Da wir alle Sünder sind, bedeutet das auch, dass andere sich an uns versündigen. Das heißt: Wir sind potentielle Opfer für Sünder und Sünden. Wie sollen wir in Fällen reagieren, in denen sich Menschen an uns vergangen haben?
Viele, sicher auch einige unter uns, haben in ihrem Leben durch andere Menschen grausame Dinge erfahren, möglicherweise sogar durch sehr nahestehende Menschen: Lüge, Verhöhnung, Spott, Verleumdung, Vernachlässigung, Hass, Vergewaltigung, Misshandlung, Ehebruch …
Damit wir nachvollziehen können, was Vergebung heißt, damit wir diese Sache nicht einfach nur pauschal und mit Abstand betrachten, wollen wir uns einmal die Person vor Augen halten, die sich am meisten an uns versündigt hat. Es geht um die Person, die einem immer wieder zu schaffen macht, bei der es schwerfällt, zu vergeben. Lassen Sie uns im Blick auf diese Person das konkretisieren, was die Heilige Schrift über Vergebung lehrt!
Es gibt gemäß dem Wort Gottes nur zwei Möglichkeiten, wie wir auf das reagieren, wenn sich Menschen an uns versündigt haben: Vergebung oder Verbitterung. Das ist schon einmal grundlegend. Wenn wir nicht vergeben, dann schneiden wir uns ins eigene Fleisch. Das gilt auch für die schlimmsten Sünden, die wir erfahren haben. Wenn wir sie nicht vergeben, dann bleibt uns auf die Dauer nur der Weg in die Verbitterung. Zum Beispiel wird der Schaden in persönlichen Beziehungen und bei Familien erst dann unheilbar, wenn zum eigentlichen Problem noch die Verbitterung oder die Verhärtung hinzukommt.
Was heißt überhaupt Vergeben? Ich denke, oftmals haben wir eine falsche Vorstellung von Vergebung, und darum fällt es uns schwer zu vergeben. Oder wir haben das Gefühl, dass wir noch nicht wirklich vergeben haben. Darum möchte ich zuerst klären, was Vergebung nicht ist.
1. Vergeben meint nicht, dass wir Sünde verharmlosen. Vergeben redet Sünde nicht klein im Sinn von: Ist ja nicht so schlimm. Wir sind alle nur Menschen usw. Sünde ist immer schlimm. Jesus musste dafür sterben!
2. Vergeben heißt nicht: warten auf eine Entschuldigung. Manche Menschen werden sich nie ändern. Sie werden nie Einsehen haben. Manche Menschen gehen, nachdem sie einem Leid zugefügt haben, einfach weg. Wir werden sie nie wieder sehen. Manche Menschen sterben, bevor auch nur der Hauch einer Einsicht über die an uns begangene Sünde eintritt. Aber das darf uns nicht davon abhalten, ihnen zu vergeben. „So viel an Euch liegt, haltet mit allen Menschen Frieden!“ (Röm. 12,18). Tu was du tun kannst, vergib deinen Schuldigern, bevor sie dich um Verzeihung bitten.
3. Vergebung bedeutet nicht, dass man die Verletzung und den zugefügten Schmerz nicht mehr spürt. Manche Sünden hinterlassen qualvolle Wunden. Vergebung bewahrt uns vor Verbitterung. Aber Vergebung macht die Verletzung und den Schmerz nicht ungeschehen. Gott kann schenken, dass die Pein nachlässt. Aber wir dürfen nicht denken, dass wir erst vergeben können oder erst zu vergeben haben, wenn es uns nicht mehr aufwühlt oder quält.
4. Vergebung ist kein einmaliges Geschehen. In manchen Fällen sündigt die jeweilige Person wieder und wieder an uns. Dann sind wir aufgerufen, wieder und wieder zu vergeben. Manchmal ist es aber auch so, dass man in gewissen Momenten an die vorgefallene Sünde erinnert wird und erneut Wut und Verbitterung hochkommen. Auch dann haben wir den Auftrag, erneut zu vergeben, gewissermaßen unsere Vergebung zu bestätigen.
Ein Beispiel dafür: Ein Mann hat seine Frau betrogen. Sie waren in der Seelsorge, sie haben darüber gesprochen, die Sache wurde vergeben, und es kam zu einem neuen Anfang. Und dennoch kommt es vor, dass all die Erinnerungen und die Verletzungen bei der Frau hochkommen, etwa wenn sie ihren Mann mit einer anderen Frau reden sieht. Dieser Mann hat damit nichts Falsches gemacht. Er hat sich lediglich unterhalten. Gleichwohl kommt das Leid bei der Frau hoch, und sie muss ihrem Mann erneut vergeben, damit sie nicht in Verbitterung gerät.
5. Vergebung heißt nicht, dass Sünde nicht in Ordnung gebracht werden muss. Man kann vergeben, und dennoch müssen die Folgen der Sünde abgetragen werden.
6. Vergebung ist nicht identisch mit Versöhnung. Vergebung bedeutet nicht, dass sofort alles wieder so ist, wie es vorher war. Zur Versöhnung braucht es zwei Seiten: eine Person, die vergibt, und eine Person, die um Vergebung bittet. Aber auch wenn es keine Versöhnung gibt, sind wir aufgerufen zu vergeben. Wir sollen den ersten Schritt zur Versöhnung gehen.
7. Vergebung heißt nicht, dass wir dem anderen gleich Vertrauen entgegenbringen. Vertrauen wird schnell zerstört, aber es wird nur sehr langsam aufgebaut. Vergebung und Versöhnung sind die ersten Schritte, um wieder vertrauen zu können. Aber Vergebung heißt nicht, schlagartig wieder zu vertrauen.
8. Vergebung heißt nicht unbedingt, die Sünde zu vergessen: „Oh ich habe diese Sache immer noch nicht vergessen… ich habe sie immer noch nicht vergeben!“ Viele Dinge wird man nicht vergessen können. Möglicherweise kann man sie eine Zeitlang verdrängen, aber nicht vergessen. Wer hintergangen worden ist, wen man misshandelt, vergewaltigt, betrogen, belogen, verspottet hat, der kann das nicht vergessen.
Manche wenden hier Jeremia 31,34 ein: „…ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.“ Diese Aussage meint nicht, dass Gott, der alles weiß, unsere Sünden entfallen sind. Was heißt es dann? Gott sagt uns hier zu, nicht auf der Basis dessen mit uns umzugehen, was wir getan haben, sondern auf der Basis dessen, was Christus für uns getan hat. Er sieht uns nicht als Sünder an, sondern als seine Kinder in dem Mittler des Neuen Bundes, Christus.
Das heißt Vergebung! Wenn wir einer Person vergeben, dann meint das, dass wir nicht auf der Basis mit ihr umgehen, was sie an uns getan hat, sondern auf der Basis dessen, was Christus für uns getan hat. Im Gleichnis vom unbarmherzigen Knecht macht Jesus das eindrücklich deutlich (Mt. 18,21-35).
Wir vergeben unseren Schuldigern, weil Christus unsere Schuld vergibt! Jesu Vergebung hängt nicht von unserer Leistung oder von unserer Vergebung ab. Aber seine Vergebung befähigt uns, ja treibt uns dazu an, anderen zu vergeben. Ja es ist sogar so, dass Gott in unserem Leben auch positiv durch die Sünden anderer wirkt. So kann die von anderen uns zugefügte Bosheit uns an die Sünde im eigenen Leben erinnern und dann hoffentlich auch an die Notwendigkeit unserem Nächsten zu vergeben.