Denn dieses Verwesliche muss Unverweslichkeit anziehen, und dieses Sterbliche muss Unsterblichkeit anziehen. Wenn aber dieses Verwesliche Unverweslichkeit anziehen und dieses Sterbliche Unsterblichkeit anziehen wird, dann wird das Wort erfüllt werden, das geschrieben steht: „Der Tod ist verschlungen in Sieg! Tod, wo ist dein Stachel? Totenreich, wo ist dein Sieg?“ Der Stachel des Todes aber ist die Sünde, die Kraft der Sünde aber ist das Gesetz. Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unseren Herrn Jesus Christus! Darum, meine geliebten Brüder, seid fest, unerschütterlich, nehmt immer zu in dem Werk des Herrn, weil ihr wisst, dass eure Arbeit nicht vergeblich ist im Herrn!
1.Korinther 15,53–58
Sterben und Tod angesichts des Evangeliums von der Auferstehung
Mit diesen Versen, die das Auferstehungskapitel (1Kor. 15) abschließen, grüße ich Sie zu dieser Ausgabe der Bekennenden Kirche.
Während Sie dieses Heft in den Händen halten, ist die Zeit, in der wir in besonderer Weise an das Sterben und an die leibliche Auferstehung Christi denken, schon wieder vorbei. Entscheidend aber ist ohnehin, dass das, was vor rund 2000 Jahren vor den Toren Jerusalems geschah, Auswirkungen für uns hat, und zwar sowohl im Blick auf die Ewigkeit als auch im Blick auf unser irdisches Leben.
Dreimal ist in dem oben zitierten Abschnitt von Sieg die Rede. Diese Verse sind also von einem triumphierenden Grundton getragen.
Paulus steht hier in Auseinandersetzung mit Skeptikern. In der Gemeinde von Korinth waren Leute aufgetreten, die die Auferstehung des Leibes in Frage stellten. Der Apostel ist in seiner Erwiderung unmissverständlich: Angenommen es gäbe keine Auferstehung des Leibes, wäre auch Christus nicht auferstanden. Dann aber wäre Paulus als großer Betrüger entlarvt, und das von ihm verkündete Evangelium wäre nicht eine Kraft zur Rettung für die, die glauben: Der christliche Glaube wäre eine Illusion. Das Evangelium wäre nichts anderes als eine Farce (1Kor. 15,1–19).
Vermutlich waren die Zweifler an der Auferstehung von einer hellenistisch-gnostischen Wirklichkeitsauffassung bestimmt: Alles, was mit unserer Leiblichkeit zusammenhängt, schätzten sie gering.
Auch heutzutage gibt es nicht wenige unter uns, die wegen der Botschaft von der leiblichen Auferstehung verunsichert sind oder diese sogar in Zweifel ziehen. In der Regel steckt heute ein auf das Diesseits fixiertes, sagen wir ein materialistisches Wirklichkeitsverständnis dahinter.
Aber wir können auch unvermittelt verunsichert werden. Zum Beispiel, wenn wir im Briefkasten die Traueranzeige eines uns nahestehenden Menschen finden. Oder wir stehen zusammen mit anderen Gemeindegliedern an der offenen Gruft eines heimgegangenen Mitglieds unserer Gemeinde. Zweifellos fällt es niemandem leicht, in ein offenes Grab zu blicken, in das der Sarg eines uns teuren Menschen hinabgelassen wird, zumal gerade in solchen Momenten die eigene Vergänglichkeit in unser Bewusstsein tritt.
Manche Christen meiden sogar deswegen Beerdigungen. Oder wenn sie an solchen Veranstaltungen teilnehmen, werden sie innerlich gelähmt. Sie verstummen oder verhalten sich zumindest kleinlaut. Anstatt in solchen Situationen den vom Trennungsschmerz besonders betroffenen Glaubensgeschwistern ihre Anteilnahme und den Sieg Christi über den Tod zu bezeugen, finden sie kaum Worte des Trostes. Dann hat es den Anschein, dass im Anblick des Friedhofs der christliche Glaube geradezu vom Tod verschluckt wird.
Der Tod in der Sicht der Ungläubigen: Flucht, Verharmlosung und ohnmächtige Revolte
Wenige Verse vor dem oben angeführten Abschnitt fasst der Apostel zusammen, wie diejenigen, die keine Hoffnung haben, also die Ungläubigen, mit dem Tod umgehen. Aus Unkenntnis über Gott leben sie nach der Devise: Lasst und essen und trinken, denn morgen sind wir tot (1Kor. 15,32).
Paulus greift damit einen Ausspruch aus dem Propheten Jesaja auf (Jes. 22,13). Rund siebenhundert Jahre zuvor hatten sich ausländische Feinde aufgemacht, in das Gebiet einzufallen, das Gott dem Volk Israel gegeben hatte. Es waren die Assyrer. Ihnen eilte der Ruf voraus, so ziemlich alles, was sich ihnen entgegenstellte, rücksichtslos niederzumetzeln. Diese Invasion war für das Volk Israel ein von Gott verordnetes Gericht.
Aber anstatt noch in letzter Minute zu Gott und zu seinen Geboten umzukehren, hatten sie in ihrer Gottlosigkeit innerlich resigniert. Angesichts ihres bevorstehenden Untergangs hatten sie ihr Leben schon weggeworfen und abgeschrieben. Ihnen fiel nichts Anderes mehr ein, als sich noch ein paar Tage zu vergnügen.
Täusche ich mich, wenn ich sage, dass es sich gegenwärtig in unserer Gesellschaft nicht viel anders verhält? Ohne Beachtung moralischer Normen, ohne Rücksicht auf die ökonomischen Konsequenzen verbringen nicht wenige unserer Zeitgenossen ihre Tage wie ein Tanz auf einem brodelnden Vulkan.
Für ihr restliches Leben sehen sie den Sinn allein darin, noch einmal kräftig auf den Putz zu hauen. Der einzige Lebenszweck, den sie kennen, scheint hemmungslose Genusssucht zu sein: Spaß zu haben bis zum Ende, zumal sie glauben wollen, ihre Lebensleistungen würden sich sowieso in das Nichts auflösen. Von Gott und seinem Gericht wissen sie nichts. Die „Gesundheit“ erscheint ihnen als höchster Wert, und nicht wenige tummeln sich auf dieser Werteskala, indem sie sich bestimmen lassen von „Anti-Aging“-Idealen oder Leitgedanken wie „Forever young“.
Da trifft es sich vortrefflich, dass gewissermaßen strukturbedingt das Sterben und der Tod aus unserem Alltag ausgelagert sind. Man stirbt heute nur noch selten zu Hause, im Kreis der eigenen Angehörigen, sondern das geschieht gegenwärtig anonym im Pflegeheim, im Hospiz oder im Krankenhaus.
Auf diese Weise kann für den gedankenlosen Zeitgenossen der Eindruck entstehen, der Tod sei nichts anderes als eine Unterbrechung oder eine Störung des sich im Diesseits erschöpfenden Lebensrhythmus.
Diese Einstellung kann sich mit der Überzeugung verbinden, der Tod gehöre zum Leben, und man habe sich mit dem von Natur Unvermeidlichen abzufinden. Dann kann es sogar sein, dass man anfängt, seine Witzchen über den Tod zu reißen, ähnlich wie der amalekitische Fürst Agag, der angesichts seines Todes(urteils) höhnisch ausrief: Fürwahr, die Bitterkeit des Todes ist gewichen (1Sam. 15,32.33). Man kann in diesem Zusammenhang auch an die Frotzelei des amerikanischen Filmregisseurs Woody Allen denken: „Ich habe keine Angst vor dem Tod, aber ich möchte nicht dabei sein, wenn es soweit ist.“[1]
Der Sieg Christi über den Tod: Trost im Sterben
Gelegentlich aber drehen Ungläubige den Spieß um. Dann kreiden sie den Christen an, gerade sie seien es doch, die mit dem Tod leichtfertig umgehen: Schließlich würden Christen bezeugen, dass sie nicht einer naturalistisch-diesseitigen Lebenseinstellung verpflichtet seien. Vielmehr würden doch die Christen behaupten, sie hätten eine Perspektive über den Tod hinaus. Von daher würden sie das Sterben und den Tod bagatellisieren.
Der Ausruf, Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unseren Herrn Jesus Christus (1Kor. 15,57) könne doch gar nicht anders verstanden werden, als dass das Neue Testament den Tod herunterspielt, jedenfalls nicht ernst nimmt.
Haben diese Kritiker Recht? Was ist eigentlich die für einen Christen angemessene Einstellung zu dem am Kreuz von Golgatha besiegten Tyrannen des Schreckens?
Tatsache ist: Obwohl Jesus Christus den Tod durch sein Sterben und durch seine Auferstehung überwunden hat, verursacht ein Todesfall in der Regel viel Betrübnis, Kummer, Leid, Schmerz und Trauer, auch bei Christen.
Um eine Antwort auf die Frage zu erhalten, was die angemessene Weise ist, in der Christen mit dem Tod umgehen sollen, mag zunächst ein Blick in zurückliegende Zeitepochen hilfreich sein.
Beginnen wir mit dem Mittelalter. In jener Zeit hatte sich geradezu eine „Kunst des Sterbens“ (ars moriendi) entwickelt. Man schulte Seelsorger, den Schwerstkranken und Sterbenden auf der letzten Wegstrecke geistlich beizustehen. Sie wurden darin ausgebildet, Todkranken die Beichte abzunehmen und sie auf das Fegefeuer vorzubereiten. Wer eine solche Aufgabe übernehme, so die mittelalterliche römisch-katholische Lehre, leiste ein verdienstvolles Werk der Barmherzigkeit.
Indem Gott es den Reformatoren schenkte, das Evangelium von Jesus Christus neu zu erkennen, durften sie auch eine grundlegend andere Haltung zum Sterben finden. Zunächst einmal richteten sie ihre Botschaft nicht mehr (vorrangig) an die Sterbebegleiter, sondern sie wandten sich mit dem Evangelium direkt an die Sterbenden. Ihnen verkündeten sie das in Jesus Christus vollbrachte Heil: Weil Jesus Christus ein für alle Mal am Kreuz deine Schuld und deine Ungerechtigkeiten getragen hat, brauchst du nicht mehr selbst dafür zu büßen. Im Vertrauen auf das Heilswerk Christi darfst du getrost sterben. Aus diesem Grund braucht dir nicht mehr vor einem Fegefeuer zu grauen, und du darfst ohne Angst vor dem Jüngsten Gericht zu deinem Heiland „heimgehen“. Der Zorn des heiligen Gottes und sein gerechtes Verdammungsurteil, das du aufgrund deiner Ungerechtigkeiten verdient hast, hat Jesus Christus, der Sohn Gottes an deiner Stelle für dich auf sich genommen. So predigte es Martin Luther. So predigten es die ihm folgenden Reformatoren.
Nicht anders lehrt es der Heidelberger Katechismus. Gleich zu Beginn heißt es, dass dein einziger Trost im Leben und im Sterben Jesus Christus und sein Heilswerk ist.
Der Liederdichter Paul Gerhardt legte dem sich im Todeskampf befindenden Gläubigen das Gebet in den Mund: „Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir; wenn ich den Tod soll leiden, so tritt du dann herfür; wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein, so reiß mich aus den Ängsten kraft deiner Angst und Pein.“ Und dann weiter: „Erscheine mir zum Schilde, zum Trost in meinem Tod, und lass mich sehn dein Bilde in deiner Kreuzesnot. Da will ich nach dir blicken, da will ich glaubensvoll dich fest an mein Herz drücken. Wer so stirbt, der stirbt wohl.“
Es fällt auf, dass diese Zeugnisse keinen schwärmerischen Klang haben. Sie wollen niemanden angesichts des Todes in eine überspannte Verzückung versetzen. Aber sie vertreiben Trübsinn, Angst und Schwermut. Formulierungen wie „Herausreißen aus den Ängsten“ lenken den Glaubensblick auf den Todes- und Satansüberwinder Jesus Christus, auf den Fürsten des Lebens.
Diese Aussagen aus der Zeit der Reformation sind in Worten der Heiligen Schrift verankert. Man denke zum Beispiel an das Bekenntnis: Und wenn ich auch wanderte durch das Tal des Todesschattens, so fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab die trösten mich (Ps. 23,4). Oder erinnern wir uns an Hiob, der in der Asche saß, während er seine ätzenden Geschwüre aufkratzte und dann in Glaubensgewissheit ausrief: Ich weiß, dass mein Erlöser lebt! (Hi. 19,25). Damit war Hiobs Leidenssituation nicht weg. Aber er fixierte sich nicht auf sie, sondern er richtete seinen Blick auf seinen Erretter. Vergessen wir in diesem Zusammenhang auch nicht das, was Paulus aus dem Kerker an die Philipper schrieb: Denn für mich ist Christus das Leben und Sterben Gewinn (Phil. 1,21).
Kurzum: Wenn uns selbst angesichts der scheinbar übermächtigen Sprache des Friedhofs glaubensstärkende und hoffnungsfrohe Worte fehlen, dürfen wir uns an solche Aussagen halten. Wenn wir nicht wissen, wie wir einen in seiner Trauer seelisch Betäubten aus seinem Loch herausholen können, habe ich es immer wieder als eine mächtige Hilfe erfahren, auf Worte zurückgreifen zu dürfen, die Gott uns in seinem wunderbaren, wahrhaftigen Wort schenkt.
Der Tod ist verschlungen, aber nicht in Bagatellisierung, sondern in den Sieg Christi
Aber damit ist die Frage noch nicht beantwortet: Klingt der Ausspruch des Apostels Paulus, nach der der Tod in den Sieg verschlungen ist, nicht doch reichlich triumphalistisch? Wird hier der Tod nicht geradezu verharmlost?
Zunächst einmal sollten wir im Sinn behalten, dass der Apostel sich hier mit Zweiflern konfrontiert. Im Kern geht es um die Frage, ob Christus am Kreuz tatsächlich den Tod überwunden hat und nach drei Tagen leiblich auferstanden ist. Die Botschaft des Apostels an diese Leute ist deutlich: Christus ist leiblich auferstanden, und es ist unter keinen Umständen möglich, dass ein Christ die Hoffnung auf die Auferstehung bzw. auf die Verwandlung seines Leibes ignoriert oder gar verschmäht (1Kor. 15,51.52): Vielmehr ist der Triumph Christi am Kreuz und dann seine leibliche Auferstehung der Dreh- und Angelpunkt des christlichen Glaubens.
Kurz zuvor war Paulus auf die Frage eingegangen, mit was für einem Auferstehungsleib man denn eigentlich auferstehen werde. Seine Kurzantwort darauf lautet: Du Tor! (1Kor. 15,35.36). Natürlich wollte Paulus mit dieser Antwort nicht den zukünftigen Auferstehungsleib in Frage stellen. Aber offenkundig hörte er in der Fragestellung Misstrauen, vielleicht auch einen Unterton von Ironie. Möglicherweise steckte in dieser Frage auch Neugier oder ein esoterisch motivierter Wunsch, hinter den uns noch verborgenen Vorhang in die Ewigkeit blicken zu wollen.
Durch Gegenüberstellungen wie dem von Saatkorn und Ähre sowie anderen Vergleichen betont der Apostel einerseits den Zusammenhang des in die Erde gelegten Leibes der Niedrigkeit mit dem zukünftigen Leib der Herrlichkeit (1Kor. 15,36ff). Andererseits aber unterbindet er mit den Vergleichen das Missverständnis, als sei unsere himmlische Erwartung eine Art Verdoppelung des diesseitigen Lebens, sozusagen dessen Verlängerung oder Wiederholung, nur eben ohne Schmerzen Krankheiten, Altersbeschwerden oder Tod.
Ein Saatkorn steht in Kontinuität mit der Ähre, aber sie sieht unstrittig anders aus. Der Auferstehungsleib wird unvorstellbar viel herrlicher: So wie wir jetzt das Bild des irdischen (Adam) getragen haben, werden wir das Bild des himmlischen (Christus) tragen (1Kor. 15,49). In dieser unerschütterlichen Zuversicht darf der Glaubende den Triumph über den Tod bekennen: Der Tod ist vom Sieg verschlungen. Das gleiche Wort, das einst der Prophet Hosea im Zusammenhang einer Gerichtsbotschaft sprach (Hos. 13,14), ist aufgrund des Heilswerkes Christi zu einem herrlichen Siegeswort geworden.
Was Paulus in den letzten Versen von 1.Korinther 15 zusammenfassend auf den Punkt bringt, ist alles andere als eine Verharmlosung des Todes. Es geht dem Apostel um etwas völlig anderes. Seit der Auferstehung Christi ist der Tod zu einem Werkzeug in der Hand des Sohnes Gottes geworden. Indem Christus den Tod überwunden hat, verfügt er über die Schlüssel des Todes und des Totenreiches (Offb. 1,17.18). Aus dieser Perspektive kann Johannes einmal schreiben, dass Petrus durch seinen (Märtyrer-)Tod Gott verherrlichen wird (Joh. 21,19). Weil der Tod nun unter der Herrschaft Christi steht, dient er zu seiner Verherrlichung.
Christen haben keinen Grund, den Tod zu verniedlichen oder ihn zu bagatellisieren. Bagatellisieren meint: kleiner machen. Aber der Tod wird im Neuen Testament nicht kleingeredet, sondern er steht nun in einem ganz anderen Bezugsrahmen.
Die Heilige Schrift macht keine Abstriche am Sterben und am Tod eines Christen. Bis zur Wiederkunft Christi und der Herrschaftsübertragung an den Vater bleibt der Tod ein Feind (1Kor. 15,26). Darum haben Christen keinen Grund, an dessen feindlichem Charakter herumzudeuteln. Aber – und das ist der kategorische Unterschied – aufgrund des Geschehens von Golgatha ist der Tod nicht mehr eine Gegenmacht zu Jesus Christus, dem Lebensfürsten.
Der Tod ist auch nicht eine Sühneleistung für unsere Sünden. Zu Recht bezeugt der Heidelberger Katechismus, dass der Tod „nicht mehr eine Bezahlung für die Sünde ist, sondern […] der Übergang zum ewigen Leben.“[2]
Der Tod ist verschlungen in den Sieg, sodass wir unsere fleischlichen Lüste und Begierden kreuzigen
Allerdings wäre es ein Missverständnis, wenn Christen nun angesichts des Todes in einen billigen, eindimensionalen Hurra-Triumphalismus verfallen würden. Aus dem herrlichen Umstand, dass Christus am Kreuz den Tod überwunden hat (Hebr. 2,14), folgert der Apostel nicht, dass der Tod nun kein Problem mehr ist.
Stattdessen macht der Apostel auf den Zusammenhang zwischen Tod und unserer Sündhaftigkeit aufmerksam: Der Stachel [Sporn, Treiber] des Todes ist die Sünde und die Macht der Sünde ist das Gesetz (1Kor. 15,56). Die Sünde belastet den Tod schwer.
Zwar ist der Tod nicht mehr eine Bezahlung für unsere Sünde – das Lösegeld hat jemand anderes für uns beglichen (vergleiche dazu Mk. 8,37) –, es besteht aber nach wie vor zwischen dem Tod und unserer Sündhaftigkeit ein Zusammenhang, sodass die Sünde den Tod weiterhin zu einem kriegerischen, für uns schwer bewaffneten Feind macht.
Ähnlich wie das Gesetz Gottes noch da ist und uns anklagt, sodass wir aus dem Gesetz erkennen, wer wir in uns selbst sind (vergleiche Röm. 3,20; 7,7–11), führt uns der Tod weiterhin vor Augen, was wir in uns selbst sind.
Aufgrund des Sieges Christi am Kreuz und in seiner Auferstehung sind wir aufgerufen, unsere Leidenschaften und Begierden zu töten bzw. zu kreuzigen. Nehmen wir hier noch einmal die Formulierung des Heidelberger Katechismus. In der bereits zitierten Stelle wird auch gesagt, dass unser Tod ein Absterben der Sünden ist.[3]
Darum wird ein Christ den Tod niemals gleichgültig beäugen. Er wird ihn niemals kleinreden. Er hat aber auch keinen Grund, ihn zu einem Hassobjekt zu stilisieren, wie es mehrfach in der Epoche der Moderne Mode geworden ist (zum Beispiel bei Elias Canetti), was dann erwartungsgemäß von modernen Theologen aufgenommen wurde.
Vielmehr ist es so, dass gerade der Tod und das zu erwartende Gericht nach den Werken (Röm. 14,10; 1Kor. 3,12–17; 11,29; 2Kor. 5,10.11; Jak. 2,12.13) einen jeden von uns dazu aufrufen, unser Fleisch zu kreuzigen, die Welt zu überwinden und ein geheiligtes Leben in der Ausrichtung auf Christus zu führen, das heißt im Geist Gottes zu wandeln.
Dass Christus uns in den Sieg seines Todes und seiner Auferstehung hineingenommen hat (Röm. 6,1–10; Gal. 2,20), heißt auch nicht, dass der Stachel des Todes, die Sünde, verharmlost wird. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Aufgrund des Sieges Christi ist ein jeder von uns dazu aufgerufen gegen die Sünde zu kämpfen, das eigene Fleisch zu kreuzigen und der Gerechtigkeit zu leben (Röm. 6,11–23).
Aus der Perspektive unserer Sündhaftigkeit ist der Tod sehr ernst zu nehmen. Er ist seit dem Garten Eden der Lohn der Sünde (Röm. 6,23). Allerdings wird dabei der Glaubende nie vergessen, dass Gott das Werk seines Sohnes noch ernster nimmt.
Das Kapitel 1.Korinther 15 behandelt das Thema des Sieges Christi über den Tod. Aber solange wir noch in diesem Fleisch leben, haben wir es stets mit diesem Stachel des Todes zu tun.
Mit dieser Aussage schreibt Paulus der Sünde sogar mehr Gewicht zu als dem Tod. Das entspricht dem, was wir zu Beginn der Heiligen Schrift lesen: An dem Tag, an dem ihr davon esst, werdet ihr sterben. Der Tod war die Folge des Ungehorsams von Adam und Eva. Es ist unsere Sünde, die dem Tod zu seinem Schrecken verhilft.[4] Das heißt: Gerade wegen unseres Wissens von unserer Schuld und unseres uns noch immer anklagenden Gewissens ist es uns nicht möglich, den Tod als etwas Normales abzutun oder über ihn zu spotten. Gerade angesichts unseres Fleisches mit all der daran haftenden Sündhaftigkeit sind wir aufgerufen, uns im Glauben an den zu klammern, der unser Verdammungsurteil beseitigt und die Macht der Sünde (und des Gesetzes) am Kreuz zerbrochen hat.
Der Grund für den Sieg über den Tod liegt nicht in unserem Vermögen, mit der Sünde allein fertig zu werden. Es wäre ein hochgradiger Wahn zu meinen, es wäre uns selbst möglich, das Gesetz Gottes zu halten (Röm. 8,3.7).
Dass der Apostel Paulus in Dankbarkeit ausruft und im Lob überfließt, wenn er schreibt: Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unseren Herrn Jesus Christus (1Kor. 15,57), ist nicht in uns, sondern einzig und allein in Jesus Christus und seinem Werk verankert.
Vermutlich besteht darin auch im Kern die Spannung, in der sich ein Evangeliumsverkündiger bei einer Beerdigung gestellt sieht: Einerseits wird er den Tod weiterhin als Widersacher, als Feind ernst nehmen, namentlich angesichts unseres sündigen Fleisches. Aber dieses Ernstnehmen darf nicht verstanden werden im Sinn einer menschlich ohnmächtigen Wut oder Empörung, sondern es geht darum, den Tod ernstzunehmen als einen Feind Gottes, der besiegt ist: Der Tod tobt zwar noch, aber aufgrund des vollbrachten Sieges Christi ist er bereits gefällt, und einmal wird er völlig weggetan sein.
Der Tod ist verschlungen in den Sieg: Unser jetziges Leben im Horizont des Auferstehungssieges Christi
Wenn ich recht sehe, wird gegen den von Christus vollbrachten Sieg über den Tod folgender Einwand vorgebracht: Lies doch einmal diesen Abschnitt genau! Paulus spricht hier nicht von der Gegenwart, sondern von der Zukunft: Wenn aber dieses Verwesliche Unverweslichkeit anziehen und dieses Sterbliche Unsterblichkeit anziehen wird, dann wird das Wort erfüllt werden, das geschrieben steht: Der Tod ist verschlungen in Sieg (1Kor. 15,53.54). Wohlgemerkt: Paulus spricht hier davon, dass dann das Wort erfüllt werden wird. Also nicht vorher. Das heiße doch, so lautet der Einwand: In der Gegenwart erfahren wir von dem Sieg Christi über den Tod nichts. In der Jetztzeit bleibe der Tod in seiner ungebrochenen Macht bestehen, sodass uns heute angesichts des Todes allein die Ohnmacht bleibe: Der Sieg über den Tod sei auf später zu verschieben.
Eine derartige Einstellung komme bei den Leuten ja auch viel menschlicher rüber. Angesichts der Abschiedstrauer und des Trennungsschmerzes sei es geradezu unmenschlich, ja zynisch, Zeugnis davon abzulegen, dass schon jetzt der Tod vom Sieg verschlungen sei: Verschieben wir also das Wort vom Sieg über den Tod auf die Zukunft…
Aber dieser Interpretation ist zu entgegnen, dass Paulus ausdrücklich sagt, dass Christus uns nicht den Sieg geben wird (Zukunft), sondern uns den Sieg gibt (Gegenwart) (1Kor. 15,57): Gott gibt uns – jetzt – den Sieg durch unseren Herrn Jesus Christus. Der Glaubende hat diesen Triumph bereits jetzt empfangen.
Tatsächlich nehme ich heute als eine riesengroße Gefahr unter Christen wahr, dass sie in den Sog geraten, den christlichen Glauben zu vermenschlichen. Weil das Werk Christi auf Golgatha und die Hoffnung auf seine Wiederkunft in der Gemeinde verblasst, versuchen sie dann den Glauben in die diesseitige Erfahrungswelt hineinzuzerren mit all dem, was man an manipulativen Tricks und gruppendynamischen Methoden dafür einfließen lassen kann.
Übrigens ist es nicht unmenschlich von dem Sieg Christi im Blick auf das jetzige Leben zu sprechen. Vielmehr ist es übermenschlich. Ja, es ist göttlich, weil uns dieser Sieg von Gott geschenkt ist.
Lassen Sie uns dahin zurückkehren, was das Wort Gottes verheißt. Die Verheißung gilt für dich heute: Wo ist, o Tod, dein Sieg? (1Kor. 15,55).
Es ist zwar richtig, dass wir in seiner vollen Konsequenz diesen Sieg erst dann empfangen, wenn wir einen neuen Leib bekommen haben. Aber wer daraus die Folgerung zieht, unsere Auferstehungshoffnung habe ausschließlich Konsequenzen für die Zukunft, während für das Leben im Hier und Jetzt das vor 2000 Jahren Geschehene ohne Bedeutung sei, der irrt.
Gerade der letzte Vers dieses Kapitels spricht eine andere Sprache: Darum, meine geliebten Brüder, seid standhaft, unerschütterlich, allezeit in dem Werk des Herrn, indem ihr wisst, dass eure Arbeit nicht vergeblich ist in dem Herrn. Die Gewissheit des Sieges Christi über den Tod zieht uns nicht von der Erde weg. Sie entfremdet uns nicht von der Schöpfung. Sie versetzt uns nicht in eine traumtänzerische Schwärmerei. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Der letzte Vers klingt so als würde Paulus sagen: „Und jetzt an die Arbeit!“
Während die Gottlosen angesichts ihres Verderbens das Vergnügen suchen, zumal ihre einzige Perspektive darin besteht, dass sie sowieso bald tot sind, blicken Christen wegen der Auferstehung Christi ganz anders auf ihr jetziges Leben und auf diese Welt, die Christus bereits überwunden hat.
Diese Spannung innerhalb unserer Errettung, also zwischen einerseits dem Jetzt und andererseits dem, was uns bei der Wiederkunft erwartet, ist das Kennzeichen christlichen Glaubens. Im Glauben verschmelzen Gegenwart und Zukunft, unsere jetzige Lage und die zukünftige miteinander (siehe Hebr. 11,1). Im Glauben sagen wir, dass wir das ewige Leben ererben. Aber wir sagen auch: Wer glaubt, hat das ewige Leben (Joh. 6,47). Denn im Glauben haben wir die herrliche Zukunft bereits empfangen.
Wenn man die Folgen der Auferstehung Christi für uns nur auf die Zukunft verschieben würde, würden die Reformatoren dies wohl zu Recht mit der Feststellung kommentieren, dies sei eine „Judaisierung“ des Christentums. Das geht heute so weit, dass man zu hören bekommt, es bestehe im Kern überhaupt kein Unterschied zwischen dem christlichen Glauben, der davon ausgeht, dass der Messias bereits gekommen ist, und dem Judentum, das meint, der Messias werde noch kommen. Denn das, was wirklich zählt, sei, dass die Gegenwart unerlöst sei. Aber das ist irrig: Weil Christus auferstanden ist, als der Erstling der Entschlafenen, ist unsere Realität bereits jetzt eine andere geworden.
Der Tod ist verschlungen in den Sieg: Praktische Konsequenzen
Was hat das alles für praktische Konsequenzen? Ich nehme als Beispiel die medizinische Wissenschaft. Diese hat sich im Westen entwickelt, und zwar im Horizont des christlichen Glaubens, also im Horizont der Ewigkeit. In diesem Licht ging es darum, Krankheiten auszumerzen und die Lebensqualität der Menschen zu verbessern.
Wenn man nun die Hoffnung auf das ewige Leben preisgibt, wird sich die medizinische Wissenschaft nicht steigern, sondern auflösen. Sie wird sich dann nämlich sperrangelweit öffnen für paramedizinische Praktiken. Die Grenzen zur Magie werden fließend, und die Medizin wird zu einer Beute aller möglichen Verführungen und Betrügereien. Der Grund dafür liegt darin, dass man von der Medizin gewissermaßen die Überwindung des Todes erwartet und damit viel zu viel.
Will die medizinische Wissenschaft wirklich lebensfördernd sein, benötigt sie Entlastung. Sie braucht die Befähigung, über die Schwelle des Todes hinüberzublicken. Mit anderen Worten: Sie braucht den Glauben, dass der Tod nicht aufgrund ihrer Forschungsbemühungen, sondern aufgrund des Werkes Christi besiegt ist.
Weil einzig und allein das Evangelium diese Botschaft vermittelt, ist der christliche Glaube niemals ein Feind der medizinischen Wissenschaft. Vielmehr ist das Evangelium ihre Voraussetzung, ihre Bedingung.
Wehe der Gesellschaft, die ihr Vertrauen auf eine Pharmaindustrie setzt, die diese Voraussetzung aufgegeben hat!
Weil die Botschaft des Evangeliums vom Sieg Christi über den Tod keine Luftschlösser errichtet, sondern Glauben und Hoffnung verkündet, ist sie immer praktisch. Sie landet immer genau vor unseren Füßen. Dort nehmen wir sie nicht nur in Anspruch, wenn wir auf dem Sterbelager liegen. Sie ist auch bei unseren Alltagsaufgaben und Verpflichtungen der Bezugsrahmen, also immer genau dort, wo Gott uns hingestellt hat.
Allgemeines zur Bekennenden Kirche
Dass Sie die Bekennende Kirche dieses Mal empfangen, liegt daran, dass Sie sich bei uns zurückgemeldet haben und somit in der Geschäftsstelle als Leser registriert worden sind. Haben Sie vielen Dank für das uns damit entgegengebrachte Vertrauen.
Auch sind bei uns zahlreiche anerkennende und dankbare Reaktionen eingegangen, namentlich für die letzte Ausgabe der Bekennenden Kirche. Das ermutigt uns. Wie versprochen ist noch (mindestens) ein weiterer Artikel zum Thema Christsein im Ausnahmezustand ins Auge gefasst. Aber aufgrund anderer Verpflichtungen behalte ich mir dies für eine spätere Ausgabe der Bekennenden Kirche vor.
Sehr gerne weise ich erneut hin auf einen neuen Zweig unserer Arbeit, den Reformatio-Podcast. Sie können ihn auf den gängigen Podcast-Plattformen abonnieren. Am bequemsten ist dies über Ihr Smartphone möglich. Bitte beachten Sie dazu auch die Anzeige auf der Rückseite des Deckblattes.
Die ersten Artikel der Bekennenden Kirche wurden inzwischen dafür eingelesen und stehen zum Anhören zur Verfügung.
Aus Bremen hat jemand viele Predigten und Vorträge von Prof. Dr. G. Huntemann digitalisiert und uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Auch diese können bald über diesen Podcast angehört werden.
Indem ich Sie in Christus Jesus herzlich grüße und Ihnen beim Lesen der Artikel dieses Heftes wünsche, dass Sie in der Erkenntnis Christi wachsen, verbleibe ich im Namen aller Mitarbeiter mit herzlichen Grüßen
Jürgen-Burkhard Klautke
[1] “I’m not afraid of death; I just don’t want to be there when it happens”.
[2] Heidelberger Katechismus, Sonntag 16, Antwort 42.
[3] Heidelberger Katechismus, Sonntag 16, Antwort 42.
[4] Vor etlichen Jahrzehnten kam in der Theologie die Diskussion auf, ob man nicht eher von „Erbtod“ als von der „Erbsünde“ sprechen müsse. Aber wenn man als das Kernproblem des Menschen den „Erbtod“ verstehen will, hat man Ursache und Wirkung vertauscht.