Christsein im Ausnahmezustand – (Teil 3) angesichts von staatlichen Übergriffen

Christsein im Ausnahmezustand – (Teil 3) angesichts von staatlichen Übergriffen

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Rückblick und Fragestellung

In der letzten Ausgabe der Bekennenden Kirche beschäftigten wir uns im Rahmen dieser Serie mit dem Thema Impfen: Wie sollen sich Christen angesichts der Aufforderung zum Impfen verhalten? Es ging dabei um die Frage, was das Gebot Gottes, das Leben zu schützen, und zwar sowohl das eigene als auch das des Nächsten, in Corona-Zeiten heißt.

Inzwischen ist die Geschichte weitergegangen. In Österreich hat der Gesetzgeber die allgemeine Impfpflicht eingeführt und wenig später angefangen darüber nachzudenken, ob es nicht doch sinnvoller sei, sie wieder auszusetzen. Das ist inzwischen wohl auch geschehen. In Deutschland gibt es bisher keine generelle Impfpflicht, sondern nur eine, die für bestimmte Berufsgruppen gilt, namentlich für Angestellte im Gesundheitswesen. Niemand weiß, wie die Entwicklung in unserem Land weitergeht, also ob hier bald eine allgemeine Impfpflicht gesetzlich angeordnet wird oder nicht.

Unstrittig aber ist, dass die im Dezember 2021 eingesetzte „Ampel“-Regierung ihre Absicht bekundete, sie wolle in Deutschland die Impfpflicht durchsetzen (eventuell noch mit Ausnahme von Kindern und Jugendlichen). Andererseits aber ist festzustellen, dass selbst für im Gesundheitswesen Tätige momentan Ausnahmen bei der Impfpflicht zugelassen werden.

Aber auch wenn es bis zum heutigen Tag in Deutschland keine allgemeine Impfpflicht gibt (und sie vielleicht auch gar nicht kommt), erfährt Tag für Tag jeder, der sich immer noch weigert, derartige Stoffe in sich hineinspritzen zu lassen, dass es immer schwieriger wird, sich dem massiven Druck durch Gesellschaft und Arbeitgeber zu widersetzen.

Hinzu kommt die Dauerberieselung aus den öffentlich-rechtlichen Medien über die bedrohlichen „Hospitalisierungswerte“, die überfüllten Intensivstationen in den Krankenhäusern und das überlastete Klinikpersonal. An dieser Situation seien die Ungeimpften Schuld, die „Covidioten“. (Dass in den letzten Jahren auf den Intensivstationen die Bettenanzahl reduziert wurde, erfährt man dagegen nur durch eigenes Nachforschen.[1])

Andererseits spricht es sich bei uns herum, dass mittlerweile Studien aus mehreren Ländern wie Amerika, England, Dänemark oder auch Afrika vorliegen, aus denen hervorgeht, dass die augenblicklich aktuelle „Omikron-Variante“ zwar ansteckend ist, aber für die allermeisten Menschen als eine harmlose, grippeähnliche Erkältungskrankheit verläuft.

Alle diese Androhungen und Einzelvorschriften haben Auswirkungen auf unsere Gottesdienste. Auch dazu nahmen wir bereits Stellung. Wir sahen: Aus der Heiligen Schrift geht hervor, dass es die Leitung der Gemeinde ist, die festlegt, was in den Gemeindeveranstaltungen geschieht und wie die Gottesdienste ablaufen. Es sind die Ältesten, die über eure Seelen wachen (Hebr. 13,17).

Selbstverständlich werden sich die Gemeindeältesten bei Entscheidungen in umstrittenen Fragen beraten lassen. Bei medizinischen Fragen werden sie sich an (christliche) Ärzte wenden. Sofern gewährleistet ist, dass diese Ärzte ihre Urteile als Sachverständige abgeben, und nicht als von der Pharmalobby Gekaufte, werden ihnen die Verantwortlichen der Gemeinde aufmerksam zuhören.

Aber sich beraten zu lassen ist etwas anderes, als sich als Befehlsempfänger von – nichtzuständigen – staatlichen Institutionen zu begreifen. Das Wort Gottes zeigt, dass es hinsichtlich der Frage, ob Gemeindeleiter ihr Amt in rechter Weise ausüben oder nicht, entscheidend ist, ob sie ihr Aufseheramt in Verantwortung vor Gott verrichten oder ob sie sich von anderem bestimmen lassen (1Tim. 5,17–25). Im Übrigen, so erkannten wir, wird man ein verantwortliches Hirtesein über kurz oder lang auch daran bemessen können, ob sich die ihnen anvertraute „Herde“, also die Gemeinde, zerstreut oder ob sie zusammenbleibt.

Kurzum: Wenn staatliche Behörden durch Übergriffe auf die Gemeinde diese (zer)stören, indem sie Präsenzgottesdienste verbieten oder Singverbote aussprechen, müssen derartige Einmischungen von einer verantwortlichen Gemeindeleitung zurückgewiesen werden.

Natürlich ist es möglich, dazu auch Artikel 4 unseres Grundgesetzes zur Kenntnis zu nehmen: [1] Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. [2] Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. Was aber ist, wenn dieses Grundrecht, das nur wenige Jahre nach dem Untergang des ersten totalitären Regimes auf deutschem Boden formuliert worden war, so interpretiert wird, als sei dies eine staatliche Gunsterweisung? Was ist, wenn Behörden von den christlichen Gemeinden erwarten, dass sie sich bei ihnen noch dafür bedanken, dass ihnen – halbwegs – die Möglichkeit für das Feiern von Gottesdiensten eingeräumt wird? In diesem Fall müssen die christlichen Kirchen mit Nachdruck auf die Grenzen verweisen, die Gott den weltlichen Gewalten gesetzt hat.

Damit kommen wir zu der Frage, um die es im Folgenden gehen soll: Sind Christen nicht verpflichtet, sich der Obrigkeit zu fügen, wenn diese eine allgemeine Impfpflicht anordnet und gleich hinzufügt, im Anschluss an die „Grundimpfung“ benötige man eine alle drei [?] Monate zu verabreichende „Auffrischung“? Immerhin gebiete doch die Heilige Schrift, der Obrigkeit untertan zu sein: Jedermann ordne sich den Obrigkeiten unter, die über ihn gesetzt sind (Röm. 13,1). Geht aus dieser apostolischen Anweisung nicht unzweideutig hervor, dass ein Christ den obrigkeitlichen Verordnungen zu gehorchen habe? Da sich entsprechende Unterordnungsgebote mehrfach in der Heiligen Schrift finden (Spr. 24,21; Tit. 3,1; 1Petr. 2,13–17, vergleiche auch 2Mos. 22,27; Apg. 23,3–5), kann man dieses Gebot nicht situativ, also auf die besonderen Umstände im damaligen Rom einschränken.[2]

Der vom Geist Gottes inspirierte Apostel gibt in Römer 13 nicht nur die Anweisung, der Obrigkeit untertan zu sein, sondern er führt auch Gründe dafür an.

Zum einen verweist er auf die Herkunft der Obrigkeit: Der Obrigkeit untertan zu sein, ist deswegen geboten, weil jede Regierung von Gott stammt. Die weltliche Gewalt ist eine Verordnung Gottes. Darum lautet die Schlussfolgerung des Apostels: Wer sich der Obrigkeit widersetzt, widersteht der Verordnung Gottes (Röm. 13,2).

Zum zweiten begründet Paulus dieses Gebot mit dem Zweck der Obrigkeit. Als eine von Gott eingesetzte Institution sind die Regierenden zu fürchten nicht wegen guter Werke, sondern wegen böser. Folglich hat man den Regierenden zu gehorchen, und zwar nicht nur wegen der Bestrafung, sondern auch um des Gewissens willen (Röm. 13,3–5). Auch das Steuerzahlen leitet der Apostel von dem Wozu ab, also mit welcher Absicht die Obrigkeit eingesetzt worden ist, nämlich um beständig für das Gemeinwesen tätig zu sein (Röm. 13,6).

Muss man aus diesen Aussagen nicht folgern, dass der Christ ohne Wenn und Aber der Obrigkeit zu gehorchen hat?

Wenn man die Frage so stellt, wird einem gewöhnlich erwidert, dass der Obrigkeit auch Schranken gesetzt sind. Dazu verweist man auf Aussagen in der Apostelgeschichte (4,19; 5,29). Dort wird gesagt, man habe Gott mehr zu gehorchen als den Menschen.

Aber geben uns diese beiden Bibelstellen wirklich eine zufriedenstellende Antwort auf die Frage, nach unserem Verhalten zur Impfung bzw. zur Impfpflicht? Fällt dieser Gesundheits-Bereich eigentlich unter die Ausnahmeklausel? Bei den Aussagen in der Apostelgeschichte geht es doch darum, dass die jüdischen Behörden eine weitere Verkündigung des Evangeliums untersagten. Das aber, so lautet der Einwand, habe die Obrigkeit doch gar nicht verfügt. Selbst im Fall, dass die Behörden ein physisches Zusammenkommen zu Gottesdiensten untersagt hätten, sei es doch gegenwärtig möglich, an Gottesdiensten virtuell teilzunehmen und Predigten aus dem Internet herunterzuladen. Folglich sagt man: Weil es bei der Impfthematik nicht um die Verkündigung des Evangeliums geht, sondern um eine medizinische Frage, habe man kein Recht, sich auf die von dem Apostel Petrus angeführten Ausnahmeklauseln zu berufen.

Dem wird man entgegenhalten können, dass die Heilige Schrift auch in den Fällen positiv über Ungehorsam gegenüber der Obrigkeit spricht, in denen es sich nicht um ein Verbot handelt, das Wort Gottes zu verkündigen. Man denke zum Beispiel an die Hebammen, die es ablehnten, an der Ermordung der männlichen Kinder Israels mitzuwirken (2Mos. 1,15–22). Ihre Weigerung geschah aus Gottesfurcht (2Mos. 1,21). Auch kann man sich die Eltern von Mose vor Augen führen, die entgegen der Anordnung des Pharao ihren Sohn nicht umbrachten, sondern versteckten (2Mos. 2,1–4; Hebr. 11,23).

Diese Bibelstellen sind zweifellos als Kurzantwort auf unsere Frage hilfreich. Vermutlich aber ist es sinnvoller, einmal etwas gründlicher auf Römer 13 einzugehen. Angesichts dessen, dass es auf deutschem Boden im vergangenen Jahrhundert zwei Diktaturen gab und die Christen dabei immer mit Römer 13 rangen, mag es hilfreich sein, sich zunächst einmal in Form eines historischen Rückblicks darüber Klarheit zu verschaffen, wie Römer 13 ausgelegt wurde und was jeweils die Stolperfallen im Verständnis dieses Abschnitts waren.

Es soll im Folgenden also darum gehen, dass wir uns einen Überblick verschaffen, um eine Antwort auf die Frage zu erhalten: Wie hat man in den vergangenen Jahrhunderten, seit der Epoche des Absolutismus, Römer 13 ausgelegt? Was ist an den jeweiligen Auslegungen zu kritisieren bzw. welche Aspekte von Römer 13,1–7 wurden nicht oder zu wenig beachtet?

Die Zeit des Absolutismus fällt geistesgeschichtlich mit der sogenannten Aufklärung zusammen. Die dort aufgekommene Denkhaltung hat bekanntlich Auswirkungen bis auf den heutigen Tag.

In einer Fortsetzung soll dann später untersucht werden, wie in der Frühen Kirche, im Mittelalter und in der Reformationszeit Römer 13,1–7 verstanden wurde. Wir werden dann sehen: Abgesehen von wenigen Ausnahmen hat in den ersten anderthalb Jahrtausenden nie jemand behauptet, man habe der Obrigkeit unbedingten Gehorsam zu leisten. Stets legte man den Finger auch auf die von Gott gesetzten Begrenzungen der Obrigkeit. Im Vergleich dazu tat man sich in den letzten vier Jahrhunderten schwer, die weltliche Gewalt auf die ihr von Gott verfügten Schranken hinzuweisen.

Ein historischer Rückblick kostet Anstrengung. Es erscheint manchmal sogar eine Zumutung zu sein. Aber was wäre, wenn man endlich einmal bereit wäre, aus der Geschichte für die Gegenwart zu lernen? Würde sich eine solche Mühe dann nicht lohnen? Außerdem kann man auf diese Weise eine Ahnung davon bekommen, dass die Achse, um die sich die Kirchengeschichte dreht, ja die ganze Weltgeschichte, das Wort Gottes ist. Schließlich kann es ja auch nicht immer nur darum gehen, angesichts von staatlichen Übergriffen über die Regierenden zu klagen oder die Aushebelung des Rechts im Nachhinein zu bedauern oder anzuprangern.

Vielmehr sollten Christen versuchen, ein Raster für die Beantwortung der Frage zu finden: Was heißt das Gebot, der Obrigkeit untertan zu sein, für uns und unser Verhalten gegenüber der Obrigkeit, und was ist der von Gott gegebene Bezugsrahmen, in denen Politiker ihre Aufgabe erfüllen und ihre Entscheidungen treffen sollen?

5. Römer 13 in der Auslegung der Neuzeit

Wir erwähnten bereits, dass sich Christen in den vergangenen 400 Jahren schwer damit taten, die weltliche Gewalt auf den ihr von Gott gegebenen Auftrag hinzuweisen und ihr die Grenzen aufzuzeigen sodass gegebenenfalls Ungehorsam geboten ist. Aber es gab auch Ausnahmen. Es gab immer wieder Theologen, die darauf bestanden, dass in Römer 13,1–7 nicht ein uneingeschränktes Gehorsamsgebot verordnet ist. Führen wir uns zunächst die Auslegung eines solchen Mannes vor Augen. Beginnen wir mit den Überlegungen Dietrich Bonhoeffers, der gegen Ende des nationalsozialistischen Regimes umgebracht wurde.

5.1. Römer 13: Die Obrigkeit, zur Handhabung des Rechts aufgerufen – Dietrich Bonhoeffer

Dietrich Bonhoeffer gehörte von Anfang der nationalsozialistischen Herrschaft an zur „Bekennenden Kirche“. Als dieser Zusammenschluss Ende der dreißiger und Anfang der vierziger Jahre zerfiel, wurde Bonhoeffer zunehmend politisch aktiv. Er beteiligte sich an Widerstandshandlungen gegen das Hitler-Regime. Während dieser Jahre dachte er viel über Römer 13 nach. Er betonte zwei Aspekte.

Zum einen wies er darauf hin, dass in diesem Abschnitt nicht über die Obrigkeit im Sinn einer Idee gesprochen werde. Vielmehr, so Bonhoeffer, hat Paulus hier eine real vorhandene Regierung im Blick: Paulus spricht hier von Obrigkeiten, die da sind (Röm. 13,1). Eine solche bestehende Obrigkeit ist unabhängig von ihrem irdischen Entstehen „in ihrem Sein“ eine Ordnung Gottes. Aufgrund dieses ihres Seins kommt ihr göttliche Würde zu. Das heißt: Auch dann wenn eine Obrigkeit unrechtmäßig handelt, sich also ethisch anfechtbar macht, stammt ihre Macht von Gott.

Zum anderen aber, und das fügt Bonhoeffer unverzüglich hinzu, weil es der Apostel Paulus ebenfalls einflicht, darf die Obrigkeit nicht von dem Auftrag, den sie von Gott empfangen hat, abgelöst werden: „Das Sein der Obrigkeit ist verbunden mit einem göttlichen Auftrag.“[3] Mit anderen Worten: Das Sein der Obrigkeit erfüllt sich in der Erledigung des ihr von Gott gegebenen Auftrags. Denn, so Bonhoeffer, es ist Gott selbst, der Ansprüche an die Obrigkeit stellt.

Diese bestehen darin, dass sie mit ihrer Ausübung der weltlichen Schwert- und Gerichtsgewalt der Herrschaft Christi auf Erden einen Dienst erweist. Die Obrigkeit dient dadurch Christus, dass sie mithilfe des ihr an Gottes statt verliehenen Schwertes eine äußere Gerechtigkeit herstellt und wahrt. Das Gute (Röm. 13,3), zu dessen Durchsetzung Gott die Obrigkeit eingesetzt hat, darf nicht außerhalb von Christus verstanden werden. Jedenfalls kann dieses Gute nicht im Widerspruch zu Jesus Christus stehen. Das Gute besteht darin, dass in jedem Handeln der Obrigkeit dem letzten Ziel, nämlich dem Dienst an Jesus Christus, Raum gelassen wird. Beim Auftreten der Obrigkeit geht es nicht um ein „christliches Handeln“, sondern um ein Handeln, das Jesus Christus nicht ausschließt. Zu einem solchen Handeln gelangt die Obrigkeit, wenn sie den Inhalt der zweiten Tafel der Zehn Gebote in den jeweiligen geschichtlichen Situationen und Entscheidungen zum Maßstab nimmt.

Bonhoeffer fragt weiter: Woher aber kennt die Obrigkeit diese Inhalte? Seine Antwort lautet: heute aus der Predigt der Kirche. Für die damalige heidnische Obrigkeit aber galt, dass eine durch Gottes Vorsehung gewirkte Übereinstimmung zwischen der zweiten Tafel der Gebote und dem dem geschichtlichen Leben innewohnenden Gesetz bestand.

Die Nichtbeachtung der zweiten Tafel zerstört das Leben, das die Obrigkeit erhalten soll. Der Auftrag der Obrigkeit besteht somit in der Herstellung einer „äußeren Gerechtigkeit“, „in der das Leben erhalten und so für Christus offengehalten wird“.[4]

Gleich darauf fügt Bonhoeffer hinzu: Auch die erste Tafel des Gesetzes, also „die Entscheidung für den Gott und Vater Jesu Christi“ gehört zur Bestimmung aller Menschen, also auch der obrigkeitlichen Personen. Damit gehört auch „das Lob und der Schutz der Frommen“ zu ihrem Auftrag.[5]

Dieser Auftrag Gottes an die Obrigkeit, so Bonhoeffer, bindet das Gewissen des Menschen (Röm. 13,5). Der Christ gehorcht der Obrigkeit um des Herrn willen (1Petr: 2,13): „Glauben, Gewissen und leibliches Leben sind im Gehorsam gegen den göttlichen Auftrag der Obrigkeit gebunden.“[6] Dieses Gebundensein heißt auch, dass einem Christen in Zweifelsfällen der Gehorsam gegenüber der Obrigkeit geboten ist, zumal nicht der einzelne Christ die obrigkeitliche Verantwortung trägt.

Wenn aber die Obrigkeit an irgendeiner Stelle ihrem Auftrag eindeutig nicht nachkommt, zum Beispiel, indem sie sich zum Herrn über den Glauben der Gemeinde erhebt, so ist ihr an dieser Stelle der Gehorsam um des Herrn willen, oder wie Paulus formuliert, um des Gewissens willen zu verweigern. Es ist aber nicht erlaubt, aus diesem obrigkeitlichen Verstoß verallgemeinernd zu folgern, dass diese Obrigkeit auch in anderen oder gar in allen anderen Forderungen keinen Anspruch auf Gehorsam mehr hat. Es wäre also nicht zulässig, einer Obrigkeit, die die Kirche verfolgt, die Steuern zu verweigern.[7]

Im Fall aber, dass die Obrigkeit „apokalyptisch“ auftritt und sich entsprechend gebärdet, würde sich die Antwort auf die Frage nach dem Gehorsam gegenüber der Obrigkeit im Blick auf ihre staatlichen Funktionen, wie Steuerzahlungen, Eid, Kriegsdienst grundlegend ändern. Diese Feststellung heißt aber auch: Solange Christen der Obrigkeit untertan sind, ist dies immer ein Hinweis darauf, dass die betreffende Obrigkeit noch nicht „apokalyptisch“ ist. Wenn die Obrigkeit „apokalyptisch“ auftritt, heißt das uneingeschränkten Ungehorsam. Denn in einer solchen Situation käme jeder einzelne Akt des Gehorsams einer Verleugnung Christi gleich.[8] Solange dies aber nicht der Fall ist, steht die Obrigkeit unter dem Auftrag Gottes, die Welt mit ihren von Gott gegebenen Ordnungen auf Christus hin zu erhalten.[9]

Die Obrigkeit steht, so Bonhoeffer, gegenüber der Kirche auch in der Verantwortung, die Frommen zu schützen, ja zu loben, das heißt die Pflege der Religion zu unterstützen.[10] Umgekehrt hat die Kirche der Obrigkeit Gehorsam und Ehrerbietung zu erweisen. Aber über die Leitung der Kirche hat die Obrigkeit keine Gewalt.[11]

Das heißt: In den Jahren tiefgreifender Konfrontation zwischen den Christen, die sich zur „Bekennenden Kirche“ zählten und dem nationalsozialistischen Regime betonte Bonhoeffer, Römer 13 lehre nicht nur, dass jede Obrigkeit von Gott stammt, sondern er legte seinen Finger auch darauf, dass dieser Abschnitt keinen Zweifel darüber lasse, dass man die Obrigkeit nicht von ihrem von Gott gegebenen Auftrag abkoppeln darf.

Im Prinzip hat der Christ jeglicher Obrigkeit untertan zu sein. Wenn die Obrigkeit gegen ihren göttlichen Auftrag verstößt, ist zwar die Grenze des Gehorsams für den Christen erreicht, sodass dann Ungehorsam geboten ist. Aber dieser Ungehorsam darf, so Bonhoeffer, nicht generalisiert werden. Er muss immer auf den jeweiligen Einzelfall bezogen bleiben. Obwohl eine Obrigkeit niemals von dem ihr von Gott gegebenen Auftrag abtrennbar ist – denn niemals steht eine Obrigkeit über dem Recht Gottes, sie steht niemals außerhalb der Gebote Gottes –, ist die Grundhaltung des Untertanseins auch bei einer gegen Gott und Christus eingestellten Obrigkeit zu beachten. Erst in dem Fall, dass die Obrigkeit völlig unter die Herrschaft des Teufels gekommen („diabolisiert“) ist, ist ihr gegenüber ein umfassender Ungehorsam geboten.

5.2. Römer 13: Die Obrigkeit in ihrem Verhältnis zum Recht – eine Vorüberlegung

In einem späteren Artikel soll aufgezeigt werden, dass die Überzeugung Bonhoeffers im Kern während der ersten anderthalb Jahrtausende der Kirchengeschichte eine Selbstverständlichkeit war. Erst ansatzweise in der Zeit der Renaissance und dann in der Epoche des Absolutismus veränderte sich diese Einstellung.

Weil man diese gravierende Wandlung im Denken über die Obrigkeit kaum verstehen kann, ohne dass man diesen Umbruch nicht wenigstens grob im Horizont der Geistesgeschichte begreift, stellen wir zunächst die Frage, was sich in der Geschichte des abendländischen Denkens verändert hatte. Diese geistige Umwälzung wird mit den Ausdrücken „Realismus“ und „Nominalismus“ bezeichnet. Da diese Begrifflichkeiten heutzutage leicht falsch oder gar nicht verstanden werden, seien sie zunächst anhand eines banalen Beispiels erklärt.

Nehmen wir an, meine Frau und ich sitzen vor unserem Haus und trinken aus dafür bestimmten Gläsern einen guten Wein. Irgendwann kommt ein Nachbar vorbei. Er setzt sich zu uns und zündet sich eine Zigarette an. Da wir in unserem Haus keinen Aschenbecher zur Verfügung haben, aber auf dem Tisch noch ein paar leere Weingläser stehen, nimmt er eines dieser Weingläser, um die Asche seiner Zigarette darin zu deponieren. Dann kommt mein Sohn vorbei, und als er eine krabbelnde Wespe auf dem Tisch erblickt, nimmt er kurzerhand ein weiteres Weinglas und stülpt es über das Insekt, sodass es unter dem Weinglas gefangen ist.

In der Neuzeit, die durch den Nominalismus geprägt ist, würde man sagen: Weil das Weinglas als Aschenbecher verwendet wurde, kann man es auch – phänomenologisch – als Aschenbecher bezeichnen. Denn dafür war es dem Nachbarn „zuhanden“. In der Postmoderne, in der sich ohnehin die Gegenstände durch die jeweilige Verwendung definieren, wird kaum jemand bestreiten, dass infolge des Gebrauchs das Weinglas ein Aschenbecher bzw. eine Wespenfalle ist.

Bis hinein in das 15. Jahrhundert war dem Abendland eine solche Denkweise im Großen und Ganzen fremd. Bis zu dieser Zeit hätte man erklärt: Auch wenn man ein Weinglas als Aschenbecher verwendet, ist es nicht ein Aschenbecher, sondern es bleibt ein Weinglas. Es wird lediglich als Aschenbecher missbraucht, denn die Verwendung als Aschenbecher entspricht nicht dem, wozu das Weinglas gemacht worden ist.

Mit anderen Worten: Natürlich war auch früher jedem klar, dass man ein Weinglas entgegen seiner Bestimmung verwenden kann. Aber dann hätte man gesagt, dies sei eine nicht wahrhaftige Verwendung. Denn ein Weinglas, das als Aschenbecher verwendet wird, entspricht nicht der „Idee“, wozu es geschaffen worden ist. Diese Auffassung hieß „Realismus“. Demgegenüber wird die neuzeitliche Sichtweise als „Nominalismus“ bezeichnet, weil man das Weinglas als Aschenbecher „benannt“ hat.

Entsprechend veränderte sich der Blick auf die Obrigkeit. Bei den Christen der ersten anderthalb Jahrtausende war klar, dass die Obrigkeit zu einem bestimmten Zweck da ist: Alle Menschen, also auch die Regierenden stehen unter Gott und sind seinem Recht und seinen Ordnungen verpflichtet.

Dass ausnahmslos jeder gegenüber Gott verantwortlich ist, ist ja auch die Grundlage dafür, dass Gott jeden Menschen richten kann. Es war die Voraussetzung, warum Gott die Menschen in der Sintflut untergehen ließ (1Mos. 6–8). Gott ließ deswegen auf Sodom und Gomorra Feuer und Schwefel regnen, weil die Bewohner gegen seine Ordnungen verstoßen hatten (1Mos. 19). Gott hätte nicht am Pharao Gericht üben dürfen, wenn nicht auch dieser Machthaber unter Gott gestanden und er die ihm von Gott gegebene Macht missbraucht hätte (2Mos. 5–12). Die alttestamentlichen Propheten richten sich kapitellang auch an heidnische Völker und Obrigkeiten (zum Beispiel Jes. 13–24; Hes. 25–32; Am. 1; Jon. 3.).

Auch die Grundlage für die Mission der Apostel an die Heidenvölker ist, dass Gott ihnen – nach einer langen Zeit der Geduld (also nicht, weil sie bis dahin ein Recht zum Ungehorsam gegenüber Gott gehabt hatten) – nun befiehlt, sich von ihren Götzenbildern abzuwenden und sich zu Gott zu bekehren (Apg. 14,15–17; Röm. 1,18–32; 10,18). Paulus spricht in diesem Zusammenhang sogar davon, dass den Heiden das Gesetz Gottes in die Herzen geschrieben worden ist (Röm. 2,14.15).

Für die Propheten des Alten Bundes, für die Schreiber des Neuen Testamentes und auch für die Christen der ersten anderthalb Jahrtausende war es unstrittig, dass Herrscher und obrigkeitliche Machthaber, wenn sie sich nicht unter Gott und sein Gesetz stellen, unter die Herrschaft von Dämonen geraten und von den jeweiligen Religionen und Ideologien bestimmt sind. Dann aber verfehlen sie ihren von Gott gegebenen Auftrag.

Da nun aber die Obrigkeiten niemals völlig aus den Gegebenheiten der Schöpfung Gottes aussteigen können, halten sie sich bei ihren Aufgaben immer noch intuitiv irgendwie an die damit gegebenen Ordnungen. Aber zur Mission, zu der Christen berufen sind, gehört, dass sie die Obrigkeiten dazu aufrufen, sich unter das Recht und die Gebote des einzig wahren Gottes zu stellen, sodass die Regierenden in der Erfüllung ihres Aufgabenbereiches dem Zweck entsprechen, zu dem sie von Gott eingesetzt worden sind.

5.3. Römer 13 in der Frühen Neuzeit (17. und 18. Jahrhundert)

5.3.1. Die Obrigkeit: Vom Recht abgekoppelt – Absolutismus

Genau diese Einstellung änderte sich in der Neuzeit. Geistesgeschichtlich kam der Nominalismus Ende des 13. Jahrhunderts auf. Er ebnete den Weg in die Renaissance. Aber bis sich diese Denkweise in der Politik durchgesetzt hatte, dauerte es eine Weile. Dies vollzog sich dann mit dem Aufkommen des Absolutismus. Der Begriff „Absolutismus“ ist eine Verdichtung von vier lateinischen Worten: ab legibus solutus est. Diese vier Worte bedeuten, dass ein Herrscher regiert, ohne an ein über ihm stehendes [göttliches] Recht gebunden zu sein. Er regiert vom Recht „abgelöst“. Er erschafft das Recht selbst.

Greifbar ist diese Einstellung bei dem englischen Juristen William Barclay (1582–1621). Er verfasste um das Jahr 1600 ein umfangreiches Werk, in dem er argumentierte, König Jakob (James) I. von Schottland sei und bleibe trotz seines ungerechten, willkürlichen Verhaltens der rechtmäßige König. Seine Begründung verlief folgendermaßen: Nicht die Rechtschaffenheit (probitas) und auch nicht die Gerechtigkeit (justitia) sind das charakteristische Merkmal einer Obrigkeit. Die Frage, ob jemand rechtmäßige Obrigkeit ist, entscheidet sich allein [!] an der Abstammung. Folglich kann man allein in der Erbmonarchie die Frage eindeutig entscheiden, ob jemand auf dem Thron zu Recht sitzt oder nicht. Man dürfe ungerechten Herrschern genauso wenig den Gehorsam verweigern, wie Eltern aufhören, Eltern zu sein, nur weil sie sich gegenüber ihren Kindern schlecht verhalten. Diese Gedankenführung untermauerte Barclay mit Römer 13,1; 1.Petrus 2,13; Epheser 6,5 und 1.Timotheus 6,1.[12]

Große Teile der schottischen Puritaner widersprachen der Argumentation Barclays heftig. Wir gehen jetzt nicht auf ihre Argumentation ein, darüber später. Hier stellen wir lediglich fest: Ihre Ablehnung der absolutistischen Argumentation Barclays führte dazu, dass sich im angelsächsischen Raum ein allein aus der Abstammung ergebendes „Gottesgnadentum“ nicht durchsetzen konnte. Spätestens seit der Glorious Revolution (1688/1689) war es mit einer solchen Auffassung über die Monarchie vorbei. Die puritanischen Christen waren nicht bereit, die Frage auszublenden, wozu eine weltliche Gewalt eingesetzt ist. Dies hatte seine Auswirkungen auch auf das Denken der Christen in Nordamerika.

Demgegenüber breitete sich auf dem europäischen Kontinent die nominalistische Denkweise im Blick auf die Obrigkeit aus: Wer im Palast auf dem Thron sitzt oder im Parlament auftritt, ist Obrigkeit, wie auch immer er sich verhält.

5.3.2. Die Obrigkeit: Zwischen Gottesgnadentum und menschengemachtem Recht

Der Absolutismus fiel zeitlich mit der Aufklärung zusammen. In dieser Zeit war der christliche Glaube noch immer ein maßgeblicher Faktor in der Öffentlichkeit. Aus diesem Grund erschien es nicht wenigen als zweckdienlich, dass man die Erbmonarchie als „Gottesgnadentum“ auch mit Bibelstellen wie Römer 13,1.2 untermauerte. Tatsächlich wurde in dieser Zeit sogar häufig über Römer 13 gepredigt.

In der Regel hörte man dann, dass die Unterordnung unter die Obrigkeit eine so hohe moralische Tugend darstelle, dass auch nur der Gedanke an Illoyalität, Ungehorsam oder gar Widerstand den Makel unbedingter moralischer Verworfenheit an sich trage.[13] Spätestens seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges (1648) lassen sich solche Gedankenführungen auch in Deutschland antreffen.

Hinzu kam, dass im Zuge der Reformation der weltlichen Gewalt die Oberhoheit über die Kirche zugewachsen war. Im 16. Jahrhundert war diese Stellung – notgedrungen – dazu gedacht, dass die jeweiligen Landesherren zu Schutzherren der evangelischen Kirche erklärt wurden. Aber nach dem Westfälischen Frieden (1648) erhoben sich diese Herrschaften immer dreister zu Schutzherren.

Die evangelischen Landeskirchen beugten sich unter dieses System. Folglich war ein Gegenüber von Kirche und Staat nicht mehr gegeben. Eher ist das Gegenteil zu beobachten: Die enge Verbindung zwischen weltlicher und kirchlicher Gewalt führte dazu, dass nun die Aussage in Römer 13, nach der jeglicher Widerstand gegen die Obrigkeit Widerstand gegen Gott ist, einen ganz besonderen Tonfall erhielt. Der normale Untertan trennte in seinem Alltag kaum mehr wirklich zwischen seinem Landesherrn und Gott. Eine solche Auffassung über das Untertansein entsprach der Auffassung des aufkommenden Pietismus.

Selbstverständlich gab es Prediger, die sich allzu dreisten Übergriffen ihrer Landesfürsten entgegenstellten.[14] Der Württembergische Pastor Philipp Friedrich Hiller (1699–1769) dichtete in dieser Zeit das wunderschöne Lied „Jesus Christus herrscht als König“. In einer der Liedstrophen heißt es: „Trachten irdische Monarchen, dieses Herdlein anzuschnarchen, o mein Hirte lacht dazu; er lässt diese kleinen Großen sich die Köpfe blutig stoßen und den Schafen gibt er Ruh.“ Aber bezeichnenderweise strichen die jeweils verantwortlichen Kirchenausschüsse ausgerechnet diese Strophe, sodass sie in kein einziges deutsches Kirchengesangbuch Aufnahme fand.

Manche Prediger gaben sich auch redlich Mühe, durch Abfassung von „Fürstenspiegeln“ die Moral ihrer „Landesväter“ in eine gute Richtung zu lenken.[15] Aber schlussendlich bestimmte der Fürst, was in Staat und Kirche Recht ist und was nicht. Im Fall, dass ihm irgendetwas nicht passte – häufig gab es Konflikte zwischen seiner gelebten Sexual- und Ehemoral und dem, was der Kirchenlehre entsprach – kuschten die Kirchenoberen.

Vielfach verhielt es sich nicht nur so, dass man von den Kanzeln die politischen Maßnahmen ihrer „allerdurchlauchtigsten“ Landesfürsten beweihräucherte, sondern die Kirche biederte sich ihren Obrigkeiten geradezu an: Mit Hinweis auf Römer 13 verlief ihre Argumentation folgendermaßen: Indem wir Pastoren dem Volk den Abschnitt Römer 13,1–7 predigen, leisten wir für die Herrschaftsstabilität der Landesfürsten einen unverzichtbaren Dienst. Denn auf diese Weise produzieren wir wünschenswerte Untertanen, sodass der Fürst unangefochten regieren kann.

Römer 13,1–7 war damit zu einem Einfallstor dafür geworden, dass man das Wort Gottes nicht mehr von seiner ewigen Heilswahrheit her begründete, sondern von seiner weltlichen Nützlichkeit. War es verwunderlich, dass ein solches durch den Absolutismus eingefärbtes Christentum keinerlei Widerstand leistete, als sich, bedingt durch die Ideen der Aufklärung, die Heilserwartungen der Menschen immer mehr weg vom Ewigen auf diesseitige Sehnsüchte verlagerten?

Aber auch wenn Römer 13 in diesem Sinn einen Einfluss hatte, es waren nicht mehr die Theologen, sondern es wurden immer mehr die Philosophen, die die geistige Luftherrschaft im Volk beanspruchten. Von daher wurde das Gebot, der Obrigkeit untertan zu sein, nicht mehr eigentlich aus der Heiligen Schrift abgeleitet, sondern es wurde mit der Vernunft begründet.

Als Illustration kann hier der in Preußen wirkende Christian [von] Wolff (1679–1754) dienen.[16] Für diesen Philosophen hatte die Obrigkeit den Zweck, jedem Untertanen das Streben nach seiner persönlichen Vollkommenheit zu ermöglichen: Oft verstehe der einzelne Untertan gar nicht selbst, was zu seinem eigenen Besten dient. Auch fehle ihm jeglicher Verstand dafür, was für das Gemeinwohl tauglich ist. Deswegen sei es für den Untertanen ein wahres Glück, das zu befolgen, was die Obrigkeit „für gut befindet“.[17] Wolff schränkte dies dann allerdings insofern ein, als die Obrigkeit nicht gegen das „natürliche Gesetz“ verstoßen dürfe. In diesem Fall wäre Ungehorsam gegen sie statthaft.[18] Aber auch diese Einschränkung sei letztlich für die Obrigkeit von Vorteil, denn es sei auf die Dauer für sie nützlicher, zufriedene Untertanen zu haben als unzufriedene.[19]

Es ist deutlich, dass Wolff für seine Gedankenführung Römer 13,1–7 nicht mehr benötigte. Für den preußischen Philosophen war die christliche Religion lediglich noch insofern von Nutzen, „woferne man daselbst Zucht und Gerechtigkeit will befördert wissen“.[20] Mit anderen Worten: Das Christentum legitimierte sich nicht mehr durch seine transzendente, von Gott geoffenbarte Wahrheit, sondern durch seine sozialen Nützlichkeit. Römer 13 diente lediglich noch dazu, den Menschen ihr Untertansein schmackhaft(er) zu machen.

Dass für viele Menschen in Preußen nicht die Philosophie Wolffs alltagsbestimmend war, sondern nach wie vor die Lehre und die Ethik der Bibel, hieß für Wolff: Weil die „christliche Religion“ die Unsterblichkeit, verbunden mit Lohn und Strafe verkündet, dient sie in besonders vortrefflicher Weise dem Obrigkeits- bzw. Staatszweck.

Kurzum: Die Philosophen der Aufklärung verzichteten nicht auf das Zitieren von Bibelstellen. Aber für die biblische Lehre insgesamt und Römer 13 im Besonderen diente ihnen dieser Abschnitt als ein parfümiertes Feigenblatt, hinter dem sie ihr eigenes Denksystem verstecken konnten. Sie verwendeten die Lehre der Bibel insoweit, als sie für ihre eigene Weltsicht zweckdienlich erschien. Im Vergleich zu dem, was die Heilige Schrift in ihrer Gesamtheit lehrt und auch Römer 13,1–7 im Besonderen, war diese Instrumentalisierung bestenfalls ein Nachhall.

Schließlich war es J.J. Rousseau, der jegliche Beziehung zwischen der weltlichen Gewalt und Gott kategorisch kappte. Für den in Genf gebürtigen Philosophen war die Obrigkeit bzw. der Staat nicht in einem Gottesgnadentum verankert, sondern in einem von Menschen offen aushandelbaren und zu vereinbarenden „Gesellschaftsvertrag“. Sein politisches Hauptwerk Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des politischen Rechtes (Du contrat social ou Principes du droit politique, 1762) beginnt mit dem Satz: „Der Mensch ist frei geboren (L’homme est né libre)“.

Während „Freiheit“ im Wort Gottes immer meint, dass der Mensch das tun darf, wozu er von Gott geschaffen und bestimmt ist, wollte Rousseau „Freiheit“ als Unabhängigkeit von Gott verstanden wissen: „Das Christentum predigt nur Knechtschaft und Unterwürfigkeit. […] Die aufrichtigen Christen sind dazu geschaffen, Sklaven zu sein.“

Mit Rousseaus Botschaft waren die Pforten aufgestoßen, die wenige Jahrzehnte später zur Französischen Revolution führten. Im November des Jahres 1793 beschloss der Pariser Nationalkonvent (das Parlament) per demokratischem Mehrheitsbeschluss, Gott abzusetzen. Zwar machte man am 8. Mai 1794 durch die Anerkennung eines „höchsten Wesens“ diesen Beschluss wieder rückgängig, aber von nun an war es der selbstherrliche, emanzipierte Mensch, der sich kraft seines eingebildeten Erkenntnisvermögens die Entscheidung darüber vorbehält, ob Gott existiert oder nicht und ob und inwieweit es dem Menschen beliebt, ihn anzuerkennen oder nicht. Dass die Könige durch die Weisheit Gottes regieren und auf diese Weise die Gesetzgeber gerechte Entscheidungen fällen (Spr. 8,15.16), war abgeschafft.

Ziehen wir im Blick auf Römer 13 Bilanz: In der Epoche des Absolutismus wurde Römer 13 als Instrument zur Disziplinierung der Untertanen verwendet. Nicht selten fungierte die Kirche als Beweihräucherer der landesfürstlichen, diesseitigen (Heils)vorstellungen. Da man die Herrschaft der Landesfürsten nicht mehr anhand der Frage beurteilte, ob die Regierenden in der Ausübung ihres Amtes dem ihnen von Gott gesetzten Zweck entsprechen, sondern allein daran, ob sie aufgrund ihrer Abstammung für die Regentschaft legitimiert seien, war es für sie ein Leichtes, sich dem ihnen von Gott übertragenen Auftrag zu entziehen. Hinzu kam, dass sie als Quasi-Bischöfe Befugnisse in den jeweiligen Landeskirchen hatten, die weit über den Schutz der äußeren Ordnung hinausreichten.

Allerdings war es so, dass die weltlichen Gewalten noch lange die Absicht hatten, für die Wahrung der äußeren Ordnung einzutreten, indem sie die Bösen bestraften und die Guten belohnten. Auf diese Weise bewirkten sie einen Schutzraum für die Verkündigung des Evangeliums.[21] Noch hatte das Christentum Einfluss auf die Öffentlichkeit, wenn auch so, wie ein erloschener Stern, der für eine gewisse Zeit noch sein Licht scheinen lässt.

5.4. Römer 13 im 19. Jahrhundert

Mit der Französischen Revolution und den anschließenden napoleonischen Kriegen war das absolutistische durch Erbfolge begründete „Gottesgnadentum“ erledigt. Zwar war auch im 19. Jahrhundert noch immer die verbreitetste Regierungsform in Europa die Monarchie bzw. das Landesfürstentum. Aber in der Ausgestaltung des Königtums gab es erhebliche Unterschiede zwischen etwa einerseits dem russischen Zarentum und andererseits dem liberalen französischen Bürgerkönigtum.

Überall drängte sich der Aspekt in den Vordergrund, dass die Obrigkeit zumindest von der passiven Zustimmung des Volkes abhängig sei. Das heißt: Immer mehr brach sich das Prinzip der Volkssouveränität Bahn. Immanuel Kant[22] und vor allem Johann Gottlieb Fichte[23] verstanden das Untertansein nicht mehr als eine Unterordnung unter einem Fürsten, sondern als Untertansein gegenüber den Staatsgesetzen, die sich die Menschen selbst gegeben haben. Sinn und Funktion der Gesetzgebung müsse „die Wahrung der menschlichen Freiheit“ sein.

Das heißt, von nun an stand auf dem politischen Programm die Emanzipation des Menschen. Es waren vor allem Philosophen aus Deutschland, die die in Frankreich in der Wirklichkeit geschehene Revolution zu durchdenken trachteten und sich mit der Frage beschäftigten: Was hat dieser Umbruch für Konsequenzen für das Politische?

5.4.1. Der Staat – ein von Menschen geschaffener Gott (Hegel)

Im Absolutismus hatte man aus der Aussage, dass Gott die Obrigkeit eingesetzt hat, ein „Gottesgnadentum“ abgeleitet: Die Obrigkeit sei nicht an ein außerhalb von ihr oder über ihr stehendes Recht gebunden. Gleichzeitig hatte sich in der Epoche der Aufklärung die Überzeugung breit gemacht, das Untertansein gegenüber der Obrigkeit lasse sich vortrefflich aus der menschlichen Vernunft ableiten.

Im Deutschen Idealismus griffen die Philosophen diese Gedankenführung folgendermaßen auf: Einerseits bejahten sie die Prinzipien der Französischen Revolution, wie die Volkssouveränität. Andererseits aber wollten sie die anarchischen Wirbel und den Atheismus korrigieren. Symptomatisch ist hierfür die Philosophie G.W.F. Hegels.[24]

Hegel, der von Jugend an freimaurerisches Gedankengut in sich aufgenommen hatte,[25] wollte Gott nicht eigentlich abgeschafft wissen. Aber er setzte Gott mit den sittlichen Grundlagen gleich, die die Menschen einbringen, wenn sie sich staatliche Gesetze geben. Das heißt: Für Hegel fiel die „Idee“ von Gott mit der menschlichen Vernunft zusammen, auf der nunmehr die Rechtsordnung eines Staates beruht.[26] Für Hegel existierte außerhalb des menschlichen Bewusstseins kein Gott. Das heißt für ihn auch: Der christliche Glaube ist mit der auf der menschlichen Vernunft beruhenden Volkssouveränität insofern identisch als sich beide auf die gleiche Wahrheit beziehen. Für ihn besteht der Unterschied lediglich darin, dass im Christentum diese Wahrheit in religiösen Annahmen („Glaubenswahrheiten“), also im subjektiven Bewusstsein, „in der Vorstellung“ besteht, während dieselbe Wahrheit im Staat objektiv verwirklicht, und damit „real“ gegeben ist.

Die Frage, ob ein Regent die biblisch-christlichen Glaubensinhalte und die Gebote Gottes beachtet oder ob er sie zurückweist, ja ob er sich selbst überhaupt als Christ versteht oder nicht, war für Hegel uninteressant. Denn als Pfeiler und Grundfeste der Wahrheit war für ihn nicht die in der Kirche verkündete biblische Lehre, sondern die menschliche Vernunft, und diese manifestiert sich in den staatlichen Gesetzen.

Mehr noch: Für Hegel verhielt es sich nicht nur so, dass sich die Wahrheit in den durch die menschliche Vernunft gegebenen staatlichen Gesetzen kundgibt, sondern für ihn war die staatliche Ordnung selbst die Weise, wie Gott in der Gesellschaft Gestalt gewinnt, das heißt, wie Gott „Mensch“ wird. Bei ihm wurde die staatliche, weltliche Ordnung selbst zu Gott.

Da bei Hegel faktisch jegliche Unterscheidung zwischen Gott und dem Bewusstsein („Geist“) des Menschen weggefallen war, war es für seinen Denkweg notwendigerweise geboten, dass man der Obrigkeit (dem Staat) gehorcht. Dieser Gehorsam hat jedoch nicht zu erfolgen, weil die weltliche Gewalt eine Dienerin Gottes ist, sondern deswegen, weil sie der inkarnierte Gott selbst ist. Für Hegel wurde Gehorsam gegenüber der Obrigkeit zur (Ersatz-)Religion für den Menschen der Neuzeit.

Selbstverständlich hätte man erwarten können, dass die christliche Theologie diese dem Wort Gottes total widersprechende Obrigkeitsauffassung unverzüglich und unmissverständlich zurückgewiesen hätte. Aber das war keineswegs der Fall. Tatsächlich traten Theologieprofessoren auf, die dafür sorgten, dass das hegelsche Gedankengebäude über die an theologischen Fakuläten ausgebildeten Pastoren in die evangelische Kirche drang. Dafür ein Beispiel.

Richard Rothe, ein vorrangig in Heidelberg wirkender Theologe, lehnte es ab, den Staat als eine vorübergehende oder vorläufige Ordnung anzusehen. Vielmehr sei der Staat der Endzweck der Menschheit. Die Kirche habe lediglich die Funktion, dem Staat zuzuarbeiten.[27]

Die Frage, ob in Gottesdiensten Gott verehrt und angebetet werde, ob das Wort Gottes rein und lauter verkündet werde, interessierte Rothe nicht. Allenfalls richtete er seinen Blick auf Gottesdienste unter einem ästhetischem Gesichtspunkt: Wird durch diese Veranstaltung das Gemüt des Menschen erhoben? Für den Heidelberger Theologieprofessor bestand kein Zweifel daran, dass sich die Kirche allmählich in die Gesellschaft auflösen werde. Somit erschien es Rothe sinnlos, irgendwelche Unterscheidungen zwischen geistlichem Bereich und weltlichem Bereich zu treffen bzw. zwischen Kirche und Staat: Vom Boden seines hegelschen Geschichtsbildes aus würden sich die Menschen sowieso vom christlichen Glauben ablösen und die Normen für ihr Leben aus dem sich – so seine Hoffnung – versittlichten Staat beziehen. Folglich werde eine Mitgliedschaft in einer Kirche immer nebensächlicher.

Tatsächlich ist seit dieser Zeit zu beobachten, dass die Bindung an die christlichen Kirchen verdampft. In der Gegenwart entspricht dieser Auffassung, dass nicht wenige, die sich als Christen verstehen, der Meinung sind, man könne Christ sein, ohne verbindlich zu einer bibeltreuen Gemeinde zu gehören, ohne regelmäßig an einem Gottesdienst teilzunehmen, also ohne dass man das Wort Gottes hört, dass man die Sakramente empfängt und auch ohne dass man Gemeinschaft mit anderen Christen hat.

Andererseits aber führte die Vernunftkonstruktion Hegels nicht dazu, dass die Religiosität des Menschen aus der Welt geschafft wurde. Denn der Mensch ist nun einmal ein durch und durch religiöses Wesen. Wenn er den wahren Gott ablehnt (oder ihn lediglich in sein weltimmanentes Bewusstsein zerrt), dann wird er sich eigene Bilder machen, um etwas zu haben, vor dem er niederfallen kann (Röm. 1,18–23).

So erschufen sich die Menschen des 19. Jahrhunderts ihre geistigen Bilder. Sie klammerten sich begeistert an ihre diesseitigen Ideologien. Dabei ist klar, dass der Mensch, der seinen selbstgebastelten Bildern folgt, unablässig gegen das erste Gebot Gottes verstößt.

Es fällt auf, dass das Wort, das Luther in Römer 13 mit „Obrigkeit“ übersetzte, von nun an immer mehr durch den Begriff „Staat“ wiedergegeben wird. Wenn man nun die Frage stellt, ob diese beiden Begriffe das Gleiche zum Ausdruck bringen, wird man wohl feststellen müssen, dass der Begriff des Staates eher eine Abstraktion von dem ist, über das die Heilige Schrift in Römer 13 spricht. Jedenfalls hätte Paulus, wenn er von „Staat“ hätte sprechen wollen, der griechische Begriff politeia zur Verfügung gestanden.[28]

Indem aber sich der Begriff „Staat“ im Blick auf das, was man bisher als „Obrigkeit“ bezeichnete, immer mehr durchsetzte, verstärkte sich gleichzeitig die Auffassung, der Mensch sei kraft eigenen Vermögens und Wissens in der Lage, auf dem politischen Feld tätig zu sein und sich selbst die eigenen Heilsträume zu verwirklichen. Auf diese Weise wurde die Obrigkeit bzw. der Staat von einem Diener Gottes zu einem Heiland gemacht: von Menschen für Menschen.

Indem Hegel und seine Schüler keinen über dem Staat existierenden Gott kannten, anerkannten sie auch keinen Gott, der einem Gemeinwesen seine Gebote gibt und der darauf besteht, dass diese befolgt werden. Damit wurde die Einebnung zwischen Recht und Politik, wie sie im Absolutismus begann, im 19. Jahrhundert fortgeführt, auch wenn es nun nicht mehr der Fürst war, sondern das „souveräne Volk“, das immer mehr bestimmte, was als Recht und was als Unrecht zu gelten habe.

Dabei bewegte sich im 19. Jahrhundert die Gesellschaft noch immer im Schein christlicher Normen. Aber selbst dann, wenn die Obrigkeit im Gewand göttlicher Autorität auftrat, sah sie sich in der Praxis immer weniger verpflichtet, für das von Gott gegebene Recht einzutreten, es zu schützen und auf dieser Basis politische Entscheidungen zu treffen. Immer mehr geriet die weltliche Gewalt in den Sog ihrer selbstfabrizierten Ismen, egal, ob sie nun nationalistisch, liberalistisch, sozialistisch oder sonst wie eingefärbt waren.

5.4.2. Die Obrigkeit: Für die Erhaltung der äußeren Ordnung zuständig (Luthertum)

Die Auffassung Hegels und seiner (recht diversen) Schüler sowie seiner theologischen Gefolgsleute fand im 19. Jahrhundert starke Verbreitung. Aber sie blieb nicht unwidersprochen.

Julius Stahl, ein Mann, der durch einen reformierten Christen zum lebendigen Glauben an Christus gekommen war und sich dann dem Luthertum anschloss, erblickte in der Französischen Revolution und in den Philosophien, die sich von diesem Geschehen vereinnahmen ließen, einen völligen Irrweg.

Stahl selbst griff auf eine Unterscheidung zurück, die aus der Zeit der Reformation stammte. Martin Luther hatte gegen den mittelalterlichen Universalanspruch der römischen Papstkirche darauf bestanden, dass Gott in dieser Welt seine Herrschaft durch zwei Regimente ausübe, zum einen durch das geistliche Regiment und zum anderen durch das weltliche. Aber während Luther sich mit dieser Unterscheidung gegen die Auffassung der römischen Kirche stellte, die letztlich sämtliche Lebensbereiche zu regulieren trachtete, wandte sich Stahl mit dieser Unterscheidung gegen den Totalitätsanspruch des Hegel-Staates. Wenn man so will bezog er damit die genau entgegengesetzte Frontstellung, die Luther bestimmt hatte. Es passe nicht für einen Christen, den Staat zu vergötzen. Die Französische Revolution sei nichts anderes als ein kryptoabsolutistisches Unterfangen. Zwar habe man die absolutistischen Fürsten abgeschafft, aber dafür sich die Volkssouveränität eingehandelt.

Stahls Ablehnung der Französischen Revolution führte ihn zu einer prinzipiell „antirevolutionären“ Einstellung. Im Blick auf die uns hier interessierende Frage nach dem Verständnis von Römer 13 betonte er, dass man der Obrigkeit selbst dann zu gehorchen habe, wenn sie die Ordnung des Staates verletze.

Mit anderen Worten: Auch wenn Stahls Beweggrund zum Aufruf der Obrigkeit untertan zu sein, ein anderer war als bei denjenigen, die den Staat zu einem irdischen Gott erklärten: das Untertansein war in seiner Unbedingtheit auch bei ihm nicht strittig.

Zur Untermauerung wies Stahl auf Römer 13 hin: Paulus habe diesen Abschnitt „unter Kaiser Nero“ geschrieben, „gleich als sollte es [das Gehorsamsgebot] noch deutlicher werden, durch seinen unüberbietbaren Kontrast gerade zu der Obrigkeit, welche in der ganzen Weltgeschichte als Gipfel und Prototyp der Tyrannei dasteht“.[29]

Dieser biblischen Gedankenführung stimmten allerdings nicht alle Lutheraner zu. Keineswegs alle waren der Meinung, Paulus habe in Römer 13 einen unbedingten Gehorsam gegenüber der weltlichen Gewalt geboten. Zum Beispiel wies Theodor Zahn in seinem Kommentar zum Römerbrief darauf hin, dass Paulus den Römerbrief in den Anfangsjahren der Herrschaft Neros abgefasst habe, als das kaiserliche Rom noch nicht vom Blut der Heiligen trunken gewesen war. In der ersten Hälfte seiner Regierungszeit erschien Kaiser Nero seinen Zeitgenossen geradezu als ein ausgesprochen gerechter und gütiger Herrscher.[30] Er hatte sich damals noch nicht als brutaler Tyrann entpuppt.[31]

Einen anderen Akzent zu Römer 13,1–7 setzte der Lutheraner A.F.C. Vilmar. Vilmar legte diese Perikope im Rahmen der Kapitel 12 bis 16 des Römerbriefes aus. Diesen letzten Teil des Römerbriefes stellte Vilmar unter das Thema der Heiligung. In Abgrenzung zu jeglicher revolutionären Einstellung interpretierte er Römer 13 folgendermaßen: „Daher ist denn die Auflösung der weltlichen Gewalt der exousai [Mächte] ein wesentlicher Angriff auf Gesetz und Evangelium, weil dieselbe durch Geltendmachung des äußerlichen Gesetzes auf das Evangelium vorbereiten hilft. Auf das geistliche (kirchliche) Leben erstreckt sich diese Macht nicht.“[32]

Bleiben wir zunächst bei der letzten, im Indikativ formulierten Aussage. Sie hatte natürlich etwas Wirklichkeitsfremdes an sich, angesichts des nach wie vor in Deutschland herrschenden Landeskirchentums: die Obrigkeit eine nicht auf das geistliche (kirchliche) Leben sich erstreckende, sondern nur eine auf das Evangelium vorbereitende Institution? Schön wäre es gewesen. Aber das weiterhin bestehende Landeskirchentum hatte zu einer so engen Verflechtung von Staat und Kirche geführt, dass schon vom Ansatz her ein realistisches Gegenüber von geistlichem Reich zum weltlichen Reich ausgeschlossen war. Aber immerhin scheint Vilmar das Problem gesehen zu haben.

Während des sogenannten Kulturkampfes sah sich die evangelische Kirche vor die Frage gestellt, ob sie Deutschland lieber im Griff des päpstlichen Rom sehen wolle („Ultramontanismus“)[33] oder ob sie sich dem liberalen Nationalismus Bismarcks und damit dem preußischen König- bzw. Kaisertum anpassen wollte. Die übergroße Mehrheit der Protestanten sprach sich für den letzteren Weg aus. Die Beweggründe waren zum einen antipäpstlicher Art. Vor allem aber war die Entscheidung nationalistisch-patriotisch motiviert.

Als Begründung führten die Protestanten vielfach Römer 13 an. Manche zögerten nicht, diese Schriftstelle sogar zur Rechtfertigung zu verwenden, dass der weltlichen Gewalt das höchste Bischofsamt [Summepiskopat] über die jeweilige Landeskirche zukomme. Ja, Römer 13 musste sogar als Begründung dafür herhalten, dass die Idee staatsunabhängiger Freikirchen etwas für einen evangelischen Protestanten Abwegiges sei.[34]

Im Großen und Ganzen erhielt sich bis weit hinein in das 20. Jahrhundert diese Gedankenführung. Man wird Theologen wie Paul Althaus, Werner Elert und Walter Künneth und deren landeskirchliche Anhängerschaft nicht verstehen können, ohne dass man sie im Rahmen des lutherischen Denkens des 19. Jahrhunderts begreift. Natürlich gab es nach dem Ersten Weltkrieg insofern einschneidende Änderungen, als in der Zeit der Weimarer Republik nicht mehr die Fürsten das oberste Sagen in der Kirche hatten. An deren Stelle kam nun die Kirche des Volkes. Seitdem war es das Volk, die Gesellschaft, die die jeweiligen gesellschaftlichen Trends in die Kirche spülte. Wir werden sehen, dass diese Herrschaft des „man“ das Elend der Landeskirchen wahrlich nicht besser machte. Bekenntnisse, Kirchen- bzw. Gemeindeordnungen und Gemeindezucht spielten jedenfalls in der (volks)kirchlichen Alltagspraxis keine Rolle.

Immerhin versicherten lutherische Prediger im 19. Jahrhundert noch, dass sich auch der neuzeitliche Staat Gott zu unterstellen habe: „Er muss bekennen, dass er nur von Gott ist, in Gott besteht, nur Gottes Diener ist.“[35] Es wäre also nicht richtig zu meinen, das Luthertum des 19. Jahrhunderts habe die Frage nach der göttlichen Rechtsgrundlage, auf der die weltliche Gewalt ihr Amt ausübt, ausgeblendet. Aber im Prinzip war für sie klar, dass Thron und Altar zusammengehören. Von daher war für sie eine prinzipiell „antirevolutionäre“ Einstellung bestimmend.

Die weltliche Gewalt galt für sie als Ordnungsmacht, als Damm gegen gesetzloses, revolutionäres Aufbegehren. In dieser Ordnungsfunktion der Obrigkeit sah man gleichsam den Vorhof für die Evangeliumsverkündigung der Kirche. Das heißt, die Obrigkeit war aufgerufen, im ursprünglichen Sinn des Wortes „profan“ tätig zu sein: Sie hatte ihre Aufgabe „vor dem Heiligtum“ („profanum“).

Im Licht von Römer 13 wird man zu diesem Ordnungsverständnis einwenden müssen, dass der Apostel nicht von „Ordnung“ spricht. Er spricht von Anordnung (diatagä, Röm. 13,1).[36] Es geht in Römer 13 nicht um eine abstrakte Obrigkeitsidee oder gar um eine Staatsmetaphysik, sondern um eine Verordnung, mit der Gott den Zweck verbindet, die Guten zu belohnen und die Bösen zu bestrafen (Röm. 13,2–4; vergleiche auch 1Petr. 2,14).

5.4.3. Die Obrigkeit: ein Raubtier, von dem man sich untertänigst fernhält (Pietismus)

Die Beantwortung der Frage, wie Christen im 19. Jahrhundert Römer 13,1–7 verstanden, wäre nicht vollständig, wenn man nur diejenigen in den Blick nimmt, die im Sinn Hegels den Staat als eine göttlich-unverletzliche, inkarnierte Größe begreifen wollten oder auf diejenigen den Blick konzentriert, die lehrten, dass zwar der geistliche und der weltliche Bezirke zu unterscheiden seien, aber beide Bereiche unter Gott stehen.

Daneben gab es Christen, die nicht zuletzt angesichts der Französischen Revolution das Konstantinische Zeitalter für beendet hielten. Der neuzeitliche Staat erschien ihnen im Kern ein „Raubtier“ zu sein. Dazu verwiesen sie nicht selten auf die Vision des Propheten Daniel (Dan. 7,2–12).[37]

Diese Christen wollten also nicht so sehr zwischen Kirche und Staat als zwei von Gott gegebene, Aufgabenfelder unterscheiden, sondern sie zogen zwischen diesen Bereichen eine scharfe Trennlinie: Bestenfalls verhalte sich die weltliche Gewalt gegenüber dem geistlichen Bereich neutral, im Prinzip aber sei sie ein Feind des Reiches Gottes.

In der Auslegung zu Römer 13,1–7 war diesen Christen Folgendes wichtig: Weil nirgendwo in diesem Abschnitt von einer aktiven Teilnahme am politischen Geschehen die Rede sei, es sei lediglich geboten, der Obrigkeit untertan zu sein und ihr Steuern zu entrichten, solle ein wahrer Christ über diese ausdrücklich gebotenen Verpflichtungen nicht hinausgehen. Er solle darauf verzichten, sich mit dem Politischen zu beschäftigen. Schon gar nicht solle er sich in diesem Bereich engagieren: Man könne nicht zwei Herren dienen. Man dürfe nicht im ungleichen Joch mit Ungläubigen sein. Einem Christen, der sich in dieser Welt als „Fremdling“ begreift, stehe es grundsätzlich nicht zu, sich an so etwas Weltlichem wie Volksabstimmungen oder Wahlen zu beteiligen.[38] Ohnehin verderbe Politik den Charakter. Ein rechter Christ solle sich stattdessen von seinem persönlichen Wachstum in der Heiligung bewegen lassen und die innere Entfaltung der eigenen „geistlichen Natur“ pflegen.

Vielleicht ist für eine solche Einstellung ein Ausspruch eines führenden Theologen der Erlanger Schule, F.H.R. Franck, charakteristisch. Dieser Mann hatte sich zweifellos als ein scharfer Kritiker der liberalen Theologie einen Namen gemacht. Aber zum Thema der politischen Ethik wusste er schlussendlich lediglich zu sagen: „Der evangelische Christ ist so reich an geistlichen Gaben, die ihm durch das Evangelium zuströmen, sei es mit, sei es ohne und gegen den Willen der Staatsgewalt, dass er wohl auch unter einer christenfeindlichen Obrigkeit leben kann“.[39]

Soweit ich sehe, hat noch nie jemand das Gegenteil behauptet. Noch nie hat ein Christ behauptet, man könne unter einer „christenfeindlichen Obrigkeit“ nicht leben. Aber ist das die ganze Wahrheit, die Römer 13 verkündet? Warum verzichtete Franck darauf, zu erläutern, ob und welchen Auftrag Gott der Obrigkeit gegeben hat?

Im Fall, dass ein Christ den Machthabern ins Gewissen redet, geht es im Kern auch nicht um das Problem, ob und inwiefern diese Tat Auswirkungen auf seinen inneren Heiligungsprozess hat, sondern ob ein Christ dafür eintritt, dass Jesus Christus auch hier auf der Erde der Herr ist, der Kyrios. Bekanntlich brauchte noch nie jemand für das Bekenntnis in den Tod zu gehen, dass der Sohn Gottes im Himmel regiert. Die Märtyrerkrone erwarben sich die Christen dadurch, dass sie das Bekenntnis ablegten, dass Jesus Christus auch hier auf der Erde das Sagen hat.

Es hat auch nichts mit der Geduld und dem Ausharren der Heiligen zu tun, wenn man sich gegenüber der weltlichen Gewalt Schweigsamkeit auferlegt. Mit Geduld und Ausharren ist in der Heiligen Schrift entweder Ungehorsam gegenüber den Machthabern gemeint, was dann Leiden, vielleicht sogar den Tod zur Folge hat (1Petr. 2,19–24; Offb. 13,10), oder es ist damit gemeint, den Mund aufzumachen und eine flammende Rede gegen Unterdrücker und Peiniger zu halten (Jak. 5,1–6). Dass Geduld und Ausharren der Heiligen im Neuen Testament keineswegs passiv gemeint ist, illustriert Jakobus anhand der alttestamentlichen Propheten, die im Namen des Herrn [nicht geschwiegen, sondern] geredet haben (Jak. 5,7–11).

Ein christliches Duckmäusertum gegenüber den politisch Machthabern wird man auch nicht damit begründen können, dass Christus auf die Frage des römischen Statthalters Pilatus, ob er ein König sei, antwortete: Mein Reich ist nicht von dieser Welt […], mein Reich ist nicht von hier (Joh. 18,36). Denn dabei übersieht man, dass Jesus Christus unmittelbar danach die Frage nach seinem Königtum bejaht (Joh. 18,37).

Nichts anderes steht in Daniel 7. Im weiteren Verlauf der Vision schaut der Prophet, dass der Sohn des Menschen sein Königtum empfängt, und zwar nicht erst als er von dem Alten der Tage kommt, sondern als er zu dem Alten der Tage kommt (Dan. 7,13; vergleiche Mk. 14,62). Es geht also bei dieser Vision nicht darum, dass Christus seine Königsherrschaft erst bei seiner Wiederkunft empfängt. Vielmehr hat er sie von seinem Vater bereits bei seiner Himmelfahrt empfangen.

Genau dies bezeugt Petrus zu Pfingsten: Der Sohn Gottes bestieg nach seiner Himmelfahrt den Thron Davids. Er ist nun Herr (Kyrios, Apg. 2,30–33).

Zwar vollzieht sich bis zur Wiederkunft Christi seine Königsherrschaft „unter dem Schein des Gegensatzes“. Christus übt seine Herrschaft als das Lamm aus und hier auf Erden durch seine Blutzeugen, die dafür im Himmel herrschen werden (Offb. 20,4). Aber das heißt eben nicht, dass Christus heute auf sein Königtum über alle Könige verzichtet (Mt. 28,18–20; Offb. 15,3.4; 17,14; 19,16).

Der ebenfalls häufig in diesem Zusammenhang zitierte Ausspruch des Herrn, Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist (Mt. 22,21), ist leider ebenfalls nur das halbe Zitat: Denn Christus fügt hinzu: Gebt Gott, was Gottes ist. Diese Antwort gibt der Sohn Gottes den Herodianern, also den Parteigängern der weltlichen Gewalt. Damit stellt er klar, dass er mit seiner Antwort keineswegs beabsichtigt, einen Zaun zwischen dem geistlichen und dem weltlichen Bereich aufzurichten. Das Gegenteil ist der Fall: Der Herr betont, dass man zwar zwischen den Bereichen unterscheiden soll, dass aber auch die weltliche Gewalt, in diesem Fall war es Herodes und seine Fraktion, nicht außerhalb der Herrschaft Gottes steht. Aus dieser Perspektive soll man ihr dann das geben, was ihr gebührt.

5.4.5. Die Obrigkeit: Historisierende Auslegungsbemühungen

Bei der Darlegung der bisherigen Auslegungsweisen von Römer 13,1–7 war immer eines vorausgesetzt: Es gibt kein Verstehen dieses Abschnittes, ohne dass man nicht die Frage zu beantworten sucht, was diese Verse für die gegenwärtige Situation heißen. Stets ging es um die Frage, wo und inwiefern das Wort Gottes seinen Sitz in unserem Leben hat.

Aber im 19. Jahrhundert versuchten Theologen auf eine Weise Zugang zur Heiligen Schrift zu bekommen und damit auch zu Römer 13, indem sie sich auf die Frage konzentrierten, was vor 2000 Jahren „der Sitz im Leben“ dieses Abschnittes war.

Man untersuchte das Wort Gottes so ähnlich, wie man sich ein Familien-Fotoalbum zu Gemüte führt. Es war eine bürgerlich-ästhetisierende Betrachtungsweise. Diese kann entweder historisch-kritisch erfolgen oder so, wie es heute vielfach im Evangelikalismus geschieht, historisch-phänomenologisch. Aber im Kern war und ist es eine museale Weise das Wort Gottes zu lesen. Man entzieht sich dabei dem Anspruch der Heiligen Schrift an das eigene Leben.

Römer 13,1–7 stellte man unter Fragestellungen wie: Was hat Paulus motiviert, diesen Abschnitt zu schreiben? Was dachte er, während er diesen Abschnitt Tertius diktierte (vergleiche Röm. 16,22)? Die Antwort meinte man dann durch psychologisches Einfühlungsvermögen in die damalige Welt finden zu können. Eine Auswahl der dargebotenen Erwägungen seien hier angeführt:

● Paulus habe Römer 13,1–7 verfasst, um den gnostizistischen Lehren entgegenzutreten, nach der die staatliche Gewalt vom Teufel stamme;[40]

● Paulus habe Römer 13,1–7 aus einem eher alttestamentlich-gesetzlichen Verständnis heraus formuliert;[41]

● Paulus habe sich mit dem Römerbrief insgesamt gegen Strömungen gestellt, die das Gesetz Gottes verneinen, also antinomistisch sind, und Römer 13,1–7 habe den damit verbundenen revolutionären Neigungen einen Riegel vorschieben wollen;[42]

● Paulus habe sich in Römer 13,1–7 gegen jüdisch-zelotisches Gedankengut gewendet, das bis nach Rom gelangt sei, und in der Hauptstadt zu Aufruhr hätte führen können;[43]

● Paulus habe bei Römer 13,1–7 die Unruhen im Auge gehabt, die in den Jahren, als er diesen Brief schrieb, in einzelnen Regionen des Römischen Reiches ausgebrochen waren, weil Nero Steuererhöhungen angeordnet hatte;[44]

● Paulus habe mit Römer 13,1–7 seine grundsätzlich positive Einstellung, ja seine bedingungslose Loyalität zum Römischen Reich und den darin Regierenden zum Ausdruck gebracht. Der Abschnitt bringe also das Dank- und Treuegefühl des Paulus zum Ausdruck angesichts dessen, dass die römischen Beamten Paulus mehrfach gegen den Fanatismus der Juden in Schutz genommen hatten.[45]

● Paulus habe mit Römer 13,1–7 eine traditionelle Mahnung aus der hellenistisch-jüdischen Umwelt weitergegeben, ohne sie mit einem besonderen christlichen Stempel zu versehen, sodass man Paulus für seine Formulierungen „nicht in vollem Maß verantwortlich machen“ könne.[46]

● Paulus habe Römer 13,1–7 bereits im Blick darauf verfasst, dass er nur wenige Verse später (siehe Röm. 13,11) den Staat und damit auch den Gehorsam angesichts des unmittelbar bevorstehenden Weltendes als vorläufig verstanden wissen wollte;[47]

● Paulus sei sich darüber im Klaren gewesen, dass die christliche Gemeinde in Rom sowieso keinerlei Chance hatte, sich gegen das mächtige Rom zur Wehr zu setzen, und so habe er in Römer 13,1–7 der politischen Gleichgültigkeit des kleinen Mannes im Römischen Imperium in die Hände spielen wollen.[48]

● Und – wen wundert es – manche haben sich sogar in die Idee verstiegen, Paulus sei gar nicht der Verfasser von Römer 13,1–7, sondern diese Verse seien erst später von einem Redakteur in den Römerbrief eingefügt worden.[49]

Diese Liste von Ratereien könnte man noch um einiges vermehren. Aber zum Abgewöhnen mag es ausreichen. Zweifellos haben historische Fragestellungen etwas intellektuell Reizvolles an sich. Aber selbst wenn man diese Art des Lesens der Heiligen Schrift als „wissenschaftlich“ erklärt, verfehlt man das Hören auf Gottes Wort so lange, wie man dadurch Antworten für die Gegenwart auszuweichen trachtet.

Natürlich gibt es für keine dieser Mutmaßungen einen wirklichen historischen Beleg. Andererseits aber wird niemand behaupten wollen, die vorgetragenen Annahmen seien rundweg falsch. Manche lassen sich sogar miteinander kombinieren. Aber eines muss klar sein: Die Antwort auf die historische Frage nach dem „Sitz im Leben“ von Römer 13,1–7 ist und bleibt Spekulation! Insofern können die zitierten Erwägungen einiges über die Phantasie neutestamentlicher Ausleger verraten. Aber sie vermitteln uns sehr wenig darüber, was den Heiligen Geist bewegte, als er diesen Abschnitt durch den Apostel für seine universale Gemeinde, also für alle Zeiten inspirierte.

Aber einmal angenommen, wir wüssten zweifelsfrei, welche Gedanken Paulus in seinem Kopf hatte, als er Römer 13,1–7 abfasste: Gottes Wort lehrt, dass die Schreiber der inspirierten Schriften nicht durch eigenen Willen schrieben (2Petr. 1,21). Vielmehr musste jeder das aufschreiben, was ihm durch den Geist Gottes eingegeben wurde. Petrus weist sogar darauf hin, dass die Propheten (nicht immer, aber) vielfach gar nicht verstanden, was sie durch den Heiligen Geist aufschreiben mussten (1Petr. 1,10–12). Andererseits aber macht das Wort Gottes klar, dass beim Inspirationsvorgang das eigene Menschsein der Schreiber niemals ausgeschaltet wurde.

Es ist uns nicht möglich, mit den biblischen Schreibern „gleichzeitig“ zu werden und zu wissen, was deren damalige Beweggründe waren. Das gilt auch für Römer 13. Nun geht es aber auch gar nicht darum, dass wir historische Gleichzeitigkeit mit den neutestamentlichen Schreibern anstreben. Entscheidend ist die Frage: Was sagt das Wort des lebendigen Gottes seiner Gemeinde heute? Denn der Gott, der sein Wort seinen Aposteln in eine ganz bestimmte Zeit hineingegeben hat, will, dass wir aus diesen „Gelegenheitsschriften“ seinen Willen für jede Zeit, also auch für heute erkennen und ihm darin heute glaubend gehorsam sind. Jedes andere Bibellesen wäre, wie es Augustinus einmal anmerkte, nichts anderes als törichte Neugier.

Indem aber ein nicht geringer Teil der Theologen sich mit historisierenden Fragestellungen und entsprechenden Antworten zufriedengab, nicht zuletzt bei Römer 13,1–7, hatte dies zur Folge, dass sie nicht oder kaum noch die Frage stellten, was die von Gott gegebenen Voraussetzungen für die weltliche Gewalt sind, was die moralische Grundlage und was der Zweck ist. Tatsächlich überließ man im 19. Jahrhundert die Antworten auf diese Fragen den (atheistischen) Philosophen. Nur ausgesprochen selten konfrontierten sich Theologen mit deren Überlegungen.

Allenfalls leitete man aus Römer 13,1–7 für die eigene Zeit ab, dass man der Obrigkeit untertan sein soll. Und schon für diese Feststellung waren die Beweggründe sehr unterschiedlich: Einige meinten, die weltliche Gewalt sei als Inkarnation Gottes in diese Welt zu vergötzen. Andere begründeten den Gehorsam gegenüber der Obrigkeit mit deren Ordnungschaffen im Vorfeld der Kirche. Sie sei ein antirevolutionärer Damm gegen die Fluten der Gesetzlosen. Wiederum andere wollten das Untertansein mehr als Passivität gegenüber der Obrigkeit verstanden wissen, zumal dieser Bereich zur „Welt“ gehöre und – so in ihrer argumentativen Konsequenz – nichts mit dem geistlichen Bereich zu tun habe.

5.5. Römer 13 in der Zeit der Weimarer Republik bis zur Nachkriegszeit

Alle im 19. Jahrhundert anzutreffenden Auslegungen zu Römer 13 setzten sich im 20. Jahrhundert fort. Aber nach dem Ersten Weltkrieg traten sie vielfach in anderem Gewand auf.

5.5.1. Die Obrigkeit: Ratlos und orientierungslos (Weimarer Republik)

Als nach dem Ende des Ersten Weltkrieges es zu massiven Verwerfungen und Brüchen im Verhältnis von Kirche und Staat kam – zum Beispiel war das Ende des landesfürstlichen Summepiskopats angebrochen – blieb den Kirchen gar nichts anderes übrig, als ihr Verhältnis zur weltlichen Gewalt neu zu justieren. Diese Neubestimmung führte einerseits zu einer bis dahin nicht gekannten Selbstständigkeit der evangelischen Kirchen. Andererseits aber verloren viele Stiftungen, Organisationen und Institutionen die bis dahin anerkannte kirchliche Verankerung. Insgesamt waren die Kirchenvertreter alles andere als glücklich über die kirchliche Unabhängigkeit. Im Gegensatz zu der als chaotisch wahrgenommenen Demokratie der Weimarer Republik sehnten sich nicht wenige nostalgisch nach der Vorkriegszeit zurück.

In diesen Wirren der Nachkriegszeit – Ende der Monarchie, wirtschaftliche Ausbeutung durch die Siegermächte, gigantische Inflation – legte der Schweizer Pastor Karl Barth den Römerbrief aus.

Barth, der dem sogenannten christlichen Sozialismus nahestand,[50] forderte in seiner Kritik an der Theologie des 19. Jahrhunderts mit ihrem weltimmanenten Kulturoptimismus, dass der Christ sich nunmehr in einen demokratisch legitimierten „weltanschaulich neutralen“ Staat einfügen solle.

Seine Botschaft zu Römer 13 bestand darin, den einzelnen Christen „zur Freiheit“ zu rufen und zwar zu einer Freiheit zwischen den Extremen von „Reaktion“ und „Revolution“. Im Blick auf die „Revolution“ erklärte er: „Wir […] sehen unser Anliegen darin, dass zur Ehre Gottes der revolutionäre Mensch (als ein besonders stattliches Opfer!) zur Strecke gebracht werde.“ Gegen die „Reaktion“ brachte Barth hervor: „Es gibt keine energischere Unterhöhlung des Bestehenden als das hier [in Römer 13] empfohlene sang- und klang- und illusionslose Geltenlassen des Bestehenden.“[51] Auf die Frage, wie ein Christ sich zur Obrigkeit verhalten solle, antwortete er, die Obrigkeit besitze „keinen Eigenwert“. Ihr gebühre nur insoweit Beachtung als sie „Gottes Empörung gegen den widerständigen Menschen demonstriert“.

Gegen Ende der 20er Jahre und zu Beginn der 30er Jahre erschienen zahlreiche theologische Veröffentlichungen über das Verhältnis des Christen zum Staat. Unter anderen ist hier Peter Brunner zu nennen: Nach Römer 13 sei der Staat lediglich eine „Notverordnung“ Gottes für die gefallene Welt: Der Staat, der diese seine Begrenzung respektiere und seine Ordnungsfunktion erfülle, habe die Macht, zu autoritativer, obrigkeitlicher Gewalt.[52] Der Christ anerkenne und bejahe diese Macht als jemand, der bereits dem neuen Äon angehört, und somit zur „Politik als einer Angelegenheit dieses alten Äons im Verhältnis unendlicher Distanz“ stehe.[53] Peter Brunner lehnte die politische Mitarbeit eines Christen im Staat nicht ab.[54] Er sah sie aber vor allem darin, dass die christliche Gemeinde auf der Hut gegen staatliche Grenzüberschreitungen sein müsse. Derartige Übergriffe würden immer dann erfolgen, wenn der Staat sich anschicke, sich als das Letzte [Eschaton] zu betrachten.[55]

Auch der Schweizer Theologe Emil Brunner plädierte im Blick auf das politische Feld für Abstandhalten: „Die erste Pflicht des Christen und der Kirche dem Staat gegenüber ist nicht das Mitgehen, sondern das Distanzhalten.“[56]

Im Kern lautete die in jenen Jahren charakteristische Botschaft: Der Christ solle sich von der weltlichen Gewalt insofern distanzieren, als er sich von ihr nicht vereinnahmen lassen solle. Als Ausdruck einer solchen Distanziertheit zum Politischen führte man gerne die Aussage des Apostels in Philipper 3,20 an: Unser Bürgertum ist im Himmel.[57]

Einige Lutheraner suchten die Beziehung von Staat und Kirche in die Formel einer festumrissenen „Zwei-Reiche-Lehre“ zu gießen.

Luther hatte die Unterscheidung zwischen den Zwei Reichen in unterschiedlicher Hinsicht verwendet, sowohl gegenüber dem Papstanspruch, dann aber auch gegenüber den Freiheitsideen der revoltierenden Bauern. Im 19. Jahrhundert hatte sich das Luthertum mit der Unterscheidung der Zwei Reiche gegen einen alles vereinnahmenden Staatsabsolutismus gewendet.

Nun machten Theologen daraus eine „Lehre“.[58] Diese sogenannte „Zwei-Reiche-Lehre“ besagte, dass die Einstellung des Christen zur weltlichen Gewalt in Begriffe wie „Gleichgültigkeit“, „unendliche Distanz“ oder „Indifferenz“ zu fassen sei. Die Aufgabe eines Pastors im Rahmen dieser „Zwei-Reiche-Lehre“ bestehe darin, den Christen, der sich durch die Obrigkeit bedrängt fühle, zu trösten. Mehr als Seelsorge gab es nicht. Die Frage, an welches Recht die weltliche Gewalt gebunden ist, wurde weder (wirklich) gestellt noch beantwortet.

In der Weimarer Republik waren die Zehn Gebote weitestgehend zu einer Moral für den Einzelnen herabgestuft. Die Öffentlichkeit tolerierte die Maßstäbe der Zehn Gebote so ähnlich wie man heutzutage die Überzeugungen von Veganern zu akzeptieren pflegt. Aber Allgemeingültigkeit in der Öffentlichkeit hatten die Gebote Gottes nicht mehr.

Wenn es in dieser Zeit in Deutschland überhaupt eine Ethik gab, die man als allgemeinverbindlich bezeichnen könnte, dann bestand sie im „Kategorischen Imperativ“ Kants: „Handle so, dass die Maxime deines Handelns jederzeit als Grundlage der allgemeinen Gesetzgebung dienen kann.“ Mit anderen Worten: Es waren die „Werte“ der Aufklärung, wie individuelle Freiheit, Gleichheit und Toleranz.

Aber wie stabil waren diese „Werte“ in einer Zeit, in der jeder die tagtäglichen Turbulenzen der Wirtschaftskrisen und der eigenen drohenden Arbeitslosigkeit vor Augen hatte? Mussten in der Weimarer Republik diese „Werte“ nicht verblassen angesichts des täglichen Durcheinanders? Hinzu kam, dass in diesen Jahren beunruhigende Nachrichten über grauenhafte Unterdrückungen und Verfolgungen der Wolgadeutschen durch die Bolschewisten ins Deutsche Reich drangen.

War es in dieser Lage nicht naheliegender, einem Redner zu folgen, der das „Diktat von Versailles“ zu kassieren versprach, und der dafür sorgen wollte, dass die damit verbundene ökonomische Ausplünderung Deutschlands zu ihrem Ende kommen werde? War es nicht sinnvoller, anstatt auf individuelle Freiheiten zu bauen, den Aufrufen zu einer Erneuerung der „deutschen Volksgemeinschaft“ Gehör zu schenken und sich um die Parole zu sammeln: „Du bist nichts, dein Volk ist alles!?“ Wenn man diesem Redner schon nicht zujubelte, konnte es zumindest zweckdienlicher erscheinen, erst einmal abzuwarten und ihm nicht zu widersprechen.

In der Praxis hieß also die im Blick auf Römer 13 geforderte „Indifferenz“ und „Distanz“ gegenüber dem Politischen, den aktuellen gesellschaftspolitischen Entwicklungen nicht in die Speichen zu greifen.

5.5.2. Die Obrigkeit: Nationalsozialistischer Stabilitätsfaktor für ein ausgeplündertes Volk (Deutsche Christen)

Mit der Aufforderung, zum politischen Bereich Abstand zu halten, hatten die meisten Christen kaum Probleme. Aber nachdem Hitler die Macht übernommen hatte, standen ihnen allerdings auch keine Rechtskategorien oder Normen für den politischen Bereich zur Verfügung. Von nirgendwoher erhielten sie eine Antwort auf die Frage, ob und wenn ja, an welches über den jeweiligen [nationalsozialistischen] Gesetzeserlässen stehende Recht eine Obrigkeit gebunden sei. Schon von daher waren sie nicht in der Lage, die Rechtmäßigkeit des nationalsozialistischen Regimes zu überprüfen.

Zudem fehlte es nicht an Predigten von Seiten der „Deutschen Christen“, die mit Römer 13 einen unbedingten Gehorsam gegenüber dem „Führer“ für gottgewollt erklärten.

Der Horizont, in dem man dachte, bringen wohl am ehesten die Ausführungen des lutherischen Theologen Paul Althaus zum Ausdruck. Angesichts des von ihm als rechtswidrig beurteilten „Versailler Friedensvertrages“ sah Althaus in der Machtergreifung Hitlers ein „Geschenk und Wunder Gottes“. In Hitler sei die Chance zur „Rechristianisierung Deutschlands“ gegeben.

Althaus verwies zwar auch auf die Gefahr einer politischen Theologie. Diese aber würde lediglich dann gegeben sein, wenn man „das Gesetz an die Stelle des Evangeliums“ rücke und wenn Gestalten, Ereignisse, Ideen der politischen Geschichte unmittelbar in den Bereich der Christusoffenbarung und Heilsgeschichte treten würden.

Aber bei den meisten Christen kamen diese Einschränkungen wohl nur als ein unverständliches Theologenkauderwelsch an. Jedenfalls schienen sie sich eher von dem Aufruf angesprochen zu fühlen, sich in die „Volkgemeinschaft“ einzufügen. Angesichts der wirtschaftlichen Dauerkrise und des gesellschaftspolitischen Chaos sahen sich auch Christen aus den Gemeinschaften und Freikirchen kaum veranlasst, gegen eine „Erneuerung der deutschen Volksgemeinschaft“ ihre Stimme zu erheben, auch wenn diese „Erneuerung“ vom Geist des Nationalsozialismus bestimmt war.

Auch dafür konnten sie geistige Unterstützung bei Althaus finden: Die „geschichtliche Stunde“ belege, dass eine solche Eingliederung Ausdruck des Willens Gottes sei.[59] Bereits in der Zeit der Weimarer Republik hatte Althaus mit Hinweis auf Römer 13 erklärt, dass das „Grundwort“ der Politik „Gehorsam“ sei.[60] In den Jahren der Hitlerzeit ging er einen Schritt weiter. Nun vertrat er die Auffassung, die Weimarer Republik sei lediglich etwas Vorläufiges gewesen. Es sei eine Übergangszeit gewesen, die folgerichtig in die Gegenwart habe einmünden müssen, in der „Volk und Staat endlich wieder zusammengehören“.[61]

Mit Hitlers Einstellung, dass Obrigkeit und Volkstum zusammengehören, sei ein „neuer Ansatz der Lehre von der Obrigkeit“ gefunden worden.[62] In einem Artikel mit der Überschrift „Römer 13 im Weimarer Staate“ führte Althaus rückblickend aus: „Wir empfanden damals: mit Römer 13 und der altlutherischen Lehre allein konnten wir der schwierigen Lage innerlich nicht Herr werden. Von Römer 13 und Luther aus gab es ja nur das einfache Entweder-Oder […]. Beides wurde der Stunde und ihrer inneren Not nicht gerecht.“ Zwar habe man auch in der Weimarer Republik der Obrigkeit gehorchen müssen, aber „das Ja trug alle Vorläufigkeit und allen Vorbehalt in sich. Es zielte auf dem Boden des damaligen Staates über ihn hinaus.“[63]

Althaus war der Meinung, „die geschichtliche Stunde“ des Dritten Reiches habe eine neue Verstehensmöglichkeit für Römer 13 eröffnet. Gemäß Römer 13 gehörten Volk und Führer eng zusammen, wobei es die Aufgabe der Obrigkeit sei, „Ordnung zu schaffen“. Dieses Ordnungschaffen sei an sich schon mit dem „Guten“ gleichzusetzen:[64] „Das Gute, das die Obrigkeit nach Paulus ehrt, besteht in der Erfüllung der Ordnungen, in die Gott die Menschen gesetzt hat.“[65]

Nun gehört es zweifellos zum Aufgabenbereich der Obrigkeit, der Unordnung in einem Gemeinwesen entgegenzuwirken und diese einzudämmen. Das Problem aber ist, dass Theologen wie Althaus und viele „Deutsche Christen“ sich hinter dem Abstraktum namens „Ordnungen“ versteckten und sich davon geistig vereinnahmen ließen.

Dass man im Blick auf Römer 13 den Aspekt der Ordnungen bzw. des Ordnungschaffens für zentral erklärte, war ein Erbe des 19. Jahrhunderts. Denn noch einmal: In Römer 13,2 geht es nicht um eine Ordnung, es geht schon gar nicht um eine metaphysische [?] (Staats-)Ordnung, sondern darum, dass die Obrigkeit eine Anordnung Gottes ist. Sie stammt von Gott und ist von ihm zu einem bestimmten Zweck gegeben.

In den Jahren des Dritten Reiches erörterten Theologen die Frage intensiv, ob man die von Gott gegebene Obrigkeit nun als Schöpfungs-, Erhaltungs-, Sünden- oder Zornesordnung verstehen solle.[66] Aber man kümmerte sich nicht um die Frage, welche Absicht Gott mit der weltlichen Gewalt hat, also was das Kriterium sei, an dem zu beurteilen ist, was „gute Werke“ und was „böse Werke“ sind. Es stand kein ethisches Koordinatensystem zu Verfügung, aufgrund dessen man die Entscheidung treffen konnte, wann was von der Obrigkeit zu belohnen und wann was zu bestrafen sei.

Meistens beantwortete man diese Frage in dem Sinn, wie es ein Theologe jener Zeit formulierte: Weil Paulus in Römer 13 über eine „völlig außer- und unchristliche Institution“ spreche und „ein mindestens feierliches, fast kultisches Wort anwendet“, nämlich „Liturg Gottes“ (Röm. 13,6) und die Kategorien von Gut und Böse auf eine dezidiert nichtchristliche Größe beziehe, wie es das Römische Reich war, „wird man voraussetzen können, dass sie [die Obrigkeit] von sich aus über das Vermögen verfügt, zwischen gut und böse zu unterscheiden und kraft des Schwertes Sünde zu strafen.“[67]

Die Überzeugung regierte: Während einem Christen das Untertansein um der „Ordnung“ willen geboten sei, stehe es der weltlichen Gewalt zu, eigenständig darüber zu entscheiden, was gute und was böse Werke ausmachen.

Einige untermauerten diese Gedankenführung sogar noch mit der Behauptung, ein Christ stehe als „Bürger zweier Welten“ immer zugleich unter einer „doppelten Gehorsamsverpflichtung“.[68] Von dort war es nur ein kleiner Schritt dahin, dass der Christ im Blick auf die weltliche Gewalt sein Gewissen ausschaltet.

Indem der Apostel Paulus betont, man soll der Obrigkeit untertan seinum des Gewissens willen (Röm. 13,5), hatte er das Untertansein in den Bezugsrahmen des biblischen Ethos gestellt. Demgegenüber stellte die Auffassung einer „doppelten Gehorsamsverpflichtung“ das Untertansein gegenüber der Obrigkeit faktisch unter das nationale Erfordernis. Einem solchen Verständnis von Untertansein entsprachen Begriffe wie „Loyalität“, „Bürgersinn“ oder „Staatstreue“ nur unzureichend. Dafür aber justierte man Begriffe wie „Ehre“, „Treue“ und „Anstand“ neu. Sie wurden jetzt auf den „Führer“ eingenordet und auf das, was er befiehlt. Eine ethische Unterscheidung zwischen einerseits dem Untertansein gegenüber der Obrigkeit und andererseits Kollaboration mit dem nationalsozialistischen Regime musste von daher als imaginär erscheinen.

5.5.3. Die Obrigkeit: Gottes Anordnung, aber Christus bleibt der einzige Herr (Bekennende Kirche)

Diesen Auffassungen stellte sich die „Bekennende Kirche“ entgegen. Ihre Kernbotschaft lautete: „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben. Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Wort Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.“ In der fünften der „Barmer Thesen“ heißt es, nachdem 1.Petrus 2,17 (Fürchtet Gott, ehret den König!) zitiert worden ist: „Die Schrift sagt uns, daß der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat in der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen. Die Kirche erkennt in Dank und Ehrfurcht gegen Gott die Wohltat dieser seiner Anordnung an.“

Diese Thesen stellten den Regierenden wie auch den Regierten ihre Verantwortung vor Gott vor Augen. Unmissverständlich wurden dem Staat Grenzen aufgezeigt: „Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne der Staat über seinen besonderen Auftrag hinaus die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden und also auch die Bestimmung der Kirche erfüllen.“

Für die Kirche gelte, dass sie der Kraft des Wortes, durch das Gott alle Dinge trägt, vertraut und gehorcht und „Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne sich die Kirche über ihren besonderen Auftrag hinaus staatliche Art, staatliche Aufgaben und staatliche Würde aneignen und damit selbst zu einem Organ des Staates werden.“[69]

Diese Aussagen sind eindeutig anders gelagert als die Überlegungen aus dem Umfeld der „Deutschen Christen“. Man könnte kritisch anmerken, dass auch diese Aussagen nicht klar zum Ausdruck bringen, an welches Recht denn nun die Obrigkeit gebunden ist. Und was genau ist die Aufgabe der Kirche? Tatsächlich wurden in den folgenden Jahrzehnten die „Barmer Thesen“ unterschiedlich interpretiert. Aber immerhin wurde hier der Staat daran „erinnert“, dass er an „Gottes Gebot und Gerechtigkeit“ gebunden ist. Zumindest implizit wird damit im Mai 1934 die deutsche Regierung aufgefordert, sich Gott unterzuordnen.

Der (Haupt)verfasser dieser Thesen, Karl Barth, stellte in den folgenden Jahren von der Schweiz aus ein Modell vor, in dem er die „Bürgergemeinde“ in Analogie zur „Christengemeinde“ stellte.[70] Er meinte damit, die Kirche dürfe den Staat zwar nicht „bevormunden“, aber gleichwohl sei der Staat – oder wie Barth es bezeichnete, die „Bürgergemeinde“ – in Analogie zur Kirche zu fassen. Zwischen der Christusherrschaft in der Kirche und im Staat müsse eine „Gleichnisfähigkeit“ bestehen. Das hieß für ihn zum Beispiel: Weil Gott sich in der Fleischwerdung Christi „nach unten“ gewendet habe [Eph. 4,5], seien die Christen verpflichtet, sich für soziale Egalität („Gerechtigkeit“) einzusetzen.[71]

Dass Karl Barth, der nie seinen Sozialismus abstreifte, den Bezugsrahmen für eine staatliche Rechtsordnung in Entsprechung zu der Christusherrschaft in der christlichen Gemeinde suchte, lag auch daran, dass er mit den nach der Sintflut für die Nationen gegebenen Geboten nichts anzufangen wusste. Auch jegliches Reden von „Naturrecht“ oder auch von der „Natur des Menschen“ erschien ihm angesichts der erfahrenen Manipulationen dieser Begriffe nichts anderes als eine Spielwiese für Ideologen: Zunächst würden diese Leute definieren, was sie für die „Natur des Menschen“ halten, und dann meinen sie daraus ableiten zu dürfen, was „das natürliche Recht“ sei.

Aber Barths Missachtung der von Gott an Noah gegebenen Normen war natürlich auch dadurch verursacht, dass er die ersten Kapitel der Heiligen Schrift nicht historisch ernstnahm. Die von Gott in seinem Wort geoffenbarte Sechs-Tage-Schöpfung verstand er nicht als ein tatsächliches Geschehen. Er glaubte weder, dass Gott die ersten Menschen, Adam und Eva, in seinem Bild erschaffen hatte, noch glaubte er an die Historizität des Sündenfalls und auch nicht an den einst von Gott mit Noah geschlossenen Bund. So blieb dem Basler Theologen bei all seiner theologischen Dialektik nichts anderes übrig als innerhalb der Heiligen Schrift zwischen „Wertaussagen“ (Heilsaussagen) und „Seinsaussagen“ zu unterscheiden, also so, wie es bereits der vom Neukantianismus bestimmte theologische Liberalismus des 19. Jahrhunderts gemacht hatte.

Indem Karl Barth den Bereich der Schöpfung und der Geschichte aus der Offenbarung Gottes ausklammerte, konzentrierte bzw. reduzierte er die Offenbarung Gottes auf Christus. In der Nachkriegszeit zogen nicht wenige aus dieser Auffassung die Schlussfolgerung, dass es im staatlichen Raum darum ginge, die Ideen der Französischen Revolution durchzusetzen, wie Freiheit, Gleichheit (einschließlich Sozialismus) und Brüderlichkeit (Schwesterlichkeit). Bis zum heutigen Tag erweist sich diese Überzeugung als verhängnisvoll.

5.5.4. Die Obrigkeit: Mächte (exousiai), die Christus unterstehen bzw. von ihm beseitigt sind (Barth und seine Schule)

Karl Barth bemühte sich darum, seine These, nach der die Herrschaft Christi über den politischen Bereich (Bürgergemeinde) analog zu dem stehe, in der Christus seine Gemeinde regiert, mit Römer 13 in eine Beziehung zu setzen. Um seine „Christkönigsherrschaft“ in Römer 13 wiederzufinden, griff er auf das griechische Wort zurück, das Luther in Römer 13,1 mit Obrigkeiten übersetzt hatte. Im Grundtext steht hier exousiai. Unter diesen exousiai wollte Barth nicht irdische Regenten verstanden wissen, sondern Engelmächte.

Eine solche Auslegung gab es bereits in der Zeit der Frühen Kirche. Aber damals wurde sie zurückgewiesen.[72] Diese Deutung trat erneut zu Anfang des 20. Jahrhunderts auf. Aber in den ersten Jahrzehnten des 20 Jahrhunderts vermochte sie sich nicht durchzusetzen.[73]

Während des Dritten Reiches erschien sie aber nicht wenigen Vertretern der „Bekennenden Kirche“ attraktiv zu sein. Der Grund dafür war, dass man auf diese Weise meinte, ein gewichtiges Argument zu haben, um der Obrigkeitshörigkeit der „Deutschen Christen“ entgegenzutreten: Wenn die exousiai Engelmächte sind, könne man auf die ideologischen Gefahren im politischen Bereich aufmerksam machen und zu den irdischen Machthabern innerlich auf Distanz gehen.

Ohne im Einzelnen hier auf die Variationen dieser Überlegungen einzugehen, lehrte man im Kern Folgendes: Hinter und über den sichtbaren irdischen Regenten stehen als eigentliche Herren des Geschehens unsichtbare Mächte. Diese benutzen die irdischen Regenten als Instrumente ihrer vielfach antichristlichen Absichten. Paulus habe deswegen mit einer solchen unerschütterten und scheinbar völlig undiskutierbaren Positivität über die Obrigkeiten, und zwar über jede faktisch existierende Obrigkeit urteilen können, weil diese auch noch in einem tyrannischen System als „Erhaltungsordnung“ fungieren. Weil die weltliche Gewalt auch dann noch der Anarchie wehre, habe Paulus geboten, dass man ihr nicht nur aus Furcht keinen Widerstand leisten solle, sondern auch, dass man ihr aus „freier Überzeugung“ zu gehorchen habe.[74]

Diese Engelmächte würden im Neuen Testament einen „Doppelcharakter“ tragen: Sie treten sowohl als Rebellen gegen Gott auf als auch als Diener Gottes bzw. als seine Liturgen (Röm. 13,6).[75]

Manche Vertreter dieser Auffassung gingen so weit zu behaupten, bereits jetzt seien alle diese Mächte Christus unterworfen. Römer 13,1–7 sage demnach aus, dass dem Staate die göttliche Würde und der christliche Gehorsam nicht nach seinem ursprünglichen Wesen zukommt, sondern erst aufgrund der „christokratischen Einverleibung“ in die göttliche Ordnung.[76]

Aber zu einem solchen Verständnis ist Folgendes kritisch zu sagen: Es ist zwar richtig, dass das Neue Testament bezeugt, dass hinter den irdischen Herrschern unsichtbare Mächte stehen (1Kor. 2,8 vergleiche auch 1Kor. 15,24; Eph. 1,21; 3,10; Kol. 1,13.16; 2,10 vergleiche 1Petr. 3,22). Aber diese Mächte tragen in der Heiligen Schrift nirgendwo einen „Doppelcharakter“. Sie sind immer und ausnahmslos gegen Gott und Christus gerichtet. Dem Sohn Gottes ist zwar seit seiner Himmelfahrt alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben (Mt. 28,18), insofern ist Christus tatsächlich das Haupt auch über diese Mächte (Kol. 2,10). Aber bis zu seiner Wiederkunft in Macht und Herrlichkeit übt der Sohn Gottes seine Herrschaft inmitten seiner Feinde aus (Hebr. 10,13. Ps. 110.1.2.).

Nach wie vor sind diese Mächte Feinde Christi. Sie wurden zwar am Kreuz von Golgatha besiegt, aber die von Gott gegebene zeitliche Abfolge muss beachtet werden: Das Wegtun dieser Mächte wird erst dann erfolgen, wenn der Sohn alles dem Vater übergeben haben wird. Erst dann wird Gott alles in allen sein (1Kor. 15,24–28). Dieses Ereignis aber steht noch aus. Aus diesem Grund ist es einem Christen in der Jetztzeit geboten, gegen diese Mächte und Gewalten Widerstand zu leisten (Eph. 6,12).

In Römer 13,1–7 aber wird im Blick auf die Mächte (exousiai) gefordert, dass man ihnen nicht Widerstand leisten soll, sondern dass man ihnen untertan sein soll. In diesem Abschnitt geht es also um das genau gegenteilige Verhalten dessen, wozu wir gegenüber den dämonischen Mächten aufgefordert werden.

Ferner wird in Römer 13 gesagt, dass die Mächte (exousiai) dazu da sind, um die Guten zu belobigen, um das Schwert zu tragen und dass man ihnen Steuern entrichten soll. Da man aber seine Steuern nicht Engelmächten entrichtet, sondern diese an – sehr irdische – Finanzämter überweist, ist es offenkundig, dass Paulus in Römer 13 bei den exousiai nicht an Engelmächte denkt, sondern an irdische Regenten.

Auch geht es in Römer 13 nun wirklich nicht um die Inthronisation Christi oder um sein Hauptsein über alle dämonischen Mächte. Es ist einfach nicht statthaft, in Römer 13,1 nur deswegen bei exousiai an überirdische Mächte zu denken und dies in diesen Abschnitt hineinzulesen, weil an einigen, wenigen Stellen des Neuen Testaments der Begriff exousiai für (dämonisierte) Engelmächte gebraucht werde. Meistens wird im Neuen Testament exousiai für irdische Machthaber verwendet.

Aber selbst wenn Paulus unter den exousiai in Römer 13 Engelmächte verstanden hätte, bleibt die Frage, ob diese Interpretation in den dreißiger und vierziger Jahren gegenüber den „Deutschen Christen“ wirklich eine Argumentationsstütze war. Denn auch dann wäre man ja aufgefordert, den Mächten, die für die antichristliche Ideologie zuständig sind, untertan zu sein. Man hätte also auch dann keinerlei Kriterien zur Verfügung gehabt, wann, wie und unter welchen Bedingungen man den Mächten gehorchen soll bzw. wann Ungehorsam geboten ist.

Insofern könnte man schnell über diesen Irrweg in der Bibelauslegung hinweggehen.[77]

Aber diese „christokratische“ Interpretation von Römer 13 hatte in ihrem Schlepptau die Meinung zur Folge, diese Mächte seien von Christus bereits beseitigt worden. Das wiederum führte dazu, dass Theologen und Christen auf einmal Schwierigkeiten verspürten, die zeitliche Obrigkeit zu akzeptieren. Schon gar nicht wollten diese Leute anerkennen, dass hinter den weltlichen Obrigkeiten bis zur Wiederkunft Christi unsichtbare, teuflische Mächte stehen und ihr dämonisches Spiel spielen (2Mos, 12,12; 1Chr. 16,26; Dan. 10,9–13.20, Offb. 13).

Dass man dies nicht sah bzw. nicht sehen wollte, führte in den sechziger Jahren zu einem geradezu schwärmerisch-traumtänzerischen Verständnis über die politische Wirklichkeit. Die verheerenden Resultate dieses Denkens zeigten sich in den damals aufkommenden Befreiungstheologien. Die Vertreter dieses Exodusdenkens saugten ihre geistige Kraft aus der Auffassung, der Staat sei schon in der Jetztzeit in Analogie zum Heilsbereich zu verstehen, weil Christus ja diese Mächte beseitigt habe. Aus dieser Überzeugung erwuchsen nicht nur anarchistische Einstellungen, sondern hier lag eine der geistigen Wurzeln für die antiautoritäre Bewegung und für das ungenierte, man könnte auch sagen, ungezogene Auftreten gegenüber weltlichen Autoritäten.

5.5.5. Die Obrigkeit: Erhaltungsordnung in angespannten Zeiten (Nachkriegsluthertum)

Gegen das Verständnis, in Römer 13,1 seien unter den Obrigkeiten (exousiai) Engelmächte zu verstehen, wandten sich vor allem Vertreter des konservativen Luthertums. Sie kritisierten an der politischen Ethik Barths und seiner Schüler die „Vermischung“ des „Reiches der Gnade“ mit dem „weltlichen Reich“. Sie betonten, dass die weltliche Gewalt nicht in der uns in Christus geschenkten Gnade verankert sei, sondern diese unabhängig von Christi Heilswerk bestand und besteht.

Ein entschiedener Vertreter dieser Auffassung war Walter Künneth.[78] Mit Hinweis auf Römer 13,1–7 und 2.Thessalonicher 2,7 (das Aufhaltende) betonte er, dass Gott die Obrigkeit nicht gegeben habe, um in dieser Welt die Gnade oder das Liebesgebot zu verwirklichen, sondern um die Gesetzlosigkeit aufzuhalten. Die Obrigkeit sei bis zum Ende der Welt von Gott gegeben, und zwar zur Erhaltung und Bewahrung der Menschheit, damit alle die Möglichkeit haben, die Heilsbotschaft zu hören:[79] Gäbe es keine Obrigkeit, würde die Welt ins Chaos versinken, sodass dann der im Evangelium zum Ausdruck kommende Heilswille Gottes nicht verkündigt werden könne. Um dieses Zieles willen allein könne davon die Rede sein, dass die Obrigkeiten auf Christus, den Weltvollender ausgerichtet sind.[80]

Künneth geht noch weiter: Die Obrigkeit sei von Gott eingesetzt als Institution, das heißt unabhängig von der Person des Trägers und ohne Rücksicht auf die Auswirkungen der konkreten Machtausübung. Die Ausübung ihrer Macht fuße in der göttlichen Berufung jedes [!] Machtträgers: „Das Gute, von dem Römer 13 spricht, ist das, was der politischen Machtordnung gemäß ist, das Böse, was zu ihrer Bedrohung und Auflösung führt.“[81]

Aufgrund dieser Aussagen könnte man meinen, Künneth habe mit Verweis auf Römer 13 einen vorbehaltlosen Gehorsam gegenüber der Obrigkeit gefordert. Aber wenige Jahre nach dem Ende des Dritten Reiches wollte er diese Konsequenz nicht ziehen. Bezeichnenderweise behandelte er in seiner Erlanger Antrittsvorlesung das „Problem des Rechts auf Widerstand gegen die Obrigkeit“.[82] Gleichwohl aber meinte er angesichts der „zeitgeschichtlich begreiflichen Nervosität“ auf das Seid untertan pochen zu sollen.[83] Gelegentlich sprach er sogar von einer „metaphysisch, schicksalhaften Notwendigkeit“, „untertan zu sein“.[84]

Ein anderer Lutheraner, Werner Elert, akzentuierte, „dass die Aussage über die Obrigkeit in Römer 13 nicht auf eine anonyme Staatsmacht, sondern auf die für ihre Qualität Verantwortlichen bezogen“[85] sei. Allerdings verstand auch Elert die Staatsordnung als aller Rechtsordnung vorausgehendes „Seinsgefüge“.[86]

Gegen das lutherische Verständnis in der Nachkriegszeit ist vor allem einzuwenden, dass Römer 13 nicht von einem „Seinsgefüge“ spricht und auch nichts von einer „metaphysisch-schicksalhaften Notwendigkeit“ zum Gehorsam gegenüber der Obrigkeit weiß.

Das alles sind Anleihen, die möglicherweise aus der antiken Philosophie der Stoa stammen. Musste Künneth, der in den mehr als drei Jahrzehnten der Nachkriegszeit tapfer und unerschrocken gegen die Bultmannschule seine Stimme erhob und für die leibliche Auferstehung Christi aus den Toten eintrat, deswegen aus dieser Geistesrichtung schöpfen, weil auch er die ersten Kapitel der Heiligen Schrift („Urgeschichte“) nicht in ihrer historischen Faktizität verstanden wissen wollte, sondern als „Chiffre“ bzw. als „prophetische Bildrede“ interpretierte und sich also auch nicht auf die von Gott dem Noah gegebenen Ordnungen berufen konnte?[87]

5.5.6. Die Obrigkeit: Irgendwie von Gott (50er und 60er Jahre)

Die vermutlich größte Gruppe der Theologen in der Nachkriegszeit vertrat die Auffassung, Römer 13 lasse sich nicht (so ohne Weiteres) auf die Gegenwart beziehen. Schon gar nicht sei dieser Abschnitt des Römerbriefes eine umfassende politische Ethik.[88] Häufig verwies man auf den großen zeitlichen Abstand zwischen der Zeit, in der Paulus Römer 13 verfasste und der Gegenwart.

Zum Beispiel meinte Helmut Thielicke: „Wir haben das ewige Wort in unserer und das heißt: in einer geänderten Stunde zu vernehmen […]. Es ist dem damaligen Staat […] eine gewisse Transparenz eigen, durch die hindurch wir das Staatswesen überhaupt sehen […]. Unsere Demokratien und Diktaturen sind nicht identisch mit dem römischen Kaiserstaat, den Paulus meint. Darum müssen wir das Wort für unsere staatliche Situation erst suchen.“[89]

Andere legten den Nachdruck auf die in der Gegenwart veränderte Gestalt der Obrigkeit im Vergleich zur Zeit des Apostels: Man habe es heutzutage nicht mehr mit einem „Obrigkeitsstaat“ zu tun. Es entspreche dem Selbstverständnis der demokratischen Staatsform, wenn man in der Gegenwart den Obrigkeiten frei und unbefangen entgegentrete. Der in Römer 13 gebotene Gehorsam finde in der vorausgesetzten Freiheit in Christus sein Kriterium und habe im Zuge der „Folgen der Freiheit sein reiches und differenziertes Betätigungsfeld“.[90]

Nun ja, auch das Neue Testament spricht im Blick auf das Untertansein gegenüber den Regenten von Freiheit. Aber es meint damit gerade nicht ein „unbefangenes“ Umgehen mit der Obrigkeit, sondern es warnt davor, dass die Freiheit eines Christen nicht zu einem Deckmantel der Bosheit gemacht werden darf. Diese Freiheit vollzieht sich gerade darin, dass sich Christen als Knechte Gottes erweisen (1Petr. 2,16). Genau dies entspricht übrigens Luthers Schrift Von der Freiheit eines Christenmenschen.

Das was Gott durch seine Apostel für die Gesamtgemeinde aller Zeiten aufschreiben ließ, wird man auch nicht mit Hinweis auf „den garstigen Graben der Geschichte“ (G.E. Lessing) vom Tisch fegen können. Und die Feststellung, dass Römer 13,1–7 nicht alles ist, was die Heilige Schrift zur weltlichen Gewalt und zu unserem Verhältnis zu ihr mitteilt, sollte sich eigentlich von selbst verstehen, und soweit ich sehe, hat noch nie jemand das Gegenteil behauptet. Der Grund dafür, warum man in den fünfziger Jahren den „schwierigen“ Text von Römer 13,1–7 meinte relativieren zu sollen, war wohl vor allem dem Sog des Säkularismus geschuldet.

Auf der anderen Seite aber heißt das nicht, dass Römer 13,1–7 in der Nachkriegszeit keinerlei Bedeutung hatte. Im Gegenteil. Bei der sogenannten Vergangenheitsbewältigung spielte Römer 13,1-7 eine zentrale Rolle. Allerdings blieben die Antworten auf die entscheidende Frage, wo einerseits Unterordnung unter die Obrigkeit endet und andererseits Kollaboration mit einem gottlosen Regime beginnt, vage, unsicher, und sie waren sehr unterschiedlich, ja gegensätzlich. Auch die Frage, wozu Gott nach Römer 13 die Obrigkeit eingesetzt hat, fand keine deutliche Klärung.

Im Folgenden sei einmal der Versuch unternommen, die Antworten auf die Frage, wie man sein Verhalten im Dritten Reich mit Römer 13 in Beziehung setzte, etwas zu strukturieren. Dabei ist klar, dass in der Praxis die Argumentationen ineinander übergingen. Die folgende Gliederung will also lediglich ein Versuch sein, holzschnittartig ein wenig Struktur in die damaligen Gedankenführungen zu bringen.

● Erstens: Es gab nicht wenige, die auch im Rückblick keine ernsthaften Probleme mit ihrem Verhalten während des Hitlerregimes hatten: Gemäß Römer 13 sei jede obrigkeitliche Institution befugt, Gehorsam zu verlangen, auch Hitler. Die weltliche Gewalt habe auch dann darauf Anspruch, wenn man persönlich mit der einen oder der anderen Anweisung nicht einverstanden ist oder nicht mit ihr innerlich konformgeht. Eine regellose Freiheit des Einzelnen, zum Beispiel unter Berufung auf das eigene Gewissen hätte den Zusammenbruch jedes Gemeinwesens zur Folge. Eine solche Forderung aufzustellen, wäre Ausdruck eines wirklichkeitsfremden Moralismus. Dass bei Hitler nicht alles ethisch einwandfrei lief, sei unstrittig, aber es waren halt besondere Zeiten und außerdem kam dann der Krieg. Hier mit dem moralischen Zeigefinger zu kommen, sei selbstgerecht. Die sogenannte Re-Education der Alliierten sei nichts anderes gewesen als Siegerjustiz. Wer mit dem Anspruch auftritt, das deutsche Volk entnazifizieren zu wollen, müsste zunächst Paulus „entneroanisieren“. Kurzum, christliches Glaubensleben und Politik seien zwei unterschiedliche Bereiche.

An dieser Auffassung ist richtig, dass auch eine Diktatur Gehorsam beanspruchen kann, zumal auch eine solche Obrigkeit niemals völlig den Normen Gottes entgegengesetzt ist. Das galt auch für das nationalsozialistische Deutschland. Auch im Dritten Reich war es zum Beispiel verboten, jemanden zu ermorden.

Aber trotzdem kommt diese Einstellung einer moralischen Kapitulation im Blick auf den politischen Bereich gleich. Römer 13 wird hier gelesen, als ob dieser Abschnitt nichts zu dem verordneten Zweck der Obrigkeit sagen würde. Und niemand wird behaupten wollen, dass die Aussage des Apostels, dass man der Obrigkeit um des Gewissens willen untertan sein soll (Röm. 13,5), den Sinn haben kann, dass man an der Selektionsrampe in Auschwitz seine „Pflicht“ gehorsam erfüllt, weil man von einer übergeordneten Instanz dorthin abkommandiert wurde. In einem Kindergarten mag es blinden Gehorsam geben, und die Kleinkinder hätten die Konsequenzen ihrer Taten auch nicht zu verantworten. Aber bei Erwachsenen verhält sich dies grundlegend anders. Auch in einer Tyrannenherrschaft ist man zum Beispiel nicht vom Gebot befreit: Hasst das Böse (Röm. 12,9).

● Zweitens: Es gab diejenigen, die es ablehnten, eine eindeutige Scheidewand zwischen ihrem christlichen Glauben einerseits und der Politik andererseits zu ziehen. Angesichts der Übergriffe von Seiten der weltlichen Gewalt erkannten sie durchaus Probleme für einen strikten Gehorsam gegenüber der Obrigkeit. Aber, so fügten sie hinzu, wann es angebracht sei der Obrigkeit zu gehorchen und wann man nicht gehorchen soll, sei auch bei Berücksichtigung von Römer 13 eine persönliche Entscheidung. Niemand anderes sei berechtigt, ein Urteil darüber zu fällen, wie man sich jeweils entschieden hat.

Man könne hierbei an das denken, was Paulus über die „Mitteldinge“ (Adiaphora) geschrieben habe (Röm. 14; 1.Kor. 8). Auch damals gab es Fragen, bei denen jeder für sich selbst die Entscheidung getroffen habe. Ähnlich verhalte es sich im Blick auf eine übergriffige Obrigkeit: Ob und wie weit man ihr gehorchen kann und wann man nein sagen muss, bleibe die Entscheidung jedes einzelnen. Der eine sei in die NSDAP eingetreten, der andere konnte das mit seinem Gewissen nicht vereinbaren, sodass der eine mehr habe mitmachen können als der andere usw. Es gebe in der Gemeinde Starke und Schwache im Glauben. Man habe einander da zu tolerieren.

An der Einstellung derjenigen, die diese Position vertraten, ist richtig, dass auch in einer Diktatur die Frage, ob und wann man untertan ist und wann nicht, nicht vom christlichen Glauben abgekoppelt werden kann. Tatsächlich steht der politische Bereich nicht außerhalb des christlichen Glaubens.

Allerdings ist zu bezweifeln, ob man die Frage nach Gehorsam bzw. Ungehorsam gegenüber einer Tyrannis als „Mittelding“ verstehen kann und damit auf eine Ebene mit den Regelungen stellen kann, um die es in Römer 14 und in 1.Korinther 8 geht. In diesen Bibelabschnitten geht es um das Recht, die Schöpfung zu gebrauchen, auch wenn die Schöpfungsgaben zuvor den Götzen geopfert wurden. Es ging dem Apostel um die Feststellung, dass Gottes gute Schöpfung über deren Missbrauch triumphiert. Es ging nicht darum, etwas gegen die Gebote Gottes zu tun.

● Drittens: Andere sahen in der Herrschaft des Dritten Reiches und in ihrem Gehorsam nicht nur Probleme, die man mit sich selbst allein, also persönlich auszumachen habe, sondern man sah sich innerhalb eines sozialen Geflechts. Man verstand sich in diesem Kontext so eingebunden wie ein Rädchen in der Maschine und interpretierte von daher sein Verhalten während der nationalsozialistischen Diktatur als „tragisch“.

Ähnlich wie in den Tragödien des Sophokles, zum Beispiel in der „Antigone“ sei in einem tyrannischen System eine verantwortliche Lebensführung ohne Schuld gar nicht möglich. Angesichts des gigantischen Staatsapparates sei man nur ein kleines, hilfloses Teilchen innerhalb eines großen Ganzen gewesen, aus dem man nicht habe aussteigen können. Aber selbst wenn man ausgestiegen wäre, hätte man sich mit einem solchen Schritt nur Nachteile eingehandelt. Zum Beispiel hätte man seinen Beruf verloren, und dann hätte man seine Familie nicht mehr ernähren können. Aber ein Christ sei auch für die eigene Familie verantwortlich. Im Übrigen aber hätte das Aussteigen aus dem System keinerlei reale Veränderung für das Ganze gebracht, denn dann wäre jemand anderes nachgerückt.

Es ist deutlich, dass derjenige, der seine Situation in einem totalitären Staat unter dem Vorzeichen des Tragischen sehen möchte, sich als ein Verstrickter innerhalb eines geschlossenen Systems versteht. Römer 13,1–7 fungiert hier als Entlastung: Man habe überhaupt nicht die Möglichkeit gehabt, freie Entscheidungen gemäß den eigenen Überzeugungen und Wertvorstellungen zu treffen.

Aus dieser Warte ist es übrigens nicht so überraschend, dass nach Ende des Zweiten Weltkrieges so viele Menschen subjektiv davon überzeugt waren, dass sie nie den Nationalsozialismus unterstützt hätten, zumindest nicht, was das verbrecherische Programm anbelangte. Vielmehr verstanden sie sich als Opfer des Systems.

In den Nachkriegsprozessen lehnten deutsche Gerichte diese Argumentationsführung ab: Man wird sich für eine solche Argumentation auch nicht auf die Heilige Schrift berufen können. Es ist zwar richtig, dass jeder Mensch in einem Geflecht sozialer Beziehungen lebt und webt, und in Konfliktfällen nicht selten von dem Eindruck überwältigt ist, in einer ausweglosen Situation zu verkehren. Dann kann es sein, dass er zu sich selbst sagt: Ich hatte weder den Willen noch die Kraft, gegen das System etwas zu unternehmen. Jeder andere an meiner Stelle hätte sich ebenfalls gefügt. Aber das Wort Gottes entlässt uns zu keiner Zeit aus unserer persönlichen Verantwortung gegenüber Gott und dem Nächsten. Die Konsequenz daraus kann dann sogar sein, dass unser Leib getötet wird (Mt. 10,28; Offb. 2,10).

Derjenige, der darauf verzichtet, für sein Tun und Lassen persönliche Verantwortung zu übernehmen, und stattdessen sich als ein im System Verstrickter begreifen möchte, gibt die christliche Moral und Ethik für sich auf. Im Grunde verzichtet er auf sein Menschsein. Denn die Summe aller Lehre ist: Fürchte Gott und halte seine Gebote, denn das macht den ganzen Menschen aus (Pred. 12,13).

Gelegentlich erwog man, ob ein Christ angesichts eines totalitären Regimes differenzieren könne zwischen einerseits „Unterordnung“ und andererseits „Gehorsam“: Unterordnung sei eher passiv zu verstehen, während Gehorsam auch Mitarbeit und Unterstützung beinhalte.[91] Aber der Apostel Paulus macht eine derartige Unterscheidung nicht, sondern spricht in einem einzigen Atemzug sowohl von „Unterordnung“ als auch von „Gehorsam“. Dabei fügt er hinzu, dass man zu jedem guten [!] Werk bereit sein soll (Tit. 3,1).

● Viertens: Ferner gab es Christen, die vorbehaltlos anerkannten, dass sie „mitgemacht“ hatten. Sie räumten auch ein, dass sie damit Schuld auf sich geladen hatten. Aber, so fügten sie hinzu, ihr Mitmachen sei das kleinere Übel gewesen. Man habe mitgemacht, um noch Schlimmeres zu verhindern: Wir, die wir heute als Schuldige dastehen und es auch sind, haben damals im Sinn von Römer 13 Verantwortung übernommen, und wir haben, um noch Ärgeres zu verhindern, durchgehalten.

Zum Beispiel gab es den Bürgermeister, der in seinem Amt ausharrte und vielfach mit den Nazis kooperieren musste. Andererseits aber war er aufgrund seiner Position in der Lage, den einen oder anderen rechtzeitig vor dem Zugriff der Gestapo zu schützen, weil ihm der Plan der Häscher frühzeitig bekannt geworden war. Oder da war der Polizeibeamte, der im Dienst des Regimes stand. Aber aufgrund seiner Position konnte er gelegentlich rechtzeitig Juden warnen, usw.

Über diese Haltung entbrannte eine intensive Diskussion. Zum einen gab es die Vertreter, die ein solches Mitmachen als „kompromisslerisch“ und „opportunistisch“ strikt ablehnten. Auch Kant hätte wohl ein solches Verhalten mit der Begründung zurückgewiesen, dies sei mit den sittlichen Grundsätzen nicht vereinbar. Man hätte ein solches Verhalten wohl auch ablehnen können mit der Denkweise mancher Stoiker: „Die Gerechtigkeit muss bleiben, auch wenn die Welt zugrunde geht (iustitia manet, pereat mundus).“

Aber die übergroße Mehrheit der Christen verurteilte ein solches Verhalten nicht prinzipiell. Niemand wollte Kompromisse aus Bequemlichkeit, Opportunismus, Laxheit, Nachlässigkeit oder Defaitismus („es ist sowieso Endzeit und daran kann man nichts ändern“) befürworten. Aber zum Beispiel argumentierten Lutheraner mit der Unterscheidung zwischen „Erlösungsordnung“ und „Erhaltungsordnung“: Während im Blick auf das „Evangelium“, also bei der Thematik der „Rechtfertigung aus Gnaden“ jegliches Entgegenkommen ausgeschlossen sei, seien im Blick auf die politische Wirklichkeit Kompromisse und Nachgiebigkeit unumgänglich, und zwar um der Erhaltung des menschlichen Miteinanders willen.

Namentlich Helmut Thielicke beschäftigte sich ausgiebig mit dieser Frage:[92] In dieser Welt sei immer nur ein gebrochenes Handeln möglich. Mit anderen Worten: In der Jetztzeit sei der Kompromiss für das Verhalten eines Christen das ethische Modell schlechthin. Allerdings, so fügte Thielicke hinzu, wäre es falsch, diese Zwangsläufigkeit als „tragisch“ zu bezeichnen. Wenn man damit so umgeht, wie es die alten Griechen getan hatten, würde man gewissermaßen aus der Not eine Tugend machen. Man würde dann die eigene in dieser Welt immer gebrochene Lebensführung mit dem Willen Gottes gleichsetzen. Aber ein Christ könne und dürfe sich mit dieser Gebrochenheit niemals abfinden. Vielmehr sei der Weg eines Christen, die Zerrissenheit seines eigenen ethischen Verhaltens als Schuld anzuerkennen, Gott seine Sündhaftigkeit zu bekennen und angesichts der begangenen Schuld auf die Vergebung Gottes zu hoffen: Ein Christ habe Gottes Forderung unangetastet zu lassen und sein eigenes Leben unter der Vergebung Gottes zu führen.[93]

Mit einer solchen typisch lutherischen Einstellung wollte sich Bonhoeffer nicht (mehr) zufriedengeben. Er suchte eine Antwort auf dieses Problem im Schema von „Vorletztem“ und „Letztem“. Bei dem „Vorletzten“ dachte Bonhoeffer an das „Menschsein“ und an das „Gutsein“, während er unter dem „Letzten“ das Stehen des Menschen vor Gott, seinem Richter verstand. Bonhoeffer wollte also diese beiden Bereiche zwar unterscheiden, aber er lehnte es ab, sie zu scheiden: Das Vorletzte müsse immer auf das Letzte bezogen sein. Von daher mahnte Bonhoeffer zur Zurückhaltung und zu großer Wachsamkeit im Blick auf Kompromisse: Jeder Kompromiss trenne diese beiden Bereiche doch irgendwie und sei damit Ausdruck des Unglaubens.

Andere wandten gegen Bonhoeffer ein, dass er zu wenig den Ausnahmecharakter des Kompromisses habe sehen wollen. Man habe eben auch die sozialen Verflechtungen im Auge zu behalten, in die das Leben jedes Menschen eingebunden sei. Jesus Christus habe uns niemals aus den mitmenschlichen Bindungen entlassen, auch wenn er diese nicht als den letztgültigen Horizont für unser Verhalten akzeptierte (vergleiche Lk. 14,26). Aber man könne nicht behaupten, dass für einen Christen Kompromisse um des menschlichen Zusammenlebens und um der gemeinsamen Zukunft willen niemals statthaft seien:[94] Weil Gott uns Menschen zu einem gemeinsamen Schicksal zusammengebunden habe, könne und dürfe man sich nicht rigoros von anderen isolieren, sondern habe ethische Konfliktsituationen um des Lebens des Nächsten willen auszuhalten.[95]

Natürlich schwebte über dieser Diskussion stets die Frage: Wurden die zahlreichen Kompromisse tatsächlich immer „leidend“ und um des „kleineren Übels“ willen begangen? Es ist leider wahr, dass die Argumentation mit dem „kleineren Übel“ vielfach gerade von denen vorgebracht wurde, die über die Fachkompetenz verfügten, ohne die das tyrannische Regime nicht hätte fortbestehen können. Man stelle sich wenigstens einmal für einen kurzen Moment vor, dass man gleich zu Beginn des nationalsozialistischen Regimes die Mitarbeit in Form eines Generalstreiks kategorisch verweigert hätte…

Bekanntlich wurden die Verbrechen des Dritten Reiches von Jahr zu Jahr offenkundiger. Hatte man bis zum Schluss immer noch das Recht, vom „kleineren Übel“ zu sprechen? Warum brach diese Argumentation bis zum Ende des Dritten Reiches nicht wirklich zusammen?

Die Frage bleibt: Wann ist bei der Argumentation mit dem „kleineren Übel“ die rote Linie erreicht, in der die Aussage: Ich habe zwar leidend mitgemacht, blieb dabei aber wegen des kleineren Übels in gewissem Sinn „anständig“, wie ein Kartenhaus zerfallen musste!?

Andererseits machten Christen, die es nicht strikt ablehnten, dass man um des kleineren Übels willen mitmachen musste, darauf aufmerksam, dass auch Paulus schreibt, es lasse sich überhaupt nicht vermeiden, in dieser Welt Umgang mit Unzüchtigen und Habsüchtigen etc. zu haben (1Kor. 5,10), also mit Gesetzlosen. In einem totalitären Regime, in dem alles mit allem eng verflochten ist, könne das doch nur heißen – jedenfalls wenn man sich nicht total aus dem sozialen Leben zurückzieht oder auf eine Insel auswandert – dass man seine Hände auch schmutzig machen muss. Man müsse dieses Verhalten ja keineswegs gutheißen: Es ist Schuld.

Immerhin aber sei auch die Antwort des Propheten Elisa an Naeman zu berücksichtigen. Als Naeman, der inzwischen in seinem Herzen zu dem wahren Gott umgekehrt war, die Frage stellte, ob er aufgrund seiner beruflichen Verpflichtungen zusammen mit seinem syrischen König in den Tempel Rimmons gehen und sich dort verneigen dürfe, sprach der Prophet kein unzweideutiges Verbot aus. Elisa sagte lediglich: Gehe hin in Frieden (2Kön. 5,18.19).

Kurzum: Es hat den Anschein, als ob es bei der Beantwortung der Frage eines Kompromisses um des kleineren Übels willen eine Grauzone gibt zwischen einerseits ethischem Rigorismus und kompromisslerischem Opportunismus. Nicht in jedem Fall ist wohl eine unzweideutige Antwort möglich.

Aber das heißt natürlich nicht, dass alles Mitmachen erlaubt ist. Zum einen haben Christen die Verheißung, dass Gott treu ist und nicht zulassen wird, sondern zugleich mit der Versuchung auch den Ausgang schaffen wird, sodass ihr sie ertragen könnt (1Kor. 10,13), und zum anderen warnt das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung, mit allerhöchstem Nachdruck vor Kollaboration mit dem Tier, was im Annehmen des Malzeichens zum Ausdruck kommt (Offb. 13,16; 14,11; 16,2; 20,4).

● Fünftens: Schließlich gab es Christen, die ihre Schuld vorbehaltlos anerkannten. Sie bekannten: Ja, wir waren schuldig vor Gott und auch vor den anderen Völkern. Wir haben zu wenig protestiert, wie waren feige und haben zu dem Regime nicht energisch genug in die Speichen gegriffen, sodass unser Verhalten nicht einem Untertansein im Sinn von Römer 13 gleichkam, sondern Züge von Kollaboration enthielt.

Hier kann man an diejenigen denken, die im Oktober 1945 mit dem „Stuttgarter Schuldbekenntnis“ an die Öffentlichkeit traten. Dabei fällt auf, dass eine große Anzahl derjenigen, die damals ihre Schuld bekannten, direkt aus Konzentrationslagern befreit worden waren.

5.6. Römer 13 und das DDR-Regime

5.6.1. Die Obrigkeit: Navigieren und Manövrieren innerhalb eines totalitär-atheistischen Regimes

Nach dem Aufstand vom 17. Juni 1953 wurde für einige Jahre Römer 13 im Blick auf die Situation in der DDR intensiv diskutiert. In diesen Jahren schwebte über Deutschland die Frage, ob es zu einer (völligen) Teilung kommen werde. In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre wurde immer offenkundiger, dass Ost- und Westdeutschland in der Frage der Wirtschaftsordnung unterschiedliche Wege einschlagen würden.

Konzentrieren wir uns hier auf die Frage, welchen Stellenwert in dieser Ost-West-Konstellation der Abschnitt Römer 13,1–7 einnahm. Die Fragestellung spitzte sich darauf zu, wie sich Christen in einem dezidiert atheistischen Herrschaftssystem verhalten sollen.

Das Thema brach im Jahr 1957 auf. Der Anlass war die Verhaftung des mecklenburgischen Propstes Otto Maercker. Maercker hatte sich geweigert, die Tochter des LPG-Vorsitzenden von Holthusen, ein 19-jähriges Mädchen, das sich der Jugendweihe unterzogen hatte, auf dem kirchlichen Bezirk des Friedhofs zu beerdigen. Diese Weigerung Maerckers bot dem DDR-Regime Anlass für eine Kampagne, um gegen die Kirche und die Christen vorzugehen. Es kam zum Prozess, und Maercker wurde wegen dieses „Verbrechens“ zu zweieinhalb Jahre Zuchthaus verurteilt. Gleichzeitig kam es zu einer Verhaftungswelle weiterer bei der Kirche angestellter Personen.[96]

Damit war der Evangelischen Kirche vor Augen geführt, dass eine friedliche Koexistenz zwischen dem atheistischen Regime und der Kirche nicht möglich sei oder sich zumindest sehr, sehr schwer gestalten lasse.

In dieser sich verdüsternden Lage stellte der Moderator des Reformierten Bundes, Wilhelm Niesel, den Antrag, „der Rat [der Evangelischen Kirche] möge die Frage klären, was das Gebot Jesu, die Feinde zu lieben, in unserer Lage bedeutet“.[97] Schnell kam man zu der Frage, ob und was Römer 13,1-7 im Blick auf das DDR-Regime heiße. Im folgenden Jahr (1958) kristallisierten sich dazu in der Kirche zwei Positionen heraus.

Die erste Position wurde durch Johannes Hamel repräsentiert. Er war am Katechetischen Oberseminar in Naumburg in der Theologenausbildung tätig. In seiner Broschüre „Christ in der DDR“[98] vertrat dieser Schüler Karl Barths die These, die Kirche müsse zuerst und vor allem das Ja Gottes zur Welt, Gottes alle Grenzen überschreitende Liebe zu den Menschen laut und klar verkündigen. In diesem Licht sei es möglich, auch die Machthaber in der DDR als Werkzeuge von „Gottes guter, gnädiger Herrschaft“ zu begreifen.

Die zweite Position vertrat der Bischof der Pommerschen Kirche, Friedrich-Wilhelm Krummacher. Seine Überlegungen trug er in zwölf Thesen vor.[99] Im Blick auf Römer 13 argumentierte er folgendermaßen: Auch der Staat der DDR ist Obrigkeit in biblisch-reformatorischem Sinn, ohne Rücksicht auf seine Entstehung und Herkunft, seine Staatsform und Legitimation, sein Selbstverständnis und das Glaubensbekenntnis der Staatsmänner. Aufgabe des Staates ist die Erhaltung des Lebens im Sinn von „Frieden, Recht und Ordnung“. Zur Frage nach den Grenzen des Staates diagnostizierte er, dass die DDR offenkundig danach strebe, sämtliche Lebensbereiche nicht nur zu kontrollieren, sondern auch zu gestalten.[100] Ein Christ könne dieses niemals billigen. Es sei zwar möglich, in einzelnen Bereichen mitzuwirken, etwa bei den Bemühungen des Staates um den Frieden in der Welt und die Wiedervereinigung. Aber auch das müsse auf eine der Kirche angemessene Weise und in ihrer eigenen Sprache geschehen. Fakt aber sei, dass der ostdeutsche Staat permanent die ihm von Gott gesetzten Grenzen überschreitet, indem er Menschen für Prinzipien opfert und „sich selbst zum Richter über Herzen und Gewissen“ mache.

Mit anderen Worten: Für Krummacher trug der DDR-Staat widergöttliche Züge im Sinn von Offenbarung 13. Aber das, so der pommersche Bischof, ändert nichts an der Feststellung, dass „derselbe Staat zugleich Obrigkeit nach Römer 13 ist und bleibt, weil er täglich auch Ordnung und Leben anstelle von Anarchie und Chaos erhält“. Dass dieser Staat widergöttliche Züge trage, sei das, was die Christen in der DDR tagtäglich erfahren. Folglich müsse es dem Einzelnen freigestellt bleiben, in den Westen zu fliehen. Oder aber ein Christ könne versuchen, trotz der Bedrängnisse, die auf ihn zukommen, in letzter persönlicher Entscheidung im Widerspruch zum politischen System der DDR zu leben. Für Pfarrer komme selbstverständlich nur die letztere Möglichkeit in Betracht.

Zu den Aufgaben der Kirchenleitungen gehöre es, die Machthaber in Gesprächen und Verhandlungen aufzufordern, die Grenzen des Staates nicht zu überschreiten. Sie sollen verlangen, so Krummacher, dass der Staat der Kirche „Raum zur öffentlichen Verkündigung (geistig und buchstäblich)“ gibt. Umgekehrt heiße das, man werde auf ein grundsätzliches und immerwährendes Nein gegenüber den Repräsentanten der SED und der DDR verzichten. Allerdings behalte man sich den Einspruch gegen die pseudoreligiöse Verabsolutierung des Staates vor und bezeuge das „Ja zum Menschen“. Es gehe aber auch um ein grundsätzliches „Ja zum Staat und seinem Auftrag“. Krummacher schloss mit der Einschätzung: Nüchtern müsse man allerdings sehen, dass lediglich „eine kleine Schar“ willens und fähig sei, in dieser Weise auf dem Boden der DDR dem permanenten Absolutheitsanspruch des Staates entgegenzutreten.

Damit waren die Positionen abgesteckt, die man in weiteren Gesprächen mit der SED im Auge behalten wollte. Es sollte ein „Zwischenweg“ sein: Einerseits wollte man auch in der DDR das befolgen, was in Römer 13 steht, denn das SED-Regime sei eine von Gott gegebene Obrigkeit. Andererseits aber dürfe diese Feststellung nicht als „Loyalitätsbekundung für den ostdeutschen Staat“ aufgefasst werden. Dem prinzipiellen Ja zum Gehorsam habe sogleich das Nein zur weltanschaulichen Verabsolutierung des Atheismus zu folgen. Es gelte, dass man Gott allein voll und ganz zu gehorchen habe. Dazu gehöre sowohl die Bereitschaft zu leiden als auch das Wahrnehmen der Gemeinschaft mit anderen Christen und Kirchen, und zwar auch über die Staatsgrenzen hinweg. Nicht zuletzt sehe man sich verpflichtet, „für das Recht des Menschen, wo immer ihm Unrecht geschieht“ einzutreten. Dies ergebe sich aus dem Sinn der Gebote zur Nächstenliebe sowie zur Feindesliebe. Schließlich habe man sich um Versöhnung zu bemühen sowie um die Durchsetzung des Guten überall, „auch im Bereich des öffentlichen Lebens“. Mit anderen Worten: Es gehe um Gehorsam gegenüber dem Staat, ohne sich gleichschalten zu lassen. Entsprechend der staatsbürgerlichen Pflichten erklärte man sich einerseits bereit, die Entwicklung zum Sozialismus mitzutragen, andererseits aber versicherte man sich intern, dass diese Bereitschaft nicht als Bejahung des Sozialismus verstanden werden wolle.[101]

Trotz dieser aus kirchlicher Sicht gemachten Zugeständnisse gegenüber dem atheistischen DDR-Regime verliefen die Gespräche mit der SED außerordentlich zäh, und schließlich versandeten sie in einem demonstrativen Schweigen der DDR-Oberen. Die Kirchenvertreter mussten erfahren, dass sich die SED in keiner Weise daran interessiert zeigte, die biblische Überzeugung zu Wesen, Aufgabe und Grenzen der Staatsmacht auch nur anzuhören.

Daraufhin bildeten sich drei Positionen, die alle im Horizont von Römer 13 argumentierten.

Die erste lässt sich festmachen an dem thüringischen Bischof Moritz Mitzenheim. Er blieb weiterhin davon überzeugt, dass die bisherigen Loyalitätsbekundungen der Kirche zum Staat „eine gute Ausgangsbasis für weitere Verhandlungen“ seien. Seine Einschätzung: „Die Türen sind jedenfalls offen.“

Der Bischof von Berlin-Brandenburg, Otto Dibelius, vertrat die genau entgegengesetzte Position. Im Juli 1958 erklärte er, Kommunismus und Christentum seien prinzipielle Gegensätze: „So ein Abkommen dauert für gewöhnlich höchstens sechs Monate, auch nur sechs Wochen.“ […] „Die Quadratur des Zirkels, Christen in einem kommunistischen Totalstaat, ist nicht zu lösen.“ Angesichts der Erfahrungen, dass im Blick auf einen totalitären Staat jegliche Vereinbarungen nur eine sehr kurze Haltbarkeit versprechen, notierte Dibelius: „Aber der Kampf geht eben weiter…“.[102]

Die dritte Position vertrat der bereits erwähnte Bischof Krummacher: Angesichts der ideologischen und politischen Entwicklung in Ostdeutschland verfüge die Kirche nur über eine theoretische Entscheidungsmöglichkeit. Diese bestehe entweder in „der Kapitulation“ oder in „der Revolution“. Da eine „Revolution“ aber ausgeschlossen sei, bleibe nur die „Kapitulation“. Unter „Kapitulation“ wollte Krummacher jedoch nicht Rückzug oder Passivität verstanden wissen, sie umschloss für ihn auch die Bereitschaft zum Widerspruch.

Im Kern näherte sich Krummacher der Auffassung des Berliner Theologen H. Gollwitzer an, der die Ansicht vertrat, dass zum Sozialismus weder die gegenwärtig angewandten Methoden der DDR gehörten noch der Atheismus. Man müsse – gedanklich – das eine vom anderen trennen. Krummacher tendierte also dahin, dass die Kirche in der DDR die ideologische Realität akzeptieren müsse und sich prinzipiell loyal zum Staat der DDR aufstellen solle, andererseits aber sich vorbehalte, gegen Unrecht und Inhumanität des Regimes ihre Stimme zu erheben.

Alle drei Positionen stimmten in der Überzeugung überein, dass auch der DDR-Staat seine Ermächtigung von Gott habe. Auf die kritische Frage, ob dann also jeder „Bandenführer, der sich einer Stadt bemächtigt“, als Obrigkeit gelten sollte, erwiderte Johannes Hamel: Wenn jemand die Macht in Händen hat und für Leben, Recht und Frieden sorgt und sich darauf ansprechen lässt, „dürfen wir glauben, dass göttliche Ermächtigung vorliegt“.

In ähnlicher Weise äußerte sich im August 1958 eine kirchliche Synode: Wir sehen „unabhängig von dem Zustandekommen der staatlichen Gewalt oder ihrer politischen Gestalt den Staat unter der gnädigen Anordnung Gottes“.

Natürlich stellte sich damit die Frage, was das für den Christen in der DDR konkret heißt: Soll er dem DDR-Staat mit Misstrauen, Unterkühlung, Unterwanderung, gegebenenfalls mit Sabotage begegnen, oder soll er zu seiner Konsolidierung beitragen? Darauf wurde folgende Antwort gegeben: Römer 13 gesteht einem Christen nicht zu, den Staat zu unterhöhlen, sondern im Gegenteil, in ihm Verantwortung zu übernehmen.

Zur gleichen Zeit verfasste Karl Barth einen „Offenen Brief“ an einen „Pfarrer in der DDR“ (Oktober 1958). Darin schrieb er dem Pastor, dass Gottlosigkeit und Unglauben überall dominieren, „nicht nur der offene Totalitarismus bei Ihnen, sondern auch der schleichende bei uns, nicht nur das Schalten und Walten der allmächtigen Partei, Propaganda und Polizei dort, sondern auch das der ebenso allmächtigen Presse, Privatwirtschaft, Protzerei und Publikumsmeinung hier“.[103]

5.6.2. Die Obrigkeit: Innerkirchliche Diskussionen angesichts eines atheistischen Regimes

Das Jahr 1959 war dann in der Kirche mehr durch tagesaktuelle Fragestellungen bestimmt. Angesichts der durch Chruschtschow ausgelösten Berlinkrise und der am politischen Horizont drohenden völligen Teilung Deutschlands[104] stellte man grundsätzlich die Frage, welche Bedeutung in der DDR dem Atheismus zukomme.[105]

Dabei ging es immer wieder um die Suche nach praktischen Antworten, mit denen die Kirchenleitungen den Pfarrern und Gemeinden eine Hilfe bieten konnten angesichts der sich gesellschaftlich-politisch gerade vollziehenden Umwälzungen („Bodenreform“). Die generelle Antwort lautete: „Dem heute bedrängten und angefochtenen Menschen haben wir zu raten und zu dienen. Insbesondere haben wir die Aufgabe, den Verlustträgern der heutigen Entwicklung dazu zu helfen, dass sie das ihnen Widerfahrene in christlicher Gelassenheit und getröstetem Gehorsam hinnehmen. Dazu gehört freilich, dass man das Leiden auch Leiden nennt.“[106]

Auch die Frage nach dem Rechtssystem in der DDR erörterte man grundsätzlich. Johannes Hamel vertrat die Überzeugung, dass sich das Verständnis des Rechts im Marxismus nicht mit dem christlichen Glauben versöhnen lasse, aber auch nicht dasjenige des Liberalismus, des Idealismus oder auch des Positivismus. Es sei eine eigene, spezifisch christliche Konzeption des Rechts zu entwerfen. In Anlehnung an die Barth-Schule vertrat er die Meinung, dass sich ein solches Recht nicht wirklich aus den fixierten Rechtsnormen ableiten lasse, sondern man solle „aus jener Aufrichtung von Gottes Gerechtigkeit am Kreuz Christi die jeweiligen Regeln und Normen suchen, finden und befolgen, die diesem Evangelium entsprechen“.[107]

Wie zu erwarten erhoben die Lutheraner gegen Hamels Ansicht den Einwand: Bei einer Konzeption des Rechts dürfe man nicht vom Evangelium ausgehen. Vielmehr habe die Grundlage des staatlichen Rechts die Predigt vom Gesetz Gottes zu sein. Dabei bleibe als Gebot der Stunde, dass man die faktische Verdrängung des Rechts in der DDR nicht unterstützen dürfe, zumal man „auch für die nichtchristliche Welt eine stellvertretende Verantwortung“ habe.

Helmut Gollwitzer machte daraufhin einen Kompromissvorschlag, auf den sich die meisten einigten: „Gott ist der Hüter des Rechts. Die christliche Gemeinde trägt für das Recht Verantwortung. Der Staat muss sich durch Rechtsnormen binden.“[108] Dieser Feststellung wurde hinzugefügt, dass nicht nur in der DDR, sondern überall in der Welt Rechtstheorie und Rechtspraxis auseinanderklaffen würden. Überall finde man eine mangelhafte Durchsetzung des Rechts, sodass alle Menschen „auch an dieser Stelle von den aufschiebenden Faktoren“ leben.

Im Blick auf die gerade laufende „Bodenreform“ stellte man fest, die faktische Enteignung könne man so oder auch anders sehen. Entscheidend bleibe, wie solche Veränderungen durchgeführt werden, das heißt, ob man dabei „den Menschen als Person respektiert“.

Es ist deutlich, dass man sich nach Kräften darum bemühte, alles zu vermeiden, was zu einer weiteren Trennung innerhalb der evangelischen Kirche und auch des deutschen Volkes hätte führen können. Zwar erklärte man dazu, dass es sich bei der nationalen Einheit nicht um eine „Angelegenheit von Heilsbedeutung“ handele, wohl aber um ein „Gut, das man nicht preisgeben“ solle, das „uns allerdings genommen werden“ könne. Auf jeden Fall habe die Kirche für die Förderung der „gesamtdeutschen Mitmenschlichkeit“ einzutreten und sich dafür einzusetzen, „dass Berlin als Ort der Begegnung allen Deutschen offen bleibt“.[109]

Kontrovers diskutierte man die Frage, wie man mit dem atheistischen Fundament des DDR-Staates umgehen solle. Hier traten als Meinungsführer H. Gollwitzer gegen H. Thielicke auf.

Gollwitzer argumentierte, dass der Atheismus nicht wesenhaft zur marxistischen Ideologie gehöre. Lediglich die äußeren Umstände und nicht zuletzt das Verhalten der Kirche hätten zu einer solchen Verbindung geführt. Die kürzlich gehaltene Rede Chruschtschows gegen Stalin und den Stalinismus biete den Christen „die Chance, durch positive Mitarbeit den Kommunismus zu entmessianisieren“.

Thielicke hielt dagegen, dass im ostdeutschen System die Christen niemals in Schlüsselpositionen gelangen könnten. Sie würden von vornherein ausgeschlossen und niemals Einfluss ausüben können. Alles spreche dafür, dass „wir Christen künftig die soziale Unterschicht bilden werden“. Die Lage für einen Christen in einer sozialistischen Gesellschaft sei nicht zuletzt auch deswegen prekär, „weil uns nicht nur bürgerliche Pflichterfüllung zugemutet wird, sondern auch Akklamation“:[110]

„Die Christenheit lebt von Aufschub zu Aufschub und von den Lücken, die das ideologische Netz immer wieder freigibt.“ Thielicke sprach in diesem Zusammenhang von einer „Existenz im Kompromiss“. Er fügte aber hinzu, dass damit nicht das Wort geredet werde für einen „einer falschen Rechtfertigung dienendem Kompromiss-Geist“. Aber es sei das angemessene lutherische Verständnis, dass wir in dieser Welt Sünder sind und bleiben, und eine glatte Lösung hier und jetzt unmöglich sei. Vielmehr sei der Christ aufgerufen, „inmitten der Gebrochenheit unserer Situation“ in „einer getrösteten Existenz unter der Vergebung“ zu leben: „Wir sitzen zwischen den Stühlen unter dem Schirm des Höchsten.“

Thielicke fügte hinzu: Ein solches Leben im Kompromiss sei allerdings auf die Dauer nur in der Gemeinschaft mit anderen Christen auszuhalten. Um nicht durch die permanente Konfrontation zwischen Religion und Nicht-Religion zermahlen zu werden, komme der christlichen Gemeinde eine große Bedeutung zu. Von diesem Boden aus sei man allerdings ermächtigt und befreit zum offenen Bekenntnis des christlichen Glaubens. Dabei werde es nicht darum gehen, sich konfrontativ gegen den Kommunismus zu stellen, jedoch ihn, namentlich, was den Atheismus anbelangt, zu berichtigen. Im Übrigen sei zu erwägen, ob nicht die absehbare Entwicklung zum Sozialismus „besonders gute Möglichkeiten, vielleicht sogar erst die rechte Möglichkeit für die Erfüllung des Gebotes der Nächstenliebe“ biete.

Kurzum: Die Theologen und Kirchenvertreter hielten daran fest, dass auch der Staat der DDR „gottgesandte Obrigkeit im Sinn von Römer 13“ ist. Man warnte vor zwei Irrwegen: Einerseits solle man sich nicht der Illusion hingeben, es würde bald wieder wie früher werden. Andererseits aber solle man nicht meinen, dass man als Christ nicht in der DDR leben könne. Der Christ sei aufgerufen, darauf zu bauen, dass Gott uns hier „zu einem neuen und besseren Verständnis seiner Botschaft, zu einem tieferen und festeren Glauben und zu einer freudigeren und klareren Bezeugung Jesu Christi und zu einer gewandelten, aber auch gehorsameren Gestalt seiner Gemeinde führen will“.[111]

Gleichzeitig unterstrich man die tiefe Sorge angesichts der Rechtsentwicklung in der DDR. Jedem sei klar, die christliche Gemeinde werde Unrecht ertragen müssen, und zwar „unbeschadet aller sorgfältigen Bemühung, dem Unrecht zu wehren“. Es gehe darum, solches Leiden in der Nachfolge Christi willig zu ertragen, aber gleichzeitig „am Recht als Gegenstand staatlichen Auftrags festzuhalten“.

In den weiteren Diskussionen gerieten allerdings nicht selten die Differenzierungen zwischen einem Sich-Unterordnen unter die SED-Obrigkeit einerseits und den von der Partei verordneten Jubelrufen auf das DDR-System in den Hintergrund. Es verschwand auch die sozialethische Frage nach dem Recht auf Privateigentum und dessen Erfordernis für die persönliche Freiheit.

Stattdessen gewann immer mehr die Überzeugung Gollwitzers Raum, nach der es möglich sei, zu unterscheiden, zwischen einerseits dem Atheismus und andererseits der marxistisch-leninistischen Gesellschaftsform: Zwar sei momentan der Atheismus im Kommunismus fest verwurzelt, aber dabei handele es sich um eine Verbindung, die „geschichtlich entstanden und geschichtlich überwindbar“ sei. Es komme diesem Zusammenhang keine „konstitutive Bedeutung“ zu.

Ehrlicherweise fügte man allerdings hinzu, dass diese Sichtweise für den Alltag eines Christen in der DDR nichts wirklich bringe. Denn faktisch seien die Christen ständig mit dem Atheismus konfrontiert. Gleichwohl suchte man sich einzureden, dass der Marxismus-Leninismus nicht „sich selber aufgeben“ müsse, wenn er dem Atheismus absagen würde. Im Blick auf „alltägliche Detailentscheidungen“ meinte man jedoch die überall aufgebrochenen Konflikte insofern relativieren zu können, als es unabhängig von allen Weltanschauungen bei allen Menschen Gemeinsamkeiten gebe, sodass „durch die Bewahrungsgnade Gottes auch im ideologisierten Staat rechtliche und staatliche Ordnungsfunktionen wahrgenommen werden, die im Sinne von Römer 13 einen Krieg aller gegen alle verhindere.“[112]

Wie auch immer man über diese „Bewahrungsgnade Gottes“ denken mag: Fakt war und ist, dass für den Marxismus-Leninismus der Atheismus nicht Beiwerk ist. Vielmehr ist er konstitutiv. Der Kommunismus ist in einem völlig anderen Menschen- und Heilsverständnis verankert als das biblische Christentum. Für die marxistische Ideologie ist es konstitutiv, dass der Mensch sein Heil nicht in der Beziehung zu Gott findet, sondern darin, dass er in einer Gesellschaft leben und arbeiten „darf“, in der sich die Produktionsmittel (Maschinen, Boden usw.) nicht mehr in Privathand befinden, sondern dem Kollektiv gehören: Spätestens dann, wenn dieses Heilsprogramm durch die Weltrevolution erreicht worden sei, werde sowieso jeder seinen bisherigen Glauben an Gott nicht mehr „benötigen“, sondern als „Opium“ durchschauen. Dieses Geschichtsbild, in dem der Mensch sein Heil selbst verwirklicht, ist für den Marxismus unaufgebbar, und es lässt sich beim besten Willen nicht mit der Hoffnung des christlichen Glaubens auf den aus dem Himmel kommenden Retter Jesus Christus vereinbaren.

5.6.3. Die DDR-Obrigkeit: von Gott?

Gollwitzers Position wurde von dem Sozialdemokraten und späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann sehr begrüßt. Für Heinemann erschien damit ein Konsens möglich, der „an die Wurzel all unserer Differenzen“ rühre. Man habe damit den Boden der Wirklichkeit betreten und „den Illusionen auf schnelle politische Änderung“ den Abschied gegeben. Die Frage, so Heinemann, könne doch nur lauten, ob man auf die Auswanderung oder die Zurüstung der Menschen in der DDR ziele. Selbstverständlich komme nur Letzteres in Betracht, „einerlei ob der Atheismus Akzidenz ist oder nicht“. Wenn es jedoch um die Stärkung der Christen in Ostdeutschland gehe, sei zweierlei geboten. Erstens: Es müsse eine zentrale Leitung der Kirchen in der DDR geschaffen werden, um „bis in die Verhandlungen auf Gemeindeebene“ geschlossen auftreten zu können. Zweitens sei es unabdingbar, für jene Menschen eine geistige Zurüstung zu formulieren, die nicht harmonisiert, sondern Spannungen beim Namen nennt, die nicht in Allgemeinheiten ausweicht, sondern „konkret und existentiell“ redet.

Diesem sich anbahnenden Konsens widersprach Bischof Dibelius heftig (März 1959). Seine Erwiderung zu der angestrebten kirchlichen Einmütigkeit war unmissverständlich: Ihr fehle die biblische Grundlegung, und sie verharmlose in unverantwortlicher Weise die tiefgreifenden Gegensätze. Von Römer 13 werde lediglich der erste Vers angeführt, während die folgenden Verse, in denen vom Lohnen und Strafen des Staates für die Guten und Bösen die Rede ist, unter den Tisch gefallen seien. Im Blick auf das DDR-Regime liege ohnehin der Bezug zu Offenbarung 13 erheblich näher. Durch die verständnisvolle Anknüpfung an die Verhältnisse im ostdeutschen Staat werde das Tor zu höchst problematischen Erweichungen geöffnet: „Das Ganze hat geschichtsphilosophischen und ideologischen Duktus. Luther dachte nicht daran, dem Großtyrann Römer 13 zuzugestehen, sondern Widerstand. Davon kein Hauch im Memorandum!“

Dieser Einspruch schlug ein. Man beschloss, erneut über die Stellung der Kirche zum DDR-Regime nachzudenken und setzte dazu einen theologischen Ausschuss ein, diesmal unter Leitung von Dibelius. Er erhielt den Auftrag, die bisherige Position zu überarbeiten.[113]

Das Endergebnis sah so aus, dass ungefähr zwei Drittel des Konsens-Textes übernommen wurde. Allerdings setzte man einen deutlich anderen Akzent. Jetzt betonte man: Überall in der Bibel gebe es auch „Siegesmeldungen“, die eindrücklich bezeugen, dass jeder, der sich gegen Christus erhebt, „einen aussichtslosen und vergeblichen Aufruhr“ unternehme. Die Macht des göttlichen Heilswillens, seine Liebe und Treue, würden dauerhaft die Gemeinde Gottes umfangen. Folgerichtig erscheinen, so das Papier, Republikflucht oder Resignation oder die Hoffnung auf andere politische Zustände oder ein besseres Jenseits als Abkehr von Gott, dem Vater Jesu Christi, von seiner Zuwendung und Liebe. Darum seien die Christen in der DDR aufgefordert, zu einer erneuten und umfassenderen Hinwendung zum Evangelium. Der in Römer 13 gebotene Gehorsam gegen die Obrigkeit gelte auch in der Diktatur, auch in einem sozialistischen Weltanschauungsstaat. Der Christ solle seine Arbeit „nicht trotzig“ ausüben oder sich gegen soziale und politische Veränderungen sperren. Vielmehr solle er alles tun, „damit Menschen auch in einer sich ändernden Umwelt in Frieden und Ordnung leben können und jeder das Seine erhält“. Zweifellos müssten Christen in ihrem Berufsleben vielerlei Nachteile hinnehmen. Als ausgesprochen kompliziert werde sich in der sozialistischen Gesellschaft die Mitwirkung von Christen an der „Aufrichtung des Rechts“ erweisen. Gleichwohl könne man neben dem willigen Ertragen von Unrecht durch ein entsprechendes Verhalten im eigenen Umfeld mithelfen, „dass Vorbilder dieser Rechtsordnung und Rechtshandhabung entstehen, die eine Weiterwirkung in das politische Rechtsleben haben werden, wo und wann Gott es will.“ Eine Flucht in den Westen widerspreche dem Glauben und dem Vertrauen auf Gottes Zusagen ebenso wie ein Kirchenaustritt zugunsten einer Berufskarriere innerhalb des DDR-Systems. Christen kämen gewiss nicht umhin, mancherlei Kompromisse einzugehen. Aber das dürfe nicht „Taktik“ sein, sondern es müsse Ausdruck einer Haltung sein, die „Ja sagt dazu, dass wir den Herrn nicht verfügbar haben, dass wir nur leben können aus seiner Vergebung, dass wir, bis er wiederkommt, nur Wanderer sind auf ihn hin“.

Otto Dibelius selbst hielt allerdings weiterhin daran fest, dass es nicht möglich sei, die Aussagen von Römer 13 auf das DDR-Regime zu beziehen.[114] Zudem beunruhigte ihn eine Wahrnehmung, die er im Rückblick folgendermaßen in Worte fasste: „Die größte Sorge machte mir der unverkennbare Rückgang der kirchlichen Kraft des Ostens, der von den Bischöfen und Synodalen bis zu den einzelnen Pastoren und Gemeinden ging.“ Auch beklagte er den wachsenden Einfluss der Anhänger Karl Barths: „Es geht ihnen nur noch um die Frage, wie man sich unter kommunistischer Herrschaft theologisch behaupten kann. Man geht von Römer 13 aus, ohne zu bedenken, dass der Staat, den Römer 13 meint, mit einer kommunistischen Gewaltherrschaft nichts mehr zu tun hat, wie die Verse 3 und 4 zum Ausdruck bringen.“[115]

Im Juli 1959 verfasste der Barthschüler Martin Fischer, Praktischer Theologe an der Kirchlichen Hochschule in West-Berlin, eine kleine Schrift mit dem Titel „Obrigkeit“.[116] Darin führte er aus, der Staat habe in beiden politischen Systemen, also sowohl im östlichen als auch im westlichen System im Kern denselben Charakter: Auch eine „demokratisch gebildete Regierung ist als Obrigkeit im theologischen Sinn zu verstehen.“ Alle Kritik an den Herrschenden und am Staat müsse „ein Ja gegenüber der Funktion der Obrigkeit zum Grund haben“. Eine Obrigkeit habe deshalb Bestand, weil sie trotz allem der Willkür wehrt und faktisch die zweite Tafel des Dekalogs [Zehn Gebote] beachtet.

Dem entgegnete Dibelius, indem er die Frage aufwarf, wie man Römer 13,1 am besten übersetzen könne.[117] Er differenzierte zwischen einerseits den politischen Gewalten, von denen Paulus schrieb, und andererseits dem Verständnis Luthers von „Obrigkeit“: Der Begriff „Obrigkeit“ treffe nämlich gar nicht mehr den modernen Sachverhalt. Für Dibelius war der Übergang von der Monarchie zur Demokratie der entscheidende Einschnitt: Vor 1918 habe es in Deutschland „Obrigkeit“ im Sinn einer echten politischen Autorität gegeben, danach lediglich eine gebrochene. Ein weiterer tiefer Einschnitt sei dann mit der Errichtung des totalitären Staates gekommen: Dieser setze seine Werte und Normen absolut und stelle sich damit gegen das biblisch-reformatorische Verständnis von Recht. Folglich könne kein derartiges System wirkliche Autorität beanspruchen. In diesem Zusammenhang von „Obrigkeit“ zu sprechen, sei „ein Hohn auf die deutsche Sprache“. Es handele sich um „etwas völlig anderes als was Paulus in Römer 13 sagen wollte“. Den unrechtmäßigen Gewalten, wie zum Beispiel dem DDR-Staat, habe der Christ überhaupt nicht zu gehorchen, das heißt, er sei prinzipiell von jeder Gehorsamsverpflichtung befreit, nachdem er durch Analyse der staatlichen Wirklichkeit zu der Überzeugung gelangt sei, dass diese staatliche Ordnung nicht zu den legitimen Mächten gehört, und zwar deswegen nicht, weil aus ihr das christlich verstandene Recht völlig verschwunden sei.

Den Ausführungen von Dibelius widersprachen Kirchenleitungen, Theologieprofessoren und Pfarrer umgehend und außerordentlich scharf: „Der uns von der Heiligen Schrift gebotene Gehorsam gegenüber jeder Obrigkeit gilt auch heute gegenüber den bestehenden Regierungen.“[118]

Helmut Gollwitzer befand die Ausführungen von Dibelius sowohl als widersprüchlich als auch als unhaltbar: Dibelius stifte damit nur Verwirrung, fördere die Propaganda des Westens gegen den Osten und erschwere die Arbeit der Kirche. Eine Einteilung der Regierungen in solche, die von Gott sind, und solche, die nicht von Gott sind, torpediere die Sendung der christlichen Kirche in der neuen kommunistischen Gesellschaft, und sie verschärfe in unserem gespaltenen Volk die Propaganda, mit der heute die beiden Volksteile gegeneinandergehetzt würden, anstatt dass diese Propaganda entschärft werde.[119]

Der Vorwurf Gollwitzers, der Bischof habe die eine Regierungsform, die westliche, als eine von Gott gegebene und die andere, die östliche, als nicht von Gott gegeben bezeichnet, war zwar nicht ganz falsch, aber er war dennoch unsachlich. Im Grund deckte Gollwitzer mit einer solchen pauschalisierenden Vergröberung das Problem nur zu.

Dibelius sucht Antworten auf die folgenden Fragen: Ist in einem totalitären, ideologischen Regime die Obrigkeit vorbehaltlos mit der Institution gleichzusetzen, von der Paulus in Römer 13 spricht und für deren Einsetzung er einen Zweck angibt? Ist das Gebot, untertan zu sein so einfach zu deuten, dass der Christ jedem Machthaber in gleicher Weise Gehorsam schuldet? Muss nicht angesichts des neuzeitlichen Totalitarismus Römer 13 durch Offenbarung 13 ergänzt werden? Dibelius bündelte seine Replik an Gollwitzer in der Frage: „Und was das Theologische anlangt: Haben Sie 1933–45 einen Standartenführer der SS als Obrigkeit im Sinne von Römer 13 anerkannt? An der Antwort auf diese Frage entscheidet sich alles.“[120]

In einer Radiosendung des RIAS (27. Oktober 1959) erläuterte Dibelius seine Position ausführlicher: Er verfolge keineswegs die Absicht dazu aufzurufen, dass Christen gegenüber einem Staat den Gehorsam aufkündigen sollen. Aber bei dem jetzt aufgebrochenen Dissens handele es sich um die Frage, aus „welchen Motiven dieser Gehorsam zu leisten“ sei. In einer totalitären Obrigkeit könne ein Christ „nicht mehr die Dienerin Gottes sehen, sondern ein solcher Staat sei ein säkulares Machtgebilde“. Folglich stehe der Christ diesem Gebilde mit inneren Vorbehalten gegenüber. Er gehorche selbstverständlich aus Gründen der Selbsterhaltung und zugleich, um seinen Mitmenschen „dienstbereite Liebe entgegenzubringen“. Aber die Voraussetzung der inneren Distanz gegenüber einem solchen Staat gebe dem Christen die Freiheit, gegebenenfalls Nein zu sagen und anders zu handeln als der Staat es befiehlt.

Diese innerkirchliche Diskussion vollzog sich natürlich unter den aufmerksamen Augen der SED. Die SED erhoffte sich dadurch eine Spaltung innerhalb der Kirche und möglichst den Rücktritt von Bischof Dibelius. Der Generalstaatsanwalt der DDR gab sogar ein Ermittlungsverfahren gegen Dibelius in Auftrag. Allerdings erwies sich dieser Schritt als ein SED-Eigentor. Denn das Ermittlungsverfahren war in der Öffentlichkeit die denkbar größte Unterstützung für den Bischof. Andererseits aber war klar, dass der inzwischen 79-jährige ohnehin bald sein Bischofsamt  aus Altersgründen abgeben werde.

Im Blick auf die zukünftige Gestalt der Kirche erklärte Dibelius auf der Synode: „Ich bete darum, dass die Zahl der Entschiedenen und Getreuen wachse, damit, wenn die Volkskirche zerfällt, die neue Bekennende Kirche bereitstehe, die die bewussten evangelischen Christen nur umso fester zusammenfasst. Diese neue Bekennende Kirche wird es schwer haben. Denn wo die tragende Kraft der Sitte und der guten Überlieferung gebrochen ist und alles auf den Einzelnen und seine Entscheidung gestellt sein muss, treibt die Selbstherrlichkeit des Einzelnen ungehemmt ihr Wesen.“

Obwohl die Diskussion weiterging, kamen keine wirklich wesentlich neuen Gesichtspunkte für die Auslegung von Römer 13 hinzu. Der bisherige Verlauf zeigt jedoch, wieviel Fragen, wie viele Unsicherheiten unter Christen herrschten, wenn Römer 13 auf ein totalitäres, atheistisches Regime stößt.

Viele Bürger der DDR, darunter auch viele Christen, interessierten sich allerdings überhaupt nicht für die kirchlichen Verlautbarungen und Diskussionen. Für ihr eigenes Leben betrachteten sie die gesellschaftspolitischen Entwicklungen in der DDR als so skeptisch, dass sie sich „rüber in den Westen machten“.

Mit der Aufrichtung des „antifaschistischen Schutzwalls“ (13.8.1961) betonierte dann das DDR-Regime für 30 Jahre die Spaltung zwischen Ost- und Westdeutschland. Von nun an war in der DDR „Kirche im Sozialismus“ angesagt. Wenn man in dieser Zeit auf Römer 13 zu sprechen kam, stand dieser Abschnitt meistens unter dem Banner, sich dem DDR-Regime zu fügen.

Natürlich gab es weiterhin Ausnahmen. Es gab Christen, die sich dem Regime nicht beugten, sondern sich unerschrocken gegen die menschenverachtende, atheistisch-sozialistische Staatsmacht stellten und bekannten, dass die Mächtigen in dieser Welt nicht nur kommen, sondern auch wieder gehen, und dass auch jedes Denkmal mal fällt.

5.7. Römer 13 im zweiten Teil des 20. Jahrhunderts

5.7.1. Die Obrigkeit (Staat): Dienstleistungsbetrieb für den emanzipierten Bürger

Die Diskussionen um Römer 13 rundum das DDR-Regime hinterließen in Westdeutschland Spuren. Zum einen ist hier zu denken an die These von Dibelius, der Begriff „Obrigkeit“ sei per se Ausdruck eines patriarchalischen, absolutistischen Landesfürstentums.

Daraus folgerten manche, das Unterordnungsgebot aus Römer 13 sei in einem demokratisch-pluralistischen Staat relativiert. Das hatte Dibelius nicht gesagt, und er hatte es auch nicht gemeint. Allerdings ging es ihm darum, dass Gehorsam gegenüber der weltlichen Gewalt stets qualifiziert sein müsse. Für ihn hieß das, Gehorsam gegenüber der Obrigkeit entspreche nicht einer „gesetzhaften Verpflichtung“, sondern „allein der Freiheit, die aus dem Liebesgebot Christi“ resultiere: „Für den Christen gibt es Gesetze und Anweisungen, denen er gehorchen müßte, überhaupt nicht! Oder vielmehr: Es gibt für ihn nur ein Gesetz, das ist die lex caritatis [das Liebesgebot]. Danach allein richtet er sich“.[121] Dabei fügte der Bischof von Berlin-Brandenburg sogleich ausdrücklich hinzu, bei einem Staat, der in der Ordnung von Römer 13 stehe, werde „aller Wahrscheinlichkeit nach“ das von ihm Gebotene mit dem der Liebe Christi Entsprechende sachlich identisch sein.[122] Aber in den Fällen, dass das gültige Gesetz der Obrigkeit und das Gebot christlicher Liebe auseinanderfalle, sei der Christ nicht gehalten, zu gehorchen. Dieser Ungehorsam sei gewiss gegen die Weisung des Apostels in Römer 13, aber der Christ „hat dabei ein gutes Gewissen“.[123]

Dibelius äußerte sich auch zum Widerstandsrecht. Er stellte klar, dass die Kirche Jesu Christi keinen offenen Widerstand gegen die Machthaber leiste und auch nicht dazu aufrufen könne, „weil Kirchen keine Revolution machen“.[124] Allerdings habe die Kirche dem einzelnen Christen, der zum gewaltsamen Widerstand gegen ein verderbliches Regime entschlossen sei, eine zweifache Botschaft zu sagen: erstens hat sie darauf zu bestehen, dass Mord Mord bleibt, gleichgültig aus welchen Motiven er begangen wird; und zweitens hat sie den Attentäter auf Gottes Barmherzigkeit zu verweisen.[125]

Bei Römer 13,1–7 gehe es, so Dibelius, um Folgendes: Während ein „patriarchalisches“ Verständnis die Absicht dieser Perikope zwar einschränke, aber ein solches Verständnis immerhin noch innerhalb dieser Aussage liege, habe ein ungerechtes oder gar ein totalitäres Regime nichts mit diesem Abschnitt zu tun. Eine Unterordnung sei nur gegenüber echten und gültigen Machthabern geboten, weil nur eine derartige Machthaberschaft unter Gott stehe und von Gott verordnet sei. Aber selbst dann sei der Christ nicht zu einem „gesetzhaften“ Gehorsam verpflichtet, sondern zu einem solchen, der aus der „Freiheit der Liebe“ geleistet wird, das heißt, aus dem „Gesetz der Nächstenliebe“.

Diese Darlegungen von Dibelius blieben in Westdeutschland auch nach der Errichtung der Berliner Mauer einflussreich, und sie wurden intensiv diskutiert und entwickelten in den sechziger Jahren, als sich die Situationsethik verbreitete, ihr Eigenleben.

Hinzu kam in diesem Jahrzehnt die von nicht wenigen Schülern Karl Barths vertretene Auffassung, es gebe keinen prinzipiellen Unterschied zwischen der ostdeutschen Regierung und der westdeutschen. Es sei nicht zulässig, zwischen einer atheistisch-totalitären Gewaltherrschaft und einem demokratischen Staat moralisch zu unterscheiden. Diese nicht zuletzt von Helmut Gollwitzer vertretene Idee wurde in den westdeutschen Kirchen immer bestimmender: Bei Ausklammerung des Atheismus sei der Sozialismus eine gute Idee.

Ende der fünfziger Jahre hatte der Tübinger Neutestamentler Ernst Käsemann eine ausführliche Arbeit zur Auslegung von Römer 13 vorgelegt.[126] Darin vertrat er die Ansicht, bei dem Gebot zur Unterordnung unter die Obrigkeit habe Paulus gar nicht christlich argumentiert, sondern er habe traditionelles Gedankengut aus dem Judentum übernommen. Außerdem sei das Gebot zur Unterordnung dadurch stark relativiert, dass Paulus schon wenige Verse später davon spricht, dass der Tag nahe ist (Röm. 13,11–14).

Käsemann selbst interpretierte das in Römer 13 über die Obrigkeit Gesagte funktional: „Der Staat“ habe nichts anderes zu sein als ein dem Bürger je nach seinen Bedürfnissen zur Verfügung stehender Dienstleistungsbetrieb. Indem Käsemann die Meinung vertrat, der Staat sei eine Verwaltungsinstitution, die in der Gleichstellung zwischen „Herrschenden“ mit „Beherrschten“ bestehe, meinte er einen Weg gefunden zu haben, seine basisdemokratisch-emanzipatorischen Vorstellungen in Römer 13,1–7 hineinzulesen. In den folgenden Jahrzehnten fand diese Interpretation große Zustimmung.

Es ist natürlich nicht falsch, zu sagen, dass die weltliche Gewalt durch die Wiederkunft Christi zeitlich begrenzt sei. Aber wer, abgesehen von manchen Hegelschülern wie R. Rothe, hatte jemals gemeint, dass es die weltliche Gewalt ewig geben werde? Bereits Augustinus verkündete, dass sie zeitlich ist und dass Zeitliches ihrer Sorge anbefohlen ist. Aber für die Zeit, die dem Christen bis zur Wiederkunft Christi verbleibt, lässt sich aus Römer 13,1-7 keine diese Institution relativierende Einstellung ableiten. Auch die Behauptung, die Juden hätten bei ihrer Einstellung zur Obrigkeit den Aspekt der Ordnung für wichtig gehalten und das sei in Römer 13 eingeflossen, lässt sich nicht erhärten. Jedenfalls hatten die Fremdherrscher seit jeher einen anderen Eindruck von den Juden. Sie empfanden sie als rebellisch (Esr. 4,19). Es ist auch nicht schwer, aus den jüdisch-apokryphen Schriften der zweiten Tempelperiode eine ziemlich bruchlose Linie zum Zelotismus zu ziehen, der dann in den Jüdischen Krieg gegen die Römer einmündete.

5.7.2. Die Obrigkeit: Im Schlepptau (neo)marxistischer Befreiungstheologien (Die 68er-Bewegung)

An die Ideen von Käsemann und Gollwitzer konnten neomarxistisch beeinflusste (Theologie)studenten in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre anknüpfen. Auf jeden Fall boten deren Auslegungen zu Römer 13 keinen Damm gegenüber dem Gedankengut der „Kritischen Theorie“, wie sie in der „Frankfurter Schule“ (unter anderem von Herbert Marcuse, Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Jürgen Habermas) vertreten wurde.

Damit strömte in die Landeskirchen folgende Gedankenführung: Der Unterschied zwischen einem demokratisch gewählten Parlament einerseits und andererseits einer totalitären Diktatur, also einer Herrschaftsform, in der es kein Mehrparteiensystem, keinen geregelten Wechsel der Regierung und keine von der politischen Machtausübung unabhängige Jurisdiktion gibt, sei im Kern ohne Bedeutung. Denn die Warte, die man aufgrund einer „höheren“, nämlich „linken“ politischen Reife gewonnen habe, versetze in die Lage, die Gesellschaft so zu diagnostizieren, dass man zu folgendem Ergebnis kommen muss: Sofern sich ein Regime auf den Marxismus-Leninismus beruft und sich totalitär gebärdet, ist diese Herrschaftsausübung zwar ärgerlich, aber sie sei im Prinzip befristet und funktional. Sie diene dem Ziel, die Voraussetzungen für die Herstellung eines Zustandes entfremdungsloser Freiheit für alle Menschen zu schaffen. Um dieses Zieles willen müsse man in der Gegenwart Unterdrückung in Kauf nehmen.

Im Vergleich dazu trage die westliche, technisch-arbeitsteilige Industriegesellschaft der Moderne wesentlich stärkere totalitäre Züge. Das zeige sich sowohl an den über Vietnam abgeworfenen Napalmbomben als auch an dem Aufstellen atomarer Vernichtungswaffen zur Abschreckung kommunistischer Angreifer. Ja, im Grunde werde das bereits in sämtlichen bürokratischen Verwaltungsabläufen offenkundig. Diese seien nämlich nur Modifikationen des Herrschafts- und Repressionsprinzips neuzeitlicher Rationalität und stehen – wenigstens im Prinzip – auf der gleichen Stufe mit Ausschwitz und der dort in Perfektion durchorganisierten Tötungsmaschinerie.

Eine selbstbestimmte, emanzipierte Gesellschaft lasse sich allein durch einen radikalen Bruch mit der geschichtlichen Kontinuität und den für sie maßgeblichen Traditionen erzielen. Um dieses Ziel durchzusetzen, sei grundsätzlich jede Widerstandsform legitim. Dazu zählt nicht nur strikter Pazifismus („make love not war“), sondern auch ein provozierendes, gegebenenfalls auch gewaltsames Auftreten gegen Autoritätspersonen (Antiautorität) und nicht zuletzt libidinöse Zärtlichkeit sowie sexuelle Promiskuität und Drogenkonsum (Hippiebewegung). Natürlich sei man aus dieser Warte auch legitimiert, Proteste zu organisieren und durch zivilen Ungehorsam sowie durch Steinewerfen den Entscheidungen eines demokratisch gewählten Parlaments entgegenzutreten.

Schon bald begriff die Außerparlamentarische Opposition (APO), dass es für die Durchsetzung ihrer eigenen Ideen und Ziele von erheblichem Vorteil sei, wenn man Amerika wegen des Vietnam-Krieges und den westdeutschen Staat und dessen Politiker als (latent) „faschistisch“ bezeichnet. Auf diese Weise gelang es nämlich, die jeweiligen Bestreiter der linken Positionen in die Defensive zu drängen, weil diese nun erst einmal umständlich versichern mussten, dass sie nichts mit Hitlers Nationalsozialismus am Hut hatten.

Indem diese Ideen mit voller Wucht in die Theologie und in die Landeskirchen einbrachen, kamen nun Exodustheologien bzw. Genetivtheologien auf, wie die Theologie der Befreiung, der Revolution, des Feminismus, des Ökosozialismus etc.[127] Von diesen „Theologien“ erging ein weltweiter Appell an alle Kirchen und Gesellschaften, das Reich Gottes nun endlich in die Realität umzusetzen, und zwar vorrangig im Kampf gegen das rationalistisch-kapitalistische westliche System, zugunsten eines egalitär-sozialistischen Freiheitsreiches.[128]

Der Horizont, in dem man dachte, war global geworden. Man hatte dabei die Länder der Zwei-Drittel-Welt im Blick, in denen man sich angesichts der dortigen zunehmenden Verelendung ein wachsendes revolutionäres Potential versprach. Die Theologen, die diese „Theologien“ für ihr jeweiliges Volk konzipierten, hatten ihre theologische Ausbildung entweder direkt an westlichen Universitäten durchlaufen, oder sie hatten von dort die entscheidenden Impulse, nicht zuletzt durch Vermittlung des Ökumenischen Weltkirchenrats in Genf empfangen. In Wahrheit trugen sie ihre als kontextualisierte Volkstheologien vorgebrachten Konzepte in die jeweiligen Kulturen hinein. Erst wenn man diese Gedankenkonstruktionen als Produkte westlich-(neo)marxistischer Denkweise begreift, kann man überhaupt verstehen, warum die Entwürfe mehr oder weniger gleichzeitig überall in der Welt auftraten und die gleichen Argumentationsmuster enthielten.[129]

Im Rahmen dieser (neo)marxistischen Denkraster und der Exodustheologien erschien Römer 13,1–7 als ein theologisches Fossil, das als „irrelevant“ beurteilt wurde, zumindest aber als „problematisch“ oder als „schwierig“. In politischen Diskussionen, in kirchlichen Papieren und auch als Grundlage für die Wortverkündigung[130] kam die Perikope praktisch nicht vor.[131]

Dies änderte sich auch nicht, als in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre die Grundstimmung in Deutschland umschlug. Die bis dahin herrschende Euphorie eines utopischen „Prinzips Hoffnung“ (Ernst Bloch) – man denke auch an Jürgen Moltmanns Theologie der Hoffnung – schlug um in ein angstbesetztes, apokalyptisierendes „No-Future“.

Aber auch dazu war es möglich, sich auf linke Gesellschaftstheoretiker zu berufen. Walter Benjamins apokalyptische Geschichtsauffassung bestärkte die junge Generation, und zwar auch Theologiestudenten in dem Gefühl, es gebe in dieser Welt nichts, womit man einverstanden sein könne. Alles, was Regierungen anstellen, sei grundsätzlich falsch, und zwar deswegen, weil es repressiv sei.

Nachdem also die anarchistischen Emanzipationsideen, („wir schaffen die freie Gesellschaft“) aufgrund der plötzlich entdeckten Sorge um die Ökologie umgekippt waren, wurde weiterhin – auch von Kirchenvertretern – die Auffassung verbreitet, es seien gerade die westlichen Demokratien, die angesichts ihrer totalen technologischen Dominanz durch und durch repressiv seien. Aus diesem Elend könne nur eine umfassende gesellschaftliche Systemveränderung herausführen. Dafür fungierte als Ansatz der Kampf gegen Atomkraftwerke.

In dieses Horn blies auch der Philosoph Hans Jonas: Durch Wissenschaft und Technik habe die Menschheit ein derartiges Maß an Macht über die Natur errungen, dass sie in der Lage sei, sich selbst zu vernichten. In einer solchen Lage mute es aberwitzig an, für ein emanzipiertes Leben einzutreten. Es könne jetzt nur noch darum gehen, das Schlimmste zu verhindern, und das sei die Selbstvernichtung der menschlichen Gattung. Um das Überleben der Menschheit zu gewährleisten, könne als höchste Norm und ethische Lebensmaxime nur noch gelten: „Wir haben diese Welt von unseren Kindern geerbt“.[132] Darin allein zeige sich das „Prinzip Verantwortung“.

Da man auch in den Kirchen sich nicht mehr von der Furcht Gottes bestimmen ließ, die doch der Anfang aller Weisheit ist, wurde ihr Denken immer mehr beherrscht von der Furcht vor einem unmittelbar bevorstehenden, durch Menschen verursachten Klimakollaps.

Nicht wenige Kirchenvertreter waren zudem von der Idee des zivilen Ungehorsams erfasst und neigten der Meinung zu, sie seien zu – keineswegs immer gewaltfreien – Aktionen legitimiert. Man denke hier an den Widerstand gegen den im Jahr 1979 verabschiedeten NATO-Doppelbeschluss.

Indem solche Ideen in den Kirchen die geistige Luftherrschaft übernahmen, führten sie zu einer tiefgreifenden rot-grünen Verseuchung der Landeskirchen . In ihnen verfestigte sich immer mehr die Überzeugung, man sei dann „fortschrittlich“, wenn man auf Kirchentagen oder sonst wo das im Großen und Ganzen übernehme, was kurz zuvor in roten oder grünen Parteizentralen ersonnen worden war.

Römer 13 hatte weder Gewicht bei der Frage, wie man sich zur Obrigkeit verhalten soll (Untertansein), noch bei der Frage, wozu eine Obrigkeit von Gott gegeben ist.

5.7.3. Die Obrigkeit: Konformismus in Zeiten des Kalten Krieges (Evangelikalismus)

Auch in evangelikalen Kreisen stand Römer 13 nicht wirklich hoch im Kurs. Hier übernahm man die Brille des Systemgegensatzes zwischen West und Ost.

In ihnen fungierte Römer 13 in der Zeit des Kalten Krieges als Rechtfertigung für einen Konformismus im Blick auf die Gesetzgebungen der Zivilgesellschaft. Zum Beispiel protestierten nur sehr wenige Evangelikale, als die staatlichen Instanzen festlegten, dass Abtreibungen über Krankenkassenbeiträge finanziert werden sollten. Die Grundhaltung unter Evangelikalen war, dass die von der gewählten Bundesregierung erlassenen Gesetze zu befolgen seien. Dies entspreche der Unterordnung um des Gewissens willen (Röm. 13,5).

Allerdings gab es eine Richtung innerhalb des Evangelikalismus, in der man sich mit Politik beschäftigte. Aber dann betraf es die Politik im Nahen Osten. Diese sehr aktive Gruppe fühlte sich innerhalb des bekanntlich sehr unterschiedlichen Spektrums des Judentums vorrangig dem Zionismus verpflichtet.

Der amerikanische Dispensationalist Hal Lindsey erreichte mit entsprechenden Büchern Massenauflagen. Er befand, bisher habe man die Bibel immer nur „vergeistlicht“, während er selbst nun die „wörtliche Auslegung“ vorlege. Konkret sah das zum Beispiel so aus, dass er aus Hesekiel 38 und 39 einen Angriff der Sowjetunion auf den Staat Israel als unmittelbar bevorstehend prognostizierte.

Nun wird zwar in diesen beiden Kapiteln ein aus dem äußersten Norden kommender kriegerischer Raubzug geschildert (Hes. 38,11–13.15), aber dessen Kriegsmaschinerie besteht aus „Rossen“ und „Reitern“, die mit „Ganzschilden“, „Kleinschilden“ und „Schwertern“ bewaffnet sind (Hes. 38,4). Ausdrücklich wird über dieses Waffenarsenal berichtet, dass es „verbrannt“ wird (Hes. 39,9.10). Gerade wenn man unter der Vorgabe eines „wörtlichen“ Lesens diese Details zur Kenntnis nimmt, legen die beiden Kapitel nicht gerade eine adventisch-futurische Auslegung auf die Gegenwart nahe. Eher ist an einen Bezug zur syrischen Fremdherrschaft zu denken, möglicherweise unter Antiochus IV. Epiphanes.[133]

Auch muss keineswegs der in Hesekiel 38,8 und 16 verwendete Ausdruck zur letzten Zeit auf die Zeit unmittelbar vor der Wiederkunft Christi bezogen werden.[134]

Aber zumindest konnten Evangelikale durch solche Auslegungsweisen sich vergewissern, dass sie in der Ost-West-Konfrontation politisch auf der richtigen Seite stehen, nämlich auf derjenigen Amerikas und des Staates Israel.

Wenn es um gesellschaftspolitische Entwicklungen in Europa ging, hielt man sich im Großen und Ganzen von politischen Themen fern. Es bestand deswegen kaum ein Grund, sich darauf einzulassen, weil nicht wenige im Raster der aus dem Darbysmus stammenden Lehre dachten, nach der die Gläubigen gar nicht oder kaum in eine Konfrontation mit staatlichen Machthabern geraten würden. Denn sie würden sowieso „vor der Drangsal“ entrückt werden. Allen Ernstes versuchte man eine geheime bzw. verborgene Wiederkunft Christi mit unter anderem 1.Thessalonicher 4,16 zu untermauern, also mit einem Vers, der besagt, dass Christus mit Befehlston, mit der Stimme des Erzengels und der Posaune Gottes kommen wird.

Römer 13 stand lediglich dann im Fokus eines evangelikalen Bibellesers, wenn es darum ging, dass man seine Steuerformulare korrekt ausfüllen solle und dass man sich von aufrührerischen Aktivitäten linker Revoluzzer fernhalten möge.

Auch als die Wiedervereinigung unseres Volkes kam, änderte sich an diesem Verständnis zu Römer 13 nicht wirklich etwas. Eher beförderte dieses Ereignis die gegenteilige Tendenz: Nachdem die westliche Welt über die sozialistische triumphiert hatte, sah man sich umso mehr in dem System, in dem man aufgewachsen war, bestätigt.

Evangelikale Freikirchen sahen ihre Mission nun darin, das Evangelium „niedrigschwellig“ (seeker friendly) zu verbreiten. Beeinflusst von unterschiedlichsten amerikanischen Gemeindewachstumskonzeptionen und fasziniert von Marketingmethoden brach damit in die Gemeinden eine biblisch-lehrmäßige Oberflächlichkeit ein, die nur noch erschrecken konnte. Man missbrauchte das Evangelium für emotionale Spektakel oder meinte, es als spirituell-existentialistisches Lebensabenteuer veräußern zu sollen. Dabei redete man sich ein, derartige Darbietungen hätten „Gesellschaftsrelevanz“.

Freikirchliche theologische Ausbildungsstätten, also Institutionen, denen eine gewisse Staatsdistanziertheit traditionell eigen war, waren um die Jahrtausendwende intensiv darum bemüht, ihre staatliche Anerkennung zu bekommen. Um bei den betreffenden Behörden nicht abzublitzen, waren sie bereit, dafür ihre Curricula von ihnen begutachten und überprüfen zu lassen.

Wie wenig Interesse man Römer 13 (und insgesamt der politischen Ethik) entgegenbrachte, wurde mir deutlich, als ich in den neunziger Jahren den Seminarraum einer theologischen Ausbildungsstätte betrat. Auf dem Stundenplan stand „Christliche Ethik“, und zwar Politische Ethik. Ein Student empfing mich mit der Frage, ob wir schon wieder über das „langweilige Römer 13“ sprechen müssten. Es gebe doch in der Ethik Interessanteres.

5.8. Römer 13 im 21. Jahrhundert

5.8.1. Die Obrigkeit und übernationale Instanzen

In den Jahren nach der deutschen Wiedervereinigung vollzog sich in Deutschland wie auch in anderen Staaten Europas ein Prozess, in dem die jeweiligen nationalen Regierungen immer mehr Befugnisse an übernationale Institutionen übertrugen. Man denke an das Europäische Parlament.

Für die hier interessierende Thematik stellt sich damit die Frage, ob man übernationale Institutionen wie das Brüsseler Parlament und deren zugeordnete Institutionen als Obrigkeit im Sinn von Römer 13 sehen kann bzw. sehen muss.

Bei der Beantwortung dieser Frage, ist zunächst festzuhalten, dass die Europäische Union weder ein Staatenbund ist und schon gar nicht ein Bundesstaat.

Hingegen sind diejenigen, die in Brüssel die politischen Entscheidungen treffen, niemandem für die von ihnen erlassenen Verordnungen rechenschaftspflichtig. Weder der einzelne Bürger, der in einem zur EU gehörenden Nationalstaat lebt, noch die höchsten nationalen Gerichte sind befugt, eine Instanz der EU für deren Tun und Lassen zur Verantwortung zu ziehen.

Fragt man nach dem Grund dafür, wird einem erklärt, dass diejenigen, die in Brüssel die Entscheidungen treffen, gar nicht souverän sind. Denn nach wie vor stellt die Europäische Union ein Gebilde dar, das durch zwischenstaatliche Verträge, Übereinkünfte und Absichtserklärungen verbunden ist. Diese Vereinbarungen sind festgezurrt, sodass es den Anschein hat, sie würden unabänderlich gelten, und sie stünden für die jeweiligen nationalen Regierungen nicht zur Disposition.

Theoretisch kann man zwar die Verträge ändern, aber dies wäre nur möglich, wenn sämtliche EU-Staaten einer solchen Änderung zustimmen würden. Wie groß die Schwierigkeiten sind, aus diesem Netzwerk auszusteigen, konnte der Austritt Großbritanniens veranschaulichen.

Nicht wenige Beobachter dieses EU-Gebildes meinen sogar, in dieser Konstruktion ein Experimentierfeld für einen künftigen Weltstaat zu sehen.

Andererseits aber wird man den EU-Institutionen insofern nicht absprechen können, dass sie als „Obrigkeit“ im Sinn von Römer 13 zu verstehen sind, als die zur EU gehörenden nationalen Regierungen viele ihrer obrigkeitlichen Kompetenzen abgetreten und nach Brüssel verlagert haben.

Für einen Außenstehenden ist dabei in den seltensten Fällen nachzuvollziehen, wie die jeweiligen Beschlüsse dort zustande kommen. Um aber wenigstens einen Eindruck davon zu bekommen, wie so etwas abläuft, kann man sich dies daran veranschaulichen, wie das Gender-Mainstreaming als Leitprogramm und Leitideologie in die EU-Staaten eingeführt und unverzüglich durchgedrückt wurde.

Es war im Jahr 1995, als von der UNO eine Weltfrauenkonferenz nach Peking einberufen wurde. Offiziell wurde sie von den Vereinten Nationen ausgerichtet. Aber in der Praxis bestimmten Nichtregierungsorganisationen (NGOs) den Ablauf und setzten ihre eigenen Vorstellungen durch.[135] Zum Abschluss verabschiedete man eine „Aktionsplattform“.[136] Man empfahl allen Regierungen als gesellschaftliche Zielvorgabe, „eine aktive und sichtbare Politik durchgängiger Berücksichtigung der Genderperspektive in allen Politikbereichen und Programmen“ [„an active and visible policy of mainstreaming a gender perspective in all policies and programs“]. Allerdings beteuerte man ausdrücklich, diese „Aktionsplattform“ habe keine völkerrechtlich bindende Wirkung. Sie sei lediglich als Absichtserklärung zu verstehen. Der Grund für diese Zusatznotiz war, dass andernfalls wohl weder der Vatikan noch die islamischen Staaten dieser „Aktionsplattform“ zugestimmt hätten.

Aber in der EU schien dieser „völkerrechtlich nicht bindende“ Empfehlungscharakter des Papiers niemanden zu kümmern. Im Gegenteil, man setzte sich in Brüssel unverzüglich daran, das Gender-Mainstreaming für die Staaten der Europäischen Union als verbindliche Norm durchzusetzen.

Wenn man die Frage stellt, wer es denn so eilig gehabt habe, die Pekinger Gender-Empfehlung in Gesetzesform zu gießen, lautet die Antwort: Dies verschwamm im politischen Nebel Brüssels. Aber Tatsache ist, dass der EU-Ministerrat bereits wenige Wochen nach Ende der Pekinger Weltkonferenz, am 22. Dezember 1995, das Gender-Mainstreaming behandelte und gleich darauf beschloss, eine „Kommissarsgruppe zur Chancengleichheit“ einzurichten. Bereits im Februar 1996 wurde eine Mitteilung der EU-Kommission über das Mainstreaming unter der gender perspective veröffentlicht.

Im Juni 1997 wurde der „Amsterdamer Vertrag“ beschlossen. Er kam ja faktisch einer Neukonstituierung der Europäischen Uniongleich. Denn in den wenigen [!] Ländern, in denen es überhaupt zu Volksabstimmungen über EU-Beschlüsse gekommen war, lehnten die Völker diese stets mehrheitlich ab. Daraus aber zogen die politischen Strippenzieher die Folgerung, in Zukunft in keinem einzigen Staat mehr eine Volksabstimmung durchzuführen.

Stattdessen aber wurde in Artikel 3, Absatz 2 das „Gender-Prinzip“ für alle EU-Nationen festgeschrieben, und zwar ausdrücklich: „bei allen ihren Tätigkeiten“. Zugleich wurde die Europäische Union in Artikel 12 ermächtigt, Diskriminierungen aufgrund „sexueller Orientierung“ entgegenzutreten.[137]

Wenn man erneut die Frage stellt, wer für diesen zweifellos tief einschneidenden kulturellen Umbruch in Europa verantwortlich ist, wird man wiederum nicht auf eine einzige Person oder auf einen benennbaren Personenkreis verweisen können. Es lässt sich lediglich feststellen, dass hinter verschlossenen Türen relativ kleine als „Expertengruppen“ getarnte Interessenvertretungen ihre politischen Agenden durchfochten. Anschließend nickten dann die Regierungschefs der einzelnen Nationen diese Bestimmungen ab, und zwar innerhalb eines Gesamtpakets, also zusammen mit zahlreichen anderen Gesetzen.

Wer der Meinung ist, die jeweils vom Volk gewählten nationalen Parlamente hätten irgendeine realistische Ein- oder Widerspruchsmöglichkeit gehabt, möge weiterträumen. Ohne irgendwelche öffentlichen Debatten wurde hier ein Vertragswerk den Regierungen der Nationalstaaten vorgelegt, das mit dem Auftrag verbunden wurde, dessen gesellschaftspolitische Inhalte umzusetzen.

Sehen wir einmal davon ab, wie im Licht von Gottes Schöpfungs- und Erhaltungsordnungen dieses Gendergaga zu beurteilen ist. Juristisch, also rein formal ist zunächst einmal festzustellen, dass keinerlei Notwendigkeit bestand, diese Entscheidung auf einer supranationalen Ebene zu treffen. Denn nach wie vor gilt offiziell in der EU das Subsidiaritätsprinzip. Nach dieser Regelung ist eine übergeordnete politische Ebene nur dann für ein Gesetz zuständig, wenn kleinere Einheiten nicht in der Lage sind, dies zu bewerkstelligen.

Nun wäre es selbstverständlich möglich gewesen, über das Gender-Mainstreaming, das in jedes Volk, ja in jede Familie tief einschneidet, national entscheiden zu lassen. Stattdessen aber stülpten Vertreter einer übernationalen Institution den einzelnen Völkern dieses Konstrukt über.

Niemand wird behaupten, dass die jeweiligen nationalstaatlichen Regierungen nun nicht mehr Obrigkeiten im Licht von Römer 13 sind. Aber wenn eine nationale Regierung innerhalb der EU es wagt, gegen ihre schrittweise Entmachtung Einspruch zu erheben, wird sie mit Sanktionen bedroht. So geschah es jüngst gegenüber der polnischen und der ungarischen Regierung.

Auch die Antwort auf die Frage, woher diese Parlamentarier überstaatlicher Institutionen überhaupt ihren Anspruch nehmen, die nationalen Regierungen zu maßregeln, lautet: Dies erfolgt nicht aufgrund irgendwelcher demokratischer Willensbekundungen von EU-Bürgern. Stattdessen leiten die in Brüssel im Parlament Sitzenden die Berechtigung für ihre politischen Entscheidungen aus ihrem Traum einer supranationalen Einheit ab. Indem sie sich von dieser Idee bestimmen lassen, verfechten sie übernationale Herrschaftsverbindungen und streben damit letztendlich nach der „Einen Menschheit“. Um das Erreichen dieses Zieles willen sehen sie sich berechtigt, sich über die einzelnen Völker und deren nationale Regierungen hinwegzusetzen, ja, sie nehmen die systematische Entmündigung der Bürger in Kauf.

Wie sehr Politiker im globalen Rahmen denken, verdeutlicht ein Blick nach Amerika.[138] Nach Ende des Kalten Krieges traten dort die „Neokonservativen“ („Neokons“) an die Schalthebel der Macht. In Wahrheit waren diese Männer nicht Konservative, sondern (Neo)liberale. Ihr Blick hatte sich bereits vorher auf die Energieressourcen des Mittleren Ostens gerichtet. Durch den Einsturz des World Trade Centers (11.9.2001) sahen sie sich dann zu verschiedenen Kriegen legitimiert. Sie selbst erklärten der Weltöffentlichkeit, diese Kriegseinsätze seien lediglich „Bodenoffensiven“ oder „Luftschläge“, oder sie wollten diese verstanden wissen als „humanitäre Interventionen“ oder als „präventive Friedensmissionen“. Sie hätten das edle Ziel, die Menschenrechte durchzusetzen und den Terror zu beseitigen. Man denke an Bushs war on terror.

Während die USA im ersten Irakkrieg (1980–1988) noch Saddam Hussein gegen den Iran massiv militärisch unterstützt hatten, sahen sie sich wegen der – bis zum heutigen Tag nicht gefundenen – Hortung von Massenvernichtungswaffen dazu berechtigt, in den Irak einzumarschieren (2003).

Bereits zuvor hatten sich einige NATO-Staaten unter Führung der USA bemüht, die Clans und Stämme Afghanistans mit den „westlichen Werten“ von Demokratie, Egalität, Feminismus und (ansatzweise wohl auch) Mülltrennung zu beglücken (2001). Dieses Unternehmen scheiterte endgültig im Jahr 2021. Der einzig greifbare Effekt solcher Militäraktionen war, dass aus den mit Krieg überzogenen Regionen verstärkt Migrationsströme nach Europa aufbrachen.

Aufschlussreich ist, wie die westlichen Medien auf diese Geschehnisse reagierten und sie der Öffentlichkeit nahebrachten. Man verurteilte die Legalität dieser Militärinterventionen nicht an sich als völkerrechtswidrige Akte. Vielmehr erklärte man, die Legalität dieser Kriege entscheide sich an der Frage, ob der UNO-Sicherheitsrat diesen Kriegen zugestimmt habe oder nicht. Bei Kriegen, für die eine UN-Ermächtigung nicht vorliege, wie beim Kosovokrieg oder beim Irak-Krieg sprach man diesen Aktionen die Legitimität ab. Bei den anderen war jedoch der Einmarsch legitim.

Auf den ersten Blick erscheint eine solche differenzierende Haltung der Medien Ausdruck von kritischem Unterscheidungsvermögen zu sein. Aber sie setzt voraus, dass die UNO, namentlich ihre fünf ständigen Mitglieder (Sicherheitsrat) überhaupt zu Kriegsführungen befugt sind. Für eine solche Selbstermächtigung des Sicherheitsrates gibt es aber kein einziges völkerrechtliches Dokument. Am allerwenigsten ermächtigt die UN-Charta den Sicherheitsrat dazu, Kriege zu führen oder Nationen zu Kriegsführungen zu beauftragen.

Die Charta lässt militärische Gewaltanwendung ausschließlich zur Selbstverteidigung eines militärisch angegriffenen Staates zu. In diesen Fällen kann sie die übrigen Unterzeichnerstaaten dazu beauftragen, individuell zu helfen, oder sie kann auch die Vereinten Nationen, vertreten durch den Sicherheitsrat, zum kollektivem Hilfeleisten berechtigen. Somit stehen dem Sicherheitsrat durchaus Möglichkeiten zur Verfügung, wenn es um die Feststellung geht, ob eine Aggression auf einen Staat vorliegt oder nicht und ob damit die Voraussetzungen für ein militärisches Eingreifen vorliegen oder nicht.

Aber kein einziger Satz der UN-Charta legitimiert den Sicherheitsrat zu Kriegshandlungen in den Fällen, in denen diese Bedingungen der UNO-Charta nicht erfüllt sind. Die UNO-Charta kennt nicht eine „präventive Verteidigung“.

Wenn der Sicherheitsrat trotzdem meint, zu Kriegseinsätzen ermächtigen zu dürfen, überschreitet er seine Kompetenz. Diese Institution handelt dann illegal. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die überwiegende Mehrheit der Regierungen in der Welt dieses Vorgehen (stillschweigend) billigt oder nicht.

Für unsere Frage nach dem Obrigkeitscharakter übernationaler Institutionen ist es wichtig zu erkennen, dass sich mittlerweile solche kriegerischen „Militäraktionen“ als eine Art Gewohnheitsrecht etabliert haben. Inzwischen beanspruchen die Vereinten Nationen, genauer deren Exekutive, der Sicherheitsrat, darüber befinden zu dürfen, ob und welche Nation mit Krieg überzogen werden darf. Dabei sollten wir im Auge behalten, dass eine Institution, die für sich selbst das globale Gewaltmonopol beansprucht, keine geringere Absicht verfolgt, als eine Weltregierung zu bilden.

Selbst im Fall, diese schrittweise sich etablierende Weltregierung würde sich an die UN-Charta binden (ähnlich wie Regierungen von Nationalstaaten den jeweiligen Verfassungen ihres Landes verpflichtet sind), würde sich an der Feststellung, dass hier eine Weltregierung im Entstehen begriffen ist, nichts ändern.

Da aber selbst eine solche Machtbeschränkung, wie es die Bindung an die UN-Charta wäre, nicht wirklich gegeben ist, kann diese Institution einzelne Staaten nach Gutdünken für vogelfrei erklären („Schurkenstaaten“) und deren politische Repräsentanten verhaften lassen. Gestern war dies Libyen. Wer gibt anderen Ländern, wie zum Beispiel den Ländern Europas die Garantie, dass nicht sie morgen mit entsprechenden Militärinterventionen zu rechnen haben, wenn es ihnen einfallen sollte, Wege zu gehen, die der Exekutive der UNO nicht passen?

Noch ist im Sicherheitsrat dieses Machtmonopol dadurch verdeckt, dass so disparate Staaten in diesem Gremium vertreten sind, wie die USA, Russland und China, sodass sie sich vielfach nicht einig sind.

Aber klar ist auch: Die immer intensiver werdenden supranationalen Verflechtungen und deren Institutionen leiten sich nirgendwo aus irgendwelchen Willensbekundungen der einzelnen Völker ab. Die in Brüssel und in New York oder sonst wo im Hintergrund agierenden Eliten und Interessengruppen erheben für sich den Anspruch, sie seien im Prinzip dazu berechtigt in dieser Weise global zu entscheiden, weil sie sich einbilden, sie würden das wahre Menschheitsinteresse kennen und brauchten deswegen die Belange und Willenskundgebungen der einzelnen Völker nicht zu beachten.

Wenn hier der Begriff „Menschheitsinteresse“ verwendet wird, ist natürlich darauf hinzuweisen, dass das Kollektiv „Menschheit“ in der Wirklichkeit nicht vorkommt. In Wahrheit ist die Idee eines Menschheitsinteresses nichts anderes als ein Phantasiegebilde von Globalisten, um von dieser Warte aus mit dem Anspruch aufzutreten, den wahren Willen der Menschheit zu artikulieren und durchzusetzen. Faktisch aber führen die Verfechter der Welteinheit im Namen einer künftigen Utopie Krieg gegen die gegenwärtigen Menschen.[139]

Vom Boden einer solchen Denkweise scheinen sie sich legitimiert zu sehen, den jeweils nächsten Schritt hin zu einer „Einheit der Menschheit“ zu gehen. Dabei ist es erstaunlich, mit welcher Intensität in den Massenmedien gegenwärtig die Transfers nationalstaatlicher Kompetenzen auf Institutionen wie EU oder UNO als etwas Gutes in die Hirne der Menschen geträufelt wird: Dieses alles diene deswegen dem Menschheitsinteresse, weil auf diesem Weg Frieden, internationale Zusammenarbeit, grenzüberschreitender Handel, Klimaschutz, Menschenrechte und so weiter erreicht würden.

Dachte der ungarische Präsident Viktor Orbán an diese Mächte, als er im Jahr 2018 eine Wahlkampfrede mit der Feststellung begann: „Wir kämpfen gegen einen Feind, der von anderer Art ist als wir. Er kämpft nicht mit offenem Visier, sondern versteckt sich. Er glaubt nicht an den Lohn der Arbeit, sondern spekuliert mit Geld. Er hat keine Heimat, glaubt aber, dass ihm die Welt gehört…“[140]?

Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich kann man in einer abstrakten Weise von „der Menschheit“ sprechen, etwa im Sinn der Summe sämtlicher einzelner Menschen. Aber dann wird man sich darüber im Klaren sein müssen, dass diese „Menschheit“ nicht ein Kollektiv ist, das durch gemeinsame Überzeugungen zusammengehalten wird. Stets ist „die Menschheit“ in unterscheidbare Völker, Nationalstaaten und Stämme gegliedert. Nach der Sintflut hatte Gott die Menschheit in einzelne Völker geteilt (1Mos. 10–11), um eine einheitliche Menschheit vor dem Größenwahn zu bewahren, sich gegen Gott zu erheben.[141]

Im Licht dessen, was Römer 13 über die Obrigkeit sagt, haben die globalen Entwicklungen mit dem fortwährenden Machtzuwachs übernationaler Institutionen wie dem EU-Parlament oder gar dem UNO-Sicherheitsrat allein noch das gemein, dass auch sie unter dem allmächtigen Gott stehen, also von ihm zugelassen sind. Sonst aber haben sie mit dem biblischen Verständnis von Obrigkeit wenig zu tun: Auch der von Gott verordnete Zweck der Obrigkeit, nämlich die Guten zu belohnen und die Bösen zu bestrafen (Röm. 13,2–4; 1Petr. 2,14), verfliegt im Feuerwerk eines globalen Menschheitsbeglückungstraums.

5.8.2. Die Obrigkeit: Liquidierer der Schöpfungs- und Erhaltungsordnungen (Liberalsozialismus)

Diese internationalen Entwicklungen wirkten sich auf die einzelnen Nationalstaaten aus und damit auf die Ideen, was Aufgabe einer Obrigkeit ist. Folglich ist es notwendig, sie im Rahmen von Römer 13,1-7 einzuschätzen.

In Deutschland kam es in diesen Jahrzehntenen zu einer Verschmelzung zwischen Liberalismus und Sozialismus. Eine solche Vermischung lag keineswegs nahe.

Nach der Auflösung des Sowjetimperiums hätte es anfangs als absurd erscheinen müssen, dass ein Politiker mit sozialistisch-marxistischen Überzeugungen noch irgendwo in der Öffentlichkeit Pluspunkte würde sammeln können. Aber um ihre linken Überzeugungen zu vernebeln griffen die (Neo)marxisten auf Öko-Gedankengut zurück. In Westdeutschland hatte dies bereits seit den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts großen Einfluss. Nun bot sich ihnen die Idee eines von Menschen gemachten Klimakollapses als Ersatzdoktrin an. Mit diesem Narrativ gelang es ihnen, in der Gesellschaft Angst zu schüren, um danach ihre eigene Lösung als Rettung für die Welt zu präsentieren.

Hinzu kam, dass nach der Wiedervereinigung Vertreter des DDR-Sozialismus keinerlei Skrupel kannten, sich in andere Parteien einzuschleusen. Ein anschauliches Beispiel bietet dafür die Pfarrerstochter Angela Merkel. Bereits zu DDR-Zeiten erhielt sie in der FDJ eine solide Ausbildung im Bereich politischer Propaganda. Ohne Zweifel hätte sie damit eine glänzende Karriere im DDR-Regime in Aussicht gehabt. Als ihr dann die „Wende“ dazwischenkam, suchte sie kurzfristig in der SPD ihre politische Heimat, kam dann aber zu dem Ergebnis, für die Umsetzung ihrer Ziele biete ihr die CDU die besseren Aussichten. Tatsächlich machte sie in dieser Partei schnell Karriere.

Nun könnte man solche opportunistischen Verhaltensweisen damit zu erklären versuchen, dass es schon immer Karrieristen gegeben habe, die ungeniert ihr Mäntelchen nach dem jeweiligen geistigen Wind gehängt haben. An einer solchen Einschätzung steckt viel Richtiges. Trotzdem mag es auf den ersten Blick überraschen, wie schnell und wie nahtlos (öko-)sozialistisches Gedankengut mit dem Liberalismus verschmolz.

Dem Verlauf der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts scheint eine solche Verbindung auch völlig zu widersprechen: Hatte man nicht gelernt, dass Liberalismus und Sozialismus Gegensätze sind und sich zueinander wie Feuer zu Wasser verhalten?

Tatsächlich sind diese beiden Strömungen insofern Gegensätze, als sie unterschiedliche Wirtschaftsauffassungen vertreten und von jeweils anderen Freiheitsideen bestimmt sind. Im Liberalismus ist man davon überzeugt, die wahre Emanzipation werde erreicht, wenn der Mensch befreit von staatlichem Zwang wirtschaften könne, und nach der Regel lebe, Gewinne dadurch zu erzielen, dass er den Konkurrenten im Preis-Leistungsverhältnis übertrifft. Demgegenüber ist ein Marxist davon überzeugt, dass die Menschen erst dann ihre Fesseln abgeschüttelt haben werden, wenn sie in einem (Wirtschafts-)System leben, in dem die Produktionsmittel allen gehören und jeder sein Leben nach den „wissenschaftlichen“ Einsichten führen und gestalten darf, die ihm das Kollektiv – faktisch ist es die Partei – vorgibt.

Während der Liberale die menschliche Selbstbefreiung individuell versteht, er leitet sie aus den Menschenrechten ab, glaubt der Marxist, die Freiheit des Menschen sei Ergebnis eines dialektischen Gesellschaftsprozesses: Sobald sämtliche Produktionsmittel kollektiviert seien, werde jeder in ökonomischer Unabhängigkeit sein Lebensglück gefunden haben.

Unter wirtschaftlichem Blickwinkel ist dieser Gegensatz offensichtlich. Wenn man die beiden Richtungen allerdings aus biblisch-christlicher Warte betrachtet und nach ihren geistigen Voraussetzungen befragt, kommt man zu dem Ergebnis, dass beide Freiheitsverständnisse in demselben geistigen Boden wurzeln. Beide Strömungen sind davon überzeugt, dass Gott nicht existiert. Falls aber Gott existieren sollte, ist sowohl der Liberale als auch der Sozialist davon überzeugt, dass Gott der Unterdrücker der Menschen sei. Folglich sind sich beide Strömungen darin einig, dass der Mensch erst dann frei ist, wenn er Gott abgeschafft habe. So wurde es im Kern in der Französischen Revolution gesehen und einige Jahrzehnte später vertrat Karl Marx Gleiches.

Beide Ideologien stimmen auch darin überein, dass Befreiung nur erfolgen kann, wenn der Mensch aus den überkommenen Traditionen und Gemeinschaftsverflechtungen herausgelöst worden ist, also nicht nur aus der Kirche bzw. Gemeinde, sondern auch aus seiner Familie und aus seinem Volk.

Im Gegensatz dazu ist der Christ davon überzeugt, dass es unter den Menschen erst dann Freiheit geben kann, wenn in einem Gemeinwesen die Gebote Gottes Geltung haben. Dass Gott der Gott ist, der die politische Freiheit der Menschen will, wird sowohl vom klassischen Liberalismus als auch vom Marxismus verneint. Beide Weltsichten speisen sich aus der Überzeugung, der Mensch müsse selbst, also ohne Gott, ja gegen Gott ein Paradies auf Erden erschaffen. Dazu sei er in der Lage, sobald er seine Lebensformen selbst erfindet und konstruiert.

Kurzum: Von ihrer geistigen Herkunft her stehen sich also Liberalismus in seinen unterschiedlichen Ausgestaltungen und Marxismus in seinen Variationen wie Bolschewismus, Sozialismus und Kommunismus nicht als unversöhnliche Feinde gegenüber. Vielmehr stammen beide Strömungen aus derselben geistigen Quelle, der Französischen Revolution. Deren Losung lautete: „Kein Gott und kein König!“ Auch das atheistisch-marxistische Programm sieht vor, die weltliche Gewalt nicht etwa zu reformieren, sondern diese aufzuheben.[142]

Für diese beiden Weltauffassungen stecken in der Kirche, in den überkommenen sozialen Gemeinschaftsformen und Bindungen wie Ehe (von einem Mann und einer Frau) und Familie (mit eigenen Kindern), von einem daraus sich bildenden Volk schon deswegen Zwänge und Unfreiheiten, weil diese Lebensformen nicht vom Menschen selbst geschaffen worden sind. Emanzipiert sei der Mensch erst dann, wenn er die überkommenen Lebensformen selbst verändert und eigenmächtig umgekrempelt habe.

Wenn man Liberalismus und Marxismus so zueinander in Beziehung stellt, wird man mit dem Einwand rechnen müssen, dass eine Gleichsetzung dieser beiden Ideologien allen Erfahrungen widerspricht. Gerade das 20. Jahrhundert habe doch zur Genüge belegt, dass überall dort, wo sich der Marxismus breitgemacht hat, er eine totalitäre Herrschaft errichtete. Stets habe die marxistische Führungselite ihre als gesellschaftlicher Fortschritt verkauften Ideen mit brutalster Gewalt durchgesetzt! Was auch immer Karl Marx von einem zu erwartenden Absterben des Staates bzw. der Obrigkeit fabuliert haben mag, Fakt sei, dass die Gesellschaftsform, die die von Marx entflammten Menschenunterdrücker zustande gebracht haben, ganz sicher nicht als ein freies Gemeinwesen empfunden wurde. Der Versuch, die Befreiung des Menschen auf sozialistische Weise zu bewerkstelligen, sei stets in das totale Gegenteil umgeschlagen. Ferner hätten sich die jeweiligen marxistischen Parteityrannen immer als völlig unfähig erwiesen, auch nur ansatzweise den von ihnen hervorgebrachten Despotismus selbstkritisch zu reflektieren und zu korrigieren.

Demgegenüber, so erklärt man, sei der Unterschied zum Liberalismus doch mit Händen zu greifen. In dieser Weltanschauung herrsche individuelle Freiheit, sodass der Vergleich zwischen einerseits dem Liberalismus und andererseits dem real existierenden Sozialismus wie der Vergleich zwischen Tag und Nacht ausfalle.

Wenn man sich die Geschichte des 20. Jahrhunderts vor Augen führt, ist an diesem Einwand vieles richtig. Aber bei der hier gemachten Entsprechung von Marxismus und Liberalismus geht es nicht um die Behauptung, beide Weltanschauungen seien weitestgehend identisch. Vielmehr geht es darum, dass sich Christen darüber im Klaren werden müssen, dass sich beide Ideologien aus denselben geistigen Voraussetzungen speisen. Beide halten die Lüge fest, dass es keinen Gott gebe. Beide zielen darauf, die Menschen aus ihren herkömmlichen Bindungen und sozialen Verflechtungen zu lösen. Beide sind der Idee verpflichtet: „Wir schaffen es selbst!“. Insofern haben beide Strömungen nichtchristliche Wurzeln.

Im Übrigen ist zu beachten, dass der Marxismus sein totalitäres Potential erst in die Wirklichkeit umsetzte, nachdem er eine Monopolstellung in einer Gesellschaft erreicht hatte. Die Gulags kamen erst, nachdem Lenin unangefochten die Macht errungen hatte.

Der Liberalismus war bisher noch nirgendwo unumschränkt an der Macht. Wie radikal sich aber nun der Liberalsozialismus eine Transformation der Gesellschaft vorstellt, zeigt ein Blick in die Koalitionsvereinbarungen der Ampelkoalition (Dezember 2021). Dabei setzen die liberalen und die linken Politiker den Hebel gezielt bei der Urzelle jeglichen Gemeinwesens an, um diese zu zerstören, also bei der Ehe und der Familie.

Gemäß der Koalitionsvereinbarung ist eine Familie nicht mehr durch Vater und Mutter sowie durch die von den beiden gemeinsam abstammenden Kindern bestimmt. Vielmehr ist nun die Vorgabe für das, was als Familie zu gelten habe, ein beliebig wählbarer „Pakt für das Zusammenleben“: Jedes „Institut für Verantwortungsgemeinschaft“, das Menschen durch einen zivilrechtlichen Vertrag miteinander vereinbaren, sei als „Familie“ anzusehen. Aus der in der Zeit während der Merkelregierung geschaffenen „Ehe für alle“, in der gleichgeschlechtliche „Paare“ einbezogen wurden, soll nun also „Für alle eine Ehe“ werden.

Die Ampelkoalition legte fest, dass sämtliche zu erlassenen Gesetze der Genderideologie zu entsprechen haben. Es müsse stets und überall der „Gleichstellungs-Check“ durchgeführt werden.[143] Das heißt: Alle Lebensformen seien als gleichrangig anzusehen.

Ein Kind kann von nun an vier Elternteile haben, zwei davon kann man beliebig wählen. Erklärte Absicht der neuen „Ampelregierung“ ist es, die LGBT-Ideologie durch dafür vom Staat zur Verfügung zu stellende Finanzmittel massiv zu verbreiten. Deren Präsenz müsse in der deutschen Öffentlichkeit noch weiter gestärkt werden.[144]

Diese Ziele seien, so die Absicht der Regierungskoalition, nicht nur für Deutschland anzustreben, sondern man wolle sie EU-weit durchsetzen. Die Regierung in Deutschland verfolgt also die Absicht, dass in sämtlichen Staaten der EU nicht nur gleichgeschlechtliche „Ehen“ legalisiert werden, sondern auch „Regenbogenfamilien“.[145]

Mehr noch: Die gesamte Außenpolitik soll nach dem Willen der Ampelkoalition „feministisch“ gestaltet werden.[146] Auch die Entwicklungshilfe sei unter einen „umfassenden Gender-Aktionsplan“ zu stellen.[147] Ja, die Ziele der deutschen Regierung reichen noch weiter: Es ist angestrebt, dass die UNO weltweit eine LGBT-Konvention beschließt.[148]

Wohlgemerkt: Diese Pläne entstammen nicht einem fiktiven Gruselkabinett. Vielmehr ist dies alles die erklärte Absicht der im Dezember 2021 ins Amt gekommenen deutschen Koalition. In diesem Sinn soll die Gesellschaft von Grund auf umgebaut werden.

Natürlich kann man sich einreden, es werde alles nicht so heiß gegessen, wie es gekocht werde. Das mag schlussendlich sogar so sein. Aber zu erinnern ist eben auch daran, dass man sich bereits vor 90 Jahren mit einer solchen Denkweise vergeblich zu beruhigen suchte, als ein „böhmischer Gefreiter“ sich anschickte, die Herrschaft in Deutschland zu übernehmen.

Die Schienen, auf der die Ampelkoalition weiterfahren will, wurden bereits unter der Regierung von Angela Merkel (CDU) parteiübergreifend gelegt: Seit dem 22. Dezember 2018 ist es möglich, sich in Deutschland beim Personenstandsregister neben „männlich“ oder „weiblich“ auch als „divers“ registrieren zu lassen.

Diese Einführung des „dritten Geschlechts“ heißt, dass das Geschlecht eines Menschen nicht mehr biologisch festgelegt ist, sondern als ein soziales Konstrukt gilt. Es ist inzwischen auch eine Straftat, über „Homosexuelle“ oder „Diverse“ etwas zu äußern, dass diese als Diskriminierung interpretieren könnten. Zumindest aber muss derjenige, der daran Zweifel hegt, dass jemand, der mit einem männlichen Geschlechtsorgan geboren ist, dadurch eine Frau wird, dass er sich dazu erklärt, damit rechnen, als „genderphob“ diagnostiziert zu werden. Möglicherweise wird ihm sogar empfohlen, sich einer psychiatrischen Sozialtherapie zu unterziehen.

Indem die jetzige Regierung sich bemüht, ihren „Nationalen Aktionsplan für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt“ in die Wirklichkeit umzusetzen,[149] schreitet sie also lediglich auf dem Weg der Auflösung der Geschlechteridentität fort, der unter der Merkel-Regierung gebahnt worden war. Schon bald wird sich kein Teenager mehr der Frage entziehen können, zu welchem von den drei im Personenstandgesetz genannten „Geschlechtern“ er sich zugehörig fühlt bzw. für welches er sich entscheiden möchte.

Auf der gesellschaftspolitischen Agenda des Liberalsozialismus stehen ferner die Aufnahme von „Kinderrechten“ in das Grundgesetz.[150] Man will auch Regelungen zur „Reproduktionsmedizin“ „prüfen“, sodass „Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und der Leihmutterschaft“ ermöglicht werden.[151] Das Werbeverbot für Abtreibungen (§ 219 StGB) soll bald ersatzlos gestrichen werden.[152]

Kurzum: Niemand der die Koalitionsvereinbarung aufmerksam liest, wird übersehen können, dass es die erklärte Absicht der Liberalsozialisten ist, die herkömmlichen Familienstrukturen aufzulösen, zumindest sie fundamental zu relativieren. Angesichts der außerordentlich niedrigen Geburtenrate in unserem Volk ruft man also nicht etwa zum Schutz und zur Stärkung der traditionellen Ehe und Familie auf. Vielmehr wird Artikel 6 des Grundgesetzes der BRD, nach der die Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung gestellt ist und erklärt, dass die Pflege und die Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern sind, auf die Weise ausgehebelt. In den öffentlichen Medien wird dieser Weg als „Freiheit“ bzw. als „Emanzipation“ gefeiert und natürlich als „Fortschritt“.

Die auf Deutschland zurollende demographische Katastrophe und den in der Wirtschaft zu erwartenden Fachkräftemangel will man durch Masseneinwanderungen von Menschen aus anderen Kulturkreisen beheben. Diese Denkweise passt in die Vorstellungswelt des Liberalismus. Denn während in dieser Weltanschauung religiöse, kulturelle und soziale Verflechtungen unberücksichtigt bleiben, fokussiert sie sich auf das Individuum.

Wenn man gegen diese Auffassung einwendet, ein Volk sei nicht die Summe von Individuen, sondern eine Solidargemeinschaft, muss man sich darauf einstellen, dass eine solche Meinung als „rückständig“, „reaktionär“, „fortschrittsfeindlich“, „nationalistisch“, „rechts“, „völkisch“ oder „faschistisch“ bewertet wird.

Wer angesichts von Masseneinwanderungen aus islamischen Ländern sogar den Mut aufbringt, vor einer Islamisierung unserer Kultur zu warnen, sodass Deutschland bald zum Islam gehören könnte, bekommt zu hören, er sei „Rassist“. Einmal abgesehen von dieser unsinnigen verbalen Entgleisung, als wäre der Islam eine „Rasse“, müssen diese Leute sich auch in die Fiktion hineinsteigern, es gebe gar kein Dschihad-System, sondern Derartiges zu behaupten sei Ausdruck einer xenophoben Weltverschwörung.

Noch geht der Liberalsozialismus nicht so weit, dass er verkündet, es sei „menschenrechtswidrig“ oder gar „menschenfeindlich“, sich für den Erhalt des eigenen Volkes oder für die Familienform einzusetzen, die aus Vater, Mutter und daraus entstandenen Kindern besteht. Noch nicht. Noch sind die Liberalsozialisten so tolerant, dass sie erklären, man habe keinesfalls die Absicht, irgendjemandem eine bestimmte Lebensgestaltung aufzunötigen. Aber die Frage stellt sich, ob diese Beteuerungen nicht eher an den Wolf erinnern, der Kreide gefressen hat. Jedenfalls ist es Fakt, dass durch die steuerfinanzierten Subventionen von Kultureinrichtungen, die fest in den Händen der linksliberalen Eliten sind, mit aller Kraft eine entsprechende gesellschaftstransformierende „Sensibilisierungsarbeit“ vorangetrieben wird. Man denke auch an die ins Uferlose wachsende Zahl von „Gleichstellungsbeauftragten“, an die entsprechende Dauerbeschallung durch die GEZ-finanzierten Medien und nicht zuletzt an die Gender-Unterrichtsvorgaben für Schulen und Universitäten, ja bereits für Kitas.

Auf privater Ebene ist es noch möglich, für die eigene Ehe und Familie sich dem liberalsozialistischen Druck zu widersetzen. Trotz all der von den Gender-Lobbyisten verabschiedeten Verordnungen und Bestimmungen können sich Christen noch immer für eine Ehe- und Familienform entscheiden, die dem Neuen Testament entspricht. Noch können christliche Ehepaare vereinbaren, dass die Mutter auf eine (Vollzeit)beschäftigung verzichtet. Noch dürfen sie die Entscheidung treffen, dass das Zu-Hause-Bleiben der Mutter nicht ein der Mutter übergestülptes „patriarchalisches Rollenzwangskonstrukt“ ist, sondern deswegen erfolgt, weil beide Elternteile davon überzeugt sind, dass dies für ihre Kinder das nach wie vor Optimale ist und damit übrigens auch am tauglichsten für das eigene Volk.

Aber diese christlichen Eheleute müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie sich immer mehr in eine Außenseiterposition begeben. Im Sinne einer Beweislastumkehr sind sie es, die begründen müssen, warum sie eine solche „antiquierte“ Lebensform wählen. Möglicherweise wird dieser Familie sogar rasch vor Augen geführt, dass diese ihr von den Liberalen eingeräumte Toleranz, eine biblische Ehe- und Familienform zu führen, nur solange Gültigkeit hat, wie sie davon keinen Gebrauch machen.

Auf jeden Fall: Diejenigen, die behaupten, eine Ehe sei eine Verbindung von einem Mann und einer Frau, sodass folglich andere „Verantwortungsgemeinschaften“ nicht als „Ehe“ oder „Familie“ zu bezeichnen sind, sondern meinetwegen als Clique oder sonst wie, müssen sich für ihre Überzeugung rechtfertigen. Wenn sie behaupten, dass sexuelle Beziehungen in die Ehe gehören und dass eine Eheschließung ein für das gesamte weitere Leben angelegter Bund ist, werden sie sich vermutlich dem Vorwurf aussetzen, sie seien „lustfeindlich“. Nicht selten werden sie sich in einem verächtlich diffamierenden Ton auch anhören müssen, sie würden altväterliche („patriarchalische“) Überzeugungen pflegen.

Demgegenüber fühlen sich die Vertreter der liberalsozialistischen Wertegemeinschaft, die „für alle eine Ehe und Familie“ wollen, und für eine möglichst frühe Trennung der Kleinstkinder von ihren Müttern eintreten, jeglicher Rechtfertigungsverpflichtung enthoben. Dass Kinder die Krönung einer Ehe sind, zumal Gott durch das Zeugen, Empfangen und Gebären eigener Kinder die Eltern so unmittelbar an seinem Schöpfungshandeln beteiligt wie sonst nirgendwo, ist diesen Gottlosen fremd. Die im Grunde für jedermann offenkundige Einsicht, dass Normalfamilien stabiler sind als Patchwork-Konstrukte, lässt man in Diskussionen ebenfalls gern unter den Tisch fallen.

Diese Entwicklung führt dazu, dass Christen in der Gefahr stehen, sich immer mehr aus dem öffentlichen Diskurs zurückzuziehen. Sie halten den Mund, wenn wieder einmal ein „Gender-Experte“ es als eine strafbare Vergewaltigung bezeichnet, dass christliche Organisationen ihre Bereitschaft erklären, dem homosexuell Orientierten eine „Konversionstherapie“ anzubieten, wenn dieser sie ausdrücklich selbst wünscht. Nur noch innerlich schütteln sie fassungslos den Kopf, wenn dieselben Gesellschaftsingenieure, häufig im selben Atemzug, hinzufügen, die Geschlechtlichkeit des Menschen sei nicht etwas Feststehendes, sondern etwas sozial Verflüssigtes, das man frei wählen könne.

Auch verstummt inzwischen ein Christ, wenn ein GEZ-finanzierter Journalist es wieder einmal fertigbringt, einen Terroranschlag zu kommentieren, bei dem gemäß sämtlicher Tatzeugen der Messerstecher „Allahu akbar“ geschrien hat. Was soll man auch erwidern, wenn dieser Reporter ohne schamrot zu werden im Blick auf solche Mordanschläge erläutert, sie hätten nichts mit dem Islam zu tun, und dann mit betroffener Gesichtsmimik die haarsträubende Erklärung nachschiebt, diese „Tragödie“ sei die „bedauerliche Tat eines Einzeltäters“? Sie sei auf dessen materielle Armut zurückzuführen, liege an den lokalen Stammesbräuchen, aus denen er kommt, oder sei auf die Integrationsschwierigkeiten in seinem Gastland zurückzuführen, sodass für ihn nun eine sozialpsychologische Intensivbetreuung in Betracht zu ziehen sei.

Es hat den nicht unbegründeten Anschein, dass der Liberalsozialismus immer mehr als alternativlos auftritt, und sich damit totalitär gebärdet. Von den letzten beiden Diktaturen auf deutschem Boden, also dem Nationalsozialismus mit seiner naturalistischen Blut- und Bodenideologie und dem real existierenden DDR-Sozialismus mit seinem dialektischen Materialismus, unterscheidet sich der Liberalsozialismus dadurch, dass die beiden zurückliegenden Ideologien die Gemeinschaftsformen von Familie und Nation intakt ließen. Zuweilen idealisierten sie diese sogar unangemessen. Demgegenüber hat der Liberalsozialismus das Kriegsbeil gegen die Schöpfungsordnungen von Ehe und Familie ausgegraben.

Unter dem Panier der Emanzipation wird der Einzelne zunächst aus seinen natürlichen Gemeinschaftsbindungen herausgelöst. Der so Isolierte ist dem Zugriff von Ideologen dann nur umso schutzloser ausgeliefert. Man könnte es vergleichen mit einem Wildtier, das von einer Wolfsmeute gehetzt wird: Zunächst geht es den Raubtieren darum, das Beutetier von der Herde abzulösen, sodass es in einem zweiten Schritt nur umso brutaler zur Strecke gebracht wird.

Der stark individualistische Einstieg des Liberalsozialismus mag allerdings ein Grund dafür sein, warum er in seiner Antichristlichkeit immer noch so wenig von Christen durchschaut wird, ja vielfach von ihnen sogar naiv beklatscht wird.

Ausdrücklich sei hinzugefügt, dass man den gegenwärtigen Liberalsozialismus nicht mit dem klassischen Liberalismus gleichsetzen kann. Der Liberalsozialismus bezieht seinen geistigen Nektar neben dem klassischen Liberalismus auch aus dem Gedankengut der neomarxistischen „Frankfurter Schule“ und aus den Weltuntergangsängsten der Ökonaturalisten.

Ferner sind in dieses Denken die Freiheitsphantasien französischer Postmodernisten eingeflossen. Man denke an Jacques Derrida und vor allem an Michel Foucault. Letzterer verkündet in einem beschwörenden Tonfall, dass sich die gegenwärtige Gesellschaft geistig irgendwo zwischen einem ausgrenzenden Irrenhaus und einem Gefängnis befinde.[153] Ausnahmslos alle Regierungsformen seien tyrannische Willkürherrschaften. Der Weg um von ihnen befreit zu werden, führe allein über „Dekonstruktion“, „Entstrukturierung“, „Entgrenzung“ und „Entordnung“ sämtlicher bisheriger Lebensformen. Man habe einen rücksichtslosen Kampf gegen alle als unerträglich empfundenen Machtstrukturen zu führen. Der Nachdruck, mit der die Idee, „Für alle eine Ehe“ in der Gesellschaft heute durchgedrückt wird, ist ohne diesen geistigen Nährboden nicht zu begreifen.

Selbstverständlich wird man in diesem Zusammenhang auch auf das Denken der Vorkämpferin des Gender-Konstruktivismus, Judith Butler, verweisen müssen. Egal ob sie selbst es so meinte – auf jeden Fall ist sie von ihren zahlreichen Studenten so verstanden worden: Jenseits der Sprache existiere keine Realität. Von daher gebe es auch kein biologisches Geschlecht. Jeder gehöre dem Geschlecht an, zu dem er sich selbst bekennt. Wer die Antwort auf die Frage, ob man ein Mann oder eine Frau ist, aufgrund biologischer Beobachtungen an sich selbst machen wolle, wird von ihr dazu aufgerufen, eine so geartete Identitätssuche endlich zu überwinden, weil sie den Menschen einenge. Denn nur dann, wenn im eigenen Leben alles von selbstgetroffenen Entscheidungen abhänge, also auch die Wahl, welches Geschlecht man für sich bevorzugt, sei man frei.

Wenn Teenager staatlicherseits aufgerufen werden, für sich selbst die Entscheidung zu treffen, zu welchem der „drei“ Geschlechter sie sich zugehörig fühlen möchten, kann dies nur als Aufstand gegen Gott, den Schöpfer verstanden werden. Wem kommt hier nicht das Gerichtswort in den Sinn, das der Prophet Jesaja angesichts des Untergangs Israels sprach: Wehe denen, die Böses gut und Gutes böse nennen, die aus Finsternis Licht und aus Licht Finsternis machen, die aus sauer süß und aus süß sauer machen! Wehe denen, die weise sind in ihren eigenen Augen und halten sich selbst für klug. (Jes. 5,20.21)?

Im Blick auf unsere Fragestellung ist Folgendes unübersehbar deutlich: Eine Obrigkeit, die sich aufmacht, alle möglichen Beziehungen als „Ehe“ zu bezeichnen, stellt sich gegen das von Gott gegebene Recht. Sie entspricht nicht dem Auftrag, den sie von Gott empfangen hat, also dem, was in Römer 13,3.4 als gottgegebener Zweck für die Obrigkeit geschrieben steht.

5.8.3. Die Obrigkeit: im Rausch des Eine Welt-Wahns

Die Strukturen und Lebensformen, wie sie sich in unserem Land herausgebildet haben, entsprechen seit langem nicht mehr dem Willen Gottes. Das gilt auch für die gegenwärtige weltliche Gewalt. Dabei ist es nicht so, dass wir erst in den letzten Jahrzehnten, sagen wir, seit den 68ern, mit unchristlichen Lebensformen zu tun haben.

Aber in und nach der Epoche der Aufklärung hatte sich die weltliche Gewalt noch längere Zeit im Schein des biblischen Christentums bewegt. Folglich wurden bis vor wenigen Jahrzehnten Ehe und Familie auch von der säkularen Zivilgesellschaft geachtet.

Mittlerweile aber hat in unserem Gemeinwesen nicht nur die Gottvergessenheit, sondern auch die Verachtung der Gebote Gottes enorm zugenommen. Ideen, die sich gegen Ehe und Familie richten, aber auch die Obrigkeit abschaffen oder zumindest unterhöhlen wollen, oder wie man heute zu sagen pflegt, delegitimieren bzw. dekonstruieren wollen,[154] tauchen an allen Ecken auf.

Es breiten sich Strömungen aus, die man gegenwärtig unter dem Begriff der „Graswurzelbewegung“ zusammenfasst. Dieser Gedanke tauchte zum ersten Mal in Frankreich im anarchistischen Intellektuellenmilieu des sogenannten „Pariser Herbstes“ (1970) auf. Einige Jahre später griffen französische Postmodernisten wie Gilles Deleuze und Félix Guattari diesen Ausdruck auf.

Sie hatten dabei ein Unkraut vor Augen, das die botanische Bezeichnung „Rhizom“ trägt. Dieses „Rhizom“ ist ein Wurzelgeflecht ohne Über- und Unterordnung. Es wuchert asymmetrisch und dezentral. Die Richtung, in der dieses Geflecht sich ausbreitet, ist nicht vorhersehbar und damit auch nicht kontrollierbar. Dieses Rhizom diente den Postmodernisten als Vorbild für die von ihnen erträumte post-demokratische Gesellschaft. Die Graswurzelbewegung will, dass sämtliche Lebensformen, in denen Menschen miteinander leben, ohne Vorgaben, unvermittelt entstehen.

An dieser Denkweise ist richtig, dass es nicht das Ende des sozialen Miteinanders ist, wenn die von der Heiligen Schrift vorgegebenen Lebensordnungen zerfallen. Die Auflösung der überkommenen Strukturen ist eine Durchgangsphase: Aus den sozialen Trümmern entsteht Neues.

Aber die postmoderne Graswurzelbewegung irrt sich gewaltig, wenn sie der Überzeugung ist, der Weg zu neuen Lebensformen verlaufe planlos. Es ist ein massiver Irrtum, zu meinen, seitdem man sich von den Geboten Gottes emanzipiert habe, verlaufe alles spontan.

Der neue gesellschaftliche Prozess steht unter dem Banner der „sozialen Gerechtigkeit“ (social justice). Er schmückt sich mit egalitären Humanitätsidealen, wie zum Beispiel einem multikulturell orientierten Antirassismus.

Zwar könnte beim ersten Augenschein diese Entwicklung den Eindruck vermitteln, in ihr herrsche Anarchie. Zur Unterstützung könnte man darauf verweisen, dass Polizisten, die sich von diesem Gedankengut haben beeinflussen lassen, nicht gegen Randalierer und Plünderer vorgehen, sondern sich stattdessen dabei fotografieren lassen, wie sie vor diesen Gesetzlosen niederknien. Man denke auch an Politiker, die sich mediengerecht filmen lassen, während sie Gespräche mit Halbwüchsigen führen, die – vorgeblich aus Sorge um das Weltklima – die Schule schwänzen.

Aber wenn man genauer hinschaut, herrscht in diesen postchristlichen Strömungen alles andere als Freizügigkeit. Zum einen ist hier zu beobachten, dass unter der Forderung der „politischen Korrektheit“ (political correctness) eine gnadenlose Sprechkontrolle herrscht. Wehe dem, der anstatt „aufgeweckt“ (woke) zu sein, immer noch Worte in den Mund nimmt, wie „Zigeunermusik“ oder „Mohrenköpfe“.[155]

Und dass die gesellschaftliche Neustrukturierung zu einem Abbau von Vorschriften und Regulierungen geführt habe und die auszufüllenden Formulare weniger geworden sind, wird inzwischen wohl auch niemand mehr behaupten wollen. In einem Folgeschritt werden dann diese erfassten Daten digital aufbereitet, sodass es möglich wird, Menschen und Abläufe in einer Weise zu kontrollieren und zu überwachen, von denen Diktatoren in früheren Zeiten noch nicht einmal zu träumen wagten.

Es geht also bei dieser Neuordnung der Gesellschaft nur scheinbar um Anarchismus. In Wahrheit haben wir es mit einem festumrissenen Programm zu tun. Es stammt aus freimaurerischem Geist und verläuft nach dem Leitgedanken, dass „Ordnung vom Chaos“ (ordo ab chao) komme.

Dieser neu geschaffenen Ordnung liegt ein klar formulierter und jedermann zugänglicher Plan zugrunde. Es ist die im Jahr 2015 von den Mitgliedstaaten der UNO verabschiedete „Agenda 2030“. Das Ziel dieses Programms ist die Bildung einer „Neuen Weltordnung“ (New World Order, NWO). Es geht um die Errichtung der „Einen Welt“ (One World) und damit um eine einzige Obrigkeit.

Erklärtermaßen soll es in dieser „Neuen Weltordnung“ kein Privateigentum mehr geben. Zugunsten eines „universellen elektronischen Einkommens“ wird das Bargeld abgeschafft. Da man dann nur noch mit „Karte“ kaufen und verkaufen kann, ist man diesem weltumspannenden System uneingeschränkt ausgeliefert.

Die Konsequenzen kann man bereits ansatzweise in Fernost (China) studieren: Die Möglichkeiten zum Kaufen und Verkaufen oder auch am kulturellen Leben teilzunehmen, wird an „Sozialpunkte“ (Sozialkredite, Glückspunkte) geknüpft: Nur derjenige, der einen entsprechenden Punktestand vorweisen kann, erhält Zugang zu Waren und Dienstleistungen.

Diese Obrigkeit hat nichts mehr mit Römer 13 zu tun. Sie erinnert an das, was Offenbarung 13 sagt.

In dieser „Neuen Weltordnung“, die heutzutage ganz offen propagiert wird – es ist also keine „Verschwörungstheorie“ –, geht es nicht nur um die Kontrolle der wirtschaftlichen, sozialen oder beruflichen Existenz. Es geht auch um die Überwachung von Gottesdiensten und um das Praktizieren des christlichen Glaubens.

Zwar versichern die Vertreter der One-WorldIdeologie, man werde alle religiösen Traditionen, Kulturen und Lebensformen respektieren. Aber es ist eben auch klar, dass derjenige, der aufsteht und bezeugt, dass die wahre Religion einzig und allein die ist, die der dreieine Gott in seiner Heiligen Schrift geoffenbart hat, als intolerant abqualifiziert wird. Selbstverständlich wird eine Folge davon sein, dass so jemand vom ökonomischen und kulturellen Leben ausgegrenzt wird.

Der Weg zu dieser „Einen Welt“ (One World) ist auch kein Geheimnis. Es ist der „Große Umbruch“ (Great Reset, Großer Neustart). Dieser „Große Umbruch“ vollzieht sich dadurch, dass in der Gesellschaft Krisen entfacht werden. Hier ist zu denken an das Zusammenbrechenlassen der Weltwirtschaft (Inflation, „Minuszinsen“). Ferner ist unter diesem Aspekt das Auslösen bzw. das Provozieren von Kriegen zu sehen mit den daraus sich ergebenden Migrationsströmen. Sollten in der Bevölkerung daraufhin Unruhen ausbrechen, droht man vorsorglich damit, Militär einzusetzen. Es handele sich dann um „Innenverteidigung“.

Unter der Thematik der „Krisen“, ist auch an die Corona-P(l)andemie zu denken. Unter dem Banner, man kämpfe weltweit gegen das Covid-19-Virus – es beteiligen sich an diesem „Krieg“ knapp 200 Staaten – sucht man zunächst den Einzelnen von der Gemeinschaft abzusondern (Maske, Homeoffice). In einem zweiten Schritt wird ihm dann dringend eine Impf-Injektion empfohlen und das Versprechen gegeben, nach der Impfung werde seine Isolation wieder aufgehoben.

Nun ist bekannt, dass zur Herstellung bzw. zum Testen dieser Impfstoffe menschliche Embryonalzellen benötigt werden.[156] Ein Christ, der sich „impfen“ lassen will, sollte dies im Blick haben und nicht später einmal behaupten, er habe es nicht gewusst.

Zudem ist inzwischen offenkundig, dass entgegen allen Versicherungen, die man anfangs behördlicherseits abgab, diese „Impfung“ kein gamechanger im Krieg gegen Covid-19 war oder ist. Wenn man unter einer Impfung versteht, dass sie vor der betreffenden Infektion schützt, kann man die Genspritze schon deswegen nicht als Impfung bezeichnen, weil sie eben nicht vor einer Covid-19-Infektion bewahrt. Auch verhindert sie nicht, dass ein mit diesem Stoff „Geimpfter“ jemand anderen anstecken kann.

Anfangs versuchten die Behörden, die (weitgehende) Unwirksamkeit der „Impfung“ im Blick auf das Virus als „außergewöhnliche Impfdurchbrüche“ kleinzureden. Aber das Impfversagen als etwas Außergewöhnliches hinzustellen, ist längst schon nicht mehr möglich.

Über die GEZ-finanzierten Medien wird nun mitgeteilt, die „Impfung“ sei nur dann wirksam, wenn sie regelmäßig wiederholt werde. Man müsse sich alle drei Monate erneut einen „Piks“ verabreichen lassen. Aber dass eine unsichere „Impfung“ dadurch sicherer wird, dass man sie alle Vierteljahre durch entsprechende Auffrischungen („Boostern“) wiederholt, bleibt ein Politikerversprechen.

In anderen Ländern werden die gegen das Covid-19-Virus gerichteten Maßnahmen heruntergefahren. Auch in Deutschland stellen aufmerksame Beobachter die Frage: Was sollen mehr „Impfungen“ bringen, wenn die bisherigen vor Covid-19 nicht zu schützen vermochten?

Trotzdem drängt sich in der öffentlichen Wahrnehmung hierzulande ein Thema in den Vordergrund: die staatlich verordnete „Impfpflicht“. Fast hat man den Eindruck, es gehe nur noch um die Frage, wann die Impfpflicht komme: Kommt sie bereits im Frühjahr oder erst im Herbst? Werden zum Impfen alle verpflichtet oder nur Menschen ab 18 Jahren, oder wird sie schlussendlich nur für die Senioren, der „Risikogruppe“, angeordnet?

Die Frage, ob eine Obrigkeit eine solche Injektionspflicht überhaupt gesetzlich anordnen darf, gerät demgegenüber in den Hintergrund. Es heißt zwar im Grundgesetz, Artikel 2, Absatz 2: Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Eigentlich sollte sich damit jede weitere Diskussion erledigt haben. Denn das, was hier steht, heißt doch nichts anderes, als dass es jedem zusteht, sich zu weigern, sich einen „Impfstoff“ in den eigenen Körper spritzen zu lassen. Der Staat ist nicht befugt, eine Injektion gegen den Willen des einzelnen Bürgers anzuordnen.[157]

Aber weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit legte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in ihren „Internationalen Gesundheitsregulierungen“ (International Health Regulations, IHR) bereits im Jahr 2005 etwas anderes fest. Es trat dann im Jahr 2007 in Kraft, nachdem es von 196 Staaten unterzeichnet worden war: Die Unterzeichnerstaaten verpflichteten sich, diese Regelungen der IHR in nationales Recht umzusetzen. Dies geschah in Deutschland im Jahr 2013.[158] Für unsere Thematik sind Artikel 4 und 5 des Gesetzes zu den „Internationalen Gesundheitsvorschriften (G-IGV)“ von Interesse. Dort ist festgeschrieben und, wie gesagt, inzwischen in nationales Recht umgesetzt: Durch dieses Gesetz in Verbindung mit den Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005) (IGV) wird die körperliche Unversehrtheit (GG, Artikel 2 Abs. 2 Satz 1), die Freiheit der Person (GG, Artikel 2 Abs. 2 Satz 2), das Brief- und Postgeheimnis (GG, Artikel 10) und die Freizügigkeit (GG, Artikel 11 Abs. 2) eingeschränkt.[159]

Dass diese Gesetzesbestimmungen bereits im Jahr 2013 in Deutschland Rechtskraft erhielten, zeigt, wie die gegenwärtigen Geschehnisse von langer Hand vorbereitet sind. Sie belegen vor allem, dass unser Grundgesetz durch supranationale Regelungen bereits weitgehend außer Kraft gesetzt ist.

Aber lassen wir die Gesetzespapiere und hören uns in unserem Bekannten- und Freundeskreis um. Dann kann deutlich werden, dass sich die „Impfdurchbrüche“ und auch die „Impfschäden“ kaum noch unter den Teppich kehren lassen.[160] Dabei ist die Schädlichkeit der „Impfungen“ durchaus unterschiedlich, weil es verschiedene „Impf-Chargen“ gibt.[161]

Warum Ärzte nur so wenige Impfschäden melden, ist damit zu erklären, dass der mit einer Meldung verbundene Papierkrieg erheblich ist und nicht vergütet wird. Aber selbst, wenn Ärzte Impfschäden melden, werden diese in den seltensten Fällen als solche offiziell anerkannt. Das wiederum liegt, wie mir ein Insider des Medizinbetriebes mitteilte, an den übermächtigen Pharmakonzernen. An dem Sammeln und Auswerten solcher Negativ-Nachrichten haben diese Unternehmen kein Interesse, weil es geschäftsschädigend ist.

Allerdings hat inzwischen die erste Krankenkasse Alarm geschlagen. Sie hatte stichprobenartig Abrechnungen von Ärzten aufgrund von „Impfnebenwirkungen“ ausgewertet. Diese fielen um ein Vielfaches höher aus als die an das Paul-Ehrlich-Institut gemeldeten Schäden. Der Effekt dieser Veröffentlichung war aber, dass der Chef dieser Krankenkasse fristlos entlassen wurde. In den GEZ-finanzierten Medien war dazu zu lesen, dieser Mann stamme aus dem „Querdenkermilieu“.[162]

Aber angesichts der Vielzahl von „Impfdurchbrüchen“ und „Impfschäden“ sei es gestattet, einmal die Frage in die umgekehrte Richtung zu stellen: Wenn es bei den Injektionen nicht um einen Schutz vor dem Covid-19-Virus geht, worum geht es denn dann?

In der Antwort wird man als erstes darauf hinzuweisen haben, dass man ein Volk, das man in Ängste versetzt, gefügig und unterwürfig halten kann. Und Ängste lassen sich beim Thema „Gesundheit“ bzw. „Krankheit“ sehr schnell entfachen. Außerdem lässt sich unter dem Vorwand, es sei ein allgemeiner Gesundheitsschutz notwendig, eine Begründung dafür aufbauen, dass das Bundesgesundheitsministerium oder ein ihm zuarbeitendes Institut Zugang zu sämtlichen Patientendaten erhält. Der dem Patienten dafür überreichte digitale Impfpass, den man immer bei sich führen müsse, kann dann eine hervorragende Basis für weitergehende Kontrollen und Überwachungen bieten.

Kurzum: Es stellt sich die Frage: Wurde der Impfstoff zur Bekämpfung des Covid-19-Virus erfunden bzw. entwickelt, oder wurde das Virus geschaffen, um eine Möglichkeit zu bekommen, Menschen eine Gen-Injektion zu verpassen?[163] Was ist, wenn diese „Impfungen“ bereits Teil des Transhumanistischen Programms sind?

Bei diesem Programm geht es im Kern um die Vermischung von Mensch und Maschine. Dem Menschen werden mikroskopisch kleine elektronische Geräte ins Gehirn oder in den Körper gespritzt oder eingepflanzt (Nanopartikel).[164] Ziel dieses Unterfangens ist es, dass dadurch der Mensch wie eine Maschine gelenkt werden kann. Am ehesten wären diese Wesen wohl mit aus dem karibischen Voodoo-Kult bekannten „untoten“ Zombies vergleichbar: gut einsetzbar als Arbeitsmenschen. Oder soll man von „Arbeitstieren“ sprechen? Die Grenze zwischen Mensch und Tier wird bei diesem Programm jedenfalls eingeebnet. Die gentechnisch veränderten Menschen (oder soll man von Menschenhülsen sprechen) sind in sich selbst machtlos, identitätslos, orientierungslos heimatlos und geschlechtslos. Aus dieser Perspektive wäre dann die momentan propagierte antibiologische Sexualität und die Wahlfreiheit des Geschlechts (Gender) lediglich eine erste Vorstufe zur Verwirklichung dieses Dehumanisierungsprogramms.

Dass dieses Transhumanistische Programm nicht eine Spinnerei ist, sondern von den Machteliten konkret ins Auge gefasst ist, belegt die Forderung von Klaus Schwab, dem Gründer des Weltwirtschaftsforums (World Economic Forum), die er bei einer Rede am Chicago Global Council on Global Affairs wie selbstverständlich aufstellte: „Jetzt müssen physische, digitale und biologische Identität fusionieren.[165] Die menschliche DNA verschmilzt mit der Technik.“ Tatsächlich wird mit Hochdruck und Förderung staatlichen Stellen an der Erschaffung „humanoider Roboter“ gearbeitet.[166]

Dass das gemäß Römer 13 dem Auftrag Gottes für die Obrigkeit nicht mehr entspricht, muss ja wohl nicht bewiesen werden.

5.9. Römer 13 – und wir

Ob alles so kommen wird, wie sich das liberalsozialistische Machthaber und die hinter ihnen stehenden Eliten vorstellen, wissen wir nicht.

Es ist jedoch keineswegs unrealistisch, dass sich über uns eine Finsternis ausbreiten wird, aus der es weltimmanent, also auf horizontaler Ebene kein Entrinnen gibt. Jeglicher Widerstand wäre dann zwecklos. Auch eine Flucht wäre aussichtslos. Wohin auch? Aber auch dann bleibt dem Christen und der Gemeinde des lebendigen Gottes das Gebet, also die vertikale Richtung offen.

Allerdings könnte es auch so kommen, dass sich das Unterfangen, die „Eine Welt“ zu erschaffen, als das letzte Todesröcheln einer in der Zeit der Aufklärung entstandenen Träumerei erweist. Dann hätte sich die Idee, der Mensch sei in der Lage, eine heile Gesellschaft ohne Gott und ohne Beachtung seiner Gebote zu errichten, endgültig als große Selbsttäuschung herausgestellt.

Aber wie auch immer der allmächtige Gott die Geschichte weiter lenkt: Christen werden sich durch die gegenwärtigen Entwicklungen nicht in Angst und Schrecken versetzen lassen. Denn sie wissen aus dem Wort Gottes und dürfen es tapfer bezeugen, dass es nicht die scheinbar Mächtigen sind, die bestimmen, wie diese Weltgeschichte abläuft. Vielmehr ist es der dreieine Gott, der den einen erhöht und den anderen erniedrigt. Dieser Gott ist es, der im Regiment sitzt.

Ob allerdings der Gott, dem wir öffentlich nun schon seit Jahrhunderten in Europa den Rücken zugekehrt haben, sich seinerseits nicht von uns abwenden wird, sodass er uns unsere eigenen Wege gehen lässt und wir im Sumpf unseres selbstverschuldeten Wahns untergehen, wissen wir nicht. Unstrittig aber sollte sein: Wir haben das Gericht Gottes verdient.

In den zurückliegenden 80 Jahren gab es in unserem Volk zwei kurze Zeitabschnitte, in denen auch manche nichtchristlichen Zeitgenossen eine Ahnung davon hatten, dass möglicherweise die Geschichte doch irgendetwas mit Gott zu tun habe. Zum einen war es die Zeit des Untergangs des Nationalsozialismus und die Nachkriegszeit (1945ff). In Kriegsgefangenenlagern, aber wohl nicht nur dort, kam es zu entsprechenden Fragen und Gesprächen. Zum anderen war es die Zeit des Zusammenbruchs des DDR-Sozialismus, also die Jahre der sogenannten Wende (1989ff). In beiden Zeitabschnitten waren Menschen in unserem Land von den Ereignissen tief erschüttert. Aber beide Male ließen wir uns rasch von Themen wie dem „Wiederaufbau“ bzw. den „Blühenden Landschaften“ dermaßen in den Bann ziehen, dass wir die Frage nach Gott und seinen Geboten beiseiteschoben.

Was wäre, wenn wenigstens angesichts der gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Entwicklungen ein Fragen nach Gott und eine Umkehr zu seinen Geboten erfolgen würde?

Die Heilige Schrift erklärt uns mit unmissverständlicher Deutlichkeit den Bezugsrahmen, in dem wir Menschen in dieser Welt leben: Gott erschuf den Menschen in seinem Bild als Mann und als Frau. Sie waren sehr gut (1Mos. 1,27ff). Dann aber waren Adam und Eva Gott ungehorsam. Sie kehrten sich von Gott ab (1Mos. 3). Daraufhin wurden sie aus dem Garten Eden vertrieben. Gott lieferte sie dem Tod aus (Röm. 5,12). Der Mensch, der in seinem Größenwahn wie Gott sein wollte, war seit dem Sündenfall nun nicht mehr gut, sondern er war durch und durch verderbt. Er hatte die Gemeinschaft mit Gott zerbrochen, und seitdem steht er unter der Herrschaft Satans und unter dem Fluch der Ursünde.

Wenn Christen diesem biblischen Realismus wirklich glauben würden, hätten sie schon seit langem ihre Stimme gegen den Hochmut menschlicher Selbstbefreiungsfantasien erhoben. Sie hätten den gottlos Regierenden, die sich von ihren eigenen gesellschaftlichen Beglückungsutopien fesseln ließen, ins Gesicht bezeugen können, dass sie mit ihren Plänen scheitern werden.

Natürlich können Christen auch jetzt mit Gewissheit den One-World-Plänemachern prognostizieren, dass ihr Vorhaben, die „Eine Welt“ zu erschaffen, in der alle Menschen glücklich sein werden, krachend scheitern und in einer grauenhaften Katastrophe enden wird. Sie können diesen Mächtigen verkündigen, dass sie ein immens großes Lehrgeld zahlen werden, wenn sie sich anschicken, weiterhin die „Eine Welt“ errichten zu wollen, in der der Mensch die von Gott gegebenen Schöpfungsordnungen in die Tonne tritt, in der er die Verordnungen, die Gott nach der Sintflut Noah und seinen Nachkommen gab, verachtet, und in der er sich von den Zehn Geboten abkehrt.

Die Präambel, mit der die Zehn Gebote eröffnet sind, zeigt, dass Gott diese Gebote gegeben hat als der Gott, der ein Volk aus der Sklaverei des Menschen durch den Menschen herausgeführt hat (2Mos. 20,2). Ohne Beachtung der Gebote Gottes wird es immer zu einer Gewaltherrschaft des Menschen über den Menschen kommen. Und für die Umsetzung einer solchen tyrannischen Unterdrückung stehen den Gewalthabern heute ungeahnte Möglichkeiten zur Verfügung.

In Babylon lehnte es der Prophet Daniel ab, sich mit der königlich verordneten Nahrung zu verunreinigen. Er traf diese Entscheidung, weil er wusste, dass Gott im Regiment sitzt und dass Gott vermag, die Zeiten und Stunden zu ändern. Daniel wusste, dass der allmächtige Gott die aktuellen Machthaber ab- und andere einsetzen kann (Dan. 2,20.21).

Soweit es die Gebote Gottes zuließen, war Daniel dem babylonischen Herrscher gehorsam. Er wurde sogar oberster Minister. Aber der Umstand, dass er sich im Dienst Nebukadnezars befand, hinderte den Propheten nicht daran, seiner Obrigkeit gegebenenfalls entgegenzutreten und sie unmissverständlich zu warnen. Zum Beispiel: Darum o König, lass dir meinen Rat gefallen und brich mit deinen Sünden durch Gerechtigkeit und mit deinen Missetaten durch Barmherzigkeit gegen Elende, wenn dein Wohlergehen dauerhaft sein soll (Dan. 4,24 [27]).

In einem Gespräch mit dem König Belsazar, einem Nachfolger Nebukadnezars, wird Folgendes berichtet: Da antwortete Daniel und sprach vor dem König: Deine Gaben mögen dir verbleiben, und gib deine Geschenke einem anderen! Jedoch die Schrift will ich dem König lesen und erklären, was sie bedeutet. O König! Gott, der Allerhöchste, hat deinem Vater Nebukadnezar das Königtum, die Majestät, die Ehre und die Herrlichkeit verliehen; und wegen der Majestät, die er ihm gab, zitterten und bebten vor ihm alle Völker, Stämme und Sprachen; denn er tötete, wen er wollte, und ließ leben, wen er wollte; er erhöhte, wen er wollte, und erniedrigte, wen er wollte. Da sich aber sein Herz erhob und sein Geist übermütig wurde bis zur Vermessenheit, wurde er von seinem königlichen Thron gestürzt, und seine Würde wurde ihm genommen; man verstieß ihn von den Menschenkindern, und sein Herz wurde den Tieren gleich; er wohnte bei den Wildeseln, und man fütterte ihn mit Gras wie die Ochsen, und sein Leib wurde vom Tau des Himmels benetzt, bis er erkannte, dass Gott, der Allerhöchste, Macht hat über das Königtum der Menschen und darüber setzt, wen er will. Du aber, Belsazar, sein Sohn, hast dein Herz nicht gedemütigt, obwohl du das alles wusstest, sondern du hast dich über den Herrn des Himmels erhoben; und man hat die Gefäße seines Hauses vor dich gebracht, und du und deine Gewaltigen, deine Frauen und Nebenfrauen, ihr habt Wein daraus getrunken, und du hast die Götter aus Gold und Silber, aus Erz, Eisen, Holz und Stein gepriesen, die weder sehen noch hören noch verstehen; den Gott aber, in dessen Hand dein Odem und alle deine Wege sind, hast du nicht geehrt! (Dan. 5,17–23).

Diese Ausführungen, die Daniel dem König Belsazar gab, unmittelbar bevor er ihm die Schrift an der Wand erläuterte (Mene, mene tekel upharsin, Dan. 5,25) skizzieren Eckpunkte der politischen Ethik.

Daniel sagt hier erstens: Zwar ist er dem babylonischen König untertan und leistet ihm Dienste, aber er lässt sich von ihm nicht kaufen oder schmieren (deine Gaben mögen dir verbeiben, Dan. 5,17). Zweitens: Es ist nicht der Mensch, sondern es ist Gott, der einem Regenten die Majestät, die Ehre und die Herrschaft verleiht (Dan. 5,18.19). Drittens: Wenn sich ein Machthaber in größenwahnsinnige Vermessenheit hineinsteigert, wird es nicht lange dauern, bis Gott ihn von seinem Thron stürzt (Dan. 5,20.21). Viertens: Wenn Regierende Gott nicht die Ehre geben, sondern stattdessen Götzendienst betreiben und in heilige Bereiche hinübergreifen, wie es Belsazars Gesellschaft mit den Gefäßen aus dem Jerusalemer Tempel getan hatte, dann steht ihr Untergang bevor (Dan. 5,23.24).

Was Daniel hier bezeugt, entspricht im Kern Römer 13,1–7. Christen werden der Obrigkeit grundsätzlich gehorsam sein. Aber ihr Gehorsam ist nicht vorbehaltlos. Wenn sie mit der Obrigkeit zu tun haben, werden sie keinesfalls Gott aus dem Auge verlieren und auch nicht die Frage ausblenden, wozu Gott die weltliche Gewalt eingesetzt hat.

Übrigens entspricht dieser Zweck im Großen und Ganzen der Formel, mit der Politiker heute in Deutschland ihr Amt antreten: „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.“[167]

Wenn aber eine Regierung sich über die Gebote und die Ordnungen Gottes hinwegsetzt, darf man ihr in ihren Grenzüberschreitungen nicht Folge leisten. Eine solche Obrigkeit befindet sich gewissermaßen auf einer schiefen Ebene, die von dem, was in Römer 13 über sie gesagt ist, in das abrutscht, was in Offenbarung 13 geschrieben steht. Eine solche Obrigkeit hat ihre Macht nicht (nur) von Gott, sondern vom Drachen, vom Teufel (Offb. 13,4).

Auch in der Gegenwart hat die Einsicht, die einst Joseph de Maistre im Blick auf die Geschehnisse während der Französischen Revolution gewann, Geltung, nämlich, dass ein Volk immer die Regierung bekommt, die es verdient. Im Grunde fungiert die Obrigkeit ja heutzutage lediglich als das Vollzugsorgan für die Umsetzung der im Volk herrschenden Ideen. Gleichwohl kann eine Regierung diese herrschenden Ideen eben auch verstärken. Dabei geht aus dem biblischen Geschichtsbild hervor, dass ein Volk und dessen Obrigkeit, das sich vom christlichen Glauben abkehrt, niemals – in einem neutralen Sinn – unchristlich wird. Wir werden niemals dahin zurückkehren, wie es war, bevor unsere Kultur dem Christentum begegnete. Eine nachchristliche Zeit wird immer das Gefälle zum Antichristentum haben.

Abgesehen von wenigen Ausnahmen vernimmt man von Pastoren christlicher Gemeinden kaum die Warnung, dass wir an einen Punkt angelangt sind, an dem die einstigen Zukunftsträume der Aufklärung in einen grauenhaften Totalitarismus umschlagen (können). Folglich wird  heutzutage der einzelne Christ gar keine andere Möglichkeit haben, als für sich selbst eine persönliche Antwort auf die folgenden Fragen zu geben: Ist Christus der König meines Lebens? Führe ich, führt meine Familie ein Leben gemäß den Ordnungen und Geboten Gottes? Fragt die Gemeinde, zu der ich gehöre, vor allem anderen danach, was Gott will? Oder gibt es neben Christus andere Kräfte, die Einfluss auf die Gottesdienste und die Wortverkündigung nehmen wollen?

Veränderungen in der Gesellschaft beginnen niemals mit Strukturveränderungen. Sie fangen immer mit dem eigenen Leben an, also mit der persönlichen Umkehr zu Gott. Dieser Schritt hat dann aber zur Folge, dass die Christen in ihrer Umgebung Christus als den König bezeugen und dann auch zu staatlichen Maßnahmen, wie Übergriffen auf Gottesdienste, der (weiteren) Zersetzung von Ehe und Familie und eben auch zu den (drohenden) Genspritzen nicht schweigen. Würde man sich hier beugen, wäre ein solches Verhalten keinesfalls ein Gehorsam im Sinn von Römer 13,1–7.

Dabei ist ein Christ stets von dem Wissen getragen, das ein Globalist nicht hat und auch nicht haben kann, nämlich, dass selbst die Pforten der Hölle die Gemeinde Jesu Christi nicht vernichten können.

Es wäre übrigens ein Missverständnis zu meinen, Wortverkündiger, die angesichts von obrigkeitlichem Unrecht ihre Stimme erheben, würden die Kanzel missbrauchen, weil sie das Wort Gottes mit Politik verwechseln.

Die Christen der Frühen Kirche bis hin zur Zeit der Reformation unterschieden zwischen politischen Fragen und Rechtsfragen. Wenn es um Themen geht, wie zum Beispiel: Wie groß soll eine Kläranlage konzipiert werden? Soll die Umgehungsstraße rechts oder links um eine Ortschaft gebaut werden?, dann tun Christen gut daran, sich nicht ungefragt einzumischen. Solche Entscheidungen haben diejenigen zu treffen, die dazu gewählt sind und die von der Sache Ahnung haben bzw. sich durch Gutachten Sachverstand angeeignet haben, um dann nach dem Kriterium zu beschließen, was unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände am zweckdienlichsten ist.

Aber daneben gibt es Rechtsfragen. Abtreibung ist in diesem Sinn nicht eine „politische Frage“, sondern eine Rechtsfrage. Es geht dabei um das Recht Gottes.

Auch über das, was eine Ehe ist, haben nicht Politiker zu befinden, sondern das ist von dem Schöpfer festgelegt.

 Gemäß ihrem von Gott erhaltenen Auftrag steht es einer Obrigkeit grundsätzlich nicht zu, über Rechtsfragen beliebig zu entscheiden. Vielmehr gehört es zu ihrem Auftrag, das Recht Gottes und seine Ordnungen zu schützen. Und wenn Bürger die Gebote Gottes übertreten, haben die betreffenden staatlichen Organe dies zu sanktionieren. Dies entspricht dem, wozu sie eingesetzt sind, also dass sie die guten Werke belohnen und die bösen Werke bestrafen (Röm. 13,3.4).

Wenn eine Obrigkeit erklärt, man dürfe Mord im Mutterleib nicht mehr als das bezeichnen, was es ist, wenn das EU-Parlament, wie es kürzlich geschah (23./24. Juni 2021, „Matic-Bericht“), Abtreibung sogar zu einem „Menschenrecht“ erklärt, offenbart diese Entscheidung, dass diese Regierenden sich im Aufstand gegen den ihnen von Gott gegebenen Auftrag befinden. Solche Unrechts-Entscheidungen entstammen einem teuflisch-dämonischen Geist.

Darauf hoffe ich in einem folgenden Artikel näher einzugehen.


[1] https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/128476/Intensivmediziner-4-000-Intensivbetten-weniger-seit-Jahresbeginn [abgerufen: 4.1.2022].

[2] Siehe zu diesem Thema die Arbeiten von Eck, O., Urgemeinde und Imperium. Ein Beitrag zur Frage nach der Stellung des Urchristentums zum Staat. Beiträge zur Förderung christlicher Theologie. Band 42 und 43. Gütersloh [Bertelsmann] 1940, S. 74–104. Bahnsen, G., Theonomy in Christian Ethics. Phillipsburg [Presbyterian and Reformed Publishing] 1984, S. 317–472. Przywara, E., Schütz, P., Solz, T. zu, Warnach, V., Christ und Obrigkeit. Ein Dialog. Nürnberg [Glock und Lutz] 1962, S. 7–27. Siehe weitere Literatur bei Pohle, L., Die Christen und der Staat nach Römer 13: Eine typologische Untersuchung der neueren deutschsprachigen Schriftauslegung. Mainz [Grünewald] 1984, S. 51, Anm. 86. Vergleiche dazu auch die zahlreichen Quellenbelege aus der jüdischen, apokalyptischen und rabbinischen Literatur, die gesammelt wurden von Strack, H.L., Billerbeck, P., Die Briefe des Neuen Testaments und die Offenbarung Johannis, erläutert aus Talmud und Midrasch. (1926), 7. Auflage, München [Beck] 1979, S. 303ff.

[3] Bonhoeffer, D., Ethik. München [Kaiser] 1981, S. 361.

[4] Bonhoeffer, D., Ethik. a.a.O., S. 362.363.

[5] Bonhoeffer, D., Ethik. a.a.O., S. 363.

[6] Bonhoeffer, D., Ethik. a.a.O., S. 364.

[7] Bonhoeffer, D., Ethik. a.a.O., S. 364.

[8] Bonhoeffer, D., Ethik. a.a.O., S. 365.

[9] Bonhoeffer, D., Ethik. a.a.O.,

[10] Bonhoeffer, D., Ethik. a.a.O., S. 370.

[11] Bonhoeffer, D., Ethik. a.a.O., S. 368.

[12] Siehe Barclay, W., De regno et regali potestate, besonders III.9; IV,10; IV,22.

[13] Siehe zum Beispiel Sermons of Bishop Berkeley. Cambridge 1712, Works III, S. 101.

[14] Man denke zum Beispiel an Spener, Ph. Siehe dazu Kruse, M., Speners Kritik am landesherrlichen Kirchenregiment und ihre Vorgeschichte. Bielefeld [Lutherverlag] 1971. Generell predigte Spener natürlich Gehorsam gegenüber der Obrigkeit. Dieser sei die Schuldigkeit jedes Untertanen. Vergleiche dazu seine Kurtze Catechismus-Predigten. Berlin 1724, S. 593–604.

[15] Hier ist zum Beispiel zu denken an den theologisch gebildeten Kanzler Seckendorff, V.L. von, (1626–1692). Siehe seine Politische und Moralische Discurse. Leipzig 1695, S. 1–3.

[16] Vergleiche dazu auch Walch J.G., In Zeeden, E.W., Martin Luther und die deutsche Reformation im Urteil des deutschen Luthertums. Band 2, Dokumente, Freiburg [Herder] 1952.

[17] Wolff, Chr., Vernünftige Gedancken von dem gesellschaftlichen Leben der Menschen und insonderheit dem gemeinen Wesen zur Beförderung der Glückseeligkeit des menschlichen Geschlechts. 1721, § 433. Im Folgenden zitiert nach der Ausgabe von Frankfurt, Leipzig 1736.

[18] Wolff, Chr., a.a.O., § 439.

[19] Wolff, Chr., a.a.O., § 449.

[20] Wolff, Chr., a.a.O., § 366.

[21] Vergleiche dazu das, was der Apostel Paulus an den in Ephesus wirkenden Timotheus schreibt (1Tim. 2,1–7). Es ist deutlich, dass in einem Chaos wie es in Ephesus angezettelt worden war, es nicht mehr möglich war, das Evangelium zu verkündigen (Apg. 19,23–41).

[22] Kant, I., Zum ewigen Frieden 11,1. In Immanuel Kant, Werke in zehn Bänden. Weischedel, W. [Hrsg.], Band 9, Darmstadt [Wissenschaftliche Buchgesellschaft] 1970, S. 204. In der dort beigefügten Fußnote erwähnt Kant noch die Bedeutung der Religion und bekräftigt die Überzeugung von Rousseau, J.J., Der Gesellschaftsvertrag [Contract social] IV 6.

[23] Vergleiche dazu Fichte, J.G., Grundlage des Naturrechts. Hamburg 1967, S. 148–184.

[24] Siehe dazu Ritter J., Hegel und die Französische Revolution. Köln/Opladen [Westdeutscher Verlag] 1957. Der Artikel findet sich im Sammelband Ritter, J., Metaphysik und Politik. Studien zu Aristoteles und Hegel. Frankfurt [Suhrkamp] 1969, S. 183–255.

[25] Siehe dazu d’Hondt, J., Verborgene Quellen des Hegelschen Denkens. Berlin [Akademie-Verlag] 1972, passim.

[26] Siehe dazu Hegel, G.F.W., Grundlinien der Philosophie des Rechts 111,3 (§ 257ff). In Werke. Band 7 (Theorie-Werk-Ausgabe), Frankfurt/M. [Suhrkamp] 1970, 398ff: „Der Staat ist die Wirklichkeit der sittlichen Idee“ (§ 257, ebd. S. 398), nämlich „die Verwirklichung der Freiheit“ und insofern der „wirkliche Gott“ (§ 258 Anm., ebd. S. 403). Siehe ferner a.a.O., § 270 (a.a.O. 418).

[27] Rothe, R., Theologische Ethik. Wittenberg [Koelling] 1871 Band 2. (2. Auflage). Siehe zu seiner Auslegung von Römer 13, a.a.O., S. 363.

[28] Darauf macht meines Erachtens zu Recht aufmerksam Strathmann H., in Kittel, G., Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament. Band VI, Artikel: polis, S. 529.

[29] Siehe dazu Stahl, J., Philosophie des Rechts. Heidelberg [Verlag der akademischen Buchhandlung] 1856, 3. Auflage, S. 150–155.

[30] Sueton, Nero. 9–19, siehe besonders 15,1; 19,3. Stuttgart [Reclam] 1978.

[31] Zahn, Th., Kommentar zum Römerbrief. Leipzig [Deichert] 1910, 1925, S. 557.

[32] Vilmar, A.F.C., Collegium Biblicum Praktische Erklärung des Neuen Testamentes. Gütersloh [Bertelsmann] 1891, Band II [Müller, C., Hrsg.] S. 148.149.

[33] Der Papst (Pius IX) hatte wenige Jahre zuvor seine Unfehlbarkeit verkündigen lassen. Außerdem hatte er für sich eine universale Jurisdiktion im Blick auf die Gesamtkirche beansprucht, sodass es ihm jederzeit rechtlich zustand, sämtlichen römisch-katholisch geführten Institutionen in den jeweiligen Nationalstaaten seinen Willen aufzudrücken.

[34] Siehe dazu Harless, G.C.A., Staat und Kirche, oder Irrtum und Wahrheit in den Vorstellungen vom Christlichen Staat und von Freier Kirche. Leipzig [Duncker und Humblot] 1870, passim.

[35] So zum Beispiel Hoelemann, H.G., Letzte Bibelstudien. 1885, S. 249.250.

[36]Darauf weist bereits hin Deissmann, A., Licht vom Osten. Tübingen [Mohr, Siebeck)] 1909, S. 70.

[37] Siehe zum Beispiel den Kommentar zum Propheten Daniel von Geyser, P., In Gesammelte Schriften. Neukirchen [Neukirchener Verlag] 1914, S. 54.

[38] So zum Beispiel Pridham, A., Notes and Reflections on the Epistle to the Romans, London [John Farquhar Shaw] 1858, 2. erweiterte Auflage, S. 326ff.

[39] Frank, F.H.R, System der christlichen Sittlichkeit. Erlangen [Deichert] 1884, S. 452.

[40] Meyer, H.A., Kritisch-exegetisches Handbuch über den Brief des Paulus an die Römer. Göttingen [Ruprecht] 1872 [5. Auflage], S. 387.388.

[41] Käsemann, E., Römer 13,1-7 in unserer Generation. In Zeitschrift für Theologie und Kirche 56. Tübingen [Mohr-Siebeck] 1959., S. 316–376.

[42] Siehe dazu Lütgert, W., Der Römerbrief als historisches Problem. Gütersloh [Bertelsmann] 1913.

[43] Weinel, H., Die Stellung des Urchristentums zum Staat. Tübingen [Mohr, Siebeck] 1908, S. 15. Borg, B., A new Context for Romans XIII. In New Testament Studies 19 [1973] S. 205-218.

[44] So zum Beispiel Schnabel, E., Der Brief des Paulus an die Römer. Kapitel 6-16. [Historisch Theologische Auslegung]. Witten [Brockhaus]; Gießen, [Brunnen] 2016, S. 671.672. So auch bereits als Möglichkeit erwogen von: Wilckens, U., Der Brief an die Römer. (Römer 12-16) [Evangelisch-katholischer Kommentar zum Neuen Testament VI/3.] Einsiedeln, Köln [Benziger] Neukirchen [Neukirchener] 1982. S. 34.

[45] Siehe Hastings, J., Dictionary of the Bible. Edinburgh [T&T Clark]; New York [Charles Scribner’s Sons] 5 Bände, 1898–1904.

[46] Dazu wird auf den Ausspruch des Josephus verwiesen: „Nicht ohne Gott kommt jemandem die Herrschaft zu.“ In Der Jüdische Krieg [Bellum Judaicum] II 8,7, § 140.

[47] Nygren, A., Der Römerbrief. Göttingen [Vandenhoeck und Ruprecht] 1951, S. 303ff. Auf die Frage, wie ein Christ sein Leben im Verhältnis zur Obrigkeit und ihren Ordnungen gestalten soll, lautet Nygrens Antwort: „Allein der Christ kann der weltlichen Obrigkeit die gebührende Ehre und Einschätzung geben, weil er in ihr eine Dienerin Gottes erblickt, wenn auch mit einer begrenzten Aufgabe im Äon des Zorns. Deshalb fordert Paulus nicht nur äußere Beugung, sondern innere Untergebenheit. Sowohl äußerlich wie innerlich ist der Christ berufen, in diesem Äon als Kind des künftigen Äons zu leben und also jedem zu geben, was ihm zukommt.“ Nygren, A., Der Römerbrief. a.a.O., S. 306.

Siehe dazu auch: Thielicke, H., Theologische Ethik. Band 2,2, Tübingen [Mohr, Siebeck] 1958, S. 303.

[48] So Deissmann, A., Licht vom Osten. Tübingen [Mohr, Siebeck] 1909, S. 288.

[49] Siehe dazu: Barnikol, E., Römer 13. Der nichtpaulinische Ursprung der absoluten Obrigkeitsbejahung von Römer 13, 1-7. In Studien zum Neuen Testament und zur Patristik 77. Berlin [Akademie] 1961, S. 65-133. Siehe vor allem die Zusammenfassung S. 129ff.; Kallas, J., Romans XIII, 1-7: An Interpolation. In New Testament Studies 11. 1964-1965, S. 365-374. Vergleiche auch Schmithals, W., Der Römerbrief als historisches Problem. Gütersloh [Gütersloher Verlagshaus Mohn] 1975, S. 193.196.

[50] Siehe dazu: Barth, K., Der Christ in der Gesellschaft. (Tambacher Rede 1919). In https://jochenteuffel.com/2018/12/04/wir-leben-von-dem-was-jenseits-des-reichs-der-analogien-ist-zu-denen-auch-unser-bisschen-innseits-gehoert-karl-barths-tambacher-rede-der-christ-in-der-gesellschaft-vollstaendiger-text/. [abgerufen: 17.11.2021].

[51] Barth, K., Der Römerbrief, erste Auflage 1919 hier zitiert nach der 4. Auflage, München [Christian Kaiser] 1924], S. 462-472.

[52] Brunner, P., Politische Verantwortung und christliche Entscheidung. In Zwischen den Zeiten. 1932, S. 125-151, hier S. 147.

[53] Brunner, P., Politische Verantwortung und christliche Entscheidung. In Zwischen den Zeiten. 1932, S. 136.

[54] Brunner, P., Politische Verantwortung und christliche Entscheidung. In Zwischen den Zeiten. 1932, S. 138.

[55] Brunner, P., Politische Verantwortung und christliche Entscheidung. In Zwischen den Zeiten. 1932, S. 147.

[56] Brunner, E., Der Staat als Problem der Kirche. Bern [Gotthelf-Verlag] 1935, S. 5.

[57] So zum Beispiel Schlier, H., Die Beurteilung des Staates im Neuen Testament. In Zeit der Kirche 1-16; Brunner, P., Politische Verantwortung und christliche Entscheidung. In Zwischen den Zeiten. 1932, S. 125-151.

[58] Wegweisend war Diem, H., Luthers Lehre von den zwei Reichen (1938). Hier zitiert nach Sauter G., [Hrsg.] Zur Zwei Reiche Lehre Luthers. In Theologische Bücherei 49, München 1973.

[59] Siehe dazu: Althaus, P., Die Deutsche Stunde der Kirche. Göttingen 1933. Siehe ferner Althaus, P., Theologie der Ordnungen. Gütersloh [Bertelsmann] 1934; Althaus, P., Zum gegenwärtigen lutherischen Staatsverständnis. In Die Kirche und das Staatsproblem der Gegenwart. Herausgegeben von der Forschungsabteilung des Ökumenischen Rates für praktisches Christentum. 1934, S. 6–9.

[60] Althaus, P., Staatsgedanke und Reich Gottes Langensalza [Beyer] 1925, S. 39.

[61] Althaus, P., Zum gegenwärtigen lutherischen Staatsverständnis. In Die Kirche und das Staatsproblem der Gegenwart. Herausgegeben von der Forschungsabteilung des Ökumenischen Rates für praktisches Christentum. (Kirche und Welt, Band 3) 1934, S. 6.

[62] Althaus P., Obrigkeit und Führertum – Wandlungen des evangelischen Staatsethos. Gütersloh [Bertelsmann] 1936, S. 40.

[63] Althaus P., Obrigkeit und Führertum – Wandlungen des evangelischen Staatsethos. Gütersloh [Bertelsmann] 1936, S. 52.

[64] Dass in den dreißiger Jahren die Sehnsucht nach „Ordnungschaffen“ in der Luft lag, zeigt auch die Schrift von Gogarten, F., Politische Ethik. Jena [Diederichs] 1932, S. 109: Gott tut sein Schöpfungswerk durch die Ordnungen des Staates, der Obrigkeit.

[65] Althaus P., Obrigkeit und Führertum – Wandlungen des evangelischen Staatsethos. Gütersloh [Bertelsmann] 1936, S. 39.

[66] Siehe dazu Brunner, E., der es scharf ablehnte, dass die Schöpfung der theologische Ort des Staates sei. In Kirche und Staat (Kirche und Welt, Band 3), 1934, S. 12. Vergleiche dazu auch: Brunner, E., Der Staat als Problem der Kirche. Bern, Leipzig [Gotthelf Verlag] 1935, passim.

[67] So Kittel, G., Das Urteil des Neuen Testamentes über den Staat. In Zeitschrift für Systematische Theologie 14 (1937), 651-680. Siehe besonders S. 653.654. Diese Ausführungen Kittels stimmen nahtlos überein mit Kittel, G., Christus und Imperator, Stuttgart [Kohlhammer] 1939.

[68] Vergleiche ferner O. Eck, Urgemeinde und Imperium. In Beiträge zur Förderung Christlicher Theologie. Gütersloh [Bertelsmann] 1940.

[69] Die Barmer Erklärung. Der Text ist im Internet vielfach zugänglich.

[70] Siehe dazu: Barth, K., Rechtfertigung und Recht (1938); Christengemeinde und Bürgergemeinde (1946). Hier zitiert nach der Ausgabe: Zürich 1970. Vergleiche dazu Barths Darlegungen im Kontext von Römer 12–15. In Kirchliche Dogmatik III, 3, Zürich 1948, S., 802–812.

[71] Siehe dazu Frey, Chr., Die Theologie Karl Barths. Frankfurt am Main [Athenäum-Verlag] 2000, 7. Auflage, S.180.181.

[72] Bereits der in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts lebende Irenäus sah sich veranlasst, sich mit dieser „gnostischen“ Auffassung zu konfrontieren und sie abzulehnen. Irenäus, Gegen die Häresien [Adversus Haereses] V, 24,1.

[73] Siehe dazu: Dibelius, M., Die Geisterwelt im Glauben des Paulus. Göttingen 1909, S. 200. In einer im Jahr 1942 veröffentlichten Schrift distanzierte sich der Verfasser dann aber von dieser Deutung: Dibelius, M., Rom und die Christen im ersten Jahrhundert. In Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften Phil. hist. Kl. 2., Heidelberg 1942, S. 180ff. Jetzt zu finden in Dibelius, M., Botschaft und Geschichte. Tübingen 1956, S. 177–338. Zumindest ansatzweise wurde die Engel-Deutung vertreten von Schmidt, K.L., Zum theologischen Briefwechsel zwischen Karl Barth und Gerhard Kittel. In Theologische Blätter 13. Leipzig [Verlag der Hinrichschen Buchhandlung] 1934, S. 332. Ausführlich argumentieren dann für diese These Dehn, G., Engel und Obrigkeit. Ein Beitrag zum Verständnis von Römer 13,1-7. In Theologische Aufsätze. Wolf E., (Hrsg.) München [Kaiser] 1936, S. 90–109; Barth, K., Volkskirche, Freikirche, Bekenntniskirche. In Evangelische Theologie 3. Gütersloh [Gütersloher Verlagshaus] 1936, S. 411–422. Siehe zur Rezeption dieser Interpretation unter anderem Schmidt, K.L., Das Gegenüber von Staat und Kirche in der Gemeinde des Neuen Testaments. In Theologische Blätter 16. Leipzig [Verlag der Hinrichschen Buchhandlung] 1937, S. 1-16; Bieder, W., Ekklesia und Polis im Neuen Testament und in der Alten Kirche. Zürich [Zwingli Verlag] 1941, S. 28ff; Barth, K., Rechtfertigung und Recht. In Theologische Studien 1. 1938, 3. Auflage, Zollikon-Zürich [Evangelischer Verlag] 1948; Cullmann, O., Königsherrschaft Christi und Kirche im Neuen Testament. In Theologische Studien 10. Zollikon-Zürich [Evangelischer Verlag] 1941, 3. Auflage, Zollikon-Zürich, 1950, S. 46ff; 68ff; Barth, K., Kirchliche Dogmatik. II,2. Zollikon-Zürich [Evangelischer Verlag] 1942, 4. Auflage, Zollikon-Zürich 1959. Barth, K., Christengemeinde und Bürgergemeinde. In Theologische Studien 20. Zollikon-Zürich [Evangelischer Verlag] 1946; Schweitzer, W., Die Herrschaft Christi und der Staat im Neuen Testament. München [Kaiser] 1949; Cullmann, O., Der Staat im Neuen Testament. Tübingen [Mohr] 1955, 2. Auflage, Tübingen 1961.

[74] Dehn, G., Engel und Obrigkeit. München [Kaiser] 1936, S. 90.

[75] Dehn, G., Engel und Obrigkeit. a.a.O., S. 100.105.

[76] So Cullmann, O., Königsherrschaft Christi und Kirche im Neuen Testament. Zollikon-Zürich [Evangelischer Verlag] 1941. Cullmann, O., Christus und die Zeit. Die urchristliche Zeit- und Geschichtsauffassung. Zollikon-Zürich [Evangelischer Verlag] 1948, besonders Kapitel 4.

[77] Einer der ersten, der widersprach, war Brunner, E., Kirchenblatt für die reformierte Schweiz. Basel [Reinhardt] 1943, S. 2–5. Siehe dazu ferner Hauser, R., Autorität und Macht – Die staatliche Autorität in der neueren protestantischen Ethik und in der katholischen Gesellschaftslehre. Heidelberg [Lambert und Schneider] 1949, besonders S. 77–79. Bauer G. Antwort – Karl Barth zum 70. Geburtstag. Zürich-Zürich [Evangelischer Verlag AG] 1956, S. 114–125.

[78] Siehe dazu Künneth, W., Der große Abfall. Kiel [Friedrich Wittig Verlag] 1947, Künneth, W., Die Theonomie der Macht. In Zeitschrift für Systematische Theologie 21 Berlin [Töpelmann] 1950/52, S. 69ff, besonders S. 78. Siehe vor allem sein Hauptwerk Politik zwischen Dämon und Gott. Eine christliche Ethik des Politischen. Berlin [Lutherisches Verlagshaus] 1954.

[79] Künneth, W., Die Theonomie der Macht. In Zeitschrift für Systematische Theologie 21 Berlin [Töpelmann] 1950/52, S. 69ff, und S. 78.

[80] Künneth, W., Der große Abfall. Kiel [Friedrich Wittig Verlag] 1947, S. 189.

[81] Künneth, W., Die Theonomie der Macht. In Zeitschrift für Systematische Theologie 21 Berlin [Töpelmann] 1950/52., S. 39. Siehe ausführlich: Künneth, W., Politik zwischen Dämon und Gott. Eine christliche Ethik des Politischen. Berlin [Lutherisches Verlagshaus] 1954, S. 36.

[82] Künneth, W., Das Widerstandsrecht als theologisch-ethisches Problem. München [Claudius-Verlag] 1954.

[83] Künneth, W. Die öffentliche Verantwortung des Christen. Berlin [Lutherisches Verlagshaus] 1951.

[84] Künneth, W., Die Theonomie der Macht. In Zeitschrift für Systematische Theologie 21 Berlin [Töpelmann] 1950/52, S. 69ff, und S. 54.36.

[85] Elert, W., Das christliche Ethos. Grundlinien der lutherischen Ethik. Tübingen [Furche] 1949, S. 152.

[86] Elert, W., Das christliche Ethos. Grundlinien der lutherischen Ethik. Tübingen [Furche] 1949, S. 41.

[87] Siehe dazu: Künneth, W., Fundamente des Glaubens. Biblische Lehre im Horizont des Zeitgeistes. Wuppertal [Brockhaus] 1975, S. 175. Hier spricht er im Blick auf die ersten Kapitel der Heiligen Schrift von einer „prophetischen Bildrede“. Als „Chiffre“ bezeichnete Künneth die ersten Kapitel in einem persönlichen Gespräch, das ich in den siebziger Jahren mit ihm hatte.

[88] Darauf meinen zum Beispiel aufmerksam machen zu müssen: Trillhaas, W., Ethik. Berlin [Töpelmann] 1959, S. 37.38. Hillerdahl, G., Gehorsam gegen Gott und Menschen. Gütersloh, [Gütersloher Verlagshaus] 1955 [1963] S. 213; Soe, N. H., Christliche Ethik. München [Kaiser Verlag] 1965, S. 336f.

[89] Siehe ausführlich zu der Methode, wie Thielicke argumentiert, die beiden Bände: Thielicke, H. Theologische Ethik, Band 2,1, Tübingen [Mohr, Siebeck] 1955, sowie Band 2,2, Tübingen [Mohr, Siebeck] 1958, besonders S. 400–402.

[90] So zum Beispiel. Rendtorff, T., In Hertz A. u.a., Handbuch der christlichen Ethik. Freiburg 1978, Band I, S. 378–388 und Band II. S. 215–233; S. 323–338.

[91] So Arendt, H., Was heißt persönliche Verantwortung in einer Diktatur. München [Piper] 2018, 5. Auflage, passim. Siehe dazu auch die Beobachtungen in Arendt, H., Eichmann in Jerusalem, Ein Bericht von der Banalität des Bösen. München [Piper] 2011, 18. Auflage, passim. Dieses Buch löste in den sechziger Jahren intensive öffentliche Diskussionen aus.

[92] Siehe dazu ausführlich Thielicke, H. Theologische Ethik 2,1. Tübingen [Mohr, Siebeck] 1955, S. 56–201.

[93] Thielicke, H. Theologische Ethik (ThE) 2,1, Tübingen [Mohr, Siebeck] 1955, S. 64 (177).

[94] So zum Beispiel Trillhaas, W., In Zeitschrift für Evangelische Ethik IV. Gütersloh [Gütersloher Verlagshaus] 1960, S. 360.

[95] Trillhaas, W., In Zeitschrift für Evangelische Ethik IV. Gütersloh [Gütersloher Verlagshaus] 1960, S. 371.

[96] Siehe zu den Details Halbrock, Chr., Evangelische Pfarrer der Kirche Berlin-Brandenburg 1945–1961: Amtsautonomie im vormundschaftlichen Staat? Berlin [Lukas-Verlag] 2004. Zugleich: Berlin [Humboldt-Universität, Dissertation] 2003.

[97] Siehe dazu Greschat, M., Römer 13 und die DDR. Der Staat und das Verständnis von Obrigkeit. In Zeitschrift für Theologie und Kirche 105. Tübingen [Mohr Siebeck] 2008, S. 63–93. Dieser Arbeit verdanke ich für den vorliegenden Abschnitt viel.

[98] Hamel, J., Christ in der DDR. In Unterwegs 2. Berlin 1957.

[99] Ein Exemplar vom 4. Februar 1958 findet sich im Landeskirchlichen Archiv der Pommerschen Evangelischen Kirche 3/51. Ich greife für die Zitate auf die Arbeit von Greschat, M., a.a.O. zurück.

[100] Vergleiche dazu die Schrift von Dibelius, O., Grenzen des Staates. Berlin [Wichern Verlag] 1949.

[101] Zitiert nach M. Greschat, a.a.O., S. 105, Anmerkung 11.

[102] Tagebucheintrag zum 23.–25.7 1958 In Bundesarchiv Koblenz. N 1439). Zitiert nach Geschat, M., a.a.O., S. 15.

[103] Barth. K., An einen Pfarrer in der Deutschen Demokratischen Republik [1958]. In Barth, K, Offene Briefe 1945–1968. In Karl Barth, Gesamtausgabe. Abt. V 1984, S. 401–439 (Koch. D., [Hrsg.]).

[104] Vergleiche dazu Bonwetsch, B., Filtow., A., Chruschtschow und der Mauerbau. Die Gipfelkonferenz der Warschauer Pakt Staaten vom 3.–5. August 1961. In Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 48, 2000, S. 151-198. Wettig, G., Chruschtschows Berlin-Krise 1958 bis 1963. Drohpolitik und Mauerbau – 1958 bis 1963. München [Oldenbourg Verlag] 2006. Steininger, R., Der Mauerbau. In https://www.berliner-mauer-gedenkstaette.de/de/uploads/50jahrestag_tagung_dokumente/steininger-die-westmaechte-und-der-mauerbau.pdf [abgerufen: 26.11.2021].

[105] Die folgenden Zitate stammen aus Protokolle der Sitzungen vom 2.– 4. Januar 1959. In Landeskirchliches Archiv der Pommerschen Evangelischen Kirche 3/51. Siehe ferner: Archiv der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens 34,2. Zitiert nach M. Greschat, a.a.O., S. 105, Anmerkung 19.

[106] Zitiert nach Greschat M., a.a.O., S. 70.

[107] Siehe für die folgenden Zitate: 22. Sitzungsprotokoll und für die Vorlage J. Hamels: Landeskirchliches Archiv der Pommerschen Evangelischen Kirche 3/51.

[108] Zitiert nach Greschat, M., a.a.O., S. 71.

[109] Zitate aus dem Protokoll der Sitzung. In Landeskirchliches Archiv der Pommerschen Evangelischen Kirche 3/51.

[110] Zitiert nach Greschat, M., a.a.O., S. 72.

[111] Zitiert nach Greschat, M., a.a.O., S. 76.

[112] Siehe dazu Friebel, Th., Kirche und politische Verantwortung in der sowjetischen Zone und der DDR 1945–1969. Eine Untersuchung zum Öffentlichkeitsauftrag der evangelischen Kirchen in Deutschland. Gütersloh [Güterloher Verlagshaus] 1992, S. 261–265. Siehe zur Kritik an Friebels Sichtweise Pollack A., Kirche in der Organisationsgesellschaft. Zum Wandel der gesellschaftlichen Lage der evangelischen Kirchen und der politisch alternativen Gruppen in der DDR. Stuttgart [Kohlhammer] 1994, Anm. 142.

[113] Landeskirchliches Archiv der Pommerschen Evangelischen Kirche 3/51.

[114] Zitiert nach Greschat, M., a.a.O., S. 82, Siehe dort Anm. 43.

[115] Zitiert nach Greschat, M., a.a.O., S. 82, Siehe dort Anm. 44.

[116] Fischer, M., Obrigkeit. Gustav W. Heinemann zum 60. Geburtstag am 23. Juli 1959. Berlin [Vogt] 1959.

[117] Dibelius O., Obrigkeit? Eine Frage an den 60jährigen Bischof. Stuttgart, Berlin 1959. Siehe für die folgenden Zitate S. 8.9.16-20. Siehe zur Auseinandersetzung um die Obrigkeitsschrift die Biographie von R. Stüpperich, Otto Dibelius. Ein evangelischer Bischof im Umbruch der Zeiten. Göttingen [Vandenhoeck & Ruprecht] 1989, besonders die Seiten 539–567; Besier, G., Der SED-Staat und die Kirche. Der Weg in die Anpassung. München [C. Bertelsmann] 1993, S. 311-327. Berke, Th., Die Obrigkeitsschrift von Bischof Dibelius von ihrer Vorgeschichte her betrachtet. In Berke, Th., Krause, W., [Hrsg.], Verlorenes wiederfinden. Festschrift für E. Volk, Elversberg 1993 (2. Auflage), S. 83–131.

[118] Siehe dazu Fischer H., Gollwitzer H., [Hrsg.]; Dokumente zur Frage der Obrigkeit als Material zur Vorbereitung der Synoden 1960 (als Manuskript gedruckt) [1959].

[119] Zitiert nach Greschat, M., a.a.O., S. 87.

[120] 24. September 1959, Fischer H., Gollwitzer H., [Hrsg.]; Dokumente zur Frage der Obrigkeit als Material zur Vorbereitung der Synoden 1960 (als Manuskript gedruckt) [1959], S. 43.44.

[121] Dibelius, O., Obrigkeit? Eine Frage an den 60jährigen Landesbischof. Stuttgart, Berlin 1963. S. 114.

[122] Dibelius, O., Obrigkeit? a.a.O., S. 128.

[123] Dibelius, O., Obrigkeit? a.a.O., S. 120.

[124] Dibelius, O., Obrigkeit? a.a.O., 105.

[125] „Nur Gott kann das Blut abwaschen, das an Menschenhänden klebt. Und es ist die freudige Zuversicht der Christen, dass Gott in seiner Barmherzigkeit das auch tun wird, wenn nämlich das eigene Leben in freier Selbstverleugnung eingesetzt war, um anderen die Freiheit zu bringen, und wenn so der Glaube auch über die schwerste Schuld triumphiert“. Dibelius, O., Obrigkeit? a.a.O., S. 108.

[126] Käsemann, E., Römer 13,1–7 in unserer Generation. In Zeitschrift für Theologie und Kirche 56. Tübingen [Mohr-Siebeck] 1959., S. 316–376. Siehe auch Käsemann, E., An die Römer. Handbuch zum Neuen Testament. 4. Auflage, Tübingen 1980; Käsemann, E., Grundsätzliches zur Interpretation von Römer 13. In Käsemann, E., Exegetische Versuche und Besinnungen I. (1964), 3. Auflage, Göttingen 1968, S. 204–222.

[127] Vergleiche zum Beispiel Braaten, C.E., Theologie der Revolution. 1968, 215ff. Abgedruckt bei Jacobs, M., Die evangelische Staatslehre. Göttingen [Vandenhoeck & Ruprecht] 1971, S. 208.209.

[128] Siehe dazu den Titel des von Krüger, H. herausgegebenen Berichtbandes über die Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft in Genf 1966, Stuttgart-Berlin 1967: Appell an die Kirchen.

[129] Auf den Umstand, dass die Theologen der Dritten Welt die Denkmuster für ihre Befreiungstheologien aus den Gesellschaftsanalysen Westeuropas und Nordamerikas bezogen haben, macht Peter Beyerhaus aufmerksam. Zusammenfassend kommt er zu dem Ergebnis: „Wir haben nachgewiesen, dass die Vertreter von Theologien des Volkes bei allen regionalen Unterschieden überall die marxistische Sozialanalyse als ein legitimes, ja unerläßliches Instrument nicht nur der Gesellschaftsanalyse, sondern auch der Entwicklung einer christlichen Theologie erklärt haben.“ Beyerhaus, P., Theologie als Instrument der Befreiung. Gießen 1986, S. 45. Siehe auch den Abschnitt: Wie einheimisch und wie universal sind die Volkstheologien der Dritten Welt? a.a.O., S. 48–51.

[130] Innerhalb der EKD ist er als Text der Reihe IV für den 23. Sonntag nach Trinitatis vorgesehen, den es in den meisten Jahren nicht gibt.

[131] Vergleiche Hüneburg, M., Jedermann sei untertan… Römer 13,1–7. Zur Relevanz einer problematischen Paränese. In Bolin, N., Franz, M., [Hrsg.]. Im Klang der Wirklichkeit. Musik und Theologie. 2011, 240–260, S. 240. In Zeitschrift für Theologie und Kirche. Band 109. Tübingen [Mohr-Siebeck] 2012, S. 287–306.

[132] Siehe Jonas, H., Das Prinzip Verantwortung – Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Frankfurt [Suhrkamp] 1979, passim.

[133] Auch Formulierungen wie „Land des Nordens“ oder „äußerstes Ende der Erde“ beziehen sich an anderen Stellen der Heiligen Schrift auf die Völker Mesopotamiens, wie beispielsweise die Babylonier (Jer. 6,22ff).

[134] Siehe zum Beispiel 5.Mose 3,29. Dieses Wort erfüllte sich in der Richterzeit (Ri. 2,19.20). Auch Daniel 2,28 erfüllte sich ab der Herrschaft Nebukadnezars, Siehe ferner Jeremia 30,24; 48,47; 49,37.

[135] Der Begriff „Nichtregierungs-Organisation“ (NGO) ist irreführend, denn in Wahrheit handelt es sich um „nichtstaatliche Organisationen“. Unbesehen davon erhalten sie allerdings von westlichen Staaten enorme Geldbeträge. Für die Zusammenkunft in Peking überwies das deutsche Familienministerium aus der öffentlichen Hand sehr viel Geld an die deutschen Frauenlobbys. Damals wurde das Familienministerium von der 29-jährigen thüringischen CDU-Politikerin Claudia Nolte geführt, die wenige Monate zuvor Angela Merkel abgelöst hatte. Merkel hatte bereits zuvor verlauten lassen, dass sie Gender-Initiativen unterstütze. Siehe dazu Zastrow, V., Gender. Politische Geschlechtsumwandlung. Waltrop, Leipzig [Manuscriptum] 2006, S. 23.

[136] Zastrow, V., Gender. Politische Geschlechtsumwandlung. Waltrop, Leipzig [Manuscriptum] 2006, S. 25.

[137] Zastrow, V., Gender. Politische Geschlechtsumwandlung. Waltrop, Leipzig [Manuscriptum] 2006, S. 25–27.

[138] Als Beispiel kann hier die Behauptung des amerikanischem Politikwissenschaftlers Francis Fukuyama dienen, der das „Ende der Geschichte“ eingeläutet sah. Siehe Fukuyama, F., The end of History and the Last man. London [Free Press] 1989. Deutsch: Das Ende der Geschichte. Wo stehen wir? München [Kindler] 1992.

[139] Vor den totalitären Implikationen des Anspruchs der (Neo)liberalen „die wahren Interessen der Menschheit der Zukunft zu vertreten“, warnt nachdrücklich Harald Seubert. Er zeigt auf, dass die Gegner dieser Geisteshaltung „nicht nur zu Feinden dieses partikularen Staates, sondern der gesamten Menschheit gemacht werden: Wer davon ausgeht, legitimiert zu sein, seine Gegner zu absoluten Feinden und Unpersonen der Menschheit zu erklären, nimmt damit faktisch auch das Recht für sich in Anspruch, alle nur erdenklichen Mittel einzusetzen, sofern sie dem Ziel dienen, die zu Menschheitsfeinden Erklärten abzuwehren.“ Seubert, H., Jenseits von Sozialismus und Liberalismus. Gräfelfing [Resch-Verlag] 2011, S. 125.

[140] https://www.dw.com/de/wie-george-soros-zum-feindbild-wurde/a-53572731 [abgerufen: 10.12.2021].

[141] Die Reihenfolge von 1.Mose 10 und 1.Mose 11 ist nicht chronologisch: Zuerst wird uns die Aufteilung der Menschheit nach der Sintflut in Länder, Sprachen, Völkerschaften und Sippen mitgeteilt (1Mos. 10,5.20.31) und erst im Anschluss daran erfahren wir den historischen Grund für die Aufteilung (Sprachenverwirrung), die Empörung der Menschheit gegen Gott im Turmbau zu Babel (1Mos. 11,1–9).

[142] Karl Marx anerkannte diese Übereinstimmung mit dem Liberalismus ausdrücklich. Er sah, dass der Liberalismus eine durch und durch atheistisch-revolutionäre Ideologie ist. Daran knüpfte er an. Er korrigierte diese Weltsicht lediglich insofern, als er das barbarische Elend, das er im (Manchester-)Kapitalismus (Liberalismus) erblickte, dadurch meinte korrigieren zu können, dass er die Produktionsmittel kollektivieren wollte. Hier dachte der an Hegel geschulte Marx dialektisch prozesshaft: Nachdem die traditionellen menschlichen Gemeinschaftsbindungen [= These] durch den liberalen Kapitalismus zerstört worden sind [= Antithese], sodass der Mensch nun schlimmer entfremdet ist als es unter jedem absolutistischen Fürsten überhaupt nur möglich war, ist nunmehr die Voraussetzung geschaffen, dass das zerstörte Gesellschaftsgefüge des entfremdeten Menschen auf einer höheren, nämlich einer sozialistischen Ebene reorganisiert wird [= Synthese]. Für Marx besteht die Lösung der Menschheitsprobleme darin, sämtliche ökonomischen „Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen“ sei. Marx, K., Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. In Einleitung in Marx-Engels-Werke. [MEW], Band 1. [Ost-] Berlin [Dietz-Verlag] 1981, S. 385. Siehe insgesamt S. 378–391.

[143] So wörtlich in der Koalitionsvereinbarung (S. 114) der im Dezember 2021 an die Macht gekommenen „Ampel-Regierung“. Die Vereinbarung steht unter der Überschrift „Mehr Fortschritt wagen“. Ich zitiere im Folgenden nach: https://www.tagesspiegel.de/downloads/27829944/1/koalitionsvertrag-ampel-2021–2025.pdf.

[144] Die Abkürzung „LGBT“ steht für: „Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transpersonen“.

[145] A.a.O., S. 120.

[146] A.a.O., S. 144.

[147] A.a.O., S. 152.

[148] A.a.O., S. 147.

[149] A.a.O., S. 119.

[150] A.a.O., S. 98.

[151] A.a.O., S. 116.

[152] A.a.O., S. 116.

[153] Siehe dazu Foucault, M., Wahnsinn und Gesellschaft, Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft. Frankfurt [Fischer] 1973, 24. Auflage. Siehe auch, Foucault, M., Von der Subversion des Wissens. Frankfurt [Fischer] 2000, S. 136.137.

[154] Siehe dazu ausführlich Frank, M., Was ist Neostrukturalismus? Frankfurt [Suhrkamp] 1983, 22. Vorlesung.

[155] In einer geradezu beklemmenden Weise sah George Orwell diese Entwicklung, die er als „Doppeldenken“ (doublethink) bezeichnete, voraus. Er schrieb im Jahr 1950: „Die Betrachtungen, die zu einer skeptischen und auflehnenden Haltung führen könnten, werden im Voraus durch seine [des Menschen] schon früh erworbene innere Schulung abgetötet. Die erste und einfachste Stufe in der Schulung, die sogar kleinen Kindern beigebracht werden kann, heißt in der Neusprache Verbrechenstop. Verbrechenstop bedeutet die Fähigkeit, gleichsam instinktiv auf der Schwelle jedes gefährlichen Gedankens Halt zu machen. Es schließt die Gabe ein, ähnliche Umschreibungen nicht zu verstehen, außerstande zu sein, logische Irrtümer zu erkennen, die einfachsten Argumente mißzuverstehen, wenn sie engsozfeindlich sind, und von jedem Gedankengang gelangweilt oder abgestoßen zu werden, der in eine ketzerische Richtung führen könnte. Verbrechenstop bedeutet kurz gesagt schützende Dummheit. Aber Dummheit allein genügt nicht. Im Gegenteil verlangt Rechtgläubigkeit in vollem Sinne des Wortes eine ebenso vollständige Beherrschung der eigenen Gedankengänge, wie sie ein Schlangenmensch über seinen Körper besitzt“. Orwell, G. 1984, Zürich [Diana Verlag] 1973, 21. Auflage, S. 194. Dieser geistige Spuk bleibt solange intakt, wie es genügend Menschen gibt, die ihre eigene kognitive Dissonanz widerspruchslos auszuhalten bereit sind. Irgendwann aber bricht die Vernunft durch, wie es H.C. Andersons Märchen „Von des Kaisers neuen Kleidern“ sagt.

[156] Dies geht aus einem mir in Kopie vorliegenden Brief hervor, den die AstraZeneca GmbH am 5.5.2021 an Herrn Walter Ramm (Aktion Leben) auf seine entsprechende Anfrage geantwortet hat. Siehe zu dieser Thematik auch: https://www.die-tagespost.de/politik/die-impfstoffkandidaten-auf-dem-pruefstand-art-214113 [abgerufen: 05.03.2022].

[157] Siehe dazu https://www.berliner-zeitung.de/news/wissenschaftler-darum-ist-die-impfpflicht-verfassungswidrig-li.216116 [abgerufen: 11.03.2022].

[158] Die Umsetzung geschah in Deutschland, größtenteils von der Öffentlichkeit unbemerkt, im Jahr 2007 mit dem „Gesetz zu den Internationalen Gesundheitsvorschriften (G-IGV)“ vom 20.7.2007 und der „IGV- Durchführungsverordnung“ vom 21.3.2013. Der Bundesrat stimmte den Gesetzen zu. Sie traten beide gemeinsam am 29.3.2013 in Kraft. https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&start=//*%5b@attr_id=%27bgbl113s0566.pdf%27%5d#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl113s0566.pdf%27%5D__1646937821968 [abgerufen: 04.03.022].

[159] Ich verdanke diesen Hinweis dem Telegram-Kanal von Rechtsanwältin Dr. Brigitte Röhrig [abgerufen 2.03.2022].

[160]Siehe dazu https://www.youtube.com/watch?v=FsbK [abgerufen: 11.03.2022].

[161]https://2020news.de/wie-schlimm-ist-deine-charge/ [abgerufen 21.02.2022].

[162] https://reitschuster.de/post/kritischer-bkk-vorstand-entlassen/ [abgerufen: 21.02.2022].

[163] Immerhin berichtete der SWR bereits im November 2019 über die Forschung an Impfstoffen auf mrna-Basis bei der Firma Biontech, die im Fall von Pandemien sehr schnell hergestellt werden könnten. Siehe dazu https://www.ardmediathek.de/video/odysso-wissen-im-swr/neue-verfahren-fuer-impfstoffe/swr/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9hZXgvbzExNzAyNDA/ [abgerufen 05.03.2022].

[164] Siehe zu den jetzt bereits gespritzten in den Injektionen enthaltenen Nanopartikeln: https://youtu.be/Dpa6BRwfJso [abgerufen: 21.02.2022].

[165] https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/507640/Klaus-Schwab-Great-Reset-wird-zur-Verschmelzung-unserer-physischen-digitalen-und-biologischen-Identitaet-fuehren [abgerufen: 21.02.2022].

[166] Siehe https://www.fr.de/wissen/elon-musk-neuralink-chip-kopf-gehirn-brain-computer-interface-symbiose-mensch-forschende-bedenken-kritik-91261058.html [abgerufen: 21.02.2022].

https://www.rat-fte.at/files/rat-fte-pdf/publikationen/2019/190821_Broschuere_Digitaler%20Wandel%20und%20Ethik.pdf [abgerufen: 21.02.2022].

https://www.hwzdigital.ch/transhumanismus-der-traum-vom-ewigen-leben/#:~:text=Ein%20bekannter%20Transhumanist%20der%20Neuzeit,Galaxie%20hinaus%20verbreiten%20zu%20k%C3%B6nnen. [abgerufen: 21.02.2022]. Kritisch dazu https://norberthaering.de/macht-kontrolle/schoepe-transhumanismus/ [abgerufen: 21.02.2022].

[167] Grundgesetz, Artikel 56. Rechtlich geht aus den Paragraphen des Grundgesetzes die Begrenzung der weltlichen Gewalt gegenüber dem Bürger hervor. Gegebenenfalls ist sogar Widerstand zulässig (GG, Artikel 20,4).