GEERHARDUS VOS, DAS REICH GOTTES UND DIE GEMEINDE.

GEERHARDUS VOS, DAS REICH GOTTES UND DIE GEMEINDE.

Mit Das Reich Gottes und die Gemeinde ist erstmals ein Werk des Vaters der Biblischen Theologie und bedeutenden Princeton-Theologen Geerhardus Vos (1862-1949) auf Deutsch erschienen.

Der Autor

Vos wurde in den Niederlanden geboren und wanderte 1881 mit seinen Eltern im Alter von 19 Jahren in die USA aus, als sein Vater Jan Vos als Pastor nach Grand Rapids im US-Bundesstaat Michigan berufen wurde. Noch im selben Jahr begann er ein Theologiestudium am Calvin Theological Seminary in Grand Rapids und erwies sich als begabter Student. 1883 wechselte er zum Princeton Theological Seminary in New Jersey unter der Leitung von A. A. Hodge und B. B. Warfield. Zu dieser Zeit beherrschte er neben seiner niederländischen Muttersprache bereits Deutsch, Latein, Französisch, Englisch, Griechisch und Hebräisch.

1886 setzt er sein Studium zeitweilig in Berlin fort, wo er unter anderem Herman Bavinck kennenlernte. Bavinck und Abraham Kuyper wollten den talentierten Jungtheologen an die Universität von Amsterdam holen, doch Vos bevorzugte es, in die USA zurückzukehren. Dort trat er 1888 eine Lehrtätigkeit als Professor für Exegetische Theologie an seiner früheren Ausbildungsstätte in Grand Rapids an. 1892 wechselte er zum Princeton Theological Seminary und unterrichte dort das neue Fach Biblische Theologie, eine Disziplin, die besonderes Augenmerk auf den heilsgeschichtlich-fortschreitenden Charakter der Offenbarung Gottes richtet und die roten Fäden im Verlauf der Bibel verfolgt. Jahrzehntelang diente er in Princeton bis 1932 und wurde einer der prägenden Köpfe der so genannten Princeton Theology.

Als Princeton schließlich zunehmend von liberaler Theologie geprägt wurde, verließen die verbliebenen bibeltreuen Theologen wie J. Gresham Machen das Seminar und gründeten 1929 das Westminster Theological Seminary. Vos war den Neugründern – darunter seine Schüler wie Oswald T. Allis und Cornelius Van Til – verbunden, doch da er kurz vor der Rente stand, verblieb er die restlichen drei Jahre in Princeton.

Die Entstehungsgeschichte

Das vorliegende Buch schrieb Vos im zweiten Jahrzehnt seiner Professur in Princeton im Jahre 1903. Es ist somit eines seiner früheren Werke und entstand zu einer Zeit, als er und seine Frau Catherine nach neun Ehejahren endlich ihr erstes Kind bekamen. In diesen Monaten unternahm er tägliche Mittagsspaziergänge mit Benjamin B. Warfield, denen sich oft auch weitere Princeton-Theologen wie J. Gresham Machen anschlossen. Kurz zuvor hatte Vos begonnen, neben seiner akademischen Tätigkeit auch leichtverständliche Artikel für eine breite Zielgruppe zu schreiben und in einem neuen Journal namens The Bible Student zu veröffentlichen, das ein bibeltreues Schriftverständnis unter Christen fördern sollte. Seine Schriftauslegung in diesen Artikeln hatte dabei einen starken heilsgeschichtlichen Fokus.

Das Reich Gottes und die Gemeinde ist die Weiterentwicklung einiger Artikel und Rezensionen, die Vos in The Bible Student veröffentlicht hatte. Er wollte mit diesen Artikeln damals aufkommende irrige Sichtweisen auf das Reich Gottes korrigieren, die insbesondere aus deutschsprachiger Richtung die bibeltreue Theologie zu beeinflussen begannen: So verbreitete der deutsche Theologe Wilhelm Lütgert (ein Schüler Adolf Schlatters) eine allein diesseitige Sicht des Reiches Gottes. Der Schweizer Paul Wernle publizierte ein Buch über seine rein eschatologische Auffassung des Reiches. Andere jüngere theologische Richtungen vertraten eine strikte Trennung zwischen Reich Gottes und Gemeinde. Dieser so genannte Dispensationalismus war von John Nelson Darby eingeführt worden und verbreitete sich in den USA auch unter den Old-School-Presbyterianern, denen Vos angehörte. Später wurde diese Position insbesondere durch Cyrus I. Scofield und seine Scofield-Bibel (1909) populär.

Der Inhalt

Die Darstellung und Kritik falscher Auffassungen nimmt jedoch nicht sonderlich viel Raum in diesem Buch ein; Vos legt den Schwerpunkt auf eine konstruktive Darlegung dessen, was Jesus ganz in Übereinstimmung mit dem Alten Testament und mit Paulus über Gottes Königsherrschaft lehrt. Zunächst stellt Vos den hohen Stellenwert des Reiches Gottes in Jesu Verkündigung und dessen umfassende Bedeutung für fast alle anderen Themen des Glaubens heraus, und zeigt die Kontinuität zwischen alttestamentlicher Messiaserwartung und dem Kommen Jesu. Erhellend fand ich die Einsicht, dass die jüdischen Zeitgenossen Jesu das Reich als eine Vorherrschaft des Gesetzes erwarteten, Gott sein Reich aber vorrangig als eine Herrschaft der Gnade vorgesehen hatte. Schon alttestamentliche und andere altorientalische Könige erlangten ihren Ruhm und ihre Macht durch heldenhafte Rettertaten. So wird Gott die Ehre in seinem Reich insbesondere als gnädiger Erlöser zuteil, aber auch als Gesetzgeber und Richter. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist in menschlichen Regierungen erforderlich, aber nicht im Reich Gottes.

Der Fokus

Ein zentraler Punkt des Buches ist die ausgewogene Darstellung von zwei Seiten des Reiches: Es ist sowohl schon jetzt da – seit dem ersten Kommen Jesu – in immanenter, unsichtbarer Form, wird aber erst in Zukunft sichtbar in seiner endgültigen eschatologischen Gestalt. Das Reich kann nur durch übernatürliches Machtwirken Gottes kommen, und diese Kräfte des neuen Zeitalters sind schon jetzt in den wiedergeborenen Gläubigen wirksam.

Vos beleuchtet drei Aspekte des Reiches: Es ist erstens ein Reich, in dem Gottes Macht und Souveränität als Retter und König zur Geltung kommen, zweitens ist es ein Reich, in dem moralische und geistliche Gerechtigkeit herrscht, und drittens ist es ein Reich, in dem zwar alles primär der Ehre Gottes dient, was aber den Teilhabern des Reiches Glückseligkeit und überreiche Segnungen einbringt.

Mit einer gründlichen Auslegung von Matthäus 16,13-19 über Petrus als „Fels“ der Gemeinde und über die Schlüssel des Himmelsreiches begründet und erklärt Vos den engen Zusammenhang von Reich Gottes und der Gemeinde. Im letzten Kapitel zeigt er aus den vier Evangelien, warum Eintritt ins Reich Gottes nur durch Buße und Glauben erlangt werden kann. Ein zusammenfassendes Fazit bietet am Ende nochmal einen Überblick über die wichtigsten Schlüsse aus dem Buch.

Da das Thema Reich Gottes einer der ganz großen roten Fäden der biblischen Heilsgeschichte ist – wenn nicht sogar das eine große vereinende Thema der Bibel –, kommt Vos’ theologische Brillanz als Experte für eine heilsgeschichtliche Exegese hier besonders gut zum Ausdruck.

Reaktionen

John Murray schrieb in einer Rezension im Westminster Theological Journal (Nr. 14 von 1952, S. 230): „Es ist eines jener Bücher, die bleibenden Wert haben, denn es ist eine meisterhafte Darstellung der Lehre Jesu, wie sie in den vier Evangelien dargelegt wird. Es zeigt die tiefe und sorgfältige Gelehrsamkeit, die für alle Arbeiten von Dr. Vos charakteristisch war, und es ist zudem in einem leichtverständlichen Stil geschrieben. Vos liefert uns eine biblisch-theologische Studie, die uns mit dem Verständnis versorgt, das unser Denken leiten und bestimmen muss, wenn wir demjenigen treu sein wollen, der das Reich Gottes gepredigt hat.“ In einer weiteren Rezension in derselben Ausgabe des Westminster Theological Journals urteilte Ned B. Stonehouse (S. 160): „Kürze ist in den Händen eines präzisen Denkers wie Vos kein Nachteil, und mein Eindruck ist, dass sein kleines Buch wegen seiner meisterhaften Analyse und Formulierung verschiedener Aspekte des Themas noch lange ein Klassiker bleiben wird. Man sollte es mindestens einmal im Jahr lesen.“

Fazit

Der gottzentrierte und christuszentrierte Ansatz von Vos ist erfrischend und richtet unser Denken aus auf das, was wirklich zählt und auf denjenigen, der wirklich die Fäden der Welt und des Zeitlaufs in der Hand hält. Bei all den Problemen und Konflikten auch in unserer Zeit dürfen wir nicht vergessen, dass es nicht um irdische Belange geht, wie den damaligen Konflikt zwischen Israel und Rom oder den heutigen Konflikt zwischen christlichen Werten und andersdenkenden Machteliten. Es geht vielmehr um den Konflikt zwischen Gottes Reich und Satans Reich, wobei Christus bereits als Sieger feststeht. Und die Kraft seines Triumphes, die einst alles neu machen wird, ist bereits jetzt in seiner Gemeinde in dieser Welt gegenwärtig.

Hans-Werner Deppe

Geerhardus Vos, Das Reich Gottes und die Gemeinde. Was Jesus über den Zusammenhang von Reich und Gemeinde lehrt. Augustdorf [Betanien] 2023. Paperback, 118 Seiten, ISBN 978-3-945716-58-8. 9,90€

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