„Diesen Sonntag gehen wir in die Kirche“, beschließt Familie Mustermann und meint: Wir gehen in den Gottesdienst, der in dem Gebäude stattfindet, das in der Regel mitten im Dorf oder in der Stadt steht, mehrere Jahrhunderte alt ist, und in dem schon immer der Gottesdienst stattgefunden hat. Es wäre ungewöhnlich, wenn die Kirche irgendwo sonst wäre – so meinen sie. Doch gehen Mustermanns wirklich „in die Kirche“? „Wir arbeiten in der Kirche“, „wir sind ein innerkirchliches Werk“ – so sagen andere. Sind sie wirklich in der Kirche?
1. Kirche = Landeskirche?
„In der Kirche“ bedeutet für die meisten: im Rahmen der Landeskirche, zu der man wohnsitzmäßig gehört. Eine Landeskirche ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, also eine Rechtsperson, die jeweils von einem Landeskirchenamt verwaltet wird. Wer „in der Kirche“ arbeiten möchte, möchte in diesem Rechtssystem verbleiben. Er tritt nicht aus der Kirche aus und ruft auch nicht dazu auf. Folgende Beobachtungen sind dabei zu machen:
(1) Wenn man „in der Kirche“ leben und arbeiten möchte, ordnet man sich als einzelner Christ, als freies Werk, als Verband oder als Gemeinschaft der rechtlichen und geistlichen Aufsicht eines pluralistisch denkenden Bischofs, einer feministischen Pröpstin und eines bibelkritischen Pfarrers unter. Diese aber stehen allesamt außerhalb des in der Kirche geltenden Rechts, weil sie nicht im Einklang mit Schrift und Bekenntnis predigen und handeln und das Evangelium von Jesus Christus nicht recht predigen wollen und es vielleicht auch nicht können. Wenn Sie zum Beispiel den Sühnetod Jesu und die leibhaftige Auferstehung Jesu leugnen oder sie als bloße Glaubensaussage der Urgemeinde ansehen, dann sind sie nicht in der Lage, die Gemeinde zu dem Glauben zu rufen, der das Wort der Heiligen Schrift für wahr hält und darauf vertraut. Ihr „Glaube“ benutzt zwar das biblische Wort, aber das, was es sagt, wird umgedeutet. Das Sterben Jesu ist dann nur ein sinnloses Scheitern an der Macht der herrschenden religiösen Klasse und als solches ein Zeichen für die Solidarität Gottes mit den Armen und Ausgegrenzten. Seine Auferstehung ist nicht mehr wirklich geschehen, sondern das Bekenntnis zu ihr spricht eine religiöse Wahrheit aus, unter der sich niemand etwas vorstellen kann, vor allem dann nicht, wenn gesagt wird, es sei unerheblich, ob das Grab Jesu leer gewesen sei oder nicht.
Der Mensch, der auf die so redenden Kirchenfrauen und -männer hört, weiß schließlich nicht mehr, was am Evangelium wahr und wirklich ist und worauf er sich verlassen kann. Das Schlimmste ist: Er geht in seinem Unglauben verloren, weil ihm die „Kirche“ – ich habe hier die örtliche Landeskirche vor Augen – das Evangelium nicht verkündigt hat. Dort, wo er es billigerweise hätte hören sollen, wird ihm ein falsches Evangelium gepredigt, das nicht retten kann. Ergebnis: Wo die beschriebenen Kirchenfrauen und -männer sind, sucht man die Kirche vergeblich. Wer meint, bei diesen „in der Kirche“ zu arbeiten, irrt, denn er ist bei ihnen außerhalb der Kirche – es sei denn, sie wären nicht pluralistisch, feministisch oder bibelkritisch, sondern würden tatsächlich Schrift und Bekenntnis vertreten.
(2) In einigen wenigen Fällen hat man sogar einen gläubigen Pfarrer, der „noch“ das Evangelium predigen kann. Man kann im Kirchengebäude eine Evangelisation veranstalten oder im Gemeindesaal eine erweckliche Jugendarbeit aufbauen. In diesen Fällen zeigt sich noch ein Rest rechter Kirche, und hier und dort, etwa im Siegerland, im Erzgebirge oder im Schwäbischen, ist dies noch anzutreffen. Aber man muss bedenken, dass man rechtlich gesehen immer auch der unter (1) skizzierten kirchenamtlichen Aufsicht unterliegt, die versuchen wird, ihren Einfluss geltend zu machen. Für den Pfarrer bedeutet dies, dass er sich in seiner Predigt nicht zu weit hinauslehnen darf, sondern sich anpassen muss. Weil er von der Kirche materiell abhängig ist, hat sie Macht über ihn. Kürzlich wurde Pfarrer Dietrich Reuter aus Duisburg seines Amtes enthoben und in den Wartestand versetzt. Er hatte seinem Ordinationsgelübde und dem geltenden Recht gemäß einem in wilder Ehe zusammenlebenden Paar die Teilnahme am Abendmahl verweigert. In solchen und ähnlichen Fällen haben Kirchenleitungen beziehungsweise untergeordnete Instanzen schon zahlreiche missliebige Pfarrer aus ihrem Dienst entfernt. Aber auch dort, wo dies nicht geschieht, wird ihr verderblicher Einfluss spätestens beim nächsten Pfarrerwechsel zum Problem, denn ob der gläubige Pfarrer auch einen gläubigen Nachfolger findet, ist seit Jahren mehr als fraglich. Das heißt nun: Das geltende Kirchenrecht schützt die rechte Kirche nicht mehr, sondern wird von den Kirchenleitungen missbraucht, um Gottes Wort von den Kanzeln fernzuhalten. Wer unter dem Dach einer solchen Kirche sitzt, darf sich nicht wundern, wenn er trotzdem nass wird und friert.
Das gilt auch dann, wenn die Kirchenleitung einen evangelikalen Pfarrer in eine Gemeinde schickt. Dieser hat die bibelkritische universitäre Ausbildung durchlaufen, aber glaubt in irgendeiner Form an das Evangelium. Doch er hat Gottes Wort nicht im menschlichen Wort der Bibel und kann deshalb der Bibel nicht uneingeschränkt vertrauen. Gottes Wort ist für ihn das, was ihn religiös anspricht und ihn zu einer religiösen Beziehung zu Jesus motiviert. Und wenn er diese Beziehung durch Gebet und Gemeinschaft pflegt, dann glauben die evangelikalen Gemeindeglieder, ihr Pfarrer sei doch ganz in Ordnung. Er möchte dann missionarischen Gemeindebau betreiben, aber Schrift und Bekenntnis sind ihm dabei eher ein Klotz am Bein. Weil er Gottes Wort nicht als vertrauenswürdige Wahrheit und als Gottes Kraft kennen will, verfällt er in einen leeren Pragmatismus, der mit einem ansprechenden Gottesdienstprogramm die Menschen anzieht, aber keine rechte Erkenntnis Christi vermittelt und den Glauben der Gemeinde ruiniert.
(3) Man möchte als landeskirchliche Gemeinschaft vor Ort „in der Kirche“ arbeiten. Vor Ort kann es ja anders sein: man hat einen toleranten Pfarrer oder gar Dekan, der die Gemeinschaft gewähren lässt. Möglicherweise hat der Gemeinschaftsverband eine Vereinbarung mit der Landeskirche getroffen, die dem Prediger die Durchführung von Amtshandlungen gestattet. Aufgrund dieser Beziehung zur Kirche ist es unschicklich, diese zu kritisieren, will man mit seiner Arbeit in Ruhe gelassen werden. Der Prediger oder Jugendleiter darf dann seinen Mund nicht zu weit aufmachen, etwa indem er die Bibelkritik in der Kirche kritisiert, dem Ökumenismus widersteht oder Homosexualität als Sünde bezeichnet und den Betroffenen vom Evangelium her Hilfe anbietet. Er darf „Gemeindebau“ betreiben, Lebenshilfe vermitteln oder religiöse Erfahrungen weitergeben, aber er darf nicht dem Pluralismus und der Gottlosigkeit in der Landeskirche widerstehen. „In der Kirche“ heißt dann, nicht mehr frei Gottes Wort predigen zu können und die Frucht einer möglicherweise schriftgebundenen Arbeit der rechtlichen Einschränkung durch Menschen zu überlassen, die aufgrund ihres Unglaubens außerhalb der Kirche stehen.
(4) Die „Kirche“ ist bei vielen Christen eine Art Fluchtpunkt: Man geht „in die Kirche“, weil man das Kirchengebäude für die Kirche hält, weil dort eben Glocken läuten, eine Orgel die Liturgie und die Lieder begleitet, weil der Raum als solcher schon ein Gefühl von Erhabenheit bietet oder das uralte Kirchengebäude an sich schon ein Ort der Beständigkeit und Geborgenheit darstellt. Es war ja schon immer der Ort der Anbetung Gottes. Weil man es nicht wahrhaben will, dass dies nicht mehr der Fall ist, geht man immer wieder hin und nimmt in Kauf, dass in Predigt oder Liturgie Dinge gesagt werden, die inhaltlich nichts mehr mit der Bibel zu tun haben. Es ist eine Art seelische Bindung an die Kirche, an die Formen und an den Ort. Man hat auch Angst, auszuscheren und als Sektierer abgestempelt zu werden, wenn man sich allzu deutlich gegen Missbräuche oder Irrtümer abgrenzt. Man genießt die Anerkennung als Glied einer öffentlichrechtlichen Körperschaft, man steht in einer Organisation, die den jüngsten Entwicklungen im Staat – etwa der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare – entspricht und diese fördert. Kirche ist der Raum der Anpassung und der Preisgabe des Wortes zugunsten der positiven, aber inhaltsleeren Beziehungen. Inhaltsleer ist auch, dass Kirchenzugehörigkeit für die meisten Kirchenglieder im Bezahlen der Kirchensteuer besteht.
(5) „In der Kirche“ kann man sogar charismatisch sein. Man hat den im Sinne der Charismatik verstandenen Heiligen Geist, das gemeinsame Erleben und die vermeintlichen geistlichen Gaben. Man singt gemeinsam die Anbetungslieder, die einen Gott besingen, der so erhaben ist, dass man ihn eigentlich gar nicht besingen kann, sondern zu dem man sich nur in gefühlvollem Staunen am Seil der Melodie hochhangeln kann. Man hat kein Wort, das trennt – aber auch keines, das verbindet. So lange eine solche Frömmigkeit nicht im biblischen Sinn Sünde und Gnade, Glauben und Heiligung predigt, passt sie bestens „in die Kirche“. Der Pfarrer wird, falls er nicht selber Charismatiker ist, die Arbeit und den Frömmigkeitsstil im Stillen vielleicht für überzogen halten, aber tolerieren. Begeisterung in der Kirche – ja bitte!
2. Wo ist die Kirche?
Kirche ist „die Versammlung der Heiligen, in der das Evangelium rein gepredigt und die Sakramente recht verwaltet werden.“ So sagt es das Augsburgische Bekenntnis, Art. 7, das Grundbekenntnis der Reformation.
2.1. Die Versammlung
Als Kirche bezeichnet werden kann nach dieser Definition nur eine Versammlung von Christen, in der Gottes Wort recht verkündigt wird. Diese Versammlung ist nicht an ein Kirchengebäude gebunden. Sie kann auch in einem öffentlichen Saal oder in einem Privathaus stattfinden. Im Notfall kann sie sogar unter freiem Himmel, in einem Steinbruch, einer Waldlichtung oder in einer Höhle stattfinden. An solchen Orten wird sich die Gemeinde versammeln, wenn sie von staatlicher Seite verfolgt wird. „In der Kirche“ ist man also dann, wenn man in einer solchen Versammlung sitzt. Entscheidend ist dabei, dass Gottes Wort recht verkündigt wird. Gottes Wort bringt die Kirche hervor. Durch Gottes Wort wird sie aufgebaut, indem die Menschen zum Glauben gerufen, als Christen im Glauben gefestigt, in der Bedrängnis getröstet und zu gegenseitiger Liebe angeleitet werden.
Man muss also Kirche wieder von der inhaltlichen Seite her bestimmen. Von dieser Warte aus ist es notwendig, dass Christen sich wieder versammeln, ihre Aufgabe und Verantwortung für die Predigt des Evangeliums wahrnehmen und die Grundlage sowie den Raum schaffen, dass das Evangelium wieder gepredigt wird und die Gemeinde sich versammeln kann. Deshalb lautet unsere wichtigste Botschaft nicht: „Treten Sie aus der Kirche aus!“ Mit dem Kirchenaustritt hat man noch keine Bekennende Gemeinde. Wir sagen allerdings: Bilden Sie unter Berufung auf das kirchliche Notrecht eine Bekennende Gemeinde. Sehen Sie darauf, dass die Kirchenleitungen nicht in diese hineinregieren, indem sie auf die Pfarrstellenbesetzung, die Predigt oder die Sakramentsverwaltung Einfluss nehmen, rechte Gemeindezucht verhindern oder den Pfarrer nach ihrem Gutdünken disziplinieren. Regeln Sie dies in einer Gemeindeordnung, die die Leitung der Gemeinde den Ältesten überträgt und die schriftgemäße Predigt und Seelsorge in der Gemeinde gewährleistet, soweit man sie menschlicherweise gewährleisten kann.
Wenn Sie als Ortsgemeinde so stark sind und Ihr Pfarrer mitzieht und dazu bereit ist, im Notfall seine Anstellung bei der Landeskirche und sein Gehalt zu riskieren, dann gelingt es vielleicht, dies in den angestammten Gemeinderäumen oder Kirchengebäuden tun; es hängt dann davon ab, wem die Räume gehören. Wenn es aber nicht möglich ist, dann suchen Sie einen anderen Raum. Kirche ist nicht an den Kirchturm gebunden. Wenn sie darüber hinaus einsehen, dass die Landeskirche nicht mehr rechte Kirche ist, dann werden Sie auch die Freiheit haben, beim Amtsgericht Ihren „Austritt“ zu erklären. Bei Gott und bei den Menschen ist die rechtliche Trennung von einer falschen Kirche kein Austritt und keine Trennung vom Leib Christi. Sie gewinnen mit der Einsparung der Kirchensteuer neue Möglichkeiten, die Bekennende Gemeinde, bei der sie wirklich „in der Kirche“ sind, finanziell zu unterstützen.
2.2. Die rechtliche Ordnung
Hinzu kommt, dass Kirche mehr ist als eine bloße Versammlung. „In der Kirche“ heißt mehr als nur in einer Versammlung zu sitzen, Gottes Wort zu hören und dann wieder nach Hause zu gehen. Kirche hat auch ihre rechtliche Gestalt. Der Rechtsakt, durch den ein Mensch Glied der sichtbaren Kirche wird, ist die recht vollzogene Taufe. Deswegen ist Kirche nur dort, wo auch im schriftgemäßen Sinn getauft wird. In ähnlicher Weise weist auch das Abendmahl diejenigen aus, die an Christus teilhaben und von ihm die Vergebung der Sünden empfangen. Schließlich wird die Kirche auch diejenigen benennen, die in ihr das Evangelium predigen und die Gemeinde leiten sollen. Diese drei Elemente – Taufe, Abendmahl und Ältesten- und Predigtamt – sind sozusagen der Grundbestand der kirchlichen Ordnung, wie er von der Bibel verfügt wird.
Dass dieser Grundbestand in einer Kirchen- oder Gemeindeordnung formuliert und dann im Gemeindeleben praktiziert wird, sollte jedem einsichtig sein. Die Kirche als Gemeinde vor Ort gewinnt damit Kontinuität, Beständigkeit und Verlässlichkeit im örtlichen und übergemeindlichen Zusammenleben. Diese Ordnung gehört zum Kirche-Sein hinzu. Sie ist die sichtbare Seite der im Heiligen Geist bestehenden Verbindung mit Christus. Sie muss freilich durch den Glauben sowie durch rechte Verkündigung und den rechten Gebrauch der Sakramente gefüllt werden. Wer aber ohne diese Ordnung Kirche haben oder in der Kirche sein will, ist im Grunde ein Schwärmer. Er meint, der Heilige Geist leite die Kirche ohne Recht, ohne Ordnung und rein aus der Eingebung heraus, die einigen Personen zuteil werde. Doch die Bibel weist uns nicht an, auf eine direkte Kommunikation mit dem Heiligen Geist zu warten oder auf solche Führergestalten zu hören. Es liegt aufgrund zahlloser Erfahrungen auf der Hand, dass es besser ist, eine an der Bibel orientierte Gemeindeordnung zu haben, die jahraus jahrein gilt, als von den Einfällen eines charismatischen Führers abhängig zu sein. So bietet das Kirchenrecht die äußere Grundlage, auf der man „in der Kirche“ ist.
3. In der Kirche
Wirklich „in der Kirche“ ist also derjenige, der in einer Gemeinde vor Ort eingebunden ist, in der Gottes Wort recht verkündigt und Taufe und Abendmahl im Sinne Christi praktiziert werden. Indem er an Jesus Christus glaubt, seinen Glauben an Christus bekennt, eine Willenserklärung abgibt, zusammen mit seinem Haus der örtlichen Gemeinde zugehören zu wollen, und das in der Gemeindeordnung formulierte Recht anerkennt, steht er wirklich in der Kirche.