Vielleicht kennen Sie das: Sie hören während der Feiertage überall Weihnachtslieder, und das wird mehr und mehr zu einem mentalen und emotionalen Schleudertrauma für Sie.
Mit wenig Vorwarnung und ohne Erklärung springen die Lieder von „Rockin‘ Around the Christmas Tree“ zu „Stille Nacht, heilige Nacht“, von „O Tannenbaum“ zu „Freue dich Welt“, von „Morgen Kinder wird’s was geben“ zu „Es ist ein Ros‘ entsprungen“.
In unserer Kultur wurde Weihnachten zu einem Mischmasch, der aus einem christlichen Inhalt besteht, vermengt mit allerlei angehäuften Traditionen. Das kann man in Ordnung finden oder auch nicht. Aber ich stelle die Frage, ob Sie einen gravierenden Unterschied zwischen den alten christlichen Liedern und den neueren populären Liedern festgestellt haben. Die alten Lieder beziehen sich oft auf den Tod. Die Neuen tun es kaum.
Tod in Weihnachtsliedern
Betrachten Sie nur einige Beispiele:
Fröhlich soll mein Herze springen: „Fasst ihn wohl, er wird euch führen an den Ort, da hinfort euch kein Kreuz wird rühren.“
Unser Heiland ist nun da: „Licht und Leben teilst du aus, bringst uns heim ins Vaterhaus.“
Wie soll ich dich empfangen: „Ach komm, ach komm, o Sonne, und hol uns allzumal zum ew‘gen Licht und Wonne in deinen Freudensaal.“
Es ist ein Ros entsprungen: „… wann wir fahren dahin aus diesem Jammertal: Du wolltest uns begleiten bis an der Engel Saal!“
Diese Dichter wiesen auf den Tod hin und dies angesichts des Weihnachtsfestes. Die Erwähnung des Todes war ein wichtiger Teil ihrer Feierlichkeiten. Heutzutage vermeiden wir es, über den Tod nachzudenken. Gerade zu Weihnachten will man daran nicht erinnert werden. Denn möglicherweise könnten unsere Feiern die Herausforderung des Todes gar nicht überstehen.
Ungewohnter Tod
Diese Unterschiede zwischen den Liedern von damals und den Liedern von heute spiegeln den gewaltigen Bruch in unserer Kultur wider. Die alten Lieder wurden geschrieben, ohne den Tod auszublenden. Damals nahm man sich noch nicht heraus, das Thema des Todes zu unterschlagen.
In Amerika starben Ende des 18. Jahrhunderts vier von fünf Menschen vor dem 70. Lebensjahr. Die damalige durchschnittliche Lebenserwartung lag bei Ende 30 Jahren. Heute beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung fast 80 Jahre. Seinerzeit starben die meisten Menschen dort, wo sie lebten: in ihren Häusern, umgeben von ihren Familien, Freunden und Nachbarn. 1980 waren lediglich noch 17 Prozent der Todesfälle zu Hause (obwohl diese Zahl dank der Hospizbetreuung wieder etwas zugenommen hat). Die Erfahrung des Todes hat sich von einem vertrauten Ereignis an einem vertrauten Ort zu einem störenden Ereignis entwickelt, das in einer sterilen, professionalisierten Institution erfolgt, die die meisten Menschen nur selten besuchen.
Aber es ist nicht nur so, dass die Erfahrung des Todes weniger vertraut ist. Auch das Thema Tod ist zu einem Tabu geworden und wird aus höflichen Konversationen konsequent verbannt. Der Historiker Philippe Aries nennt diese Verschiebung eine „brutale Revolution“: Der Tod, „der in der Vergangenheit allgegenwärtig war, den man so gut kannte, soll vergessen gemacht werden, soll verschwinden. Er ist beschämend geworden und wurde verboten.“
Warum unterdrücken wir jegliches Sprechen über den Tod? Aries argumentiert, dieses Tabu kommt daher, weil wir denken, wir hätten eine Art moralische Verpflichtung fröhlich zu sein. Wir tun so, als hätten wir eine „soziale Verpflichtung zur kollektiven Fröhlichkeit beizutragen, indem wir jede Ursache für Traurigkeit oder Langeweile vermeiden, also indem wir immer glücklich zu sein scheinen, selbst wenn wir tief in der Verzweiflung sind.“
Wenn Fröhlichkeit eine moralische Pflicht ist, dann ist Kummer ein moralisches Versagen. „Indem man das geringste Anzeichen von Traurigkeit zeigt, sündigt man gegen diese Fröhlichkeit, bedroht sie und die Gesellschaft riskiert dann, ihre Daseinsberechtigung zu verlieren“, schreibt Aries.
Wenn Aries in Bezug auf diese Verpflichtung zum Glücklichsein Recht hat, macht es Sinn, warum wir seltener als früher an Weihnachten über den Tod sprechen. Es scheint geschmacklos oder unsozial zu sein, über den Tod zu sprechen, geschweige denn echte Trauer über die Auswirkungen des Todes zu haben. Es wirkt wie eine Zumutung für diejenigen, die einfach nur Spaß haben wollen.
Im Schatten des Todes leben
Aber obwohl wir uns bemühen, das Thema des Todes zu vermeiden, erlebt jeder von uns jeden Tag den Schatten des Todes. Der Schatten des Todes zeigt sich in unseren Unsicherheiten, wer wir sind und warum wir wichtig sind. Er zeigt sich in unserer Unzufriedenheit über die Dinge, von denen wir meinen, dass sie uns glücklich machen sollten. Und er zeigt sich in unserem Schmerz über den Verlust jeder guten Sache, die nicht lange genug anhält.
Aber anstatt ehrlich über diese Auswirkungen des Todes auf das Leben zu sprechen, nehmen wir sie unter Beschuss und verstecken sie mit allem, was wir aufbringen können, einschließlich Weihnachten und allem, zu dem es in unserer Kultur geworden ist. Und doch: All unser Kaufen und Backen, Feiern und Beschenken, unsere Erinnerungen an vergangene Jahre und die Hoffnung auf die perfekten Feiertage in diesem Jahr – alle diese Dinge, die an sich ja gut gemeint sind, sind als Bollwerk gegen den Tod nutzlos.
Man könnte sich Weihnachten als eine einmonatige Flut von Selbstmedikationen vorstellen, die auf gespenstische Weise dem ähnelt, was Salomo in Prediger 2 schreibt: Ich dachte in meinem Herzen: Auf, ich will es mit der Freude versuchen und das Gute genießen! … Und ich versagte meinen Augen nichts von allem, was sie begehrten; ich hielt mein Herz von keiner Freude zurück (Pred. 2,1.10). Dieser Mann baute und kaufte. Er aß und trank. Er schwärmte in Unterhaltung und fröhlicher Gesellschaft. Aber am Ende, angesichts des Todes, erkannte er, was auch wir immer finden werden: Siehe, da war alles nichtig und ein Haschen nach Wind, und nichts Bleibendes unter der Sonne! (Pred. 2,11).
Es sollte für uns keine Überraschung sein, dass man häufig im Blick auf die Tage, die den Feiertagen folgen, als von den trübsinnigen Tagen spricht. Im Laden gekaufte Fröhlichkeit wird der Wahrheit über das Leben im Schatten des Todes niemals standhalten. Keine geschenkten oder bekommenen Geschenke werden die Unsicherheiten überwinden, die der Tod unserer Identität bringt. Keine Weihnachtsferien werden die Frustration und Sinnlosigkeit erleichtern, die der Tod unserer Arbeit bringt. Kein sentimentales Lied wird den Schmerz der Trennungen lindern, die der Tod unseren Beziehungen bringt. Am Neujahrsmorgen wachen wir alle in Körpern auf, die ein Jahr näher am Grab sind.
Freue dich, dass Christus den Tod besiegt hat
Es gibt aber eine andere Art, diese Saison zu nutzen, und die besten alten Weihnachtslieder weisen den Weg. Wir können die Ehrlichkeit über den Tod nutzen, um unsere Freude an den Versprechen Christi zu nähren. Wir können diese Verheißungen aus den diffusen Wolken einer anderen Welt in die alltäglichen Probleme unserer Welt bringen, also dort, wo sie hingehören.
Als die alten Lieder den Tod mit Weihnachten verknüpften, hatten sie gutes Quellenmaterial. Jesaja 9 gibt uns eine der deutlichsten Vorhersagen auf das Kommen Christi: Das Volk, das in der Finsternis wandelt, hat ein großes Licht gesehen; über den Bewohnern des Landes der Todesschatten ist ein Licht aufgeleuchtet (Jes. 9,1).
Das Licht Christi scheint dort am hellsten, wo der Tod seine Schatten wirft. Wir müssen unsere Weihnachtsfeier nicht vor unseren Ängsten, unseren Frustrationen oder unseren Sorgen schützen. Schauen Sie sich also die Wahrheit genau an. Seien Sie ehrlich über Ihre Trauer. Und dann freuen Sie sich. Immanuel, Gott mit uns, ist zu uns gekommen. Er wird wiederkommen.