Missionarisch – Etikett oder Inhalt?

Missionarisch – Etikett oder Inhalt?

Für die einen ist es ein Etikett, andere halten es für einen peinlichen Begriff, und wieder andere bestimmen damit ihre Lebensaufgabe – was ist „missionarisch“? [1]

Gott sendet

In der Bibel ist Gott der Sendende – so hat es Jesus im klassischen Beispiel von den bösen Weingärtnern beschrieben (Mk.12,1-12). Erst sendet Gott seine Propheten, dann als Höhepunkt seinen eigenen Sohn (Mk. 12,6). Mit der Sendung des Sohnes ist das Reich Gottes endlich nahe herbeigekommen (Mk. 1,15; Gal. 4,4). Die Kluft zwischen dem Schöpfer und seinen abtrünnigen Geschöpfen wird überbrückt. Jesus verkündigt und erwirkt das ewige Heil durch seinen Sühnetod und die Auferstehung. Das ist Gottes missionarische Aktion! Indem Gott Jesus sendet, ruft er die Sünder zur Bekehrung: „Kehrt um und glaubt an das Evangelium“ (Mk.1, 15b). Der Inhalt dieser frohen Botschaft ist Jesus selbst – weil „alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“ (Joh. 3,16; vgl. Joh. 14,6; Apg. 4,12).

Jesus sendet

Nach der Auferstehung sendet Jesus selbst! Das griechische Verb für Senden ist jedem Bibelleser bekannt – apostello. Die Apostel sind also Gesandte von Jesus. Ausgehend von Jerusalem umfasst ihr Sendungsradius die gesamte Welt (Apg. 1,8; Matt. 28,20). Denn „Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ (1.Tim. 2,4). Der Auftrag zur Weltmission ist geboren, noch bevor am Pfingsttag offiziell die erste Christengemeinde begründet wird. Von da an bleibt Kirchengeschichte untrennbar mit Missionsgeschichte verbunden. Durch seine Sondergesandten (Apostel) baut Jesus die ersten Gemeinden und nimmt seitdem alle neuen Christen in die große Sendung mit hinein. Darum gilt das Motto: Jeder Christ – ein Missionar.

Die Aufgabe der Gesandten ist von Anfang an klar umrissen: Sie sollen die frohe Botschaft (griechisch: euangelion) bekannt machen, sie sollen berichten von der Sendung des Sohnes zur Rettung der Sünder. Für diese Tätigkeit kennt das Neue Testament einen auffälligen Begriff – euangelizomai (z.B. Gal.1,8; Röm.15,20; Apg.14,7; 16,10). Daher stammt unser Ausdruck evangelisieren bzw. Evangelisation. In 1. Kor.1,17 kann Paulus mit diesem Wort seinen ganzen missionarischen Dienst zusammenfassen: „Christus hat mich gesandt (apostello), um zu evangelisieren (euangelizomai).“ Hier treffen die beiden Linien zusammen: Sinn und Zweck der Mission ist die Evangelisation. Gottes Gesandte sind Träger einer präzisen Botschaft, die sie mit klaren Worten auszurufen haben. [2]

Begriffsverwirrung

Im Verlauf der Kirchengeschichte wurden die Begriffe „Mission“ und „Evangelisation“ immer wieder anders verwendet. [3] Am bekanntesten ist vielleicht die Unterscheidung zwischen „Heidenmission“ und „Evangelisation“: Heidenmission geschieht in Ländern, wo es ursprünglich nur heidnische Religionen gab. Evangelisation verkündigt in jenen Gebieten, die seit langem wenigstens mit einer christlichen Tradition bekannt sind. Dagegen prägte Johann Hinrich Wichern im 19. Jahrhundert den Begriff der „Inneren Mission“, die er als „Evangelisierung des Volkes … als eine Mission an die Getauften“ bezeichnete. Nach dem 1. Weltkrieg wurde dieses Anliegen v.a. mit dem Begriff der „Volksmission“ bezeichnet. Später besetzte die Strategie des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) den Missionsbegriff mit einem anderen Inhalt. Nun konnte die vermeintliche „Sendung“ der Kirche an die Welt auch in politischen Programmen und sozialen Aktionen zum Ziel kommen. Die Wahrnehmung sozialer Verantwortung als Folge des Evangeliums wurde mit dem Evangelium selbst verwechselt. Damit verlor die Mission ihren zentralen Inhalt und konnte als Kampfbegriff für ideologische Ziele missbraucht werden.

Sogar innerhalb der weltweiten evangelikalen Theologie (v.a. der sog. „Lausanner Bewegung“) gibt es eine erbitterte Diskussion darüber, ob die Wortverkündigung wichtigste Aufgabe der Evangelisation sei oder die soziale Aktion ein gleichrangiges Recht habe. [4] Manche behaupten, dass ein Land erst dann evangelisiert sei, wenn „das Evangelium nicht nur die Herzen, sondern auch die Strukturen verwandelt hat“. [5]

Der Inhalt zählt

Die Verwirrung ist groß, und deshalb die Besinnung auf den biblischen Befund umso nötiger. Nicht Begriffe sind entscheidend, sondern der Inhalt zählt. Jesu Gesandte müssen evangelisieren, solange es Tag ist (vgl. Joh. 9,4). Sie müssen Jesus als Retter und Herrn bekannt machen, der am Kreuz den Sühnetod gestorben ist, um die Strafe zu tragen, die wir verdient hätten; der am dritten Tag aus dem Grab auferstanden ist und seine Macht und Gottheit erwiesen hat. Nur wer einsieht, dass er ohne Jesus unter dem Zorn und Gericht Gottes lebt (Joh. 3,36) und die ewige Verdammnis verdient hat, kann sich als Sünder vor Gott beugen, umkehren (Buße tun) und den Erlöser Jesus Christus im Glauben ergreifen. Den Menschen dieses zu sagen, heißt zu evangelisieren. Wer Teile dieser Botschaft unterschlägt, bleibt hinter dem Missionsbefehl zurück. Die Reformatoren haben darum den Auftrag des Evangelisten mit der Verbindung von Gesetz und Evangelium beschrieben: Gottes radikale Forderung richtet den Sünder – Gottes radikale Fürsorge in Jesus rettet den Sünder.

Wo Evangelisation „drin“ ist

Evangelisation beschreibt darum keine Methode, sondern einen Inhalt. Sie geschieht nicht automatisch und nicht ausschließlich dort, wo ein Reiseprediger eingeladen, ein Zelt aufgebaut, eine Stadthalle gemietet und der Zuhörer zu einer „Entscheidung für Jesus“ aufgerufen wird. Evangelisation geschieht unter allen (!) Umständen dort, wo das ganze Evangelium weitergegeben wird. Nicht überall, wo missionarisch „draufsteht“, ist auch schon missionarisch „drin“. Nicht der missionarische Rahmen entscheidet, nicht die missionarische Gesinnung macht es – nicht einmal die missionarische Liebe zu den Verlorenen garantiert, dass Evangelisation geschieht. Sondern der Inhalt tut’s, eben das Evangelium! Wo Gottes Gesandte sich davon im Herzen packen und im Denken bestimmen lassen, werden sie dem Evangelium angemessene Formen finden, um mit hingebungsvoller Liebe und theologischer Präzision Sünder zur Umkehr aufzufordern.

Darum will die ART missionarisch sein, weil wir davon überzeugt sind: Gründliche biblische Lehre ist in der Evangelisation zwar noch nicht alles – aber ohne sie ist alles nichts.


[1]: Den lateinischen Begriff missio kann man als Sendung/Abschickung übersetzen (das Verb mittere bedeutet u.a. werfen, schleudern, schicken, senden).

[2]: Manche Theologen verwenden den Begriff der Mission als Oberbegriff für den gesamten Dienst, den die Gemeinde Jesu der Welt leistet. Dazu gehört dann sowohl die evangelistische Verkündigung als auch die diakonisch-soziale Hilfe. Bei diesem Gebrauch des Wortes kann jedoch leicht übersehen werden, dass beim biblischen Missionsauftrag die Verkündigung des Wortes absoluten Vorrang vor allen anderen Diensten hat!

[3]: David J.Bosch hat 12 (!) verschiedene Positionen beschrieben, mit denen die Begriffe Mission und Evangelisation in der theologischen Diskussion bisweilen kombiniert werden (in: Zeitschrift für Mission, 1984, 161-191). Einen guten Überblick über die verschiedenen Füllungen des Missionsbegriffs gibt Walter Klaiber (Ruf und Antwort, Stuttgart 1990, 15-31)

[4]: Siehe die Zusammenfassung der Diskussion bei Erhard Berneburg, Das Verhältnis von Verkündigung und sozialer Aktion in der evangelikalen Missionstheorie, Wuppertal 1997.

[5]: So die Meinung von Wolfgang Vorländer, CVJM-Sekretär, in: idea-Dokumentation Nr.22 (1989) 28-30.