Wortverkündigung zu 2Korinther 5,16.17
Hören wir zunächst die beiden Bibelverse nach einer eigenen Übersetzung: „Daher beurteilen wir von nun an niemanden mehr nach weltlichen Maßstäben. Obwohl wir Christus einst nach weltlichen Maßstäben beurteilt haben, tun wir es jetzt nicht mehr. Daher auch, wenn jemand in Christus ist, ist da eine neue Schöpfung. Die alte Weltordnung ist vorübergegangen, und es hat wirklich eine neue Weltordnung begonnen.“
Der Predigtabschnitt fängt mit dem Wort „daher“ an. Er knüpft also an das an, was Paulus unmittelbar davor schrieb. Paulus sagte dort, dass es die Liebe ist, die Christus uns erwiesen hat, die sein Verhalten und das seiner Mitarbeiter bestimmt. Diese Liebe von Christus zeigt sich darin, dass er sein Leben für uns gegeben hat. Sie bewegt Paulus dazu, ein solches Leben zu führen, wie er es führt. Er lebt als jemand, der Christus gehört und nicht sich selbst. Aus dieser verändernden Liebe, die Christus ihm und seinen Mitarbeitern, erwiesen hat, bringt Paulus in unserem Abschnitt zwei Anwendungen an.
Erstens: Paulus und seine Mitarbeiter haben damit aufgehört, Menschen nach weltlichen Maßstäben zu beurteilen. Diese Aussage enthält zwischen den Zeilen eine Anfrage an die Korinther: Auch sie sollen damit aufhören, Paulus und seine Mitarbeiter nach weltlichen Maßstäben zu beurteilen.
Zweitens: Jemand, der mit Christus durch den Glauben verbunden ist, ist eine neue Schöpfung. Er gehört nicht mehr zur alten Weltordnung, sondern zur neuen. Auch hierin steckt eine Anfrage an uns: Wenn wir ein Verhalten, das der neuen Weltordnung entspricht, nicht verstehen, dann liegt das daran, dass wir noch von den Wertmaßstäben der alten Weltordnung geprägt sind.
Das Predigtthema lautet: Christen leben in einer neuen Weltordnung. In diesen Versen kommen zwei Bereiche dieser neuen Weltordnung in den Blick, zum einen neue Werte und zum anderen ein neues Wesen.
Der erste Predigtpunkt lautet: Neue Werte: Menschen werden anders beurteilt als vorher. Die Hauptaussage von 2Korinther 5,16 steht am Anfang: Paulus und seine Mitarbeiter haben damit aufgehört, Menschen nach weltlichen Maßstäben zu beurteilen. Im zweiten Teil des Verses gibt Paulus dafür ein Beispiel: Er selbst hat einmal Christus nach weltlichen Maßstäben beurteilt. Aber damit hat er inzwischen aufgehört. Diese Wende hängt mit dem zusammen, was Paulus unmittelbar vorher gesagt hat: „Christus ist gestorben, also sind sie alle gestorben. Und für alle ist er gestorben und auferstanden, damit diejenigen, die neues Leben haben, für ihn leben und nicht länger für sich selbst“ (2Kor. 5,14.15).
Der Tod und die Auferstehung Jesu Christi bilden die Wendezeit in der Weltgeschichte. Seitdem der Apostel daran glaubt, dass Jesus, der Gekreuzigte, der auferstandene Herr ist, beurteilt er Menschen anders. Er hat sie vorher nach weltlichen Maßstäben eingestuft. Er will damit offensichtlich Folgendes sagen: Bevor Paulus an Jesus glaubte, schätzte er Menschen danach ein, was sie von sich aus vorzuweisen hatten. Die grundlegende Einteilung der Menschen war für ihn die Differenzierung zwischen Juden und Nichtjuden. Er war davon überzeugt, dass sich die Juden kraft ihrer Abstammung der Erwählung durch Gott sicher sein konnten, solange sie sich im Gehorsam gegenüber dem Gesetz Gottes bewährten. Für ihn erwies sich ein Jude dann als fromm, wenn er nach der von ihm bevorzugten Richtung der Pharisäer lebte. Denn in diesem Fall konnte er neben seiner Abstammung noch besonders viele fromme Taten vor Gott vorweisen. Die Weltsicht des Saulus von Tarsus war, dass die Nichtjuden in Gottes Augen unrein sind, die Juden im Prinzip rein, wenn sie sich an das Gesetz halten. Die Pharisäer galten ihm als besonders rein, weil sie auch solche Reinheitsvorschriften befolgten, die nur für Priester galten.
Die weltlichen Maßstäbe, nach denen Paulus und seine Mitarbeiter sich und andere beurteilt hatten, betrafen wahrscheinlich auch noch andere Bereiche. Paulus war ein Angehöriger einer relativ wohlhabenden Familie aus Tarsus. Er war gebildet und redebegabt. Vermögen und Bildung waren in der damaligen griechischen Welt hoch angesehen. Wer darüber verfügte, hatte einen hohen gesellschaftlichen Status. Er wurde von den Menschen geachtet und geehrt. Es ist gut möglich, dass Paulus als Angehöriger der höheren Schicht auf Menschen aus den niederen Schichten herabblickte, dass er, wie es für seine Schicht üblich war, sie als minderwertige Menschen betrachtete.
Paulus spricht darüber, weil er sich nun durch einige Christen in Korinth selbst einer herablassenden Beurteilung gegenübersieht. Es ist anzunehmen, dass es Angehörige der höheren Schicht waren, die Paulus verachteten. Wofür? Dafür, dass an ihm von seiner Herkunft aus der höheren Schicht nichts mehr zu sehen war. Aus ihrer Sicht machte er als Missionar eine erbärmliche Figur. Er geriet auf seinen Missionsreisen von einer Katastrophe in die andere. Er wurde verfolgt, geschlagen, kam mehrmals ins Gefängnis. Er war äußerlich arm wie ein Bettler, ging in Lumpen einher, sah äußerlich aus wie ein Sklave. Wenn er predigte, verzichtete er bewusst darauf, so zu reden, dass er selbst bei seinen Hörern Eindruck hinterließ. Er predigte den gekreuzigten Christus, und die Art und Weise, wie er predigte, war darauf angelegt, den Menschen Christus vor Augen zu malen und als Prediger selbst hinter die Botschaft zurückzutreten. Dann gab es da auch noch einige jüdische Christen. Sie verachteten Paulus vor allem deshalb, weil er dem Jüdischsein keine besondere Bedeutung mehr zuerkannte im Blick darauf, ob ein Mensch zum Volk Gottes gehört oder nicht. Was zählte, war allein, an Christus zu glauben und in ihm eine neue Schöpfung zu sein.
Die Korinther verglichen Paulus mit einigen so genannten Superaposteln. Die konnten sehr gut reden und machten in ihren Predigten von ihrer Redegabe Gebrauch. Sie redeten bewusst so, dass man sie als Angehörige einer gebildeten Schicht erkennen konnte und sollte. Paulus verzichtete zum Ärger der Korinther bewusst darauf, es ihnen gleichzutun.
Er schreibt in 2Korinther 5,16: „Wir beurteilen von nun an niemanden mehr nach weltlichen Maßstäben.“ Diese Feststellung über sich und über seine Mitarbeiter ist zugleich eine Anfrage an die Korinther. Wollen sie damit fortfahren, Paulus nach weltlichen Maßstäben zu beurteilen? Oder wollen sie stattdessen sich an ihm ein Vorbild nehmen und einen geistlichen Bewertungsmaßstab an ihn anlegen?
Paulus hat diesen geistlichen Bewertungsmaßstab zur Beurteilung von Menschen dadurch gewonnen, dass sich ihm der gekreuzigte und auferstandene Jesus Christus offenbart hatte. Der Apostel hatte den Sohn Gottes anfangs als einen von Gott verfluchten Gotteslästerer angesehen: Wie konnten die ersten Christen behaupten, er sei der von Gott versprochene Retter? Wie konnte ein Retter, den Gott geschickt hatte, vom höchsten jüdischen Gremium, dem Hohen Rat, zum Tod verurteilt werden? Wie konnte es sein, dass er durch die Römer die grausamste Art der Hinrichtung, die Kreuzigung, erfuhr? Bei seiner Bekehrung hatte Paulus erkannt, dass einer für alle gestorben ist. Seitdem beurteilte er Menschen danach, ob sie in Christus sind oder nicht.
Das Verhalten von Paulus und seinen Mitarbeitern kann nur mit einem geistlichen Beurteilungsmaßstab verstanden werden. Paulus diente einem gekreuzigten Retter. Ist es da nicht naheliegend, dass er als bevollmächtigter Botschafter von Christus auch leiden muss? Christus hat sein Leben für uns gegeben. Wie könnte Paulus dann die Predigt vom Gekreuzigten dazu missbrauchen, sich selbst darzustellen? Paulus hat die Armut nicht gesucht. Er verwirklichte kein Armutsideal. Er wurde arm, weil er sein Leben darauf ausrichtete, Christus allen Menschen zu verkündigen. Dazu gehörte für ihn, dass er äußerlich den Status der damaligen Mehrheit der Bevölkerung, nämlich der Sklaven, annahm. Paulus wurde ein Sklave, um die Sklaven für Christus zu gewinnen, nicht um die Angehörigen der höheren Schicht herauszufordern. Wenn sie sich darüber ärgerten, konnte es Paulus nicht ändern. Auf jeden Fall rief er die Korinther auf, ihre weltlichen Bewertungsmaßstäbe fallen zu lassen. Paulus und seine Mitarbeiter taten dies, weil einer für alle gestorben war. Und für alle ist er gestorben und auferstanden, damit diejenigen, die für ihn leben, nicht mehr für sich selbst leben, sondern für den, der sie erlöst hat (2Kor. 5,15).
Das ist natürlich auch eine Anfrage an uns, an Sie und an mich. Nach welchen Kriterien beurteilen wir die Menschen? Ist es die äußere Erscheinung, die zählt? Ist es die Tatsache, dass es jemand im Beruf weit gebracht hat? Wird jemand geringer angesehen, weil er keine Arbeit hat? Ist ein Prediger angesehen, wenn er gut reden kann, aber der gekreuzigte Christus in den Hintergrund gerät? Ist er weniger angesehen, wenn er eine schlechte Redegabe hat, aber der gekreuzigte Christus bei ihm im Mittelpunkt steht? Ein geistlicher Beurteilungsmaßstab leitet sich vom gekreuzigten und auferstandenen Christus her. Entscheidend im Blick auf Nichtchristen ist das Urteil, dass sie ohne Christus verlorengehen, egal wie angesehen sie nach weltlichen Maßstäben sind. Entscheidend im Blick auf Christen ist, ob sie Christus dienen und danach trachten, Menschen für ihn zu gewinnen.
Christen leben in einer neuen Weltordnung. Sie leben zwar auch noch in der alten Schöpfung. Aber ihre zentralen Kategorien zur Beurteilung von Menschen leiten sie von Christus und seinem Tod am Kreuz her: Einer ist für alle gestorben. Und für alle ist er gestorben, damit diejenigen, die durch ihn das neue Leben empfangen haben, nicht mehr für sich selbst leben, sondern für den, der für sie gestorben und auferstanden ist. Auf dieser Grundlage empfängt ein Christ neue geistliche Werte für die Beurteilung von Menschen. Durch seinen Umgang mit anderen Menschen bezeugt er, dass er einer neuen Weltordnung angehört. Dabei sind es nicht nur neue Werte, die ihn bestimmen. In den neuen Werten bekundet sich ein neues Wesen.
Das ist die zweite Folge davon, dass Christus für uns gestorben und auferstanden ist und unser Leben nicht mehr uns selbst gehört, sondern ihm.
Punkt zwei in der Predigt lautet Neues Wesen: Die neue Schöpfung hat begonnen. Paulus schreibt in 2Korinther 5,17: Daher auch, wenn jemand in Christus ist, ist da eine neue Schöpfung. Die alte Weltordnung ist vorübergegangen, und es hat wirklich eine neue Weltordnung begonnen.
Dieser Vers ist für das Verständnis von Glauben und Heiligung von großer Bedeutung. Denn diese Aussage bringt die Endzeitlehre des Neuen Testaments auf den Punkt. Ich spreche hier von „Endzeit“ im weiteren Sinn der Heilsgeschichte und nicht in dem engeren Sinn, in dem darüber gehandelt wird, welche Ereignisse der Wiederkunft Christi gemäß dieser oder jener Sichtweise vorangehen.
In unserem Vers teilt Paulus die Weltgeschichte in zwei Abschnitte. Genauer: Er unterscheidet eine alte und eine neue Weltordnung. Von der alten Weltordnung sagt er, dass sie bereits vorübergegangen ist. Von der neuen verkündet er, dass sie bereits begonnen hat. Der Wechsel von der alten zur neuen Weltordnung liegt für Paulus in der Vergangenheit. Die Wende liegt für ihn nicht in der Zukunft, also in der Wiederkunft Jesu Christi. Wenn Christus wiederkommt, vollendet er das, was er bereits begonnen hat: die neue Weltordnung bzw. die neue Schöpfung. Begonnen hat die neue Schöpfung mit dem Tod und der Auferstehung von Jesus Christus. Die beiden Ereignisse zusammengenommen sind der zentrale Punkt der Weltgeschichte, an dem die alte Weltordnung vorübergegangen ist und die neue Weltordnung begonnen hat.
Die neue Weltordnung hat bereits deswegen begonnen, weil Jesus Christus mit seinem Tod die Sünde gesühnt und mit seiner Auferstehung eine neue Schöpfung heraufgeführt hat. Als Gottes Sohn Mensch wurde, hat er unsere menschliche Natur, die wir von Adam her haben, angenommen, ausgenommen die Sünde. Jesus war ein Nachkomme Adams, und als solcher war er sterblich wie alle Menschen. Als Adams Nachkomme hat er die alte Menschheit, die der Sünde verfallen ist, vor Gott vertreten und ist an ihrer Stelle gestorben. Mit seiner Auferstehung hat Jesus, der Sohn Gottes, eine neue menschliche Natur angenommen, über die der Tod in Ewigkeit keine Macht hat. Diese menschliche Natur ist auf ewig für die Sünde unangreifbar. Jesus ist der Anfänger einer neuen ewigen Menschheit, über die Gott in Ewigkeit seine absolute und vollkommene Herrschaft ausübt.
Paulus sagt nun aber nicht, dass alle Menschen automatisch zur neuen Menschheit gehören, nachdem Jesus gestorben und auferstanden ist. Er sagt: „Wenn jemand in Christus ist, ist da eine neue Schöpfung.“ Die Formulierung „in Christus“ benutzt Paulus in seinen Briefen häufig. Er bezeichnet Christus damit als einschließende Person. Christus schließt andere ein, so dass dann über sie gesagt werden kann, dass sie in ihm sind. Die, die in Christus sind, werden von dem Sohn Gottes vor Gott dem Vater vertreten; in ihm sind sie mit ihm gestorben, und zwar seinen Tod, der ihnen angerechnet wird; sie teilen damit sein neues Leben. In seiner Auferstehung sind sie mit ihm auferstanden.
Das gilt für alle, die „in Christus“ sind. Und in Christus befinden sich alle, die an ihn glauben. Wer Jesus Christus sein Leben anvertraut, bekommt die Vergebung seiner Sünden. Gott nimmt ihn in seine Gemeinschaft auf. Er gibt ihm seinen Heiligen Geist. Er wird dazu befreit, Gott mit Freude zu dienen und ihn anzubeten. Er wartet mit Hoffnung auf die Vollendung der Herrschaft Gottes, dann, wenn Christus wiederkommt.
Bis dahin lebt der Gläubige in einer Spannung. Er lebt in zwei Welten, in der alten und in der neuen Weltordnung. Jemand, der nicht an Jesus Christus glaubt, lebt nur in der alten Weltordnung und geht mit ihr ihrem endgültigen Gericht entgegen. Er kennt die Spannung nicht, die das Leben eines Christen kennzeichnet. Es stimmt, dass der Christ in Christus schon alles hat. Die Sünden sind ihm vergeben, er steht in Gemeinschaft mit Christus. Christus hat dem, der an ihn glaubt, zugesagt, dass er die Beziehung zu ihm in Ewigkeit aufrecht erhalten wird, durch den Tod hindurch. Die neue Schöpfung ist mit Christus mit Macht und in Vollkommenheit in das Leben der Christen eingebrochen. Jetzt schon gehören sie in Christus zur neuen Schöpfung, haben Teil an ihr. Und wie sie im Glauben in ganzer Gemeinschaft mit Christus stehen und nicht nur ein bisschen oder halb, so haben sie auch ganz Anteil an der neuen Schöpfung, nicht nur ein bisschen oder halb. Sie empfangen im Glauben den ganzen Christus und die ganze neue Schöpfung. Einerseits.
Andererseits ist im neuen Leben die alte Schöpfung noch gegenwärtig. Daher leben Christen in einer Spannung. Diese Spannung erfahren sie im Bereich ihres Verhaltens. Ja, Christen sind durch den Glauben an Christus ein Tempel des Heiligen Geistes. Trotzdem sind sie noch nicht frei von der Sünde. Sie sündigen immer noch in Gedanken, Worten und Werken. Durch den Glauben ergeben sich in ihrem Leben positive Veränderungen. Es werden alte Sünden nicht länger ausgeübt. Aber sie haben immer noch, bis an ihr Lebensende, genügend Sünden, mit denen sie zu kämpfen haben. Und nicht immer gewinnen sie den Kampf. Bis zum Lebensende gehört die Bitte aus dem Vaterunser zu ihrem zentralen Gebet an Gott: „Vergib uns unsere Schuld!“ Gleichzeitig gilt, dass Gott durch seinen Heiligen Geist nie aufhört, sie zu verändern. Sie sind schon Geheiligte, sie sind schon Heilige und werden noch geheiligt.
Auch in seiner Gefühlswelt lebt der Christ in einer Spannung, die er vorher nicht kannte. Er erfährt in Christus und an ihm so viel Freude wie nie zuvor. Er weiß, dass die Freude an Gott und an der Gemeinschaft mit ihm das Schönste ist, was es gibt. Er weiß: Dies ist das Herzstück im ewigen Leben, die Freude an Gott und die Befreiung vom Zwang der Selbstbestimmung. Aber hier erfährt er auch die Anfechtung, sich doch noch an den Dingen dieser Welt mehr zu erfreuen als an Gott. Er sieht so klar wie nie zuvor, dass dies das eigentliche Wesen des Götzendienstes ist. Dies nimmt er erst wahr, seitdem er glaubt. Seitdem kennt er den Schmerz, dass er sich innerlich immer wieder von Gott abwendet und sein Lebensglück woanders sucht.
Christen freuen sich also mehr als andere Menschen. Denn es ist die Freude an Gott, mit der sie durch den Heiligen Geist erfüllt werden. Und Christen leiden innerlich mehr als andere Menschen, weil sie durch den Heiligen Geist einen viel schärferen Blick auf ihre Sündhaftigkeit gewonnen haben. In ihrem Kummer wenden sie sich an Gott. Der tröstet sie und sie werden wieder froh. Aber der Hang zur Sünde bleibt, nicht immer ist ihr Herz ungeteilt bei Gott. Sobald sie es merken, schmerzt es sie mehr als alles andere.
Über diese Spannung, in der der Christ lebt, kann man reden. Etwas anderes ist es, sie zu erfahren. Jeder Christ macht mehr oder weniger diese Erfahrung und weiß, wovon ich rede. Er weiß, dass er ein neuer Mensch ist. In Christus gehört er ganz zur neuen Schöpfung. Er weiß auch, dass er jetzt noch ganz alter Mensch ist. Er kann das daran erkennen, dass er sterben muss wie jeder andere auch. Dennoch ist diese Spannung, in der der Christ lebt, nicht heillos. Es ist nicht so, dass sich die alte und die neue Schöpfung in seinem Leben die Waage halten.
Das könnte man denken, weil beide Welten ganz da sind, die alte und die neue. Die alte Schöpfung, auch wenn sie präsent ist, hat nicht die Macht der neuen Schöpfung. Die neue Schöpfung ist ihrem Wesen nach stärker als die alte. Denn die neue Schöpfung tritt nicht einfach an die Stelle der alten Schöpfung wie ein neueres Automodell das ältere ablöst. Die neue Schöpfung hat die alte Schöpfung besiegt. Die alte Schöpfung war geprägt von Sünde und Tod. Sie war geprägt vom Leben in der Selbstbestimmung ohne Gott. In der neuen Schöpfung ist dies überwunden. Sünde und Tod hat Jesus durch seinen Tod und seine Auferstehung besiegt. Wir sind befreit vom Zwang zur Selbstbestimmung. Gott hat uns den Weg des Glaubens an Christus eröffnet. Durch ihn gibt er uns den Heiligen Geist, der uns wirklich in Gemeinschaft mit Gott bringt, die wir erfahren. Der Heilige Geist schenkt es uns, dass wir Gottes Zusage in unseren Herzen tragen. Mit seinem Wort regiert uns Gott und stellt uns in die Gemeinschaft mit sich selbst. Das erfahren die Christen schon jetzt, in diesem Leben. Zwar nicht vollkommen, aber wirklich und konkret.
Die Spannung, in der wir leben, ist nicht hoffnungslos. Es ist eine Spannung, die uns vertrauensvoll warten lässt. Die Freude an Gott und an Christus, die wir jetzt schon erfahren, wiegen den Kummer über unsere Sünde mehr als nur auf. Die Gemeinschaft mit Gott, die er uns jetzt schon schenkt, weckt in uns eine Sehnsucht danach, dass Gott sie bald vollenden möge. Die Freude überwiegt jetzt schon allen Kummer, weil es Freude an Gott ist, die er selbst schenkt. Diese Freude ist keine selbstgemachte Gefühlsduselei, sondern ruht auf der Heilstatsache in der Mitte der Zeit: Gottes Sohn ist Mensch geworden. Er ist für uns am Kreuz gestorben. Er ist wahrhaftig auferstanden. Sünde und Tod hat er besiegt. In Christus ist die alte Weltordnung an ihr endgültiges Ende gelangt. Was wir jetzt noch erfahren, sind Rückzugsgefechte der alten Welt. Die neue Weltordnung hat bereits begonnen. Und in Christus gehören wir ihr an.
Wir haben gesehen, dass daraus zwei Dinge folgen. Christen haben neue Werte. Vor allem beurteilen sie Menschen anders als vorher. Das ist eine Anfrage an uns, wie wir etwa die Geschwister in einer Gemeinde beurteilen. Der entscheidende geistliche Maßstab gibt vor, dass wir in Christus Brüder und Schwestern sind, die gemeinsam Gott dienen mit den Gaben, die Gott ihnen gegeben hat. Danach sind sie zu beurteilen und anzunehmen. Dabei gilt es, die Maßstäbe der alten Welt abzulegen. Wie jemand aussieht, welcher Rasse er zugehört, was er verdient, wie gebildet er ist, wie gut er reden kann, das alles darf keine Rolle dabei spielen, ob ich jemanden, der an Christus glaubt, achten will oder nicht.
Neben den neuen Werten ist es vor allem das neue Wesen der neuen Schöpfung, das die Christen jetzt schon mit Macht ergriffen hat. Sie, die in Christus sind, sind in lebendiger Gemeinschaft mit dem verbunden, der die Auferstehung und das Leben ist. Dabei ist es nicht in erster Linie so, dass jeder Christ für sich individuell dieses neue Leben genießt. Das neue Leben mit Gott wird vor allem in der Gemeinschaft der Heiligen erfahren. Die Gemeinde ist die Vorhut der neuen Schöpfung inmitten der alten Schöpfung. Indem die Glieder einander mit den Gaben dienen, die Gott ihnen gegeben hat, wächst sie nach innen und nach außen, wie Gott es will. Das, was der neuen Schöpfung entgegensteht, ist der Egotrip, auch wenn er fromm getarnt ist. In der neuen Schöpfung sind wir befreit zur Freude an Gott. In der neuen Schöpfung gestaltet Gott unser Leben so, dass es insgesamt ein Gottesdienst wird. Wir werden beschenkt mit dem Gottesdienst des ganzen Lebens, in dem wir Gott und dem Nächsten mit Freude dienen. Amen!