2.Mose 20,8–11: Der Sabbat

2.Mose 20,8–11: Der Sabbat

Die nachfolgende Predigt wurde im Jahr 2004 in der Bekennenden EvangelischReformierten Gemeinde in Gießen im Rahmen einer Predigtreihe über die 10 Gebote gehalten. Da sich der Wortverkündiger neben den oben angeführten Versen auf Hebräer 3,7 4,11 bezieht, ist es sinnvoll, auch diesen Abschnitt vorher in der eigenen Bibel zu lesen. Ferner ist es nützlich, die Erklärung zu dem (nach biblischer und reformierter Zählung) 4. Gebot aus dem Heidelberger Katechismus (Sonntag 38) zu beachten: Sie lautet: „Was will Gott im vierten Gebot?

Gott will zum einen, dass das Predigtamt und die christliche Unterweisung erhalten bleiben und dass ich besonders am Sabbat, das heißt am Ruhetag, fleißig zur Gemeinde Gottes komme, um Gottes Wort zu hören, um die Sakramente zu empfangen, um den Herrn öffentlich anzurufen und in christlicher Nächstenliebe für Bedürftige zu spenden. Zum anderen soll ich alle Tage meines Lebens meinen bösen Werken entsagen, den Herrn durch seinen Geist in mir wirken lassen und so den ewigen Sabbat schon in diesem Leben anfangen.“

Einleitung

Traditionell teilt man die Zehn Gebote in zwei so genannte Tafeln auf. Die erste Tafel erklärt in vier Geboten, wie wir uns gegenüber Gott verhalten sollen. In den übrigen sechs Geboten, die zur zweiten Tafel gerechnet werden, lernen wir, wie wir uns gegenüber unserem Nächsten zu verhalten haben. Alle diese Zehn Gebote fasst der Herr Jesus Christus zusammen in dem einen, dem größten Gebot: dass wir Gott von ganzem Herzen lieben sollen und unseren Nächsten wie uns selbst.

Bereits in den ersten drei Geboten erfahren wir, wie unsere Liebe zu Gott sich im Einzelnen äußern soll. Im vierten Gebot verhält es sich nicht anders. Das Gebot lautet: „Gedenke an den Sabbattag und heilige ihn!“ Ist uns aufgefallen, dass dies das einzige Gebot auf der ersten Tafel mit einer positiven Forderung ist? Die ersten drei Gebote beinhalten Verbote: „Du sollst nicht …“ Hier nun finden wir eine positive Anleitung, also im engeren Sinn nicht ein Verbot, sondern ein Gebot.

Angesichts der positiven Aufforderung des vierten Gebotes, nicht etwas zu unterlassen, sondern etwas zu tun, ist es sinnvoll, sich zunächst Folgendes klar zu machen: Wir blicken heute auf das Gesetz Gottes aus der Perspektive der vollbrachten Erlösung. Bekanntlich behandelt unser Heidelberger Katechismus das Gesetz Gottes ausführlich nicht im ersten Teil („Vom Elend“), erst recht nicht im zweiten Teil („Von der Erlösung“), sondern im dritten Teil: „Von der Dankbarkeit“. Wir haben unser Elend erkannt, wir haben unsere Erlösung in Christus erkannt und im Glauben ergriffen – und nun geben wir darauf die Antwort. Wir vollbringen nichts, sondern wir danken Gott für das, was er vollbracht hat.

Zu diesem Dank gehört auch das Gedenken an den Sabbattag. Wir wollen aus der Heiligen Schrift eine Antwort auf die Frage suchen, was es mit dem Sabbat auf sich hat, und wenn wir das erkannt haben, wollen wir sehen, was der Sabbat für uns bedeutet und wie wir diesem vierten Gebot am besten nachkommen. Ich gliedere die Predigt in drei Abschnitte:

  1. Der Sinn des Sabbats
  2. Der Sabbat im Verlauf der Heilsgeschichte
  3. Der Sonntag als Sabbat.

Der Sinn des Sabbats

Das hebräische Wort „shabbat“ bedeutet „Ruhe“. Das Wort taucht in der Heiligen Schrift zum ersten Mal im Schöpfungsbericht auf, und zwar in 1Mos. 2,2.3, wo wir lesen:

„Und Gott hatte am siebten Tag sein Werk vollendet, das er gemacht hatte; und er ruhte am siebten Tag von seinem ganzen Werk, das er gemacht hatte. Und Gott segnete den siebten Tag und heiligte ihn, denn an ihm ruhte er von seinem ganzen Werk, das Gott schuf, als er es machte.“

Dieser siebte Tag ist der Sabbat. Es ist der Sabbat Gottes. Gott ruhte an diesem Tag, und er segnete und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte. Das geht auch aus dem vierten Gebot hervor: Der Grund, warum der Sabbat etwas Heiliges ist, ist die Tatsache, dass er Gottes Sabbat ist, Gottes Ruhe.

In dem Abschnitt aus dem Hebräerbrief (3,7– 4,11) taucht der Begriff „Ruhe“ an mehreren Stellen auf, und auffälligerweise ist jedes Mal von „Gottes Ruhe“ die Rede: Gottes Volk geht in Gottes Ruhe ein. Was heißt das? Um das zu verstehen, müssen wir uns diesen Begriff der „Ruhe“ genauer ansehen.

Wenn wir den Begriff „Ruhe“ definieren sollten, was würde uns da spontan einfallen? Den meisten von uns kommt dabei sicher zuerst der Gedanke ans Nichtstun: Ruhe, so denkt man, bedeutet nichts tun. Aber ist das so? Wenn wir ruhen, tun wir dann wirklich nichts? Oder ist es nicht vielmehr so, dass wir auch in einer Zeit der Ruhe durchaus aktiv sind, aber in anderer Weise als sonst? Selbst wenn wir es uns im Lehnstuhl bequem gemacht haben, ist doch immer noch unser Geist aktiv! Wir denken, wir planen, wir überlegen – auf irgendetwas richten wir immer unsere Gedanken. Selbst im Schlaf ist unser Geist aktiv, auch wenn wir uns am Morgen kaum daran erinnern können. Stillstand und Tatenlosigkeit im absoluten Sinn sind unmöglich.

Das ist eine wichtige Beobachtung, denn sie bewahrt uns vor einer falschen Vorstellung vom Sabbat. Es geht am Sabbat nicht darum, nichts zu tun. Es ist nichts besonders Heiliges dabei, zu versuchen am Sabbat untätig zu sein. Denn Nichtstun gibt es nicht. Selbst wenn wir den ganzen Tag im Bett liegen blieben und uns nicht bewegen würden, so denken und reden wir doch. Und bei diesen Tätigkeiten – denn das sind sie – können wir ebensoviel Unheiliges bewirken wie bei jeder anderen Aktivität an anderen Tagen.

Sabbatruhe im Sinn der Bibel bedeutet nicht, dass man nichts tut. In der Sabbatruhe tut man vielmehr Dinge, die für die Sabbatruhe typisch sind.

Kommen wir noch einmal auf Gottes Ruhe am siebten Tag zurück. Hat der Herr denn am siebten Tag nichts getan? Doch, er hat etwas getan. Er hat nicht mehr erschaffen, aber er hat sich an seiner Schöpfung erfreut, und er hat sie erhalten.

Gott ist aktiv. Aber er beschäftigt sich nicht nur mit Dingen, die außerhalb von ihm selbst liegen. Er ist auch in sich selbst aktiv. Gott ist ein dreieiniger Gott. Vater, Sohn und Heiliger Geist wirken in verschiedener Weise unter und miteinander. Dieses Zusammenbestehen der drei Personen in dem einen Gott wird von einigen Theologen als der eigentliche „Bund Gottes“ aufgefasst. Und dieser Bund, dieses vollkommene Beisammensein, ist erfüllt von Ruhe. Gott handelt und ruht zugleich. Wenn er ruht, dann erfreut er sich an sich selbst. Auf diese Freude an und der Liebe zu sich selbst richtet sich wiederum sein Handeln.

Und jetzt wird es spannend: Diese Ruhe und Gemeinschaft, die Gott in sich selbst lebt, will er seinem Volk zuteil werden lassen! Gottes Volk soll eine Ruhe genießen, die die Ruhe innerhalb der Dreieinigkeit widerspiegelt. Das ist die Ruhe, die – in den Worten des Hebräerbriefes – für uns „aufbewahrt“ ist. Das ist die Ruhe, in die wir „eingehen“ sollen. Das meint die Heilige Schrift, wenn sie an vielen Stellen davon spricht, dass wir Gott „gleichförmig“ werden (Röm. 8,29; 1Joh. 3,2), dass wir „Teilhaber der göttlichen Natur“ werden (2Pet. 1,4), dass wir „heilig und tadellos“ sind (Eph. 1,4), dass wir „Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus“ haben (1Joh. 1,3) usw. Das ist das Wesen und der Inhalt der ewigen Sabbatruhe, die wir bei Gott genießen.

Der Sabbat im Lauf der Heilsgeschichte

Nun ist diese Sabbatruhe für das Volk Gottes, also für uns, nicht unmittelbar gegeben. Gott hat zwar in seinem ewigen Ratschluss längst beschlossen, sein Volk in seine Ruhe zu führen, aber er verwirklicht diesen Ratschluss in der Zeit, und zwar in mehreren Stufen. Es ist wichtig, dass wir diese Entwicklung, diesen Fortschritt in der Offenbarung des Sabbats erkennen, damit wir nicht nur etwas vom Inhalt des Sabbats verstehen, sondern auch, warum wir heute eben nicht den Samstag, sondern den Sonntag als Sabbat begehen.

Im Laufe der Geschichte, wie sie die Heilige Schrift uns zeichnet, erkennen wir vier Etappen des Sabbats. Der Sabbat wird in vier aufeinander folgenden Phasen offenbart.

Zunächst ist da der Schöpfungssabbat. Wir sind bereits kurz darauf eingegangen. Gott ruhte, was aber nicht heißt, dass er untätig war. „Mein Vater wirkt bis jetzt“ (Joh. 5,17), antwortete Jesus den Pharisäern ausgerechnet, als die ihn wegen eines angeblichen Verstoßes gegen das Sabbatgebot tadelten. Gott ist zu keiner Zeit untätig gewesen, auch nicht am siebten Tag. Vielmehr hatte er nur aufgehört zu erschaffen. Gott erschuf nichts mehr – sein Schöpfungswerk war abgeschlossen –, sondern er widmete sich der Betrachtung und Erhaltung seiner Schöpfung.

Man könnte die Frage stellen, was Gott wohl am achten Tag tat. Ich möchte das Thema jetzt nicht dahin lenken, aber ich behaupte einmal, er tat am achten Tag im Prinzip genau das Gleiche wie am siebten: Er erfreute sich an sich selbst und seinem Werk, und er erhielt es aufrecht. Und das tut er bis zum heutigen Tag: Gott wirkt bis jetzt.

Wie auch immer: Am siebten Tag jedenfalls ruhte Gott in diesem Sinne. Und wenn wir von den Schöpfungstagen und dem Ruhetag sprechen, dann müssen wir sogleich hinzufügen, dass diese Tage unserer Zeitrechnung und unserem Zeitverständnis entsprechen. Hier hat der Herr in der Zeit etwas von sich offenbart. In seinem Ratschluss sind Schöpfung und Ruhe zeitlos und ewig. Aber in der Schöpfung offenbarte Gott dem Menschen etwas von sich, nämlich seine Ruhe – seine Ruhe, an der er den Menschen teilhaben ließ, nämlich im Garten Eden. In Eden hatte Gott Gemeinschaft mit dem Menschen. Diese Gemeinschaft war ein Bild der ewigen Sabbatruhe. Es war die erste Phase in der Offenbarung von Gottes Sabbat.

Doch dieses Bild verblasste abrupt, als Adam in Sünde fiel und Gott ihn aus seiner Gegenwart vertrieb. Aus der Gemeinschaft mit seinem Schöpfer sank der Mensch in das Elend, in die Unruhe, in die Mühsal und in den Tod. Gemeinschaft und ewiger Sabbat waren mit dem gefallenen Adam, dem Sünder, der Gott hasste, unmöglich geworden.

Nun dürfen wir uns den Sündenfall aber nicht als einen Unfall denken, nicht als GAU, der Gottes Pläne hinsichtlich der Sabbatruhe ein für alle Mal durchkreuzt hätte. Der siebte Tag, der Schöpfungssabbat, die Gemeinschaft im Garten Eden: Das war nur eine Vorstufe, nicht der Endzustand. Was den Ratschluss Gottes angeht, so hatte der Fall des ersten Adam nichts zerstört, sondern vielmehr den Weg freigemacht für den zweiten Adam. Gott hatte etwas Besseres für uns vorgesehen (Hebr. 11,40). Und das sollte er in seinem Sohn Jesus Christus bereiten – auf dem Weg der Gnade, durch die Befreiung aus der Knechtschaft der Sünde, in die der Mensch sich gestürzt hatte.

Von dieser Wahrheit kündet nun die zweite Phase in der Offenbarung des Sabbats, nämlich der Sabbat im Land Kanaan, das Leben im Land Kanaan als Gegensatz zum Leben in Ägypten. Das ist auch der Sabbat, von dem – rein äußerlich – das vierte Gebot spricht. Denn wenn wir uns einmal die Fassung der Zehn Gebote in 5Mos. 5 ansehen, dann bemerken wir den engen Zusammenhang, den der Herr dort zwischen der Sabbatruhe und dem Umstand aufstellt, dass er sein Volk aus Ägypten herausgeführt hat:

„Denn du sollst bedenken, dass du auch ein Knecht gewesen bist im Land Ägypten und dass der Herr, dein Gott, dich von dort herausgeführt hat mit mächtiger Hand und ausgestrecktem Arm. Darum hat dir der Herr, dein Gott, geboten, dass du den Sabbattag halten sollst“ (5Mos. 5,15).

Kanaan als Sinnbild für den Sabbat, das heißt als Sinnbild für die Ruhe von der Knechtschaft und für die Gemeinschaft mit Gott. In der Stiftshütte und später im Tempel in Jerusalem wohnte Gott unter seinem Volk, und die zahlreichen Feiertage, insbesondere der allwöchentliche Sabbat, erinnerten das Volk immer wieder an die Zeit in Ägypten und an die Erlösung, an die Ruhe, die Gott ihnen geschenkt hatte. Gott hatte sie in die Ruhe geführt, und zwar durch Josua, der eben dadurch ein Schatten auf Jesus hin ist, ein Schatten des Einen, der die endgültige Ruhe bringen würde. Der Abschnitt aus dem Hebräerbrief, Hebr. 3,7 – 4,11, weist nämlich darauf hin, dass die Ruhe, in die Josua das Volk geführt hatte, gerade nicht die ewige Ruhe war (Hebr. 4,8).

Also war auch der Sabbat in Kanaan nicht der endgültige Sabbat. Auch er war nur ein Schatten, aber jetzt ein Schatten nicht nur der Ruhe an sich, sondern auch des Eingangs in die Ruhe. Nach Eden brauchte der Mensch nicht gebracht zu werden, da gab es keine Hindernisse zu überwinden. Im Blick auf Kanaan aber musste das Volk aus der Knechtschaft befreit und ins verheißene Land geführt werden, und somit wurde hier auch der Eingang in die Ruhe abgebildet. In diesem Sinne ist der Sabbat in Kanaan also ein Fortschritt in der Offenbarung von Gottes Sabbat.

Die Gläubigen in Israel waren sich der Vorläufigkeit dieser Ruhe bewusst, sie warteten auf die Stadt mit Grundfesten, deren Baumeister Gott ist (Hebr. 11,10). Darum hofften sie auch während der Gefangenschaft in Babel und nach der Rückkehr ins zerstörte Jerusalem unbeirrt auf die Erfüllung der Verheißung des ewigen Sabbats. Und diese kam – in Jesus Christus.

Wir reden immer noch vom Sabbat, von der ewigen Ruhe, die in Gott ist und in die der Mensch eingehen soll, also von der Gemeinschaft Gottes mit seinem Volk. Wo aber wird diese Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch deutlicher als in der Person unseres Herrn Jesus Christus! In ihm sind beide Naturen, Gottheit und Menschheit, untrennbar vereint. Und in ihm ist auch der Eingang in die Gemeinschaft, in die Ruhe, Wirklichkeit geworden. Während seines irdischen Dienstes hat Christus alles andere als geruht. Im Gegenteil: Er hat die größte Unruhe erlitten, Mühen, Qualen und seelischen Kampf – bis hinein in Tod und Hölle! Und sein Leiden hier auf Erden – das war unser Ägypten. Und so ist er auch für und mit uns eingezogen ins Land Kanaan, ins wahre Kanaan, nämlich durch seine Auferstehung und Himmelfahrt. In Christus ziehen wir in Kanaan und damit in die ewige Ruhe ein. Darum kann der Herr von sich sagen: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, so werde ich euch Ruhe geben“ (Mt. 11,28)!

Wir gehen in die Ruhe ein, wenn wir zu Christus kommen, besser gesagt, wenn wir mit Christus eins sind. Darum gelangen wir in diese Ruhe nicht mit den Füßen, nicht durch irdische Frömmigkeit, Pilgerschaft, Mühen und Werke, sondern durch Glauben. Wenn wir im Glauben mit dem auferstandenen Christus verbunden sind, dann haben wir in ihm Anteil an der Gemeinschaft mit Gott, und dann lassen wir unsere Sünde und Ungerechtigkeit und den Tod hinter uns und gehen ein in die Gerechtigkeit und in das Leben. Der Sabbat im Neuen Testament gründet sich auf die Gerechtigkeit Christi und seine Auferstehung von den Toten. Die dritte Phase in der Offenbarung des Sabbats ist also die Auferstehung Christi, durch die er den Weg in die Ruhe freigemacht hat.

Das ist die Situation. Nun leben wir aber inmitten dieser Welt, inmitten der Sünde, die nach wie vor auch in unserem eigenen Leib steckt. Wir haben die Sabbatruhe nicht in uns selbst, sondern in Christus. Erst mit seiner Wiederkunft und der neuen Schöpfung wird diese Ruhe endgültig sein; erst dann wird „das Zelt Gottes bei den Menschen“ sein (Offb. 21,3); erst dann ist der Sabbat in seiner ganzen Herrlichkeit vollendet und vollkommen offenbar. Das wäre dann die vierte Phase. Aber bis dahin müssen wir uns damit begnügen, dass wir zwar im Geist oben im himmlischen Kanaan sind (nämlich im Glauben an Christus), aber im Fleisch noch hier unten auf der Erde. Darum wird uns der ewige Sabbat, den wir im Prinzip schon begonnen haben, hier sichtbar vorgehalten.

Eigentlich ist es so, dass unser ganzes Leben von diesem Sabbat Zeugnis geben soll. Es kann nicht sein, dass wir uns sechs Tage lang in der Sünde vergnügen, um am siebten Tag davon abzusehen. Darum spricht der Heidelberger Katechismus zu Recht davon, dass wir „alle Tage unseres Lebens unseren bösen Werken entsagen“ sollen, also nicht nur an einem besonderen Tag in der Woche. Aber es ist nun einmal eine Tatsache, dass uns der tägliche Umgang mit der Welt von diesen geistlichen Dingen abzieht. Wir richten unsere Gedanken oft auf weltliche Dinge, und das ist häufig notwendig, zum Beispiel um für uns selbst und für unsere Familien sorgen zu können. Darum ist dieser eine Tag so besonders, der Tag, an dem wir alle irdischen Dinge, soweit es eben geht, zur Seite schieben und uns in besonderer Weise den Dingen des Reiches Gottes widmen können.

Schauen wir noch einmal auf den Heidelberger Katechismus. Hätten wir nicht den Heidelberger, sondern einen „Pharisäischen“ Katechismus, dann würden wir hier eine lange Liste von Werken antreffen, die wir am Sabbat nicht tun dürften. Nichts davon finden wir im Heidelberger Katechismus. Im Gegenteil: Es werden Dinge genannt, denen wir am Sabbat ausdrücklich nachgehen sollen: Wir sollen zur Gemeinde Gottes kommen, Gottes Wort hören und lernen, die Sakramente empfangen, den Herrn öffentlich anrufen, christliche Barmherzigkeit üben … All das gehört dazu, wenn wir des Sabbattags gedenken und ihn heilig halten.

Der Sonntag als Sabbat

Was sagen wir nun denen, die den Sonntag als Sabbattag ablehnen? Ich rede nicht von der Welt, die den Ruhetag überhaupt verwirft, sondern von bestimmten Sekten, beispielsweise den SiebentenTagsAdventisten, die am Samstag als dem Sabbat festhalten.

Wenn wir all das, was bisher gesagt worden ist, noch einmal überdenken, dann wird uns sicher klar, wo das Problem dieser Sichtweise liegt: Sie verkennt das Wesen des Sabbats, und sie verkennt das Werk Christi. Sie beharrt auf der Vorstellung, ein Tag der Woche, in diesem Fall der Samstag, sei aus einem bestimmten Grund heiliger als die andern sechs, und deswegen müsse man an diesem Tag festhalten. Der Grund ist schnell gefunden: Es ist die alttestamentarische Ordnung des Sabbats, also das, was ich vorhin als Schöpfungssabbat bzw. Sabbat in Kanaan bezeichnet habe. Man ignoriert dabei, dass der Sabbat prinzipiell die Einkehr in die Ruhe Gottes ist und dass diese in der Auferstehung Jesu Christi Wirklichkeit geworden ist. Man verschließt die Augen vor dem Besseren, das an die Stelle der Bilder und Schatten getreten ist.

Die Wirklichkeit des Schöpfungssabbats ist mit Adams Fall verloren gegangen. Der Garten Eden kommt in dieser Form nie wieder. Ebenso vergangen ist das irdische Kanaan. Was heute oft als „Heiliges Land“ bezeichnet wird, hat für uns, das Volk Gottes, allenfalls noch historische Bedeutung. Gemeinschaft mit Gott gibt es dort heute nicht mehr als an jedem anderen Ort in der Welt, und Ruhe vor irdischen Sorgen findet man dort beim besten Willen nicht. Nein, die irdischen Schatten der Sabbatruhe sind verblichen vor der Sonne Jesus Christus. In ihm besitzen wir Zutritt zum besseren Sabbat, nämlich dem im himmlischen Vaterland, auf den schon die Erzväter warteten, als sie noch als Pilger und Fremdlinge im weltlichen Kanaan lebten.

Dieser bessere Sabbat, diese bessere, endgültige Ruhe von unseren Sünden, ist mit dem Tag der Auferstehung Jesu von den Toten Wirklichkeit geworden. Wenn es also überhaupt einen Wochentag gibt, der heute als Sabbat durchgehen kann, dann der Auferstehungstag unseres Herrn, und das ist der Sonntag. An diesem Tag ruhen wir von den Sorgen dieser Welt und genießen einen Vorgeschmack auf die ewige Ruhe in der neuen Schöpfung.

Frage: Worauf richten wir unsere Gedanken am Sonntag? Wahre Heiligung des Sabbats äußert sich in Werken, die aus der Hoffnung auf die Gemeinschaft mit Gott in Christus geboren sind. Es ist eine Hoffnung, die wir hier und jetzt, mitten in der Welt zum Ausdruck bringen. Denn wir sind, wie es der Apostel Petrus formuliert, „wiedergeboren […] zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi aus den Toten, zu einem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe, das im Himmel aufbewahrt wird für uns“ (1Pet. 1,3.4). Weil wir schon in diesem Leben den ewigen Sabbat anfangen, so lauten die Worte des Katechismus, sind wir Fremdlinge in der Welt.

Es ist uns nicht damit genug, am Sonntag nicht zu arbeiten. Es ist auch nicht damit getan, dass wir den Sonntag als solchen für heiliger halten als andere Tage. Dann wären wir lediglich eine besondere Form von Pharisäern. Nein, an diesem Tag sollen und wollen wir unsere Gedanken auf Gott richten, auf seine Gemeinde, auf sein Wort, auf seine Verheißungen, auf seine Gemeinschaft und auf seine Ruhe. Wenn wir den Sonntag als Sabbat heilig halten, also absondern vom Rest der Woche, dann deshalb, weil wir unserer lebendigen Hoffnung Ausdruck verleihen. Das gilt für uns, unsere Familie, unsere Knechte und Mägde (also heute: für unsere Angestellten und Mitarbeiter, falls wir welche haben), unsere Gäste – kurzum: für unser ganzes Haus und für alle, die uns anbefohlen sind. Das Volk Gottes heiligt den Sabbattag gemeinsam.

Dies wird nicht ohne Frucht bleiben. Denn in dem Maße, wie wir insbesondere am Sabbat uns selbst verleugnen und unser ganzes Leben in Christus suchen, in dem Maße werden wir auch geistlich gestärkt für die neue Woche, für unsere Pilgerschaft in dieser sündigen, verlorenen Welt. Lasst uns darum das Heil in Christus im Glauben ergreifen! Er allein wird uns ewige Ruhe geben.