Selbstbestimmung oder Selbstrelativierung?

Selbstbestimmung oder Selbstrelativierung?

Weisheit aus den Sprüchen für die Nachfolge im 21. Jahrhundert

Der Begriff „Selbstbestimmung“ ist dieser Tage zu einem gesellschaftlichen Schlagwort geworden, das nicht nur für vereinzelte Gesetzesänderungen steht,[1] sondern eine grundsätzliche Einstellung zum Ausdruck bringt. Es ist es zur gesellschaftlichen Aufgabe geworden, dem individuellen Selbst Geltung zu verschaffen, seine moralischen Entscheidungen zu bejahen und Vorstellungen, die solche Entscheidungen verletzen könnten, als veraltet oder gar gefährlich zu entlarven. Längst ist klargeworden, dass dieser weitgehend akzeptierte Standard für unser Leben als Nachfolger Jesu viele Fragen aufwirft.[2] Wichtig ist es, unser Zeitalter nicht nur theoretisch zu verstehen, sondern auch konkrete Schlussfolgerungen für unser Leben in der Christusnachfolge zu ziehen. Im Folgenden soll es genau darum gehen. Was hält Gottes Wort dem Selbstgestaltungsanspruch unseres Zeitalters entgegen? Konkret: Wie nehmen wir selbst diese Trends zum Anlass, um uns unserer Identität als Fremdlinge in dieser Welt neu bewusst zu werden? Es sollte uns nicht nur darum gehen, einen tragischen Kulturverfall zu beklagen, sondern selbstkritisch zu fragen, inwiefern auch wir unterschwellig auf eine Art der Selbstbestimmung pochen.[3]

Das Buch der Sprüche ist ein einzigartiger Teil des biblischen Kanons, da es über viele Kapitel hinweg einzelne „Weisheitsschnipsel“ darbietet, die doch in einen größeren theologischen Zusammenhang eingebunden sind, der den konkreten Lebenssituationen der jeweiligen Sprüche zugrunde liegt: die Furcht des Herrn.[4] Gottes Dasein als Schöpfer und Erhalter des Kosmos ist der bestimmende Maßstab für die ganze Bandbreite an Weisheitsworten, denen wir in diesem Buch begegnen. Weisheit gründet zuallererst nicht auf unpersönliche Prinzipien, pragmatische Lösungsansätze oder selbstgewählte Prioritäten, sondern auf die Beziehung zu dem Gott, der uns in Weisheit erschaffen hat und letztlich Richter ist über Weise und Toren.

Herausfordernd

Warum fordert uns besonders dieses Buch als Christen im 21. Jahrhundert heraus? Wer einmal alle 31 Kapitel der Sprüche liest, wird schnell bemerken, wie oft der Mensch gelobt wird, der bereit ist, sich korrigieren zu lassen. Es ist ein bekanntes Motiv in der ganzen Weisheitsliteratur, dass sich grundsätzlich zwei Arten von Menschen entgegenstehen: der Gottesfürchtige und der Gottlose. In den Sprüchen ist ersterer der Weise, letzterer der Tor. Vieles unterscheidet diese beiden voneinander. Doch wir wollen uns hier nur mit diesem einen Merkmal beschäftigen: Ein weiser Mensch akzeptiert Zurechtweisung nicht einfach nur, sondern wünscht sie sich sogar. Das Bestehen auf dem eigenen Standpunkt wird gerade nicht angepriesen als tugendhaftes oder nachahmungswürdiges Verhalten.

Sprüche 1–9: Der Ruf der Weisheit

Das Buch der Sprüche besteht grob aus zwei Teilen: Kapitel 1–9 und Kapitel 10–31.[5] Die ersten acht Kapitel bestehen aus einer Reihe von Aufrufen, Weisheit anzunehmen. Dieser erste Teil ist als eine Art Einführung zu lesen, was exemplarisch gleich zu Beginn des Buches deutlich wird: diese Sammlung besteht, um zu erkennen Weisheit und Zucht, um zu verstehen verständige Worte, um anzunehmen Zucht mit Einsicht, dazu Gerechtigkeit, Recht und Aufrichtigkeit, um Einfältigen Klugheit zu geben, dem jungen Mann Erkenntnis und Besonnenheit (1,2–4 ELB). Es ist offensichtlich, dass die Weisheit denen angeboten wird, die sie brauchen. Zugleich wird die Weisheit nur da Früchte tragen, wo Lernbereitschaft schon vorhanden ist. Hier findet sich ein bedeutender Grundsatz: Als geschaffene Wesen sind wir weisheitsbedürftig, da wir immer in Abhängigkeit zu dem stehen, der die Weisheit verkörpert. Zugleich ist entscheidend, ob wir unsere Bedürftigkeit anerkennen und uns bereitwillig der rufenden Stimme der Weisheit, also Gottes Stimme, zuwenden. Es geht also nicht nur um Verfügbarkeit äußerer Fakten, sondern um die Beschaffenheit unserer Herzen. Inwieweit ich mich meines Mangels an Weisheit bewusst bin, wird über den Gewinn bestimmen, den ich aus Gottes Offenbarung schlagen werde.

Sprüche 10–31: Weisheit in der Komplexität des Lebens

Der zweite Teil der Sprüche bietet eine breite Palette an Weisheitssprüchen, die alle möglichen Lebensbereiche betreffen: Arbeit, Besitz, Familie, Beziehungen und vieles mehr. Statt einer thematischen Anordnung findet sich hier eine ziemlich bunte Mischung von Situationen, in denen Weisheit gefragt ist. Dies sagt vielleicht auch etwas darüber aus, dass unser Leben nicht immer linear zu verlaufen scheint, sondern oft chaotisch und unvorhersehbar ist. Dementsprechend lässt sich Weisheit auch nicht auf eine wohl geordnete Weise erlernen, sondern muss sich immer wieder neuen Fragen stellen.[6] Der unumstößliche Plan des Schöpfergottes steht allerdings über all der Komplexität unserer menschlichen Existenz, was nur Gutes für seine Kinder, Schlechtes allerdings für seine Feinde bedeuten muss.[7] Wir können durch das Erlangen von Weisheit also letztlich nicht unabhängig werden, sondern Weisheit im richtigen Sinn wird uns näher zu Gott treiben, bei dem Weisheit beginnt und endet. Die kindliche Gottesbeziehung charakterisiert den wahrhaft weisen Menschen: Der Name des HERRN ist eine feste Burg; der Gerechte läuft dorthin und wird beschirmt (Spr 18,10 LUT). Die gott-zentrierte Perspektive biblischer Weisheit hilft uns auch, viele scheinbar verabsolutierende Aussagen besser zu verstehen. Wenn es heißt, dass dem Gerechten keinerlei Unheil, dem Gottlosen aber allerlei Unglück zustößt (Sprüche 12,21), reicht ein Blick in unsere eigene Erfahrung oder die täglichen Nachrichten, um einen ganz anderen Eindruck zu erlangen. Es gibt keinen mechanischen Tun-Ergehen-Zusammenhang, mit dem wir unser ganzes Leben im Voraus berechnen könnten.[8] Allerdings geben uns die Sprüche allgemeine Prinzipien, die sich unter gewöhnlichen Umständen regelmäßig schon heute bewahrheiten, jedoch am Ende, im neuen Himmel und der neuen Erde, endgültig zur Realität werden.

Da es um unsere Heiligung geht, lernen wir in diesem Buch besonders viel für unsere Lebensführung. Das Leben ist sehr wohl komplex – der gefallene Zustand der Welt kehrt unsere Erwartungen oftmals um, und Gottes souveränes Handeln ist für uns oft unbegreiflich.

Doch welche Herzenshaltung sollte uns auszeichnen? Im Folgenden wollen wir einige Aussagen in den Sprüchen dazu befragen. Wie wir sehen werden, gehört zu einer gottgefälligen Einstellung unbedingt dazu, dass ich mir meiner Bedürftigkeit nach Korrektur bewusst bin und diese gerne annehme, anstatt auf meine eigenen Vorstellung zurückzufallen.

Bereitschaft zur Korrektur

In Sprüche 12,15 finden wir eine klassische Gegenüberstellung zweier Einstellungen, die auf tieferliegende Lebensentwürfe schließen lassen: Der Weg des Narren erscheint in seinen eigenen Augen recht, der Weise aber hört auf Rat (ELB).[9] Der erste Teil des Verses mag den versierten Bibelleser an eine für das Richterbuch charakteristische Aussage erinnern, denn zu jener Zeit in Israels Geschichte war die moralische und geistliche Eigensinnigkeit (im buchstäblichen Sinne) das grundlegende Problem.[10] Es ist das Bestehen auf den eigenen Wegen, das hier negativ dargestellt wird. Mancher Ehepartner wird sich vielleicht (sollten wir sagen definitiv?) an eine Situation erinnern, wo der Streit letztlich nur deswegen ausgetragen wird, weil eine Seite nicht bereit ist, den Anspruch auf die eigene Meinung aufzugeben. Selbst wenn dies auf Kosten anderer geschieht, muss man doch zum eigenen Recht kommen. Auch wenn man weiß, dass der eigene Standpunkt problembehaftet, vielleicht sogar völlig unberechtigt ist, so ist das Rechthaben doch wertvoller: Meine Umwelt muss sich schließlich meinen Vorstellungen anpassen, nicht umgekehrt. Denn es ist ja schmerzhaft, dem anderen Recht zu geben, Fehler einzugestehen, den eigenen Maßstab zu hinterfragen oder sich auf christusähnliche Weise dem Interesse anderer unterzuordnen. Doch das Hören auf Rat, das den Weisen in diesem Vers auszeichnet, verlangt genau das. Passend lesen wir: Unter den Übermütigen ist immer Streit; aber Weisheit ist bei denen, die sich raten lassen (Spr 13,10 LUT). Zuzuhören und sich selbst nach den eigenen Fehlern zu befragen, ist ein Akt der Demut, der Selbstrelativierung, die der Selbstbestimmung entgegensteht. Wie unsere Worte ihre ganz eigene Kategorie im Bereich biblischer Moral bilden,[11] so ist auch das Zuhören entscheidend, zuerst natürlich auf Gott selbst und dann auf andere in seinem Bild geschaffene Menschen – nicht nur, aber besonders andere Christen. Sie werden von Gott gebraucht, um uns vor dem Pochen auf unsere eigene begrenzte und stets auch von der Sünde beeinträchtigte Sichtweise zu bewahren.

Absonderung verhindert Korrektur

Dass also eine Offenheit zur Korrektur der eigenen Auffassung überhaupt erst einmal gefordert wird, dass wir uns den Blicken und den Worten anderer bewusst aussetzten sollten, schwingt hier schon mit. Entsprechend lesen wir in Sprüche 18,1: Wer sich absondert, sucht sein Begehren, gegen alle Umsicht platzt er los (ELB). Die Absonderung von anderen schirmt uns natürlich von jeder Zurechtweisung ab, doch damit folgt auch das große Problem: Ohne ein Netzwerk sozialen Austausches geht uns auch der Zugriff zur Weisheit verloren.[12] Unsere Welt bietet uns heutzutage zahlreiche verheerende Möglichkeiten zu solch einer Absonderung. Obwohl wir besser vernetzt sind als je zuvor, dienen die Online-Plattformen dieser Vernetzung paradoxerweise oft der Abschirmung vor echten und tiefgreifenden Beziehungen, in denen wir verletzlich und (im guten Sinne) verwundbar sind. Nur in solchen Beziehungen können wir die heilende Wirkung liebevoller Kurskorrektur erfahren. Denn wo der Leib Christi sich selbst in Liebe aufbaut (vgl. Epheser 4,16), da darf Kritik wiederum niemals zur Zerstörung des Einzelnen führen; gerade Worte müssen immer gut abgewogen werden: Wer unvorsichtig herausfährt mit Worten, sticht wie ein Schwert; aber die Zunge der Weisen bringt Heilung (Spr 12,18 LUT). Doch der Widerstand gegenüber Korrektur mag häufig gar nicht so offensichtlich sein. Auch die Anwesenheit in der Gemeinde und soziale Interaktionen geben für sich nicht notwendigerweise die Gelegenheit, von anderen konkret angesprochen zu werden. Auf der einen Seite kommt da die Verantwortung der ganzen Gemeinschaft ins Spiel, den Einzelnen im Blick zu behalten. Doch andererseits erzeuge ich mit meiner Haltung gegenüber anderen auch Offenheit (oder Verschlossenheit), die deren Feedback einlädt (oder eben auslädt).

Ununterbrochene Selbstmitteilung

Wie kann ich erkennen, dass ich mich meiner Umgebung geöffnet habe und meine Korrekturbedürftigkeit nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch eingestehe?

Sprüche 18,2 liefert uns hier einen wertvollen Hinweis: Kein Gefallen hat der Tor an Einsicht, sondern nur an der Entblößung seines Herzens (LUT). Der erste Teil des Verses kommt immer wieder im Sprüchebuch vor, doch der zweite Teil fügt dem eine interessante Komponente hinzu.[13] Wenn ich kein Gefallen habe, wirklich zu lernen, einsichtig zu werden und in Weisheit zu wachsen, dann kann sich das (sicher nicht in jedem einzelnen Fall, wohl aber häufiger als wir annehmen), in ungehemmtem Redefluss niederschlagen. Diese Rede hat vor allem ein entscheidendes Thema: was ich denke, was ich fühle, was ich brauche. Nun sollten wir hier natürlich vorsichtig sein, denn all diese Dinge haben selbstverständlich ihren berechtigten Platz. Sehr wohl kann meine Selbstmitteilung andere erfreuen, erbauen und ermutigen. Um den Trost und Zuspruch anderer zu erfahren, muss ich mein Herz oft erst einmal ausschütten. Doch der Tor, von dem hier die Rede ist, hat das Herzausschütten auf egoistische Weise völlig verdreht. Vielleicht erinnert sich so mancher Leser (gewiss kann der Autor dies von sich behaupten!) an Momente, wo die Rede des Gegenübers lediglich Zeit bietet, das Entscheidende vorzubereiten, nämlich meine eigene Sichtweise und Empfindung. Dies mag für den ein oder anderen unter uns ein harter Schlag sein, doch wir sollten ernsthaft bedenken, ob wir so selbstgefällig sind, dass das Vortragen unseres eigenen Herzensinhaltes (was nicht nur Gefühle, sondern auch Meinungen beinhaltet) regelmäßig erbaulicher auf uns wirkt als das Empfangen und Verarbeiten der Rede des anderen. Der Andere, das ist zuerst einmal der, der uns erschaffen hat und dessen Wort vor allen anderen Worten steht – er ist der, dessen Gegenwart und Beispiel uns hoffentlich regelmäßig hilft, uns selbst etwas zurückzunehmen, um weiser zu werden.

Gottes heilsame Relativierung des Menschen im Evangelium

Die große Gefahr, die hinter der Vorstellung vermeintlich unbegrenzter Selbstbestimmung lauert, ist schlussendlich tödlich. Denn der Anspruch der biblischen Botschaft ist es ja, uns von uns selbst abzuwenden und uns Gott allein zuzuwenden. Paulus‘ große Zuversicht ist darin gegründet, in ihm [d.h. Christus] gefunden [zu] werde[n], dass ich nicht habe meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz, sondern die durch den Glauben an Christus kommt (Phil 3,9 LUT). Welch eine Befreiung! In Christus bin ich für immer von der erdrückenden Last irreführender Selbstbestimmungsansprüche freigemacht und darf am letzten Tag darauf hoffen, dass er für meine Bestätigung vor Gott sorgt. Was bedeutet das für unser Thema der Offenheit für Korrektur und Zurechtweisung? In den zahlreichen Momenten alltäglichen Lebens, wo es auf das Hinhören, Ausredenlassen, und Korrigiert-werden ankommt, darf ich mir wieder neu bewusst werden: Meine Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung vor meinem himmlischen Vater liegt in Christus, nicht in mir (1Kor 1,30) – so kann ich mich selbst auch in meinem Umgang mit anderen getrost zurücknehmen. Dann bin ich endlich frei, mich selbst demütig zu hinterfragen, da ich längst weiß, dass meine Würde nicht in der Rechthaberei besteht, sondern in Jesus Christus allein. Diese Botschaft ist die einzige, die uns von der Tragik allgegenwärtiger Selbstbestimmungswünsche befreien kann.

Johannes Damaschke studiert aktuell Theologie am Reformed Theological Seminary in Charlotte (US-Bundestaat North Carolina). Gemeinsam mit seiner Frau Emilie hat er einen Sohn. Ihre deutsche Heimatgemeinde ist die reformierte Christ Church in Wiesbaden.


[1] Siehe etwa das sogenannte „Selbstbestimmungsgesetz“, ein momentaner Gesetzesentwurf, welcher darauf abzielt, Mitgliedern der LGBTQ-Gemeinschaft durch die Änderung ihres Geschlechtseintrages und ihres Vornamens gesetzliche Vorteile zu verschaffen. Was das genau bedeutet, kann hier nachgelesen werden: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/queerpolitik-und-geschlechtliche-vielfalt/gesetz-ueber-die-selbstbestimmung-in-bezug-auf-den-geschlechtseintrag-sbgg–199332 (abgerufen am 7. Februar 2024).

[2] Auch von christlicher Seite wurde in letzter Zeit schon viel geleistet, um diese tief verankerte kulturellen Haltung zu beschreiben, zu analysieren und dadurch besser zu verstehen, wie diese Vorstellungen in der westlichen Welt gang und gäbe wurden. Siehe insbesondere die einflussreiche Studie von Carl R. Trueman: Der Siegeszug des modernen Selbst: Kulturelle Amnesie, expressiver Individualismus und der Weg zur sexuellen Revolution. Bad Oeynhausen [2Verbum Medien] 2022. Vgl. auch die entsprechenden Ausführungen von Hanniel Strebel, Das neue Selbst und unsere Antwort als Christen (Teil 1 & 2), Bekennende Kirche 91/92 (2022/23). Einige der darin enthaltenden Punkte laufen parallel zu den hier angestellten Gedanken (jedoch in größerem Detail). Hier sei nur angemerkt, dass der Begriff „Selbstbestimmung“ nicht in einem engen, sondern eher in einem losen Sinne gebraucht wird, um eine Grundhaltung des spätmodernen Lebens zum Ausdruck zu bringen. Konkrete Debatten und ethische Fragen (wie etwa zur Sexualmoral und Genderideologie) sind dabei als Symptome einer tieferliegenden kulturellen Logik zu verstehen.

[3] Für einige Einsichten in diesem Artikel bin ich dankbar für die Vorlesungsnotizen zur Weisheitsliteratur von Richard P. Belcher, Jr., durch die ich einen sehr hilfreichen Zugang zu diesem Teil der Heiligen Schrift gewinnen durfte. Vgl. auch seinen Band Finding Favour in the Sight of God: A Theology of Wisdom Literature. New Studies in Biblical Theology. Nottingham/Downers Grove [Apollos/IVP Academic] 2018.

[4] Siehe 1,7,29; 2,5; 3,7; 8,13; 9,10; 10,27; 14,2, 26–27; 15,16,33; 16,6; 19,23; 22,4; 23,17; 24,21; 31,30. Verweise bei Robertson, O. Palmer: The Christ of Wisdom: A Redemptive-Historical Exploration of the Wisdom Books of the Old Testament. Phillipsburg NJ [P&R Publishing] 2017, 102. Für eine Interpretation der Weisheitsliteratur aus heilsgeschichtlicher und bundestheologischer Perspektive sei hier auch auf Robertsons ganzen Band verwiesen.

[5] Für eine beispielhafte Gliederung des Buches siehe etwa Craig G. Bartholomew und Ryan P. O’Dowd, Old Testament Literature: A Theological Introduction. Downers Grove, IL [InterVarsity] 2011, S. 74–76. Das Thema der Gottesfurcht gibt sowohl dem ersten Teil (vgl. 1,7 und 9,10) als auch der Ganzheit des Buches eine Abrundung (inclusio) und deutet somit auf die theologische Grundstruktur hin. Zu diesem formalen Aspekt siehe Joachim Becker, Die Gottesfurcht im Alten Testament. Analecta Biblica 25 [Rom: Päpstliches Bibelinstitut] 1965, S. 211–212.

[6] Ein interessantes Beispiel dafür ist der vermeintliche Widerspruch zwischen Kapitel 26,4 und 5, wo zwei gegenteilige Aufforderungen bezüglich der Antwort an einen Toren die Tatsache widerspiegeln, dass Weisheit oft situative Lösungen fordert und nicht immer verallgemeinert werden kann.

[7] Vgl. nur 16,1,2,4,9; 19,21; 21,2,30.

[8] Der Begriff des „Tun-Ergehen-Zusammenhangs“ wird gebraucht, um ein häufig wiederkehrendes Motiv der Weisheitsliteratur zu beschreiben. Ein Blick in Hiob oder Prediger genügt, um auch biblisch zu untermauern, dass dieser Zusammenhang nicht immer besteht.

[9] Ebenso wie der Weise auf Rat hört, gilt vom „Spötter“ an anderer Stelle, dass er nicht auf Zurechtweisung hört (Sprüche 13,1).

[10] Siehe etwa Richter 17,6 und 21,25.

[11] Am deutlichsten tritt dies bei Jakobus zutage (Jakobus 3,2–12). Doch auch in den Sprüchen wird unserer Sprache sehr viel Wert beigemessen. Siehe z.B. Sprüche 12,25; 15,1,23,26; 16,24; 17,27.

[12] Für einige interessante Reflexionen zur sozialen Absonderung im Kontext des sogenannten expressiven Individualismus, der unser Zeitalter auszeichnet, siehe Brian Rosner: How to Find Yourself: Why Looking Inward Is Not the Answer. Wheaton [Crossway] 2022, S. 83–96.

[13] Kommentatoren weisen darauf hin, dass das Verb in der zweiten Vershälfte in diesem Stamm sonst nur noch in 1. Mose 9,21 bei Noahs Entblößung vorkommt. Damit schwingt hier auch eine moralisch schändliche Bewertung mit. Vgl. Derek Kidner, Proverbs, Kinder Classic Commentary. Downers Grove [IVP Academic] 2018, S. 120; Bruce K. Waltke, Proverbs: Chapters 15–31, NICOT. Grand Rapids [Eerdmans] 2005, S. 70.