Biblische Besinnung über Jakobus 3,1-12

Biblische Besinnung über Jakobus 3,1-12

Die Zunge hat nach Jakobus eine besondere Stellung unter den menschlichen Organen. Sie hat direkten Anschluss an das Innere des Menschen, sein Herz, seine innere Schaltzentrale. Sie ist dasjenige Organ, welches die inneren Gedanken in Gestalt von Worten nach außen lässt. Sie bringt geheime Gedanken nach außen und macht sie für andere Menschen hörbar und offenkundig. Jakobus hilft uns, die Bedeutung unserer Zunge, das heißt, die Tragweite dessen, was wir sagen, einmal in den Blick zu bekommen. Er geht darauf ein in 3,1-12. Er macht darin zunächst das Ausmaß der Wirksamkeit deutlich, die die Zunge hat:

1. Die Zunge hat eine große Wirksamkeit.

Das stellt uns Jakobus in den Versen 2-4 vor Augen:

2 Wir alle sind in vieler Hinsicht sündige Menschen. Wer nie ein verkehrtes Wort redet, ist ein herangereifter Mensch. Er ist fähig, auch seinen ganzen Leib im Zaum zu halten. 3 Wir legen den Pferden das Zaumzeug ins Maul, damit sie uns gehorchen. So lenken wir das ganze Tier. 4 Oder denkt an ein Schiff: Es ist groß und wird von starken Winden getrieben. Trotzdem wird es mit einem verhältnismäßig winzigen Ruder dahin gesteuert, wohin der Steuermann es haben will.

Dass die Zunge eine große Wirksamkeit hat, macht Jakobus zunächst an einem positiven Beispiel fest: Wer seine Zunge im Zaum halten kann, von dem kann man sagen, dass er sich selbst ganz im Griff hat. Das heißt, wenn es darum geht, sich selbst und sein Temperament unter Kontrolle zu bringen, dann muss man bei seiner Zunge anfangen. Wer die Gedanken, die in seinem Inneren umherkreisen, zügeln will, der muss das Organ zähmen, welches die Gedanken von innen nach draußen lässt: die Zunge.

Die Bedeutung, die die Zunge bei der Steuerung des ganzen Menschen hat, verdeutlicht Jakobus an zwei Beispielen: an einem Pferd und einem Schiff. Das Pferd wird vom Reiter vor allem über den Zaum kontrolliert. Der Zaum liegt dem Pferd im Maul und wird über die Zügel vom Reiter geführt. Soll das Pferd laufen, lässt der Reiter die Zügel locker und gibt dem Pferd die Sporen. Soll das Pferd anhalten, zieht der Reiter an den Zügeln und am Zaum. Das Pferd spürt den Druck des Zaumes im Maul und hält an. Eine Kontrolle an der richtigen Stelle, nämlich vorne am Maul, bewirkt eine Kontrolle des ganzen Pferdes. Es gilt der Grundsatz: „Kleines Organ, das kontrolliert wird – große Wirkung!“

So ist es auch beim Menschen: Eine Kontrolle seines Mundwerkes, seines „Maules“, bewirkt eine Kontrolle des ganzen Menschen. Beim Schiff ist es ähnlich. Die Kontrolle eines kleinen Gerätes, nämlich des Steuerruders, bestimmt die Richtung des ganzen Schiffes. Es genügt ein einziger Steuermann, um ein Schiff mit Tausenden Tonnen Gewicht zu lenken. Er muss nur das Steuerruder betätigen: „Kleines Gerät – große Wirkung!“

Die Wirkung, die Jakobus hier aufgezeigt hat, ist eine gute. Welch gute Wirkung könnte die Kontrolle der Zunge beim Menschen nach sich ziehen! Wie viel Porzellan bliebe erhalten, wenn ein böses Wort, das einem schon auf der Zunge liegt, nicht ausgesprochen, sondern runtergeschluckt würde! Und wie viel Segen kann ein gutes Wort bewirken, welches ausgesprochen wird und Versöhnungsbereitschaft signalisiert! Es könnte so schön sein, aber die Realität sieht unter den Menschen leider anders aus, denn:

2. Die Zunge ist vom Menschen nicht zu kontrollieren.

Jakobus macht dies im zweiten Abschnitt deutlich. Er spricht hier aus der Beobachtung des Menschen allgemein. Der normale Mensch kann seine Zunge nicht im Zaum halten. Aber das Gesetz „kleines Organ – große Wirksamkeit“ bleibt leider erhalten. Die unkontrollierte Zunge produziert eine Menge böser Dinge. Jakobus nennt einige in den Versen 5-9:

5 Ebenso ist es mit der Zunge: Sie ist nur ein relativ kleines Körperteil und vermag doch groß zu prahlen. Denkt daran, wie klein die Flamme sein kann, die einen großen Wald in Brand setzt! 6 Auch die Zunge ist ein Feuer. Sie ist ein Ausbund an Unrecht und beschmutzt den ganzen Menschen. Sie setzt unser Leben von der Geburt bis zum Tod in Brand, mit einem Feuer, das aus der Hölle selbst kommt. 7 Der Mensch hat es fertiggebracht, alle Arten von Tieren unter Kontrolle zu bringen: Wilde Tiere, Vögel, Schlangen, Fische. 8 Aber die Zunge hat er noch nie bändigen können, sie ist ein unkontrollierbares Übel. Sie ist voll von tödlichem Gift. 9 Mit ihr loben wir Gott, unseren Herrn und Vater, und mit ihr verfluchen wir unsere Mitmenschen, die Gott als seine Abbilder geschaffen hat.

Die menschliche Zunge ist so klein, aber sie kann, wenn sie nicht kontrolliert wird, ein wahres Inferno auslösen. Jakobus gebraucht hier das Bild von der unkontrollierten Zunge als einem Feuer. Sie ist ein Feuer, das von der eigenen Sündhaftigkeit und Bosheit angefacht wird. Zusätzlich nährt der Teufel höchstpersönlich dieses Feuer, indem er böse Gedanken in das menschliche Herz sät. Die unkontrollierte Zunge ist wie ein kleines Feuer. Sie streut nur kleine Gerüchte, was mit einem kleinen Feuer im Wald verglichen werden kann. Sie redet nur leise hinter dem Rücken des anderen. Aber aus dem kleinen Feuer entsteht ein Waldbrand. Aus dem kleinen Gerücht entsteht eine Gerüchteküche, und aus der Gerüchteküche handfeste Verleumdung. Oder: Am Anfang mag nur ein einziges abfälliges Wort zum Nächsten stehen. Daraus entwickelt sich ein Wortgefecht. Am Ende bleiben Streit, Hass und zerrüttete Beziehungen, ein wahrer Waldbrand.

Jakobus beschreibt hier, dass es bei den Menschen so ist: Sie können ihre Zunge einfach nicht bändigen. Zu groß ist die Sündhaftigkeit im Herzen, zu mächtig das Wirken des Teufels. Aber Jakobus will den Missbrauch der Zunge keinesfalls rechtfertigen. Aus der Unkontrollierbarkeit der Zunge, wie Jakobus sie unter den Menschen allgemein feststellt, folgt für die Christen nicht, dass sie so reden können, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Sie sollen sich nicht dem allgemeinen Trend anschließen.

Auch wenn die Christen von Natur aus noch genauso Sünder sind wie die anderen Menschen, haben sie doch durch den Glauben Christus und sein Wort empfangen. Im Blick auf Christus, im Blick auf das Heil, das er ihnen erworben hat, sollen sie im Glauben leben und ihre Zunge zügeln. Sie sollen angesichts der eigenen Bosheit und der Anfälligkeit für böse Worte um so mehr darum kämpfen, dass ihr Mundwerk nicht dem kleinen Feuer gleicht, welches einen Wald in Brand setzt. Das gilt besonders für den Umgang von Christen untereinander in einer Ortsgemeinde. Das ist der dritte Gesichtspunkt, unter dem Jakobus, nachdem er die Wirksamkeit und allgemeine Unkontrollierbarkeit der Zunge verdeutlicht hat, auf den rechten Umgang mit dem eigenen Mundwerk zu sprechen kommt:

3. Die Zunge darf unter Geschwistern nicht missbraucht werden.

Dies schreibt Jakobus den Christen mit den Versen 1 und 10-12 ins Stammbuch. Das war bei seinen Adressaten bitter nötig. Denn unter ihnen richtete die unkontrollierte Zunge viel Unheil an. Es gab unter ihnen Eifersucht, Streit und jegliche Art von Gemeinheit, es gab Graben- kämpfe, es wurde verleumdet (3,14-16; 4,1.11). Trotzdem redet Jakobus sie in seinem Brief immer wieder als seine lieben Geschwister an, so auch in den folgenden Versen zweimal. Er möchte sie für seine Ermahnung gewinnen:

1 Meine lieben Brüder, nicht zu viele von euch sollten Lehrer der Gemeinde werden wollen. Ihr wisst ja, dass wir Lehrer von Gott strenger beurteilt werden als die anderen. … 10 Aus demselben Mund kommen Segen und Fluch. Meine lieben Brüder, das darf nicht sein! 11 Eine Quelle lässt doch nicht aus der gleichen Öffnung genießbares und ungenießbares Wasser fließen. 12 Liebe Brüder, auf einem Feigenbaum wachsen doch keine Oliven, an einem Weinstock hängen keine Feigen, und eine versalzene Quelle kann niemals Süßwasser hervorbringen!

Die Zunge darf unter den Geschwistern einer Gemeinde nicht missbraucht werden. Das hat vor allem für diejenigen Relevanz, die in der Gemeinde damit beauftragt sind, zu predigen und zu lehren. Jakobus geht darauf in Vers 1 ein. Ein Prediger oder Lehrer muss entsprechend seiner Aufgabe naturgemäß viel reden. Die Zunge ist für ihn so wichtig wie für einen Klavierspieler die Finger. Weil er seine Zunge häufig gebraucht, muss er sie auch bändigen können. Er soll sie benutzen, um Gottes Wort zu verkündigen. Mit bösen, lügenhaften und heuchlerischen Worten, die seinem eigenen bösen Herzen entspringen, soll er die Gemeinde verschonen.

Kann ein christlicher Mann sich und seine Zunge aber nicht beherrschen, so kann er nicht Lehrer und Prediger einer Gemeinde sein. Drängt er sich dennoch in diese Aufgabe, so wird er es einmal bereuen, da Gott ihn besonders streng beurteilen wird. Jakobus stellt es ihm warnend vor Augen. Es sollen also diejenigen Lehrer werden, die viel reden können, ohne etwas Böses dabei zu sagen. Wer nicht viel reden kann, ohne Schlechtes und Unwahres zu reden, soll nicht Lehrer werden, ganz einfach. Das ist ein Grundsatz, der sich aus der großen Wirksamkeit und der allgemein schieren Unbändigkeit der menschlichen Zunge ergibt.

Aber alle Christen einer Gemeinde stehen in der Verantwortung, ihre Zunge nicht für böse Worte zu gebrauchen. Wenn sie etwas sagen und miteinander reden, dann sollen sie dabei ihre Zunge kontrollieren. Jeder einzelne ist hier gefragt, sich notfalls einen Zaum aufzuerlegen, bevor er einem Glied der Gemeinde, und damit der ganzen Gemeinde, schadet. Jakobus benutzt in den Versen 11 und 12 zur Verdeutlichung seines Anliegens das Bild von einer Wasserquelle:

Eine Quelle lässt doch nicht aus der gleichen Öffnung genießbares und ungenießbares Wasser fließen. … Eine versalzene Quelle kann niemals Süßwasser hervorbringen!

Wenn jemand Christ ist, dann, so Jakobus, kann nicht auf Dauer gleich viel Gutes und Böses aus seinem Mund hervorgehen. Das, was aus seinem Mund hervorgeht, sollten für seine Mitmenschen genießbare Worte sein. Wenn jemand kein Christ ist, dann sieht es freilich anders aus. Er ist wie eine versalzene Wasserquelle, bei der das Wasser, bevor es an die Öffnung gelangt, über salziges Gestein fließt und sich so mit Salzen anreichert. Von dieser Quelle kann man kein genießbares Süßwasser erwarten. Ebenso kann man von einem Nichtchristen nicht erwarten, dass er gleich einem Christen seine Zunge kontrolliert. Er lebt nämlich nicht aus der Zusage Gottes. Sondern er lebt im Unglauben. Bei ihm ist nicht Gottes Wort die Quelle seiner Gesinnung und seines Redens, sondern allein sein ungläubiges, sündiges Herz. Ein Christ soll sich im Gebrauch seiner Zunge nicht den Nichtchristen gleichstellen. Er darf sich nicht an ihren selbstgesetzten Maßstäben orientieren, sondern er soll Christus, seinem Herrn, gehorchen. Um seinetwillen soll er seine Zunge bezähmen und auf das, was er sagt, achten.

Denken Sie daran: Mit Ihrer Zunge können Sie viel Böses, aber auch viel Gutes tun! Halten Sie sich vor Augen, was Jakobus über dieses kleine, zappelige Organ an unserem Leib zu sagen hat: Es ist klein und unscheinbar, entfaltet aber eine große Wirksamkeit. Und da die Zunge dazu noch kaum zu bändigen ist, bringt sie viele böse Worte hervor, die aus dem Herzen des Menschen emporsteigen. Als Menschen, die Christus gehören, stehen wir aber in der Verantwortung, sie zu bezähmen.

Denken Sie daran, dass Gott ihnen einen Mund gegeben hat, dazu ein Herz mit Verstand. Gott will nicht, dass wir auf andere böse Worte wie Giftpfeile abschießen und sie damit verletzen. Die meisten von Ihnen haben es sicher schon selbst erfahren, wie weh es tut, beschimpft und verleumdet zu werden. So mancher hat es auch schon schmerzhaft erlebt, wie er selber an der Entstehung eines bösen Gerüchtes beteiligt gewesen ist, ohne dass er es vielleicht ahnte. Schnell kann man die Folgen, die die eigene Zunge wie eine Lawine ins Rollen bringt, unterschätzen. Wenn man den großen Waldbrand sieht, mag man gern den Tag verfluchen, an dem man mit eigenen Worten der Bosheit und der Verleumdung ein kleines Feuer gelegt hat. Deshalb sollten wir um so mehr darauf, achten, was wir sagen. Jeder einzelne von uns möge mit seiner Zunge dazu beitragen, dass der Umgang miteinander von Wahrhaftigkeit geprägt ist. Jeder möge sein Reden in den Dienst für andere Gemeindeglieder stellen, sodass friedvolle Beziehungen geknüpft und gepflegt werden.

Das erfordert von jedem einzelnen die Aufmerksamkeit und Geduld eines Dompteurs, der seine Raubtiere nicht aus dem Blick lässt. Er lenkt ihre Aktionen und kontrolliert ihre Reaktionen, und bald gehorchen sie ihm. Möge jeder einzelne von uns ein Dompteur sein, ein Dompteur seiner eigenen Zunge! Amen.