Anmerkungen zu 1Thessalonicher 5,11-15
Gebote und Ermahnungen für das Zusammenleben in der Gemeinde sind in der Bibel oft an einem Schlüsselwort zu erkennen: einander (griechisch: allälous).
Die Zusammenfassung und die Basis für alle 57 „Einander-Gebote“ gibt Jesus selbst seinen Jüngern eindrücklich mit auf den Weg in Johannes 13,34: „Liebt einander, wie ich euch geliebt habe!„
Dieses Einander greift auch der Apostel Paulus in seinen Briefen immer wieder auf und macht deutlich, was es konkret bedeutet, so auch im ersten Brief an die Thessalonicher. Die Gemeinde in Thessaloniki war eine sehr junge und eifrige Gemeinde. Obwohl der Apostel sie frühzeitig verlassen musste, weil ihm selbst nachgestellt wurde, blieb sie standhaft im Glauben. Paulus lobt die Thessalonicher dafür. Bei ihnen lief es gut (vergleiche 1Thess. 1,2 – 2,20). Neben einigen kleineren Problemen, die in dem Brief zur Sprache kommen, fordert er die Gemeinde vor allem dazu auf, nicht stehen zu bleiben. Wie jede Gemeinde, so stand auch diese Gemeinde in der Gefahr, sich mit dem Erreichten zufrieden zu geben. Doch wenn die Bibel von unserem Glaubensleben oder auch von unserem Gemeindeleben spricht, geht es stets um Wachstum. Niemals dürfen ein Christ oder auch eine Gemeinde stehen bleiben, sondern sie sind aufgerufen zu wachsen. Wir sollen Christus immer ähnlicher werden. Und darum sind in diesem Brief an vielen Stellen Lob und Ermahnung eng miteinander verbunden. Zum Beispiel: „Weiter nun, liebe Brüder, bitten und ermahnen wir euch in dem Herrn Jesus, dass ihr in dem noch zunehmt, was ihr von uns empfangen habt, nämlich wie ihr wandelt und Gott gefallen sollt.“ (1Thess. 4,1; vergleiche 4,9.10).
Christen werden sich nie zurücklehnen in der Haltung, sie hätten genug Fortschritte gemacht. Wir brauchen nicht zu verzweifeln und auch nicht in ein falsches Verdienstdenken zu geraten. Aber wir sollen uns auch nicht zufrieden geben und uns auf einem status quo ausruhen. Das gilt umso mehr, wenn es in der Gemeinde Nöte, Fragen, Zweifel und Ängste gibt. Im Gegenteil! Christen werden einander erbauen.
Die Thessalonicher bewegte vor allem eine Frage: Wie ist das mit der Wiederkunft des Herrn? In diesem Artikel soll nicht auf diese Frage eingegangen werden, wohl aber auf die Schlussfolgerung, die Paulus zieht: Wenn Christus wiederkommt und wenn wir durch ihn vor dem Zorn Gottes gerettet werden und Erlösung empfangen haben, dann hat das Konsequenzen für unser Leben: „Darum ermahnt einander, und erbaut einer den andern, wie ihr auch tut!“ (1Thess. 5,11). Mit anderen Worten: Wir sind dazu aufgerufen, die uns verbleibende Zeit zu nutzen, um uns gegenseitig zu unterstützen und zu fördern.
Seelsorge ist eine Aufgabe der ganzen Gemeinde
Der Apostel Paulus spricht hier die ganze Gemeinde an: Alle sollen einander ermahnen und erbauen. Frage: Warum ist das so etwas Besonderes? Antwort: Weil man in der Gemeinde häufig in die Versuchung gerät, das Ermahnen und Erbauen nur ganz bestimmten Gemeindegliedern zu überlassen, zum Beispiel nur den Ältesten. Oder anders herum: Einige Gemeindeglieder, meistens die Ältesten, beanspruchen dieses Gebiet allein für sich.
Vielleicht wird noch deutlicher, worum es hier geht, wenn wir statt „ermahnen“ oder „erbauen“ den Begriff „Seelsorge üben“ verwenden. „Ermahnen“ und „erbauen“ sind zentrale biblische Begriffe, die zur Seelsorge gehören. Im Unterschied zu diesen Begriffen findet sich das Wort „Seelsorge“ so nirgends in der Bibel. Stattdessen wird das, was wir heute als Seelsorge bezeichnen, mit Begriffen wie „ermahnen“, „trösten“, „ermuntern“ usw. beschrieben. Diese Wörter stehen wiederum sehr häufig im Zusammenhang mit dem erwähnten „einander„.
Das heißt: Seelsorge ist kein Spezialgebiet für Älteste! Seelsorge geht uns alle an! Wir alle sollen einander, wo es nötig ist, ermahnen und – was immer erforderlich ist – erbauen. Wir alle sind von Gott zu diesem gegenseitigen Dienst berufen.
Damit das ganz praktisch wird, erwähnt Paulus an dieser Stelle noch einmal die Gemeindevorsteher und deren Aufgaben. Er erklärt, wie das rechte Verhältnis zu ihnen sein soll.
Die Aufgabe der Ältesten und die rechte Haltung ihnen gegenüber
Älteste sind kein Beiwerk für Gemeinden, sie sind nicht einfach nur Motivierer, Trainer. oder Gottesdienstgestalter. Sie arbeiten nicht nur „für“ die Gemeinde, sondern auch „an“ der Gemeinde (5,12b)! Ihre Aufgabe im Besonderen ist es, die Gemeinde durch die Predigt aufzuerbauen und zu ermahnen: „Wir bitten euch aber, ihr Brüder, dass ihr diejenigen anerkennt, die an euch arbeiten und euch im Herrn vorstehen und euch zurechtweisen.“ Diese Aussage über die Ältesten ist darum wichtig, sowohl für Älteste als auch für Gemeindeglieder. Älteste müssen sich der besonderen Verantwortung bewusst sein, für die und an der Gemeinde zu arbeiten. Wörtlich steht hier sogar, dass sie sich für die Gemeinde „abmühen„. Ihr Dienst beinhaltet nicht nur, die Gemeinde am Leben und den kirchlichen Alltag einigermaßen am Laufen zu halten, sondern sie sollen die Gemeinde auferbauen. Sie sollen sie voranbringen. Sie werden genau dafür ihre ganze Kraft einsetzen. Gemeindeglieder werden diesen Dienst „anerkennen“ (5,12a). Das heißt nicht, dass sie die Ältesten „machen lassen“, sondern dass sie ihren Dienst – dankbar – annehmen! Älteste tun ihre Arbeit nicht, um sich selbst zu profilieren, um Macht zu erlangen (jedenfalls sollten sie dies nicht tun!), sondern der Apostel Paulus sagt: Sie stehen der Gemeinde „im Herrn“ vor. Mit anderen Worten: Sie dienen der Gemeinde, so dass der Herr Jesus profiliert, verherrlicht und groß gemacht wird.
Von daher geht der Apostel Paulus noch einen Schritt weiter: Älteste sollen nicht nur anerkannt werden, sondern sie sollen geliebt werden: „… habt sie umso lieber um ihres Werkes willen.“ (5,13a). Konkret heißt das, dass wir die Ältesten in ihren Diensten unterstützen; dass wir treu zu ihnen stehen; dass wir sie zu ihrem Dienst ermutigen und für sie beten. Gelegentlich heißt das allerdings auch, dass man den Mut aufbringt und ihnen Vorschläge für ihre Arbeit macht und, notfalls, mit ihnen über ihre Fehler oder Fehlentwicklungen spricht.
Aber Gemeindeglieder sollen keinen Groll, keinen Ärger gegen die Ältesten aufkommen lassen. Auch die Ältesten sollen keinen Groll gegen verschiedene Gemeindeglieder im Herzen hegen (weil sie vielleicht kritisiert wurden), sondern sie sind aufgerufen, einander zu unterstützen und zu lieben. Darum beendet der Apostel diesen Einschub zu den Ältesten mit dem Gebot: „Haltet Frieden untereinander!“
Wir halten fest: Älteste haben spezielle Aufgaben und Verantwortung, und zwar im Lehren und im Leiten. Daneben ist natürlich auch die Seelsorge (ermahnen, trösten, ermuntern…) eine vorrangige Aufgabe der Ältesten. Aber es ist eben nicht eine ausschließliche Aufgabe der Ältesten. Weil es Aufgabe aller Gemeindeglieder ist, spricht Paulus jetzt erneut alle Gemeindeglieder konkret zu diesem Thema an.
Der gegenseitige Dienst der Gemeindeglieder
Das Wort „Gemeindeglied“ macht eigentlich schon deutlich, worum es geht. Wir sind keine Gemeindekonsumenten, sondern Glieder an einem Leib. Jedes Glied hat eine Aufgabe, die für den ganzen Leib wichtig ist. Darum ist es gleichzeitig von den anderen Gliedern des Leibes abhängig (vergleiche 1Kor. 12,12ff.).
Wir alle sind Gemeindeglieder und nicht „Gemeindegebraucher“. Darum sollen wir alle einander dienen. Der inspirierte Apostel erwähnt hier mehrere Dinge: „Wir ermahnen euch aber, liebe Brüder: Weist die Unordentlichen zurecht, tröstet die Kleinmütigen, tragt die Schwachen, seid geduldig gegen jedermann. Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergelte, sondern jagt allezeit dem Guten nach untereinander und gegen jedermann.“ (1Thess. 5,14-15)
„Weist die Unordentlichen zurecht“
Wer ist hier gemeint? „Unordentlich“ ist eigentlich ein militärischer Begriff: Ein Soldat, der nicht im Schritt marschiert, weil er herumlungert, ist unordentlich. Der konkrete Grund dieser Erwähnung war wohl, dass einige Gemeindeglieder nicht angemessen für ihren eigenen Lebensunterhalt arbeiteten, sondern die Gastfreundlichkeit ihrer Mitchristen ausnutzten und ihnen auf der Tasche lagen. Das war nicht nur für die Gastgeber, sondern vor allem für die Gemeinde nach außen hin schädlich. Außenstehende konnten zu der Einschätzung kommen, dass die christliche Gemeinde Faulheit und Ausschweifung unterstützt.
Jeder von uns hat die Aufgabe, einen Mitchristen, der ein ungeordnetes Leben führt, besonders, wenn sein Glaubensleben in Unordnung gerät, zu ermahnen und auf den rechten Weg zu weisen.