Buchbesprechung von Peter Neudorf:
Kennen Sie die Schriften des Neuen Testaments? Die Autoren, Donald A. Carson und Douglas J. Moo, gelten als führende evangelikale Theologen. Sie werden Sie mit den Schriften des Neuen Testaments bekannt machen. Seit fast drei Jahrzehnten haben sie durch dieses Buch nicht nur Theologiestudenten geballtes Wissen über die historischen Hintergründe des Neuen Testamentes in die Hand gegeben.
Die 925 Seiten starke Einleitung in das Neue Testament ist als Standardwerk anerkannt. Sie wurde zum ersten Mal 1992 aufgelegt und im Jahr 2005 in der 2. Auflage mit neuen Forschungsergebnissen erweitert.
Heute erhält man dieses Werk auch in deutscher Sprache. Der Brunnen Verlag hat sich mit viel Mühe an die Arbeit gemacht, diesen wissenschaftlichen Band zu übersetzen. Dabei berücksichtigte man die deutsche Situation, so dass Neutestamentler Fußnoten zur Literatur einfügten. Damit ist es mehr als nur die deutsche Übersetzung eines amerikanischen Werkes. Es ist auch umfangreicher als das englische Original.
Zum Aufbau des Buches: Die Einleitung in das Neue Testament beginnt mit einer Orientierung über das Wissenschaftsfeld zum Neuen Testament. Neben der Entstehung des neutestamentlichen Textes wird ein Schwerpunkt auf die Methodenlehre gelegt. Die Autoren gehen ausführlich auf die Auslegungsmethoden ein, die von der Postmoderne beeinflusst sind und stellen argumentativ in Frage, ob sie dem Neuen Testament gerecht werden.
Im Folgenden werden dann die Evangelien dargestellt und ihre Beziehung zueinander erklärt. Nach einer allgemeinen Einleitung in die Literatur der Briefe werden diese der Reihe nach vorgestellt bis hin zum letzten Buch, der Offenbarung. Danach fassen sie die Geschichte zusammen, wie der Kanon des Neuen Testamentes entstanden ist. Und das alles in einem Band, in dem man sogar noch weitere Literatur findet, um bei einem spannenden Thema gleich in die Tiefe gehen zu können.
Es geht bei den einzelnen Einführungen zu den Schriften um Fragen zur Verfasserschaft eines neutestamentlichen Buches, zu ihrer Absicht und zu ihrem Entstehungsdatum. Dabei wird die Struktur des jeweiligen Buches nachgezeichnet und seine Aussage in Kurzform dargeboten.
Im Folgenden möchte ich auf zwei wichtige Punkte zu sprechen kommen.
Erstens: Die Darstellung der Entstehung der drei ersten Evangelien. Es wird hier eine Theorie über die Evangelien in ihrer Zusammenschau (Synoptik) dargeboten, die heute von den meisten Forschern angenommen wird.
Die synoptischen Evangelien wurden bereits seit der Alten Kirche in ihrer Beziehung zueinander nicht eindeutig interpretiert, weil man nicht genau sagen konnte, wie sie entstanden sind. Von Schriftkritikern wurde immer wieder auf vermeintliche Widersprüche hingewiesen. Nicht zuletzt deswegen nehmen die Autoren diese Thematik ausführlich unter die Lupe und schildern die verschiedenen Herangehensweisen. Die Autoren suchen schließlich den Entstehungsprozess so zu erklären, dass die Evangelien voneinander abhängig sind: Das Evangelium nach Matthäus und das Evangelium nach Lukas stammen ihres Erachtens aus zwei Quellen: dem Markusevangelium und der Quelle Q,1 die wir nicht kennen, und einer eigenen Quelle. Es geht darum, dass Markus zuerst schrieb und dann Matthäus und Lukas dieses Evangelium zusammen mit den anderen Quellen als Vorlage für ihr Manuskript benutzten.
Als Auslegungsmethode bevorzugen die Verfasser die so genannte Redaktionskritik (S. 124–134), da diese von dem vorhandenen Text ausgeht und nach der Intention des jeweiligen Autors fragt. Damit gehen sie davon aus, dass die Schreiber als Theologen arbeiteten und nicht nur historische Daten mitteilten. Auch wenn sich die Autoren der Schwächen dieser Theorie bewusst sind, möchten sie doch ihre Stärken nutzen, um die Bibel zu erklären.2
Zweitens: In der Einleitung zu den Briefen des Neuen Testaments gehen Carson und Moo auf die Umwelt und die Zeitgeschichte ein. In den letzten Jahrzehnten kreisten die Diskussionen vorrangig um die Person des Apostels Paulus. Es geht um die Frage nach seiner Erziehung und Ausbildung: Wurde Paulus in Jerusalem und damit jüdisch ausgebildet oder in Tarsus und damit eher griechisch? Die unterschiedlichen Antworten bestimmen dann, wie Paulus das von ihm verkündete Evangelium verstanden hat. Es geht hier besonders um das Verhältnis des Apostels zum Judentum seiner Zeit. Die daraus entstandene so genannte Neue Paulusperspektive vertritt die Ansicht, dass die Reformatoren, die in Auseinandersetzung mit der Werkgerechtigkeit des römischen Katholizismus standen, den Juden einen entsprechenden Legalismus angedichtet und in die Schriften des Neuen Testamentes hineingelesen hätten. E.P. Sanders deutet den Bund Gottes mit Israel als das zentrale Heilsgeschehen. Es geht darum, dass Gott seinen Bund mit dem Volk schloss und die Gesetze die Grenze des Bundes markieren. Israel wurde nicht durch das Halten der Gesetze erlöst, sondern das Gesetz ist das Zeichen ihrer Erlösung. Das Volk bewies also sein Heil, indem es die Gebote hielt.
J. Dunn hat diese Idee aufgenommen und auf Paulus angewandt. N.T. Wright hat daraufhin den ganz großen Bogen der Heilsgeschichte in diesem Schema erklärt und kommt zu dem Ergebnis: Auch das Judentum zu den Zeiten des Paulus habe die Erlösung als Begnadigung verstanden, und die Rechtfertigung aus Glauben sei nicht die Errettung, sondern zeige die Zugehörigkeit zum Bund mit Gott.
Aber die Verfasser sind mit dieser Erklärung über das Judentum nicht einverstanden und bieten in aller Kürze eine Antwort auf die Thesen der so genannten „Neuen Paulusperspektive„. Sie zeigen, dass die Reformatoren eben doch nicht so falsch lagen, wie es von Sanders, Dunn und Wright ihnen vorgeworfen wird. Das Judentum ist komplexer, als es die „Neue Paulusperspektive“ skizziert.3
Die Einleitung in das Neue Testament ist somit mit einem traurigen Auge zu sehen. Es ist sehr zu bedauern und zu kritisieren, dass Carson und Moo Methoden der Historischen Kritik gutheißen. Andererseits ist ihre kurze Aufarbeitung über das gesamte Spektrum neutestamentlicher Wissenschaft und ihren neuen Herausforderungen gut dargestellt.
Carson, D.A.; Moo, D.J., Einleitung in das Neue Testament. Gießen [Brunnen Verlag 2010] Mit einem Geleitwort von R. Riesner. 69,95 €.
1) Sie wird postuliert, um die Zwei-Quellen-Theorie zu halten. Die meisten Forscher halten diese Quelle als gesichert. Man hat sie konstruiert und herausgegeben (z.B. Fleddermann, H.T., Q. – A. Reconstruction and Commentary. Leuven 2005.
2) Es kann keine breitere Diskussion an dieser Stelle erfolgen. Doch soll auf weitere Literatur verwiesen werden: Thomas, R.L., The Jesus Crisis: The inroads of Historical Criticism into Evangelical Fellowship; Grand Rapids: Kregel Publications. 1998. Sierszyn, A., Die Bibel im Griff?; Holzgerlingen [Hänssler] 1978. Siehe auch Veröffentlichungen von u.a. E. Linnemann, G. Maier.
3) Ihre ausführliche Antwort auf die Thesen der Neuen Paulusperspektive präsentieren Carson und Moo u.v.a. in: Carson, D.A., O’Brien, P., and Seifrid, M.A. (Hrsg.), Justification and Variegated Nomism. 2 Bände, Baker Academic, 2001 & 2004.