Als in den 60er und vor allem 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in der Bundesrepublik Deutschland die Diskussion um die Abtreibung aufbrach, war ich Student der Theologie. Mein Professor für Ethik prophezeite damals: „Wenn erst einmal die Abtreibung erlaubt sein wird, dann wird es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis auch die Euthanasie wieder in unserem Land freigegeben sein wird.“ Daran erinnerte ich mich, als ich mir kürzlich die im Berliner Reichstag gehaltenen Politikerreden über die so genannte Sterbehilfe anhörte.
Der Tabubruch im Blick auf den Schutz des Lebens begann nicht mit Plädoyers für das so genannte Recht auf den eigenen Tod. Es begann mit der Tötung ungeborener Kinder.
Spätestens seit der bundesdeutschen Gesetzesänderung im Jahr 1996 (Fristenregelung mit vorheriger Beratungspflicht) wird das hundertausendfache Töten in Deutschland nicht mehr bestraft. In der Gesellschaft gilt Abtreibung als alltäglicher Vorgang. Das Lebensrecht des ungeborenen Kindes hat in der öffentlichen Diskussion keinen Stellenwert. Weltweit wird die Tötung Ungeborener als Akt der Selbstbefreiung der Frau propagiert und bedenkenlos praktiziert. Abtreibung gilt als „medizinische Dienstleistung“ oder als „Instrument der Geburtenplanung“. Inzwischen hat man für das Absaugen der Embryos aus dem Mutterleib den Begriff der „Menstruationsregelung“ ersonnen. Geht es noch zynischer?
Zu dieser gesamten Entwicklung nehmen in dem Buch Abtreibung – ein Menschenrecht? zwölf Autoren aus verschiedenen fachlichen Perspektiven kritisch Stellung. Ihre Beiträge zeugen durchweg von einem hohen Reflexionsniveau. Es werden die in juristischer Hinsicht grotesken Absurditäten der heutigen deutschen Rechtslage aufgezeigt. Entsprechende EU- und UNO-Kampagnen für Abtreibung werden dem Leser vor Augen geführt. Allein in Asien fehlen im Augenblick 150 bis 200 Millionen Mädchen, die einzig und allein aufgrund ihres Geschlechts von ihren Eltern vor ihrer Geburt ausgekratzt oder abgestochen wurden, übrigens ohne dass es bisher zu einem (hörbaren) Aufschrei von Seiten der Feministinnen gekommen ist.
In dem Buch werden auch die verhängnisvollen Folgen der Abtreibung für die Frauen selbst nicht verschwiegen. Die katastrophalen physischen und psychischen Konsequenzen, die man unter dem Begriff des Post-Abortion-Syndroms (PAS) zusammenfasst, werden offen angesprochen, also nicht, wie es sonst häufig geschieht, tabuisiert.
Eine Beraterin, die tagtäglich im Gespräch mit Frauen ist, die schwanger geworden sind, legt in einem Artikel beharrlich den Finger auf den Umstand, dass viele Frauen nachweislich von ihrer Umgebung zur Abtreibung gezwungen werden. Von „Selbstbestimmung“ kann also in vielfacher Hinsicht überhaupt nicht die Rede sein. Auch die Wirkungen der Tötung des denkbar aggressionslosesten Lebens auf die Familie, auf die Gesellschaft insgesamt und auf die Ärzteschaft, und auch die schlimme Rolle der Medien in dieser Frage werden dem Leser vor Augen geführt.
Wenn man in der Öffentlichkeit heutzutage nicht zögert, Abtreibung als „Menschenrecht“ zu bezeichnen, dann belegt dies, wie verlogen der Begriff „Menschenrechte“ inzwischen von einer Gesellschaft verwendet wird, die beschlossen hat, Gott nicht zu kennen, seine Gebote („Du sollst nicht töten!“) nicht mehr anzuerkennen und deswegen auch nicht mehr weiß, wer und was der Mensch eigentlich ist. Es steht Christen gut an, die Entwicklung, die der Begriff des „Menschenrechts“ gegenwärtig nimmt, nicht zu übersehen.
Das Buch vermittelt eine Fülle von Informationen, über die jeder verfügen sollte, dem der Lebensschutz nicht gleichgültig ist und der vor dem Schutz der ungeborenen Kinder und deren Müttern nicht die Augen verschließen will.
Jürgen-Burkhard Klautke
Bernhard Büchner, Claudia Kaminski; Mechthild Löhr [Hrsg.], Abtreibung – ein neues Menschenrecht? Beltheim [Sinus] 2014 [ISBN 978-3-88289-812-5] 2. Auflage, 261 Seiten, € 14.80