„Ehre ist bei Gott in der Höhe und Friede auf Erden in den Menschen des Wohlgefallens!“
Lobpreis
Die Tage, in denen wir in besonderer Weise an das Kommen des Sohnes Gottes in diese Welt erinnert werden, stehen wieder bevor. Dass wir Gott an solchen Festtagen durch Singen und Sagen loben, ist üblich. Aber das Wort Gottes unterscheidet zwischen einem Loben Gottes, das lediglich mit den Lippen geschieht, und einem Loben Gottes, das aus unserem Herzen kommt, weil wir von dem erfasst sind, was Gott in seiner grundlosen Barmherzigkeit getan hat: Er gab seinen einzigen Sohn in diese Welt, um Sünder zu erretten und sie in seine Gemeinschaft zu ziehen.
Möglicherweise ist jedoch die Gefahr in keiner Zeit so groß, wie in den vor uns liegenden Wochen, den Unterschied zu vernebeln zwischen einem Lobpreis, der die eigene Selbstfindung im Auge hat, und einem Loben Gottes, in dem es wahrhaftig um die Ehre Gottes geht.
Was wirkliche Anbetung ist, können wir von den Engeln lernen. Diese himmlischen Throngeister sind Wesen, deren Berufung seit jeher darin besteht, Gott zu ehren und seinen Ruhm zu verbreiten.
Als sie in dieser Nacht das Lob Gottes verkündeten, war ihr Jubel der Widerhall auf die Botschaft des Engels, der den erschreckten Hirten gerade verkündet hatte: „Fürchtet euch nicht! Siehe ich verkündige euch große Freude! Euch ist heute der Retter geboren…“ (Luk. 2,9–12). Als der Bote Gottes diese Botschaft kundgetan hatte, hallten die Felder Ephratas wider von dem herrlichen Chor der himmlischen Wesen.
Träger der Majestät Gottes
Das Kommen des Sohnes Gottes im Fleisch betraf also offenbar nicht nur die Erde. Auch der Himmel, die unsichtbare Welt, war von diesem Ereignis betroffen.
Engel traten in den Monaten, die der Geburt Jesu unmittelbar vorangingen, mehrfach in die Sichtbarkeit. Als Zacharias in das Allerheiligste des Tempel ging, trat ihm der Engel Gabriel entgegen (Luk. 1,11–20). Ein halbes Jahr später erschien er nochmals. Dieses Mal brachte er Maria eine wichtige Botschaft (Luk. 1,26–38). Wenig später hören wir erneut, dass der Engel des Herrn dem Joseph im Traum entgegentrat (Mt. 1,20–23).
Aber bei all diesen Engelerscheinungen war es jeweils immer nur ein einziger Engel. Doch nachdem der Verkündigungsengel den Hirten die große Freude über die Geburt des Retters mitgeteilt hatte, riss gewissermaßen der dunkle Vorhang der Nacht entzwei, und Menschen wurden Zeugen, dass der Himmel insgesamt vom Jubel über das Werk Gottes erfüllt ist.
Aufgabe der himmlischen Wesen ist es, die Majestät Gottes zu verbreiten. Das heißt: In ihnen strahlt uns etwas von der Hoheit und der Größe Gottes entgegen. Wie viele dieser Träger der Majestät Gottes es gibt, wissen wir nicht. Aber ihre Anzahl geht in die Millionen. Der Prophet Daniel schreibt einmal davon, wie er sah, dass tausend-mal Tausende Gott dienten und zehntausend-mal Zehntausende vor dem Heiligen standen (Dan. 7,10).
Angesichts eines derartigen Lobens und Jubelns kann uns schmerzlich vor Augen treten, wie mangelhaft, wie mickrig unser eigenes Loben Gottes ist. Wer von uns, der es überhaupt jemals ernsthaft versucht, muss nicht an sich selbst erfahren, wie armselig sein Loben Gottes ausfällt. Nicht nur das! Wie ist unser Lobpreis häufig von Misstönen durchzogen! Verunreinigt von dem Gift unserer Sünde, so dass selbst das Lob Gottes verbogen ist durch unsere ichhafte Gesinnung und wir Gott nicht um seiner selbst willen Ehre darbringen, wie es angemessen wäre, sondern um für uns selbst etwas zu erlangen. Dieses entsetzliche „Um zu“ in unserem Denken!
Angesichts der Jubilierer über den Feldern Bethlehems erkennen wir unsere Unzulänglichkeit nur umso deutlicher.
„Ehre ist Gott in der Höhe!“
Bekanntlich lautet die erste Mitteilung in der Heiligen Schrift: „Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde„. Mit „Himmel und Erde“ ist das gesamte Universum gemeint, also sowohl die unsichtbare Welt als auch die sichtbare Welt.
Auch im Engelgesang kommen beide Wirklichkeiten zur Sprache: „Ehre sei Gott in der Höhe!“ Damit ist der Himmel im Blick. Das Folgende, „und Friede auf Erden„, sieht auf die uns umgebende irdische Wirklichkeit.
Indem die himmlischen Wesen die gesamte Schöpfung in ihrem Lobpreis hineinnehmen, erinnern sie an die kosmische Bedeutung des Kommens Christi.
Alles, was geschaffen wurde, das Sichtbare und das Unsichtbare, wurde in Christus geschaffen (Kol. 1,16; Joh. 1,10). Auch bestand und besteht alles durch den Sohn Gottes (Kol. 1,17). Aber der Fall in der Himmelswelt, die Empörung Luzifers gegen Christus, führte nicht nur zu einem unsäglichen, durch das ganze Universum hindurchgehenden Riss, sondern dadurch wurde auch Gott geschmäht, gelästert und beleidigt.
Das Kommen Jesu läutete auch das Ende dieser Schmähung ein.
Wenige Kapitel nach der Geburtsgeschichte Jesu schildert Lukas, wie Jesus siebzig Jünger aussandte. Als sie zu ihm zurückkehrten, berichteten sie, dass die Dämonen ihnen im Namen Jesu untertan wären. In seiner Antwort wies der Sohn Gottes sie darauf hin, dass er den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen sah (Luk. 10,17.18).
Das heißt: Auch für den Himmel hatte das Kommen Christi gewaltige Bedeutung. Durch die Sendung des Sohnes Gottes auf diese Erde wurde Satan aus dem Himmel geworfen (Joh. 12,31). Der Zweck des Kommens Christi war nicht zuletzt, die Werke des Teufels zu zerstören (1Joh. 3,8).
Auch wenn die Rückzugsgefechte dieser Auseinandersetzung noch weitergehen (siehe zum Beispiel Eph. 6,10ff), ist der Satan gebunden (Mt. 12,29). Christus ist über alle Mächte und Gewalten erhöht (Eph. 1,20–23).
Weil es zu den zentralen Aufgaben des Sohnes Gottes gehörte, seinen Vater zu verherrlichen (Joh. 17,4), stellt sein Kommen auch die Ehre Gottes in der Höhe wieder her. (Im Grundtext steht hier sogar der Plural: in Höhen).
Heutzutage verbinden nicht wenige Zeitgenossen mit dem Begriff „Höhe“ Vorstellungen, die dem New-Age-Denken entstammen: Die Welt über uns sei erfüllt mit Schreckgestalten wie Spukbildern, Ufos und Gespenstern.
Andere, in ihrem Denken eher der Moderne verpflichtete Menschen würden beim Gedanken an die „Höhe“ sich weltanschaulich mehr bei Blaise Pascal (1623-1662) zu Hause fühlen. Dieser Mathematiker rief angesichts der ihm als endlos erscheinenden Sternenwelten in ihrer bedrückenden Leere aus: „Das ewige Schweigen dieser unendlichen Räume erschreckt mich!“1
Deutlich ist: Ohne Christus geht von den Höhen über uns etwas massiv Einschüchterndes, ja Bedrohliches aus.
Welch eine Freude ist es zu vernehmen, dass der Sohn Gottes all diesen Schrecken gewachsen ist. Er, der das Haupt aller Fürstentümer und Schicksalsmächte ist, egal ob es sich um Gegenwärtiges oder Zukünftiges handelt, ob es Hohes betrifft oder Abgründiges oder ob es sich sonst um irgendetwas Beängstigendes aus dem Bereich dieser Schöpfung handelt: Christus vermag dem standzuhalten (Röm. 8,38.39; Kol. 2,10). Die Engel hatten dieses verstanden: „Ehre ist Gott in der Höhe.“
„Friede auf Erden“
Auch wenn das Lob der Engel bei dem einsetzt, was durch das Kommen Christi in den himmlischen Welten in Ordnung gebracht worden ist, die Richtung ihres Lobgesanges zielt auf die Erde. Der Blick der Engel wendet sich von der Herrlichkeit Gottes in der Höhe zur irdischen Wirklichkeit.
Die Dynamik dieses Lobpreises kann man vergleichen mit der dritten Bitte des Gebetes, das Jesus seine Jünger gelehrt hat: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auch auf Erden …„. Damit begehren wir: So wie jetzt bereits Dein Wille im Himmel geschieht, so möge er auch auf der Erde durchgesetzt werden.
Um diesen Lobpreis der Engel nicht falsch zu verstehen, ist es unbedingt erforderlich, genau hinzuhören. Die himmlischen Wesen verkündigten hier nicht einen irdischen Frieden. Christus brachte nicht einen Frieden, der zum Beispiel eine Mischung zwischen militärischer Unterwerfung und politischem Pazifismus darstellt.
Derartige Vorstellungen hätte man in der damaligen Zeit eher mit dem römischen Kaiser Octavian (Augustus) verknüpfen können. Denn dieser Herrscher war es, der es fertigbrachte, zum ersten Mal seit gefühlten ewigen Zeiten die Tore des Janustempels, des römischen Kriegstempel, zuschließen zu lassen. Für das Bringen eines irdischen Friedens (Pax Romana) hätte man also eher Kaiser Augustus zujauchzen müssen.
Aber auch als Projektionsfläche für Sehnsüchte einer kleinbürgerlichen Idylle eignet sich die Friedensbotschaft der Engel keineswegs. Wenn die Engel von einem derartigen Frieden gesungen hätten, dann sollte die Menschheit eher ihr Heil bei Lebensberatern oder Gurus suchen, aber nicht bei dem in Bethlehem von Maria Geborenen! Ja, dann wäre man nicht schlecht beraten, aus dem Kreis der festfeiernden Gemeinde wegzulaufen und stattdessen beharrlich die Frage zu stellen, wo denn nun der von Christus gebrachte – irdische – Frieden zu finden sei.
Aber der Friede, von dem die Engel sangen, der mit dem Kommen Christi auf diese Erde gebracht worden ist, ist nicht der Friede, auf den man sich mit der Menschheit insgesamt einigen könnte. Der Friede, von dem die Engel jubelten, ist die Folge der Freudenbotschaft: Christus, der Retter, ist gekommen, der den Sünder mit Gott dem Vater versöhnt, das heißt: der Frieden mit Gott geschaffen hat. Es geht um den Frieden, mit dem Jesus – sehr zum Ärger seiner Umgebung – die Sünderin entließ, die ihm glaubte (Luk. 7,50). Es ist der Friede, den Jesus der blutflüssigen Frau verkündete, die in ihrer tiefen Not ganz dem Herrn traute (Luk. 8,48). Es ist der Friede, den die Jünger den Menschen brachten, als Jesus sie ausgesandt hatte, den Verlorenen Israels das Evangelium zu verkündigen (Luk. 10,5). Es ist nicht zuletzt der Friede, den der Auferstandene seinen Jüngern erteilte, bevor er sie in die Auseinandersetzungen, Verfolgungen und Konflikte der weltweiten Mission entließ (Luk. 24,36; Joh. 20,19.21.26).
Dieser Friede ist nicht von dieser Welt, und er hat nichts mit den eindimensionalen, menschlichen Friedensvorstellungen zu tun.
Eher wird man das Gegenteil sagen müssen: Angesichts der in der Gottfeindschaft verharrenden Welt ist der von Christus gebrachte Friede nichts weniger als der Proklamation zum geistlichen Krieg. Denn das ist das Beunruhigende an dem Frieden, der in Christus gekommen ist: er entfesselt furchtbare Gegenkräfte. Darauf weist unser Herr hin: „Ich bin gekommen, ein Feuer auf die Erde zu bringen und wie wünschte ich, es wäre schon entzündet! Aber ich muss mich taufen lassen mit einer Taufe, und wie drängt es mich, bis sie vollbracht ist! Meint ihr, dass ich gekommen sei, Frieden auf Erden zu geben? Nein, sage ich euch, sondern vielmehr Entzweiung! Denn von nun an werden fünf in einem Haus entzweit sein, drei mit zweien und zwei mit dreien; der Vater wird mit dem Sohn entzweit sein und der Sohn mit dem Vater, die Mutter mit der Tochter und die Tochter mit der Mutter, die Schwiegermutter mit ihrer Schwiegertochter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter.“ (Luk. 12,49–53).
Dass der Friede, den Christus gebracht hat, keine irdische Idylle ist, kann übrigens bereits an der Geburtsgeschichte Jesu erkannt werden. Denn auch hier lesen wir von dem Kämpferischen des in Christus gekommenen Friedens. Bezeichnenderweise werden nämlich diejenigen, die davon singen, dass in Christus der Friede auf die Erde gekommen ist, „himmlische Heerscharen[!]“ genannt.
Bei „himmlischen Heerscharen“ haben wir an Kriegshelden zu denken. Es handelt sich bei den lobpreisenden Engeln, die den in Christus gekommenen Frieden proklamieren, wahrlich nicht um niedliche Engelputten, wie sie uns leider seit der Barockzeit in zahllosen kitschigen Krippen- und Stallmalereien vorgegaukelt werden!
Nach dem Sündenfall sprach Gott zu dem ersten Menschenpaar: „Ich will Feindschaft setzen!“ (1Mos. 3,15). Damit war die Auseinandersetzung vorgezeichnet. Angefangen von Abel, dessen Blut vergossen wurde, standen nun Jahrtausende des Unfriedens und des bitteren Kampfes zwischen dem Samen der Frau und dem Samen der Schlange bevor. Immer wieder hatte man den Eindruck, dass der Sieg dem Schlangensamen zufallen werde.
Aber mit dem Kommen Christi erfolgte der entscheidende Schlag für das Aufrichten der Friedensherrschaft Gottes. Christi Kommen auf diese Erde und sein Gang nach Golgatha brachte den Frieden auf Erden: Gott machte durch das Blut seines Kreuzes Frieden! (Kol. 1,20). Dieser Friede ist weder durch Kriegsrumor noch durch Terrorwarnungen zu erschüttern, und schon gar nicht durch Beschlüsse kirchlicher Gremien zu Homosexuellen-Partnerschaften oder zur Frauenordination.
„in den Menschen des Wohlgefallens [Gottes]“
Dass die himmlischen Heerscharen nicht einen allgemeinen, jedermann zugänglichen Frieden verkünden, wird auch daran deutlich, dass sie hinzufügen, der Friede gelte für die, denen Gott „sein Wohlgefallen“ erweist.
Zwar gibt es auch die Lesart „in den Menschen ein Wohlgefallen“. In diesem Fall wäre der Sinn dieser Aussage, dass Gott nun an allen Menschen Wohlgefallen habe. Aber die besser bezeugte Lesart lautet: „Friede auf Erden in den Menschen des Wohlgefallens [Gottes]. Damit ist gemeint: Der Friede auf Erden ist für die, in denen Gott sein Wohlgefallen schafft.
Das Wohlgefallen Gottes ist sein Rettungsplan. Um das zu verstehen, ist es hilfreich, an das zu erinnern, was der Herr seinen Jüngern über Gottes Wohlgefallen verkündete: „Fürchte dich nicht du kleine Herde, denn es hat eurem Vater wohlgefallen, euch das Reich zu geben“ (Luk. 12,32).
An anderer Stelle lesen wir, dass der Sohn Gottes frohlockend zu seinem Vater betete: „Ich preise Dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies den Weisen und Klugen verborgen hast und es den Unmündigen geoffenbart hast. Ja, Vater, denn so war es vor dir wohlgefällig.“ (Luk. 10,21).
Angesichts solcher Aussagen über das Wohlgefallen Gottes könnte man erschrecken. Man könnte die Frage stellen: Was ist, wenn ich nicht zu denen gehöre, die bei Gott Wohlgefallen gefunden haben?
Aber all den Erschreckten und Ängstlichen gilt die Botschaft aus Psalm 147,11: „Des Herrn Wohlgefallen richtet sich auf die, die ihn fürchten und die auf seine Gnade hoffen.“
Hier wird uns die menschliche Verantwortung vor Augen gestellt. Nirgendwo werden wir im Wort Gottes aufgerufen, eine Antwort auf die Frage, ob Gott mir wohlgefällig ist, durch Spekulieren zu ergrübeln. Stattdessen stellt uns der Psalmvers vor die Frage: Fürchte ich den Herrn? Hoffe ich auf seine Gnade? Wenn das der Fall ist, dann bin ich ein Kind seines Wohlgefallens.
So dürfen alle, die Christus, als ihrem Herrn und Heiland trauen, einstimmen in den Lobpreis der himmlischen Heerscharen: In und durch Jesus Christus ist die Ehre Gottes in der Höhe wiederhergestellt und der Friede Gottes auf die Erde gebracht worden für die Menschen, an denen Gott sein Wohlgefallen hat.
1) „Les éspaces infinies m’aiffraient„, B. Pascal, Pensées. Fragment 206. L. Brunschvicg [Hrsg.]