Wortverkündigung zu Hebräer 12,18-29
Israel war aus Ägypten ausgezogen und zum Berg Sinai gewandert. Das Ziel war, Gott zu begegnen, sein Wort zu hören, ihm in rechter Weise zu antworten, ihn anzubeten und ihm zu dienen. Mit anderen Worten: Es ging darum, Gottesdienst zu feiern. Natürlich war das ein phänomenaler Gottesdienst. Das Volk kam „zu dem Berg, den man anrühren konnte und der mit Feuer brannte, und … in Dunkelheit und Finsternis und Ungewitter und … zum Schall der Posaune und zum Ertönen der Worte.“ (Hebr. 12,18.19).
Ich weiß nicht, wann Sie das letzte Mal zum Berg Sinai gepilgert sind, um dort Gott zu begegnen oder um Gottesdienst zu feiern. Wahrscheinlich noch nie. Ich nehme auch an, dass keiner von Ihnen jeden Sonntag nach Jerusalem zum Berg Zion pilgert, um dort Gottesdienst zu feiern. Auch der Name dieses Berges wird in unserem Abschnitt erwähnt.
Wenn wir Gottesdienst feiern, dann gehen wir in unsere Gemeinden und Versammlungen vor Ort. Dieser Abschnitt aus dem Hebräerbrief erklärt uns, warum das möglich ist, warum wir keinen besonderen Ort mit besonderen Erscheinungen benötigen, um Gott zu begegnen, warum wir sogar eine viel bessere, herrlichere, ja vollkommene Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott haben können. Die Antwort lesen wir in Vers 24: „Weil wir zu dem Mittler des Neuen Bundes, Jesus, und zu dem Blut der Besprengung gekommen sind„.
1. Durch Christus haben wir vollkommene Gemeinschaft mit Gott und mit seinem Volk
Diese besondere Gemeinschaft, die die Verse 22-24 beschreiben, haben wir nicht nur im Gottesdienst am Sonntag. Durch Christus wird unser ganzes Leben zum Gottesdienst (vergleiche Röm. 12,1). Aus diesem Grund soll Christus unser ganzes Leben und nicht zuletzt unsere Versammlungen und Gottesdienste prägen! Er steht im Zentrum.
Der Bibelabschnitt spitzt diese Botschaft zu, indem er uns die großartige Realität des Neuen Bundes und, im Kontrast dazu, die Erfahrung des Volkes Israel am Berg Sinai, also des Alten Bundes, vor Augen führt.
Als sich das Volk Israel am Berg Sinai versammelte, erlebte es eine atemberaubende, angsteinflößende Erscheinung Gottes. Aufgrund der Heiligkeit Gottes durfte keiner den Berg berühren. Selbst Mose, der auf den Berg steigen durfte, war erschrocken und hatte Angst. Im Neuen Bund dagegen kommen Christen nicht zu einem physischen Berg. Sie kommen zur himmlischen Wohnung Gottes, genannt Zion, zum himmlischen Jerusalem. Dieser Ort ist kein Ort des Schreckens und Zitterns, sondern eine festliche Versammlung, in der Freude herrscht.
Bei beiden Bergen werden uns jeweils sieben Besonderheiten genannt. Die sieben Kennzeichen vom Sinai schildern die Begegnung mit Gott ohne Christus. Die sieben Merkmale beim Berg Zion sprechen von der Gemeinschaft mit Gott durch Christus. Beide Listen enden mit einem Hinweis auf das Sprechen: Während die Worte, die am Berg Sinai gesprochen wurden, für menschliche Ohren nicht zu ertragen waren (12,19-21), ist in Zion vom Blut der Besprengung die Rede, „das besser redet als das Blut Abels“ (12,24).
Warum hatte das Volk solche Angst vor dem Reden Gottes am Sinai? Warum zitterte sogar Mose, der Freund Gottes? Antwort: Es lag an der Androhung des Gerichts und der Strafe Gottes bei Ungehorsam gegen die Worte Gottes. Bereits ein Tier, das den Berg berührt hatte, musste getötet werden. Es war ein Zeichen dafür, wie Gott im Sinaibund mit Sünde umgeht.
Aber jetzt wird es interessant. Angesichts dieser erschreckenden Konsequenzen der Worte Gottes werden wir nun nicht aufgefordert, doch lieber zum Berg Zion zu kommen. Vielmehr stellt der Hebräerbrief fest, dass wir, die gläubigen Christen, bereits dort sind. Es heißt: „sondern ihr seid gekommen zu dem Berg Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem.“ (12,22). Anstatt mit einem Sicherheitsabstand voller Furcht eine Erscheinung Gottes zu erfahren, dürfen Christen in einer festlichen Versammlung freimütig in der Gegenwart Gottes stehen.
Auch wenn die Gottesdienste, an denen Sie teilnehmen, festlich sind, werden Sie sich vielleicht fragen, ob diese Aussage zutrifft. Es ist darum wichtig zu wissen, dass der Autor in seinem Brief auch von einer Pilgerschaft der Christen spricht. Christen sind also einerseits durch Christus Angehörige des Volkes Gottes, sie gehören seit ihrer Bekehrung zu Gott und haben Gemeinschaft mit ihm. Zur selben Zeit schauen sie aber auch vorwärts zu der himmlischen Stadt: „Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“ (13,14).
Trotz dieser Spannung oder gerade wegen dieser Spannung, gerade weil Christen in dieser Welt noch mit Verfolgung, Verführung, Sünde, Krankheit und Tod zu kämpfen haben, sichert Gott uns in seinem Wort zu, dass wir zu ihm gehören, dass wir Zugang zu ihm haben. Dies veranschaulicht er anhand von sieben Kennzeichen, die uns deutlich machen, was das genau heißt.
Bevor wir uns diese Kennzeichen ansehen, möchte ich, dass Sie verstehen, warum das so wichtig ist. Das Alte Testament, die alttestamentlichen Bündnisse hatten eine ständig wiederkehrende Verheißung, also ein Ziel, einen Sinn. Es ging um die Frage, warum Gott seinen Bund mit den Menschen schloss, warum er zu den Menschen sprach? Gott sagte: „Ich will euer Gott sein, und ihr sollt mein Volk sein. Und so werde ich verherrlicht in der Welt.“ (2Mos. 6,7; 3Mos. 26,12; Jer. 30,22; Hes. 34,31 u.a.). Darum geht es. Dieser Wille Gottes ist nicht nur eine unter vielen Verheißungen und Segnungen der Bibel. Die Gemeinschaft Gottes mit seinem Volk ist die Grundlage und das Ziel aller weiteren Segnungen. Nun mag man einwenden, dass das Alte Testament Christus verheißt. Doch warum ist Christus gekommen? Damit wir Gemeinschaft mit Gott haben können zu seiner Verherrlichung. Diese Gemeinschaft wird durch verschiedene Bilder/Begriffe ausgedrückt: Wir sind gekommen…
1. „…zum Berg Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem.“
Zion, Jerusalem, der Tempel – das war der irdische Ort im Alten Bund, an dem man Gott begegnen konnte. Das himmlische Jerusalem ist die Erfüllung dieses irdischen Bildes. Es steht nicht für eine Stadt aus Steinen, auch nicht aus Edelsteinen, sondern für die liebevolle, tiefe, vollkommene Gemeinschaft zwischen dem dreieinigen Gott und seinem Volk.
2. „…zu den vielen tausend Engeln der Versammlung.“
Myriaden von Engeln, kommen zu einer freudigen, festlichen Versammlung zusammen, an der wir teilhaben dürfen.
3. „…zu der Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel aufgeschrieben sind.“
Als Israel von Gott aus Ägypten zum Berg Sinai geführt wurde, wurde das Volk „Versammlung“ oder „Gemeinde“ genannt (2Mos. 12,16). Gott gab ihm außerdem den Namen „mein erstgeborener Sohn“ (2Mos. 4,22). Es wird zudem berichtet, dass die Namen seiner Erwählten in einem himmlischen Buch aufgeschrieben sind (2Mos. 32,32.33). Hier haben wir wieder die alttestamentlichen Vorbilder. Von diesem Hintergrund her wird deutlich, wer zu dieser freudigen Festversammlung im himmlischen Jerusalem gehört. Es ist keine besondere Gruppe, sondern es ist das ganze Volk Gottes. Alle Christen sind Erstgeborene Gottes, weil sie mit dem erstgeborenen und eingeborenen Sohn Gottes verbunden sind.
4. „…zu Gott, dem Richter über alle„.
Gott ist der Richter. Doch aufgrund der Erwähnung der festlichen Versammlung der Engel und vor allem des Mittlers des Neuen Bundes, Jesus Christus, dürfen wir damit rechnen, dass das Gericht für die dort Versammelten, nämlich die Gemeinde der Erstgeborenen, positiv ausgehen wird. Der Grund dafür wird in den letzten zwei Kennzeichen genannt.
5. „…zu den Geistern der vollendeten Gerechten„.
Mit dieser Bezeichnung werden im Hebräerbrief treue Gläubige aus dem Alten und dem Neuen Bund bezeichnet, die bereits gestorben sind und nun die himmlische Stadt bewohnen. Einige herausragende von ihnen wurden dem Leser im 11. Kapitel als Vorbilder im Glauben vor Augen geführt. Von ihnen sagt uns Gott, dass sie uns wie eine Wolke von Zeugen umgeben (12,1). Wir haben schon mit ihnen Gemeinschaft, aber unser Glaube soll sich noch auf dieser Erde bewähren. Die gestorbenen Gläubigen sind uns eine Ermutigung für den Glaubenskampf. Sie sind uns aber auch eine Vergewisserung, dass auch wir durch den Glauben an Christus das Ziel der Vollendung erreichen werden.
6 „…zu dem Mittler des Neuen Bundes, Jesus„.
Jesus hat durch seinen stellvertretenden Opfertod den Neuen Bund geschlossen. Dieser Neue Bund, dieses Werk Jesu, das hat der Autor des Hebräerbriefes ausführlich deutlich gemacht, ist der Grund, warum wir Zugang zum himmlischen Jerusalem haben. Alle alttestamentlichen Institutionen, Opfer und Ämter haben diesen Neuen Bund, die vollendete Gemeinschaft zwischen Gott und seinem Volk nur andeuten, nur verheißen können. Jesus hat sie erwirkt und für uns den Zugang geschaffen. Darum ist Jesus größer als die Engel (Kap. 1), als Mose (Kap. 3), als die alttestamentlichen Hohepriester (Kap. 4-8) und als alle Opfer des Alten Bundes zusammen (Kap. 9-10).
7. „…zu dem Blut der Besprengung, das besser redet als Abels Blut„.
Das letzte der genannten Kennzeichen des Neuen Bundes ist das Blut Jesu. In den Kapiteln 8 bis 10 wurde deutlich, was das genau heißt. Jesus hat durch sein Blut, also durch seinen Tod, den Neuen Bund eingeführt. „Er ist auch nicht durch das Blut von Böcken oder Kälbern, sondern durch sein eigenes Blut ein für allemal in das Heiligtum eingegangen und hat eine ewige Erlösung erworben. […] Und darum ist er auch der Mittler des Neuen Bundes, damit durch seinen Tod, der geschehen ist zur Erlösung von den Übertretungen unter dem ersten Bund, die Berufenen das verheißene ewige Erbe empfangen.“ (9,12.15) Und deshalb führte Jesus am Vorabend seines Todes das Abendmahl mit folgenden Worten ein: „Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird.“ (Lk. 22,20).
Die Propheten des Alten Bundes verwendeten bei ihren Weissagungen über die Herrlichkeit des Neuen Bundes verschiedene Bilder und Worte: Gott will uns ein fleischernes Herz anstelle unseres steinernen geben; Gott will sein Gesetz in unser Herz schreiben; Gott will unsere Sünden vergeben; Gott will uns die Fähigkeit schenken, ihn zu erkennen und ihn zu lieben; Gott will uns den Zugang zum Berg Zion, zur Stadt des lebendigen Gottes, zum himmlischen Jerusalem, öffnen. Kurz gesagt: Alle Segnungen des Neuen Bundes, alle Verheißungen des Alten Bundes, jeden täglichen Segen in unserem Leben empfangen wir einzig und allein durch das Werk Christi und durch sein Blut! Dieses Blut spricht wahrhaft besser als das Blut Abels. Abels Tod schrie nach Rache. Jesu Blut verkündet Vergebung und Versöhnung. Aber Vergebung und Versöhnung sind nur der Anfang. Das Blut Jesu spricht von mehr. Es spricht von der vollkommenen Gemeinschaft zwischen Gott und seinem Volk.
Warum ist es so wichtig, dass wir diese Wahrheit vor Augen haben? Warum sollen wir erkennen, dass wir zum Berg Zion, zum himmlischen Jerusalem gekommen sind? Diese Wahrheit ermutigt uns im Kampf des Glaubens. Sie ermutigt uns auf dem Weg in die himmlische Heimat. Diese Wahrheit ist unsere Ermutigung, um in den Anfechtungen und Herausforderungen des Lebens Christus treu zu folgen. Haben Sie das vor Augen, wenn Sie in Anfechtungen geraten? Wenn Probleme da sind? Wenn Sie im Gottesdienst sitzen? Haben Sie vor Augen, dass Sie zur Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott und seinem Volk gekommen sind?
Die vollendete Gemeinschaft werden wir erst im Himmel erleben. Aber der Hebräerbrief macht uns in den folgenden Versen deutlich, wie wir diese Gemeinschaft ganz konkret schon hier erfahren und praktizieren: indem Gott durch Christus zu uns spricht und wir auf dieses Reden antworten.
2. Die besondere Gemeinschaft mit Gott wird uns zuteil, indem Gott durch Christus zu uns spricht und wir auf sein Wort antworten
„Seht zu, dass ihr den nicht abweist, der da redet. Denn wenn jene nicht entronnen sind, die den abwiesen, der auf Erden redete, wie viel weniger werden wir entrinnen, wenn wir den abweisen, der vom Himmel redet.“ (12,25). Dies ist keineswegs ein netter Ratschlag, wie man sein Glaubensleben verbessern könnte. Vielmehr ist es ein Gebot und eine Warnung. Wir sind Teil der himmlischen Versammlung. Das heißt, wir haben eine noch größere Verantwortung, auf Gottes Wort zu hören, als die Versammlung des Volkes am Berg Sinai. Damals redete Gott durch Mose und seine Propheten, so beginnt der Hebräerbrief: „Nachdem Gott in vergangenen Zeiten vielfältig und auf vielerlei Weise zu den Vätern geredet hat durch die Propheten, hat er in diesen letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn.“ (1,1.2). Gott hat sein Wort nicht mehr nur durch Menschen vermitteln lassen, sondern nun ist Gottes Wort selbst Mensch geworden (vergleiche Joh. 1). Gottes letztendliche Offenbarung in seinem Sohn, in dem fleischgewordenen Wort, in Christus, durch den er zu uns spricht, zu ignorieren, gering zu schätzen oder nicht im Mittelpunkt zu haben, bedeutet die Segnungen des Neuen Bundes gering zu schätzen und zu ignorieren. Wenn wir Christus und sein Wort nicht im Zentrum unseres Glaubenslebens, unserer Gemeinde und unseres Gottesdienstes haben, dann ignorieren wir, dass wir zum Berg Zion, zur himmlischen Versammlung Gottes gekommen sind.
Man könnte vielleicht einwenden, dass wir noch in dieser Welt leben. Noch spielen doch irdische Dinge in unserem Leben eine große Rolle und erst recht im Leben von Nichtchristen. Müssen wir nicht auf diese Dinge eingehen, um Christen in ihrem täglichen Leben zu helfen und Nichtchristen zu erreichen? Der Hebräerbrief gibt eine klare Antwort: Jeder Mensch wird gerichtet, der nicht auf die Stimme Jesu hört. Wenn wir Christen wie auch Nichtchristen helfen wollen, dann müssen wir das thematisieren, was für sie lebenswichtig ist: Christus und sein Wort!
Gottes Worte erschütterten damals den Berg Sinai. Gott wird in Zukunft mit seinem Wort die ganze Welt erschüttern und alles, was nicht zu ihm, zu seinem unvergänglichen Reich gehört, wird vergehen (12,26.27; vergleiche Hag. 2,6).
Wir gehören zur Gemeinde im himmlischen Jerusalem, schon jetzt. Wir sind Mitglieder des Reiches Gottes, schon jetzt hier auf dieser Erde. Wie können wir Gott darauf antworten? Durch Dankbarkeit und Dienst! Wie sehr auch immer die wahre Gemeinde durch Verfolgung oder hierzulande durch Verführung bedrängt wird – lasst uns Gott danken und ihm treu dienen. Denn wir gehören unerschütterlich zu ihm!
Aber achten wir noch einmal auf diese letzten zwei Verse. Wir sollen Gott nicht irgendwie danken, wir sollen ihm nicht irgendwie dienen, sondern wir sollen „so Gott dienen mit Scheu und Furcht, wie es ihm gefällt.“ Auch in der Art wie wir danken, zeigen wir unsere Dankbarkeit, also nicht nur darin, dass wir überhaupt danken.
Mit „Scheu und Furcht“ zu dienen, heißt, sich vor Gott zu demütigen. Wir sollen so leben, dass wir unsere Abhängigkeit von ihm erkennen. Das heißt wiederum, dass wir auf sein Wort hören und sein Wort tun. Wir antworten Gott in rechter Weise, und wir nehmen unsere himmlische Gemeinschaft mit Gott wahr, wenn wir auf Christus und auf sein Wort hören!
Durch Christus haben Sie Gemeinschaft mit Gott und mit seinem Volk, nicht nur sonntags im Gottesdienst, sondern an jedem Tag! Halten Sie sich das vor Augen, und lassen Sie ihr ganzes Leben durch diese geistliche Realität bestimmen!