Warum sind Bekenntnisse wichtig? Warum sind sie unverzichtbar? Bevor ich auf diese und weitere Fragen eingehe, möchte ich eine Vorbemerkung machen: Es geht mir im Folgenden nicht darum, ein Plädoyer für ein bestimmtes Bekenntnis zu halten. Vielmehr möchte ich darlegen, warum es überhaupt gut und sinnvoll ist, Bekenntnisse und Katechismen in der Gemeinde zu haben.
In diesem Zusammenhang muss ich auf den Umstand eingehen, dass viele Evangelikale es ablehnen, Bekenntnisse zu haben. Sie argumentieren: Es könne und dürfe doch nicht so sein, dass etwas neben die Bibel gesetzt werde und in der Gemeinde Autorität beanspruche.
Ich komme darauf im zweiten Teil zurück. Zunächst setze ich mich mit drei Einwänden gegen Bekenntnisse auseinander, die alle kulturbedingt sind. Sie spiegeln alle die geistige Lage unserer Zeit wider. Im Folgenden nenne ich diese drei Einwände. Dann erläutere ich sie. Anschließend setze ich mich mit ihnen auseinander.
1. Die kulturbedingten Einwände gegen Bekenntnisse und die biblische Antwort
Wenn ich recht sehe, gibt es drei Einwände, die heute hauptsächlich gegen Bekenntnisse vorgebracht werden.
Erstens: In der heutigen Gesellschaft besteht generell eine große Skepsis gegenüber der Möglichkeit, Wahrheit in Worte zu fassen. Man erklärt, die Zeit, in der man so etwas für möglich gehalten habe, sei vorbei. Es habe auch immer nur dazu geführt, dass eine bestimmte Gruppe (zum Beispiel die westliche Zivilisation) anderen Teilen der Menschheit ihre Überzeugungen übergestülpt hat.
Zweitens: Es wird generell bezweifelt, dass es eine Gruppe gebe, die dazu berechtigt und in der Lage ist, Wahrheit in Worte zu fassen.
Drittens: Man glaubt nicht mehr, dass die Wahrheit über unserer Zeit und über unserem Raum steht.
Diese Einwände seien nun im Einzelnen erläutert:
Erstens: Wahrheit in Worte fassbar?
In den letzten Jahren wurde die Frage, ob man Wahrheit überhaupt in Worten ausdrücken könne, verstärkt diskutiert. Worin liegen die Ursachen?
Zum einen ist diese Debatte auf die Entstehung multikultureller Gesellschaften zurückzuführen. Zwar erklären mittlerweile auch deutsche Politiker, dass das multikulturelle Experiment gescheitert sei. Aber zweifellos hatte und hat diese Entwicklung einen großen Einfluss auf uns, gerade auch, weil uns urplötzlich die eigenen Besonderheiten vor Augen geführt wurden. Aus der Begegnung mit anderen Kulturen lernten wir, dass nicht jeder Mensch so denkt und „tickt“ wie wir und dass nicht jeder durch die gleichen Geistesströmungen geprägt ist, wie wir es sind. Auf diese Weise wurden wir angehalten, uns Gedanken über unser Verhältnis zu anderen Menschen und zu anderen Kulturen zu machen. Wir hörten, dass in einer multikulturellen Gesellschaft keine Gruppe zu einer anderen sagen dürfe: Ich habe Wahrheit, die der deinigen überlegen ist. Wenn wir an die heftige Debatte denken, die um den niederländischen Politiker Geert Wilders entbrannt ist, können wir erahnen, welche Sprengkraft die Auseinandersetzung hat.
Ferner ist uns in den letzten Jahren wiederholt der manipulative Gebrauch von Sprache deutlich geworden. Wohl nirgendwo wird das greifbarer als in der Politik. Wenn man politische Debatten aufmerksam verfolgt, merkt man recht schnell, wie häufig Sprache verwendet wird, um die Zuhörer zu manipulieren.
Diese beiden Sachverhalte führten in unserer heutigen Gesellschaft zu der Überzeugung, Sprache sei etwas Heimtückisches, sie habe etwas Hinterhältiges an sich: Zwar mag Sprache den Anschein erwecken, mit ihr werde ein bestimmter Sachverhalt lediglich beschrieben, in Wirklichkeit aber gehe es ihr um etwas ganz Anderes.
Ein Indiz für diese Einstellung ist, dass in den letzten Jahren immer mehr Mystik in unsere Kultur eingedrungen ist. Vielleicht kann man das am besten an dem Liedgut erkennen, das heute verbreitet wird. Sehr viele Lieder enthalten etwas, das auf diese Art innerer Mystik weist. Anders formuliert: Man sucht eher einen Zugang zur Wirklichkeit durch das, was man fühlt, was man empfindet, als durch das, was man in Worten ausdrücken kann. In einem Lied der amerikanischen Pop–Sängerin Madonna heißt es: „Words are useless – especially sentences!“ (Worte sind nutzlos – ganz besonders Sätze!). Meines Erachtens wird damit diese neuzeitliche Mentalität auf den Punkt gebracht. Man vertritt die Überzeugung, Worte seien manipulativ, sie würden eher die Wahrheit vernebeln, anstatt sie offenzulegen.
Zweitens: Eine Gruppe, die Wahrheit mit Autorität verkündet?
Hinzu kommt, dass man heutzutage generell in Zweifel zieht, dass es überhaupt irgendeine Gruppe von Menschen oder eine Institution gebe, die in der Lage sei, verbindliche Wahrheit in Worte zu fassen. In der gegenwärtigen Gesellschaft steht der Konsument im Zentrum. In seiner Konsumorientierung steigert sich der Mensch in den Wahn hinein, er erlange Bedeutung, indem er ein bestimmtes Produkt kauft oder sich ein spezifisches Konzept zu eigen macht.
Die Kehrseite der Medaille ist, dass man von vornherein jede Institution kritisch beäugt. Man beurteilt sie unter der Fragestellung, ob sie den eigenen Konsumerwartungen dient. Greifbar spiegelt sich dies in der Popkultur oder in der Verwendung des Internets wider. Jeder kann sich dort präsentieren und sich dann einbilden, er sei ein Superstar. Die Einstellung wird vermittelt: Während es früher Gruppen gegeben habe, die einen daran hinderten, die eigenen Überzeugungen zu verbreiten, seien wir inzwischen so weit, dass wir alle Schranken überwunden und alle Tabus niedergerissen hätten.
Drittens: Wahrheit über Zeit und Raum?
Schließlich wird heutzutage bezweifelt, dass Wahrheit über Zeit und Raum steht. Wir deuteten diese Denkweise bereits an, als wir auf die multikulturelle Gesellschaft hinwiesen. Aber vermutlich noch deutlicher wird das an der heute breit auftretenden Verweigerung, sich der Geschichte zu stellen.
Ich erwähnte bereits unsere Konsumkultur. Diese Konsumkultur beruht auf einer mächtigen antihistorischen Weltanschauung. Unterschwellig wird vorausgesetzt, dass die Zukunft für uns entscheidender ist als die Gegenwart. Wenn man bei sich irgendein Bedürfnis feststellt, folgert man, dieses lasse sich nur dadurch stillen, dass man etwas kauft, denn dann könne man sich auf etwas Zukünftiges freuen.
Entsprechend denken wir im Blick auf die Wissenschaft. Sowohl die Naturwissenschaften als auch die uns umgebende Technologie vermitteln uns den Eindruck, die Dinge würden immer besser werden. Tatsächlich ist das ja in vielen Bereichen auch der Fall. Ich zum Beispiel möchte nicht in einer Zeit leben, in der es noch keine Toilettenspülung gab und man nicht über Schmerzmittel oder Antibiotika verfügte. Insofern gibt es zahlreiche Hinweise darauf, dass Dinge besser werden. Wenn aber die Geisteshaltung, alles werde besser, auf sämtliche Lebensbereiche übergreift, haben wir ein Problem.
Vor einigen Jahren hatte ich ein einschneidendes Erlebnis. Ich war wieder einmal zu Gast bei meiner Mutter. Sie lebt in Gloucestershire/England in einem alten Weberhaus aus dem 19. Jahrhundert. Als ich dort eines Tages auf einem Sessel im Vorzimmer saß und den Kamin betrachtete, fiel mein Blick auf die Löcher in der Wand, in denen früher die Weber ihren Webstuhl befestigt hatten. Ich stellte mir eine Szene aus dem 19. Jahrhundert vor: Ein kleines Kind, vielleicht der Sohn oder die Tochter des Webers, kommt in den Raum und fragt, was der Vater da mache. Daraufhin mag er seinem Kind Folgendes geantwortet haben: „Ich webe!“. Anschließend hat er es vielleicht auf seinen Schoß genommen, um ihm seine Arbeit im Einzelnen zu erklären.
Daran kann vielleicht deutlich werden, wie damals die „Vergangenheit“ die „Gegenwart“ informierte und belehrte. Wenn es um Wissen ging, war damals die Jugend von den Älteren abhängig.
Kurz darauf ereignete sich Folgendes: Im Fernsehen liefen gleichzeitig mehrere Rugby–Spiele. Ich konnte nur eines verfolgen und versuchte deshalb, ein anderes auf einem DVD–Player aufzunehmen. Ich legte die DVD in den Apparat und drückte verschiedene Knöpfe auf der Fernbedienung. Aber irgendwie funktionierte es nicht. Da kam meine 13 Jahre alte Nichte in den Raum. Ich erläuterte ihr kurz meine Absicht. Sie drückte einen Knopf und das Problem war gelöst.
Daran sehen wir, wie sich die Verteilung von Wissen geändert hat. Noch im 19. Jahrhundert waren junge Leute von den Älteren abhängig, um etwas zu lernen. Aber die Hightech–Welt, in der wir heute leben, stellt das Ganze auf den Kopf. Man kann dies auf weitere Lebensbereiche ausdehnen. Welcher Teenager zieht sich heute absichtlich so an, dass er wie ein 50–jähriger aussieht? Aber wie viele 50–jährige wollen aussehen wie Teenager? Dieser Sachverhalt kann uns traurig machen, und wir können darüber klagen. Aber vielleicht wird dadurch nachvollziehbar, was ich sagen will: Wir leben in einer Gesellschaft, die die Vergangenheit nicht mehr achtet. Die Auffassung, dass die Vergangenheit etwas ist, das für die Gegenwart nützlich ist, ist weitgehend verschwunden.
Was ist zu diesen drei kulturell bedingten Einwänden gegen das Achten von Bekenntnissen zu antworten?
Zu erstens: Gott selbst gebraucht Sprache
Als Antwort auf den ersten Einwand ist es sinnvoll, sich vor Augen zu führen, wie das Wort Gottes selbst Sprache und Wahrheit versteht. Eines der ersten Dinge, die wir in der Bibel über Gott erfahren, ist, dass er ein redender Gott ist. Natürlich ist Gott anders als wir Menschen. Es besteht ein breiter Graben zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf. Aber es ist aufschlussreich, dass Gott diesen Graben durch Sprache überwindet. Bereits im Alten Testament ist Gottes Reden eines der wichtigsten Merkmale für seine Anwesenheit. Die Frage „Wo ist Gott gegenwärtig?“ kann folgendermaßen beantwortet werden: „Dort, wo er spricht!“ Umgekehrt: Wenn Gott schweigt, heißt das in gewissem Sinn, dass Gott in diesem Moment nicht bei seinem Volk ist (was er natürlich in einem anderen Sinn immer ist).
Nach der Babylonischen Gefangenschaft entstand eine Tradition, die lehrte, Gott werde solange schweigen und abwesend sein, bis der Himmel aufgerissen werde. Im Markusevangelium heißt es bei dem Bericht über die Taufe Jesu: „Er sah den Himmel aufgerissen.“ (Mk. 1,10). Unmittelbar im Anschluss daran spricht Gott. Durch sein Sprechen zeigt er, dass er in und durch seinen geliebten Sohn Jesus Christus wieder bei seinem Volk ist.
Auch im Alten Testament handelte Gott auf vielerlei Weise. Nicht immer sprach er. Zum Beispiel riss er die Erde auf, er verursachte Erdbeben. Oder er ließ einen Busch brennen, der aber nicht verbrannte. Gott handelte in unterschiedlicher Weise. Aber jedes Mal war sein Wirken mit Worten verknüpft, durch die er sein Handeln deutlich machte.
Denken wir an die Einsetzung des Passahmahls (2Mos. 12). Mose forderte das Volk auf, das Fest auch dann noch zu feiern, wenn die Menschen im verheißenen Land angekommen sind. Er weist die Israeliten ferner darauf hin, dass einmal eine Zeit kommen werde, in der die Kinder nicht mehr wissen werden, warum das Fest auf diese bestimmte Weise gefeiert wird. Sie werden dann fragen: „Warum machen wir das? Was bedeutet das alles?“
Die Antwort der Heiligen Schrift darauf lautet nicht: „Feiert das Fest einfach stur weiter. Irgendwann wird schon einmal bei euch der Groschen fallen.“ Es wird uns auch nicht gesagt: „Macht einfach langsamer, damit sich auch der Begriffsstutzigste unter euch irgendwann einmal an die Zeremonie gewöhnt haben wird.“ Vielmehr lesen wir: „Wenn sie fragen, dann sage ihnen, was in Ägypten passiert ist.“ Mit anderen Worten: „Benutze Worte, um Klarheit zu schaffen!“ Gott sieht also Sprache als ein geeignetes Mittel an, um ein Fest zu erklären, das auch einmal in einer völlig anderen Umgebung und Situation gefeiert werden wird (2Mos. 12,24-27).
Nun komme ich zu dem Einwand, Worte könnten manipulativ verwendet werden: Schließlich spreche ja auch die Bibel von bösen und verleumderischen Menschen und berichte von deren Worten. Aber dazu ist zu sagen: Aus dem Umstand allein, dass Sprache missbraucht werden kann, wird man nicht folgern dürfen, dass sie nicht auch als das angemessene Mittel fungiert, um Wahrheit zu vermitteln.
Zu zweitens: „Die Kirche ist Geschöpf Gottes“
Um eine Antwort auf den zweiten Einwand zu geben, achten wir erst einmal darauf, wie das Wort Gottes Kirche [Gemeinde]2 überhaupt versteht. Ich möchte dazu drei Dinge anmerken, die mit dem Themenbereich um Bekenntnisse und Katechismen zu tun haben.
Zum ersten sollten wir endlich wieder erkennen, dass die Kirche [Gemeinde] eine Schöpfung Gottes ist. Heute haben wir uns in die Idee verrannt, Kirche [Gemeinde] sei unsere Antwort auf die Gnade Gottes. Das ist falsch! Der Heidelberger Katechismus hat den Teil über die Kirche absichtlich unter die Thematik der „Gnade Gottes“ gestellt. Kirche [Gemeinde] ist Schöpfung Gottes.
Aus den ersten beiden Versen des ersten Korintherbriefes geht hervor, dass die Kirche [Gemeinde] von Gott berufen worden ist und somit bereits geschaffen ist. Es war nicht so, dass sich irgendwann einmal Leute überlegt haben: „Wir haben nun also die Gnade von Gott empfangen, und nun lasst uns überlegen, wie wir darauf am besten reagieren.“ Vielmehr ist es so, dass die Kirche [Gemeinde] selbst Schöpfung Gottes ist. Sie ist als Körperschaft vorhanden und geht auf den dreieinigen Gott zurück.
Zum zweiten: Die Kirche beruht auf Lehre. Wenn Paulus in Römer 16 seine Schlussbemerkungen mit Warnungen und Grüßen an die Gemeinde verknüpft, schreibt er auch Folgendes: „Gebt acht auf die, die Trennungen und Ärgernisse bewirken im Widerspruch zu der Lehre, die ihr gelernt habt, und meidet sie! Denn solche dienen nicht unserem Herrn Jesus Christus, sondern ihrem eigenen Bauch, und durch wohlklingende Reden und schöne Worte verführen sie die Herzen der Arglosen.“ (Röm. 16,17.18).
Vielleicht denken wir, dass diejenigen, die an biblischer Lehre festhalten und großen Wert darauf legen, die „Spalter“ sind. Der Apostel urteilt darüber völlig anders. Er sagt, dass die „Spalter“ diejenigen sind, die sich von der wahren Lehre entfernen. Damit wird nichts anderes gesagt, als dass die Gemeinde Jesu Christi auf Lehre gegründet ist.
Schließlich: Die Gemeinde ist eine Gemeinschaft von Lehrern und Lernenden. Man lese dazu zum Beispiel: Titus 1,5-9; Jakobus 3,1; Hebräer 13,7-9; 1Timotheus 5,17. Alle diese Stellen verbinden die Lehre mit Lehrern. Mit anderen Worten: Es gibt in dieser Welt eine Gemeinschaft, die durch Lehre bestimmt wird, ja, die von Gott dazu berufen ist, „Pfeiler und Grundfeste der Wahrheit“ zu sein (1Tim. 3,16).
Zu drittens: Die Vergangenheit und das Alter werden in der Heiligen Schrift hoch geschätzt
Auf den Einwand, die Vergangenheit habe keine Bedeutung für uns, ist zu antworten, dass die Bibel darüber völlig anders urteilt: „Halte dich an das Muster der gesunden Worte, die du von mir gehört hast, im Glauben und in der Liebe, die in Christus Jesus ist!“ (2Tim. 1,13). Paulus gebietet Timotheus, sich an das „Muster der gesunden Worte“ zu halten. Bei dieser Formulierung sollten wir auf die Richtung achten, in die dieser Vers weist. Paulus als der Ältere gibt das „Muster gesunder Worte“ an Timotheus, den Jüngeren, weiter. Der Apostel ist am Ende seines Lebens. Er sorgt sich um die nachfolgende Generation und hält seine abschließenden Gedanken schriftlich fest. In dieser Situation schreibt er nicht: „Timotheus, sei von nun an kreativ und entwickle das weiter, was ich dir gesagt habe.“ Stattdessen fordert er: „Halte dich an das Muster der gesunden Worte, die du von mir gehört hast…„. Der Apostel Paulus hat die Maßstäbe gesetzt, und er erwartet, dass Timotheus sich daran als Norm orientiert, das heißt: bindet.
Bleiben wir im 1Timotheusbrief. In 1Timotheus 3,1-7 lesen wir von den Voraussetzungen für Älteste: Unter anderem wird verlangt: Ein Ältester muss einen guten Ruf in der Öffentlichkeit haben. Die Frage, die sich hier sofort stellt, lautet: Auf wie viele junge Männer trifft das eigentlich zu? Um jemand zu sein, der einen guten Ruf hat, muss man eine gewisse Reputation in seiner Umgebung haben. Man muss schon etwas in seinem Leben geleistet haben. Wir sollten einmal darüber nachdenken, dass zumeist junge Leute Theologie studieren. Mir drängt sich der Eindruck auf, als erwarte der Apostel Paulus, dass primär reifere Männer Pastoren werden.
Um nicht missverstanden zu werden: Paulus verlangt auch, niemand solle Timotheus wegen seiner Jugend gering achten. Aber ist aus dieser Aussage nicht eher zu folgern, dass Timotheus eine Ausnahme von der Regel bildet? Wie auch immer, auf jeden Fall sollten wir festhalten: Im Licht des Wortes Gottes ist das Lebensalter nicht unwichtig. Diese Einstellung ist natürlich in der Überzeugung verankert, dass Vergangenheit, dass Geschichte etwas Wichtiges ist.
Denken wir auch an die Heilige Schrift selbst. Was ist die Bibel? Sie ist zu einem großen Teil ein Geschichtsbuch. Sie berichtet von Ereignissen aus der Vergangenheit. Wir werden nirgendwo dazu aufgefordert, diese weiterzuentwickeln. Stattdessen sollen wir über sie nachsinnen, in den Geschichtsberichten über das Geschehene Christus erkennen und den Sohn Gottes gemäß dem, was geschrieben steht, in der Welt um uns herum verkündigen.
Das Fazit am Ende des ersten Teils meines Vortrages lautet: Die kulturbedingten Argumente, die heute gegen Bekenntnisse und Katechismen vorgebracht werden, sind im Licht der Heiligen Schrift nicht aufrechtzuerhalten.
2. Auseinandersetzung mit „christlichen“ Einwänden gegen Bekenntnisse und Argumente
„Jeder hat ein Bekenntnis“
Nicht zuletzt aus evangelikalen Kreisen hört man öfters den Einwand: Durch Bekenntnisse werde etwas der Bibel hinzugefügt. Stimmt das?
Martin Luther ist ein gutes Beispiel für jemanden, der bezeugte, sein Gewissen sei ausschließlich durch das Wort Gottes gebunden. Auf dem Reichstag zu Worms ging es genau um diesen Punkt. Während Luther dort bekannte, dass er die Schriften der Kirchenväter zwar sehr schätze, betonte er nachdrücklich, sein Gewissen sei allein dem Wort Gottes verpflichtet. Muss man daraus nun die Schlussfolgerung ziehen, sämtliche im Lauf der Geschichte verfassten theologischen Schriften seien beiseite zu legen, und man solle sich nur noch ausschließlich dem Wort Gottes widmen?
Zur Beantwortung dieser Frage möchte ich die Christen einmal in zwei Gruppierungen aufteilen. Meines Erachtens unterscheiden sie sich nicht dadurch, dass die einen ein Bekenntnis haben und die anderen nicht. Vielmehr verläuft die Scheidelinie folgendermaßen: Auf der einen Seite gibt es Christen, die ein Bekenntnis haben und auch bestätigen, dass sie ein Bekenntnis haben. Ihr Bekenntnis ist öffentlich, alle können es lesen, und es kann im Licht der Heiligen Schrift überprüft und gegebenenfalls kritisiert werden. Auf der anderen Seite gibt es Christen, die zwar ebenfalls ein Bekenntnis haben, aber nicht zugeben, dass sie ein Bekenntnis haben. Was sie bekennen, bleibt ihr Geheimnis. Es ist nicht öffentlich, und folglich kann es auch nicht durch die Bibel kritisiert und hinterfragt werden. Oftmals unterliegen sie dem Irrtum, ihr „Bekenntnis“ sei mit der Lehre der Bibel identisch. Um zu erkennen, wie irrig dies ist, muss man sich nur einen Pastor vor Augen führen, der jeden Sonntag zu predigen hat. Selbstverständlich liest er nicht den griechischen oder den hebräischen Grundtext der Bibel im Gottesdienst vor. Vielmehr spricht er so, dass die Zuhörer ihn verstehen. Er wird den Abschnitt aus dem Wort Gottes in eigenen Worten erklären und auf die jeweilige Situation anwenden und die Kernaussage vermitteln.
Darum lautet meine erste These: Jeder hat ein Bekenntnis. Es ist sinnvoll, offen und ehrlich damit umzugehen, so dass jeder es erfahren und von der Heiligen Schrift her analysieren und kritisieren kann.
Ferner bin ich der Überzeugung, dass es grundsätzlich besser ist, ein Bekenntnis zu haben, dass von einer größeren Gruppe von Menschen verfasst worden ist und sich über einen längeren Zeitraum bewährt hat, als selbst eines zu entwerfen.
Natürlich ist es möglich, selbst ein Bekenntnis zu stricken. Zweifellos kann dabei auch etwas Gutes und Richtiges herauskommen. Dennoch meine ich, die meisten von uns haben dazu einfach nicht die Zeit.
Ich unterrichte unter anderem die „Geschichte der Frühen Kirche“. Fast jedes Mal, wenn wir auf das Nicänische Glaubensbekenntnis zu sprechen kommen, meldet sich einer meiner Studenten und wirft die folgende Frage auf: „Das Nicänum wurde doch schon vor über 1600 Jahren verfasst. Wird es da nicht so allmählich Zeit, ein Neues zu schreiben?“ Ich antworte dann immer: „Natürlich können wir ein neues Bekenntnis aufsetzen. Aber es muss dann schon eines sein, das genau so eine weite Verbreitung erfährt und dasselbe Gewicht wie das Nicänum hat, und zwar für die nächsten 1600 Jahre. Meistens ist dann die Begeisterung für die Idee, ein neues Bekenntnis zu verfassen, verflogen.
Wenn Sie mich fragen: Ich jedenfalls ziehe es vor, meinen Glauben an einer Richtschnur messen zu lassen, die von erfahreneren und weiseren Menschen gelegt worden ist, als ich es bin, und die sich über Jahrhunderte hinweg bewährt hat.
Die biblische Begründung für Bekenntnisse
Schließlich entsprechen Bekenntnisse dem Wort Gottes. Ich erwähnte bereits die Formulierung des Paulus: „Muster der gesunden Worte“ (2Tim. 1,13). Hier spricht der Apostel offensichtlich nicht von der Bibel selbst, sondern von einer Zusammenfassung der biblischen Lehre. Wir brauchen bei diesem Ausdruck nicht unbedingt an eine Sammlung von Glaubensartikeln zu denken. Vermutlich dachte Paulus eher an ein Konzept, das allerdings fest umrissen war. Genau das aber entspricht dem Inhalt, dem Sinn und dem Zweck eines Bekenntnisses. Insofern kommt die Formulierung „Muster der gesunden Worte“ dem sehr nahe, was wir heutzutage als Bekenntnis bezeichnen.
In Römer 10, ein Abschnitt, der für die Reformation so wichtig war, dass er teilweise wortwörtlich in manche Bekenntnisse aufgenommen worden ist, schreibt Paulus Folgendes: „Denn wenn du mit deinem Mund Jesus als den Herrn bekennst und mit dem Herzen glaubst, dass Gott ihn aus den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet. Denn mit dem Herzen glaubt man, um gerecht zu werden, und mit dem Mund bekennt man, um gerettet zu werden.“ (Röm. 10,9.10).
In diesen Versen geht es um zweierlei: Erstens geht es um den Glauben im Herzen. Das hatte Luther so wunderbar erfasst. Ihm war klar, dass er und der Papst in vielen Artikeln durchaus inhaltlich dasselbe glaubten. In der Frage, was sie glaubten, bestand in vielem kein Unterschied. Aber es bestand durchaus ein Unterschied, und zwar ein gravierender, in der Frage, wie man glaubt. Luther ging es darum, dass die biblischen Wahrheiten ganz persönlich für ihn gelten.
Aber es gibt noch einen zweiten Aspekt: „Bekenne mit deinem Mund!“ Der christliche Glaube hat eine öffentliche Ausrichtung. Der Begriff „bekennen“ besagt, dass der Glaube sich nicht in einer Geheimsprache äußert. Römer 10 weist uns darauf hin, dass sich die Gemeinde durch ihr Bekenntnis an die Öffentlichkeit wendet. Auch wegen dieses öffentlichen Charakters ist ein Bekenntnis wichtig.
Jaroslav Pelikan, einer der namhaftesten Historiker zum Themenkomplex der Bekenntnisse, hat Bekenntnisse folgendermaßen definiert: „Bekenntnisse sind eine Antwort auf den im Neuen Testament gegebenen Befehl, in der biblischen Lehre gesund und rechtgläubig zu sein. Diesen Befehl verstehen Gläubige und Bekenner als ein Gebot Gottes.“
Mit dieser Aussage bringt Pelikan zum Ausdruck, dass das Wort Gottes selbst die Gemeinde Jesu Christi auffordert, in ihrer Lehre gesund und rechtgläubig zu sein und zu bleiben. Und genau dazu sind Bekenntnisse nützlich.
Bei dieser Argumentation setzt er natürlich voraus, dass die Gemeinde nicht jeden Sonntag ihren Glauben neu (er)findet. Es ist nicht so, dass der Pastor am Morgen aufsteht und erst einmal anfängt, neu zu bestimmen, was denn der christliche Glaube eigentlich ist. Im Gegenteil: Es ist seine Aufgabe, das weiterzugeben, was seit jeher dem „Muster der gesunden Worte“ entspricht.
Nachdem ich mich zunächst mit den kulturbedingten Einwänden konfrontiert habe, die gegen das Abfassen von Bekenntnissen heutzutage vorgebracht werden (Sprache, Kirche und Geschichte), habe ich im zweiten Punkt ausgeführt, warum das Wort Gottes selbst von uns erwartet, so etwas wie Bekenntnisse zu haben. Ich hoffe, es ist damit auch klar geworden, dass es widersinnig ist, wenn jemand erklärt: „Ich will kein Bekenntnis haben, weil ich die Bibel ernst nehme.“ Wenn man die Bibel wirklich ernst nimmt, dann hat man irgendeine Art von Bekenntnis. Allenfalls steht man dann noch vor der Frage, ob man das Bekenntnis in seinem Herzen für sich behalten will, um sich so gewissermaßen unangreifbar zu machen, wenn man predigt oder lehrt, oder ob man bereit ist, dieses Bekenntnis öffentlich zu machen, so dass jeder es erfahren kann.
Im letzten Abschnitt zeige ich auf, wie Bekenntnisse im Lauf der Kirchengeschichte entstanden sind, und fasse abschließend die Gründe zusammen, die für Bekenntnisse sprechen.
3. Bekenntnisse im Lauf der Kirchengeschichte
Bereits sehr früh in der Geschichte der Kirche gab es formulierte Artikel des christlichen Glaubens. Sie wurden öffentlich vorgelesen. Wir haben dafür als Beispiel eine Schrift, die am Ende des ersten Jahrhunderts oder spätestens zu Beginn des zweiten Jahrhunderts verfasst worden ist. Diese Schrift heißt Didache. Dieses Wort ist mit „Lehre“ zu übersetzen. Damit erinnert es inhaltlich an das, was der Sinn eines Bekenntnisses ist.
Wir wissen, dass sich im zweiten Jahrhundert eine große Anzahl von Theologen in ihrer Verkündigung auf etwas bezogen, das sie „Regel des Glaubens“ (regula fidei) nannten. Wenn sie auf diese Glaubensregel zu sprechen kamen, gaben sie stets inhaltlich das Gleiche wieder, wenn auch in jeweils etwas anderen Worten. Das heißt: Einerseits waren zu jener Zeit die Glaubensinhalte noch nicht in fest umrissenen Worten ausformuliert. Andererseits aber war der Inhalt des christlichen Glaubens durchaus bekannt. Als Eckpfeiler wurde auf die Schöpfung der Welt, den Sündenfall, die Erlösung durch den Sohn Gottes und seine Wiederkunft hingewiesen. Dies also waren gegen Ende des ersten Jahrhunderts christliche Kernlehren. Sie wurden im gesamten Mittelmeerraum mit sehr ähnlichen Worten bezeugt.
Später hat die Kirche einige der großen Wahrheiten in Bekenntnisse gefasst. Was wir als das Nicänum bezeichnen, ist eigentlich das Bekenntnis von Konstantinopel aus dem Jahr 381. Darin geht es um die Dreieinigkeit. Bis zum heutigen Tag ist dieses Bekenntnis die Grundlage für alle theologischen Erörterungen zur Lehre rund um die Dreieinigkeit Gottes. Damit ist nicht gesagt, dass die Dreieinigkeit durch das Nicänum erschöpfend erklärt worden ist. Die Dreieinigkeit Gottes wird nie durch eine menschliche Definition erschöpfend bestimmt werden können! Aber bis heute gibt es meines Wissens nichts Besseres als das Nicänum, um die Dreieinigkeit Gottes zu beschreiben. Ich jedenfalls kenne nichts.
Oder nehmen wir das Konzil von Chalcedon aus dem Jahr 451. Hier ging es um das Thema, wie die Gottheit und die Menschheit in der Person Christi einander zugeordnet sind.
Selbstverständlich können wir in diesem Zusammenhang auch an die bekannten Bekenntnisse des 16. Jahrhunderts denken. Der Heidelberger Katechismus aus dem Jahr 1563 ist nur ein herausragendes Beispiel aus jener Zeit. Im gleichen Jahrzehnt entstanden noch mehrere andere reformatorische Bekenntnisse. Der Grund dafür: Zu jener Zeit hatte auf dem Konzil von Trient der römische Katholizismus seine Überzeugungen in Abgrenzung zur Reformation zu Papier gebracht. Nun ging es darum, dass der evangelische Glaube seinerseits in normativen Aussagen zu verdeutlichen hatte, wovon er aufgrund der Heiligen Schrift überzeugt ist.
4. Neun Gründe für Bekenntnisse
Ziehen wir ein Fazit: Was also ist der Nutzen von Bekenntnissen, nicht zuletzt für bibeltreue Christen, für die das Wort Gottes die höchste Autorität (sola scriptura) bildet? Ich nenne neun Gründe:
Als Erstes wollen wir uns noch einmal vor Augen führen, dass jeder Christ ein Bekenntnis hat. Übrigens auch Sekten wie die sogenannten Unitarier haben ein Bekenntnis.3 Vermutlich haben viele der heutigen Unitarier noch nie etwas von dem Rakauer Katechismus gehört. Aber gleichgültig, ob sich die Unitarier auf dieses Bekenntnis berufen oder nicht: Sie verkünden, dass Gott nicht dreieinig ist.
Kurzum: Jeder hat ein Bekenntnis. Die Frage ist nur, ob es schriftlich fixiert ist oder nicht.
Zweitens: Bekenntnisse sind notwendig, um eine christliche Gemeinschaft zusammenzuhalten. Nur zu sagen, man habe ausschließlich die Bibel, reicht für den Zusammenhalt einer Gemeinschaft nicht aus. Wie gesagt: Davon sind sogar viele Unitarier überzeugt, oder zumindest erklärten sie das früher einmal. Für den Zusammenhalt einer Gemeinschaft bedarf es etwas mehr als die Aussage „Bei uns sind wir alle der Meinung, dass die Bibel ein richtig gutes Buch ist!“
Meines Erachtens begegnen wir in der christlichen postmodernen und „Emerging„–Szene einer Ironie: Einerseits haben die Vertreter dieser Idee zu Recht ihre Finger in manche Wunden gelegt. Zum Beispiel haben sie uns erneut vor Augen geführt, dass das „Dazugehören“ ein wichtiger Bestandteil des Gemeindelebens ist. Es ist leider heutzutage vielfach so, dass unsere Gemeinden nicht gerade anziehend wirken. Viele bilden gar keine Gemeinschaften. Man achtet nicht auf den anderen, auf den Schwächeren. Wir wollen diese Kritik ernstnehmen! Auf der anderen Seite aber besteht die Tragik dieser „Gemeindebauer“ darin, dass das „Dazugehören“ auf Kosten der biblischen Lehre geht. Schlimmer noch: Für sie erscheint biblische Lehre als Gegensatz zum „Dazugehören“. Sie behaupten: Man müsse erst dazugehören, bevor man glaube. Das aber widerspricht dem, was der Apostel Paulus lehrt. Die Leute, über die er in Römer 16 schreibt, gehörten nicht dazu, weil sie falsche Lehren vertraten. Im Licht des Wortes Gottes ist es völlig ausgeschlossen zu verkünden, erst müsse man „dazugehören“ und dann trete – vielleicht – die gesunde biblische Lehre hinzu. Das Dazugehören wird durch die biblische Lehre bedingt. Indem Bekenntnisse die biblische Lehre ins Zentrum rücken, leisten sie einen großen Dienst, um eine Gemeinde zusammenzuhalten.
Nun ist auch mir bekannt, dass im Lauf der Kirchengeschichte Bekenntnisse missbraucht worden sind. Aber ächtet man Kettensägen nur weil schon einmal jemand durch eine Kettensäge umgekommen ist? Um einen Baum zu fällen, ist eine Kettensäge ein außerordentlich geeignetes Werkzeug. Um die Einheit der Kirche zu erhalten, sind Bekenntnisse unverzichtbar.
Drittens: Bekenntnisse sind – ich wies bereits darauf hin – biblischer Befehl. Wenn man kein Bekenntnis hat, muss man trotzdem mit dem umgehen, was Paulus in 2Timotheus 1 oder in Römer 10 schreibt. Man benötigt etwas, das diesen neutestamentlichen Aussagen entspricht. Vielleicht nennt man es nicht „Glaubensbekenntnis“, sondern „Artikel unseres Zusammenlebens“. Oder man überschreibt es mit: „Was wir glauben“ oder mit irgendetwas Anderem. Aber man wird etwas haben, was als ein Bekenntnis fungiert.
Viertens: Bekenntnisse sind für die Wahrnehmung einer Gemeinde erforderlich. Ein Bekenntnis verkündet die Botschaft, dass es Dinge gibt, die wichtig sind: Es ist wichtig, dass Christus gestorben und aus den Toten auferstanden ist. Gelegentlich sind sie so wichtig, dass es sich lohnt, über sie zu streiten.
Fünftens: Bekenntnisse sind für die Weitergabe des Glaubens von Bedeutung. Über alle zeitlichen und räumlichen Grenzen hinweg waren Bekenntnisse die Zusammenfassungen des Glaubens. Auf diese Weise leisten sie einen Beitrag, die Einheit des Glaubens zu bewahren und weiterzugeben. Ich sage damit nicht, dass es nicht auch Schwierigkeiten gegeben hat. Worte unterliegen Wandlungen. Sie können in unterschiedlichen Kontexten Unterschiedliches meinen. Es würde auch heutzutage nicht viel helfen, wenn man Menschen im 21. Jahrhundert ein in lateinischer Sprache verfasstes Bekenntnis vorlegen würde. Man muss die Bekenntnisse natürlich vermitteln, damit der Inhalt verstanden wird.
Mein sechster Punkt ist sehr einfach: Bekenntnisse wurden schon immer von der Kirche [Gemeinde] verwendet. Mir ist klar, dass gerade das heute für viele Menschen ein Grund ist, Bekenntnisse nicht mehr zu verwenden. Aber für mich ist es ein Grund, dafür zu plädieren, sie auch weiter zu verwenden. Ich bin davon überzeugt: Wenn die Kirche sie bisher verwendet und sie sich im Großen und Ganzen als nützlich herausgestellt haben, dann lassen Sie uns dabei bleiben!
Die evangelischen Christen, die sich auf die Reformation beriefen, in der es unter anderem hieß: Allein die Schrift!
verzichteten nicht auf Bekenntnisse. Bekanntlich haben auch nicht nur evangelische Christen Bekenntnisse. Vielmehr haben Christen sie zu allen Zeiten und an allen Orten gehabt: Offensichtlich haben sie sich demnach bewährt!
Der siebte Punkt ist so etwas wie die negative Entsprechung des Vorherigen. Diejenigen, die in der Kirchengeschichte gegen Bekenntnisse waren, waren entweder gegen den rechten Glauben, oder sie waren auf Dauer nicht in der Lage, den gesunden Glauben aufrecht zu erhalten. Die Geschichte der Kirchen und Gemeinden, die sich gegen Bekenntnisse aussprachen, verlief alles andere als glücklich. In der ersten Generation mag diese Einstellung noch funktioniert haben, vielleicht auch noch in der zweiten. Aber spätestens in der dritten Generation begann man sich aufzulösen. Dass die Kirche immer Bekenntnisse hatte und Kirchen [Gemeinden], die darauf meinten verzichten zu können, bald in einen Auflösungsprozess gerieten, sollte uns zu denken geben.
Achtens: Bekenntnisse relativieren die Gegenwart. Ehrlich gesagt, kann ich das Wort „Krise“ in den Medien nicht mehr hören! Alles ist heutzutage eine Krise. Nach den Anschlägen vom 11. September konnte man die Journalisten–Weisheit vernehmen: „Die Welt wird nie wieder so sein, wie sie war.“ Wenn überhaupt, dann gilt diese Weisheit zunächst nur für die westliche Welt. Ein Großteil der Welt hat bis jetzt noch nicht einmal von den Anschlägen auf das WTC gehört. Aber auch meine Welt hat sich nicht wirklich dadurch verändert, dass ich jetzt an Flughäfen beim Sicherheitscheck meine Schuhe ausziehen muss. Natürlich ist die Welt nicht mehr dieselbe für diejenigen, die ihre Angehörige verloren haben. Aber für die meisten von uns ist die Welt vor und nach den Anschlägen im Großen und Ganzen die gleiche geblieben.
Was ich sagen möchte, ist Folgendes: Wir neigen heutzutage dazu, uns einzubilden, wir würden am wichtigsten Punkt der Geschichte leben, nur weil es unsere Zeit ist: Alles, was heute passiert, sei einzigartig. Gewissermaßen seien wir der Scheitelpunkt der Geschichte.
Bekenntnisse machen uns darauf aufmerksam, dass das ein sehr begrenzter Blickwinkel auf die Wirklichkeit ist. Es gab diese Welt schon vor Tausenden von Jahren, lange bevor wir geboren wurden, und möglicherweise wird es sie noch für Tausende von Jahren nach uns geben.
Einmal trat mir diese Erkenntnis sehr deutlich vor Augen. Ich arbeite als Professor an einer theologischen Ausbildungsstätte. Vor einigen Jahren starb einer meiner Kollegen an Krebs. Kürzlich kam sein damals engster Mitarbeiter zu mir und erzählte, dass keiner der heutigen Studenten den betreffenden Kollegen überhaupt noch kennen würde. Mein verstorbener Kollege war allseits sehr geschätzt. Sein Tod war für uns alle ein Schock. Gleichwohl ist er bereits nach wenigen Jahren in Vergessenheit geraten. Bekenntnisse erinnern uns daran, dass wir Teil von etwas Größerem sind. Für meinen persönlichen Glauben stellt es eine große Bereicherung dar, mich darin zu üben, von der Weisheit der Vergangenheit zu lernen.
Mein neunter und letzter Punkt lautet: Bekenntnisse sind eine Antwort auf den Pragmatismus. Sie zeigen, dass das Evangelium sich nicht um Fragen dreht wie: Was funktioniert in unserer heutigen Gesellschaft? Wie muss heute Christlichkeit definiert werden, damit sie als „gesellschaftsrelevant“ rüberkommt? Bekenntnisse sprechen von Lehre, von Wahrheiten, die dieselben sind, gestern, heute und in alle Ewigkeit. Manchmal wird in dem einen oder anderen Bekenntnis ein Aspekt überproportional stark betont. In der Regel liegt das daran, dass die betreffende Fragestellung während der Abfassungszeit akut war. Gleichwohl haben sich die Bekenntnisse auf die Hauptsache konzentriert. Im Kern des Evangeliums geht es eben nicht um Fragen wie: Wie gelingt meine Ehe besser? Oder: Wie profiliere ich mich als „Gottesdienstmoderator“ oder als Musiker?
Der Inhalt des Evangeliums ist: Jesus Christus ist gestorben und leiblich auferstanden. Er schenkt seine Gerechtigkeit denen, die ihm glauben, die ihm vertrauen. Bekenntnisse bewahren uns davor, unsere Verkündigung und den Glauben zu ändern, nur weil die Welt verlauten lässt, dieses oder jenes sei im Augenblick wichtig oder unwichtig. Übrigens erleben wir hier folgende ironische Situation: Immer dann, wenn sich die Kirche [Gemeinde] bemüht, relevant zu erscheinen, verliert sie in Wahrheit sehr schnell an Bedeutung. Es gelingt eben der Welt immer viel schneller, Modeerscheinungen aufzunehmen und zu propagieren. Im Vergleich dazu benötigen Theologen sowie Kirchenvertreter dazu immer zahlreiche Tagungen und Konferenzen, so dass schon aus diesem Grund die Gemeinde der Welt immer mindestens einen Schritt hinterherhinkt.
Einer meiner Lieblingscharaktere im Neuen Testament ist der zweite Verbrecher am Kreuz. Das Interessante an diesem Mann ist seine tiefgreifende Theologie. Als er dort am Kreuz hing, wusste er, dass Gott heilig ist. Er wusste, dass der Tod am Kreuz nichts ist im Vergleich zu dem, was nach dem Tod auf ihn wartet. Auch wenn er vielleicht kein Verständnis von der Sündlosigkeit Christi hatte, ihm war klar, dass der Tod dieses Jesus von Nazareth von dem seinigen absolut zu unterscheiden ist. Dieser Verbrecher wusste, dass er die Todesstrafe verdient hatte. Dagegen hatte der neben ihm gekreuzigte Jesus genau das nicht verdient. Er verstand, dass das Reich Gottes nicht dadurch anfängt, dass Jesus vom Kreuz herabsteigt, dem Tod entflieht, so wie es die umherstehenden Gaffer von Christus spottend verlangten, sondern dass das Reich Gottes seinen Anfang gerade durch das Sterben dieses Jesus von Nazareth nehmen wird.
Die Frage stellt sich: Woher wusste dieser Mann das alles? Das Wort Gottes sagt darüber nichts. Möglicherweise hat Gott ihm das alles schlagartig geoffenbart. Ich kann und will das nicht ausschließen. Aber das wäre meines Erachtens äußerst ungewöhnlich. Eher vermute ich, dass seine Eltern ihm als Kind ein „Muster der gesunden Lehre“ vermittelt haben. In den darauffolgenden Jahren lebte er nicht nach dieser Richtschnur. Stattdessen suchte er gewaltsam gegen die Römer vorzugehen, um so innerhalb der traditionellen Grenzen Israels eine Art irdisches „Reich Gottes“ aufzurichten. Aber als er am Kreuz hing, erkannte er nicht nur, dass er sein Leben mit diesen Ideen verfehlt hatte, dass er für sein Tun den Kreuzestod verdient hatte, sondern er begriff auch, dass das einzig Relevante das ist, was er bis dahin in seinem ganzen Leben als unwichtig abgetan hatte. Wie gesagt: Ich will nicht ausschließen, dass er genau das einst als Kind gehört hatte.
Bekenntnisse haben sich durch die Zeiten hindurch bewährt. In ihnen ist das festgehalten, was im Glauben wirklich wichtig ist. Sie bilden darum auch eine Antwort auf christlich eingefärbte Modeströmungen. Denken wir heute etwa an den auf das Diesseits gerichteten Pragmatismus. Bekenntnisse vermitteln uns auf unserem Weg Orientierung, indem sie uns auf die zentralen biblischen Lehren weisen. Auch wenn heute oftmals erklärt wird, solange man die Bibel für voll nehme, seien Bekenntnisse überflüssig, hoffe ich klar gemacht zu haben: Gerade wenn man die Bibel ernst nimmt, wird man verstehen, dass man auf Bekenntnisse nicht verzichten kann.
1) Der vorliegende Artikel geht auf einen Vortrag zurück, den der Kirchengeschichtler Prof. Dr. Carl Trueman am 29.10.2010 im Rahmen der Heidelberger Konferenz für Reformierte Theologie unter dem Titel „The Confessing and Confessional Church“ hielt. Der gebürtige Engländer lehrt und arbeitet am Westminster Theological Seminary, einer Theologischen Ausbildungsstätte in der Nähe von Philadelphia (PA) in den USA. Trotz leichter Überarbeitung wurde der Vortragsstil bewusst beibehalten.
2) Trueman verwendet an dieser Stelle und im Folgenden im Original das englische Wort „church“, das im Deutschen sowohl mit „Kirche“ als auch mit „Gemeinde“ wiedergegeben werden kann.
3) Die Unitarier sind eine in Amerika stark verbreitete Gruppierung, die die Dreieinigkeit Gottes leugnet wie auch zahlreiche andere biblische Lehren.