Grußwort des Schriftleiters

Grußwort des Schriftleiters

Aber das Wort Gottes ist nicht gebunden.

2.Timotheus 2,9

Mit diesem kurzen Satz aus dem vermutlich letzten Brief, der uns von Paulus überliefert ist, grüße ich Sie zu dieser Ausgabe der Bekennenden Kirche. Der Mann, der dieses Schreiben verfasste, lag in Ketten. Er blickte zurück. Er zog Bilanz.

Bilanz ziehen macht man nicht täglich. Aber wenn eine Lebensphase zu Ende geht, kommt es vor, dass man Inventur macht. In gewisser Weise ist der zweite Timotheusbrief so etwas wie eine Bestandsaufnahme. Aber Paulus verfolgt damit nicht die Absicht, Timotheus oder der Nachwelt autobiographisch eine Art sentimentalen Rückblick zu geben, etwa im Sinn von „Vom Ende einer Dienstreise“. Eher ist der Brief ein Rechenschaftsablegen über seine Tätigkeit im Reich Gottes.

Dabei geht es dem Apostel darum, die Quintessenz seines Dienstes auf den Punkt zu bringen. Hierzu schreibt er: Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, den Glauben bewahrt. Von nun an liegt für mich die Krone der Gerechtigkeit bereit, die mir der Herr, der gerechte Richter, an jenem Tag zuerkennen wird, nicht aber mir allein, sondern auch allen, die seine Erscheinung liebgewonnen haben (2Tim. 4,7.8).

Eine solche Aussage kann man gewiss nicht machen, wenn man am Anfang seines Dienstes steht. In der Regel hat man dann auch noch keine Ahnung, was für Zerreißproben auf einen zukommen. Vermutlich kann man eine solche Feststellung noch nicht einmal treffen, wenn man mittendrin im Dienst steht und alle Hände voll zu tun hat.

Paulus zieht diese Bilanz am Ende seines Lebens. Er sitzt in Rom gefangen im Kerker. Seinen ersten Prozess hatte er bereits hinter sich (2Tim. 4,16.17). Der zweite steht unmittelbar bevor. Vermutlich wird er am Schluss dieser Gerichtsverhandlung sein Todesurteil vernehmen. Aber die Blickrichtung des Apostels richtet sich nicht auf die zu erwartende Hinrichtung. Stattdessen blickt er auf Folgendes: Der Herr wird mich von jedem boshaften Werk erlösen und mich in sein himmlisches Reich retten. Ihm sei die Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen (2Tim. 4,18). Statt über seine Tötung zu grübeln ist es das himmlische Reich, das er erwartet, in das hinein ihn der Herr retten wird.

Aus dieser Perspektive schreibt Paulus den 2.Timotheusbrief. Dabei legt er auf die Aspekte wert, die Timotheus für seinen eigenen Dienst nützlich sind. Der Brief ist ein persönlich-seelsorgliches Schreiben an einen im Dienst stehenden Wortverkündiger. Der traditionelle Begriff „Pastoralbrief“ also „Brief von einem Hirten an einen Hirten“ trifft genau das, worum es in diesem Schreiben geht.

Der zweite Timotheusbrief lässt an die Übergabe des Stabes während eines Staffellaufs denken: Jemand läuft eine Strecke, und dann übergibt er den Stab dem nächsten Läufer und so weiter bis zum Ziel. So ähnlich verhält es sich hier. Paulus überträgt seinen Dienst der Evangeliumsverkündigung an Timotheus.

Was diese Übertragung inhaltlich heißt, fasst der Apostel in 2.Timotheus 4,1.2 zusammen:

Daher bezeuge ich dir ernstlich vor dem Angesicht Gottes und des Herrn Jesus Christus, der Lebendige und Tote richten wird, um seiner Erscheinung und seines Reiches willen: Verkündige das Wort, tritt dafür ein, es sei gelegen oder ungelegen; überführe, tadle, ermahne mit aller Langmut und Belehrung!

2.Timotheus 4,1.2

Bitte achten wir auf die Nachdrücklichkeit, mit der Paulus den Auftrag, das Wort Gottes zu verkündigen, einleitet: Ich bezeuge ernstlich vor dem Angesicht Gottes und des Herrn Jesus Christus, der Lebendige und Tote richten wird, um seiner Erscheinung und seines Reiches willen. Timotheus, das musst du unbedingt wissen: Es ist keine Spielerei,das Wort Gottes zu verkündigen, zumal dieser Auftrag vorbehaltlos gilt, also egal ob den Hörern das Verkündigte in den Kram passt oder nicht. Das Verkündigen des Wortes Gottes hat dich ganz in Beschlag zu nehmen. Mit und durch das Wort des lebendigen Gottes überführe, tadele, ermahne [ermutige]!

Aus dieser Perspektive ist es keineswegs verwunderlich, dass ein Großteil des Briefes über das Wort Gottes handelt. Denken wir an das dritte Kapitel. Dort unterweist Paulus über die Inspiration der Heiligen Schrift. In diesem Zusammenhang weist der Apostel darauf hin, dass es unverzichtbar ist, dass die Gemeinde Gottes mit dem Wort Gottes durch die Verkündigung aus diesen Schriften versorgt wird. Nichts darf einen Verkündiger davon abhalten. Er darf nicht davon abweichen oder auch nur das Wort Gottes in den Hintergrund geraten lassen.

Wenn der Apostel dazu auffordert, das Wort der Wahrheit recht zu teilen (2Tim. 2,15), plädiert er natürlich nicht dafür, irgendwelche Aufspaltungen innerhalb des Wortes Gottes vorzunehmen. Vielmehr geht es Paulus darum, dass das Wort der Wahrheit in rechter Weise ausgeteilt wird. Möglicherweise hat Paulus einen Brotlaib oder einen Brotfladen vor Augen. Von diesem schneiden die Eltern jedem ihrer Kinder so viel ab, wie es deren jeweiliger Essensration entspricht: Die jüngeren bekommen weniger, während diejenigen, die sich in der Teenagerzeit befinden, größere Portionen benötigen.

Innerhalb all dieser nachdrücklichen Aufforderungen und eindringlichen Anweisungen, die alle in den Befehl einmünden, das Wort Gottes zu gelegener und zu ungelegener Zeit zu verkünden, finden wir die Aussage: Das Wort Gottes ist nicht gebunden oder: nicht gekettet. Indem Paulus das schreibt, hat er zwei Dinge vor Augen.

1. Das Wort Gottes bringt seinen Dienern schmerzliche Widrigkeiten

Paulus adressiert diesen Brief an Timotheus, mein geliebtes Kind (2Tim. 1,2). Wenn der Apostel hier von Kind spricht, ist das selbstverständlich geistlich zu verstehen. Aber diese Anrede veranschaulicht, was in diesem Brief geschieht.

Stellen wir uns die Situation vor, dass ein Vater seine Firma oder seinen landwirtschaftlichen Betrieb seinem Sohn übergibt. Inzwischen hat er ihm einiges beigebracht. Er hat ihn eingearbeitet. Aber wenn dann der Tag der Übergabe kommt, wird er vermutlich seinen Sohn ermutigen. Er wird ihm auf die Schulter klopfen und sagen: Du schaffst das schon! Alles halb so wild!

So ähnlich ist die Situation hier. Aber dennoch ist der Grundtenor des zweiten Timotheusbriefes ganz anders. Der Ton ist wesentlich ernster.

Zunächst erinnert Paulus Timotheus daran, wie er bereits als kleines Kind das Wort Gottes hörte: Timotheus, wie oft saßest du als kleines Kind auf dem Schoß deiner Großmutter Lois und deiner Mutter Eunike. Sie erzählten dir die biblischen Geschichten, und darin vermittelten sie dir einen ungeheuchelten Glauben (2Tim. 1,5).

Was für eine wichtige Aufgabe haben Mütter, Eltern, Großeltern für die Vermittlung des Wortes Gottes an die kommende Generation!

Dann ermahnt der Apostel seinen jungen Mitarbeiter, die Gnadengabe Gottes, die in ihm ist, anzufachen. Timotheus soll die empfangenen Gaben also nicht wie eine Flamme ersticken. Er soll sie nicht löschen: Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Furchtsamkeit gegeben, sondern der Kraft und der Liebe und der Zucht (2Tim. 1,7). Timotheus, vergiss auch in deinen schlaflosen Nächten dieses niemals: Der, der zum Dienst im Reich Gottes berufen ist, hat nicht einen Geist feiger Resignation empfangen. Darum hat er keinen Grund, in Mutlosigkeit zu versinken. Denn Gott hat ihm einen Geist der Kraft, der Liebe und der Zucht [Besonnenheit] geschenkt (2Tim. 1,7).

Aber das heißt nicht, dass der Diener Gottes nun emotional abheben kann, so als sei er über jede Anfechtung erhaben. Darum folgt gleich im Anschluss daran die Aufforderung: So schäme dich nun nicht des Zeugnisses von unserem Herrn, auch nicht meinetwegen, der ich sein Gefangener bin, sondern leide mit für das Evangelium in der Kraft Gottes! (2Tim. 1,8).

Entsprechende Aufforderungen und Aussagen durchziehen den gesamten weiteren Brief: Du nun erdulde die Widrigkeiten als ein guter Streiter Jesu Christi! (2Tim. 2,3). Alle aber, die gottesfürchtig leben wollen in Christus Jesus, werden Verfolgung erleiden (2Tim. 3,12) usw.. Immer wieder bekommt Timotheus zu hören: Weiche den Spannungen, den Widerständen, den Leiden, die im Zusammenhang mit dem Dienst für Gott auftreten, nicht aus! Laufe nicht vor den Umständen weg, die aufgrund deiner Berufung auf dich zukommen werden.

Vermutlich würde heutzutage jeder Psychologe und jeder Personalberater dem Apostel bescheinigen: Paulus, was du hier schreibst, ist pädagogisch und psychologisch völlig daneben. Du solltest motivierend wirken. Du solltest eine positive Stimmung verbreiten! Aber das tut Paulus nun ganz und gar nicht, jedenfalls nicht so eindimensional. Der Apostel hat es auch nicht nötig, gehaltlose, wenn auch glitzernde Phrasen auszugeben. Stattdessen spricht er offen und wie selbstverständlich die Widrigkeiten an, die ihm selbst begegnet sind.

Da waren zunächst die Enttäuschungen vonseiten der Christen, ja ganzer Gemeinden. Paulus erwähnt die Gemeinden in Kleinasien: Du weißt ja, dass sich von mir alle abgewandt haben, die in der Provinz Asia sind (2Tim. 1,15). Es steht nicht dort, dass die dortigen Gemeinden, wie zum Beispiel die Gemeinde in Ephesus, sich vom Evangelium abgewandt hatten. Aber die Christen hatten sich von Paulus distanziert. Sie wollten nichts mit jemandem zu tun haben, der sich in Rom im Kerker befand. Die Anklage gegen ihn lautete auf Staatsverbrechen. Da erschien es ratsam, so zu tun, als kenne man diesen Mann nicht, und wenn man seinetwegen vorgeladen und befragt würde, dann war die verabredete Sprachregelung gegenüber den Behörden: Ich habe wohl mal von ihm gehört, aber nur ganz flüchtig…

Gegen Ende seines Briefes kommt Paulus auf diesen Umstand noch einmal zu sprechen: Bei meiner ersten Verantwortung stand mir niemand bei, sondern alle verließen mich… (2Tim. 4,16). Einmal angenommen, man würde so mit uns umgehen, normalerweise würde es bei uns Missmut und Frust auslösen: Ist das der Dank für all die Opfer, die ich für euch gebracht habe? Jetzt, da ich euch einmal benötigen würde, lasst ihr mich im Stich … Aber wie fährt Paulus fort: Es werde ihnen nicht angerechnet (2Tim. 4,16).

Das aber waren lediglich die Enttäuschungen, die Paulus von Christen einstecken musste. Hinzu kam das, was ihm die Nichtchristen zufügten. In Kapitel 3,11 erinnert der Apostel den Timotheus an die Verfolgungen und an die Leiden, wie sie mir in Antiochia, in Ikonium und Lystra widerfahren sind.

Diese Orte erinnern an die Heimat des Timotheus. Aus dieser Gegend stammte er. Damals, in der ersten Zeit ihrer Zusammenarbeit, waren es die Juden, von denen die Anfeindungen gegen die Verkündigung des Evangeliums ausgingen: Timotheus, erinnerst du dich noch daran? Schon damals begann es mit den Nachstellungen, und sie hörten nie auf: Einmal wurden sie von den Juden initiiert, dann vom heidnischen Mob und dann von den römischen Behörden.

Wenn Paulus seinen Dienst auf den Punkt bringt, dann fasst er ihn folgendermaßen zusammen: Ich bin eingesetzt als Verkündiger, Apostel und Lehrer für die Heiden. Aus diesem Grund erleide ich dies (2Tim. 1,11.12a). Aber dabei betont er unverrückbar: Aber ich schäme mich nicht, denn ich weiß, an wen ich glaube.

Bei Paulus sah das konkret so aus, dass er nunmehr in Rom im Kerker wie ein Übeltäter in Ketten lag (2Tim. 2,9). Der Begriff, der im Griechischen hier für Übeltäter steht, ist dasselbe Wort, das einst die Ankläger und Verleumder im Blick auf Jesus Christus verwendet hatten (Lk. 23,32). Der Begriff Übeltäter hat einen politischen Beiklang. Er enthält die Anklage: Paulus, du bist ein Staatsverbrecher, ein Revolutionär, ein Hochverräter.

Aus diesem Grund wurde er in die Hauptstadt deportiert. Nun befand er sich in Rom, in einem dunklen Verlies: gekettet. Möglicherweise war er sogar an einen römischen Soldaten gefesselt. Das kam vor.

Niemand von uns möchte Tag und Nacht auch nur an seinen besten oder engsten Freund gebunden sein. Denn dann kann man ohne den, an den man gefesselt ist, absolut nichts machen. Wie viel weniger ist es wünschenswert, an einen römischen Soldaten gefesselt zu sein und in jeder Hinsicht von dessen Wohlwollen abhängig zu sein. Aber genau das schien die Situation des Paulus zu sein: in dessen Dienst ich Leiden erdulde, sogar Ketten wie ein Übeltäter (2Tim. 2,9).

Für Timotheus war es sicher keine Ermutigung, eine solche Mitteilung schwarz auf weiß zu lesen. Wer will so etwas schon wissen? Entsprechend muss es auch Timotheus ergangen sein, einem Mann, von dem wir ja nicht den Eindruck bekommen, dass er sich charakterlich durch Furchtlosigkeit und Forschheit ausgezeichnet hat. Doch unmittelbar danach lesen wir: Aber das Wort Gottes ist nicht gebunden.

2. Das Wort Gottes triumphiert gegen jede Widrigkeit (2Tim. 2,9b)

Bitte achten wir darauf, dass dieser kurze Satz mit einem aber beginnt: Aber das Wort Gottes ist nicht gebunden. Damit zieht Paulus eine Grenzlinie. Er unterscheidet zwei Bereiche: Auch wenn der Diener des Wortes Gottes ins Abseits gestellt worden ist, heißt das nicht, dass damit die Botschaft des Evangeliums ebenfalls ausgeschaltet wurde.

In dem Vers unmittelbar davor hatte Paulus Timotheus angewiesen: Halte im Gedächtnis Jesus Christus, aus dem Samen Davids, der aus den Toten auferstanden ist nach meinem Evangelium (2Tim. 2,8). Bevor also der Apostel erwähnt, dass er selbst wie ein Übeltäter, wie ein Schwerverbrecher in Ketten liegt, und er betont, dass das Wort Gottes nicht gebunden ist, ruft er Timotheus die Auferstehung Christi aus den Toten in Erinnerung.

Damit sollen wir auf etwas aufmerksam gemacht werden: Timotheus, führe dir einmal deinen Herrn und Heiland vor Augen! Bei ihm verhielt es sich entsprechend: Als er gekreuzigt wurde, starb und dann in ein Grab gelegt wurde, schien alles vorbei zu sein. Alle Umstände schienen das eine zu verkünden: Jesus ist total gescheitert. Dann wurde er unter viel Weinen und Klagen vom Kreuz abgehängt und ins Grab gelegt. Die Gewürze, die den Todesgeruch überdecken sollten, durften dabei natürlich nicht fehlen.

Aber es schien nur das Ende zu sein. Bei dem Sohn Gottes war der Tod eben nicht das Letzte. Bereits drei Tage später sah die Lage vollkommen anders aus. Timotheus, vergiss in deinem Dienst niemals die Auferstehung Christi aus den Toten: Halte das im Gedächtnis.

Wenn Paulus hier seinen Finger auf dieses Geschehen legt, geht es ihm nicht nur darum, dass die vor 2000 Jahren erfolgte Auferstehung Christi der Dreh- und Angelpunkt des Evangeliums ist. Das ist die leibliche Auferstehung des Sohnes Gottes selbstverständlich auch. Aber es geht dem Apostel um Folgendes: Timotheus, wenn du meinst, dass sich niemand mehr um das Wort der Wahrheit schert, wenn dich der Gedanke überfällt, dass das Evangelium gescheitert ist, zumal der Diener dieses Wortes in Ketten liegt, dann möge dir die Auferstehung Christi aus den Toten als Modell dafür dienen, was immer wieder in dieser Welt zu beobachten ist: Auch wenn die Diener angekettet sind, das Wort Gottes ist nicht angekettet. Vielmehr zerreißt es alle Widerstände und bricht durch alle Widrigkeiten hindurch.

Genauso wenig wie der Sohn Gottes vom Grab gehalten werden konnte, kann das Wort Gottes von den Mächten dieser Welt unterdrückt oder einfach abgetan werden.

Denken wir an die Zeit, als der Prophet Jeremia das Wort Gottes verkündigte. Es waren die Jahre unmittelbar vor der Verschleppung des Volkes Gottes in die Babylonische Gefangenschaft. Niemand wollte mehr zuhören. Jeremia rief in taube Ohren: O Land, Land, Land, höre das Wort des Herrn! (Jer. 22,29). Aber niemand scherte sich um das Wort Gottes. Schon gar nicht das Königshaus. Als die Hofleute dann wegen der Botschaft des Propheten doch irgendwie verunsichert wurden, machten sie den König Jojakim darauf aufmerksam, dass der Prophet Jeremia das Wort Gottes unter dem Volk verkündete. Sie brachten dem König die Schriftrolle Jeremias.

Es war Winter. Der König saß am Kaminfeuer. Er wärmte sich. Er ließ sich die Rolle vorlesen. Immer wenn er sich eine Kolumne angehört hatte, nahm er ein Messer, schnitt den Teil ab und warf ihn ins Feuer. War damit also alles aus und vorbei? Nein. Jeremia beauftragte Baruch, das ihm von Gott Geoffenbarte erneut aufzuschreiben. Das ist uns bis zum heutigen Tag erhalten. Aber wer kennt heutzutage noch den politischen Machthaber namens Jojakim?

Nach der Babylonischen Gefangenschaft kehrten nur verhältnismäßig wenige der Juden nach Jerusalem zurück. Als sie in der Stadt ankamen, wurden sie entmutigt: Jerusalem war ein Trümmerhaufen. Dann fassten sie den Entschluss, das Haus Gottes zu bauen. Aber sehr bald erschienen ihnen die Hindernisse zu gewaltig. Als die ersten Intrigen gegen sie aufkamen – wir erfahren davon in Esra 4 –, waren diese Anfeindungen für die Heimgekehrten ein vortreffliches Argument, um mit dem Bau aufzuhören: Es habe sowieso keinen Zweck. Außerdem müsse man sich ja auch dem Bau seines eigenen Hauses widmen, sich also um sich selbst kümmern, zumal auch die Ernteerträge nicht so waren, wie man diese erwartet hatte (Hag. 1,2–11). Doch Gott erweckte das Herz einiger Männer, unter anderem von Haggai und Sacharja. Diese beiden Propheten riefen das Volk Gottes auf, endlich die richtigen Prioritäten in ihrem Leben zu setzen: Fangt wieder an, den Tempel zu bauen (Esr. 5,1; Hag. 1,12–15).

Der eine von ihnen, Haggai, verkündete unter anderem Folgendes: Das Wort, aufgrund dessen ich mit euch einen Bund gemacht habe, als ihr aus Ägypten zogt, und mein Geist sollen in eurer Mitte bleiben. Fürchtet euch nicht! (Hag. 2,5). Gottes Wort hat Bestand, es bleibt fest, und es dringt durch, egal wie widrig die äußeren Umstände sind. Das Wort Gottes bricht hindurch, auch durch alle Trägheiten und Lauheiten der Menschen.

Der Prophet Sacharja stimmte wenig später in diese Botschaft ein, und er konnte dem Volk die Verheißung geben: Das ist das Wort des Herrn…: Nicht durch Heer und Kraft, sondern durch meinen Geist! (Sach. 4,6). Auch wenn Menschen versagen, müde und erschöpft werden, Gottes geistgewirktes Wort bleibt bestehen, es ist nicht gebunden.

Dass das Wort Gottes nicht gebunden werden kann, ist eine Erkenntnis, die Paulus im Lauf seines Lebens geschenkt worden war. Er hatte diese Einsicht nicht von Anfang an. Aber sie wurde ihm immer mehr zur Gewissheit, sodass sie seinen Blick machtvoll zu dem allmächtigen Gott emporlenkte, über alles Trübe, über alles Dunkle hinaus, über all das, was ihn niederzudrücken drohte.

Einst verfolgte Saulus die Christen. Das erste Mal lesen wir von ihm bei der Steinigung des Stephanus. Voller Hass und Wut hatte der Hohe Rat Stephanus aus dem Gerichtssaal gezerrt. Man umzingelte ihn, und dann trafen den Märtyrer die tödlichen Steinbrocken. Er hatte im Sanhedrin das Wort Gottes verkündet. Nun kniete er inmitten einer aufgepeitschten Menschenmasse und betete mit lauter Stimme: Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an (Apg. 7,60).

Es heißt gleich darauf: Saul stand dabei. Dieser Mann bekam also alles mit. Aber er ließ sich von dem Gebet des Stephanus nicht beeindrucken. Im Gegenteil. Gleich im Anschluss daran lesen wir: Saulus aber verwüstete die Gemeinde, drang überall in die Häuser ein, schleppte Männer und Frauen fort und brachte sie ins Gefängnis (Apg. 8,3). Später bekannte er: und wenn sie [die Christen] getötet werden sollten, gab ich meine Stimme dazu (Apg. 26,10). Aber welchen Effekt hatten alle diese von Saulus initiierten Verfolgungen? Die Christen wurden zerstreut. Doch damit wurde das Wort Gottes über die Grenzen Jerusalems hinaus verbreitet. Das Wort Gottes lief durch ganz Judäa und Samaria (Apg. 8,1.4ff). Christen wurden gejagt, gefangen genommen und ermordet. Aber das Wort Gottes lief weiter.

Doch Saulus selbst wurde dadurch in seinem Hass gegen die Christen nur umso mehr angestachelt. Inzwischen, so musste er feststellen, war das Evangelium bis nach Damaskus gelangt. Seine Reaktion: Dann will ich die Christen eben auch in dieser Stadt aufspüren und ausrotten. Wir lesen: Saulus aber, der noch Drohung und Mord schnaubte gegen die Jünger des Herrn, wandte sich an den Hohepriester (Apg. 9,1). Von dieser Behörde erhielt er die entsprechenden Vollmachten und Unterlagen, zumal ja alles seine höchstrichterliche Ordnung haben musste.

Was dann vor den Toren von Damaskus geschah, ist bekannt: Saulus, Saulus, was verfolgst du mich? Gott nahm ausgerechnet den Mann in Beschlag, der sich wie kein zweiter für die Ausrottung des Evangeliums eingesetzt hatte, damit er das Wort Gottes weit über die Grenzen Israels hinausträgt.

Als Paulus den zweiten Timotheusbrief schrieb, lag er selbst im Gefängnis. Er war wie ein gefährliches Tier angekettet, mitten im Dreck zwischen Läusen und Flöhen. Ratten raschelten da sicher auch noch im Stroh herum. Trotzdem kann er triumphierend das bezeugen, von dem er erfasst ist: Das Wort Gottes lässt sich nicht aufhalten. Es ist nicht angekettet.

Paulus hat dabei seine eigene Situation vor Augen. Aufgrund seines Prozesses konnte das Evangelium am römischen Hof verbreitet werden:

Bei meiner ersten Verteidigung stand mir niemand bei, sondern alle verließen mich. Es werde ihnen nicht angerechnet! Der Herr aber stand mir bei und stärkte mich, damit durch mich die Verkündigung völlig ausgerichtet würde und alle Heiden sie hören könnten… .

2Tim. 4,17

Es heißt dann weiter: … und so wurde ich erlöst aus dem Rachen des Löwen. (2Tim. 4,17). Rachen des Löwen… Mit dieser wenig schmeichelhaften Bezeichnung urteilt Paulus über die Richter in Rom und deren Prozessführung. Aber sei es drum: Weder aus dem Gerichtssaal noch aus der Kerkerzelle, in der Paulus lag, konnte jemand hinausgehen, ohne das Evangelium gehört zu haben. Durch keine Kette der Welt ist das Wort Gottes zu behindern.

Der Blick des Paulus geht weiter. Es gibt jetzt Mitarbeiter, die inzwischen unterwegs sind. Als erster ist natürlich Timotheus zu nennen, an den dieser Brief gerichtet ist. Aber er ist nicht der einzige. Paulus erwähnt weitere. Da ist Crescens, der nach Galatien gegangen ist; Titus wurde nach Dalmatien gesandt, also in eine Gegend, in die Paulus selbst nie gekommen war (2Tim. 4,10); Tychikus hatte als Reiseziel Ephesus (2Tim. 4,12), also die Gemeinde, die von Paulus nichts mehr wissen wollte.

Auch bei seinen Mitarbeitern war keineswegs alles ohne Enttäuschungen abgelaufen: Da war Demas. Von diesem Mann musste Paulus schreiben, dass er die jetzige Weltzeit liebgewonnen hat und also aus dem Dienst für das Reich Gottes ausgeschert war (2Tim. 4,10).

Andererseits aber hatte Paulus jemanden als Mitarbeiter wiedergefunden, den er eigentlich schon abgeschrieben hatte. Es war Johannes Markus. Dieser junge Mann hatte auf der ersten Missionsreise Barnabas und Paulus begleitet. Aber dann verließ Markus die beiden im Bergland Kleinasiens. In dieser Gegend gab es große Sumpfgebiete mit unzähligen Schwärmen lästiger Malariamücken. Eines Tages hatte Johannes Markus genug davon: Das mache ich nicht mehr länger mit! Er ging zurück nach Jerusalem (Apg. 13,5.13). Paulus hatte auf diese Desertation sehr sauer reagiert. Als die Frage aufkam, wer auf die zweite Missionsreise mitkommen solle, lehnte Paulus es strikt ab, Johannes Markus noch einmal mitzunehmen (Apg. 15,36–40). Aber hier im zweiten Timotheusbrief schreibt Paulus: Markus ist mir nützlich zum Dienst (2Tim. 4,11). Der Apostel hatte offenbar gelernt, Menschen nicht zu schnell abzuschreiben und ihnen eine zweite Chance zu geben.

Wenn wir uns in der Gegenwart umhören, ist es nicht schwer, festzustellen, dass in der Öffentlichkeit die Heilige Schrift verlästert, verspottet oder ganz einfach ignoriert wird. Wahrscheinlich ist es in der Gegenwart sogar noch schlimmer als zu Zeiten Jeremias: Seit über zweihundert Jahren wird an deutschen theologischen Fakultäten die Heilige Schrift durch die sogenannte historische Kritik in Stücke („Quellen“) zerrissen. In unserem Land und weit darüber hinaus hat sich das verheerend ausgewirkt, und es wirkt sich noch stets katastrophal aus.

Wenn wir um uns herum blicken, hat es den Anschein, als ob das Wort Gottes dem Verschwinden wesentlich näher ist als dem Überleben. Hinzu kommt in der Öffentlichkeit nach wie vor ein materialistisches, darwinistisches Weltbild, das sich den Anschein von Wissenschaftlichkeit gibt. In dieser Denkweise kommt ein persönlicher Gott nicht vor.

Es könnte einem angst und bange werden bei der Frage: Wie erreichen wir die Menschen mit dem Evangelium, die von solchen Irrgedanken vergiftet sind?

Im Mittleren Osten, so hat es den Anschein, werden momentan die Christen völlig vertrieben, sodass aus diesen Regionen die letzten christlichen Gemeinden vollkommen verschwinden, während in unseren Breiten der Islam sich immer weiter ausbreitet.

Aber das ist eben nur die eine Seite. Gleichzeitig hat sich gerade in den letzten zweieinhalb Jahrhunderten das Wort Gottes weltweit verbreitet. Noch nie ist das Wort Gottes in so viele Sprachen übersetzt worden wie heute.

Als ich zur Schule ging, war die Chinesische Kulturrevolution in vollem Gang. Mao Tse-tung verlangte, alle Religionen, namentlich der christliche Glaube seien radikal auszulöschen. Und heute? Die Unterdrückung der Christen in China ist nicht vorbei. Aber nirgendwo wachsen die christlichen Gemeinden so schnell wie in Fernost. Gottes Wort lässt sich nicht fesseln.

Wenn man beim Lesen der Apostelgeschichte an deren Schluss kommt, kann man den Eindruck bekommen, dass diese biblische Schrift sehr abrupt endet. Man will gerne noch viel mehr wissen: Wie ging es mit Paulus weiter? War er noch in Spanien?

Aber haben wir schon einmal darauf geachtet, wie die Apostelgeschichte endet? Der Schluss ist zweifellos abrupt. Aber das allerletzte Wort der Apostelgeschichte lautet: ungehindert. Paulus befand sich zu jener Zeit in einer Art Untersuchungshaft. Aber er war bereits unter Arrest gestellt. Trotzdem heißt es: Paulus verkündigte das Reich Gottes und lehrte von dem Herrn Jesus Christus mit aller Freimütigkeit und ungehindert. „Ungehindert“… das ist das letzte Wort der Apostelgeschichte. Das reicht angesichts aller scheinbaren Widerwärtigkeiten aus. Nein, das Wort Gottes ist nicht gebunden.

Wir wollen dieses Wort auch als ein Verheißungswort für die weitere Arbeit der Bekennenden Kirche nehmen. Der Vorstand des Vereins für Reformatorische Publizistik, also der Herausgeber der Bekennenden Kirche, hat mir kürzlich die Bitte gewährt und mich von der Schriftleitung entbunden. Ich hatte dies bereits auf einer Sitzung vor über einem Jahr erbeten.

Wenn Gott mir die Kraft schenkt, werde ich weiterhin Artikel schreiben und auch im Lektorat mitarbeiten. Aber diese Arbeiten erfolgen von nun an aus der zweiten Reihe.

An dieser Stelle danke ich dem Vorstand sehr für die hervorragende vertrauensvolle Zusammenarbeit und für alle Geduld und Nachsicht mit mir während meiner 15-jährigen Tätigkeit als Schriftleiter.

Es ist mir eine große Freude zu sehen, wie inzwischen mehrere jüngere Brüder in die unterschiedlichen Arbeitszweige eingestiegen sind und dort ihre Aufgaben zuverlässig verrichten.

Für die Schriftleitung hat der Vorstand einstimmig den Beschluss gefasst, ab der nächsten Ausgabe Jochen Klautke mit dieser Aufgabe zu betrauen. Ich wünsche meinem Sohn von ganzem Herzen Gottes Segen und viel Weisheit beim Verfassen, Zusammenstellen und Redigieren der Artikel. Es ist mein Gebet zu Gott dem Allmächtigen, dass in Zukunft die Bekennende Kirche für ihre Leser ein Segen ist.

Ihr

Jürgen-Burkhard Klautke.