Amtswechsel in Zeiten des Abfalls

Amtswechsel in Zeiten des Abfalls

Die diesjährige Eröffnungsfeier des neuen Studienjahres der Akademie für Reformatorische Theologie steht im Zeichen von Veränderungen. Es geht um die Übertragung der Studienleitung auf Boris Giesbrecht.

Normalerweise schaut man an einem Tag des Transfers einerseits zurück und andererseits blickt man voraus. Aber ich möchte den Aspekt eines persönlichen Rückblicks und auch den eines Vorausblicks nicht in den Vordergrund stellen. Allzu leicht besteht die Gefahr, dass eine persönliche Rückschau zur Selbstdarstellung wird und dass sich der Blick nach vorn in eine inhaltsleere Träumerei auflöst. Hinzu kommt, dass ich mich selbst sicherer fühle, wenn ich bei einer Rede auf Aussagen aus dem Wort Gottes zurückgreifen kann. Das möchte ich auch heute so halten. Bei meiner Abschiedsrede vom Amt der Studienleitung der ART mit dem Titel Amtswechsel in Zeiten des Abfalls orientiere ich mich an einigen Abschnitten aus der Heiligen Schrift.

Amtswechsel im Wort Gottes

In der Heiligen Schrift wird das Übertragen eines Amtes auf einen Nachfolger nur gelegentlich thematisiert. Zum Beispiel kann man beim Thema Amtswechsel an den Bericht denken, der das Übertragen des Führungsamtes von Mose auf Josua schildert (4Mos 27,12–23). Tatsächlich hat mich dieser Abschnitt immer wieder in meinem Leben beschäftigt.

Unmittelbar bevor es zum Amtswechsel kam, machte Gott seinem Knecht Mose zum wiederholten Mal klar, warum er [Mose] nicht selbst das Volk Gottes in das verheißene Land führen dürfe. Und der Herr sprach zu Mose: Steige auf dieses Bergland Abarim und sieh dir das Land an, das ich den Kindern Israel gegeben habe! Und wenn du es gesehen hast, sollst du auch zu deinem Volk versammelt werden, wie dein Bruder Aaron versammelt worden ist, weil ihr in der Wüste Zin beim Hadern der Gemeinde meinem Befehl widerspenstig gewesen seid, mich vor ihnen durch das Wasser zu heiligen. Das ist das Haderwasser in Kadesch in der Wüste Zin (4Mos 27,12–14).

Wenn man über diese Aussage Gottes nachdenkt, möchte man Gott die Frage stellen: Gehst du nicht zu hart mit Mose um? Nur weil er ein einziges Mal dich nicht geheiligt hat, verweigerst du ihm, dein Volk in das verheißene Land zu führen? Immerhin blickte Mose zurück auf vierzig Jahre von Schwierigkeiten. Wäre es angesichts all dieser Strapazen während seiner Amtszeit nicht eine krönende Belohnung für ihn gewesen, wenn er selbst das Volk in das verheißene Land hätte führen dürfen? Erstaunlicherweise nahm Mose das Urteil Gottes widerspruchslos hin. Mit keiner Silbe widersprach er Gott. Er sagte nur: Der Herr, der Gott, der allem Fleisch den Lebensodem gibt, wolle einen Mann über die Gemeinde einsetzen, der vor ihnen aus- und einzieht und sie aus- und einführt, damit die Gemeinde des Herrn nicht sei wie Schafe, die keinen Hirten haben! (4Mos 27,17).

Das Einzige, was Mose in dieser Situation bewegte, war die Frage nach einem Nachfolger. Es heißt dann weiter: Und der Herr sprach zu Mose: Nimm dir Josua, den Sohn Nuns, einen Mann, in dem der Geist ist, und lege deine Hand auf ihn…

Mose war nicht an sich selbst interessiert. Es ging ihm nicht um einen krönenden Abschluss seiner ‚Karriere‘. Anstatt den Wunsch zu äußern, das verheißene Land selbst betreten zu dürfen, hatte er ein einziges Verlangen: Gott sollte einen geeigneten Nachfolger schenken, damit das Volk einen Hirten hat, der die Herde weidet.

Aber wenn wir nun trotzdem die Frage stellen, ob Gott denn nicht mit seinem Knecht Mose zu hart umging, dann wollen wir uns eines aus dem Wort Gottes sagen lassen: Es ist dem heiligen Gott unmöglich, dass Menschen irgendwelche Ehren für sich beanspruchen, die allein Gott zukommen. Gott schaut in unser Herz. Jesus sagt: Alle [!], die vor mir waren, waren Diebe und Räuber (Joh 10,8).

Wir fragen auch hier beunruhigt zurück: alle? Ja, sagt der Sohn Gottes, dessen Augen wie Feuerflammen sind. Denn alle diese Männer hatten immer auch ihre eigene Ehre im Sinn. An der eigenen Ehre, dem eigenen Vorteil sind nicht nur die offensichtlichen Mietlinge interessiert, also Menschen, die sich bei Gefahr zurückziehen. Nein, Diebe und Räuber sind auch die, die sich im Dienst zugunsten der Herde Gottes in die Grabenkämpfe werfen und in den geistigen Auseinandersetzungen ihren Kopf hinhalten. Aber wer von uns kennt schon sein eigenes Herz? In Wahrheit ist es keiner von uns sündigen Menschen wert, dem heiligen Gott zu dienen, also dem Gott, vor den die Engel, die Täter seines Wortes, nur gebückt und mit verhülltem Angesicht treten.

Die Perspektive der Königebücher im Unterschied zu den Chronikabüchern

Über den Amtswechsel von Mose auf Josua soll es im Folgenden nicht weiter gehen. Vielmehr wollen wir uns die Amtsübertragung eines Mannes anschauen, der seinen Dienst im Volk Gottes in Zeiten großen Abfalls verrichtete: der Prophet Elia. Wir richten damit unseren Blick auf einen Mann, über den Jakobus urteilt, dass er ein Mann war von gleichen Gemütsbewegungen wie wir (Jak 5,17).

Wenn es also sonst nicht viel ist, was wir mit ihm gemeinsam haben – im Blick auf die Gemütsschwankungen bestehen zu uns deutliche Parallelen. Denken wir an seinen Wunsch, als er vor Isebel auf der Flucht war und Gott bat: Herr, es ist genug! Nimm meine Seele von mir! (1Kön 19,4).

Elia lebte während der Königszeit im Nordteil des geteilten Königreichs. Der Geist Gottes hat es für erforderlich gehalten, uns diese Epoche zweifach zu schildern. Wir lesen über diese Zeit sowohl in den Königebüchern als auch in den Chronikabüchern. (Die Chronikabücher fangen zwar mit Geschlechtsregistern seit Adam an, aber ausführlich werden sie dann ab der Zeit Davids bis hin zum Babylonischen Exil.)

Die Berichte erfolgen in den Königebüchern aus einer etwas anderen Perspektive als in den Chronikabüchern. In den beiden Chronikabüchern steht der Priester- und der Tempeldienst in Jerusalem, der Hauptstadt des Südreiches, im Vordergrund. Dass dies der Fokus der Chronikabücher ist, wird am Ende angedeutet. Das zweite Chronikabuch schließt mit dem Bericht über die Tempelzerstörung (2Chr 36,17–21) und dann gleichsam als Verheißung mit dem Befehl des persischen Königs Kyros, das Haus Gottes wiederaufzubauen (2Chr 36,22.23). Kurz gesagt: In diesen Büchern steht der von Gott verordnete Tempeldienst in Jerusalem im Vordergrund.

Für unsere Thematik ist bemerkenswert, dass in den beiden Chronikabüchern der Prophet Elisa, also der Nachfolger von Elia, mit keiner Silbe erwähnt wird. Auch von Elia wird lediglich ein einziger Brief erwähnt, der erst Jahre, nachdem Elia bereits in den Himmel aufgefahren war, auftauchte (2Chr. 21,12). Faktisch spielen in den Chronikabüchern weder Elia noch Elisa eine Rolle. Anders ist es in den Königebüchern. Dort wird uns ausführlich über beide Propheten berichtet, und zwar in 1.Könige 17 bis 2.Könige 13.

Im Unterschied zu den Chronikabüchern stellen die Königebücher nicht das Priestertum und den Tempeldienst in den Vordergrund, sondern die weltliche Gewalt, und zwar sowohl im Südreich als auch im Nordreich. Dieser Fokus wird ebenfalls deutlich, wenn wir uns das Ende der Königebücher anschauen. Am Schluss des zweiten Königebuchs wird zwar auch der Untergang des Tempels erwähnt, aber im Vordergrund steht das Gericht über den (vorläufig) letzten Inhaber des Thrones aus dem Haus David, König Zedekia: Alle seine Söhne wurden vor seinen Augen umgebracht; anschließend nahm man ihm das Augenlicht, um ihn anschließend nach Babylon zu bringen (2Kön 25,1–7). Ganz am Ende des letzten Kapitels des zweiten Königebuches wird uns allerdings dann auch mitgeteilt, dass der ehemalige König Jehojachin, (der bereits vor Zedekia nach Babylon verschleppt worden war), begnadigt wurde (2Kön 25,27–30). Auch das ist gewissermaßen eine Verheißung dafür, dass Gott seine Zusage an das Haus David nicht vergessen hat.

In den beiden Königebüchern, in denen also die weltliche Gewalt im Fokus steht, wird ausführlich über die Propheten Elia und Elisa berichtet. Das hängt natürlich damit zusammen, dass sich die Botschaft dieser beiden Propheten an die götzendienerischen Regenten und an das abgefallene Volk richtete.

Das Amt eines Knechtes Gottes in Zeiten des Abfalls

Der Prophet Elia wird mit folgenden Worten eingeführt: Und Elia, der Tisbiter, von den Einwohnern Gileads, sprach zu Ahab: So wahr der Herr lebt, der Gott Israels, vor dessen Angesicht ich stehe, es soll in diesen Jahren weder Tau noch Regen fallen, es sei denn, dass ich es sage! (1Kön 17,1).

Elia tritt unvermittelt auf. Als erstes hören wir von ihm, dass er vor dem König Ahab erscheint und ihm erklärt: Ich stehe [in Wahrheit nicht vor dir, sondern] vor dem Angesicht Gottes, und in seinem heiligen Namen künde ich dir Gericht an. Der König Ahab frönte dem Baals-Götzendienst. Das heißt, er fühlte sich einem Fruchtbarkeitskult verpflichtet. Seine Weltanschauung war naturalistisch. Das Wetter spielte darin eine große Rolle, namentlich der Regen. Damit konfrontierte Gott ihn durch die Verkündigung des Elia: Es wird nun erst einmal nicht regnen, bis ich es sage (1Kön 17,1).

Gleich danach tauchte Elia unter. Zunächst zog er an den Bach Krit. Dort wurde er von Raben ernährt. Danach wandte er sich in den Norden. Dort fand er in die Nähe von Sidon bei einer Witwe in Zarpat Unterkunft (1Kön 17,2–24). Nach Jahren kehrte Elia in das Nordreich zurück (1Kön 18,1). Wenig später kam es auf dem Berg Karmel zu der bekannten Konfrontation mit den Baalspriestern (1Kön 18,21ff).

Wir müssen uns klarmachen, was dort ablief: Dem Volk, das sich auf dem Berg versammelte, fehlte es an vielem. Seit dreieinhalb Jahren herrschte Mangelwirtschaft; die Inflation war schwindelerregend; den Menschen knurrte ihr leerer Magen, und natürlich quälte sie der Durst. Aber auch in dieser Situation war der Prophet Elia keineswegs bereit, sich von sozial-ökonomischen Fragestellungen bestimmen zu lassen. Er dachte nicht daran, sich auf Denkschienen einzulassen wie: Erst kommt das Essen und dann – gewissermaßen als Überbau – die Moral bzw. die Religion. Nein! Die Frage, die Elia vor allen anderen geklärt wissen wollte, war: Wer ist in diesem Land Gott? Welcher Gott hat in unserem Volk das Sagen? Jahwe oder Baal? Der lebendige Gott oder ein naturalistischer Öko-Mythos?

Anfechtungen im Dienst

Wir wissen, wie die Geschichte weiterverlief: Gott, der Herr triumphierte über den Baalismus. Aber als Isebel, die Frau Ahabs, von den Geschehnissen auf dem Berg Karmel hörte, wollte sie Elia umbringen (1Kön 19,2). Nachdem diese Anordnung der Königin dem Propheten zu Ohren gekommen war, machte dieser sich auf und davon. Irgendwann legte Elia sich erschöpft unter einen Ginsterstrauch. Er wollte sterben: Es ist genug! Nimm nun, Herr, mein Leben, denn ich bin nicht besser als meine Väter! (1Kön 19,4) Dann legte er sich schlafen. Aber ein Engel kam und rührte ihn an. So jedenfalls übersetzt die Schlachter 2000-Übersetzung. Wenn man sich das Hebräische anschaut, heißt es eigentlich: Der Engel schlug ihn an die Seite. Auf jeden Fall war Elia jetzt wach. Der Engel gab ihm den Auftrag, erst einmal etwas zu essen, was Gott für ihn vorbereitet hatte (1Kön 19,6). Danach legte Elia sich noch einmal schlafen. Der Engel kam ein zweites Mal, versetzte ihm erneut einen kräftigen Rippenstoß, und gab ihm dann folgenden Auftrag:

Steh auf und iss, denn der Weg ist [sonst zu] weit für dich! Und Elia stand auf und aß und trank, und er ging in der Kraft dieser Speise 40 Tage und 40 Nächte lang, bis an den Berg Gottes, den Horeb. Und er ging dort in die Höhle hinein und blieb dort über Nacht. Und siehe, das Wort des Herrn kam zu Elia, und Gott sprach zu ihm: Was willst du hier, Elia? Elia sprach: Ich habe heftig geeifert für den Herrn, den Gott der Heerscharen, denn die Kinder Israels haben deinen Bund verlassen und deine Altäre niedergerissen und deine Propheten mit dem Schwert umgebracht, und ich allein bin übriggeblieben; und sie trachten danach, mir das Leben zu nehmen!

Gott aber sprach: Komm heraus und tritt auf den Berg vor den Herrn! Und siehe, der Herr ging vorüber; und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, ging vor dem Herrn her. Der Herr aber war nicht in dem Sturmwind. Und nach dem Sturmwind kam ein Erdbeben; aber der Herr war nicht in dem Erdbeben. Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer; aber der Herr war nicht in dem Feuer. Und nach dem Feuer kam die Stimme eines sanften Säuselns. Und es geschah, als Elia dieses hörte, da verhüllte er sein Angesicht mit seinem Mantel, und er ging hinaus und trat an den Eingang der Höhle. Und siehe, da kam eine Stimme zu ihm, die sprach: Was willst du hier, Elia? Er sprach: Ich habe heftig geeifert für den Herrn, den Gott der Heerscharen, denn die Kinder Israels haben deinen Bund verlassen, deine Altäre niedergerissen und deine Propheten mit dem Schwert umgebracht; und ich allein bin übriggeblieben, und sie trachten danach, mir das Leben zu nehmen!

Aber der Herr sprach zu ihm: Kehre wieder auf deinen Weg zurück zur Wüste und wandere nach Damaskus, und geh hinein und salbe Hasael zum König über Aram [Syrien]! Auch sollst du Jehu, den Sohn Nimsis, zum König über Israel salben; und Elisa, den Sohn Saphats, von Abel-Mechola, sollst du zum Propheten salben an deiner Stelle. Und es soll geschehen, wer dem Schwert Hasaels entflieht, den soll Jehu töten; und wer dem Schwert Jehus entflieht, den soll Elisa töten. Ich aber habe in Israel siebentausend übrigbleiben lassen, nämlich alle, die ihre Knie nicht gebeugt haben vor Baal und deren Mund ihn nicht geküsst hat! (1Kön 19,7b-18)

Ein dreifacher Auftrag

Hier am Berg Horeb (Sinai) erhielt Elia einen dreifachen Auftrag. Er sollte drei Männern ein Amt übertragen:

Erstens sollte Elia nach Damaskus gehen und Hasael zum König über Syrien salben. Der Prophet sollte also einem heidnischen König Vollmacht erteilen.

Zweitens sollte Elia Jehu salben. Dieser Jehu sollte das Gerichtsurteil am Haus Ahab vollstrecken.

Drittens sollte Elia den Elisa zum Propheten einsetzen.

Dieser dreifache Auftrag war eng mit der Bestrafung des von Gott abgefallenen Volkes verbunden. Ausdrücklich fügt Gott hinzu: Und es soll geschehen, wer dem Schwert Hasaels entflieht, den soll Jehu töten; und wer dem Schwert Jehus entflieht, den soll Elisa töten (1Kön 19,17). Die Rede ist hier von Schwertern und von töten, also von Gericht.

Wenn wir die weiteren Kapitel lesen, stellen wir fest, dass der Prophet Elia von diesem dreifachen Auftrag lediglich ein Drittel selbst erfüllte, nämlich Elisa zum Propheten zu berufen (1Kön 19,19–21). Dort wird uns geschildert, wie Elia nach Abel-Mechola kam und den Elisa auf einem Acker hinter einem Joch von Ochsen wegrief, ihm den Prophetenmantel überwarf und ihn aufforderte ihm nachzufolgen.

Die anderen beiden Aufträge führte Elia nicht selbst aus. Elia ging nicht selbst nach Damaskus, um Hasael zu salben. Das wird erst Elisa übernehmen (2Kön 8,7–15).

Auch den Auftrag, Jehu als Rächer am Haus Ahab zu salben, übernahm Elia nicht selbst, übrigens auch nicht Elisa, sondern dazu beauftragte Elisa einen Propheten(schüler) (2Kön 9,1).

Propheten als Leiter in Gottes Volk

Halten wir hier einmal kurz inne: Die Ereignisse über die Propheten Elia und Elisa werden uns in den beiden Königebüchern berichtet. Kapitellang richtet sich also in den Könige[!]büchern der Fokus nicht auf die Könige, sondern auf zwei Propheten.

Das bedeutet, dass nicht mehr die Könige, sondern die Propheten für die Lenkung und die Aufsicht im Volk Israel zuständig waren. Dieser Umstand sagt natürlich einiges über das Totalversagen der weltlichen Gewalt aus. Die Dynastie Ahabs hatte mit geistigem Schwung den Baalismus im Land eingeführt. Sie verfolgte damit die Absicht, im Gemeinwesen einen mythenbehafteten, innerweltlichen Naturalismus als neue Religion zu etablieren.

Bereits in den Anfangstagen des Nordreiches, war es König Jerobeam I., der seine eigene Gottesdienstformen mitsamt Götzenkälbern errichtete. Deren Kultzentren waren Dan und Bethel (1Kön 12,25–33). Diese Orte, zu denen schnell eine Vielzahl von Höhenheiligtümern hinzukam, galten als Heiligtümer des Königs. Gerade an diesem Ort war es nicht gestattet, die Wahrheit zu verkündigen. Wer es dennoch wagte, wie der Prophet Amos, wurde von der dort amtierenden, politisch gleichgeschalteten Priesterkaste vertrieben (Am 7,10–13). Es ist klar, dass von der Seite dieser Religionsbeamten kein geistiger Widerstand gegen die weltliche Gewalt zu erwarten war.

Falscher Gottesdienst und Götzendienst

Mit anderen Worten: Was die einst von Jerobeam I. eingesetzten und von ihm unterstützten „Priester“ in Dan und Bethel zelebrierten, war nichts anderes als ein giftiges Gemisch eines Thron- und Altarkultes.[1] Nominell wurde dieses Religionsgemisch für den Gott, der sie aus Ägypten geführt hatte, also für Jahwe gefeiert (1Kön 12,28). Aber in Wahrheit folgte es den jeweiligen Zeitgeistströmungen. Inzwischen hatte dieser „Gottesdienst“ sich wie selbstverständlich mit dem Baalismus vermischt.

Das aber hieß nichts anderes, als dass nicht mehr die Könige, sondern Elia und Elisa die geistige Orientierung im Volk übernehmen mussten. Es war die Aufgabe dieser Propheten, dass das Volk nicht total ideologisch versumpfte. Sie waren es, die den Zeitströmungen geistig die Stirn bieten konnten. Dies aber war gar nicht anders möglich, als dass die Propheten auch in den von der Ideologie des Baalismus verseuchten politischen Bereich eingreifen mussten.

Ein Hinweis auf diese Notwendigkeit sind die Worte, mit denen die beiden Propheten am Ende ihres jeweiligen Lebens charakterisiert wurden. Als Elia in den Himmel auffuhr, rief Elisa aus: Mein Vater, Wagen und Reiter Israels (2Kön 2,12). Und angesichts des Sterbens Elisas war es bezeichnenderweise die weltliche Gewalt, der König Joas, der dem Sterbenden ganz ähnliche Worte nachrief: Wagen und Reiter Israels (2Kön 13,14). Die Begriffe Wagen und Reiter lassen natürlich an den Bereich der weltlichen Gewalt denken. Auf jeden Fall weisen diese Worte über den sogenannten geistlichen Bereich hinaus.

Parallelen in der Gegenwart

Ich möchte eine Parallele zur Gegenwart ziehen. Auch wir haben in unserem Land eine Obrigkeit, die sich nicht an den Geboten Gottes orientiert. Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Ideologie eines menschengemachten Regenbogens, die Genderideologie und das woke Denken dominiert. Und wir sind Teil eines Volkes, das die Mächtigen durch Impfkampagnen gängeln und sich nicht scheuen, es mit fragwürdigen Klimaszenarien in Angst und Schrecken zu versetzen, um es anschließend nur umso mehr zu bevormunden, indem man sich als Retter aus den selbst herbeigeführten Krisen präsentiert.

Übersehen wir in diesem Zusammenhang bitte auch nicht die heutigen Kirchenleitungen, und zwar nicht nur die der Landeskirchen, sondern auch die, die meinen, ihre Gesellschaftsrelevanz dadurch unter Beweis stellen zu sollen, dass sie sich den jeweiligen behördlichen Verordnungen widerspruchslos und unkritisch unterwerfen.

Damals war es der Geist der Weissagung, der Geist der Prophetie, durch den Elia sowie Elisa einen so ungewöhnlich klaren und tiefen Einblick in die Zeitgeistströmungen hatten und dann trotz ihrer verschwindend geringen Anzahl eine beeindruckend große Strahlkraft im eigenen Volk und darüber hinaus ausübten.

Amtswechsel – Vorwärts zu den Anfängen

Wir hatten erwähnt, dass Elia im Auftrag Gottes nach Abel-Mechola ging. Dort berief er Elisa in seine Nachfolge. Es heißt in 1.Könige 19,21 kurz und bündig: Dann machte Elisa sich auf und folgte Elia und diente ihm. Was die beiden im Anschluss daran machten, ob sie für eine längere Zeit in den Untergrund gingen, berichtet uns die Heilige Schrift nicht.

Erst mehrere Kapitel später tauchen die beiden wieder gemeinsam auf, und zwar in 2.Könige 2,1–11. Dort lesen wir Folgendes:

Und es geschah, als der Herr den Elia im Sturmwind zum Himmel auffahren lassen wollte, da ging Elia mit Elisa von Gilgal hinweg. Und Elia sprach zu Elisa: Bleibe doch hier; der Herr hat mich nach Bethel gesandt! Elisa aber sprach: So wahr der Herr lebt und so wahr deine Seele lebt, ich verlasse dich nicht! So kamen sie hinab nach Bethel. Da gingen die Söhne der Propheten (Prophetenschüler), die in Bethel waren, zu Elisa heraus und sprachen zu ihm: Weißt du auch, dass Gott der Herr deinen Herrn heute über deinem Haupt hinwegnehmen wird? Elia aber sprach: Ich weiß es auch; schweigt nur still!

Und Elia sprach zu Elisa: Elisa, bleibe doch hier, denn der Herr hat mich nach Jericho gesandt! Er aber sprach: So wahr der Herr lebt und so wahr deine Seele lebt, ich verlasse dich nicht! So kamen sie nach Jericho. Da traten die Söhne der Propheten, die in Jericho waren – es gab also auch dort eine Ausbildungsstätte – zu Elisa und sprachen zu ihm: Weißt du auch, dass Gott der Herr deinen Herrn heute über deinem Haupt hinwegnehmen wird? Er aber sprach: Ich weiß es auch; schweigt nur still! Und Elia sprach zu ihm [Elisa]: Bleibe doch hier, denn Gott der Herr hat mich an den Jordan gesandt! Er aber sprach: So wahr Gott der Herr lebt und so wahr deine Seele lebt, ich verlasse dich nicht! Und so gingen sie beide miteinander.

Und 50 Mann von den Prophetensöhnen gingen hin und stellten sich ihnen gegenüber in einiger Entfernung auf, während diese beiden am Jordan standen. Da nahm Elia seinen Mantel und wickelte ihn zusammen und schlug damit das Wasser; das teilte sich nach beiden Seiten, sodass sie beide auf dem Trockenen hindurchgingen. Und es geschah, als sie hinübergegangen waren, da sprach Elia zu Elisa: Erbitte, was ich dir tun soll, ehe ich von dir genommen werde! Und Elisa sprach: Möchte mir doch ein zweifacher Anteil an deinem Geist gegeben werden! Er sprach: Du hast etwas Schweres erbeten: Wirst du mich sehen, wenn ich von dir hinweggenommen werde, so wird es dir zuteilwerden, wenn aber nicht, so wird es nicht geschehen! Und es geschah, während sie noch miteinander gingen und redeten, siehe, da kam ein feuriger Wagen mit feurigen Pferden und trennte beide voneinander. Und Elia fuhr im Sturmwind auf zum Himmel.

Bei flüchtigem Lesen könnte man denken, Elia hätte zum Abschluss seines irdischen Dienstes noch so eine Art Sightseeingtour durch Israel gemacht. Und notgedrungen wäre Elisa eben dabei gewesen.

Orte der Erinnerung

Aber all die Orte, durch die Elia mit Elisa zog – Gilgal, Bethel, Jericho, und dann ihr gemeinsamer Weg über den Jordan – hatten eines gemeinsam: Dort begann einst alles vor Jahrhunderten im verheißenen Land. Als das Volk Gottes in das Land Kanaan zog, führte ihr Weg ebenfalls durch den Jordan, dann nach Gilgal, wo sich die Männer beschneiden ließen und sie das erste Heerlager diesseits des Jordan errichteten (Jos 4 und 5); dann war Jericho die erste Stadt, die dem Volk Gottes in die Hände fiel (Jos 6). Und Bethel war der Ort, der bei Ai lag, und Ai war die Stadt, deren Bewohner dem Volk Israel wegen Achans Diebstahl die erste Niederlage bereitet hatten (Jos 7 und 8).

Das, was Elia und Elisa hier unternahmen, war nicht eine touristische Sightseeingtour. Vielmehr kehrten sie an die Orte zurück, die mit den Anfängen des Einzugs in das verheißene Land verbunden waren. Damals hatte Gott sein Volk mit herrlichen Verheißungen in das Land hineingeführt. Für die Israeliten waren diese Jahre die Zeit der ersten Liebe, der „Brautzeit“ (Jer 2,1–4). Aber was war inzwischen aus dieser Liebe geworden? Was war aus dem Volk geworden, das berufen war, in Gemeinschaft mit Gott zu leben?!

In allen Städten, durch die sie zogen, forderte der Ältere den Jüngeren auf, vor Ort zu bleiben. Zunächst wünschte Elia, dass Elisa in Gilgal bleibt (2Kön 2,1), dann in Bethel (2Kön 2,4) und auch in Jericho (2Kön 2,6). Warum?

Es wird uns nicht gesagt: Vermutlich aber wollte Elia, dass sein Nachfolger einmal in aller Stille allein an den Orten blieb, die von den Anfängen des Einzugs in das verheißene Land Zeugnis ablegen. Dort sollte er sich daran erinnern, was Gott damals für sein Volk getan hatte. Auf diese Weise sollte Elisa einen angemessenen Blick für die Fallhöhe bekommen, aus der das Volk mittlerweile so tief gestürzt war: Elisa siehst du überhaupt den Absturz des Volkes in all seinen Dimensionen? Nachdem Elia in den Himmel gefahren war, durchzog Elisa erneut die gleichen Orte, und zwar allein. So ging er nach Jericho (2Kön 2,18–22), nach Bethel (2Kön 2,23–25) und schließlich kam er auch nach Gilgal (2Kön 4,38).

Als sie noch gemeinsam unterwegs waren, überquerten Elia und Elisa trockenen Fußes den Jordan. Sie kamen von der Seite Israels und betraten heidnisches Gebiet (2Kön 2,9–11). Jenseits des Jordan wurde Elia in den Himmel aufgenommen, außerhalb des Landes Israel, ähnlich wie einst Mose außerhalb des verheißenen Landes zu Gott ging.

Über die Grenzen Israels hinaus

Für Elisa hatte das Überschreiten des Jordan sicher die Bedeutung, dass er sich von nun an wie selbstverständlich auch im heidnischen Raum bewegte. Wenig später wird ihm der syrische Hauptmann Naeman einen Besuch abstatten. Es ist dann Elisa, der dem Heerführer nicht direkt, sondern mittels eines Boten, Anweisungen erteilt (2Kön 5,8–10). Elisa wusste um sein prophetisches Amt, und so dachte er nicht daran, sich von weltlich Mächtigen einschüchtern oder gar herumkommandieren zu lassen. (Vergleiche dazu auch das Auftreten Elisas in 2Kön 6,13–23.)

Bald darauf begab Elisa sich selbst nach Damaskus und sprach in der Hauptstadt Syriens mit den Mächtigen auf Augenhöhe (2Kön 8,7ff). Indem Elisa die geographischen Grenzen des alttestamentlichen Volkes Israel überschritt, schimmert in seinem Dienst etwas Neutestamentliches auf. Unterstrichen wird dies durch die Wunder, die Elisa tat: die Vermehrung des Öls in den Gefäßen für eine Frau aus den Söhnen der Propheten (2Kön 4,1–7); die Auferweckung aus dem Tod des Sohnes der Schunemiterin (2Kön 4,8–37); das Gesundmachen der vergifteten Speise in der Prophetenschule Jerichos, als in Israel Hungersnot herrschte (2Kön 4,38–41). Nicht zuletzt lässt uns auch die wundersame Speisung durch ein paar Gerstenbrote (2Kön 4,42.43) an vergleichbare Ereignisse aus dem Neuen Testament denken. Auf jeden Fall spricht Jesus auffallend positiv über diese Zeit und damit auch über den Dienst Elisas. Er weist die Bewohner seiner Heimatstadt darauf hin, dass angesichts ihrer Verhärtung Gott schon einmal Nichtjuden in den Kreis seiner Adressaten aufnahm (Luk 4,25–27). Dieser kurze Hinweis genügte übrigens, dass die Hörer versuchten, ihn umzubringen (Luk 4,28.29).

Ob wir aus diesen Begebenheiten die Folgerung ziehen dürfen, dass Elisa im Vergleich zu Elia den zweifachen Anteil am Geist Gottes bekam, sagt die Heilige Schrift nicht ausdrücklich. Elia bemerkte zu dieser Bitte nur, dass er selbst nicht die Vollmacht habe, dies seinem Nachfolger zu versprechen (2Kön 2,9.10). Aber wie auch immer: Nach der Amtsübernahme Elisas weht uns in derselben Zeit, in der im Volk eine nahezu totale Abkehr von Gott zu beobachten ist, ein geradezu frischer Wind entgegen: In tiefer Finsternis tauchten immer noch kleine Lichter auf.

Drei Schwerter – ein Ziel

Kehren wir noch einmal zu den drei Aufträgen zurück, die Gott dem Elia gegeben hatte. Es ging in jedem Fall um Gericht. Aber diese drei Schwerter unterscheiden sich voneinander deutlich.

Hasaels Schwertgebrauch war einfach willkürlich. Seine militärischen Aktionen wirken im Blick auf das Volk wie eine herumwirbelnde Axt. Bald nachdem Hasael die Herrschaft in Syrien übernommen hatte, griff er Israel an. Sein Schwert wirkte dabei wie ein entfesselter Holzhammer. Die Syrer zogen in immer neuen Wellen über die Grenzen Israels, plünderten die Menschen aus und töten viele von ihnen. Damals sagte Gott durch Elisa dem Hasael:

Und Elisa richtete sein Angesicht auf Hasael und starrte ihn unverwandt an, bis er sich schämte; und der Mann Gottes weinte. Da sprach Hasael: Warum weint mein Herr? Und er sprach: Weil ich weiß, was für Unheil du den Kindern Israels antun wirst! Du wirst ihre festen Städte mit Feuer verbrennen und ihre junge Mannschaft mit dem Schwert töten und ihre Kindlein zerschmettern und die schwangeren Frauen aufschlitzen! Da sprach Hasael: Was ist dein Knecht, der Hund, dass er solche Dinge tun sollte? Elisa sprach: Der Herr hat mir gezeigt, dass du König über Aram [Syrien] wirst! (2Kön 8,11–13).

Dabei machte der syrische Machthaber keinerlei Unterschiede zwischen den Gottesfürchtigen und den Gesetzlosen. Dabei dürfen wir nicht vergessen: Die Gewalttaten der Syrer gegen das Volk Israel waren Gericht Gottes. Gott gebrauchte sie als Gerichtsinstrumente gegen sein Volk.

Mehrere Motive bei Jehu

Als zweites kam das Schwert hinzu, das Gott dem Jehu gab. Jehu rottete den Baalsgötzendienst in Israel aus. Darin war er ein Eiferer für die Sache Gottes. Zweifellos traf Jehus Schwert präziser als das des Hasael. Jehu machte durchaus einen Unterschied zwischen den Verantwortlichen des Königshauses und den angepassten Mitläufern im Volk.

Allerdings war es wohl nicht Jehus oberstes Ziel, die Verehrung des wahren Gottes wiedereinzuführen und die Ordnungen Gottes im Volk durchzusetzen. Vorrangig scheint er im Auge gehabt zu haben, den kulturellen Einfluss der phönizischen Isebel (1Kön 16,31) zurückzudrängen. Demnach scheinen hinter Jehus Aufstand gegen das Haus Ahab auch nationale Interessen gelegen zu haben. Darauf weist die enge Zusammenarbeit mit den reaktionären Rechabitern hin (2Kön 10,15–17),[2] vor allem aber der Umstand, dass Jehu den einst von König Jerobeam I. aufgerichteten nationalen Religionskult in Bethel und Dan unangetastet ließ (2Kön 10,31).

Mit anderen Worten: Auch Jehu verwendete das von Gott empfangene Schwert nicht für eine klare Scheidung zwischen Gut und Böse. Bei aller Notwendigkeit, den Baalismus auszurotten und das Königshaus Ahab zu beseitigen, scheint er durch Nebeninteressen geleitet gewesen zu sein. Der Prophet Hosea, der etwa ein Jahrhundert später auftrat, bewertete darum das Handeln Jehus negativ: Gott, der Herr hat die Blutschuld für die Ausrottung der Dynastie Ahabs auf Jehu abgeladen (Hos 1,4). Gott bewertet hier das Tun Jehus als Blutschuld: Einerseits stand Jehu mit der Ausrottung des Hauses Ahab im Dienst Gottes. Andererseits aber war er in seinem Handeln nicht (nur) durch Gott und sein Wort geleitet, sondern wohl (auch) durch nationale Neigungen. Seine Erhebung gegen die götzendienerische Königsdynastie reichte nicht an die Wurzel des Übels, sondern blieb an der Oberfläche. Sie führte auch nicht zu einer tiefgreifenden Reformation im Volk.

Das schärfste Schwert

Erst beim dritten Glied dieser Kette ging es geistlich zu. Gott hatte seinem Knecht Elia gesagt: Wer dem Schwert Hasaels entflieht, den soll Jehu töten, und wer dem Schwert Jehus entgeht, den wird Elisa töten (1Kön 19,17). Also auch im Blick auf Elisa ist von töten die Rede.

Aber Elisa sollte nicht mit einem Schwert aus Eisen töten, sondern mit dem Schwert des Geistes, mit dem Wort Gottes. Und dieses Schwert dringt tief ein, schneidet scharf und leistet außerordentlich präzise Arbeit. Indem es vor den verborgenen Kammern unseres Herzens nicht Halt macht, wirkt es kräftiger und schärfer als jedes zweischneidige Schwert; es dringt so sauber ein, dass es zwischen Seele und Geist, wie zwischen Mark und Bein trennt und die Gedanken und Sinne des Herzens aufdeckt (Hebr 4,12).

Ein solches Schwert des Geistes führt manchmal sogar zu Trennungen zwischen Mitarbeitern. Elisa selbst musste die Trennung zwischen sich und seinem engsten Mitarbeiter Gehasi vornehmen. Beide standen auf derselben Seite. Beide stellten sich gegen den dämonischen Götzendienst. Insofern standen beide gegen den Teufel und vertraten die Seite Gottes. Aber als Gehasi dem geheilten Naeman nachlief, um getrieben von Habgier doch noch dem syrischen Heerführer die Rechnung für die Heilung im Jordan zu präsentieren, zog Elisa das Schwert des Geistes und kündigte die bis dahin enge Zusammenarbeit mit Gehasi auf. Schlimmer noch: Gehasi erhielt den Aussatz, den zuvor Naeman hatte (2Kön 5,27).

Es geht um den Überrest

Nachdem Gott am Berg Sinai dem Elia diesen dreifachen Auftrag gegeben hatte, tröstete er den Propheten mit der Zusage, dass er sich selbst siebentausend Männer in Israel übrigbehalten hatte (1Kön 19,18). Diese Botschaft nahm dem Elia die Ängste. Auf diese Weise versicherte Gott, dass der von ihm aufgerichtete Bund mit seinem Volk nicht beendet ist. Diese Nachricht war für den niedergeschlagenen Elia ein großer Trost: Gott ist auch in Zeiten des Abfalls in der Lage, sich einen Rest unter den Menschen übrigzubehalten.

Später sprechen die Propheten immer wieder vom Überrest (zum Beispiel 2Kön 19,4.31; Esr 9,15; Jes 1,8; 10,20ff; 11,11.16; 37,4.32; 46,3; Jer 6,9; 23,3; 31,7; Am 5,15; Joel 3,5 [2,32]; Mi 2,12; Zeph 3,13; Hag 1,14; 2,2). Auch der Apostel Paulus spricht von dem Überrest Israels, den Gott sich in seiner erwählenden Gnade übriglässt (Röm 9,27; 11,3–5).

Der Ausdruck Überrest besagt natürlich zunächst, dass das Volk Israel enorm ausgedünnt wird. Eine solche Verkleinerung ist zweifellos Gericht. Aber wir lesen später auch – zum Beispiel von Jesaja (2Kön 19,30) oder auch bei Hesekiel (6,8) –, dass es Gott ist, der sich einen Rest übrigbehält, um auf diese Weise seinen Rettungsweg weiterzuführen. Man könnte sagen, der Rettungsweg Gottes verläuft durch Reduzierung zur Vollzahl. Gerade für diesen Überrest scheint das Herz Gottes dann aber umso mehr zu schlagen. So wandelt sich der Ausdruck Überrest in etwas Perspektivbietendes, Positives und Tröstendes. Denn gerade dem Überrest verheißt Gott, dass er mit ihm weitermachen und ihn zum Volk Gottes ausbauen wird.

Immer dann, wenn ein Volk oder auch wenn ein einzelner Mensch von Gott geläutert wird, wenn er gewissermaßen beschnitten wird, ist das schmerzhaft. Aber es geschieht, damit mehr Frucht entsteht (Joh 15,2). Darum sollten wir Gott für alle persönlichen Wege des „Beschnittenwerdens“ danken und auch für seine Läuterungswege mit seiner Gemeinde. Später lesen wir: In jenen Tagen begann Gott der Herr Israel zu schmälern, denn Hasael schlug sie in der ganzen Gegend Israels östlich des Jordan (2Kön 10,32.33). Man kann das Wort, das in der Schlachter 2000-Übersetzung mit schmälern übersetzt ist, auch mit stutzen oder mit verkleinern übersetzen [hebräisch: kss]. Für das Werk des Verkleinerns gebrauchte der souveräne Gott das Schwert des heidnischen Hasael (vergleiche dazu 2Kön 5,1) und auch das des Militäroffiziers Jehu. Diese beiden Schwerter trugen dazu bei, dass Gott sich einen Überrest bildete.

Allerdings darf nicht übersehen werden, dass diese „Stutzereien“ keine klare, keine saubere Trennlinie zwischen den Gerechten und den von Gott Abgefallenen zogen. Die wirklich saubere Trennarbeit war allein dem scharfen, zweischneidigen Skalpell des Propheten Elisa vorbehalten. Gott deckt das Böse unter uns Menschen durch sein Wort auf, um dann die Sünde sauber herauszuoperieren. Einzig und allein durch das Schneiden des Wortes werden wir rein (Joh 15,3). Einzig und allein das Schwert des Geistes scheidet zwischen der Seele und dem Geist, zwischen unseren fleischlichen Motiven und den Interessen Gottes und seines Reiches.

Niemand von uns weiß, wie es in unserem Volk und Land, ja in der Welt insgesamt weitergehen wird. Aber ich behaupte, man benötigt nicht viel Durchblick, um zu erkennen, dass sich finstere Gewitterwolken zusammenbrauen. Der Glaubensabfall ist mit Händen zu greifen. Und eines ist klar: Gott lässt sich nicht spotten (Gal 6,7). Wenn Gott dann seine Gerichtsschläge über unser Volk und über seine Gemeinde schicken sollte, dann mag es sein, dass wir den Eindruck bekommen, als erfolgten diese Schläge willkürlich, wahllos, ohne Sinn und Verstand. Vermutlich wird dies den Zeitgenossen Elias und Elisas ähnlich vorgekommen sein, wenn sie sich das politische Geschehen ihrer Zeit vor Augen führten. Umso entscheidender aber ist es, dass Gott immer auch Männer wie Elia und Elisa gab und gibt, die in theologischen Ausbildungsstätten junge Männer – damals waren es Prophetenschüler – formen und zurüsten, damit diese es lernen, das Wort Gottes klar zu verkündigen, also das zweischneidige Schwert des Geistes unerschrocken zu gebrauchen.

Das wirksame Wort

In dieser Weise benutzte es auch Elia selbst. Dazu ein Beispiel: Nachdem König Ahab den Justizmord an Nabot in Auftrag gegeben und sich so dessen Weinberg gesichert hatte, verkündete Elia ihm, was Gott über diese Sache dachte und dass er sie nicht ungestraft hinnehmen werde. Da geschah etwas Überraschendes: Ahab zerriss seine Kleidung. Er legte Sacktuch an und fastete. Weiter heißt es: Ahab schlich sich mit trägem Schritt davon. Sinngemäß bedeutet das: Er trollte sich wie ein begossener Pudel. Daraufhin stellte Gott dem Elia eine einzige Frage: Elia, hast du gesehen, wie dieser Machthaber sich angesichts des ihm verkündigten Wortes beugte? (1Kön 21,17–29). Mit anderen Worten: Elia, übersieh nicht, wozu das Wort Gottes in der Lage ist, und zwar auch in Zeiten, in denen die weltliche Gewalt gegen die Ordnungen Gottes übergriffig und ihre von Gott gesetzten Grenzen nicht mehr anerkennen will!

Die Buße Ahabs war wohl lediglich eine vorübergehende Seelenstimmung. Aber immerhin wurde das Gericht am Haus Ahabs dadurch aufgeschoben (1Kön 21,29). Die Reaktion Ahabs ist ein Hinweis darauf, was Gott der Herr mit der Schärfe des Schwertes seines Geistes gegenüber den scheinbar Mächtigen tun kann.

Und Elisa? Durch seinen Dienst sammelte Gott den erwählten Überrest. Das ist bei aller Untergangsstimmung Grund zu großer Dankbarkeit und tiefer Freude. Durch den Dienst Elisas blieben in den damaligen Stürmen des Säkularismus und Baalismus Menschen standhaft. Sie beugten nicht ihre Knie vor Baal und auch nicht vor der Astarte, dieser mit zahlreichen Brüsten dargestellten Fruchtbarkeitsgöttin, die heutzutage geradezu als Prototyp für transhumanistische Ideen fungieren könnte.

Der allmächtige Gott benutzt die gesamte Weltgeschichte, um sich seinen Überrest zu bilden. Dazu setzt er Männer wie Hasael und Jehu ein. Diese Männer sind mit dem Reduzieren beschäftigt. Wir dürfen allerdings nicht vergessen, dass Gott der Herr nicht – so sehr – im Donnerhall des Säbelrasselns zu finden ist, sondern im sanften Säuseln des Wirkens seines Heiligen Geistes, also in seinem lebendigen, wahrhaftigen Wort. Und dazu setzt Gott gerade auch in Zeiten des Glaubensabfalls Studienleiter ein, damit sie ohne Menschenfurcht das Schwert des Geistes handhaben, sodass Gott sich auf diese Weise seinen Überrest bildet.

Jürgen-Burkhard Klautke ist ehemaliger Studienleiter der Akademie für Reformatorische Theologie und Ältester in der Bekennenden Ev.-Ref. Gemeinde in Gießen. Er ist verheiratet mit Ute, Vater von vier erwachsenen Kindern und mehrfacher Großvater.


Dieser Artikel basiert auf der Abschiedsvorlesung, die der Autor anlässlich der Übergabe der Studienleitung der ART an Boris Giesbrecht am 15. Oktober 2022 hielt.

[1] Jerobeam I. hatte für den Fortbestand des Nordreiches nur dann eine Zukunft gesehen, wenn sein Volk nicht mehr nach Jerusalem (in das Südreich) zum Tempel pilgert, sondern durch eine von ihm selbst konzipierte Religion bei der Stange gehalten werde (1Kön 12,26.27). Außer den beiden Heiligtümern in Dan und Bethel errichtete Jerobeam I. zahllose Höhen, sodass die gottesdienstlichen Praktiken stets in nächster Nähe erfolgen konnten. Da die levitischen Priester in das Südreich (Juda) abgewandert waren (2Chr 11,13.14), hatte der König aus allen möglichen Stämmen Priester eingesetzt (1Kön 12,31; 2Chr 13,9). Die Einführung dieses neuartigen Gottesdienstes durch Jerobeam I. hatte auf die folgenden Generationen katastrophale Auswirkungen. Der Übergang zum Baalismus wurde fließend und erfolgte nahezu unmerklich. Durch die gesamte Königszeit, bis zum Untergang des Nordreiches war dieser „Gottesdienst“ Synonym für Abfall von dem wahren Gott (1Kön 14,9.10; 16,26.31; 22,53; 2Kön 13,2; 14,24 und öfters). Das Urteil Gottes über diese Gottesdienstform lautete: Es wurde dem Volk zur Sünde (1Kön 12,30). Vor allem die Propheten Hosea und Amos predigten im Auftrag Gottes gegen diese Entwicklungen und verhießen, dass Gott all dem ein Ende machen werde.

[2] Die Rechabiter tauchen in der Heiligen Schrift nur gelegentlich und stets unvermittelt auf. Als „die Stillen im Lande“ war ihr Familien- und Sippenleben an festen, zum Teil starren Regeln orientiert. Indem sie ein Wohnen in Städten prinzipiell ablehnten, führten sie nicht nur ein abgeschiedenes Leben, sondern waren davon überzeugt, sie müssten als Nomaden in Zelten leben, also ein Leben führen wie einst während der Wüstenwanderung. Im Kern bestand ihr Lebens- bzw. Frömmigkeitsstil darin, sich an die Vergangenheit zu klammern. Dies aber war insofern verhängnisvoll, als dieses Denken sie hinderte, geistlich zu unterscheiden zwischen einerseits einem durchgehend weltflüchtigen Lebensstil und andererseits einem die Welt überwindenden Glaubensgehorsam. Dass sich die Rechabiter bei der Erhebung Jehus gegen die Obrigkeit des Nordreiches überhaupt aktiv beteiligten, war eine große Ausnahme und wohl eher ihrer prinzipiellen Rückwärtsgewandtheit geschuldet. Siehe zu den Rechabitern vor allem Jeremia 35. Vergleiche dazu das Grußwort in der Bekennenden Kirche, Nr. 70, Oktober 2017 sowie den Artikel Mut und Treue von Hanniel Strebel in Nr. 90, S. 30-34.