Gemeinde und Gemeindegründung (Teil 8): Gottesdienst

Gemeinde und Gemeindegründung (Teil 8): Gottesdienst

„Der 10-Uhr-Gottesdienst am Sonntag ist ein Auslaufmodell. Jesus ist doch nicht durch Galiläa gezogen und hat gesagt, sonntags um 10 Uhr müsst ihr kommen und beten!“

Ralf Meister [1]

So äußerte sich Ralf Meister, der Landesbischof der Hannoverschen Landeskirche vor einigen Wochen. Mit diesen Worten bringt er zum Ausdruck, was viele Menschen in Deutschland denken – auch viele, die sich selbst als Christen bezeichnen.

Ist der Sonntagsgottesdienst also nichts weiter als eine überflüssige menschliche Tradition? Um diese Frage zu beantworten, ist es wichtig, dass wir uns als erstes damit beschäftigen, was die Bibel unter Gottesdienst versteht.

Gottesdienst – was ist das?

Auf der einen Seite fordert die Bibel uns dazu auf, unser ganzes Leben als Gottesdienst zu leben: Ich ermahne euch nun, ihr Brüder, angesichts der Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber darbringt als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer: Das sei euer vernünftiger Gottesdienst! (Röm 12,1) Unser ganzes Leben soll ein Leben zu Gottes Ehre sein (1Kor 10,31; Kol 3,17).

Auf der anderen Seite spricht die Bibel aber auch von Gottesdienst, wenn die Gemeinde sich trifft, um bewusst Gott zu begegnen und ihn anzubeten. In diesem Zusammenhang ist die Rede von Zusammenkünften oder Versammlungen der Gemeinde (1Kor 11,17; 14,19.23.26; Hebr 10,25; Jak 2,2) mit dem Ziel, Gottes Wort zu hören und Gott anzubeten. Im Unterschied zum eben beschriebenen ‚allgemeinen‘ Gottesdienst, könnte man von einem ‚speziellen‘ Gottesdienst sprechen.

Im allgemeinen Gottesdienst geht es darum, das gesamte Leben vor Gott zu leben, seinen Willen zu tun und anderen zu dienen. Im speziellen Gottesdienst sucht man bewusst die Gemeinschaft mit Gott gemeinsam mit seinem Volk, der Gemeinde. Im Alltag leben wir Gottesdienst, am Sonntag feiern wir Gottesdienst. [2]

Beide Gottesdienste sind wichtig

Es ist wichtig, jedem der beiden „Gottesdienste“ den richtigen Platz im Leben zu geben. In der römisch-katholischen Theologie gibt es die Tendenz, den allgemeinen Gottesdienst abzuwerten. Demgegenüber betonte Martin Luther, dass wir Gott in unserer jeweiligen Berufung im Alltag dienen sollen und ihm damit gefallen können.

Auf der anderen Seite ist es genauso problematisch, den speziellen Gottesdienst geringzuschätzen. Manche Menschen stellen die Frage: Wenn alles zu Gottes Ehre geschehen soll, wozu soll ich dann mit anderen Christen einen Gottesdienst feiern? Kann ich Gott nicht in der Natur oder im Sport genauso begegnen?

Die Bibel betont die Wichtigkeit von beiden Arten des Gottesdienstes. Unser ganzes Leben soll zur Ehre Gottes gelebt werden. Aber zu bestimmten Zeiten, besonders am Tag des Herrn (Apg 20,7; 1Kor 16,2; Offb 1,10), sollen die Kinder Gottes zusammenkommen, um bewusst die Gemeinschaft mit Gott zu suchen. Der Heidelberger Katechismus fragt: Was will Gott im vierten Gebot? Und er antwortet: Gott will zum einen, dass das Predigtamt und die christliche Unterweisung erhalten bleibenund dass ich besonders am Feiertag fleißig zur Gemeinde Gottes komme. Dort soll ich Gottes Wort lernen, die heiligen Sakramente gebrauchen, den Herrn öffentlich anrufenund in christlicher Nächstenliebe für Bedürftige spenden.

In diesem Artikel geht es um das, was ich den speziellen Gottesdienst genannt habe. Konkret soll die Frage beantwortet werden: Wie können wir den Gottesdienst als Gemeinde(gründung) so gestalten, dass Gott geehrt wird und die Menschen im Glauben wachsen?

Um diese Frage zu beantworten, ist es zuerst wichtig zu verstehen, was genau eigentlich passiert, wenn wir Gottesdienst feiern.

Wozu ist der Gottesdienst da?

Worum geht es in einem Gottesdienst? Darauf bekommt man heute verschiedene Antworten.

Die einen sagen: Gottesdienst ist so ähnlich wie ein Kino- oder Theaterbesuch. Man geht vor allem deswegen dorthin, um von vorne unterhalten zu werden. Andere sind der Meinung, dass ein Gottesdienst am ehesten wie eine Feier sei, wo ich eine gute Zeit mit netten Leuten verbringe. Wenn ich intellektueller veranlagt bin, ist der Gottesdienst vielleicht mit einer guten Vortragsveranstaltung zu vergleichen, bei der ich meinen Horizont erweitern kann. Oder ich sehe den Gottesdienst als eine geistliche ‚Tankstelle‘ an, bei der ich für die kommende Woche auftanke.

Gewisse Aspekte aus diesen verschiedenen Vorstellungen haben etwas für sich, aber diese Bilder treffen nicht das, was einen Gottesdienst im Kern ausmacht. Denn im Kern ist der Gottesdienst eine Bundeserneuerungsfeier:

Gott ruft seine Kinder zusammen, um ihnen zu begegnen, sie zu lehren und von ihnen angebetet zu werden, um so den Bund, den er zwischen sich und ihnen gestiftet hat, zu erneuern. [3]

Um den Bund zu stärken

Für unsere Bundesbeziehung zu Gott verwendet die Bibel oft das Bild der Ehe (Hos 2,21.22; Jer 31,32; Eph 5,25-27; Offb 19,7; 21,2.9). Wenn wir dieses Bild auf den Gottesdienst anwenden, dann ist er vergleichbar mit einem ‚Eheabend‘ oder einem ‚Eheurlaub‘, also einer Zeit, wo sich ein Ehepaar ganz bewusst Zeit füreinander nimmt. Die Ehe besteht die ganze Zeit, aber es braucht Momente, in denen man bewusst in die Beziehung investiert, um die Ehe zu stärken.

Einen ähnlichen Sinn hat der Gottesdienst für die Bundesbeziehung zwischen Gott und uns. Mit dem großen Unterschied, dass neben der (vertikalen) Gottesbeziehung auch die horizontale Ausrichtung wichtig ist: Gottesdienst feiert man nicht alleine, sondern gemeinsam mit der (Bundes-)Gemeinschaft.

Wie es Gott gefällt…

Wenn Menschen heute über Gottesdienst nachdenken, dann geht es meistens um Stilfragen. Häufig steht die Frage im Mittelpunkt: Was gefällt mir? Was spricht mich an? Wie kann Gottesdienst so sein, dass ich mich wohlfühle oder angesprochen fühle? Oder man fragt: Wie erreichen wir durch den Gottesdienst Außenstehende?

Es ist wichtig, dass man im Gottesdienst merkt, dass die Botschaft Gottes für das eigene Leben relevant ist. Aber die genannten Fragen dürfen bei der Gottesdienstgestaltung trotzdem nicht die zentralen sein. Denn es geht im Gottesdienst nicht darum, was uns gefällt, sondern was Gott gefällt. Von daher haben wir nicht die Freiheit, die Gottesdienste nach eigenem Geschmack zu gestalten und sie schon gar nicht – wie von Bischof Meister gefordert – ganz abzuschaffen.

Ein warnendes Beispiel

Im Alten Testament gibt es die erschütternde Geschichte von Nadab und Abihu. Die beiden Söhne Aarons hielten sich als Priester nicht an Gottes Anweisungen beim Darbringen der Opfer, also beim damaligen Gottesdienst. Dafür wurden sie von Gott getötet (3Mos 10,1-11). Auch im Neuen Bund zeigt Paulus am Beispiel des Abendmahls, dass ein falscher Gottesdienst tödliche Folgen haben kann (1Kor 11,27-30).

Gott ist ein eifersüchtiger Gott. Gerade dann, wenn wir im Gottesdienst die Gemeinschaft mit Gott suchen, müssen wir uns fragen, was Gott will, nicht so sehr, was uns gefällt. Sonst sind wir ganz schnell wie der Ehemann, der seiner Frau zu Weihnachten immer die Geschenke macht, über die er sich freuen würde, mit denen aber seine Frau nichts anfangen kann.

Während der Gottesdienst zur Zeit des Alten Bundes klar geregelt war, schreibt das Neue Testament uns keinen konkreten Ablauf vor. Das bedeutet aber nicht, dass wir unsere Gottesdienste einfach so gestalten können, wie wir wollen. [4]

Was gilt für den Gottesdienst?

Zum einen möchte Gott auch im Neuen Bund, dass Gottesdienste in guter Ordnung ablaufen. Paulus schreibt: Denn Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens, wie in allen Gemeinden der Heiligen (1Kor 14,33). Deswegen: Lasst alles anständig und ordentlich zugehen! (1Kor 14,40) In Hebräer 9,1 lesen wir, dass auch der Alte Bund gottesdienstliche Ordnungen hatte, woraus wir ableiten können, dass der Neue erst recht solche Ordnungen hat.

Während das Neue Testament uns also keinen detaillierten Gottesdienstablauf vorgibt, finden wir sehr wohl Prinzipien und Elemente des Gottesdienstes im Neuen Bund.

Prinzipien des Gottesdienstes

Die Theologie: trinitarisch und evangeliumszentriert

Das, was den Kern des christlichen Glaubens ausmacht, sollte inhaltlich den roten Faden des christlichen Gottesdienstes bestimmen. Eine zentrale Lehre unseres Glaubens ist, dass wir nicht irgendeinem Gott begegnen, sondern dem einen Gott in drei Personen: Wir beten den Vater im Namen des Sohnes durch den Heiligen Geist an. Das sollte bei der Gestaltung des Gottesdienstes zum Ausdruck kommen, indem man den Gottesdienst mit dem Votum beginnt: Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Immer wieder beginnen oder enden die Apostel ihre Briefe mit Verweis auf die Dreieinigkeit (z.B. 1Pt 1,2; 2Kor 13,13). Dieser dreieine Gott hat einen Plan erdacht und ausgeführt, um sündige Menschen wieder in die Gemeinschaft mit sich selbst zu führen. Die Ausführung dieses Plans ist die gute Nachricht, das Evangelium. Der Vater hat uns erwählt, der Sohn hat uns am Kreuz erlöst und der Heilige Geist eignet uns das zu, was der Sohn für uns getan hat.

Dieses Evangelium sollte den Aufbau des Gottesdienstes prägen. Von daher ist es wichtig, dass Sünde benannt und bekannt wird, dass der Ausweg aus der Sünde klar verkündigt wird und dass gezeigt wird, wie ein Leben eines Menschen aussieht, der vom Evangelium erfasst wurde.

Die Haltung: ehrfürchtig und fröhlich

Im Gottesdienst begegnen wir einem heiligen und gerechten Gott, in dessen unmittelbarer Gegenwart wir nicht den Bruchteil einer Sekunde überleben würden. Gleichzeitig begegnen wir dem Gott, der in Jesus Mensch geworden ist, der uns sucht und uns im Gottesdienst in seine Gemeinschaft ruft. Beide Aspekte müssen die Haltung prägen, mit der wir Gott begegnen. In Psalm 2,11 heißt es: Dient dem HERRN mit Furcht und freut euch mit Zittern. Die meisten Menschen würden heute sagen: Entweder – oder. Entweder Freude oder Ehrfurcht. Gott fordert von uns: Sowohl – als auch.

Wir sollen ihm einerseits ehrfürchtig begegnen in dem Bewusstsein: Es ist keine Kleinigkeit und alles andere als selbstverständlich, vor den Thron unseres Schöpfers, Erlösers und Richters zu treten. Andererseits soll unsere Haltung von einer überwältigenden Freude darüber geprägt sein, dass dieser Gott sich nicht schämt, sich selbst als unser Vater zu bezeichnen.

Beide Aspekte zu beachten ist nicht immer einfach (und in der Gemeindelandschaft von heute auch leider nicht besonders weit verbreitet).

Häufig stehen Gemeinden, in denen Traditionen eine recht große Rolle spielen, in der Gefahr, die Freude des Gottesdienstes aus dem Blick zu verlieren. In moderneren Gemeinden liegt das Problem oft auf der anderen Seite: Gottesdienste neigen dort häufig dazu, trivial und oberflächlich zu bleiben. Es gibt heute viele Christen, die daran erinnert werden müssen, dass Spontanität, Kreativität und Lockerheit biblisch gesehen keine Kennzeichen eines Gottesdienstes sind, der Gott gefällt.

Der Aufbau: predigtzentriert und dialogisch

Das Wichtigste im Gottesdienst ist, dass Gott durch sein Wort zu uns spricht, wenn sein Wort gepredigt wird. Aus diesem Grund sollte der Gottesdienst auf die Predigt hinführen. In der Predigt ist der Pastor der Botschafter Gottes, der in Gottes Auftrag Gottes Wort in das Leben der Gemeinde hineinspricht (2Kor 4,1-5). Während die Predigt also ein Monolog ist, gilt das für den Gottesdienst insgesamt nicht.

Als Bundeserneuerungsfeier ist der Gottesdienst ein Dialog zwischen Gott und seinen Kindern. Von daher ist es wichtig, dass die Gemeinde immer wieder auf das Reden Gottes antwortet und sich nicht einfach berieseln oder unterhalten lässt. Diese Überzeugung sollte auch prägen, wie wir reden: Es ist viel treffender, davon zu sprechen, dass wir am Gottesdienst teilnehmen, als zu sagen, dass wir einen Gottesdienst besuchen. Wie dieses aktive Teilnehmen der Gemeinde genau aussieht, werden wir sehen, wenn wir uns die Elemente des Gottesdienstes genauer anschauen.

Die Art und Weise: ordentlich und erbaulich

Die ausführlichsten Anweisungen für den Gottesdienst gibt uns das Neue Testament in 1.Korinther 14. Vordergründig geht es dort um die Sprachenrede und das prophetische Reden. Aber diese Dinge sind für Paulus nur der Anlass dafür, grundsätzlich über das Wesen des Gottesdienstes nachzudenken. Es geht ihm vor allem um die Art und Weise, wie Gottesdienst gefeiert werden soll. Seine beiden Schlüsselwörterwörter dafür sind ordentlich (1Kor 14,33.40) und erbaulich (1Kor 14,3.4.12.17.26). Ordentlich bedeutet, dass nicht alle durcheinanderreden, sondern dass es durchdachte, aufeinanderfolgende Elemente gibt, die den Gottesdienst ausmachen (1Kor 14,26). Erbaulich bedeutet, dass man motiviert von der Liebe zueinander, im Gottesdienst so spricht, dass die Menschen Gottes Wort verstehen und darauf antworten können (1Kor 14,4-6.8).

Während also das Neue Testament keinen konkreten Gottesdienstablauf vorschreibt, gibt es dennoch Prinzipien, die man berücksichtigen muss, wenn man den Gottesdienst plant. Darauf aufbauend wollen wir uns nun die konkreten Elemente des Gottesdienstes anschauen, die uns das Neue Testament zeigt.

Elemente des Gottesdienstes [5]

Zur Erinnerung: Der Gottesdienst ist eine Bundeserneuerungsfeier. Diese hat die Form eines Dialogs zwischen Gott, der sich uns in Gnade zuwendet, und den Menschen, die ihn anbeten.

Konkret spricht Gott zu uns durch sein Wort und unterstreicht die Verheißungen des Evangeliums durch Taufe und Abendmahl. Durch diese Gnadenmittel beschenkt uns Gott mit seinem Heiligen Geist. Er könnte uns seinen Geist natürlich auch einfach so geben, aber er bindet ihn im Neuen Bund normalerweise an Wort und Sakramente. [6]

Auf Gottes Reden antworten wir als Gottes Bundesvolk ausgerüstet durch den Heiligen Geist. Das tun wir durch Beten, das gemeinsame Bekennen unseres Glaubens, das Singen und das Spenden.

Kurz gesagt: Im Gottesdienst dient Gott uns – und wir dienen Gott. Das sieht konkret folgendermaßen aus: [7]

Gott spricht…

durch Votum und den Ruf zur Anbetung

Zu Beginn des Gottesdienstes ruft der Gottesdienstleiter die Gemeinde im Namen des dreieinen Gottes zur Gottesdienstfeier auf. Dadurch ist einerseits klar, wann der Gottesdienst beginnt. Andererseits wird die Gemeinde daran erinnert, wem sie begegnet und dazu aufgerufen, diesen Gott anzubeten.

… durch die Lesung(en)

Neben der Lesung des Predigtabschnitts ist es sinnvoll, im Gottesdienst auch noch einen oder sogar mehrere weitere Abschnitte aus der Bibel zu lesen. Paulus schreibt an Timotheus: Bis ich komme, sei bedacht auf das Vorlesen… (1Tim 4,13a). Es gibt mehrere Möglichkeiten, welche Abschnitte man für die Lesung(en) auswählt. Man kann jeweils einen Psalm lesen und/oder einen Abschnitt, der auf den Predigtabschnitt vorbereitet. Alternativ kann man auch fortlaufend jeden Sonntag jeweils ein Kapitel der Bibel vorlesen unabhängig vom Thema der Predigt.

… durch die Predigt

Die Predigt ist das Zentrum des Gottesdienstes. Dabei geht es nicht darum, dass uns jemand Gedanken zu einem Abschnitt mitteilt, sondern es geht darum, das Wort Gottes zu verkündigen (2Tim 4,2), indem man es vorliest, erklärt und auf das Leben der Gemeinde anwendet. In diesem Sinn sprach der Schweizer Reformator Heinrich Bullinger davon, dass die Predigt des Wortes Gottes das Wort Gottes ist.

… durch Taufe und Abendmahl

Die Sakramente sind Gottes sichtbares Wort. In Taufe und Abendmahl spricht Gott uns seine Verheißungen zu, indem wir sie sehen, schmecken, riechen und fühlen. Gleichzeitig formt uns Gott als Gemeinschaft. Wir werden in einen Leib hineingetauft (1Kor 12,13) und werden durch die Feier des Abendmahls als Einheit geformt (1Kor 10,17).

… durch den Segen

Durch den Segen spricht der Gottesdienstleiter im Namen Gottes der Gemeinde den Schutz und die Bewahrung für die kommende Woche zu. Wir brauchen die Kraft und die Begleitung Gottes für unseren Alltag. Deswegen sendet der Segen am Ende des speziellen Gottesdienstes die Gemeinde aus, um den allgemeinen Gottesdienst zu leben.

Zudem ist der Zuspruch des Segens ein klarer Abschluss, der der Gemeinde signalisiert, dass der (spezielle) Gottesdienst nun beendet ist. Auch die Briefe der Apostel enden immer mit einer Zusage des Segens (z.B. 1Kor 16,23.24).

Wir antworten…

… durch Gebete

Durch Beten antworten wir auf das Reden Gottes. Wie viele Gebete es im Gottesdienst gibt, ist wie vieles andere im Neuen Bund nicht vorgegeben. Klar ist aber, was Inhalt der Gebete sein sollte:

Wichtig ist zum einen, dass die Gemeinde ihre Sünden bekennt und Gott um Vergebung bittet. In der Gemeinde, in der ich Pastor bin, lesen wir vor dem Sündenbekenntnis einen Abschnitt aus Gottes Gesetz (die Zehn Gebote, etwas aus der Bergpredigt…). Das dient der Gemeinde als Spiegel für die eigene Unvollkommenheit, die uns dann zu Jesus führen soll (Gal 3,24). Anschließend spricht der Gottesdienstleiter der Gemeinde im Namen Gottes die Vergebung der Sünden zu.

Zum zweiten sollte für den Gottesdienst, besonders für die Wortverkündigung, gebetet werden. Idealerweise betet man zu Beginn des Gottesdienstes dafür, dass Gott die Herzen für sein Wort öffnet und uns befähigt, so Gottesdienst zu feiern wie es ihm gefällt. Nach der Predigt sollte dafür gebetet werden, dass wir das Gehörte, behalten, wertschätzen und in die Praxis umsetzen.

Und schließlich ist es wichtig, für die alltäglichen Anliegen der Gemeinde zu beten. Das eben erwähnte Bild einer „geistlichen Tankstelle“ verkürzt zwar das, was einen Gottesdienst ausmacht, aber es ist nicht vollständig falsch. Der Gottesdienst ist sehr wohl auch dazu da, um uns für den Rest der Woche auszurüsten. Es gibt vielfältige Herausforderungen, Probleme, Leid und gleichzeitig viele Segnungen sowie erfreuliche Familiennachrichten in der Gemeinde, für die gebetet bzw. gedankt werden sollte.

Es ist einerseits möglich, dass der Gottesdienstleiter im Namen der Gemeinde betet und die Gemeinde es mit einem gemeinsamen „Amen“ bestätigt. Alternativ kann man die Gemeinde in einer Gebetsgemeinschaft mit einbeziehen. Das hat den Vorteil, dass die Gemeinde noch mehr am Gottesdienst beteiligt wird. Es besteht jedoch auch das Risiko, dass von einzelnen zu lange, theologisch fragwürdig oder einfach unweise gebetet wird.

Hat man keine Gebetsgemeinschaft im Gottesdienst, ist es wichtig, auf jeden Fall im Rahmen weiterer Gemeindeveranstaltungen für das gemeinsame Gebet Räume zu schaffen.

Eine gute Gelegenheit, die gesamte Gemeinde in das Beten einzubeziehen, ist es, das Gebet für die Anliegen der Gemeinde mit einem gemeinsamen „Vaterunser“ abzuschließen.

… durch gemeinsames Bekennen

Die Bibel fordert uns auf, unseren Glauben zu bekennen (Röm 10,10). Von daher ist das Bekennen ein wichtiger Teil des Gottesdienstes. Dafür eignet sich vor allem das Apostolische Glaubensbekenntnis. Es stellt uns durch den gemeinsam bekannten Glauben in die Gemeinschaft mit vielen weiteren Christen weltweit und mit Christen, die bereits längst gestorben sind. Es gibt aber auch weitere Bekenntnistexte, die man gemeinsam bekennen kann. Beispiele sind das Bekenntnis von Nicäa oder einzelne Fragen aus den reformatorischen Katechismen.

… durch gemeinsames Singen [8]

In einem Sinn ist das gemeinsame Singen die Krönung des Gottesdienstes. Denn es gehört in beide Kategorien. Beim Singen spricht Gott zu uns und wir antworten ihm gleichzeitig. Wir empfangen Gottes Wort und singen es ihm (und auch uns gegenseitig!) zu.

Paulus schreibt in Kolosser 3,16: Lasst das Wort des Christus reichlich in euch wohnen in aller Weisheit (Gottes Reden), indem ihr einander lehrt und ermahnt (unser Reden zueinander), indem ihr mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern dem Herrn lieblich in eurem Herzen singt (unsere Antwort Gott gegenüber).

Zum einen geht es in diesem Vers darum, durch das Singen Gottes Wort in uns wohnen zu lassen. Das bedeutet, dass Lieder im Gottesdienst theologisch richtig und theologisch gehaltvoll sein müssen. Von daher sollten auch ganz bewusst die von Paulus angesprochenen Psalmen wieder mehr eine Rolle im Gemeindegesang spielen. Jahrhundertelang waren sie ein wichtiger Bestandteil des Gottesdienstablaufs und sind erst in der Neuzeit fast vollständig von anderen Liedern verdrängt worden.

Zum zweiten geht es auch darum, dass wir uns einander die Verheißungen Gottes „zusingen“ und als Gemeinschaft Gott loben. Letzteres bedeutet, dass das Singen eine gemeinsame Antwort auf das Reden Gottes ist, um ihm zu danken, ihn zu preisen und ihn anzubeten.

Natürlich gibt es gerade hier viele praktische Fragen rund um die Auswahl der Instrumente und der Lieder. Die entscheidende Frage ist jedoch bei allem: Dient alles dem Ziel, dass die Gemeinde gemeinsam Gott durch die Lieder lobt?

Das funktioniert nicht, wenn die Begleitung zu laut ist oder wenn die Lieder von der Melodie her nicht zum Mitsingen geeignet sind (viele gute geistliche Lieder sind Vortragslieder, aber keine Lieder, die man gut als Gruppe singen kann). Es ist zwar nichts dagegen einzuwenden, wenn es ab und zu Lieder gibt, die vorgetragen werden – sei es durch einen Chor oder die Musiker –, aber das Normale sollte der Gesang der gesamten Gemeinde sein.

Es ist auch wichtig, nicht einfach nur gute Lieder auszuwählen, sondern bewusst zu überlegen, wann im Gottesdienst welche Art von Lied geeignet ist.

Am Anfang des Gottesdienstes ist es sinnvoll, ein Anbetungs- bzw. Loblied zu singen, in dem es um die Größe Gottes geht und in dem die Gemeinde dazu aufgerufen wird, Gott anzubeten (Beispiel: Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren). Nach dem Sündenbekenntnis ist dann ein Lied passend, dass unsere Verlorenheit und das Werk von Golgatha thematisiert (Bsp. Mir ist Erbarmung widerfahren). Vor der Predigt eignen sich Lieder, in denen man Gott bittet, das Herz für sein Evangelium zu öffnen (Bsp. Lieder basierend auf Psalm 119). Nach der Predigt sind Lieder ideal, die das Thema der Predigt aufgreifen. Und falls man noch ein Lied ganz am Ende des Gottesdienstes einplant, dann bietet sich ein Lied an, das den Segen Gottes oder die Sendung in den Alltag thematisiert.

… durch gemeinsames Geben

Entweder du betest Geld an oder du betest mit deinem Geld Gott an. Es sollte uns klar sein, dass es Gott ist, der uns das Geld zur Verfügung stellt. Von daher gehört das Geben zu unserem Gottesdienst dazu (1Kor 16,2). In vielen Gemeinden ist es üblich, dass der „Klingelbeutel“ im Gottesdienst durch die Reihen geht. Andere sehen das kritisch, da Leute (gerade Besucher) sich unter Druck gesetzt fühlen könnten, etwas zu geben. Wieder andere argumentieren, dass die meisten Gemeindeglieder sowieso per Dauerauftrag ihren Beitrag überweisen und die Sammlung im Gottesdienst von daher nicht mehr zeitgemäß sei.

Wenn man aus den oben genannten Gründen nicht während des Gottesdienstes sammeln möchte, dann ist es sinnvoll, an einem gut erreichbaren Ort (z.B. am Ausgang der Gottesdienstraums) einen Kasten aufzustellen, wo die Menschen vor oder nach dem Gottesdienst etwas spenden können. In diesem Fall ist es wichtig, im Gottesdienst darauf hinzuweisen, damit das gemeinsame Geben nicht aus dem Blick gerät.

Was ist mit Ansagen, Zeugnissen…?

Wie soll man mit weiteren möglichen Gottesdienstelementen umgehen – wie Ansagen, Missionsberichten oder persönlichen Zeugnissen? Meine klare Empfehlung ist, diese Dinge im Gottesdienst entweder kurz zu halten oder sie auf andere Gemeindeveranstaltungen „auszulagern“.

Bei den Ansagen sollte man darauf achten, dass das Wichtigste in aller Kürze gesagt wird. Missionsberichte könnten an einem Extratermin stattfinden, an dem man sich gezielt mit der Missionsarbeit beschäftigt. Ein geeigneter Ort für ausführlichere Zeugnisse kann die Bibelstunde oder die Mitgliederversammlung sein – also Treffen der Gemeinde, die weniger öffentlich sind als der Sonntagsgottesdienst.

Grundsätzlich ist bei all diesen Dingen das Problem, dass sie sehr viel Zeit des Gottesdienstes in Anspruch nehmen (können) – gerade, weil sie erfahrungsgemäß länger dauern als geplant. Oft ist die Aufmerksamkeit dann bereits ausgereizt, bevor die Predigt überhaupt startet.

Die größere Perspektive

Es ist leicht, sich bei der Planung der Gottesdienste in Details zu verlieren. Bis zu einem gewissen Grad ist das nötig, damit der Gottesdienst so gestaltet ist, wie er Gott gefällt. Aber es ist wichtig, dass wir bei all dem nicht vergessen, was wir tun, wenn wir Gottesdienst feiern.

Die Bibel sagt nicht nur, dass wir als Gottes Volk im Gottesdienst Gott hier auf der Erde begegnen. In Hebräer 12 lernen wir, dass wir mit unserem Gottesdienst sogar an dem Gottesdienst teilnehmen, der im Himmel vor Gottes Thron stattfindet: Ihr [Christen] seid gekommen zu dem Berg Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, und zu Zehntausenden von Engeln, zu der Festversammlung und zu der Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel angeschrieben sind, und zu Gott, dem Richter über alle, und zu den Geistern der vollendeten Gerechten, und zu Jesus, dem Mittler des neuen Bundes […] (Hebr 12,22-24).

Bereits jetzt beten die Seelen der verstorbenen Heiligen gemeinsam mit den Engeln Gott an. Und auch wenn wir in einem Sinn noch hier auf der Erde sind, sind wir faktisch mit unseren Gottesdiensten bereits Teilnehmer an diesem himmlischen und ewigen Gottesdienst (s. Jes 6,1-3; Offb 5,11-14). Diese Perspektive ist nötiger als alles andere, wenn wir über die praktische Gestaltung unserer Gottesdienste nachdenken.

Hat Jesus wirklich nie gesagt…?

Hat Jesus während seiner Zeit hier auf der Erde wirklich nie zur Teilnahme am Gottesdienst aufgefordert, wie Bischof Meister behauptet? Tatsächlich lesen wir in den Evangelien nichts darüber. Aber der Grund dafür ist nicht, dass die Teilnahme am Gottesdienst für Jesus unwichtig war.

Er musste das nicht fordern, denn es war damals selbstverständlich, am Sabbat in den Gottesdienst zu gehen. Lukas berichtet über Jesus: …er ging nach seiner Gewohnheit am Sabbat in die Synagoge… (Lk 4,16).

Der Sohn Gottes hat die Teilnahme am Gottesdienst nicht einfach gefordert. Er hat sie Woche für Woche vorgelebt.


Jochen Klautke ist Pastor der Bekennenden Evangelisch-Reformierten Gemeinde in Gießen und Dozent an der Akademie für Reformatorische Theologie. Daneben gehört er zur Leitung des Jugendnetzwerks josia. Er ist verheiratet mit Natalie und Vater von zwei Kindern.


[1] https://www.ekd.de/bischof-meister-10-uhr-gottesdienst-ist-auslaufmodell-80093.htm (abgerufen am 14.11.2023).

[2] Diese beiden Gottesdienste erkläre ich genauer in meiner Predigt Gottesdienst feiern zu Epheser 5,18-21, erschienen in Bekennende Kirche Nr. 82, online abrufbar unter: https://bekennende-kirche.de/artikel/wortverkuendigung-aus-epheser-518-21-gottesdienst-feiern/.

[3] Damit ist nicht gemeint, dass der Neue Bund noch Verbesserungen bräuchte (Hebr 9,26; 10,12-18). Aber Tatsache ist, dass wir Menschen immer wieder vergessen, was es bedeutet, in diesem Bund zu leben. Von daher ist Erneuerung im Sinne einer Erinnerung und Neuausrichtung immer wieder nötig. Dies galt zur Zeit des Alten Testaments (2Kön 23,3; 2Chr 29,10; Esr 10,3; Neh 9,38) und das gilt ebenso im Neuen Bund (Hebr 10,19-25).

[4] Gewisse zeitgenössische Fehlentwicklungen bei der Gottesdienstgestaltung analysiert Ron Kubsch in seinem Artikel: Gottesdienst als Spielfläche, erschienen in Bekennende Kirche Nr. 52, online abrufbar unter: https://bekennende-kirche.de/artikel/gottesdienst-als-spielflaeche/.

[5] Eine weitere Darstellung der Elemente des Gottesdienstes, in der manche der hier genannten Aspekte noch tiefer beleuchtet werden, findet sich in dem zweigeteilten Artikel Biblisch-Reformatorischer Gottesdienst – Was ist das? von Dr. Jürgen-Burkhard Klautke (erscheinen in Bekennende Kirche Nr. 52, online abrufbar unter: https://bekennende-kirche.de/artikel/biblisch-reformatorischer-gottesdienst-teil-1-was-heisst-das/ und: https://bekennende-kirche.de/artikel/biblisch-reformatorischer-gottesdienst-teil-2-konkret/).

[6] Im ersten Artikel des Zweiten Helvetischen Bekenntnisses heißt es dazu: „Wir geben allerdings zu, Gott könne Menschen auch ohne die äußere Verkündigung erleuchten, wann und welche er wolle: das liegt in seiner Allmacht. Wir reden aber von der gewöhnlichen Art, wie die Menschen unterwiesen werden müssen, wie sie uns durch Befehl und Beispiel von Gott überliefert ist.“

[7] Der ordentliche Ablauf eines Gottesdienstes wird häufig nach dem griechischen Wort für Dienst als Liturgie bezeichnet. Gerade in freikirchlichen Gemeinden hat dieses Wort einen sehr negativen Klang. Man verbindet damit tote Tradition und Starrheit. Natürlich ist es fatal, wenn eine Gemeinde einen Ablauf einfach nur gedankenlos „abspult“. Fakt ist aber, dass jede Gemeinde einen Ablauf, also eine Liturgie hat. Die Frage ist nur, wie biblisch durchdacht dieser Ablauf ist.

[8] Über die das Thema Musik und Gottesdienst ist ein eigener Artikel in dieser Serie geplant, der einige der angesprochenen Punkte vertiefen wird.