Christliche Beziehungspflege – 1. Thessalonicher 2,17–3,13

Christliche Beziehungspflege – 1. Thessalonicher 2,17–3,13

Der erste Thessalonicherbrief schenkt uns einen Einblick, welch große Sehnsucht nach Gemeinschaft, nach einem Wiedersehen mit den Christen in Thessalonich den Apostel Paulus erfüllte.

Ist unsere Beziehung zur Gemeinde und den einzelnen Geschwistern von einer solch liebevollen Fürsorge bestimmt, wie sie in diesem Brief zwischen Paulus und den Thessalonichern zum Ausdruck kommt?

Jedem Christen muss vor Augen stehen: Die Verantwortung, die wir in der Gemeinde füreinander haben und die Abhängigkeit, wenn es um gegenseitige Seelsorge und Glaubensstärkung geht, erfordern eine enge Beziehung zueinander.

In diesem Artikel wollen wir uns mit der Frage beschäftigen, wie wir unsere Beziehungen in der Gemeinde stärken und vertiefen können. Dabei orientieren wir uns an dem, was wir von Paulus und den Thessalonichern über christliche Beziehungspflege erfahren.

Paulus schreibt: Wir aber, Brüder, nachdem wir für eine kleine Weile von euch getrennt waren — dem Angesicht, nicht dem Herzen nach —, haben uns mit großem Verlangen umso mehr bemüht, euer Angesicht zu sehen. Darum wollten wir auch zu euch kommen, ich, Paulus, einmal, sogar zweimal; doch der Satan hat uns gehindert (1Thess. 2,17.18). Die erste Aufforderung an uns heißt also:

Besucht einander!

Paulus wurde kurz nachdem die Gemeinde in Thessalonich durch seinen Missionsdienst entstanden war, durch Verfolgung wieder von ihr getrennt (Apg. 17,1–9). Das Wort getrennt waren ist ein starkes Wort. Man kann es auch übersetzen mit wir wurden euch geraubt. Die NGÜ übersetzt: Wir kamen uns wie verwaist vor, nachdem wir von euch getrennt wurden. Paulus litt unter der hastigen Trennung und machte sich verständlicherweise große Sorgen um das Wohlergehen und die Standhaftigkeit der im Glauben noch jungen Christen, zumal (weitere) Verfolgungen auf sie zukommen würden.

Mehrfach hatte Paulus den Versuch unternommen, sie wieder zu besuchen und sie persönlich im Glauben zu stärken. Doch die Widerstände waren zu groß (1Thess. 2,18). Stellen wir uns einmal vor, wir müssten wegen einer dringenden Angelegenheit unverzüglich von zu Hause weg und müssten deshalb unsere Kinder unbeaufsichtigt zurücklassen. Die Sorge um unsere Kinder würde immer größer werden, und da wir uns ausgerechnet noch in einem Funkloch befinden, können wir noch nicht einmal ein kurzes Lebenszeichen, eine beruhigende SMS des Nachbarn erhalten, der nach dem Rechten zu sehen versprach. Stattdessen erheben sich immer mehr sorgenvolle Gedanken bei uns.

Der Apostel war so sehr besorgt um die Gemeinde in Thessalonich, dass er in die nächste Großstadt, Athen, allein zog und sich dort der nächsten gigantischen geistlichen Herausforderung stellte. Timotheus ließ er zurück und sandte ihn nach Thessalonich (1Thess. 3,1).

Die Botschaft, die er von Timotheus später empfing, war viel mehr als das ersehnte Lebenszeichen. Auch die Thessalonicher hatten große Sehnsucht nach Paulus und wollten ihn gern wiedersehen. Auch sie sorgten sich um ihn. Und was noch wichtiger war: Sie zweifelten nicht an Jesus: Nun aber, da Timotheus von euch zu uns zurückgekehrt ist und uns gute Nachricht gebracht hat von eurem Glauben und eurer Liebe, und dass ihr uns allezeit in gutem Andenken habt und danach verlangt, uns zu sehen, gleichwie [auch] wir euch (1Thess. 3,6).

Welch Trost und welche Freude für Paulus: da sind wir deshalb, ihr Brüder, euretwegen bei all unserer Bedrängnis und Not getröstet worden durch euren Glauben. Denn nun leben wir, wenn ihr fest steht im Herrn!(1Thess. 3,7.8).

Gibt es einen ergreifenderen Aufruf zur Gastfreundschaft? Wenn Paulus so sehr diese Gemeinschaft, diesen Glaubensaustausch, diese gegenseitige Stärkung und Ermutigung benötigte, wieviel mehr brauchen dann wir alle diese Dinge! Besucht einander! Schafft euch Gelegenheiten für geistlichen Austausch und Anteilnahme, nicht nur im Gottesdienst! Öffnet eure Häuser füreinander, und so werdet ihr auch einander eure Herzen öffnen, euer Leid gemeinsam tragen und eure Freude vermehren!

Freut euch aneinander!

Meistens erfreuen wir uns an Gemeinschaft. Für die meisten ist es eine alltägliche Erfahrung. Für viele alte Menschen ist es dagegen ein seltenes und umso mehr wertgeschätztes Ereignis. Doch schauen wir, welchen Rang die Gemeinschaft, die Verbundenheit mit der Gemeinde bei Paulus hat: Denn wer ist unsere Hoffnung oder Freude oder Krone des Ruhms? Seid nicht auch ihr es vor unserem Herrn Jesus Christus bei seiner Wiederkunft? Ja, ihr seid unsere Ehre und Freude! […] Denn was für einen Dank können wir Gott euretwegen abstatten für all die Freude, die wir um euretwillen haben vor unserem Gott? (1Thess. 2,19.20; 3,9).

Die Freude, die wir aneinander haben dürfen, geht weit über das hinaus, was wir uns auch nur annähernd vorstellen können. Die Thessalonicher sind bei dem triumphalsten und herrlichsten Moment der Weltgeschichte, nämlich der Wiederkunft Jesu Christi, die Hoffnung, Freude und Krone des Apostels.

Welch hohen Wert hat unser Investieren in Beziehungen zu Glaubensgeschwistern, also unsere Hilfe für ihr Glaubenswachstum, für ihr Standhalten in Anfechtungen. Der konkrete Grund für die Ehre und Freude des Apostels war der standhafte, fruchtbare Glaube der Thessalonicher, zu dem er beitragen durfte (1Thess. 1,4–10). Die Krone, die Paulus empfangen wird, ist eine Bestätigung seines treuen und wirksamen Dienstes. Und diese Krone wird er seinem Herrn Jesus Christus zu Füßen legen, denn ihm gebührt alle Ehre (Offb. 4,10.11). Die Glaubensfrüchte und damit die Kronen, die wir Jesus bei seiner Wiederkunft zu Füßen legen werden, bestehen nicht nur aus unserer Treue und Liebe zu dem Sohn Gottes, sondern ebenso aus der Treue und Liebe unserer Glaubensgeschwister, zu der wir hier in unserer Gemeinde beitragen dürfen. Die Aufforderung Freut euch aneinander! will sagen: Unsere Freude und unser Verlangen soll es sein, unseren Bruder und unsere Schwester im Glauben wachsen zu sehen und in Anfechtungen zu stärken.

An anderer Stelle ermahnt Paulus die Philipper zum standhaften Ausharren: Dadurch dass ihr festhaltet am Wort des Lebens, mir zum Ruhm an dem Tage Christi, sodass ich nicht vergeblich gelaufen bin noch vergeblich gearbeitet habe. Und wenn ich auch geopfert werde bei dem Opfer und Gottesdienst eures Glaubens, so freue ich mich und freue mich mit euch allen. Ebenso sollt auch ihr euch freuen und sollt euch mit mir freuen (Phil. 2,16–18). Wenn wir einander im Glauben beistehen und Anteil geben, werden wir unsere Freude in Ewigkeit mehren und Jesus verherrlichen. Es geht darum, geistliche Freundschaften zu schließen. Doch wie können wir das tun?

In vielen Gemeinden haben sich „Jüngerschaftsbeziehungen“ bewährt. Zur konkreten Umsetzung empfehle ich Ihnen eine „Buchlesepartnerschaft“, das heißt zusammen mit einem ihrer Glaubensgeschwister ein Buch durchzuarbeiten. (Meistens liegen ja schon 10 bis 15 Bücher auf dem Nachttischschränkchen parat, die man seit geraumer Zeit lesen wollte, es aber bisher nicht geschafft hat.)

Nehmen Sie sich zu zweit vor, pro Woche ein Kapitel zu lesen und über Ihre Erkenntnisse zu sprechen. (Dazu muss man sich nicht unbedingt jedes Mal treffen. Das geht auch gut per Telefon.) Beginnen und beenden Sie Ihren Austausch mit Gebet. Es wird nicht lange dauern, und man wird, angeregt durch die gemeinsame Lektüre, über viel mehr sprechen als nur über das in der letzten Woche gelesene Kapitel. Wir werden einander helfen, das Lesen des Buches nicht aufzugeben, sondern darin einander unterstützen, geistlich zu wachsen. Das Bestimmen eines festen, regelmäßigen Termins und die Dauer des Gesprächs (nicht länger als 45–60 Minuten) erleichtern es enorm, dranzubleiben.

Wir benötigen den geistlichen Austausch miteinander, und zwar auch, damit wir, wenn wir den anderen in Not oder in Anfechtung und Sünde sehen, nicht betreten wegschauen, uns hilflos fühlen und nicht wissen, wie wir ihn ansprechen sollen. Denn wir sind ja schon im Gespräch mit ihm.

Sorgt füreinander!

Darum hielt ich es auch nicht mehr länger aus, sondern erkundigte mich nach eurem Glauben, ob nicht etwa der Versucher euch versucht habe und unsere Arbeit umsonst gewesen sei (1Thess. 3,5). Paulus wusste, dass nicht nur er als Apostel, sondern auch die Gemeinde in Thessalonich früher oder später großen Anfeindungen und Bedrängnissen ausgesetzt sein würde: Als wir nämlich bei euch waren, sagten wir euch voraus, dass wir Bedrängnisse erleiden müssten, und so ist es auch gekommen, wie ihr wisst (1Thess. 3,4). Viele würden ihre Arbeitsgrundlage verlieren, weil sie als Christen nicht mehr an den Götzenopferfeiern der jeweiligen Handwerks- oder Händlergilden teilnahmen. So würden die Christen isoliert werden, kaum noch Aufträge bekommen und in finanzielle Not geraten. Wir können uns die Vorwürfe gut vorstellen: „Warum macht ihr nicht mehr mit? Ihr glaubt wohl, ihr seid was Besseres! Eine gefährliche Sekte seid ihr und Unruhestifter!“

Wer nicht mehr mitmacht, ist schnell raus. Durch Maskenzwang, G-Regeln und Impflicht mussten viele von uns diese Erfahrungen seit zwei Jahren vermehrt machen. Wir können deshalb gut nachempfinden, wie stark der Druck sein kann. Das Leben im Glauben bringt immer Kämpfe mit sich. Da tauchen auf einmal Zweifel auf. Da betet man seit langem für eine wichtige Sache und erfährt keine Gebetserhörung. Da sind die Schicksalsschläge, wenn zum Beispiel ein lieber Mensch aus dem Leben gerissen wird. Da ist der Kampf mit einer Sünde, der nicht nachlässt, und man immer wieder schwach wird. Da ist Streit in der Ehe und Trennungen in der Familie. Da steckt man auf einmal mitten in einem Glaubenstief. Da fühlt man sich ausgeschlossen und alleine.

Der große Missionar Paulus weiß, dass es nicht nur darum geht, dass Menschen irgendwie zum Glauben kommen. Sie müssen im Glauben gestärkt werden, sodass sie geistlich wachsen und nicht untergehen. Deshalb hat er so große Anstrengungen (mit großen Verlangen bemüht) unternommen und sogar auf seinen treuesten Mitarbeiter verzichtet, um den Thessalonichern beizustehen.

Wir haben es oftmals leichter, uns umeinander zu kümmern. Aber welche Mühe geben wir uns? Womit werden wir uns bei der Wiederkunft Christi rechtfertigen, weshalb wir andere und damit auch uns selbst des großen Segens der Gemeinschaft beraubt haben?

Paulus wird sagen: Ich wurde verfolgt, vertrieben, verprügelt, ich hatte kein Auto, kein Telefon und keine WhatsApp, keinen Livestream. Und außerdem waren da die vielen Neubekehrten in Korinth, um die ich mich auch kümmern musste. (Timotheus stieß erst wieder zu Paulus, als dieser bereits in Korinth war.)

Was werden wir sagen? „Ich war zu kaputt. Da gab‘s zu wenig Gemeinsamkeiten und Anknüpfungspunkte, dagegen zu viele Unterschiede. Der andere ging nicht auf mich ein; er hat mich verletzt; dem war ich ja auch egal…“ Letztlich sind es immer Egoismus und Selbstsucht, die die Gemeinschaft angreifen.

Dies sollte uns nicht verwundern. Denn gerade weil Gemeinschaft für uns so wichtig ist, ist sie so umkämpft! Paulus schreibt nicht etwa: „Gott hat mich in seiner Souveränität von euch getrennt.“ Nein! Vielmehr erklärt er: Der Satan hat uns gehindert! (1Thess. 2,18). Der Satan will tiefe, geistliche Gemeinschaft zwischen uns verhindern, weil er weiß, dass wir ihm dadurch widerstehen können. Er liebt Unverbindlichkeit und gebraucht sie, wie einen Virus, um tiefere Gemeinschaft unter uns nicht zuzulassen. Deshalb müssen wir Gott um Hilfe bitten, dass er uns überströmend werden lasse in der Liebe zueinander.

Betet füreinander!

Tag und Nacht flehen wir aufs Allerdringendste, dass wir euer Angesicht sehen und das ergänzen dürfen, was an eurem Glauben noch mangelt. Er selbst aber, Gott, unser Vater, und unser Herr Jesus Christus lenke unseren Weg zu euch! Euch aber lasse der Herr wachsen und überströmend werden in der Liebe zueinander und zu allen, gleichwie auch wir sie zu euch haben (1Thess. 3,10–12). Gott muss dieses Virus der Unverbindlichkeit, des Konsumdenkens und der Selbstsucht mit seiner Liebe bekämpfen und vernichten. Betet miteinander, füreinander!

Nachtrag: Evangelisation durch Gastfreundschaft

Das Thema „christliche Beziehungspflege“ ist wichtig, scheint aber auch eine Gefahr zu bergen: Es klingt so, als ob es nur um uns Christen ginge, so als würden wir uns unsere schöne, kleine Parallelwelt errichten. Aber haben wir nicht den Auftrag, die Welt mit dem Evangelium zu erreichen? Darum schreibt Paulus, dass wir nicht nur in der Liebe zueinander, sondern zu allen wachsen sollen (1Thess. 3,12). Durch unsere Liebe zueinander zeigen wir der Welt die Liebe Jesu. Und durch Gastfreundschaft wird dieses Zeugnis konkret.

Rosaria Butterfield veranschaulicht diese Verbindung in ihrem Buch „Geöffnete Türen öffnen Herzen“: Wie sollen die Menschen um uns herum etwas von unserem Glauben und unserem Leben als Christen wirklich mitbekommen, wenn wir sie nicht in unser Leben und damit in unsere Häuser hineinblicken lassen?[1] Wie wollen wir zum Beispiel Menschen erreichen, die durch Gender-Mainstreaming geprägt sind und die in Christen vor allem Heuchler sehen? Nur das Evangelium kann die Ketten der Sünde sprengen, kann die Gesinnung des Menschen ändern und ihn befreien. Aber wie kommt das Evangelium zu den Leuten? Die Erfahrung zeigt: Es geschieht weniger durch evangelistische Einsätze, sondern eher durch persönliche Kontakte. Butterfield bringt es folgendermaßen auf den Punkt: „Das Evangelium kommt mit einem Haustürschlüssel.“

Denken wir an Markus 10,28–30: Da begann Petrus und sprach zu ihm: Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt! Jesus aber antwortete und sprach: Wahrlich, ich sage euch: Es ist niemand, der Haus oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Frau oder Kinder oder Äcker verlassen hat um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der nicht hundertfältig empfängt, jetzt in dieser Zeit Häuser und Brüder und Schwestern und Mütter und Kinder und Äcker unter Verfolgungen, und in der zukünftigen Weltzeit ewiges Leben.

Wer Christus nachfolgen will, muss damit rechnen, vieles, vielleicht alles zu verlieren. Wenn wir das Evangelium an Menschen weitergeben, sind dies oftmals Menschen aus einem unchristlichen, ja vielleicht sogar dem Christentum stark abgeneigten Umfeld. Das heißt, wenn sie das Evangelium annehmen, verlieren sie ihre Beziehungen, ihre Familie, ihr Zuhause. Darum muss das Evangelium mit einem Haustürschlüssel kommen. Der hundertfache Segen, den Jesus hier verheißt, „fällt nicht vom Himmel, sondern er soll durch die Gemeinde verwirklicht werden … und“, so schreibt Rosaria Butterfield weiter: „echte christliche Gastfreundschaft, die echte christliche Gemeinschaft schafft, zeigt einer Welt, die denkt, dass wir Heuchler sind, auf tiefgründige und nachhaltige Weise, wie authentisches Christsein aussieht.“[2]

Unser Auftrag ist es, unsere christlichen Beziehungen zu pflegen, um dann auch andere Menschen in unsere Liebesgemeinschaft mit hineinzunehmen: Und für euch erbitten wir vom Herrn eine immer größere Liebe zueinander und zu allen Menschen – eine Liebe, die so überströmend ist wie unsere Liebe zu euch (1Thess. 3,12).


[1] Butterfield, Rosaria, Offene Türen öffnen Herzen. Dillenburg [CV/Ev21] 2021, vgl. S. 38.39.

[2] A.a.O. S. 119f.