eventuell begleitet und/oder geschult werden. Aufgaben, Verantwortungen und vor allem Rechenschaft müssen zwischen Gemeindeleitung und Gruppenleitern klar bestimmt werden. Es muss klar sein, wer welche Verantwortung und Autorität hat und wer wem Rechenschaft geben muss. Besonders die Kommunikation zwischen Gemeindeleitung (Ältesten) und Gruppenleitern bzw. Mitarbeitern muss gut organisiert werden und darf nicht dem Zufall überlassen bleiben. Neben den wöchentlichen oder monatlichen Besprechungen sind auch jährliche Mitarbeiterklausuren hilfreich. Auf ein ganzes Jahr zurückblicken und ein weiteres Jahr vorausplanen ist eine gute Grundlage, um das Ziel der Gemeinde im Blick zu halten und weise und vorausschauende Entscheidungen für die Zukunft zu treffen. Diese jährlichen Treffen können zum Beispiel zwischen Ältesten und Diakonen oder nur für alle Mitarbeiter im Kinder- und Jugendbereich stattfinden. Sie sollten natürlich durch die Gemeindeleitung gut vor- und nachbereitet werden.
Hilfreiche Gemeindeveranstaltungen und Gruppen
Hier sollen nun einige Veranstaltungen und Gruppen aufgeführt und kurz erläutert werden, die sich für viele Gemeinden als förderlich erwiesen haben.
Bibelstunde: In der Bibelstunde geht man als Gemeinde biblische Bücher Vers für Vers durch. Es geht darum, die Bibel besser kennenzulernen und verständlicher zu machen. Es besteht natürlich auch die Möglichkeit, ein „Thema“ zu halten, also zusammenzutragen, was die Bibel über ein bestimmtes Thema des Glaubens lehrt. Alle Teilnehmer sollten außerdem die Möglichkeit haben, Fragen zu stellen oder Gedanken zu dem Bibelabschnitt zu äußern.
Gebetskreis: In jeder Gemeinde sollte das gemeinsame Gebet einen zentralen Stellenwert bekommen. Wir sollen füreinander, für die Mission, für die Regierung in Gebet vor Gott einstehen (1. Tim 2,1-4). Wir sind in allen Bereichen von Gott abhängig, zudem stehen wir nicht nur unter Druck und Anfechtung von feindlich gesinnten Menschen, sondern unser Kampf richtet sich gegen Herrschaften … und geistliche Mächte der Bosheit (Eph 6,12). Darum schließt Paulus den Abschnitt über die geistliche Waffenrüstung mit einem eindringlichen Aufruf zum Gebet ab: Indem ihr zu jeder Zeit betet mit allem Gebet und Flehen im Geist, und wacht zu diesem Zweck in aller Ausdauer und Fürbitte für alle Heiligen (Eph 6,18).
Und vergessen wir nicht, was für große Verheißungen Gott für unser Gebet gegeben hat (Mt 18,19; Joh 15,16).
Es ist ratsam zur Grundlage des gemeinsamen Gebets eine Bibelstelle zu machen. Dadurch macht man die Bibel zum Gebet, um so tatsächlich nach dem Willen Gottes zu beten.
Hauskreise: Hauskreise bieten sich für größere Gemeinden an oder auch für Gemeinden, die ein großes Einzugsgebiet haben. Durch sie wird persönlichere Gemeinschaft in überschaubaren Gruppen ermöglicht. Hauskreise sollten aber nicht zu Gesprächskreisen werden, in denen hauptsächlich Alltägliches oder Belangloses miteinander besprochen wird.
Man kann im Hauskreis zum Beispiel die Predigt vom letzten Sonntag nachbesprechen und das Thema vertiefen. Oder man geht gemeinsam ein Bibelbuch durch – vielleicht auch unter Zuhilfenahme eines Kursbuches. Hauskreise sind auch geeignet, neue Gemeindeglieder schneller zu integrieren oder Interessierte einzuladen. Auch hier sollte auf eine Gebetsgemeinschaft Wert gelegt werden. Jeder Hauskraus sollte mindestens einen Hauskreisleiter haben, der den Ältesten rechenschaftspflichtig ist.
Kinder- und Jungschargruppe: Eltern tragen die Hauptverantwortung für die Erziehung ihrer Kinder im Glauben. Kinder- und Jungschargruppen dienen als Unterstützung für die Eltern – nicht als Ersatz!
Durch sie bekommen die Kinder auch leichter einen guten Zugang zur Gemeinde. Außerdem ist es für Kinder ein großer Segen, Freundschaften mit anderen Christen ihres Alters zu haben, da sie im Kindergarten und in der Schule fast ausschließlich in einem nichtchristlichen, ja oftmals dem Christentum feindlich gesinnten Umfeld leben.
Eine umstrittene Frage ist die Kinderstunde während des Gottesdienstes. Christen, die diese Praxis kritisch sehen, verweisen darauf, dass die gesamte Familie aufgerufen ist, am Gottesdienst teilzunehmen. Befürworter betonen, dass das Angebot einer Kinderstunde es den Eltern erleichtert, der Predigt zuzuhören.
Ohne diese Frage hier abschließend zu beantworten, sollte man folgende Dinge bedenken, wenn man sich für eine Kinderstunde während des Gottesdienstes entscheidet:
Auch kleinere Kinder können in der Regel in Teilen des Gottesdienstes dabei sein (z. B. die Zeit bis zur Predigt). Ab dem Zeitpunkt, wo Kinder in der Lage sind, einer Predigt zuzuhören, sollten sie auch am gesamten Gottesdienst teilnehmen. Spätestens, wenn sie eine weiterführende Schule besuchen, sind sie in der Lage, eine Predigt größtenteils zu verfolgen und zu verstehen.
Jugendgruppe: Ähnliches trifft auch auf die Jugendgruppe zu. Jugendabende sind gute Gelegenheiten, relevante Themen von der Bibel zu beleuchten und den Jugendlichen geistliche Wegweisung und Stärkung zu geben. Nicht zuletzt kann eine Jugendgruppe auch einen guten Rahmen zum Kennenlernen des zukünftigen Ehepartners bieten. Leider beobachtet man oft, dass die Jugend zu einer ‚Gemeinde in der Gemeinde‘ wird. Das führt nicht nur zu einer Zersplitterung der Gemeinde in Altersgruppen, sondern häufig verlassen die jungen Leute die Gemeinde ganz, sobald sie aus der Jugend „herausgewachsen“ sind. Deswegen ist es besonders wichtig, darauf zu achten, dass die Jugendgruppe keinem Selbstzweck dient, sondern das Ziel verfolgt, junge Menschen zu aktiven Gemeindegliedern zu formen.
Katechese: Katechese wird in manchen Gemeinden auch Konfirmandenunterricht oder Biblischer Unterricht genannt. Die Schüler (im Alter zwischen 12 und 16 Jahren) sollen nicht nur die Grundwahrheiten und Zusammenhänge des Glaubens und der Bibel lernen, sondern auch im Glauben mündig und beheimatet werden. So können sie anschließend ein klares und bewusstes Bekenntnis ihres Glaubens ablegen und zum Abendmahl zugelassen werden. Darüber hinaus sollen sie auch in die Lage versetzt werden, den Glauben gegenüber Andersdenkenden zu verteidigen.
Freizeiten: Freizeiten sind Zeiten des Rückzugs und der Zurüstung. In ihnen kann man sich über mehrere Tage Zeit nehmen, die Bibel zu studieren. Freizeiten dienen dazu, die Gemeinschaft und Einheit in der Gemeinde zu stärken. Gerade für die Kinder und Jugendliche aus kleineren Gemeinden sind diese Zeiten enorm wichtig, da sie oft in der eigenen Gemeinde wenig oder gar keine Gleichaltrigen haben.
Bekenntnisunterricht: Viele Gemeinden in Deutschland haben in den letzten Jahren die Wichtigkeit der Auslegungspredigt wiederentdeckt. Das ist eine sehr erfreuliche Entwicklung. Was dabei aber leider oft auf der Strecke bleibt, ist die thematische und systematische Unterweisung der Gemeinde in den Lehren der Bibel. Oder wie oft wird in Auslegungspredigten wirklich Gottes Dreieinheit, die zwei Naturen Christi oder die Gottheit des Heiligen Geistes erwähnt und erklärt?
Von daher ist es wichtig, die Gemeinde auch in dogmatischen und ethischen Fragen zu unterweisen. Eine Form, die sich in unseren Gemeinden bewährt hat, ist der Bekenntnisunterricht im Anschluss an den Gottesdienst. Nach einer Pause kommt die Gemeinde ein zweites Mal zusammen, um gemeinsam anhand eines Abschnitts aus den Bekenntnissen über eine systematische Frage des Glaubens nachzudenken.
Die Grundlage unserer Gemeinschaft
Paulus ermahnt uns im Kolosserbrief zu tiefer, herzlicher und geistlicher Gemeinschaft:
So zieht nun an als Gottes Auserwählte, Heilige und Geliebte herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Langmut; ertragt einander und vergebt einander, wenn einer gegen den anderen zu klagen hat; gleichwie Christus euch vergeben hat, so auch ihr. Über dies alles aber [zieht] die Liebe [an], die das Band der Vollkommenheit ist. Und der Friede Gottes regiere in euren Herzen; zu diesem seid ihr ja auch berufen in einem Leib; und seid dankbar! Lasst das Wort des Christus reichlich in euch wohnen in aller Weisheit; lehrt und ermahnt einander und singt mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern dem Herrn lieblich in eurem Herzen.
Kol 3,12-16
Um eine derartige Gemeinschaft zu haben, reicht es nicht aus, passende Veranstaltungen zu planen und Gruppen zu gründen. Wir müssen mit Christus den Grundsätzen der Welt sterben (Kol 2,20) und unsere sündigen Begierden töten (Kol 3,5), wie Paulus im vorangegangenen Abschnitt deutlich macht. Unsere Gemeinschaft beginnt mit unserem Tod.
Das Weizenkorn-Prinzip
Jesus macht das durch das Weizenkorn-Prinzip deutlich: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht (Joh 12,24). Kurz bevor Jesus das zunächst über sich selbst sagte, wurde er von einer großen Menge jubelnd in Jerusalem empfangen und es fragten sogar schon die ersten Griechen danach, ihn zu sehen (Joh 12,12-22). Die Welt lief ihm nach, wie selbst die Pharisäer zugeben mussten (12,19) und Jesus hätte leicht den internationalen Durchbruch schaffen und große Anerkennung finden können. Aber er wäre allein. Stattdessen hatte er das Ziel, für Gott viele Söhne und Töchter zu gewinnen. Er wollte viele Geschwister. Er wollte keine lose Verbindung oder distanzierte Hochachtung oder eine große Gruppe von Fans. Er wollte mit uns wahre Gemeinschaft haben. Darum ist er zum sterbenden Weizenkorn geworden. Am Kreuz starb er für unsere Schuld und trug unsere Strafe und allein dadurch werden wir von dem gereinigt, was uns von Gott und auch voneinander trennt: von unserer Sünde. Wahre Gemeinschaft mit Gott und miteinander ist darum nur in Christus, im Glauben an ihn möglich.
Anschließend wendet Jesus das Weizenkorn-Prinzip auf seine Nachfolger an. Um in die Gemeinschaft mit Christus zu kommen, müssen auch wir sterben: Wer sein Leben liebt, der wird es verlieren; wer aber sein Leben in dieser Welt hasst, wird es zum ewigen Leben bewahren (Joh 12,25; vgl. Lk 9,23-24). Mit diesem Sterben ist aber nicht nur unsere Lebensübergabe an Christus gemeint, sondern unsere ganze Nachfolge soll davon geprägt sein. Wir wünschen uns Frucht im Glauben und herzliche Gemeinschaft. Aber auch für uns gilt: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein. Das Weizenkorn-Prinzip bedeutet, täglich sich selbst zu sterben und in Christus zu leben.
Horizontale Gemeinschaft (Beziehung zu Mitchristen) wächst, wenn vertikale Gemeinschaft (Beziehung zu Christus) wächst. Gemeinschaft unter Christen entsteht, wenn Gott uns in den Tod Jesu hineinnimmt und wenn wir daraufhin uns selbst verleugnen, unser Kreuz auf uns nehmen und Jesus nachfolgen (vgl. Lk 9,23-24).
Diese Wahrheiten sollten uns immer wieder zu Christus führen. In ihm allein können wir herzliche, tiefe und sogar ewige Gemeinschaft mit unseren Glaubensgeschwistern und mit Gott erleben. Darum ist es von entscheidender Bedeutung, dass Gemeindeveranstaltungen die Beziehung zu Christus fördern, denn nur so werden auch die Beziehungen zwischen Christen gestärkt.
Ludwig Rühle arbeitet als Pastor der Bekennenden Ev. Gemeinde in Osnabrück und unterrichtet als Lehrbeauftragter Praktische Theologie an der Akademie für Reformatorische Theologie. Er ist verheiratet mit Katharina und Vater von vier Kindern.