Grußwort des Schriftleiters

Grußwort des Schriftleiters

Bei dem Herrn habe ich Zuflucht gefunden! Wie sagt ihr denn zu meiner Seele: Flieh wie ein Vogel auf eure Berge?

Psalm 11,1

Mit diesem Wort aus den Psalmen Davids grüße ich Sie zu dieser Doppelausgabe der Bekennenden Kirche. Nach einer längeren Unterbrechung melden wir uns zurück. In den vergangenen Monaten erreichten uns immer wieder Telefonanrufe: Wir haben lange nichts von euch gehört. Gibt es euch noch? Habt ihr eure Arbeit eingestellt? Seid ihr untergetaucht?

Die Kurzantworten auf diese Fragen lauten: Ja, uns gibt es noch. Nein, wir haben unsere Arbeit nicht eingestellt. Eigentlich ist das Gegenteil der Fall.

In den vergangenen Monaten habe ich im Rahmen der begonnenen Artikelserie „Christsein im Ausnahmezustand“ über Römer 13 gearbeitet. Das hat so viel Zeit in Anspruch genommen, dass sich dadurch die Veröffentlichung der Bekennenden Kirche stark verzögert hat, zumal bei mir immer wieder andere Aufgaben und Verpflichtungen dazwischenkamen. Ich bitte Sie wegen dieser Verzögerung um Nachsicht.

Dafür aber bekommen Sie nun eine Doppelausgabe. Der Artikel ist lang, und es erschien uns nicht sinnvoll, ihn aufzuteilen. Gleichzeitig haben wir die Absicht, Ihnen bereits in den nächsten Wochen eine weitere Ausgabe der Bekennenden Kirche zukommen zu lassen. Diese soll dann wieder aus kürzeren Artikeln bestehen, sodass sie dem Umfang entspricht, den Sie von unserer Zeitschrift gewohnt sind.

Der oben zitierte Vers aus Psalm 11 kam mir mehrfach in den Sinn, als mich Ihre Telefonanrufe oder E-Mails mit Fragen erreichten, wie: Seid ihr abgetaucht? Habt ihr aufgegeben? Natürlich schwebt dies als Versuchung immer über uns Christen, wenn wir das Evangelium verkünden. Aber wie gesagt, das war nicht der Grund, dass Sie so lange nichts von uns gehört haben.

Abzutauchen und von der Bildfläche zu verschwinden war auch für David eine Versuchung. In solch einer Situation  verfasste er Psalm 11. Und seine Antwort auf diese Anfechtung finden wir gleich im ersten Vers des Psalms: Bei dem Herrn habe ich Zuflucht gefunden.

Wenn jemand Zuflucht sucht, dann zeichnet er sich nicht durch Selbstüberschätzung aus. Wer Zuflucht nimmt, hat nicht die Absicht, Eindruck zu schinden oder vor anderen zu glänzen. Er ist eher zu vergleichen mit einem kleinen Vögelchen, das sich angesichts der drohenden Gefahr schnell unter die Flügel seiner Mutter verkriecht. Genauso macht es David: Er birgt sich bei Gott.

Hätte angesichts der bedrohlichen Situation die Wahl auch anders ausfallen können? Ja, natürlich. Anstatt bei Gott dem Herrn seine Zuflucht zu suchen, hätte David auch einfach davonlaufen können, zum Beispiel in die Berge Judäas. Ein solcher Fluchtweg wird dem Dichter sogar angeraten: Fliehe wie ein Vogel in eure Berge! (Ps. 11,1b). Dieser Rat ist gewissermaßen die Gestalt der Versuchung, mit der David konfrontiert war. Er musste diese Anfechtung überwinden, um danach zu dem Bekenntnis zu kommen: Bei dem Herrn habe ich Zuflucht genommen. Mit anderen Worten: Ich tauche nicht ab. Ich bleibe auf meinem Posten. Aber ich suche im Glauben Gott den Herrn.

In den folgenden Versen lesen wir zwei Argumente, warum es für David sinnvoll sei, zu fliehen und abzutauchen. Die erste Begründung steht in Vers 2: Denn siehe, die Gesetzlosen spannen den Bogen, sie haben ihren Pfeil auf der Sehne gerichtet, um im Finstern zu schießen auf die von Herzen Aufrichtigen.

Ich bin mir nicht sicher, ob David hier an buchstäbliche Pfeile dachte. Möglicherweise will er dieses Wort in einem übertragenen Sinn verstanden wissen, etwa so wie er den Begriff Pfeile in Psalm 64,4 verwendet. Dort schildert er Übeltäter, die ihre Zunge geschärft haben gleich einem Schwert, die ihre giftigen Worte wie einen Pfeil angelegt haben. Dann würde es in Psalm 11,2 darum gehen, dass David von Leuten umgeben ist, die ihn mit heimtückischen Verleumdungen zu Fall zu bringen suchen und ihn mundtot machen wollen.

Wenn für die Empfehlung, die Flucht zu ergreifen, das Argument, dass Verunglimpfungen und Beleidigungen auf ihn gefeuert werden, noch nicht ausreichen sollte, haben die Ratgeber Davids ein zweites Argument auf Lager: Die Grundfesten werden eingerissen (Ps. 11,3).

Das Wort Gottes setzt voraus, dass Recht und Gerechtigkeit das Fundament eines Gemeinwesens sind: Wenn die Richter nicht mehr Recht sprechen, dann wanken die Grundfesten (Ps. 82,3–5). Es gibt bei den Menschen auch so etwas wie eine Ur-Anerkennung Gottes und seines Rechts. Dies deutet zum Beispiel Paulus in Römer 1,29–32 an. Hier schreibt der Apostel, dass die Menschen das Gerichtsurteil Gottes über sich kennen, also dass Sünden, wie homosexuelle Handlungen des Todes schuldig machen.

Was aber ist, wenn anstelle einer Anerkennung des Rechts sich unter den Menschen ein Anti-Geist breitmacht? Wie soll sich ein Gläubiger verhalten, wenn die Rechtsfundamente in seiner Umgebung zerbersten? Was soll er machen, wenn die traditionellen Pfeiler eines Gemeinwesens wie Sitte oder Anstand ohne Skrupel niedergerissen werden, sodass die Gesetzlosigkeit ungehindert um sich frisst und das Zusammenleben zerrüttet und die Gerechtigkeit auf den Kopf gestellt wird (Ps. 11,3b)? Hat er dann überhaupt noch eine andere Wahl, als dass er resigniert und entweder die Haustür hinter sich zuschlägt oder sich sonst irgendwohin verkriecht?

Sind das nicht zwei starke Argumente dafür, dass sich in einer aufrührerischen Zeit ein Gerechter fortschleichen sollte?

Die an David herangetragenen Begründungen für die Empfehlung zu fliehen, setzen mit dem Wort ein: Siehe! (Ps. 11,2): Siehe, die Gesetzlosen spannen den Bogen und haben ihren Pfeil auf den Bogen gelegt! Der Rat zu fliehen, den man David zuraunt, ist also nicht in irgendeiner geheimen Verschwörung begründet. Vielmehr ist die Situation offensichtlich: Niemand kann übersehen, was im Gemeinwesen los ist! Die Pfeile sind angelegt; der Bogen ist gespannt; die Grundfesten des Gemeinwesens wanken (vermutlich unter König Saul, der nach seinem Ungehorsam immer stärker unter die Gewalt von Dämonen geriet, 1Sam. 15,23; 16,14; 28,7–25).

David, schau dich doch um! Sieh! Und dann zieh daraus die einzig folgerichtige Konsequenz! Tauch ab! Flieh, du verteidigungsloses Vögelchen in die Berge.

Im Folgenden erfahren wir den Grund, warum David diesem gutgemeinten Rat trotzdem nicht folgt, also warum er nicht flieht: Der Herr ist in seinem heiligen Tempel. Der Thron des Herrn ist im Himmel. Seine Augen schauen, seine Blicke prüfen die Menschenkinder (Ps. 11,4).

David reagiert also auf den Ratschlag abzutauchen folgendermaßen: Es mag ja zutreffen, dass man hinter meinem Rücken mich überall verleumdet, und wenn man mit mir spricht, mich nur mit List und Lügen beschallt, und es mag auch richtig sein, dass die Fundamente unseres Zusammenlebens zerbröseln und zerkrachen. Aber es wäre ein Irrtum daraus die Folgerung zu ziehen, dass die Gottlosen die Oberhand behalten werden.

David ändert seine Blickrichtung. Er richtet seinen Blick weg von dem Wüten der Gesetzlosen hier auf der Erde, weg von dem, was diese Leute Tag für Tag anrichten. Stattdessen erhebt er seine Augen und schaut zu Gott empor. Dort im Himmel sitzt auf einem hohen Thron der allmächtige Gott, der gerechte Richter, und dieser Gott flieht nicht. Gottes Thron steht fest. Nichts geschieht im Himmel und auf Erden, ohne dass der Allmächtige es angeordnet hat.

Von dort schaut Gott hinab auf die Erde. Sein Blick ist prüfend (Ps. 11,5a). Gott lässt sich durch keinerlei Verdrehungen der Wahrheit blenden oder in die Irre führen. Gott weiß zu unterscheiden zwischen dem Gerechten und dem Gottlosen, dem Gewalttätigen, der die Gerechten in Bedrängnis zu bringen versucht

David weiß: Die Gottlosen und diejenigen, die Frevel lieben, hasst Gott (Ps. 11,5b). Gott hasst sie gründlich, und er wird sie richten, so ähnlich wie er einst Sodom und Gomorra gerichtet hat: Er [Gott] wird auf sie Blitze regnen lassen, Feuer, Schwefel und Glutwind (Ps. 11,6).

David hält im Glauben fest: Der allmächtige Gott bleibt angesichts dessen, was hier auf Erden abgeht, nicht gleichgültig. Er wird trennen zwischen den Gesetzlosen und den Aufrichtigen. Letztere werden Gottes Angesicht schauen dürfen. Denn der gerechte Gott liebt das Tun der Gerechtigkeit (Ps. 11,7).

Wenn David in Psalm 11,1 bekennt, dass er seine Zuflucht bei dem Herrn sucht, dann deswegen, weil er weiß: Es ist Gott, der auf dem Thron sitzt, und dieser Gott liebt gerechtes Tun. Darum: Fliehen in die Berge? Abtauchen? Wie könnt ihr so etwas zu meiner Seele sagen?

Soweit ich sehe, wird in Psalm 11 nirgendwo erwähnt, was das für Leute waren, die David den Rat zum Abtauchen gaben. Waren es hinterlistige Feinde? Waren es wohlmeinende Freunde? Oder waren es Stimmen, die Davids Ohr gar nicht von außen erreichten, sondern die aus seinem Inneren aufbrachen, vielleicht Gefühle der Panik, die ihn nachts in Angst und Schrecken versetzten? Vielleicht hörte er in sich auch die Schlauheit eines ja nun keineswegs zu verachtenden Selbsterhaltungstriebs.

Wer gab ihm den Rat: Fliehe in die Berge!? Vermutlich waren es Menschen, die sich ihm näherten, weil sie für ihn das Beste wollten. Dabei war das Gefährliche, dass das, was sie ihm empfahlen, einen unüberhörbaren Widerhall in seiner Seele fand.

Hinzu kam, dass der Rat, die Flucht zu ergreifen, nicht immer falsch ist. Bekanntlich hat David selbst mehrfach die Flucht ergriffen, vor Saul und später vor seinem eigenen Sohn Absalom. Er bekennt einmal: Wie ein Rebhuhn sei er gejagt worden (1.Sam. 26,20). In der Ölbergrede fordert Jesus Christus einmal ausdrücklich zum Fliehen auf: Wenn ihr nun den Gräuel der Verwüstung, von dem durch den Propheten Daniel gesprochen ist, an heiliger Stätte seht – wer es liest, der achte darauf – dann fliehe auf die Berge, wer in Judäa ist (Mt. 24,15.16). Oder denken wir an die Aufforderung, die wir im letzten Buch der Heiligen Schrift lesen: Geht hinaus aus der Stadt [Babylon], mein Volk, damit ihr nicht ihrer Sünden teilhaftig werdet und damit ihr nicht von ihren Plagen empfangt (Offb. 18,4). Weggehen, fliehen ist also keineswegs immer falsch. Warum wird in diesem Psalm dieser Rat so strikt zurückgewiesen?

Ich vermute, es geht hier um eine Situation, die wohl am ehesten mit derjenigen vergleichbar ist, die uns im Buch Esra geschildert wird: Eines Tages tauchten bei der Schar, die aus der Babylonischen Gefangenschaft nach Jerusalem zurückgekehrt war, Feinde des Volkes Gottes auf. Mit List unterbreiteten sie den Vorschlag, Freundschaft mit den Heimkehrern zu schließen. Sie erklärten sich sogar bereit, ihnen beim Bau des Tempels behilflich zu sein (Esr. 4,1–5).

Nachdem das Volk Gottes die Verlogenheit dieses Angebots durchschaut hatte, demaskierten sich diese „Freunde“. Sie begaben sich nämlich daraufhin zur persischen Obrigkeit und brachten verleumderische Anklagen gegen die Rückkehrer vor. Die Verleumder hatten mit ihren Anklagen sogar Erfolg. Die Arbeit am Tempel wurde eingestellt (Esr. 4,6–24). Ähnliches geschah beim Bau der Stadtmauer Jerusalems (Neh. 4,1–23).

Es ging nach der Rückkehr aus Babylon also immer wieder um die Versuchung, sich mit falschen Freunden einzulassen oder den weltlichen Gewalten angesichts ihrer scheinbaren Übermacht nachzugeben.

Wie ist das heute? Ist nicht auch heute ein Wegducken oder Fliehen sehr plausibel? Denn schließlich  treten auch heute viele mit groß Macht und viel List gegen uns auf. Außerdem gebe es nur wenige Menschen, die überhaupt noch nach Gott fragen! Die Gebote Gottes würden heutzutage sowieso nur bespuckt, bespottet oder sonst wie lächerlich gemacht von denen, die die Grundfesten des Rechts ins Wanken bringen. Was tut dann der Gerechte? Soll er resignieren? Abtauchen? Was passiert in unserer Seele, wenn diese Empfehlung mit dem Argument untermauert wird: „Wir leben in der Endzeit. Da kann man sowieso nichts mehr ändern!“?

Nun ja, Endzeit ist bekanntlich nach der Heiligen Schrift seit 2000 Jahren (Apg. 2,17; Hebr. 1,2). David jedenfalls spricht im Glauben anders. Er bezeugt: Nein, wenn ich von Stimmen umgarnt werde und ich sie außerdem in meiner eigenen Seele vernehme, wie: Fliehe wie ein Vogel in die Berge, dann will ich mich nicht darauf einlassen. Ich werde keineswegs die Situation, in der ich mich befinde, schönreden. Ich werde nichts an der Lage beschwichtigen. Aber ich schaue weg vom Irdischen hin auf Gott, der im Himmel auf seinem Thron sitzt. Und deswegen bekenne ich im Glauben: Ich bleibe auf meinem Posten, denn ich weiß, dass Gott der Stärkere ist. Und wir Christen des Neuen Bundes dürfen heute wissen, dass der Krieg bereits entschieden ist, und zwar am Kreuz von Golgatha. Das heißt für mich konkret: Ich nehme meine Zuflucht bei dem Herrn (Ps. 11,1).

Allgemeines zur Bekennenden Kirche

Wie wir Ihnen schon mitgeteilt hatten, sind wir dabei, unsere Adressendatei für die Versendung der Bekennenden Kirche durchzuforsten. Wir bitten deswegen diejenigen, die uns bis jetzt noch keine Rückmeldung gegeben haben, uns mitzuteilen, ob sie die Bekennende Kirche weiterhin erhalten möchten.

Senden Sie uns bitte die eingelegte Karte zurück, oder lassen sie uns per E-Mail eine entsprechende Nachricht zukommen (vrp-bekennende-kirche@web.de). Haben Sie vielen Dank für Ihre Mühe!

Wer bereits im vergangenen Jahr auf unsere Anfrage reagiert hat, braucht sich nicht erneut zu melden. Diese Leser sind bereits in der Geschäftsstelle registriert. Aber wer sich gar nicht bei uns meldet, wird in Zukunft auf die Bekennende Kirche verzichten müssen.

Einige Mitarbeiter sind dabei, den „Reformatio“-Podcast zu erstellen. Sie können ihn schon jetzt auf den gängigen Podcast-Plattformen abonnieren – am bequemsten über ihr Smartphone. In diesem Podcast können Sie demnächst die Artikel der Bekennenden Kirche und auch viele weitere Inhalte anhören.

In der Hoffnung, dass Ihnen diese Doppelnummer Orientierung gibt, grüße ich Sie herzlich im Namen aller Mitarbeiter.

Jürgen-Burkhard Klautke