Wann hört man schon einmal eine Predigt zum Thema Gehorsam? Wie oft werden wir von anderen Christen zum Gehorsam angespornt oder ermutigen selbst andere dazu? Trügt der Schein, dass man in evangelikalen Kreisen versucht, das Wort „Gehorsam“ nicht allzu häufig in den Mund zu nehmen? „Gehorsam“ klingt zu drastisch, zu fordernd, zu gesetzlich. Dabei gibt es eine überraschende Aussage Jesu im Blick auf den Gehorsam ihm gegenüber.
Lesen wir dazu aus dem Evangelium nach Johannes, Kapitel 15, die Verse 9-11: „Wie der Vater mich geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt; bleibt in meiner Liebe! Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben, so wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe. Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und eure Freude vollkommen wird.“
Diese drei Sätze spricht Jesus kurz vor seiner Gefangennahme. Sie sind Bestandteil seiner Abschiedsreden, die sich von Kapitel 13 bis 17 erstrecken. In diesen Kapiteln thematisiert Jesus mehrfach die Beziehung zwischen seinem Vater und ihm. Diese Beziehung dient Jesus unter anderem als ein vorbildhaftes Muster für die Beziehung zwischen ihm und seinen Jüngern.
So schildert er in unserem Abschnitt zunächst ein Element seiner Beziehung zum Vater: „Wie der Vater mich geliebt hat„. Die Perfekt–Form („geliebt hat“) bringt zum Ausdruck, wie vollkommen die Liebe des Vaters zum Sohn ist. Daraufhin beschreibt Jesus ein wichtiges Kennzeichen der Beziehung zu seinen Jüngern: „so habe auch ich euch geliebt„. Auch hier haben wir eine Perfekt–Form. Mit anderen Worten: Auch die Liebe Jesu zu uns ist vollkommen. Was das heißt, wird er kurz darauf am Kreuz, dem Ort seiner vollkommenen Liebe, unter Beweis stellen.
Die Entsprechung: Vater – Sohn – Jünger
In dieser vollkommenen Liebe, die Jesus uns gegenüber erwiesen hat, sollen wir bleiben. Das ist die Aufforderung in Johannes 15,9. Gottes Liebe zu uns ist reine Gnade und unverdient. Dass wir Christus als unseren Herrn und Heiland erkennen durften, dass er unsere Schuld bezahlt hat am Kreuz, ist sein wunderbares Geschenk an uns. Um nun in dieser Freude über diese Liebe zu bleiben, sind wir aufgerufen, die Gebote des Herrn zu halten (Joh. 15,10.11). Wenn also auch wir Empfänger einer vollkommenen Liebe sind (der Liebe Jesu), wie Jesus Empfänger der vollkommenen Liebe des Vaters ist, so sollen wir analog dazu in der Liebe Jesu bleiben, wie Jesus in der Vaterliebe geblieben ist.
Wie ist Jesus in der Liebe geblieben? Durch seinen Gehorsam. „Und der, welcher mich gesandt hat, ist mit mir; der Vater lässt mich nicht allein, denn ich tue allezeit, was ihm gefällt.“ (Joh. 8,29). Diese und weitere Stellen zeigen, dass der Gehorsam Jesu ein zentrales Thema über Christus ist, welches im Johannesevangelium verkündet wird (vergleiche Joh. 4,34; 5,19ff.; 6,38; 8,29.55; 10,17f.; 12,27f.; 14,31).
Es ist deutlich: Gehorsam, also das Halten der Gebote ist die Grundlage, um in Jesu Liebe zu bleiben. Dabei ist sogleich festzuhalten, dass die Liebe zu Jesus die Ursache für unseren Gehorsam ist (vergleiche Joh. 14,15.21). Gehorsam ist kein Zwang, keine Sollerfüllung, sondern sie quillt aus der Liebe zu dem, der sich in seiner vollkommenen Liebe zu uns hat anspucken, auspeitschen und ans Kreuz nageln lassen.
Und nun kommt dieser Satz aus Johannes 15,11, der erstaunlich ist, weil er unserem Empfinden nicht so recht entsprechen will: „Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und eure Freude vollkommen wird“.
Wenn wir das berücksichtigen, was in den Versen 9 und 10 steht, sagt Jesus hier Folgendes: Sein Gehorsam gegenüber dem Vater ist der Grund seiner Freude, und Jesus verspricht, dass diejenigen, die ihm gehorchen, dieselbe Freude haben werden wie er. Mehr noch: Jesus ruft zu diesem Gehorsam auf, damit unsere Freude eine vollkommene Freude ist.
Menschliche Freude in einer gefallenen Welt ist bestenfalls eine kurzlebige, oberflächliche, gedämpfte und unvollkommene Freude. Das wird sich erst ändern, wenn unser Leben eingeholt worden ist von der Liebe Gottes, die uns in Jesus Christus geschenkt worden ist. Dies führt zum Gehorsam gegenüber seinen Geboten, und dieser Gehorsam bewirkt bei uns erfüllende Freude. So verspricht es unser Heiland.
Gehorsam, der wahre Freude verspricht
Welcher Art ist nun dieser Gehorsam, der uns zu wahrer, erfüllender Freude führen soll? Zur Beantwortung schauen wir uns auch hier wieder den Gehorsam an, den Jesus gegenüber seinem Vater hatte. Dieser Gehorsam begegnet uns ebenfalls im Johannesevangelium, allerdings einige Kapitel früher, nämlich in Kapitel 12,24-26: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, so bleibt es allein; wenn es aber stirbt, so bringt es viel Frucht. Wer seine Seele liebt, der wird sie verlieren; wer aber seine Seele in dieser Welt hasst, wird sie zum ewigen Leben bewahren. Wenn jemand mir dienen will, so folge er mir nach; und wo ich bin, da soll auch mein Diener sein; und wenn jemand mir dient, so wird ihn mein Vater ehren“. Der Gehorsam Jesu ist also ein Gehorsam, der bereitwillig den Tod des eigenen Lebens auf sich nimmt. Christus ist dafür das beste Beispiel. Er wollte nicht seine eigenen Interessen durchsetzen. Er bestimmte sein Leben nicht selbst. Was er sagte und lehrte, was er an Wundern tat, hatte der Vater ihm so aufgetragen. Jesus entäußerte sich, gab seine göttliche Stellung auf, nahm die Knechtsgestalt eines Menschen an, machte sich zu Nichts, nahm die schändlichste Todesstrafe auf sich, weil er eben nicht sein eigenes Leben liebte, weil er schon gar nicht seine eigene Person ins Rampenlicht stellen wollte, sondern weil er – aus der Liebe zum Vater und zu seinen Jüngern heraus – gehorsam den Weg der Selbsterniedrigung und Selbsthingabe bis zum Kreuzestod gehen wollte. Das war seine große Freude!
Diese christliche Freude ist eine Freude, die im krassen Gegensatz steht zu der Freude, wie die Welt sie uns vorlebt und anpreist. Der Apostel Paulus beschreibt einmal die Freude, die die Welt liebt, folgendermaßen: „die, nachdem sie alles Gefühl verloren haben, sich der Zügellosigkeit ergeben haben, zur Verübung jeder Art von Unreinigkeit mit unersättlicher Gier“ (Eph. 4,19). Der Mensch, der sich selbst verwirklichen will, akzeptiert keinen übergeordneten Maßstab. Er akzeptiert nur den Maßstab seiner selbstdefinierten Freude, die sich oft in der Betäubung wahrer Gefühle, in Zügellosigkeit jeglicher Art und in unersättlicher Gier manifestiert. Einige Verse später erklärt uns Paulus, wohin ein Leben der Selbstverwirklichung in Gottes Augen wirklich führt. Es ist ein Leben, das sich „wegen der betrügerischen Begierden selbst zugrunde richtet.“ (Eph. 4,22). Selbstverwirklichung führt also zur Selbstzerstörung. Verleugnung des eigenen Lebens und tägliches Kreuztragen sowie Unterordnung unter die guten Gebote Gottes ist demgegenüber wahre Lebensfreude. Glauben wir das?
In den unserem Abschnitt nachfolgenden Versen aus Johannes 15 steht die Liebe der Jünger untereinander als zentrales Gebot Jesu im Vordergrund: „Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, gleichwie ich euch geliebt habe.“ (Joh. 15,12). Oder: „Das gebiete ich euch, dass ihr einander liebt.“ (Joh. 15,17). Erneut zeigt sich, wie wir aufgerufen sind, das eigene Leben in den Hintergrund treten zu lassen, uns selbst zu verleugnen; denn der Christ hat in erster Linie den Nächsten im Blick. In Verbindung mit dem Doppelgebot der Liebe, an dem das ganze Gesetz und die Propheten hängen (Mt. 22,36-40), zeigt sich, wie unser eigenes Leben mit seinen betrügerischen Wünschen immer unwichtiger wird. Die christliche Grammatik dekliniert also nicht nach dem Prinzip: Ich – du – er/sie/es, sondern stellt die weltliche Rangordnung auf den Kopf: Zuerst „Er“ („Du sollst den Herrn deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Denken“), an zweiter Stelle „Du“ („Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“) und erst am Schluss wird das „Ich“ nebenbei erwähnt. Aber das Überraschende ist ja, dass gerade in dieser Lebensweise die vollkommene Freude versprochen wird. Es ist ein Leben, das die Gebote Gottes und Christi, also die biblische Offenbarung insgesamt im Blick hat und ganz konkret im Alltag den Willen Gottes in den verschiedenen Lebenssituationen leben will.
Wir wollen den Weg der Selbstverleugnung, den Weg des täglichen Kreuztragens gehen, weil wir auf diese Weise ganz nahe bei ihm und in seiner Liebe bleiben und uns als Ausfluss dieser engen Gemeinschaft erfüllende Freude zu Gute kommt. Und die Verheißung auf diese erfüllende Freude darf auch der Antrieb unseres Gehorsams sein.
Freude als Gehorsamsakt
John Piper hat mit seinem Buch Desiring God (deutsch: Sehnsucht nach Gott: Leben als christlicher Genießer)2 bei vielen Christen eine neue Diskussion über die Bedeutung der Freude an Gott ausgelöst. Es ist hier nicht der Ort, um auf Kernthesen dieses Buches einzugehen. Einen Punkt aber möchte ich herausgreifen. Er hat mit dem Thema „Gehorsam und Freude“ zu tun.
John Piper behauptet, dass Freude nicht nur ein „Abfallprodukt“ des Gehorsams gegenüber Gott sei, sondern ein Bestandteil desselben. Er schreibt: „Es scheint, als akzeptiere man die Freude gern als Nebenprodukt unserer Beziehung zu Gott, aber nicht als wesentlichen Bestandteil. Irgendwie fühlt man sich unwohl, wenn man sagt, es sei unsere Pflicht, nach Freude zu streben“.3 Jedoch sei die Freude an Gott ein Gehorsamsakt. Wir werden nämlich dazu aufgefordert, uns an Gott zu erfreuen: „Wenn Gehorsam bedeutet, das zu tun, was Gott gefällt, dann ist Freude nicht nur ein Abfallprodukt des Gehorsams, sie ist Gehorsam“. Und in der Tat, die Bibel fordert uns immer wieder dazu auf, die Freude an Gott zu suchen: „Freut euch an dem HERRN, und frohlockt, ihr Gerechten, und jubelt, alle ihr von Herzen Aufrichtigen!“ (Ps. 32,11). „Habe deine Lust am HERRN!“ (Ps. 37,4). „Freut euch, dass eure Namen in den Himmeln angeschrieben sind!“ (Lk. 10,20). „Freut euch im Herrn allezeit! Wiederum will ich sagen: Freut euch!“ (Phil. 4,4). Die Bibel lehrt also nicht, dass wir die Freude nur als Nebenprodukt des Gehorsams ansehen sollen. Das Streben nach Freude, nach der vollkommenen Freude in Gott gehört tatsächlich dazu, wenn man ein gehorsamer Christ sein will. Auch die Freude am Gutestun, an der Nächstenliebe ist letztlich Freude an Gott, weil das Gute, das wir immer im Blick haben, die Herrlichkeit Gottes zeigen soll und unsere eigene Freude an Gott andere erreichen soll.
Ein Beispiel: Augustinus` Verständnis von souveräner Freude
Augustinus schrieb in seinen Bekenntnissen (IX 1) im Blick auf den Kampf gegen seine alten sündigen Gewohnheiten Folgendes: „Wie schön war auf einmal alles für mich, als ich jene fruchtlosen Freuden los war, die zu verlieren ich so sehr gefürchtet hatte! … Du triebst sie fort von mir, der Du die wahre, die souveräne Freude bist. … O Herr, mein Gott, mein Licht, mein Reichtum und mein Heil!“
Für Augustinus war es ein souveränes Gnadengeschenk Gottes, dass er einen Sieg über alte sündige Gewohnheiten erfahren durfte. Aber Augustinus hat diese Überwindung und seine Heiligung so erfahren, dass Gott ihm eine größere Freude als die vormals sündigen Freuden schenkte. Gott selbst wurde ihm zur souveränen Freude, die dann über die Freude an der Sünde triumphierte. Liebe zu Gott ist nach Augustinus nie auf Gehorsamstaten oder auf Willensakte reduziert. Gott zu lieben heißt, so zufrieden in Gott und so angetan von allem zu sein, was er für uns ist, dass seine Gebote aufhören, uns Mühe zu bereiten. Nur wenige haben dies so deutlich gesehen und dargestellt wie Augustinus. Die Frage nach der Heiligkeit und dem Gehorsam gegenüber Gott ist die Frage nach dem Finden der Zufriedenheit und Freude in Gott durch Christus. Und in Gott Zufriedenheit und Freude zu finden, ist eine göttliche Gabe der souveränen Freude.
Der Kampf um Gehorsam und Heiligung wird auf dem Feld unserer Liebe ausgetragen. Sicher: Es geht um wahre Selbstverleugnung, um wahre Disziplin, um das Töten unserer Glieder (Kol. 3,5), also um das „Ausreißen des Auges“ oder um das „Abhacken der Hand“. Es ist eine uns total beanspruchende Kriegsführung. Aber das Geheimnis hinter ernster Disziplin, das Geheimnis, alles für Dreck halten zu können, ist: Christus als den Schatz des Lebens und für den größten Gewinn zu achten. Der Kampf um Heiligung ist ein Kampf, der in der Hauptsache darin ausgefochten wird, dass das Feuer der Freude und der Leidenschaft für Christus brennend bleibt. Heiligung ist der Triumph der „souveränen Freude“ am dreieinigen Gott.
Gehorsam und Freude sind also zwei Bestandteile christlichen Lebens die eng miteinander verwoben sind, ja einander bedingen. Freude ist vom Gehorsam nicht zu trennen. Wenn wir danach trachten würden, würden wir entweder in schwärmerischer Weise den Boden des geoffenbarten Willen Gottes in der Heiligen Schrift verlassen oder den Wunsch nach Gehorsam als heuchlerisches Heiligungsstreben abtun. Lassen wir uns aber auf der anderen Seite nicht von denen verwirren, die Gehorsam fordern und dabei die Freude nur als unwichtiges Nebenprodukt verstehen und nicht erkennen, dass Gehorsam nicht ohne Freude an Gott möglich ist. Da ja Gott unser höchstes Gut ist und alle Sehnsüchte und Wünsche letztlich nur bei ihm gestillt werden und zur Ruhe kommen können, will uns Gott mit der Freude an ihm das geben, was unser Leben wirklich erfüllt. Diese Freude hatte Jesus im Blick, als er uns vollkommene Freude verhieß – eine Freude, die in der Liebe Christi gegründet ist und von Herzen seinen Weisungen folgen will.
1) Pastor Thomas Herwing ist in der Slowakei als Missionar tätig.
2) Das Buch Sehnsucht nach Gott: Leben als christlicher Genießer ist erschienen im 3L Verlag, Waldems 2005.
3) Siehe: John Piper, Von der Pflicht zur Freude. Bielefeld [CLV] 2006, S. 14.