Vater im himmel, ich danke dir, dass ich dein Kind sein darf

Vater im himmel, ich danke dir, dass ich dein Kind sein darf

So legt nun ab alle Bosheit und allen Betrug und Heuchelei und Neid und alle üble Nachrede. Und seid begierig nach der vernünftigen Mich wie die neugeborenen Kindlein, damit ihr durch sie zunehmt zu eurem Heil, da ihr ja geschmeckt habt, daß der Herr freundlich ist.

1. Petrus 2, 1-4

Im Wartesaal eines Arztes. Endloses Warten. Immer mehr Menschen betreten den Raum. Jeden scheint die eine Frage zu bewegen: Wann bin ich endlich dran? Dazu jede Menge von Menschen mit Schmerzen. Und dann die, die ständig husten. Wenn man noch nicht ganz krank ist, dann wird man es hier! Die Aggression steigt. Neidvolle Blicke auf die, die endlich aufgerufen werden. Sind es Blicke des Triumphs, die sie denen, die sitzen bleiben müssen, zuwerfen? Eine Atmosphäre zum Zerreißen! Kälte, so gut der Raum auch geheizt sein mag. Ich mitten drin. Meine Schmerzen werden immer größer. Ich muss aufstehen, weil ich es auf dem Stuhl nicht mehr aushalten kann. Ein Bild der modernen medizinischen Versorgung in Deutschland? Mit dieser Frage setze ich mich innerlich auseinander. Wenn ich die Leute so viele Stunden warten ließe – wer würde auf mich so lange warten? Dazu der bestimmte Eindruck: Es kann in nächster Zelt kaum besser werden! Der Gang zum Arzt – immer mehr eine Qual!

Da geschieht etwas Unglaubliches: Ein Kind betritt an der Hand seiner Mutter den Warteraum. Es plaudert fröhlich. Es lacht. Es lacht von Herzen. Es spricht die Anwesenden an. Auf einmal ist alles anders in diesem Raum. Kinder verändern die Welt!

Ich frage mich, was die Botschaft des Kindes an mich und an uns ist.

Kind, weißt Du nicht, wie hart das Leben ist? „Doch, ich weiß es“, sagt das Kind. „Ich bin nicht blind. Ich sehe es den Gesichtern von Euch Erwachsenen an. So viel Gram, Tränen und Enttäuschungen. Das Leben setzt Euch zu! Härte, Versteinerung und Verbitterung sind die Folge.“

„Und warum lachst Du? Lachst Du uns vielleicht aus?“ „Nein, dafür tut ihr mir wirklich viel zu leid. Ich habe einen Vater und eine Mutter. Ich kann atmen, springen, spielen und tanzen. Ich bin reich. Ich darf leben. Mein Vater im Himmel hat mir mein Leben geschenkt. Meine Zukunft? Ich kann fallen. Es kann sein, dass ich unendlich tief falle, aber ich falle nicht ins Bodenlose, weil mein Vater mich auffängt. Du fragst, woher ich das weiß? Ich weiß es, weil es mir die Bibel sagt. Der himmlische Vater hat mir seinen Sohn gegeben. Er hat sein Bestes für mich gegeben. Einen höheren Einsatz hätte er nicht bringen können. Das soll mir deutlich machen, dass er freundlich zu mir ist. Wenn ich eure Gesichter anschaue, dann möchte ich weinen. Ihr scheint zu denken, dass euer himmlischer Vater ein Ekel ist.“

Das will uns das Kind sagen. Das Kind macht uns deutlich, was wir verloren haben, wenn wir es je besessen haben: das Vertrauen. Doch die Botschaft des Evangeliums lautet, dass wir durch Jesus das Vertrauen der Kinder und ein Stück ihrer Fröhlichkeit und Unbekümmertheit wiedergewinnen sollen. Ja, wir sollen wieder lachen. Unser Herr will, dass wir uns freuen. Ein Zeichen der Erlösten ist ihr Jubel. Sie, die lange geweint haben, werden von Gott getröstet. Sie erfahren seine Hilfe. Er richtet sie auf. Das Lachen der Erlösten ist der Ausdruck ihrer Freude an dem Heil ihres Gottes.

Doch hören wir jetzt weiter auf die Botschaft des Kindes. Es hat uns noch viel mehr zu sagen. Was braucht ein Säugling?

Milch. Unsere Milch ist das Wort Gottes. Das Wort Gottes ist die Speise, die uns die Kraft zum Wachstum, zur Liebe und zur fröhlichen Hingabe an unseren Herr gibt. Wer das begriffen hat, kann vom Wort Gottes nicht genug bekommen. Er betet, dass ihn Gott sein Wort immer mehr verstehen lässt. Krank ist der, der Gottes Wort nicht begehrt. Er ist in einer großen Krise. Er muss unbedingt zum Arzt, der Jesus Christus heißt. Er muss – vielleicht mit der Hilfe eines Seelsorgers – die Nähe Jesu neu suchen. Dann spürt er wieder die Freundlichkeit des Herrn, und das ist für das Überleben des Glaubens entscheidend. Petrus sagt uns in unserem Bibelwort, dass wir ja geschmeckt haben, dass der Herr freundlich ist. Das gibt die Motivation, uns immer wieder ihm anzuvertrauen. Das gibt uns die Gewissheit, dass wir uns aufrichten können, wenn wir gefallen sind. Der Ruf unseres Herrn lautet: Komm her zu mir! Meine Gnade reicht aus für Dich. Darum bleibe nicht liegen. Darum habe Mut!

Ein Säugling muss atmen. Unser Atmen ist das Gebet. Im vertrauensvollen Gebet bekommen wir die Luft zum durch Gott befreiten Leben. Ein Mangel an Gebet führt zu einem Luftmangel. Das ist das Problem vieler Christen heute. Sie leiden am Leben. Es ist vieles für sie zu hart. Sie beschweren sich über andere, ihre Gemeinde und Umgebung. Dabei ist Ihr Mangel an Gebet die Ursache. Unser Vater will doch alles mit uns tragen. Er kennt unseren Schmerz. Er kennt unsere Angst und Verzweiflung. Wenn wir das begreifen, bringen wir die Last unseres Lebens vor unseren Vater im Himmel.

Ein Säugling braucht Reinigung. Unsere Reinigung ist das Bekenntnis unserer Schuld vor Gott. Immer wieder ist Reinigung nötig. Zwischen unserem himmlischen Vater und uns darf nichts stehen bleiben. Ja, oft liegen wir falsch. Oft werden wir schuldig. Die reformatorische Theologie lehrt uns, nichts bei uns selbst zu suchen. Das befreit uns immer mehr von der Rechthaberei und Selbstrechtfertigung unseres Lebens. Christus ist unsere Rechtfertigung. Glaube heißt, sich allein auf das zu gründen, was Christus getan hat. Darum sucht er immer wieder die Vergebung Gottes und weiß, dass er sie heute mehr braucht als gestern, und morgen mehr brauchen wird als heute.

Ein Säugling braucht Wärme. Unsere Wärme ist die Gemeinschaft mit dem Volk Gottes, das sich in der Gemeinde sammelt. Kein Wunder, dass die Gemeinschaft der Glaubenden immer und immer wieder stärksten Angriffen ausgesetzt ist. Da ist die Kraft Gottes, die uns die Gemeinschaft der Glaubenden nicht aufgeben, sondern unverdrossen suchen lässt.

Gott ist mit denen, die ihm gehorchen. Darum ist die Gemeinschaft der Glaubenden, die sich auf Christus allein gründen, unseren ganzen Einsatz und unsere ganze Liebe wert. Wie viele haben resigniert! Wenn uns das Wort unseres Gottes aber deutlich sagt, dass Gott mit sündigen Menschen seinen Weg geht, dann können wir uns der Gemeinde in der rechten Weise zuwenden und die Resignation im Blick auf die Gemeinde überwinden. Wir werden uns nicht von all dem aufhalten lassen, was enttäuscht. Wir werden uns unseren Brüdern und Schwestern in der Liebe Christi neu zuwenden und dabei die stärkende Gemeinschaft der Glaubenden finden. Wir sind dabei befreit von dem Wunsch, dass es in der Gemeinde nach unseren eigenen Wünschen gehen möge. Gott ist der Herr der Gemeinde. Sein Wort und sein Wille zählen. Es lohnt sich, die Gemeinschaft der Gemeinde auf diese Weise neu zu entdecken. Das hat Gottes Verheißung.

Petrus fordert die Christen, die in der Zerstreuung leben, auf, begierig nach all dem zu trachten. Sie sind gefordert, oft überfordert. Ihre Situation will ihnen alle Kraft rauben. Ist es anders bei uns? In solchen Zeiten hat der Versucher oft leichtes Spiel. Seine Waffe ist die Bosheit. Er weiß, dass er gewonnen hat, wenn die Bosheit in unsere Reihen eingedrungen ist. Das geistliche Leben ist blockiert. Das aber ist das traurige Bild so vieler Gemeinden und Christen. Dann ist die Atmosphäre so trübe, dass man niemanden mehr einladen kann, weil der betreffende einen Schreck bekommt und sich sagt: „Wenn Christen noch ärger sind als Menschen der Welt, dann kann ich auf ihren Glauben und Ihren Herrn verzichten.“ Die Versuche, die Kirche für die Menschen von heute attraktiv zu machen, sind in den Augen der Hölle lächerlich. Sie führen zu nichts, wenn wir nicht darum ringen, dass der Grundschaden behoben wird. Welcher Mensch, der Magenschmerzen hat, kommt schon auf die Idee den Zahnarzt aufsuchen? Er ist beim Zahnarzt an der falschen Adresse. Der Zahnarzt kann nur milde lächeln und ihn wegschicken.

Darum ruft uns die Heilige Schrift immer und immer wieder zu der klaren Entscheidung gegen alles Böse auf. Sie sagt uns, dass wir uns dem Arzt zuwenden sollen, der Jesus heißt. Dieser Arzt stellt eine untrügliche Diagnose. Er deckt uns unsere Schuld auf, aber hat zugleich das Heilmittel, seine Vergebung, bereit. Die Ältesten unserer Gemeinden und wir alle haben darauf zu achten, dass die Gemeinde vom ersten bis zum letzten erkennt, dass allem Betrug, aller Heuchelei, allem Neid und aller übler Nachrede entgegengetreten wird.

Ich möchte jetzt nur ein wenig auf die Heuchelei eingehen. Heuchelei bedeutet, dass wir etwas vorgeben zu sein, was wir nicht sind. Wenn uns die Nachfolge Christi etwas lehren will, dann ist es das, dass Lüge und Gott sich nicht miteinander vertragen. Wir, die wir die Reinigung durch das Blut Jesu Christi erleben und durch Gottes Wort in Christus gegründet werden, sind Menschen der Wahrheit und Eindeutigkeit. Ist jetzt der Wunsch der Vater meines Gedankens? Stelle ich uns ein unerreichbares Ideal vor Augen? Ich beschreibe nur das, was Gottes Geist in uns wirken kann und will. Das ist der unbedingte Wunsch und der unbedingte Wille, aller Heuchelei zu widerstehen. Resignation ist eine Folge der Sünde des Menschen. Resignation ist die Sünde unserer Zeit. Sie wird überwunden, wenn es uns neu aufleuchtet, dass unser Herr freundlich ist. Das geschieht in der rechten Verkündigung seines Wortes. Die Verkündigung des Wortes führt uns zu dem neuen Staunen, dass wir einen so großen und guten Herrn haben.

Hören wir die Botschaft des Kindes! Sie will uns wachrütteln. Sie will uns unseren ganzen Mangel zeigen und neu zu Gottes Verheißungen Zuflucht nehmen lassen:

„Herr, ich habe doch längst erkannt, dass Du freundlich bist. Dein Wort sagt es mir. Dein Wort lügt nicht. Meinem Herzen aber fällt es so schwer, Dir zu vertrauen, ja, es ist ihm unmöglich. Ich brauche Deine Hilfe und Deine Kraft dazu. Ich beuge mich vor Dir. Ich bekenne Dir meine Schuld! Meine Resignation lässt mich Böses in meinem Leben dulden. Sie hat mich erlahmen lassen. Darum komme ich zu Dir. Überwinde meine Resignation, damit ich glauben und gehorchen kann. Herr, verzeihe mir meine Schuld und lass mich neu mit Dir beginnen.

Herr, weil Du freundlich bist, schaffe in mir, was Dir gefällt. Ich müsste ganz verzagen und kapitulieren, aber durch Deine Freundlichkeit lebe ich. Sie gibt mir die Hoffnung und die Kraft. Auf Dich allein vertraue ich. Errette mich!

Herr, weil Du freundlich bist, lehre mich überwinden und Dir gehorsam zu sein. Herr, durch Deinen Sohn bin ich im Glauben Dein Kind. Darum kann ich durch Dein Wort leben, durch das Gebet atmen, meine Schuld bekennen und Wärme in der Gemeinschaft der Christen finden.

Vater im Himmel, danke, dass ich Dein Kind sein und bleiben darf. Du hast mich erwählt. Du hast mich berufen, darum kann ich durch Deine Gnade leben. Amen.“

Und Jesus sprach: Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen. Wer nun sich selbst erniedrigt und wird wie dies Kind, der ist der Größte im Himmelreich.

Matthäus 18,3-4