Wenn Christen Leid und Verzweiflung erleben, hoffen sie, Antworten auf ihre Fragen im Buch Hiob zu bekommen. Es sind Fragen wie diese: Warum gibt es Leid in der Welt? Wer ist schuld, wenn Menschen leiden? Wie kann Gott ungerechtes Leid zulassen? Was ist der Sinn des Leidens? Auch Hiob fragte: Warum lässt er Lebensmüden noch das Licht sehen und gibt Leben den Verbitterten (Hiob 3,20)? Im Buch Hiob werden viele Fragen aufgeworfen. Aber welche Antworten gibt das Buch? Was ist die entscheidende Frage, die das Buch beantworten will? Was ist die Gesamtbotschaft des Buches?
Was für alle Bücher der Heiligen Schrift gilt, trifft insbesondere auf das Buch Hiob zu: Die Bücher der Bibel wollen als Ganzes gelesen und verstanden werden. Die einzelnen Aussagen im Buch können erst richtig eingeordnet werden, wenn das Buch in seiner Gesamtheit erfasst worden ist. In einer dreiteiligen Serie soll die Gesamtbotschaft des Buches entfaltet werden. Dabei begegnet uns eine besondere Gefahr: Ebenso wie die Freunde Hiobs tappt man schnell in die Falle, die Botschaft des Buches auf einen einfachen Nenner bringen zu wollen. Dann aber würde man die vielschichtige Botschaft des Buches übersehen.
Das Buch Hiob berichtet von Personen, die durch die Nennung ihrer Namen, die Erwähnung ihrer Herkunftsorte und das Aufgreifen in Hesekiel 14,14–20 sowie in Jakobus 5,10.11 nicht als fiktive, sondern als historische Personen anzusehen sind. Offen bleibt jedoch, wer das Buch geschrieben hat und wann dies geschah.
Die erzählte Geschichte des Buches unterscheidet sich in Form und Stil von jedem anderen Buch der Bibel. Man bekommt beim Lesen leicht den Eindruck, im Theater zu sitzen und ein Drama mit wenigen Darstellern zu verfolgen.
Da ist zunächst Gott, der zulässt, dass sein gottesfürchtiger Diener Hiob von Satan attackiert werden darf. Dieser Hiob leidet unter seiner Situation, hält aber an Gott fest. Hiob wird von seinen Freunden besucht, die ihm in seiner Not helfen wollen. Das Geschehen kommt im Wesentlichen durch Monologe und durch Dialoge voran. Das Drama liegt in den Ideen und in der Logik der vorgebrachten Argumente.
Auch der Aufbau ist planmäßig angeordnet. Die geschichtliche Einleitung bilden die Kapitel 1 und 2. Sie gewähren einen Einblick hinter die Kulissen, in die unsichtbare Welt. Nachdem Hiob als gottesfürchtig und wohlhabend vorgestellt worden ist, erlaubt Gott dem Satan, den Glauben Hiobs herauszufordern. Hiob hält diesem Test zunächst ohne ein Wort der Klage stand. Danach folgt die Klage Hiobs (Hi. 3), die zu drei Rederunden der Freunde Hiobs und Hiobs Reaktionen darauf überleitet (Hi. 4–27). Dann setzt Hiob zu einer letzten Verteidigung an (Hi. 28–31), bevor sich Elihu, ein vierter Freund, einschaltet (Hi. 32–37), der sowohl Hiob als auch seine Freunde kritisiert. Zuletzt folgt die Antwort Gottes, die eine Demonstration seiner Größe ist, die Hiob dazu veranlasst, sich demütig der Hand Gottes unterzuordnen (Hi. 38–42). Den geschichtlichen Abschluss bildet das Kapitel 42: Hiobs Ansehen und Wohlstand sind wiederhergestellt.
Wie sollen wir das Buch Hiob richtig verstehen? Indem im Folgenden die Geschichte aus der Perspektive der einzelnen Charaktere des Buches untersucht wird, bieten sich mehrere Zugänge zu dem Buch an.
Ich beginne in diesem ersten Teil der Serie mit der Perspektive Gottes. Hierbei geht es um die Fragen: Wie handelt Gott in dieser Welt? Was sagen das Buch und die geschilderten Ereignisse über Gott aus? Diese Perspektive geht davon aus, dass die entscheidende Aussage des Buches in Hiob 1,9 steht. Das Gespräch zwischen Gott und Satan ist Auslöser für den Inhalt dieses Buches. Sie bietet somit den Hintergrund für das, was im Buch Hiob folgt.
Beachtenswert ist aber, dass dieses Gespräch im Himmel stattfindet und daher lediglich dem Leser, nicht aber Hiob und seinen Freunden bekannt ist. Nachdem Gott Hiob als rechtschaffen bezeichnet hat, zieht Satan Hiobs Motivation in Zweifel und unterstellt, dass Hiob nur dazu gottesfürchtig lebt, um von Gott Gutes zu empfangen. Dieser Vorwurf Satans hinterfragt nicht nur Hiob, sondern vor allem Gottes Art und Weise, wie er in der Welt handelt. Die Behauptung Satans lautet: Wenn Gott die belohnt, die gerecht leben, dann leben die Menschen nur gerecht, um belohnt zu werden. Gott, so die indirekte Behauptung Satans, schafft sich auf diese Weise Söldner, die für ihn arbeiten, damit sie von ihm etwas bekommen. Satan geht von der gegenseitigen Abhängigkeit von Gott und den Menschen aus: Der Mensch braucht Gott und Gott braucht den Menschen.[1]
Auch wenn die Perspektiven von Hiob und die der Freunde, die in den nächsten Teilen dieser Serie verfolgt werden, mehr einen existenziellen Zugang zum Buch ermöglichen, bietet die Perspektive auf Gott den eigentlichen Ausgangspunkt für das Verständnis des gesamten Buches. Der eigentliche Zweck des Buches ist: Wie denkt man richtig über Gott, wenn der Glaube durch Schwierigkeiten herausgefordert wird?
Damit wird deutlich, dass viele Fragen, die möglicherweise an das Buch Hiob gestellt werden, vom Buch nicht beantwortet werden wollen. Selbst Hiob erfährt nicht, warum er leiden muss. Hiobs Trost liegt nicht im Wissen über den Grund oder den Zweck seiner Umstände, sondern in Gottes Charakter. Das wird deutlich, wenn Hiob am Ende des Buches sagt: Vom Hörensagen hatte ich von dir gehört, jetzt aber hat mein Auge dich gesehen (Hi. 42,5). Was hat Hiob also über Gott erfahren? Es sind drei wesentliche Eigenschaften Gottes, die im Buch Hiob betont werden.
Gottes Freiheit
Das, was sowohl für Hiob als auch für seine Freunde überraschend war, ist die Freiheit Gottes. Die Freunde Hiobs als auch Hiob selbst gingen von einer Grundüberzeugung aus: Dem Gerechten wird es gut gehen, und der Gottlose muss leiden.
Der Umkehrschluss für Hiobs Freunde lautete: Wenn jemand leidet, muss er gesündigt haben, geht es aber jemandem gut, dann ist er rechtschaffen. Diese Sichtweise wird als „Vergeltungstheologie“ bezeichnet. Sie beschreibt Gottes Handeln in der Welt, die dem Menschen nachvollziehbar und logisch ist und damit in den Augen der Menschen als gerecht empfunden wird. Gott hält sich demnach an die „Spielregeln“.
Im Buch Hiob wird ebendiese Grundüberzeugung in eine Spannung zur erlebten Realität gesetzt. Für Hiobs Freunde ist klar: Wenn Hiob leidet, dann ist dies eine Folge seiner Sünde. Hiob dagegen hält an seiner Unschuld fest und fragt nach Gottes Gerechtigkeit. Dieser Konflikt im Buch Hiob kann anhand eines Dreiecks illustriert werden, das die Gleichgewichtigkeit der Ecken aufzeigt.[2]
Da nun aber nicht alle drei Aussagen gleichzeitig wahr sein können, muss eine der von uns so geschätzten Vorstellungen aufgegeben werden: Jeder der Hauptfiguren vertritt jeweils eine Ecke des Dreiecks: Die Freunde stellen Hiobs Unschuld in Frage, die jedoch bereits zu Beginn des Buches unmissverständlich klargestellt wird, um an Gottes Gerechtigkeit und an ihrer „Theologie der Vergeltung“ festhalten zu können. Hiob hält an seiner Unschuld fest und auch die „Theologie der Vergeltung“ gibt er nicht auf. Er zweifelt jedoch an Gottes Gerechtigkeit. Gott der Herr aber widerlegt das Verständnis, das sowohl Hiob als auch seine Freunde von der „Theologie der Vergeltung“ haben. Gott macht deutlich, dass er in seinem Handeln frei ist. Dies wird im Buch Hiob auf vielfältige Weise offenkundig:
● Gott ist frei, auf Satans Vorschlag einzugehen, Hiobs Gottesfurcht anhand von Katastrophen zu überprüfen, ohne dass er Hiob darüber informiert (Hi. 1,12).
● Gott ist frei zu bestimmen, wie weit Satan mit seinen Angriffen gehen darf (Hi. 1,12).
● Gott ist frei in seinem Entschluss, zunächst zu schweigen, obwohl Hiob nach einer Antwort verlangt (Hi. 31,35).
● Gott ist frei, seine Verteidiger (Hiobs Freunde) zu kritisieren, obwohl sie die ganze Zeit Gott vor Hiob verteidigt haben und ihnen zu vergeben (Hi. 42,7–9).
● Gott ist frei, dem Leiden Hiobs ein Ende zu bereiten und ihn zu segnen (Hi. 42,10–17).
Damit aber ist die „Theologie der Vergeltung“ nicht insgesamt außer Kraft gesetzt. Das Buch Hiob zeigt vielmehr die Spannung auf, in die der Mensch durch sie gerät. Zum einen gehört die „Vergeltungstheologie“ noch immer zum Thema des Bundes mit dem Volk Israel: Gott hatte Segen und Fluch vom Verhalten des Volkes abhängig gemacht (5Mos. 27 und 28). Die Geschichtsbücher des Alten Testaments bestätigen dieses Prinzip eindrücklich, indem sie den Ungehorsam des Volkes aufzeigen und die daraus resultierenden Folgen schildern, auch wenn diese Folgen nicht immer unmittelbar eintreffen und gottlose Könige auch Wohlstand erlebten. Die „Theologie der Vergeltung“ ist aber auch ein Thema im Leben des einzelnen Menschen, das vor allem in den Weisheitsschriften des Alten Testaments zur Sprache kommt. Dabei ist wichtig zu beobachten, dass das Prinzip beschrieben wird: Die Gerechten gedeihen, die Gottlosen aber vergehen. Aber der Umkehrschluss – derjenige, der Erfolg hat, ist gerecht, während derjenige, der leidet, gottlos ist – wird nicht bestätigt.
Andere Bücher der Heiligen Schrift wie die Psalmen oder das Buch Prediger behandeln ebenfalls das Ringen mit der „Vergeltungstheologie“ und der erfahrenen Wirklichkeit. Auch Jesus selbst greift die Frage nach der „Vergeltungstheologie“ auf (Joh. 9,1–3). Wie im Buch Hiob gibt auch Jesus keine Antwort auf die Frage nach der Ursache für das Leid („Wer hat gesündigt?“), sondern nach dem Zweck („Gottes Plan wird erfüllt“).
In Galater 6,7 bestätigt Paulus ebenfalls die „Vergeltungstheologie“ (Was der Mensch sät, das wird er ernten). Die „Vergeltungstheologie“ bleibt, wenn sie richtig nuanciert und angewendet wird, eine biblische Lehre über das Wesen Gottes.
Das Buch Hiob setzt aber einen besonderen Akzent und führt eindrücklich vor Augen, dass Gott weder an menschliche Vorgaben noch an menschliche Vorstellungen gebunden ist. Beim Menschsein geht es darum, Gottes Freiheit anzuerkennen. Zurecht schreibt Egelkraut: „Nichts ist frustrierender und nichts engt mehr ein, als zu meinen, man könnte Gott Vorschriften machen“.[3]
Gottes Weisheit
Würde allein die Freiheit Gottes betont werden, so drängt sich die Frage auf, ob Gottes Handeln nicht willkürlich ist. Ja, das Buch lenkt die Aufmerksamkeit weg von der Vorstellung, Gott handle in der Welt ausschließlich nach einem bestimmten Schema. Aber das Buch bietet noch eine weitere Sicht auf Gott: die Weisheit Gottes. Nach den Dialogen zwischen Hiob und seinen Freunden in den Kapiteln 3 bis 27 spricht Hiob ein letztes Wort zu seinen Freunden. Die Freunde behaupteten, dass ihren Ausführungen Einsicht und Weisheit zugrunde liegt (Hi. 15,17–18; 20,3). Hiob dagegen wird die Weisheit abgesprochen (Hi. 11,5–6; 15,2.8). Auf diese Behauptungen erwidert Hiob, dass ihre Sicht von Weisheit nicht funktioniert. Dabei wird er oft ironisch (Hi. 12,2; 13,5; 17,10). Für Hiob ist klar, dass der Ort der Weisheit für Menschen nicht erreichbar ist (Hi. 28,12) und Weisheit auch nicht käuflich ist (Hi. 28,13–20), und Gott allein den Ort der Weisheit und den Weg zur Weisheit kennt (Hi. 28,21–28).
Als Gott dann ab Kapitel 38 selbst das Wort ergreift, nimmt er das Thema der Weisheit wieder auf. Gott fordert Hiob auf, eine Reihe von Fragen zu beantworten. Mit diesen Fragen bringt Gott zum Ausdruck, dass er als Schöpfer am besten weiß, was diese Welt zusammenhält und wie sie funktioniert. Hiob dagegen bleibt auf alle Fragen zur Entstehung und zum Funktionieren der Schöpfung sprachlos (Hi. 40,3–5). Hiob hatte Gott zwar Weisheit zugestanden, aber in den Kapiteln 29–31 hatte Hiob so gesprochen, als ob er wisse, wie die Welt funktioniert.
Hiob war der Auffassung, dass auch Gott sich an die Spielregel halten müsse, an die „Theologie der Vergeltung“. In seiner Rede zeigt Gott auf, wie er nicht nur die Welt erschuf, sondern sie auch jetzt erhält. In seiner Weisheit, die den Menschen nicht verständlich ist – sie ist unergründlich –, regiert Gott die Welt.
Was aber ist mit den Dingen, die das Leben bedrohen? In einer zweiten Rede (Hi. 40.41) geht Gott auf diese Frage ein: Ja, die Welt ist gefährlich. Es gibt stolze und überhebliche Menschen mit bösen Absichten, und es gibt Lebewesen wie Behemot (Hi. 40,15–24) und Leviathan (Hi. 40,25–32), die für den Menschen unkontrollierbar sind. Gott gibt zur Antwort, dass er diese Bedrohungen kennt und sie dennoch nicht beseitigt. Aber er hält sie unter seiner Kontrolle. Die Frage, die sich Hiob stellt, und die damit auch dem Leser gestellt wird, lautet: Vertraust du dem Schöpfer und Erhalter der Welt, auch wenn du sein Handeln nicht verstehst? Statt bis in Einzelheiten hinein verstehen zu müssen, wie Gott handelt, geht es darum, Gottes Weisheit zu vertrauen. Nicht Kontrolle, sondern Vertrauen soll die Haltung des Menschen gegenüber Gott kennzeichnen. Gott hat das Leben der Menschen in der Hand, und er kontrolliert auch das Böse, das den Menschen bedroht.
Gottes Güte
Eine weitere Eigenschaft Gottes, die im Buch Hiob hervorgehoben wird, ist die Güte Gottes. Jakobus 5,11 weist auf Gottes Barmherzigkeit hin und auf sein Mitgefühl gegenüber Hiob. Das verwundert auf den ersten Blick. Inwiefern zeigt sich Gott gegenüber Hiob als mitfühlend und barmherzig? Es war doch Gott, der Satan die Erlaubnis gab Hiob anzugreifen? Gott war es doch, der Hiob aus dem Sturm heraus eine Frage nach der anderen stellte? Wie passt die Aussage aus dem Brief des Jakobus zu dem, wie Gott im Buch Hiob vorgestellt wird? Antwort: Gottes Mitgefühl und Barmherzigkeit Hiob gegenüber zeigt sich in verschiedener Weise:
● Gott korrigiert Hiob
Hiob hatte Gott herausgefordert (Hi. 29–31). Gott schwieg dazu sehr lange. Dann endlich kommt es in Kapitel 38 zur Begegnung von Gott und Hiob: Gott antwortet Hiob aus einem Sturm. Gott tritt gewaltig auf, und es „donnert“ eine Frage nach der anderen auf Hiob herab. Aber Gott macht Hiob nicht einfach mundtot. Im Gegenteil: Gott nimmt Hiob ernst. Gott geht auf seine Fragen ein. Er geht auch auf Hiobs Siegessicherheit ein (Hi. 31,35–37), und er fordert ihn auf besondere Art und Weise heraus. Dieses ausführliche Gespräch Gottes mit einer einzelnen Person ist in der Bibel einmalig. Und Gott wird dabei sehr persönlich, und er spricht Hiob immer wieder direkt an (Hi. 38,24–27).
Zuletzt muss Hiob zugeben, dass er zu weit gegangen ist (Hi. 42,6). Er war anmaßend und überheblich. Zu dieser heilsamen Selbsterkenntnis hatte Gott ihn gebracht. Es ist als Zeichen der Liebe und der Güte Gottes anzusehen, dass Gott Hiob an diesen Punkt geführt hat, dass Hiob allein Gott nötig hatte und nicht Gottes Gaben.
● Gott rechtfertigt Hiob
Wonach sich Hiob sehnte war, vor Gott zu bestehen. Diesen Wunsch erfüllt Gott Hiob auf dreifache Weise. Zunächst sagt er, dass im Gegensatz zu den Freunden Hiob richtig von Gott sprach (Hi. 42,7). Dann bezeichnet Gott Hiob dreimal mit dem würdevollen Titel meinen Diener (Hi. 42,7.8), also so wie Mose und andere Propheten beschrieben werden. Drittens ist es Hiob, der ironischerweise für seine Freunde ein Opfer darbringen muss, damit den Freunden vergeben wird, obwohl diese sich ja als Gottes Verteidiger aufgespielt hatten. All diese Dinge sind Zeichen der Barmherzigkeit Gottes, dass Hiob von Gott angenommen wird.
● Gott beschenkt Hiob
Am Ende ist Hiobs soziale Stellung wiederhergestellt, und sein Vermögen übertrifft sogar das, was er zuvor besessen hat. Auch Kinder werden ihm wieder geboren (Hi. 42,13–15). Statt lebensmüde (Hi. 3,11–13) ist Hiob am Ende lebenssatt (Hi. 42,16.17). Wichtig ist hierbei aber, dass Hiob diese Dinge erst am Ende erlebt. Zuerst ist die Beziehung zu Gott wieder zurechtgerückt, und erst dann erfährt Hiob diesen materiellen und sozialen Segen.
Als Hiob die Worte aussprach Vom Hörensagen hatte ich von dir gehört, jetzt aber hat mein Auge dich gesehen, wusste Hiob noch nicht, dass er diesen Segen erfahren wird. Auch Hiob lebte im Glauben und nicht im Schauen. Gott schüttet auch in diesem Fall unverdient seinen Segen über Hiob aus. Gott bleibt auch hier kein Schuldner der Menschen.
Wie aber kann der materielle Segen Hiobs aus neutestamentlicher Perspektive verstanden werden? Jakobus 5,7–11 illustriert seinen Aufruf zur Geduld im Blick auf das Warten auf das Wiederkommen Jesu mit der Standhaftigkeit Hiobs. Er bezieht sich ausdrücklich auf das Ende Hiobs. In diesem Sinne beschreibt Hiobs materieller Segen die Güte Gottes, die Christen nach dem Wiederkommen Jesu erwartet.
Wie hilft uns die Perspektive Gottes im Buch Hiob, Leid im Leben zu begegnen? Die Perspektive Gottes fordert uns heraus, den Trost nicht in den Erklärungen über die Ursachen zu suchen. Es geht nicht um Verstehen, sondern um Vertrauen. Es geht nicht um Kontrolle, sondern um Glauben. Gottes Charakter zu kennen ist mehr wert, als die Ursachen unserer Umstände zu kennen. Keine Kontrolle zu haben heißt, nicht zu wissen, warum mir dies oder jenes passiert, und dennoch Gott zu vertrauen.
Das wahre Verständnis des Buches Hiobs wird erst mit Jesus Christus erreicht. In ihm, dem Sohn Gottes, werden Gottes Freiheit, seine Weisheit und seine Güte sichtbar. In seiner Freiheit wählt Gott den Weg der Weisheit, selbst das Böse der Menschen zu gebrauchen (Verrat und Kreuzigung), um seine Gnade (Vergebung und Heiligung) den Menschen zu erweisen.
[1]) Walton, J. H., & Longman, T. III, How to Read Job. Downers Grove [Intervarsity Press] 2015, S. 14.
[2]) Tsevat, M. (1980). The Meaning of the Book of Job and Other Biblical Studies: Essays on the Literature and Religion of the Hebrew Bible. Dallas [Institute for Jewish] 1980, S. 36.37.
[3]) Egelkraut, H., Das Alte Testament. Entstehung – Geschichte – Botschaft. Giessen [Brunnen] 2012, S. 676.