Wortverkündigung: Johannes 1, 18

Wortverkündigung: Johannes 1, 18

„Niemand hat Gott je gesehen. Der eingeborene Sohn, der im Schoß des Vaters ist, der hat Aufschluss über ihn gegeben.“

Johannes 1,18

Sehnsüchte und Ängste zur Weihnachtszeit

Die Beobachtung ist nicht originell: In der breiten Öffentlichkeit gerät die wahre Bedeutung der Adventszeit und des Weihnachtsfestes immer stärker in Vergessenheit. Es mag sein, dass sich der eine oder der andere unserer Zeitgenossen noch daran erinnert, dass diese Festtage wohl ursprünglich eine Feier aus Anlass der Geburt Jesu waren. Aber ihn selbst scheint diese Wahrheit kaum noch zu betreffen. Der Kommerz übt eine wesentlich größere Macht aus. Ganz sicher werden nicht wenige unserer Mitbürger am Abend des 24. Dezember einfach nur froh sein, dass der „ganze Rummel“ vorbei ist. Ich denke hier nicht zuletzt an die Verkäufer.

Aber trotz des Verblassens des tatsächlichen Grundes für das Weihnachtsfest gibt es noch immer zahlreiche Menschen, die mit diesen Tagen besondere Erwartungen verknüpfen. Die Kinder hoffen auf Geschenke. Viele Erwachsene wünschen sich gerade für die bevorstehende Zeit im Familienkreis Frieden und Eintracht.

Nun ja, Statistiker geben zu bedenken, dass wohl in keiner Zeit des Jahres so viele Streitigkeiten wie gerade zur Weihnachtszeit ausbrechen. Soziologen erklären das damit, dass gerade in diesen Tagen die Familien eng beieinander hocken und die Erwartungen auf Harmonie besonders hochgesteckt sind. Umgekehrt ist es auch kein Geheimnis, dass nicht wenige im Blick auf die vor ihnen liegenden Tage von Angst überfallen werden: Sie fürchten sich vor dem Alleinsein, der Einsamkeit.

Aber selbst wenn die Geschenke nicht enttäuschen und die Weihnachtstage harmonisch verlaufen, bleibt ja die Frage: Versetzt man sich mit all den aufgesetzten Erwartungen nicht selbst unter Druck oder sogar in eine Art Rauschzustand, so dass selbst dann, wenn die ersehnte Weihnachtsseligkeit eingetreten ist, im Anschluss daran die Katerstimmung geradezu unausweichlich ist?

Wenn man mit Christen über Weihnachten ins Gespräch kommt, begegnet man gelegentlich der Auffassung: Am liebsten wolle man dieses Fest gar nicht mehr feiern. Zum einen hänge das Datum mit dem germanisch-heidnischen Wintersonnenfest zusammen, zum anderen aber gebe gerade die durch den Kommerz eingetretene Verkitschung den eigenen Glauben der Lächerlichkeit preis: Wie soll ein Christ auch reagieren, wenn an einer Supermarktkasse jemand mit offensichtlich türkisch-islamischem Migrationshintergrund ihm „frohe Weihnachten“ wünscht?

Andere geben zu bedenken: Gerade wir Christen sollten nicht auf das Feiern des Weihnachtsfestes verzichten. Immerhin verberge sich bei nicht wenigen hinter all dem weihnachtlichen Klimbim eine versteckte Sehnsucht, wenigstens einmal im Jahr aus dem Einerlei des Alltags auszusteigen und Göttliches erspüren zu wollen. Nur von daher sei es zu erklären, so argumentieren sie, dass noch immer viele unserer Zeitgenossen am 24. Dezember der mit Weihnachtsbaum und Krippe geschmückten Kirche einen Besuch abstatten. Derartige Gewohnheiten könne man als positive Anknüpfungsmöglichkeiten für die Verkündigung des Evangeliums nutzen, auch wenn man dafür das Weihnachtsblendwerk in Kauf nehmen müsse.

Niemand hat Gott je gesehen

Es ist erstaunlich, dass der Apostel Johannes in seinem Prolog, in dem er über die Menschwerdung des Sohnes Gottes spricht, eine Aussage macht, die an dieser Stelle verwundert: „Niemand hat Gott je gesehen.“ Warum sagt er das in diesem Zusammenhang?

Fast könnte man meinen, Johannes habe diese Feststellung getroffen, weil er geahnt habe, dass Menschen einmal Weihnachten feiern würden, um Gott oder etwas Göttliches zu erspüren oder sonstwie mit ihren Sinnen erfahren zu wollen.

Auf jeden Fall stellt dieser apostolische Satz unmissverständlich klar, dass Gott nicht „erlebt“ werden kann. Darum werden Christen ihrer Umgebung auch niemals die Aufforderung vermitteln: Stell dich nicht so an! Du musst in dieser Jahreszeit nur einmal eine romantisch-religiöse Brille aufsetzen, und dann wird es schon werden mit den Weihnachtsgefühlen. Mach einfach mit, dann gerätst du schon in die rechte Stimmung!

Dieses Wort aus dem Anfang des Johannesevangeliums weist jedes Verlangen, Gott, oder sagen wir vorsichtiger, Göttliches, mit unseren Sinnen wahrnehmen zu können, als trügerisch zurück. Mehr noch: Aufgrund dieser Aussage werden wir unserem säkularisierten Zeitgenossen die Hand reichen können und ihm bekunden: Es gibt etwas, das uns verbindet. Keiner von uns hat je Gott gesehen, weder du noch ich. Wir stehen in diesem Punkt auf einer Stufe.

Dass niemand jemals Gott gesehen hat, ist eine Botschaft, die uns in der Heiligen Schrift immer wieder bezeugt wird. Gott sagte es einmal selbst. Als Mose darum bat, „Herr, lass mich deine Herrlichkeit sehen„, erwiderte Gott: „Mein Angesicht kannst du nicht sehen, denn kein Mensch wird leben, der mich sieht!“ Daraufhin zeigte Gott sich seinem Knecht im Vorbeigehen, sozusagen von hinten: Nachdem Mose sich in einer Felsspalte verborgen hatte, ließ Gott an ihm seine Herrlichkeit vorüberziehen und rief dabei einige seiner hochheiligen Namen aus (2Mos. 33,18-23).

Dass kein Mensch den Anblick Gottes überlebt, war im Volk Gottes allgemein bekannt. Als der Engel des Herrn den Eltern des Simson erschien, lesen wir: „Da fürchtete sich Manoah und sagte zu seiner Frau: ‚Wir müssen sicherlich sterben, weil wir Gott gesehen haben‘.“ (Ri. 13,22).

Während der Mensch der Moderne aus dem Umstand, dass Gott nicht mit Sinnen wahrzunehmen ist, ableitet, es gebe keinen Gott, er sei lediglich eine menschliche Projektion, zieht das Wort Gottes diese Folgerung nicht. Vielmehr warnt es: Wenn Gott sich uns so zeigen würde, wie er ist, wir würden auf der Stelle verglühen.

Übrigens macht der Apostel Johannes die gleiche Aussage noch einmal. In seinem ersten Brief schreibt er: „… Gott hat seinen Sohn gesandt als Sühnopfer für unsere Sünden. Geliebte, wenn Gott uns so geliebt hat, so sind auch wir es schuldig, einander zu lieben. Niemand hat Gott jemals gesehen…“ (1Joh. 4,10-12).

Auch hier steht diese Feststellung im Zusammenhang mit dem Kommen Christi. Sie weist uns auf die gigantische Kluft zwischen Gott und dem Sünder hin. Gerade dadurch aber ist sie der Einstieg, um das Kommen Christi in diese Welt überhaupt als Evangelium zu erfassen.

Der Sohn hat über Gott den Vater Aufschluss gegeben

Wenn Sie diese Ausgabe der Bekennenden Kirche in Ihren Händen halten, ist die Adventszeit bereits angebrochen. Diesen Zeitabschnitt, der in die Weihnachtstage übergeht, werden wir nur dann recht begehen, wenn wir zunächst die Barriere nicht außer Acht lassen, die zwischen uns und Gott steht.

Faktisch werden wir die vor uns liegenden Tage sogar in einer zweifachen Unsichtbarkeit begehen. Denn seit der Himmelfahrt ist auch der Sohn Gottes für uns Menschen nicht mehr sichtbar.

Immerhin aber war Christus, als er auf der Erde war, sichtbar. Das ist der Grund, warum Johannes hier fortfährt und uns mitteilt, dass der „eingeborene“ Sohn uns den Vater „erklärt“ hat.

Übersetzungen wie „Aufschluss geben“ oder „erklären“ sind an dieser Stelle treffender als das uns aus der Lutherübersetzung vertraute „kundgetan“. Denn die Übersetzung „kundgetan“ könnte zu einem Missverständnis führen. Man könnte diesen Vers dann in folgendem Sinn deuten: Niemand hat Gott jemals gesehen. Also hat auch niemand genau gewusst, ob Gott überhaupt existiert. Aber nun ist Christus gekommen, und er hat uns die Information vermittelt („kundgetan“), dass es Gott gibt.

Um eine Art von Gottesbeweis aber geht es in diesem Vers nicht. Der Apostel will uns nicht mitteilen, dass uns durch Christus die Existenz Gottes bekanntgemacht wurde. Vielmehr teilt Johannes hier mit, dass der Sohn uns den Vater „erklärt“ hat. Christus hat Aufschluss darüber gegeben, wie Gott wirklich ist.

Für „erklären“ steht im Griechischen ein Wort, das uns möglicherweise von dem Fremdwort „Exegese“ bekannt ist. Von daher könnte man übersetzen: „Der Sohn hat den Vater ausgelegt“. Der Sohn Gottes kam in diese Welt, um in jedem Moment seines irdischen Lebens, angefangen von der Geburt in der Karawanserei zu Bethlehem, über seine Verkündigung des Reiches Gottes, seine Wunder, seine Passion, seinen Weg zum Kreuz bis hin zu seiner Auferstehung uns Gott zu erklären und uns deutlich zu machen, wie Gott ist. Der Zweck, zu dem Christus in diese Welt kam, war, uns das Wesen Gottes des Vaters zu erschließen.

„Niemand hat je Gott gesehen.“ Aber wenn du Jesus siehst, dann siehst du den Vater. Genau das war die Botschaft des Heilands an seinen Jünger, als dieser ihn bat, ihm den Vater zu zeigen: „Philippus, so lange bin ich bei euch. Wer mich gesehen hat, der hat den Vater gesehen.“ (Joh. 14,8.9).

Halten wir fest: Der Sohn Gottes kam nicht in diese Welt, um uns alle Jahre wieder in fromme Wallungen zu versetzen, sondern damit wir wissen, wer und wie Gott der Vater ist, von dem es heißt, dass er Geist (Joh. 4,24), Licht (1Joh. 1,5) und Liebe (1Joh. 4,8.16) ist.

Heute, nach der Himmelfahrt Christi, erhalten wir Aufschluss über Gott, wenn wir von Jesus Christus in den Evangelien lesen. Durch das, was wir dort erfahren, wie Jesus auftrat, das Reich Gottes verkündigte, sich mit den Pharisäern und Schriftgelehrten auseinandersetzte und sich über Sünder und Verlorene erbarmte, erfassen wir das Wesen Gottes des Vaters.

Folglich werden wir, um in rechter Weise Weihnachten feiern zu können, sorgfältig auf das hören, was uns die Apostel in den neutestamentlichen Schriften mitgeteilt haben. Denn so sehen wir, wie der Vater ist.

Entsprechend ist es Aufgabe eines jeden Predigers des Evangeliums, in uneingeschränktem Respekt vor dem, was geschrieben steht, weiterzugeben, was Christus uns mitgeteilt hat. Einzig und allein zu diesem Zweck steht er „an Christi Statt“ auf der Kanzel.

Der eingeborene Sohn, der „im Schoß“ des Vaters ist

In unserem Vers wird der Sohn Gottes in einer zweifachen Weise charakterisiert. Beide Beschreibungen unterstreichen, wozu Christus im Fleisch gekommen ist.

Zum einen wird Jesus hier als der „eingeborene“ Sohn bezeichnet. Eigentlich steht hier: der einziggeborene oder der einziggezeugte Sohn. Mit diesem Wort bringt der durch den Heiligen Geist inspirierte Johannes die einmalige Beziehung zwischen dem Vater und dem Sohn zum Ausdruck. Es wird uns damit verkündet: Ausschließlich in Jesus hat Gott der Vater sich ausgedrückt. Allein durch Christus gibt es wahrhaftige Gotteserkenntnis. Denn allein er konnte in Wahrheit mit dem Anspruch auftreten: Sieh mich an, dann siehst du, wer Gott ist, dann erkennst du, wie Gott in Wahrheit ist.

Die zweite Charakterisierung des Sohnes ist in der Schlachter 2000-Übersetzung wiedergegeben mit „der Sohn, der im Schoß des Vaters ist„.

Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was sich der Leser bei diesem Ausdruck denken soll. Es ist zwar unstrittig, dass man das Wort, um das es hier geht, mit „Schoß“ (griechisch: kolpos) wiedergeben kann. Aber nicht jede vorgeblich wörtliche Übersetzung und schon gar nicht eine mechanisch durchgeführte konkordante Übersetzungsmethodik dient automatisch einem angemessenen Verstehen des Geschriebenen.

Das gleiche Wort, das hier mit „Schoß“ übersetzt ist, begegnet uns im Johannesevangelium noch einmal. Nach der Fußwaschung wird über „den Jünger, den Jesus liebte,“ mitgeteilt, dass er „seinen Platz an der Seite Jesu nahm“ (Joh. 13,23). In anderen Bibelübersetzungen ist der Vers folgendermaßen wiedergegeben: „er saß an der Brust Jesu“ (so zum Beispiel die alte Lutherübersetzung). Für „Seite“ oder „Brust“ ist dasselbe Wort verwendet, das in Johannes 1,18 mit „Schoß“ übersetzt ist.

Um zu verstehen, was in Johannes 13 gemeint ist, müssen wir wissen, dass man in der Antike beim Essen nicht an einem Tisch saß, sondern dass man sich um einen halbhohen Tisch – wesentlich niedriger als unsere heutigen Tische – ausstreckte. Man hatte keine Stühle, sondern lag um den Tisch herum auf dem Boden, häufig auf einem Kissen, und stützte sich auf einem Arm ab.

Johannes sagt also, dass er am Tisch ganz dicht bei Jesus lag. Das Wort „Seite“ (oder: „Brust“) weist auf die räumliche Nähe hin, in der Johannes sich zu Jesus befand, und zweifellos wird damit auch die enge Vertrautheit zu seinem Herrn angegeben.

Ähnlich wie es sich bis zum heutigen Tag bei größeren Tafelrunden verhält, so war es auch damals: Während man zusammen isst, unterhält man sich mit mehreren, natürlich auch mit seinem Gegenüber. Aber in erster Linie tauscht man sich mit seinem unmittelbaren Tischnachbarn aus. Genauso wandte sich auch Jesus an jenem Abend immer wieder an alle seine Jünger. Aber sein unmittelbarer Gesprächspartner war Johannes.

Wenn wir nun nach dem Sinn des Wortes in Johannes 1,18 fragen, erkennen wir, dass hier ebenfalls die enge Beziehung zwischen dem Vater und dem Sohn zum Ausdruck gebracht wird.

Noch aus einem weiteren Grund ist die Übersetzung „Schoß“ an dieser Stelle irreführend. Wenn man nämlich dolmetscht: Der Sohn ist im Schoß des Vaters, vermittelt diese Übersetzung das Bild von jemandem, der sich innerhalb eines Raumes oder eines Zirkels befindet, gewissermaßen in diesem Bereich eingeschlossen ist.

Aber in diesem Vers geht es gerade darum, dass jemand nicht eingeschlossen ist. Im Griechischen steht hier ein kleines Wort, das nicht den Ort angibt, also wo der Sohn sich befindet, sondern die Richtung benennt, wohin der Sohn ausgerichtet ist, wohin er sich orientiert (griechisch: eis).

Damit wird deutlich, was uns Johannes hier mitteilt: Der Sohn, der in unvorstellbar einzigartiger und enger Beziehung zum Vater lebt, der unmittelbar auf den Vater ausgerichtet ist, erschließt den Vater. Um uns zu veranschaulichen, was gemeint ist: Wenn Christus während seines Erdenlebens, in seiner Verkündigung und in seinen Taten, den Vater erklärt, dann blicken dabei seine Augen fortwährend auf den Vater, und von ihm aus blicken sie dann gleichsam hin zu uns. Die Art und Weise, in der der Sohn uns den Vater erschließt, ist somit Auslegung aus erster Hand.

Der Apostel Paulus formuliert diese Wahrheit einmal folgendermaßen: „Christus ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes“ (Kol. 1,15). Gelegentlich pflegen wir von jemandem zu sagen: Er sieht seinem Vater ähnlich oder verhält sich genau wie dieser. Unvergleichlich mehr ist das über den Sohn Gottes zu bezeugen: Genau wie Gott der Vater! Exakt sein Ebenbild!

Aber wenn Johannes mit diesem Wort die einzigartig enge, vertraute Beziehung zwischen dem Vater und dem Sohn zum Ausdruck bringt, ist es dann nicht verwunderlich, dass Johannes, wie wir sahen, einige Kapitel später denselben Begriff für seine eigene Beziehung zu Jesus verwendet?

Vermutlich will uns der Heilige Geist damit deutlich machen, dass der Apostel Johannes nur deswegen in der Lage ist, dass Menschen durch seine Verkündigung in die Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn treten (vergleiche 1Joh. 1,3), weil er selbst in engster Vertrautheit mit dem Sohn lebte und von ihm unmittelbar das Evangelium empfangen hat.

Für uns gilt in entsprechender Weise: Wenn wir wirklich von Gott dem Vater und seinem Sohn in dieser Welt Zeugnis ablegen wollen, wenn wir also im wahren Sinn des Wortes missionarisch tätig sein wollen, dann setzt das voraus, dass wir auf den dreieinigen Gott ausgerichtet sind.

Christus, der einziggeborene Sohn des Vaters, der in engster Weise auf Gott den Vater ausgerichtet ist, er war es, der kam, um uns den mit unseren Sinnen nicht wahrnehmbaren Gott zu erschließen. Genau darum geht es beim Feiern der Geburt Jesu.

Die Exklusivität der Offenbarung Gottes im Sohn

Der einziggeborene Sohn, der in vertrautester Beziehung zu Gott steht, hat über ihn Aufschluss gegeben, so lesen wir. Aber in unserer Zeit ist diese Botschaft ein Ärgernis. Denn sie klingt exklusiv, und sie ist es auch.

In der gegenwärtigen „Missionstheologie“ wird stattdessen ein „Inklusivismus“ propagiert. Man verkündet: Die Kenntnis über Gott sei in allen Religionen verstreut. Natürlich gebe es auch bei Christen Wahrheitselemente. Aber auf keinen Fall seien sie ausschließlich bei ihnen zu finden. Es sei viel zu eng, wenn man das Wissen, wer und wie Gott ist, von Christus und seinem Kommen abhängig mache.

Bekanntlich gibt es nicht wenige, sogar unter den Evangelikalen, die die Auffassung vertreten, der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus und der Allah des Koran seien ein und derselbe Gott, bei ihnen sei dieselbe „Metaphysik“ vorhanden.

Aber im Licht dieses Verses sind derartige Gedankengänge auszuschließen: Alle Kenntnis Gottes, ausnahmslos alle, läuft über Christus! Niemand hat Gott je gesehen, auch nicht Mohammed. Vielmehr ist seine Lehre antichristlich, genauso wie jede andere Weltanschauung oder Religion oder „Theologie“, die nicht Jesus Christus als den im Fleisch gekommenen Sohn Gottes bekennt (1Joh. 2,21-23; 4,2.3). Einzig und allein der einziggeborene Sohn, der in jedem Augenblick seines Daseins voll und ganz auf den Vater ausgerichtet war und ist, hat uns ausgelegt, wer und wie Gott der Vater ist. Das ist der Grund, warum er der einzige Weg zum Vater ist.

Aber trotzdem, so könnte man einwenden: Lassen wir einmal die anderen Religionen beiseite und fragen nach den Juden. Immerhin hat Gott sich doch diesem Volk vor der Fleischwerdung Christi geoffenbart! Muss nicht sogar die Aussage, dass niemand Gott gesehen hat als nur der Sohn und darum nur Christus den Vater erklärt, aufgrund anderer Aussagen der Heiligen Schrift eingeschränkt werden? Wenn auch nicht in seiner vollen Göttlichkeit, aber Gott erschien doch auch dem Abraham, dem Isaak und dem Jakob. Es gab doch Männer im Alten Bund, Propheten, die bezeichnenderweise „Seher“ genannt wurden (1Sam. 9,9). Denken wir in diesem Zusammenhang auch an die Vision Jesajas, in der er den Saum Gottes, also etwas von dem heiligen Gott erblickte (Jes. 6,1-3). Vor allem aber werden wir uns noch einmal an den Mann erinnern müssen, über den wir bereits sprachen: Mose. Gott hatte ihm gesagt, es sei unmöglich, ihn in seiner Herrlichkeit zu sehen. Gerade aber von ihm wird doch bei einer anderen Gelegenheit gesagt, er habe Gott „von Angesicht zu Angesicht gesehen“ (4Mos. 12,8; vergleiche auch 2Mos. 24,10.11). Wir brauchen gar nicht so weit von unserem Vers weg zu gehen: Unmittelbar davor lesen wir, dass Gott das Gesetz durch Mose gab (Joh. 1,17).

Also was gilt nun? Wie verhält es sich mit den Juden und der Offenbarung Gottes an sie? Wird in Johannes 1,17 nicht klar gesagt, dass Gott sich auch durch diesen Mann offenbarte? Wie aber ist dann die Aussage zu verstehen, dass niemand Gott gesehen hat und es nur der einziggezeugte und in einzigartiger Weise auf ihn ausgerichtete Sohn ist, der über den Vater Aufschluss gegeben hat?

Zur Beantwortung dieser Frage erscheint es hilfreich, zunächst eine andere Aussage zu bedenken, die uns von Jesus im Johannesevangelium überliefert ist. In einer Auseinandersetzung mit den Obersten der Juden erklärte Christus einmal: „Alle die vor mir kamen, sind Diebe und Räuber, und die Schafe haben nicht auf sie gehört.“ (Joh. 10,8). Wie meinte der Herr das? Auch bei dieser Aussage könnte man ja den Einwand erheben: Es waren doch viele vor Jesus gekommen, die man nicht als Diebe oder als Räuber bezeichnen kann und auf die die Schafe durchaus mit Freude gehört haben. Denken wir an Mose, David, Hiskia oder Josia. Hatte Jesus das übersehen, als er so rigoros sprach?

Die Antwort lautet: Nein! Es geht dem Herrn hier um etwas anderes. Seine Botschaft an die Obersten der Juden lautet: Wenn man alles auf die Goldwaage legt, wenn man strikt die Normen anlegt, die Gott an einen geistlichen Hirten stellt, dann kann man nur zu einem einzigen Ergebnis gelangen: Alle vor Jesus waren Diebe und Räuber.

Bei allen diesen Männern gab es immer wieder Situationen, in denen sie ihre Berufung zum Hirten vergaßen oder verleugneten, in denen sie sich selbst in den Vordergrund spielten, anstatt Gott zu heiligen: Mose, der auf den Felsen schlug, obwohl Gott ausdrücklich gesagt hatte, er solle zu ihm sprechen; David, der in seinem Größenwahn eine Volkszählung durchführen ließ, worauf viele aus seinem Volk umkamen, und so weiter.

Kurzum: Bei all diesen Männern wurde immer wieder offenbar, was sie im Kern waren, nämlich von Adam her Sünder. Im Vergleich zu ihnen ist Jesus Christus der einzige Hirte, der kein Räuber und Dieb am Volk Gottes ist, so dass er in Wahrheit für sich in Anspruch nehmen kann: „Ich bin der gute Hirte.“ (Joh. 10,11.14). Die anderen hatten vielfach noch nicht einmal vor, Hirte zu sein.

Allenfalls könnte man über sie sagen: In ihren besten Zeiten verwiesen sie in einigen Zügen ihres Verhaltens auf den kommenden, den wahrhaft guten Hirten. Genau das erklärte Mose einmal am Ende seines Dienstes: „Es wird einmal nach mir jemand kommen, auf ihn sollt ihr hören!“ (5Mos. 18,15).

Entsprechend verhält es sich in unserem Vers. Der Sohn ist der Einzige, in dem Gott sichtbar geworden ist und der der einzig wahre Erklärer des Vaters ist. Johannes der Täufer hat dies einmal mit folgenden Worten gesagt: „Christus bezeugt, was er gesehen und gehört hat.“ (Joh. 3,32).

Es ist bezeichnend, dass sich der Apostel Johannes von gegenwärtigen theologischen Strömungen vorwerfen lassen muss, sein Evangelium sei gegen das Alte Testament gerichtet und es sei antijüdisch (oder: antisemitisch). Angesichts dessen, dass heute mit gewaltigem geistigen Schwung die Judenmission (und nicht nur sie) abgelehnt wird, liegt eine solche Ansicht natürlich voll im Trend. Aber wir sollten uns von solchen Ideen nicht beeindrucken lassen.

Johannes ist keineswegs gegen das Alte Testament. Gerade in dem von ihm verfassten Evangelium überliefert er eine Aussage von Jesus, die genau das Gegenteil zum Ausdruck bringt: „Die Schrift kann nicht gebrochen werden.“ (Joh. 10,35). Mit „Schrift“ war in jener Zeit natürlich das Alte Testament gemeint.

Andererseits aber macht der Apostel Johannes mit der Botschaft ernst, dass es Jesus Christus ist, der die gesamte bisherige Offenbarung Gottes bestimmt. Der Sohn Gottes überstrahlt mit seinem Kommen alle anderen Offenbarungen in einer Weise, dass wir, geblendet von dieser Herrlichkeit, niemand anderen mehr zu sehen vermögen als ihn. Aus diesem Grund weist das Evangelium immer wieder darauf hin: Wenn du Jesus abweist, werden selbst Mose und die Propheten wertlos. Dann behältst du faktisch nichts mehr von der Heiligen Schrift übrig, auch nicht vom Alten Testament. Denn „sie zeugt von ihm“ (Joh. 5,39). Darum hält der Sohn Gottes den Juden vor: „Wenn ihr Mose (wirklich) glauben würdet, so würdet ihr auch mir glauben.“ (Joh. 5,46.47).

Um nicht missverstanden zu werden, sei es ausdrücklich hervorgehoben: Dass Johannes Mose in einem Atemzug mit Jesus nennt, ist eine große Ehre für Mose. Es ist wahrlich nicht gering einzuschätzen (Joh. 1,17). Aber der Weg zu Gott dem Vater führt nicht über Mose, sondern einzig und allein über Christus. Auf diese Exklusivität besteht Jesus, nicht zuletzt gegenüber den Juden. Angesichts der Strahlkraft des Sohnes Gottes hat wahrer Glaube nur ein einziges Fundament und nur eine einzige Ausrichtung: Christus. Christus hat den Vater in einer so unvergleichlichen und unübertrefflichen Weise erklärt, dass im Licht dieser Erschließung alles andere verblasst. Vielleicht kann man sich dies anhand des folgenden Vergleichs veranschaulichen: Im Licht der Sonne, des Sohnes Gottes, empfängt dann auch Mose, der Mond, das rechte Licht und beginnt zu leuchten, und wir Christen sind im Licht Christi dankbar dafür, dass Gott auch bereits durch Mose und die Propheten gesprochen hat.

Warum wir Weihnachten feiern

Kommen wir nun noch einmal auf unsere eingangs gemachten Beobachtungen und Überlegungen zurück. Wir denken an den Mann auf der Straße, der bei Weihnachten nur noch den Kommerz vor Augen hat und sonst kaum etwas mit diesem Fest anfangen kann. Wir bedenken die Hoffnungen der Kinder auf Geschenke und den Wunsch der Erwachsenen, in diesen Tagen im Frieden auszuspannen, und wir vergessen nicht diejenigen, die vor den Weihnachtstagen Angst haben, möglicherweise weil ihnen gerade dann ihre Lebensenttäuschungen massiv vor Augen treten. Allen denen gilt die gleiche Botschaft: Schau weg von dir selbst! Frage nicht danach, ob dich die vor dir liegenden Tage in stimmungsvolle Wallungen bringen oder in Angst versetzen: Christus ist gekommen, und in seinem Licht verglühen alle unsere (Pseudo-)Hochstimmungen, und in ihm überwinden wir auch unsere seelischen Tiefs. Denn der Sohn Gottes hat uns einen ewigen Trost und einen unerschütterlichen Halt geschenkt, in dem er uns den Vater, den ewigreichen Gott, in unvergleichlicher, einzigartiger Weise erschlossen hat.

Ist das nicht Grund genug, um gerade in diesen Tagen auf die Knie zu fallen und den anzubeten, der im Fleisch gekommen ist? Denn niemand hat das wahre Wesen Gottes ausgelegt außer der einziggezeugte Sohn. Er kam in unsere finstere Welt, damit wir durch ihn den Vater sehen und das wahre Leben finden.