Das Buch Esther (Teil 3): Vier Fragen zur Verherrlichung von Gewalt

Das Buch Esther (Teil 3): Vier Fragen zur Verherrlichung von Gewalt

In der Serie über das Buch Esther geht es um herausfordernde Fragen.[1] In diesem dritten und letzten Artikel konzentrieren wir uns auf die angebliche Verherrlichung von Gewalt. Beim Lesen des Buches „Esther“ könnte man schnell den Eindruck bekommen, dass Rache in Gottes Augen eine gute Sache sei: Ist nicht die Art und Weise, wie Esther und Mordechai ihren Beschluss formulieren, ein Hinweis darauf, dass Rache ihr vorherrschendes Motiv ist? Ist die große Zahl der Getöteten nicht ein Beleg für die Gewalt der Juden? Können sich also Attentäter wie Baruch Goldstein, der am jüdischen Feiertag von Purim im Jahr 1994 nach dem Lesen des Buches Esther ein Massaker unter betenden muslimischen Palästinensern anrichtete, zu Recht auf das Buch berufen? Und ist die Art und Weise, wie Purim heute gefeiert wird, nicht ein Hinweis darauf, dass mit diesem Fest Hass auf die Feinde der Juden geschürt wird? Der Eindruck eines gewaltverherrlichenden Buches könnte tatsächlich entstehen, wenn man Esther für sich betrachtet, also isoliert von der Gesamtoffenbarung der Heiligen Schrift. Berücksichtigt man jedoch die Geschichte Gottes mit seinem Volk in seiner Gesamtheit, dann ergibt sich ein anderes Bild. Anhand von vier Fragen wollen wir Antworten zum Umgang mit der Gewalt im Buch Esther finden.

1. Der Agagiter Haman: Ein persönlicher Feind von Mordechai? (Est. 3)

Ein erster Gedanke an Rache könnte zu Beginn des Kapitels 3 auftauchen. Wir hätten vielleicht erwartet, dass Mordechai vom König befördert würde, weil dieser doch durch seine Loyalität das Leben des Königs gerettet hatte, indem er eine Verschwörung aufgedeckt hatte (Est. 2,21–23). Aber es kam anders: Mordechai wurde übersehen, und stattdessen wurde Haman zum zweitmächtigsten Mann im Persischen Reich befördert (Est. 3,1). Eine Erklärung für diese Ehre sucht man vergeblich.

Immerhin war Mordechai nicht bereit, Haman Ehre zu erweisen und seine Knie vor ihm zu beugen (Est. 3,2). Das erzeugte in dem stolzen Haman Wut (Est. 3,5). Es genügte ihm nicht, Mordechai hängen zu sehen. Er wollte das ganze Volk der Juden vernichtet haben (Est. 3,6). Mit viel List trug er sein Anliegen dem König vor (Est. 3,7–9). Ohne den Namen des Volkes zu nennen, warf er dem Volk der Juden vor, Verrat am König begangen zu haben. Und dann versüßte Haman sein Anliegen, indem er folgendes Angebot unterbreitete: Er sei bereit, 10.000 Talente Silber in die königliche Schatzkammer zu legen.

Haman hatte leichtes Spiel mit dem König. Bereitwillig zückte dieser seinen Siegelring, und Haman durfte mit dem Volk der Juden machen, was er wollte (Est. 3,10.11). Der König erließ den unwiderruflichen Befehl, dass man an einem bestimmten Tag alle Juden töten solle, und er ließ dieses Dekret im gesamten Persischen Reich veröffentlichen (Est. 3,12–15). Damit stand das Volk der Juden kurz davor, völlig vernichtet zu werden.

War der Auslöser der nationalen Tragödie eine persönliche Fehde zwischen Mordechai und Haman? Dies war nur vordergründig der Fall. Der eigentliche Grund war Hamans Hass auf die Juden, also nicht allein auf Mordechai. Mordechais Weigerung vor Haman niederzufallen, wird mit seiner jüdischen Identität begründet (Est. 3,3.4). Und noch etwas fällt auf: Als Mordechai vorgestellt wird (Est. 2,5), wird er als Jude aus dem Stamm Benjamin bezeichnet, während Haman bei seiner ersten Erwähnung als „Agagit“ identifiziert wird (Est. 3,1). Das sind wichtige Hinweise, die dazu veranlassen, die Beziehung zwischen diesen Personengruppen näher zu untersuchen und in der Bibel zurückzublättern.

Wer also war Agag? Agag war König der Amalekiter zu der Zeit des ersten Königs Israels, Saul. Saul kam ebenso wie Mordechai aus dem Stamm Benjamin (1Sam. 9,1. Damals bekam er den Auftrag, die Amalekiter zu vernichten, 1Sam. 15). Warum eigentlich? Der Grund liegt weitere Jahrhunderte zurück.

Beim Auszug Israels aus dem Land Ägypten und der anschließenden Wüstenwanderung wurde das Volk Israel von den Amalekitern (ein Nomadenvolk der südlichen Wüstenregion) bedroht (2Mos. 17,8–16). Auch dieser Konflikt reicht noch weiter zurück: Der Stammvater der Amalekiter war ein Nachkomme Esaus (1Mos. 36,12), eines Widersachers seines Bruders Jakob. Nachdem das Volk Israel bei der Wüstenwanderung unter der Führung Josuas den Krieg gegen die Amalekiter gewonnen hatte, befahl Gott dem Mose: Schreibe das zum Gedenken in ein Buch, und präge es den Ohren Josuas ein: Ich will das Andenken Amaleks ganz und gar austilgen unter dem Himmel! (2Mos. 17,14). Mose schärfte diese Worte der neuen Generation kurz vor dem Einzug ins verheißene Land erneut ein: Gedenke daran, was dir Amalek antat auf dem Weg, als ihr aus Ägypten gezogen seid; wie er dir auf dem Weg entgegentrat und deine Nachhut abschnitt, alle Schwachen, die zurückgeblieben waren, als du müde und matt warst, und wie er Gott nicht fürchtete. Wenn dir nun der Herr, dein Gott, Ruhe gegeben hat vor allen deinen Feinden ringsum in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir als Erbe gibt, um es in Besitz zu nehmen, so sollst du das Andenken an Amalek unter dem Himmel vertilgen; vergiss es nicht! (5Mos. 25,17–19). Diesen Auftrag sollte Saul ausführen, versagte dabei aber kläglich und ließ den amalekitischen König Agag am Leben, zusammen mit den besten Schafen und Rindern (1Sam. 15,9). Als Folge seines Ungehorsams wurde Saul von Gott verstoßen (1Sam. 15,2226). Einer der Nachkommen Agags, Haman, beschloss den alten Feind, die Juden, zu vernichten. Mit Haman haben wir es also mit einem alten Feind zu tun, der mit neuem Namen in Erscheinung tritt. Esaus Zusammenstoß mit Jakob, Israels Krieg in der Wüste mit Amalek, Sauls Auftrag gegen Agag und Hamans Feindschaft gegen Mordechai sind lediglich einige Beispiele, die diesen größeren Konflikt vor Augen führen.

Hamans Ziel, die Juden zu vernichten, ist ein weiterer Beweis der Versuche Satans, den verheißenen Nachkommen Evas, der der Schlange den Kopf zertreten soll (1Mos. 3,15), zu verhindern. Es geht bei den Geschehnissen im Buch Esther also nicht nur um eine persönliche Rivalität zwischen Mordechai und Haman. Vielmehr ist es Teil des uralten Streites zwischen dem Samen der Frau und dem Samen der Schlange (1Mos. 3,15).

2. Das neue Gesetz von Esther und Mordechai: Ein rachsüchtiger Plan? (Est. 8)

Die im Buch Esther berichtete Auseinandersetzung zwischen Haman und Mordechai ging weiter. Haman steigerte sich immer mehr in seinen Hass hinein. Er wollte Mordechai hängen sehen. Aber es kam anders. Esther riskierte ihr Leben. Es gelang ihr, den König für ihr Anliegen zu gewinnen. Am Ende war es Haman, der am Galgen hing. Der König überließ Esther den Besitz Hamans und setzte Mordechai zum Nachfolger Hamans ein (Est. 8,1.2). War das Problem damit gelöst? Nein, denn Haman war zwar tot, aber der von ihm initiierte Beschluss existierte immer noch. Ein Dekret des persischen Königs war unwiderruflich. Gottes Volk war immer noch in seiner Existenz bedroht. Zwei Monate nach ihrer ersten Bitte riskierte Esther ihr Leben erneut und erbat vom König die Erlaubnis, einen neuen Beschluss zu fassen (Est. 8,38). Dieser Beschluss gestattete die Tötung von Frauen und Kindern sowie die Plünderung von Besitz. War dieser neue Beschluss, den Esther und Mordechai planten, Ausdruck von Rache? Ein Vergleich des Dekrets von Esther und Mordechais (Est. 8,914) mit dem Beschluss von Haman (Est. 3,1215) gibt darauf eine Antwort.

Es fällt schnell auf, dass beide Dekrete ähnlich lauten. Während der erste Beschluss gebot, alle Juden zu vernichten, umzubringen und auszurotten, vom Knaben bis zum Greis, Kinder und Frauen, ()  und um ihre Habe als Beute zu rauben (Est. 3,13; ELB), gestattete das zweite Dekret den Juden, sich zu versammeln und für ihr Leben einzustehen und zu vernichten, umzubringen und auszurotten alle bewaffnete Macht von Volk und Provinz, die sie bedrängen würde, Kinder und Frauen und ihre Habe als Beute zu erbeuten (Est. 8,11; ELB). Auch wenn die Erwähnung von Frauen und Kindern im Dekret von Mordechai und Esther beunruhigt, entsprach dies dem genauen Wortlaut des ersten Edikts. Das zweite Dekret räumte den Juden genauso wie ihren Gegnern im ersten Dekret das Recht auf Plünderung ein. Das neue Dekret bot den Juden somit die gleichen Bedingungen wie ihren Feinden.

Allerdings bestand ein wesentlicher Unterschied in Folgendem: Das neue Dekret beschränkte sich auf die Verteidigung der Juden. Ihnen war es nur zugestanden, diejenigen zusammen mit ihren Familien zu töten und sie ausplündern, die sie angreifen würden. Es ging also lediglich darum, sich vor den Maßnahmen zu schützen, die ihre Feinde geplant hatten, also die Juden und ihre Familien zu töten und ihren Besitz zu rauben. Im zweiten Dekret ging es also nicht um eine Lizenz zum Töten, sondern lediglich um Verteidigung. Im Gegensatz zu Hamans Edikt, das Gottes Volk keinerlei Ausweg ermöglicht hatte, richtete sich das neue Edikt lediglich gegen diejenigen, die ihrerseits die Juden und ihre Familien angriffen. Dagegen waren diejenigen, die Gottes Volk nicht befeindeten, durch das Edikt nicht betroffen.

Viele Menschen aus anderen Nationen schlossen sich daher den Juden an und vermieden so das Schicksal ihrer Feinde (Est. 8,17). Die Botschaft war klar: Es gibt einen Ausweg aus dem Gericht durch Identifikation mit dem Volk Gottes. Das zweite Edikt wurde im dritten Monat erlassen (Est. 8,9), und das große Ereignis sollte im zwölften Monat (Est. 8,12) stattfinden. Neun Monate hatten die Einwohner des Reiches also Zeit, sich zu überlegen, ob sie Feinde oder Freunde des Volkes Gottes sein wollten.

3. Der Tag der Entscheidung: Eine blutige Umsetzung des Beschlusses? (Est. 9,116)

Die Bilanz am Ende des 13. Adar lautete: 500 Tote in der Burg Susa (Est. 9,6) sowie weitere 75.000 Tote im gesamten Persischen Reich (Est. 9,16). Und als ob dies nicht schon genug des Blutvergießens wäre, bat Esther um die Verlängerung des Gesetzes um einen weiteren Tag. Dadurch verloren weitere 300 Männer ihr Leben (Est. 9,1315). Das klingt nach brutaler Umsetzung des Beschlusses. War das notwendig? Auch hier lohnt sich ein genaues Hinsehen.

Zwar wird erwähnt, dass die Juden 500 Männer in der Burg Susa töteten. Frauen und Kindern werden jedoch nicht erwähnt (Est. 9,6). Die 75.000 Toten aus dem gesamten Reich werden ausdrücklich beschrieben als ihre Hasser (Est. 9,16). Daraus lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass die Juden nur gegen diejenigen vorgingen, die sie getötet hätten. Es ging also lediglich um die Männer, die die Absicht hatten, gegen die Juden vorzugehen.

Mit anderen Worten: Die Juden übten Gewalt nur soweit aus, wie es zu ihrer Verteidigung erforderlich war. Sie nutzten nicht die für sie günstige Gelegenheit, um „unschuldiges“ Blut zu vergießen. Andererseits war aber klar, dass die Juden nur dann leben konnten, wenn ihre Feinde starben: Der Einsatz von Gewalt war notwendig, um Frieden zu ermöglichen.

War aber die brutale Tötung von Hamans Söhnen erforderlich? In der Antike war die Hinrichtung von Söhnen eine übliche Praxis, um jede Möglichkeit auszuschließen, dass diese versuchen würden, den Tod ihres Vaters zu rächen. Und so war Hamans Untergang erst mit der Tötung seiner Söhne vollständig. Bei alledem ging es nicht nur darum, dass Haman getötet wurde, sondern auch um Herabwürdigung seiner Ehre, seiner Position, seines Reichtums und seiner Nachkommen. Auch die Söhne, auf die Haman so stolz war (Est. 5), mussten untergehen.

Auch Esthers Bitte, die Aktion um einen weiteren Tag zu verlängern, ist nicht Ausdruck von Rache. Eher ist es ein Hinweis, wie viel Hass den Juden selbst noch nach dem ersten Tag entgegenschlug. Der zweite Tag war erforderlich, um den Sieg der Juden zu gewährleisten. Möglicherweise irritiert uns die Kaltblütigkeit der Juden. Vermutlich aber wäre es angemessener, wenn wir über die vielen Menschen beunruhigt sein würden, die den Juden feindlich gesinnt waren und das sogar innerhalb der höchsten Regierungskreise.

Unsere Aufmerksamkeit sollte vielmehr auf etwas Anderes gerichtet sein. Wiederholt wird die Formulierung aber an die Beute legten sie ihre Hand nicht verwendet (Est. 9,10.15.16). Obwohl der Erlass den Juden eine Plünderung des Besitzes ausdrücklich erlaubte und Derartiges in Kriegshandlungen gängige Praxis war, bereicherten sich die Juden nicht an fremdem Besitz. Was war der Grund dafür? Die Juden verstanden ihre Verteidigung als Ausführung eines von Gott gegebenen Auftrags. Als Agenten Gottes durften sie sich durch Plünderungen nicht persönlich bereichern. Genau darin hatte Saul einst versagt (1Sam. 15,1031).

Der Kampf gegen ihre Feinde war der von Gott gebotene Kampf gegen das Böse und gegen die Sünde. Von Anfang an war es Gottes Ziel, dass sein Volk heilig und gerecht leben sollte. Aber von Beginn an war die Existenz des Volkes durch die Vermischung mit dem Unheiligen bedroht. Daher erforderte der Erfolg von Gottes Erlösungsplan den Schutz seines Volkes in seinem Krieg gegen das Böse. Und das wiederum erforderte, dass diese Menschen zur Sicherung ihrer Existenz sowohl offensive als auch defensive Maßnahmen ergriffen.

Mit anderen Worten: Erlösung heißt notwendigerweise Zerstörung. Der tiefste Sinn von Erlösung ist, dass die Menschen vor etwas Schrecklichem und Bösem gerettet und bewahrt werden. Hamans Anliegen, die Vernichtung des Volkes Israels, stand im Widerspruch zu den Verheißungen Gottes. Sein Versprechen aus 1. Mose 3,15 stand auf dem Spiel. Deshalb musste Gottes Volk erhalten werden.

4. Das Purim-Fest: ein Freudenfest über den Tod von Menschen? (Est. 9,1832)

Nachdem die Juden ihre Feinde besiegt hatten, ordnete Mordechai ein Fest an. Vergleicht man die Anordnung Mordechais mit den Geboten über die Feste im dritten Buch Mose, ist deutlich, dass hier nicht ausdrücklich Gott die Anordnung erließ, sondern Menschen, nämlich Mordechai und Esther. Mordechai war weder ein Prophet noch ein Wundertäter. Auch regierte er nicht als König in Jerusalem. Statt das Ephod des Hohepriesters trug er den Siegelring des persischen Königs. Nirgendwo in Mordechais Anweisungen finden wir ein offensichtliches Wort über Gottes Volk, das sich verpflichtet, Gott für seine Befreiung zu preisen und seine Kinder an diese Demonstration seiner Treue zu erinnern. Denken wir an das Passahfest, bei dem genau dieser Aspekt von zentraler Bedeutung war.

Es hat den Anschein, als hätten die Juden, die die Anordnungen Mordechais und Esthers befolgten, den ganzen Festtag verbringen können, ohne ein einziges Mal an Gott zu denken. Möchte der Autor vielleicht, dass der Leser dieses Fest als „heidnisch“ erkennt und dadurch ablehnt? Wohl kaum. Und das aus mehreren Gründen:

  • Der Kern des Festes war die Ruhe von ihren Feinden (Est. 9,22). Dies ist ein zentrales biblisches Leitthema. Es findet sich im Alten Testament wiederholt. Die Ruhe von den Feinden wurde als Voraussetzung für den Bau des Tempels angekündigt (5Mos 12,10). Ruhe von den Feinden war das Zeichen des erfolgreichen Abschlusses der Einnahme des verheißenen Landes durch Josua (Jos. 11,23). Jahrhunderte später konnte König David über den Bau des Tempels nachdenken, weil Gott ihm Ruhe von seinen Feinden geschenkt hatte (2Sam. 7,1). Das heißt: Einem am Wort Gottes orientierten Juden war es gar nicht möglich, beim Purim-Fest, dem Fest der Ruhe von den Feinden, nicht an Gott erinnert zu werden.
  • Der Name des Festes lautet Purim. Dieses Wort ist vom Wort „Pur“ (Los) abgeleitet (Est. 9,26). Auf den ersten Blick scheint das eine seltsame Bezeichnung für ein Fest zu sein. Zum einen wird das Werfen des Loses im gesamten Buch nur ein einziges Mal erwähnt (Est. 3,7), und es spielt in den Ereignissen eine relativ untergeordnete Rolle. Selbst wenn man diesen Vorgang aus dem Buch entfernen würde, bliebe die gesamte Handlung verständlich. Nicht nur das. Das einzige Mal, wo das Werfen eines „Loses“ erwähnt wird, ist, als Haman die Götter anruft, um den besten Tag für die „Endlösung der Judenfrage“ zu bestimmen.

Warum sollte jemand ein Fest nach dem Werkzeug benennen, mit dem sein Feind das Datum für seine Schlachtung festlegte?

Tatsächlich könnten die Juden versucht sein, auf die Ereignisse zurückzublicken und zu meinen, ihre Errettung sei lediglich ein glücklicher Zufall gewesen.

Doch durch die Benennung des Festes wird die Aufmerksamkeit auf etwas Tieferes gelenkt: Das Los oder das Schicksal des Volkes Gottes wird gerade nicht dem Zufall überlassen, und es wird nicht von jemandem wie Haman bestimmt, der Lose vor seinen Göttern wirft.

Es ist allein Gott, der das Los seines Volkes bestimmt. Die Bezeichnung erinnert die Menschen daran, dass nur Gott es ist, der bestimmt, wie sich die Dinge in der Welt entwickeln. Weder Zufälle noch chaotische Kräfte noch konkurrierende Kräfte tun dies. Es ist Gott und Gott allein, der damals das Los seines Volkes in Persien bestimmte.

  • Der Inhalt des Festes knüpft an ihre Erfahrungen an. Die Juden sollten sich daran erinnern, dass ihr Kummer in Freude und ihre Trauer in einen Festtag verwandelt worden war; dass sie diese feiern sollten als Tage des Gastmahls und der Freude, an denen sie einander Geschenke machen und die Armen beschenken sollten (Est. 9,22). Zum einen sollte es ein Fest des Gastmahls sein. Wie passend! Denn die Ereignisse im Buch Esther sind von Beginn bis zum Ende von Gastmählern geprägt.

Zum anderen sollten die Menschen einander beschenken. Und auch das greift das Geschehene auf. Das Edikt Hamans bestand in der Bedrohung, dass ihnen ihr Besitz weggenommen wird. Durch die gegenseitigen Geschenke wurden die Menschen daran erinnert, wie sie alles verloren hätten, wenn nicht Gott in seiner Vorsehung für sie dagewesen wäre. Während des gesamten Buches wurden die Juden von einem Edikt bedroht, das nicht widerrufen werden konnte. Aber jetzt feierten sie ihre Befreiung von dieser Bedrohung mit einer anderen Verordnung, die nicht widerrufen werden sollte (Est. 9,28).

Was heißt das alles? Ruft das Buch zur Gewalt auf? Nein, denn die Geschichte im Buch Esther ist Teil der großen Geschichte Gottes mit seinem Volk. Hier wird offenkundig, dass Gott das Volk am Leben erhält, bis der angekündigte Nachkomme in der Person von Jesus Christus die Erfüllung bringt. Es geht hier nicht um Rache. Den Beschluss Hamans zu verhindern, war nicht einfach ein Racheakt des Volkes, sondern es war ein Zeichen der Treue und der Zuverlässigkeit Gottes. Das wird mit dem Purim-Fest gefeiert.

Und so erinnert uns das Buch Esther daran, dass

  • Gottes Volk auch heute von Gottes Gegnern bedroht wird. Darum sollten wir nicht überrascht sein, dass der Gemeinde Widerstand entgegenschlägt (1Joh. 3,13);
  • Gottes Volk auch heute dazu berufen ist, Menschen aus allen Nationen einzuladen, sich dem Volk Gottes anzuschließen (Mt. 28,20);
  • Gottes Volk auch heute in den Kampf gegen den Bösen eintritt, der nicht ein Kampf gegen Blut und Fleisch ist, sondern ein geistlicher Kampf (Eph. 6,11.12) und
  • Gottes Volk auch heute auf den endgültigen Sieg bei dem zweiten Kommen von Jesus Christus wartet (Offb. 20,10).

[1] Folgende Literatur wurde für diesen Artikel verwendet: Cosper, Mike, Faith among the faithless. Learning from Esther how to live in a world gone mad. Nashville [Nelson Books] 2018. Duguid, Iain M., Esther and Ruth. In: Reformed Expository Commentary. Phillipsburg, NJ [P&R Publishing] 2005. Gregory, Bryan R., Inconspicuous Providence. The Gospel according to Esther. Phillipsburg, NJ [P&R Publishing] 2014. Jobes, Karen H.: Esther. The NIV Application Commentary. Grand Rapids, MI [Zondervan] 1999.