Gemeinden brauchen Hirten, die Gott fürchten

Gemeinden brauchen Hirten, die Gott fürchten

Und es geschah, als die Mauer gebaut war, da setzte ich die Türflügel ein; und die Torhüter, Sänger und Leviten wurden in den Dienst gestellt. Und ich gab meinem Bruder Hanani und Hananja, dem Obersten des Tempelbezirks, den Oberbefehl über Jerusalem. Denn er war ein zuverlässiger Mann und gottesfürchtiger als viele [andere]. (Neh. 7,1.2)

Gemeinden brauchen Hirten, die Gott fürchten. Was heißt das konkret? Was kennzeichnet einen Hirten, der Gott fürchtet? Wonach sollen junge Männer, junge Theologiestudenten, die sich auf den Dienst als Hirten einer Gemeinde vorbereiten, streben? Auf was müssen auch erfahrene Leiter immer wieder achtgeben? Und nicht zuletzt: Worauf soll die Gemeinde achten, und wofür soll sie beten?

In der Bibel haben wir zwei Bücher, in denen uns zwei gottesfürchtige Leiter, Hirten des Volkes, vorgestellt werden: Esra und Nehemia. Gott gebrauchte diese beiden Männer, um sein Volk nach der Babylonischen Gefangenschaft äußerlich und innerlich zu erneuern.

Obwohl diese Ereignisse mehrere tausende Jahre zurückliegen, können wir von Esra und Nehemia sehr viel lernen, denn ihre Situation gleicht der unsrigen. Das Volk Gottes war auf einen Überrest zusammengeschrumpft, umgeben von feindlich gesinnten Völkern und nach Macht strebenden weltlichen Führern. Nicht nur musste die Stadt Jerusalem äußerlich wieder aufgebaut werden, sondern das Volk Gottes musste auch eine innere Erneuerung bekommen. Dabei waren die Versuchungen für das Volk, Kompromisse mit der Welt einzugehen und sich anzupassen, sehr groß.

Was war das Erste, das Esra und Nehemia in dieser Situation taten? Was können wir von ihnen lernen? Esra und Nehemia waren Männer, die beteten.

Ein gottesfürchtiger Hirte betet

Das Gebet war nicht nur die Antwort auf die Notlage des Volkes und die Bitte um Beistand angesichts der großen Aufgaben, die vor ihnen lagen. Es war in erster Linie ihre Antwort auf Gottes Souveränität und auf seine Treue. Diese Eigenschaften Gottes werden in beiden Büchern hervorgehoben. (Esr. 1,1.5) Esra wurde von Gott nach Jerusalem gesandt, um Reformen durchzuführen und das Zusammenleben des Volkes zu strukturieren. (Esra 7-8)

Esra war, um es mit heutiger Begrifflichkeit zu beschreiben, eine Mischung aus einem hohen Beamten des Königs Artasasta und einem Professor der Theologie. Er war also die Kapazität schlechthin und somit genau der Richtige für diesen Aufgabenkomplex. Außerdem hatte er alle Unterstützung und Autorisierung des persischen Königshofes, die man sich nur erträumen konnte. Er wurde mit großen Mengen an Gold und Silber für den Tempelbau ausgestattet. Aber auch das war noch nicht alles. Denn wir lesen, dass er von einer großen Gruppe Juden, auch vielen Priestern und Leviten, begleitet wurde. Esra hatte ein Team von Fachleuten samt ihren Familien dabei.

So möchte man gerne ausziehen und Gemeindebau betreiben: mit staatlicher Autorisierung, mit viel, viel Geld und mit einem Heer von Mitarbeitern. Esra hatte das alles. Gleichwohl wusste er, dass er dennoch in allem von Gott abhängig war. Darum lesen wir: Und ich ließ dort an dem Fluss Ahawa ein Fasten ausrufen, dass wir uns demütigten vor unserem Gott, um von ihm einen geebneten Weg für uns und unsere Kinder und alle unsere Habe zu erflehen. […] So fasteten wir und erflehten dies von unserem Gott; und er erhörte uns. (Esr. 8,21.23)

Fasten und Beten waren Zeichen der Demütigung. Esra und mit ihm das Volk bekannten Gott auf besondere Weise, dass sie der Aufgabe und den Gefahren nicht gewachsen waren.

Esra vertraute auf Gottes Macht. Er erfuhr hautnah sein mächtiges Handeln durch sichtbare Segnungen, durch Silber und Gold. Ihm war bewusst, dass Gott seine Verheißungen definitiv erfüllt. Doch das alles hielt ihn nicht davon ab, Gott eindringlich darum zu bitten, dass Gott sein Wort erfüllen möge und mit ihnen sei. Dies ist nicht ein Zeichen von Kleinglauben. Es geht auch nicht darum, Gott über Neuigkeiten zu informieren. Vielmehr geht es um das Bekenntnis der eigenen Abhängigkeit von ihm und um das unverzichtbare Angewiesensein auf seine Hilfe.

Nehemias Aufgabe war es, die Stadtmauer Jerusalems wieder aufzubauen. Ein Mammutprojekt, eine Großbaustelle! Auch Nehemia war der richtige Mann für dieses Projekt. Wir werden in den folgenden Punkten vor allem an seinem Wirken viel lernen können. Nehemia war eine Führungspersönlichkeit. Doch vor allem war er ein Mann des Gebets. Das Gebet war die Grundlage für sein Werk. Auch Nehemia war sich seiner Abhängigkeit von Gott bewusst. So beginnt der Bericht über den Aufbau der Stadtmauer Jerusalems mit der Mitteilung eines viermonatigen Fastens und Betens.

Gott war mit Esra und Nehemia. Er brachte sie ans Ziel, weil sie sich demütigten und ihm bekannten: Wenn du nicht mit uns ziehst, wenn du nicht für uns streitest und durch uns wirkst, können wir nichts ausrichten. Dieses Gebet erhörte Gott.

Mit welchem Gebet beginnen Sie Ihren Tag, Ihre Arbeit und Ihre Unternehmungen? Sicher bitten Sie regelmäßig um Gottes Segen und Hilfe. Doch sind Sie sich bewusst, wie unbedingt Sie Gott benötigen? Reichtum und vermeintliche Sicherheit, vielleicht auch die gute Ausbildung und die Routine in der Arbeit halten uns eher davon ab, uns als bedürftige Bettler vor Gott zu erkennen. Die Arbeit selbst, gerade wenn sie viel und schwierig ist, wie es häufig im Hirtendienst der Fall ist, verleitet uns dazu, wenig zu beten. Deshalb dürfen wir nie vergessen, dass Gemeinden von Gottes Gnade abhängig sind und darum Hirten brauchen, die beten.

Ein gottesfürchtiger Hirte bereitet sich auf seinen Dienst vor

Über Esra lesen wir: Denn Esra hatte sein Herz darauf gerichtet, das Gesetz des Herrn zu erforschen und zu tun und in Israel Gesetz und Recht zu lehren. (Esr. 7,10) Später wird berichtet, wie er durch seine Verkündigung das ganze Volk zur Buße und Bundeserneuerung führte. Er konnte das Volk so lehren, weil er selbst ein Schüler war, der mit ganzem Herzen das Wort Gottes studierte und von ihm erfüllt war.

Auch Nehemia bereitete sich intensiv auf seine Aufgabe vor. Durch Gebet, wie schon erwähnt, aber auch durch intensive Planung. Das wird beispielsweise daran deutlich, dass er auf die Frage des Königs, wie lange der Aufbau der Stadtmauer dauere, mit Zahlen, Fakten und konkreten Bitten antworten konnte: Da sprach der König zu mir, während die Königin neben ihm saß: Wie lange wird die Reise dauern, und wann wirst du zurückkommen? Und es gefiel dem König, mich hinzusenden, nachdem ich ihm eine bestimmte Zeit genannt hatte. Und ich sprach zu dem König: Wenn es dem König gefällt, so gebe man mir Briefe an die Statthalter jenseits des Stromes, damit sie mich durchziehen lassen, bis ich nach Juda komme; auch einen Brief an Asaph, den Forstmeister des Königs, dass er mir Holz gibt, damit ich die Tore des Tempelbezirkes, der zum Haus [Gottes] gehört, aus Balken zimmern kann, und für die Stadtmauer und für das Haus, in das ich ziehen soll! (Neh. 2,6-8) Nehemias vorausschauende Planung wird ferner an seiner nächtlichen Erkundigung der Reste der Stadtmauer erkennbar. Er war seinem Volk, den Arbeitern, aber vor allem den Feinden des Volkes immer einen Schritt voraus.

Es war nicht Kleinglauben, der Nehemia bei der Recherche und der Planung zu einem derartig sorgfältigen Handeln veranlasste. Im Gegenteil, seiner intensiven Vorarbeit lag vielmehr ein umso größerer Glaube zugrunde, zumal er zu diesem Zeitpunkt noch keine Zusage vom König hatte.

Er plante, weil er Gottes Verheißungen ernst nahm und Gott mit seiner ganzen Kraft, seinem Denken, seiner Vernunft, seinen Möglichkeiten und Talenten dienen wollte. Das gilt auch für den geistlichen Dienst. Wir sollen überlegt, sorgfältig und vorausschauend handeln und dürfen Blauäugigkeit und Naivität, ja vielleicht sogar Nachlässigkeit nicht mit Optimismus und Gottvertrauen verwechseln!

Nehemia war zuversichtlich. Aber er war nicht blauäugig. Er war so voller Mut und Vertrauen, dass er sogar die gesamte Riege der Vorsteher, Priester und Vornehmen samt dem einfachen Volk zum erneuten Aufbau bewegen konnte. (Neh. 2,17.18) Auch hielt er es nicht für erforderlich, sich mit den Feinden gut zu stellen und Kompromisse zu schließen. Vielmehr erteilte er ihnen von vornherein eine Abfuhr. (Neh. 2,20) Dabei war er sich durchaus der möglichen Gefahren und der Problematik bewusst. Er war nicht naiv und übermütig, sondern handelte durchdacht und furchtlos! Dass Gott mit ihm war (Neh. 2,8), hieß nicht, dass seine Aufgabe mit Leichtigkeit zu bewältigen war.

Ein gottesfürchtiger Hirte handelt

Kaum war Nehemia vor Ort, begann er mit der Arbeit. Der nächtlichen Stadtbesichtigung folgte am nächsten Morgen die erste große Baubesprechung. Bis zur Fertigstellung der Mauer war Nehemia die treibende Kraft hinter allen Beteiligten und hinter jedem Bauabschnitt. Er motivierte das Volk, organisierte die Arbeit, wehrte die Feinde ab. Aber auch nach Fertigstellung der Stadtmauer hörte er nicht auf zu wirken. Nehemia war kein Workaholic, aber einer, der ausdauernd und treu die Sache durchzog, auch als die Opposition größer wurde.

Ein gottesfürchtiger Hirte widersteht den Feinden

Die Opposition, die Nehemia beim Aufbau der Stadtmauer erlebte, entspricht in vieler Hinsicht der Opposition, die die Gemeinde Christi bis heute in der Welt erfährt.

Damals fing es an mit Einschüchterungsversuchen und Angstmacherei: „Wenn ihr dies macht, werdet ihr Probleme bekommen!“ (Neh. 2,19) Als mit dieser Masche der Erfolg ausblieb, versuchten sie es mit Spott und Hohn: „Was ihr macht ist lächerlich und wird keinen Bestand haben!“ (Neh. 3,33-35) Als auch bei dieser Praktik der erwünschte Effekt ausblieb (Neh. 3,38), rotteten sich die Feinde zusammen. Sie beschlossen, mit direkter Gewalt gegen das Volk Gottes vorzugehen: Und es geschah, als Sanballat und Tobija und die Araber, die Ammoniter und die Asdoditer hörten, dass die Wiederherstellung der Mauer von Jerusalem voranging und dass die Lücken sich zu schließen begannen, da wurden sie sehr zornig, und sie verschworen sich alle miteinander, dass sie kommen und gegen Jerusalem kämpfen und Verwirrung anrichten wollten. (Neh. 4,1.2)

Als sie auch damit den Bau nicht zu stoppen vermochten (Neh. 4,9), versuchten sie, Nehemia durch Intrigen, Verleumdungen und Rufmordkampagnen auszuschalten. (Neh. 6) Zum Beispiel wurde mit einem offenen Brief der Verdacht gestreut, Nehemia plane einen Aufstand gegen den König und wolle selber König von Jerusalem werden. (Neh. 6,5ff.) Mit allen Mitteln wurde versucht, Nehemia zu einem falschen Schritt zu bewegen, um ihn dann anzuklagen oder am besten zu beseitigen.

Wie wir auf derartige Angriffe reagieren sollen, lehren uns drei Reaktionen Nehemias.

Seine erste Reaktion war das stete Gebet. (Neh. 3,36; 4,3; 6,9) Warum das Beten so wichtig ist, wurde bereits deutlich. Nehemia vertraute Gott. Aber er und die Bauleute zeigten ihr Vertrauen auch, indem sie bereit waren, für das Volk und ihren Gott zu kämpfen. Wir aber beteten zu unserem Gott und stellten Wachen gegen sie auf, Tag und Nacht, [zum Schutz] vor ihnen. […] Fürchtet euch nicht vor ihnen! Gedenkt an den großen, furchtgebietenden Herrn und kämpft für eure Brüder, eure Söhne und eure Töchter, eure Frauen und eure Häuser! (Neh. 4,3.8b)

Das führt uns zur zweiten Reaktion: die Wachsamkeit stärken. (Neh. 4,7.10-17) Hirten müssen wachsam sein und durch ihren Dienst die Wachsamkeit in der Gemeinde fördern. Sie müssen die Gemeinde anleiten, die ganze geistliche Waffenrüstung zu tragen.

Auch die dritte Reaktion des Volkes ist für uns heute von Bedeutung: Weiterarbeiten. Wir aber bauten [weiter] an der Mauer; und die ganze Mauer schloss sich bis zur halben Höhe. Und das Volk gewann Mut zur Arbeit. […] Und es geschah, als unsere Feinde hörten, dass es uns bekannt geworden war und dass Gott ihren Rat zunichte gemacht hatte, da kehrten wir alle wieder zur Mauer zurück, jeder an seine Arbeit. (Neh. 3,38; 4,9)

Es gibt auch bei uns Zeiten, in denen wir in besonderer Weise den Glauben und die Gemeinde verteidigen müssen. Aber wir dürfen nie die „normale“ Aufbauarbeit der Gemeinde versäumen. Wir sind nicht nur dafür da, um Irrlehrer und falsche Weltanschauungen offenzulegen und zu bekämpfen, sondern es ist unser Auftrag, das ganze Wort Gottes und besonders das Evangelium zur Erbauung und Mission zu verkünden, Seelsorge zu üben, zu beten und Jesu Liebe auch in Taten weiterzugeben. Dieser Dienst füreinander wirkt wie eine sichere Schutzmauer. Damit schließen wir die Lücken der Schutzmauer und begradigen die Verteidigungslinie.

Ein gottesfürchtiger Hirte gibt ein glaubwürdiges Zeugnis

Nehemia delegierte nicht nur von oben herab die Aufgaben. Er selbst ging mit gutem Beispiel voran, und zwar sowohl bei der Arbeit als auch bei der Verteidigung. (Neh. 4,17) Auch wenn es darum ging, den Bedürftigen zu helfen, stand er an vorderster Front. (Neh. 5,7.8.14-19) Vor allem im Gebet und im Schuldbekenntnis war Nehemia ein Vorbild für Demut und Reue. Als ein Leiter des Volkes trat er für sein Volk ein und bekannte seine Sünden. Er stellte sich nicht über das Volk, sondern sprach reumütig: Auch ich und das Haus meines Vaters haben gesündigt. (Neh. 1,6)

Diese Demut und dieses Vorbild sehen wir auch bei Esra. Als er nach Jerusalem kam, wurde er sogleich mit dem Problem der Mischehen konfrontiert. (Esr. 9,1.2) Esra urteilte nicht aus der Distanz über diese ewig rückfälligen Sünder. Er zerriss sich nicht das Maul über diese Gesetzesbrecher. Stattdessen zerriss er seine eigenen Kleider, ein Zeichen höchster innerster Erregung, aber nach 3.Mose 13,45 auch ein Zeichen der Unreinheit. Durch Trauer und Demütigung identifizierte sich Esra mit dem Volk und seiner Sünde. Er selbst ging auf die Knie vor Gott und bat um Gnade. Esra und Nehemia hatten Autorität nicht bloß aufgrund ihres Amtes, sondern weil sie glaubwürdig waren.

Ein gottesfürchtiger Hirte lehrt die Gemeinde das Wort Gottes

Esra war deshalb nach Jerusalem gekommen, um in Israel Gesetz und Recht zu lehren. (Esr. 7,10) Wie wichtig diese Aufgabe war, erkennen wir am deutlichsten in den Kapiteln Nehemia 8 bis 10.

Diese Kapitel unterbrechen die fortlaufende Erzählung. Davor wird von der Fertigstellung der Stadtmauer berichtet und danach von ihrer Einweihung. Die Kapitel 8 bis 10 bilden also einen Einschub, in dem es um die Lesung und Erklärung des Gesetzes und die Folgen dieser Unterweisung geht: Und Esra, der Priester, brachte das Gesetz vor die Gemeinde, vor die Männer und Frauen und alle, die Verständnis hatten um zuzuhören, am ersten Tag des siebten Monats. Und er las daraus vor auf dem Platz, der vor dem Wassertor ist, vom hellen Morgen bis zum Mittag, vor den Männern und Frauen und allen, die Verständnis hatten um zuzuhören; und die Ohren des ganzen Volkes waren auf das Buch des Gesetzes gerichtet. […] Und Nehemia – das ist der Statthalter – und Esra, der Priester, der Schriftgelehrte, und die Leviten, die das Volk lehrten, sprachen zu dem ganzen Volk: „Dieser Tag ist dem Herrn, eurem Gott, heilig! Darum seid nicht traurig und weint nicht! Denn das ganze Volk weinte, als es die Worte des Gesetzes hörte.“ (Neh. 8,2.3.9) Bereits diese wenigen Verse machen deutlich, warum der Heilige Geist diese Ereignisse in den fortlaufenden Bericht einfügte. Für eine wahre Erneuerung bzw. für eine Reformation bedarf es mehr als lediglich äußerliche Erneuerung. Es geht darum, das Volk mit Gott beständig zu verbinden.

Am Anfang des Buches Esra stehen der Tempel und die Opfer im Vordergrund. Doch Stück für Stück gewinnt die Verkündigung des Gesetzes, des Wortes Gottes größere Bedeutung.

In Nehemia 8 wird der Tempel nicht einmal erwähnt. Die Menschen trafen sich auf einem öffentlichen Platz. (Neh. 8,1) Die Botschaft ist offenkundig: Nicht der Ort ist das Entscheidende, sondern die Predigt. Der Tempel war zwar damals das Zeichen dafür, dass Gott unter seinem Volk wohnen wollte, aber er wohnte durch das Predigen unter ihnen. Es ist das Hören und das Verstehen des Wortes Gottes, das eine feste, beständige Beziehung zu Gott bewirkt. Durch die Verkündigung erkannten die Menschen ihre Not und gleichzeitig die Liebe und Treue Gottes zu ihnen. Durch die Verkündigung liefen die Tränen der Buße, kam neue, tiefe Freude an Gott auf, und durch die Verkündigung wurden sie wieder und wieder auf den rechten Weg geführt, zurück zu Gott.

Gemeinden brauchen Hirten, die das Wort Gottes so lehren, dass die Menschen es verstehen.

Ein gottesfürchtiger Hirte resigniert nicht

Das Buch Nehemia endet mit einer großen Reformation. Das Volk erklärte, Gott endlich treu nachfolgen zu wollen. Der Gottesdienst sollte wieder an erster Stelle stehen und jede Vermischung mit anderen Völkern und deren Religionen vermieden werden. Doch als Nehemia zwischenzeitlich für einige Jahre an den persischen Königshof zurückgekehrt war, brachen schnell wieder vorreformatorische Zustände ein. Teilweise wurde es sogar noch schlimmer. Die Abgaben für Tempel und Tempeldiener wurden nicht mehr gezahlt, der Sabbat nicht eingehalten, und Mischehen gab es erneut, und zwar bis in die höchsten Kreise der Priesterschaft hinein. (Neh. 13).

Auf all das reagierte Nehemia zunächst mit deutlichen Ermahnungen und Verwarnungen. Doch dabei blieb es nicht. Er resignierte nicht. Er setzte neue Reformen durch und überließ das Volk nicht der Sünde und ihren Folgen. Nehemia erkannte, dass eine einzige Reformation nicht ausreicht, sondern dass die Gemeinde ständig reformiert werden muss: „Ecclesia semper reformanda.“ So lehrten es später die Reformatoren des 16. Jahrhunderts. Fortwährend muss darum gekämpft werden, dass Christus das Zentrum der Gemeinde ist und der Mittelpunkt im Leben eines jeden Christen. Deshalb darf ein gottesfürchtiger Hirte nicht aufhören zu leiten, im Wort zu unterweisen, immer wieder die Grundlagen des Glaubens durchzugehen, Sünden anzusprechen und das Evangelium zu verkünden. Er darf nicht aufgeben, selbst dann nicht, wenn Fortschritte kaum erkennbar sind oder Rückfälle und Enttäuschungen sich häufen. Bedenken wir: Gott hat sein Volk nicht aufgegeben, obwohl es Jahrhunderte lang eher Rück- als Fortschritte gemacht hatte! Diese Treue Gottes dürfen wir bis heute erfahren. So wie Gott treu bleibt und seine Gemeinde nicht allein lässt, haben auch die Hirten gegenüber der Gemeinde ihren Dienst treu zu verrichten.

Im Dienst des guten Hirten

Angesichts der Gottesfurcht, der Treue und der Fruchtbarkeit des Dienstes Esras und Nehemias könnten wir den Mut verlieren und einpacken, noch ehe wir mit der Arbeit begonnen haben.

Aber selbst solche Hirten wie Esra und Nehemia konnten das Volk nicht beständig zu Gott führen. Beide Bücher enden ernüchternd mit dem Problem der Mischehen und mit einer Liste von Sündern (Esr. 10,18-44) und Sünden (Neh. 13).

Doch wir finden Hoffnung in der Prophezeiung, die Gott seinem Volk schon zu Beginn der Babylonischen Gefangenschaft gegeben hatte: Denn so spricht Gott der Herr: Siehe, ich selbst will nach meinen Schafen suchen und mich ihrer annehmen! […] Ich selbst will meine Schafe weiden und sie lagern, spricht Gott der Herr. Das Verlorene will ich suchen und das Verscheuchte zurückholen und das Verwundete verbinden; das Schwache will ich stärken. (Hes. 34,11.15.16)

Der amerikanische Pastor Mark Dever schreibt dazu: „Das war nötig, weil kein Prophet von Samuel bis Maleachi und kein Führer von Saul bis Zedekiah – nicht einmal Esra oder Nehemia – fähig war, Gottes Volk so zu führen, dass die Herzen der Leute verändert wurden. Das konnte nur geschehen, als Gottes Wort selbst, Jesus Christus, Menschen von innen erneuerte.“[1] Nur der Sohn Gottes kann Herzen verändern, weil er sie von Sünden reinigt, da er die Strafe für die Sünden am Kreuz getragen hat. Jesus selbst sagte: Ich bin der gute Hirte; der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. (Joh. 10,11)

Jesus Christus baut seine Gemeinde durch sein Evangelium bis zum heutigen Tag. Er hat es seiner Gemeinde anvertraut, damit sie es verkündet. Bis heute beruft er Menschen dafür in den Verkündigungs- und Hirtendienst. Paulus sagt über diese Hirten, und er schließt sich selbst mit ein: Wir sind schwache, irdene Gefäße. Worauf es ankommt ist der Inhalt: Denn wir verkündigen nicht uns selbst, sondern Christus Jesus, dass er der Herr ist, uns selbst aber als eure Knechte um Jesu willen. Denn Gott, der dem Licht gebot, aus der Finsternis hervorzuleuchten, er hat es auch in unseren Herzen licht werden lassen, damit wir erleuchtet werden mit der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi. Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die überragende Kraft von Gott sei und nicht von uns. (2Kor. 4,5-7)

Ein gottesfürchtiger Hirte ist kein Superchrist, sondern er ist sich seiner Schwachheit, Unwürdigkeit und Abhängigkeit von Gott bewusst und erwartet darum umso mehr alles von Gott. Er weiß, dass er ohne Christus nichts tun kann, doch mit ihm alles möglich ist. Aus dieser Erkenntnis heraus geht er auf die Knie, um zu beten, und an den Schreibtisch, um Gottes Wort zu erforschen, um zunächst selbst mit dem Schatz des Evangeliums erfüllt zu werden.

Die Jagd nach Gottesfurcht

Paulus schrieb einmal an Timotheus, dass er der Gottesfurcht nachjagen solle. Das heißt, in der Furcht Gottes immer weiter zu wachsen zum eigenen Heil und zum Heil der Gemeinde. Eine theologische Ausbildungsstätte kann und soll die Studenten in dieser Jagd nach Gottesfurcht unterstützen. Ich selbst bin sehr dankbar, dass ich das in meinem Studium an dieser Akademie so erleben durfte.

Auch die Gemeinde kann etwas tun. Jesus gebot seinen Jüngern: Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte aussende! (Mt. 9,38) Hirten, die Gott fürchten, fallen nicht vom Himmel. Sie müssen von Gott erbeten sein und durch Gebet in ihrem Dienst getragen werden. Denn mit dem Abschluss eines Theologiestudiums hört die Jagd nach Gottesfurcht nicht auf. Sie muss jeden Tag neu aufgenommen werden. Aufgrund eigener Erfahrung bekenne ich, dass dies sehr schwer ist und ich darin oft versagt habe. Unterstützen Sie bitte Ihre Hirten, indem Sie dem Aufruf des Apostels Paulus treu folgen: …indem ihr zu jeder Zeit betet mit allem Gebet und Flehen im Geist, und wacht zu diesem Zweck in aller Ausdauer und Fürbitte für alle Heiligen, auch für mich, damit mir das Wort gegeben werde, so oft ich meinen Mund auftue, freimütig das Geheimnis des Evangeliums bekanntzumachen. (Eph. 6,18.19)


[1]) Mark Dever, Message of the Old Testament. Wheaton [Crossway Books] 2006, S. 435.