Wortverkündigung aus Lukas 23,39–43: Der dreieine Gott schließt dem Sünder am Kreuz das Paradies auf

Wortverkündigung aus Lukas 23,39–43: Der dreieine Gott schließt dem Sünder am Kreuz das Paradies auf

Die Predigt wurde am 10. April 2020 (Karfreitag) in der Bekennenden Evangelisch-Reformierten Gemeinde in Gießen gehalten. Bitte lesen Sie zuvor den gesamten Abschnitt in einer guten Bibelübersetzung: Lukas 23,33-49.

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Einleitung

Das Wort Gottes bringe ich Ihnen aus dem Evangelium nach Lukas, Kapitel 23,39–43. Wir hören zunächst insgesamt den Abschnitt Lukas 23,33–49.

Gemeinde unseres Herrn Jesus Christus!

Wenn wir die Passionsberichte aller vier Evangelien zusammennehmen, dann sind uns insgesamt sieben Aussprüche von Jesus überliefert, die er am Kreuz sagte. Kein einziges der vier Evangelien berichtet uns sämtliche sieben Worte. Aber wenn wir alle Evangelien zusammenschauen, kommen wir zu dieser Zahl. Ich zähle sie einmal auf:

1. Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun.

2. Siehe, dein Sohn – siehe, deine Mutter.

3. Wahrlich ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradies sein.

4. Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

5. Mich dürstet.

6. Es ist vollbracht.

7. Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.

In jedem dieser sieben Aussprüche kommt ein Aspekt des unauslotbaren Geschehens am Karfreitag zum Ausdruck. Heute wollen wir uns auf das dritte Kreuzeswort konzentrieren. Dieses sprach unser Herr gegen 12 Uhr mittags, unmittelbar bevor sich die Finsternis drei Stunden lang über das Land legte.

Wenn Sie mich vor etlichen Jahrzehnten gefragt hätten, welches der sieben Kreuzesworte mich persönlich am meisten berührt, dann hätte ich vermutlich auf das vierte Wort Jesu gewiesen, das Jesus gegen Ende der dreistündigen Finsternis ausrief: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?!

Ich meine, dass ich mich heute nicht mehr für ein einziges der sieben Worte entscheiden würde. Manchmal denke ich: Ich war damals noch zu sehr Kind meiner Zeit. Im zwanzigsten Jahrhundert hatte das Wort von der Gottverlassenheit eine ganz bestimmte Färbung. Man sprach viel von unserer Gottverlassenheit. Und da hinein schien dieses Wort aus dem Mund Jesu irgendwie gut zu passen.

Inzwischen aber möchte ich entschieden davon abraten, überhaupt zu versuchen, in dem Sterben unseres Heilands sich selbst wiedererkennen zu wollen. Sein Sterben und sein Tod sind angesichts des dort erwirkten Heils einzigartig und damit völlig unvergleichlich.

Außerdem bin ich davon überzeugt, dass der gottlose Mensch des 20. und auch des 21. Jahrhunderts aus diesem Ausspruch Jesu nicht viel für seine eigene innere Verwüstung und Gottesferne gewinnen kann. Eher habe ich den Eindruck, man münzt diesen Ausspruch über die Gottverlassenheit so um, dass man sich selbst berechtigt sieht, gottfern zu leben.

Aber damit hat dieser Ausruf nun wirklich nichts zu tun. Auf jeden Fall überhört man dann die Anrede: Mein Gott, mein Gott... Es ist doch gerade das Besondere dieses Ausrufs, dass der Sohn Gottes seinen Vater auch in seiner Gottverlassenheit mit mein Gott anrief.

Ja, die Heilige Schrift weiß von den Abgründen Golgathas, und natürlich hat diese Tiefen auch unser Herr Jesus erfahren. Aber das Besondere dieses Wortes ist, dass Jesus diese Frage nicht in das Nichts hinausschrie, sondern dass er sich damit an Gott wandte, an seinen Gott. Damit enthält dieses Wort im Unterschied zu unserer Zeit das Bekenntnis: Du, Gott, bist nicht fern oder gar tot, sondern du lebst, und du hast alles in deinen Händen! Du bist mein Gott, und deswegen gib mir bitte Antwort! Folglich zeugt dieses Wort gerade von einer starken Bindung an Gott, seinen Vater.

Wenn wir dieses Wort so verstehen, dann steht es auch nicht im Widerspruch zu einer Aussage des Herrn, die uns Johannes in seinem Evangelium überliefert. Diese Aussage stammt nicht aus dem unmittelbaren Leidensbericht. Als Jesus dieses sagte, befand er sich in einer konfrontativen Auseinandersetzung mit den Juden. In diesem Zusammenhang sagte er: Wenn ihr den Sohn des Menschen erhöht haben werdet [gemeint ist: ans Kreuz], werdet ihr erkennen, dass ich es bin, und ich tue nichts von mir selbst aus, sondern wie mich mein Vater gelehrt hat, so rede ich. Und der, der mich gesandt hat, ist mit mir, der Vater lässt mich nicht allein, denn ich tue allezeit, was ihm wohlgefällt (Joh. 8,28.29).

Hier sagt unser Erlöser – und er hat dabei seine Erhöhung am Kreuz vor Augen –, dass Gott der Vater ihn nicht allein lassen wird. Denn Jesus Christus tat und tut immer das, was seinem Vater wohlgefällig ist. Ganz sicher tat der Herr das, als er den ihm von Gott dem Vater gereichten Kelch des Zorns am Kreuz gehorsam austrank.

Indem wir dies so feststellen, nehmen wir nichts von der Frage des Sohnes Gottes weg. Aber ich warne davor, Jesus am Kreuz immer nur als den in seiner Gottverlassenheit Ohnmächtigen zu sehen. Das ist dem vielschichtigen Geheimnis von Golgatha nicht angemessen.

Die Alte Kirche hat sich in ihren Bekenntnissen immer wieder bemüht, die vielen Dimensionen des Geschehens am Kreuz bekenntnishaft zum Ausdruck zu bringen. Zum Beispiel bezeugte sie, dass Jesus Christus von Gott verlassen wurde „gemäß seiner Menschlichkeit“, aber nicht gemäß seiner Gottheit bzw. als Sohn Gottes. Ferner bekannte sie, dass Jesus Christus starb „gemäß seiner menschlichen Natur“, und diesen seinen Tod hat „seine göttliche Natur mitgetragen“.

Mit solchen Formulierungen wird das Geschehen von Golgatha nicht erklärt. Es sind eher verhüllende Aussagen. Aber diese Formulierungen bewahren uns davor, allzu schnell in die Meinung zu verfallen, wir hätten das Karfreitagsgeschehen durchschaut. Auf jeden Fall sollten wir es nicht einseitig unter dem Aspekt der Ohnmacht Gottes verstehen.

Dass dies nicht angemessen ist, kommt auch in dem Ausspruch zum Ausdruck, unter den wir uns heute stellen wollen. Ich verkündige Ihnen das Wort Gottes unter dem Thema:

Der dreieine Gott schließt dem Sünder am Kreuz das Paradies auf.

Wie sehen drei Punkte:

Das Paradies ist dem geöffnet, der

1. durch den Heiligen Geist sich an den einzigen Retter wendet,

2. durch die Macht Gottes des Vaters, das Heil im Glauben erfassen darf,

3. das am Kreuz vergossene Blut des Gottessohnes für sich in Anspruch nimmt.

1. Das Paradies ist dem geöffnet, der durch den Heiligen Geist sich an den einzigen Retter wendet

Jesus wurde von den Menschen verschmäht, aus Jerusalem, der „Heiligen Stadt“ ausgestoßen und an ein Fluchholz genagelt. Und in diesem Vers lesen wir, wie dieser Jesus einem Sünder die Tür zum Paradies öffnet.

Als Jesus Christus dem „Schächer“ diese Zusage machte, war er selbst von den falschen Hirten Israels ausgegrenzt worden. Er war von den Hohepriestern geächtet worden, die Gesetzesgelehrten hassten ihn, die aufgehetzte Menge verlachte und verspottete ihn, und schließlich wurde er von den Römern außerhalb der Stadt ans Kreuz genagelt.

Aber nicht nur Jesus Christus starb außerhalb der Stadt Jerusalem, sondern auch zwei Verbrecher. Das war kein Zufall. Vielmehr war es Erfüllung von Prophetie: In Jesaja 53 heißt es: Er [Christus] wurde aus dem Land der Lebendigen weggerissen, wegen der Übertretung meines Volkes hat ihn Strafe getroffen. Und man bestimmte sein Grab (seine Todesstätte) bei Gottlosen (Jes. 53,8b–9). Etwas später heißt es: Er hat seine Seele dem Tod preisgegeben und sich unter die Übeltäter zählen lassen und die Sünde vieler getragen und für die Übeltäter gebetet (Jes. 53,12).

Der Sohn Gottes hing am Kreuz zwischen zwei Übeltätern. Das Wort, das Lukas hier für Übeltäter gebraucht, kann auch Räuber oder Wegelagerer meinen. Es kann auch mit Guerillakrieger oder Partisanenkämpfer übersetzt werden, wenn man so will mit Terrorist. Dann hätten die beiden Männer vermutlich zu den Zeloten gehört, die die römische Besatzungsmacht immer wieder aus dem Hinterhalt angegriffen hatten.

Was genau das Vergehen der beiden Männer war, die mit Jesus gekreuzigt wurden, ist nicht gesagt. Aber ich vermute angesichts der Härte der Bestrafung, der Kreuzigung, dass sie Teil der terroristischen jüdischen Banden waren, die vor allem in Galiläa ihr Unwesen trieben. Als solche werden diese Verbrecher einiges auf dem Kerbholz gehabt haben. Diese Männer begingen wohl nicht nur Raub oder Plünderungen, sondern vermutlich gingen auch Morde auf ihr Konto, … bis sie dann gefasst wurden und die Römer sie zum Kreuzestod verurteilten.

Diese beiden Übeltäter waren Männer aus Israel. Sie waren fleischliche Kinder Abrahams. Aber wie unterschiedlich verhielten sie sich angesichts ihres unmittelbar bevorstehenden Todes!

Auch für uns gibt es im Grunde nur zwei Möglichkeiten, mit Leiden, die man durch eigene Schuld über sich selbst gebracht hat, umzugehen. Die eine Möglichkeit besteht darin, gegen Gott zu murren und ihm zu sagen: Wenn du ein so großer und mächtiger und liebender Gott bist, bring mich aus diesem Schlamassel heraus!

Aber man kann in einer solchen Situation auch anders auf sein Leid reagieren. Man kann anerkennen, dass man sich selbstverschuldet in dieser Situation befindet. Und dann ist es möglich, dass man sich an Gott wendet und ihn um seine Hilfe und um seine Gnade anfleht.

Genau diese zwei Verhaltensweisen begegnen uns bei den beiden Mitgekreuzigten. Bevor wir uns aber im Einzelnen die Unterschiede vor Augen führen, achten wir bitte einmal darauf, wie ähnlich sich die Übeltäter waren.

– Beide hatten sich schwerer Verbrechen schuldig gemacht. Der eine sagte es selbst: Wir empfangen, was unsere Taten wert sind (Lk. 23,41). Mit anderen Worten: Wir empfangen den gebührenden Lohn für unsere Handlungen.

– Beide litten furchtbare Qualen am Kreuz: Entweder man hatte als Gekreuzigter wahnsinnige Atembeschwerden, nämlich dann, wenn der ganze Körper an den Armen hing, oder aber man stützte sich mit den durchbohrten Füßen ab, und das verursachte unvorstellbare Schmerzen.

– Beide lasen das, was über dem Kreuz von Jesus geschrieben stand: Dieser ist der König der Juden (Lk. 23,38).

– Beide hörten das Wort aus dem Mund Jesu: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun (Lk. 23,34).

Kurzum: In vielem ähnelten sie sich, und keiner von ihnen war moralisch besser als der andere. Matthäus berichtet außerdem ausdrücklich, dass [zunächst] beide Verbrecher Jesus schmähten (Mt. 27,44).

Wenn wir das mit uns vergleichen, dann haben wir zumindest das mit diesen beiden Verbrechern gemein: Wir alle sind sowohl vor Gott als auch vor Menschen schuldig; in unserem Leben gibt es ebenfalls Leid; und wir gehen dem Tod entgegen.

Aber dann trennten sich die Wege der beiden Verbrecher. Für den einen wurde das Sterben der Beginn seines ewigen Todes. Für den anderen wurde sein Sterben und sein Tod der Übergang zum ewigen Leben.

Der eine erklärte gleichsam: Das habe ich nicht verdient! Wenn es Gott gibt, dann ist es geradezu seine Pflicht, mich hier herauszuholen.

Bis hinein in seinen Untergang verschanzte sich dieser Mann in seinen Zynismus: Bist du der Christus, so rette dich selbst und uns (Lk. 23,39). Damit nahm dieser Mann die Sprüche auf, mit denen die römischen Kriegsknechte Jesus höhnten (Lk. 23,36.37), und er ergänzte sie mit dem Zusatz: errette uns.

Tatsächlich verhält es sich bis zum heutigen Tag nicht viel anders. Die Mehrheit der Menschen wollen sich bis hinein in ihr letztes Stündlein keine Blöße geben, sondern noch angesichts ihres Todes den äußeren Schein wahren.

So wollte auch dieser Mann nichts davon wissen, dass er durch den Kreuzestod den gebührenden Lohn für seine Taten empfängt. Die Frage nach der eigenen Schuld stellte er sich nicht. Die Frage von Recht und Unrecht, von Gut und Böse kam bei ihm nicht vor. Er hatte allenfalls im Sinn, Jesus als den zu benutzen, der ihn aus seinem Elend herausretten möge, also als Mittel zum Zweck: Wenn du Christus bist – nehmen wir das einmal hypothetisch an – dann rette dich selbst und uns.

Aber dann ist da noch eine andere Reaktion. Es ist die Reaktion eines Menschen, der sich als Sünder erkennt, der akzeptiert, dass er schuldig ist, und zwar sowohl vor Gott als auch vor den Menschen.

Man könnte versuchen, diese Reaktion des anderen Verbrechers irgendwie psychologisch zu interpretieren: In ausweglosen Lagen greift man eben nach jedem Strohhalm. Aber ich denke nicht, dass bei diesem Verbrecher eine solche Deutung angemessen ist. Vielmehr kam er zu tiefer Sündenerkenntnis. Dieser Mann war nicht nur ein in Todesschrecken Verzweifelter, sondern er war einer, der in der Gegenwart Jesu durch den Heiligen Geist von seinen eigenen Sünden überführt wurde und die Gerechtigkeit in Jesus Christus im Glauben erfasste.

Ganz sicher hatte er gehört, als Jesus für die gebetet hatte, die ihn verurteilt und ans Kreuz geschlagen hatten: Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun! (Lk. 23,34). Irgendwann trat daraufhin bei diesem Verbrecher eine innere Wandlung ein. Das war das Wirken des Heiligen Geistes. Dieses sehen wir an Folgendem:

– Erstens sehen wir es daran, dass er nicht mehr länger mitmachte beim Schmähen und Lästern Christi. Er hielt den Mund. Offenkundig war er zur Besinnung gekommen. Er wurde von Reue über seine Taten erfasst.

– Zweitens sehen wir das Wirken des Heiligen Geistes daran, dass dieser Verbrecher dem anderen klar widersprach: Fürchtest auch du Gott nicht, da du doch in dem gleichen Gericht bist? (Lk. 23,40). Für den zweiten Verbrecher war Gott zur Realität geworden. Er war für ihn zu einer Wirklichkeit geworden, die zu fürchten ist. Er begriff, es hat keinen Sinn, weiterhin gegen Gott, den Allmächtigen aufzubegehren, sondern dass Gottesfurcht die einzig angemessene Reaktion eines Sünders angesichts des heiligen Gottes ist.

– Drittens erkannte dieser Mann nicht nur seine Schuld, er erkannte auch nicht nur Gott als die große Realität für sein Leben, sondern er bewertete auch das, was ihm zugefügt wurde, anders: Wir empfangen gerechterweise das, was unsere Taten wert sind (Lk. 23,41a). Dieser Missetäter erkannte sein Unrecht. Er sah die Lage, in der er sich nun befand, als gerecht an. Er akzeptierte, dass er seine Kreuzigung verdient hatte. Folglich war bei ihm jedes Verlangen verschwunden, sich selbst im Untergang noch immer als den starken Macker zu präsentieren. Vielmehr bekannte er: Ich, wir haben es nicht anders verdient.

Vor dem Gott, den dieser Mann zu fürchten begann, gab es ja auch keine Möglichkeit, die eigene Schuld zu verbergen. Natürlich kann man auch dann noch Ausflüchte suchen und sich beschönigende Ausreden einfallen lassen. Aber diesem Verbrecher waren alle Entlastungsargumente wie ein Kartenhaus zusammengefallen. Er akzeptierte seine Strafe.

Wenn sich jemand nur deswegen an Jesus wendet, um von seinem schlechten Gewissen befreit zu werden oder um aus seinem Schlamassel herauszukommen, dann muss das noch nicht viel heißen. Das kommt öfters vor. Aber wenn ein Sünder die Strafe als verdient für sich akzeptiert, dann zeigt das, dass er in Wahrheit seine Schuld erkannt hat und vor Gott kapituliert hat. Denn damit legt er das Bekenntnis ab: Ja, das Todesurteil über mich ist gerecht. Ich habe nichts Anderes verdient als den Tod. Dieses Akzeptieren der Strafe ist etwas, das der Heilige Geist in diesem Mann gewirkt hat.

– Viertens: Der Verbrecher erkannte auch, wer Jesus ist: Dieser aber hat nichts Unrechtes getan (Lk. 23,41b). Mit anderen Worten: Jesus, der neben mir hängt, ist ohne Sünde.

– Fünftens: Dieser Mann wandte sich an Jesus Christus. Er betete. Er sprach ihn an mit Herr. Eine solche Anrede ist nur möglich im Heiligen Geist (1Kor. 12,3): Herr, gedenke an mich, wenn du in deiner Königsherrschaft kommst. Diese Anrede ist somit ein weiterer Hinweis für das Wirken des Heiligen Geistes an diesem Verbrecher. Indem dieser Mann aus Gott wiedergeboren wurde, war er zu einem Wunderwerk des Heiligen Geistes geworden.

Wie stark der Heilige Geist mittlerweile an diesem Verbrecher gewirkt hatte, zeigt der Inhalt der Bitte, mit der er sich an Jesus wandte. Vielleicht meinen wir: Na ja, der Verbrecher wollte in den Himmel kommen, und dahin sollte ihn Jesus mitnehmen. Aber ich denke nicht, dass es in seiner Bitte darum ging. Vielmehr war es so, dass der Verbrecher nicht nur in Jesus das sah, was damals optisch alle wahrnahmen, nämlich einen Mann, der mit Schmerzen und Leiden vertraut war, sondern er erkannte in diesem am Kreuz verblutenden Jesus den König: Dieser Jesus ist König. Dieser Jesus triumphiert bereits am Kreuz über seine Peiniger.

Er triumphierte über sie durch die Macht seiner Liebe: Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun. Aber mehr noch: Die Aussage, Herr, gedenke an mich, wenn du in deiner Königsherrschaft kommst, zeigt, dass er in diesem Jesus den erkannte, in dem sich die Prophezeiungen des Alten Testamentes erfüllen. Von daher verstand der Verbrecher in Wahrheit das, was gerade ablief.

Es ging diesem Übeltäter also nicht vorrangig darum, dass er selbst in den Himmel gelangt. Darum ging es ihm natürlich auch. Aber vor allem ging es ihm darum, dass dieser sich vor seinen Augen in Schmerzen windende Jesus einmal in königlicher Herrlichkeit erscheinen wird. Inmitten der Schande, in der Jesus am Fluchholz hing, erkannte er bereits den siegreichen König. In der scheinbaren Niederlage am Kreuz durfte er den triumphierenden Gottessohn erblicken.

So etwas erkennen zu dürfen, ist Wunder des Heiligen Geistes. Durch die Erleuchtung des Geistes Gottes nahm dieser Verbrecher nicht nur das wahr, was damals aller Welt vor Augen stand. Vielmehr schaute er bereits Christus in seiner Herrlichkeit. Das hieß konkret für ihn: Wenn andere für diesen Jesus nur Hohn und Spott übrighaben, er macht da nicht mehr mit. Wenn andere zweifeln, wenn andere leugnen, er glaubt, dass dieser von den Menschen Verworfene der ist, der in der Herrlichkeit seines Reiches kommen wird. Und da möchte er dabei sein. Er will bei Jesus sein. Dies ist ein weiteres Indiz für das Wirken des Heiligen Geistes an diesem Verbrecher.

2. Das Paradies ist dem geöffnet, der durch die Macht Gottes des Vaters, das Heil im Glauben erfassen darf

Die offiziellen Hirten Israels, die ihre Plätze in den Gerichtssälen Jerusalems eingenommen hatten, waren falsche Hirten. Sie waren falsche Hirten nicht nur deswegen, weil sie dafür gesorgt hatten, dass Jesus von den Römern ans Kreuz geschlagen wurde, sondern ihre Falschheit zeigte sich auch darin, wie sie mit Judas umgingen.

Als Judas plötzlich seine unermesslich frevelhafte Tat erfasst hatte und die 30 Silberlinge verzweifelt zurückbrachte und den Priestern bekannte, dass er gesündigt habe, da antworteten sie ihm: Was geht uns das an? (Mt. 27,3.4). Mit anderen Worten sagten sie: Das ist nicht unsere Angelegenheit, sondern deine Sache. Werde du mit den Folgen deines Tuns alleine fertig.

Es ist furchtbar, wenn vorgebliche Hirten mit verzweifelten Menschen so umgehen! Da taumelt jemand vor ihren Augen dahin. Aber das lässt sie kalt. Sie bleiben ungerührt. Kurz darauf brachte Judas sich um. Furchtbar! Falsche Hirten lassen die Schafe verrecken.

Wie anders verhielt sich der gute Hirte. Jesus, der sein Leben für die Schafe gab, wandte sich in seinem eigenen Sterben dem verlorenen Sünder zu. Aufgrund der Autorität Gottes des Vaters bezeugte er ihm: Heute wirst du mit mir im Paradies sein!

Was meint Jesus eigentlich mit dieser Zusage? Über den Sinn dieses Ausspruchs ist bereits seit Jahrhunderten diskutiert worden.

Nachdem die Reformatoren die römisch-katholische Fegefeuerlehre als unbiblisch verworfen hatten, kamen zwei Auffassungen darüber auf, wie es mit der Seele nach dem Tod weitergeht. Die eine Auffassung lehrt, dass unser Geist bzw. unsere Seele gleich nach dem Tod zu Jesus geht.

Das ist auch die Lehre des Heidelberger Katechismus. Der Katechismus lehrt, dass „unser Tod nicht die Bezahlung für die Sünden ist“, sondern dass er „ein Absterben der Sünden“ ist. Im Sterbeprozess merken wir, was wir wirklich sind und vermögen. Und dann ist unser Sterben „ein Eingehen in das ewige Leben“ (Heidelberger Katechismus, Sonntag 16, F/A 42).

Etwas später bekennt unser Katechismus: „Christus, das Haupt wird die Glieder zu sich nehmen in den Himmel“ (Sonntag 18, F/A 49).

Am deutlichsten ist Sonntag 22. Dort wird auf die Frage, „Was tröstet dich die Auferstehung der Toten?“, folgendermaßen geantwortet: „Dass nicht allein meine Seele nach diesem Leben alsbald zu Christus ihrem Haupt genommen wird, sondern auch, dass dies mein Fleisch durch die Kraft Christi auferweckt wird, wieder mit meiner Seele vereinigt und dem herrlichen Leib Christi gleichförmig werden soll.“

In Sonntag 22 des Heidelberger Katechismus geht es thematisch um die Auferstehung unseres Leibes. Aber der Abschnitt lehrt auch: Die Seele kommt nach diesem Leben alsbald zu Christus. Damit bekennt der Katechismus unzweideutig, was auch die Heilige Schrift lehrt, nämlich, dass die Geister der vollendeten Gerechten nach dem Tod zu Jesus kommen werden und ihn dann bereits in seiner Herrlichkeit sehen werden (Hebr. 12,23.24), also bereits dann, wenn unsere Körper noch im Grab vermodern.

Aber im 16. Jahrhundert kam noch eine andere Lehre auf. (Sie war übrigens bereits vorher zum Beispiel in der Armenischen Kirche verbreitet.) Diese Lehre bezeichnet man als „Seelenschlaflehre“. Sie besagt, dass unsere Seele nach dem Tod nicht unverzüglich zu unserem Heiland kommen wird, sondern bis zur Wiederkunft Christi in ein Totenreich gelangt und dort in einem schlafenden, also bewusstlosen Zustand verharrt.

Nun spricht die Heilige Schrift bekanntlich, wenn sie über die Toten spricht, von Entschlafenen. Aber mit dieser Formulierung hat sie nicht unsere Seele im Blick, sondern unseren Leib: Es ist unser Leib, der entschläft.

Die „Seelenschlaflehre“ hatte natürlich Schwierigkeiten mit dem Wort Jesu: Ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradies sein.

Im Wesentlichen versuchen die Vertreter der Seelenschlaflehre deshalb, diese Aussage in dreierlei Hinsicht umzuinterpretieren.

Erstens versuchen sie diesen Ausspruch anders zu übersetzen: „Ich sage dir heute, du wirst [irgendwann später einmal] mit mir im Paradies sein.“ Man versetzt also das Komma.

Aber dies ergibt wenig Sinn. Natürlich sagte Jesus das, was er damals sagte, an diesem Tag, also heute. Aber das ist so selbstverständlich, dass man es nicht ausdrücklich betonen muss.

Tatsächlich überzeugte diese Übersetzungsweise auch kaum jemanden wirklich. So erklärten die Verfechter der Seelenschlaflehre dann: Weil unsere Seele im Totenreich sowieso entschlafen ist, und im Schlaf unser Zeitbewusstsein bekanntlich außer Kraft gesetzt ist, gehen wir zwar zuerst in das Totenreich ein, aber weil dieser Zwischenzustand für unser Bewusstsein keine Rolle spielt, kommt es uns bewusstseinsmäßig so vor, als ob wir gleich nach dem Tod bei Jesus ankommen.

In dieser Gedankenführung ist insofern ein Wahrheitskorn, als tatsächlich unser momentanes Erfahren von Zeit in der Herrlichkeit aufgehoben ist. Unser Herr Jesus Christus erwähnt dies selbst einmal, als er verkündet: Wahrlich, wahrlich ich sage euch: Die Stunde kommt und ist schon da… – also beides [!] – da die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden und die sie hören, werden leben (Joh. 5,25)

Aber wenn das Wort Gottes davon spricht, wohin wir im Neuen Bund nach unserem Tod hinkommen werden, dann spricht sie anders: Wir und auch unsere Lieben, die im Herrn gestorben sind, werden gleich nach dem Sterben ihren Heiland in Herrlichkeit sehen, also unmittelbar nach der Trennung von Leib und Seele. Und übrigens dessen dürfen wir gewiss sein: Die Augen, die diesen Heiland in seiner Herrlichkeit schauen, werden niemals sich zur Erde zurücksehnen. Sie werden niemals danach Verlangen haben, zu uns, den in der Regel traurig Hinterbliebenen zurückzukehren. Niemals!

Kurzum: Auch wenn wir nach diesem Leben von einem andersartigen Zeiterleben auszugehen haben, bleibt eines deutlich: Wir werden unverzüglich nach unserem Sterben den in herrlicher Klarheit schauen, der für uns am Kreuz sein Leben hingegeben hat und der jetzt zur Rechten Gottes des Vaters in Herrlichkeit auf dem Thron sitzt.

Weil der Vers so deutlich bezeugt, dass der Verbrecher heute im Paradies sein wird, haben Vertreter der Seelenschlaflehre als weiteren Ausweg versucht, unter dem Paradies selbst das Totenreich zu verstehen. Dann wäre dem Verbrecher verheißen worden, mit Jesus in das Totenreich zu kommen. Aber das ist nun völlig neben der Spur. Die Heilige Schrift verwendet den Begriff Paradies nirgendwo für Totenreich, sondern immer für die Gemeinschaft mit Gott in Herrlichkeit (2Kor. 12,4; Offb. 2,7).

Was Jesus hier dem Verbrecher verheißt, ist also nicht weniger als: So wie es einst im Garten Eden war, in der ungetrübten Gemeinschaft mit Gott, so wird es noch heute für dich sein und noch viel, viel herrlicher als einst.

In der Tat ist es bedauerlich, dass das dritte Wort Jesu am Kreuz vor allem dann erörtert wird, wenn es um die Auseinandersetzung mit der Seelenschlaflehre geht. Denn dann kann es sein, dass wir gar nicht mitbekommen, was unser Erlöser am Kreuz für ein Verheißungsjuwel verkündet. Diese Zusage ist ein wunderbarer, herrlicher Schatz. Gerade dann, wenn du angesichts deines Todes in Panikattacken gerätst, darf dich dieses Wort trösten und dir Halt schenken.

Jesus gab diese herrliche Verheißung dem „Schächer“ im Namen Gottes. Indem der Heiland seine Aussage mit einem Wahrlich einleitete –im Grundtext steht Amen – leistete der Herr dem Verbrecher nicht weniger als einen Eid.

Jesus sah das total kaputte Leben dieses Mannes mit all den Abgründen an Brutalität, die sich in seine Seele eingefressen hatten. Aber gleichzeitig durfte der Sohn Gottes in das Angesicht seines liebenden Vaters blicken, und von daher konnte er diesem Mann, der noch kurz zuvor über ihn gelästert und gespottet hatte, das Paradies zusagen: Wahrlich, ich sage dir… Damit sagt Jesus: Im Namen und in der Autorität Gottes öffne ich dir das Tor zur Gemeinschaft mit Gott dem Vater.

Jesus, der Sohn Gottes, der von Menschen Ausgestoßene und Abgeurteilte, der, der bald darauf den Psalm 22 betete, und damit auch das Wort rief Mein Gott, mein Gott warum hast du mich verlassen (Mt. 27,46), er,der selbst zum „Verfluchten“ geworden war, denn es steht geschrieben: Verflucht ist jeder, der am Kreuz hängt (Gal. 3,13), er, der von Gott zur Sünde gemacht wurde (2Kor. 5,21), er sagte dem Übeltäter die Gemeinschaft mit Gott zu.

Mit anderen Worten verkündigte ihm Jesus: Ich werde in wenigen Stunden in der ungetrübten Gemeinschaft mit Gott sein. Dann wirst du mit mir zusammen dort sein. Im griechischen Grundtext ist dieses zusammen mit hervorgehoben: Du, Sünder, wirst heute zusammen mit mir bei Gott dem Vater sein. So öffnete Jesus Christus in der Macht Gottes des Vaters das bis dahin verschlossene Paradies.

3. Das Paradies ist dem geöffnet, der das am Kreuz vergossene Blut des Gottessohnes für sich in Anspruch nimmt

Dieses Bekenntnis des Verbrechers am Kreuz wird bekanntlich erwogen, wenn es um die Frage geht, ob man sich noch auf dem Sterbebett bekehren kann. Zweifellos bringt diese Begebenheit zum Ausdruck, dass Bekehrungen unmittelbar vor dem Tod nicht unmöglich sind.

Wir wollen niemals zu gering von der Macht der Gnade Gottes denken: Gott vermag jemanden im letzten Augenblick zu erretten, wie ein Brandscheit aus dem Feuer. Aber ich sage auch, dass ich selbst eine Bekehrung auf dem Sterbebett noch nie erlebt habe. Außerdem: Dieser Bericht ist, soweit ich sehe, der einzige Bericht in der Bibel von einer Bekehrung angesichts des eigenen Todes.

Wie gesagt, ich habe eine Bekehrung auf dem Sterbebett noch nie erlebt. Aber ich habe erlebt, dass jemand, und zwar aus meiner eigenen Verwandtschaft, immer wieder sagte: Ich will das Leben jetzt noch genießen, ich kann mich später noch bekehren, wenn das Leben sowieso keinen Spaß mehr macht… Doch dann wurde sie – es war meine Tante – durch einen Motorradunfall schlagartig aus dem Leben gerissen. Für sie gab es dieses „Später einmal“ nicht.

Das Wort Gottes verkündet auch etwas Anderes: Angesichts des Versöhnungswerkes Christi ruft sie dir Heute zu: Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet euer Herz nicht! Jetzt ist der rechte Zeitpunkt, der Tag des Heils! (2Kor. 6,2; Hebr. 4,7).

So sage ich dir als Bote Christi und in seinem Namen: Wenn du seine Stimme heute hörst, kehre heute um. Schiebe die Umkehr nicht auf! Und ich füge hinzu: Verrenne dich auch nicht in den Denkweg, in den sich Kain verrannt hatte. Dieser Brudermörder erklärte: „Meine Sünde ist zu groß, als dass sie mir vergeben werden könnte.“ Weißt du, das ist nichts anderes als eine raffinierte, satanisch inspirierte Weise, nicht Zuflucht bei dem einzigen Retter zu suchen.

Der Verbrecher am Kreuz sagte nicht: Meine Sünde ist zu groß, als dass sie mir vergeben werden könnte, sondern er wandte sich an Christus. Er glaubte ihm, und er bat um das Wunder der Gnade Gottes. Dabei war ihm völlig klar, dass er selbst nichts, absolut nichts zu seinem Heil beitragen konnte. Dieser Übeltäter wusste, dass er auch bei Menschen nichts mehr wiedergutmachen konnte. Was er geraubt oder geplündert hatte, wen er geschändet oder ermordet hatte, er vermochte keinerlei Wiedergutmachung zu leisten. Weder vor Gott noch vor Menschen war dieser Mann in der Lage, irgendetwas ihn Entlastendes vorzubringen. So schrie er im Heiligen Geist: Herr, denke an mich! Herr, nimm dich meiner an, eines verlorenen Sünders, der den Tod verdient hat. Diesem Elenden stieß Jesus Christus die Tür zum Paradies auf.

Es war zutiefst nicht das bittende Gebet des Mörders, das ihm das Paradies öffnete. Es war und es ist ausschließlich das Blut Jesu Christi, des guten Hirten, das von jeder – hörst du: von jeder – Sünde reinigt.

Es war der Sohn Gottes selbst, der verheißene Same der Frau (1Mos. 3,15), der das bis dahin verschlossene Tor zum Paradies öffnete. Christi Heilswerk ist die einzige Rechtsgrundlage dafür, dass ein Sünder in die Gemeinschaft mit Gott zurückkehrt und Frieden mit Gott findet.

Weil er, der gute Hirte sein Leben für die Schafe dahingab und den Neuen Bund, den Gnadenbund für Zeit und Ewigkeit in seinem Blut rechtsgültig erwirkt hat, deshalb lasst uns als einzigen Jesus Christus rühmen und sein am Kreuz vergossenes Blut.

Jesus Christus bekräftigte dieses sein Heilswerk dem Schächer am Kreuz durch ein Wahrlich, also durch ein Amen. Wie können wir angesichts des gewaltigen Karfreitagsgeschehens im Glauben anders antworten als ebenfalls mit „Amen“?