Grußwort des Schriftleiters

Grußwort des Schriftleiters

Am anderen Tag nun, der auf den Rüsttag folgt, versammelten sich die obersten Priester und die Pharisäer bei Pilatus und sprachen: „Herr, wir erinnern uns, dass dieser Verführer sprach, als er noch lebte: ‚Nach drei Tagen werde ich auferstehen.‘ So befiehl nun, dass das Grab sicher bewacht wird bis zum dritten Tag, damit nicht etwa seine Jünger in der Nacht kommen, ihn stehlen und zum Volk sagen: ‚Er ist aus den Toten auferstanden!‘, und der letzte Betrug schlimmer wird als der erste.“

Matthäus 27,62-64

Es ist Sabbat. Am Tag zuvor war Jesus grausam und zu Unrecht gekreuzigt worden. Nach seinem Tod hatten seine Freunde ihn vom Kreuz genommen und ihn in ein Felsengrab gelegt. Vor das Grab hatten sie einen großen Stein gerollt.

Die jüdischen Anführer sind zufrieden. Endlich war der Störenfried mundtot gemacht worden. Sie haben gewonnen, das denken sie zumindest.

Trotzdem ist da noch diese eine Sorge: Könnte es nicht sein, dass die Freunde, die Jünger, den Leichnam Jesu stehlen und dann behaupten, er sei auferstanden? Irgendwer muss also das Grab bewachen, damit das nicht passiert.

Das Problem ist nur: Die jüdischen Autoritäten haben selbst keine Soldaten. Wie schon bei der Kreuzigung sind sie abhängig von der römischen Besatzungsmacht.

Verbindende Abneigung

Und so gehen sie zu Pilatus. Man muss sich auf der Zunge zergehen lassen, wer hier zusammensitzt. Zum einen treffen sich mindestens zwei Parteien der Juden: einerseits die strenggläubigen Pharisäer, andererseits die liberalen Sadduzäer, die im Hohen Rat das Sagen hatten. Beide Gruppen konnten sich nicht ausstehen. Wenn Jesus eine der beiden Gruppen in Streitgesprächen zum Schweigen gebracht hatte, feierte das die andere Gruppe (Mt 22,34).

Zum anderen sitzt da Pilatus. Der römische Statthalter hat mit beiden Gruppen ein Problem, was auf Gegenseitigkeit beruht. Immerhin ist er der Kopf der römischen Besatzungsmacht, die sowohl die Pharisäer wie auch die Sadduzäer loswerden wollen.

Da sitzen jetzt also drei Gruppen bei Pilatus zusammen – drei Gruppen, die die jeweils anderen beiden verachten. Es gibt nichts, was sie verbindet, nichts – außer einer Sache: ihr Hass gegen Jesus.

Wer ist hier eigentlich kyrios?

Als wäre die Zusammenstellung dieser Menschen nicht schon seltsam genug, beginnt der anschließende Dialog mit einem weiteren Paukenschlag. Die obersten Juden sprechen Pilatus mit Herr an – auf Griechisch kyrios.

Dieses Wort kommt in den Evangelien immer wieder vor. Menschen verwenden es hauptsächlich für Jesus: Kranke, Hilfesuchende, die Jünger, sogar ein römischer Hauptmann (Mt 8,6.8). Jesus verwendet es auch für sich selbst, denn: Jesus ist der Herr, der kyrios. Eigentlich nahmen die römischen Autoritäten diesen Titel für sich in Anspruch, allen voran der Kaiser in Rom.

Interessant ist: Die einzigen, die das Wort nie verwenden, sind die jüdischen Autoritäten. Ja, Pharisäer und Sadduzäer unterhalten sich mit Jesus. Aber sie nennen ihn niemals Herr, nicht ein einziges Mal. Damit würden sie ja seinen Anspruch bestätigen, dass er Gottes Sohn ist. Das ging nicht.

Den einzigen, den Pharisäer und Sadduzäer in den vier Evangelien jemals als Herr ansprechen, ist ironischerweise hier in Vers 63 Pilatus.

Schon die Tatsache, dass sie sich gegen Jesus verbünden, ist eigentlich gegen jede Überzeugung. Den verhassten Pilatus kyrios zu nennen, das sprengt jedoch alles, was man sich nur irgendwie vorstellen konnte. Aber der Hass gegen Jesus ist stärker. Die Herzen sind härter.

Ein kurzzeitiger kyrios und der ewige kyrios

Pilatus ist also für den Moment kyrios, Herr – zumindest in der Wortwahl der obersten Juden. Der wahre kyrios kommt in der Unterhaltung der drei Parteien dann tatsächlich auch vor. Aber nicht als Herr, sondern als Verführer (V. 63) und als Betrüger (V. 64).

Es ist die riesige Ironie: Sie alle hassen Jesus. Und trotzdem – oder gerade deswegen – bestimmt Jesus alles, was sie tun. Sie nennen Pilatus kyrios, was sie ohne Jesus nie getan hätten. Sie verbünden sich mit Leuten, mit denen sie sich ohne Jesus nie verbündet hätten. Und sie betreten am Sabbat das Büro eines Heiden – eigentlich schon an den anderen Tagen der Woche etwas Unvorstellbares. Noch am Tag vorher hatten sie sich geweigert, unreines römisches Territorium zu betreten (vgl. Joh 18,28). Jetzt ist es plötzlich kein Problem mehr – wegen Jesus.

Pilatus fühlt sich vermutlich geschmeichelt: „Sie sind zu mir gekommen. Sie haben mich kyrios genannt.“ Und so gewährt er den Juden ihre Bitte. Er beauftragt einen Stoßtrupp römischer Soldaten, das Felsengrab zu bewachen. Zusätzlich wird es versiegelt: Sicher ist sicher.

Drei Gruppen hatten sich gefunden, drei Gruppen, die sich eigentlich gegenseitig hassten: Pharisäer, Sadduzäer und Römer. Verbunden in ihrem Hass gegen Jesus. Dieser Hass verbindet mehr, als die gegenseitige Abneigung trennt. Er hatte schon während des Prozesses gegen Jesus die Feindschaft zwischen Pilatus und Herodes überwunden (Lk 23,12).

Unwahrscheinliche Freunde heute

Diese Dynamik funktioniert heute noch ganz ähnlich. Für viele Menschen ist es verwirrend, warum gerade linke bzw. grüne Politiker den Islam in Deutschland so fördern und verharmlosen. Sie fordern annähernd unbegrenzte Einwanderung gerade aus muslimischen Ländern, fördern den Moscheebau und feiern den Islam bei jeder günstigen und ungünstigen Gelegenheit. Das passt hinten und vorne nicht zusammen. Der Islam ist Vieles, aber bestimmt nicht links, ökologisch oder feministisch. Das Frauenbild des Islam müsste normalerweise jede linke Politikerin in Rage versetzen. Islamische Länder tun sich nicht gerade im Kampf um die Reduzierung des CO2-Ausstoßes hervor, um es vorsichtig zu sagen. Und der Imam, der in seiner Freitagspredigt gendernd die Abschaffung der Zweigeschlechtlichkeit fordert, muss auch noch erfunden werden.

Wie passt das zusammen? Die Antwort lautet: Eigentlich gar nicht. Doch die eine Ausnahme ist der gemeinsame Hass gegen Christus und das Christentum. Es ist die moderne Version von Pharisäern, Sadduzäern und Pilatus – alle in einem Boot gegen Jesus. Seltsame Allianzen sind es, die sich gegen Jesus bilden – damals wie heute. Sie haben scheinbar ungeheure Energie. Und sie sind vordergründig in der Lage, die Freiheiten für bekennende Christen immer weiter einzuengen.

Die Allianz hält nicht

Was gibt den Christen Hoffnung in einer Welt, die mehr und mehr von diesen beiden gegen Jesus eingestellten Weltanschauungen geprägt wird?

Das Beispiel von Pilatus und den obersten Juden zeigt, dass solche Allianzen nicht von Dauer sind. Einmal abgesehen davon, dass die Grabbewachung zu einer totalen Katastrophe wird (Mt 28,4.11-15), gibt es auch längerfristig keine Zukunft für ein solches Bündnis.

Nur etwa 40 Jahre nach dieser konspirativen Sitzung probten die Juden in Palästina den Aufstand gegen die römische Besatzungsmacht. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. In einem grausamen Krieg unterwarfen die Römer im Jahr 70 n.Chr. die rebellischen Juden und richteten ein unvorstellbares Massaker an. Tausende von Juden wurden grausam getötet, viele von ihnen sogar gekreuzigt. Und der Tempel wurde dem Erdboden gleichgemacht – übrigens: genau wie Jesus angekündigt hatte (Mt 24,1.2).

Die zustimmende Reaktion der Linken auf die Proteste im Iran zeigen, dass auch die heutige Version einer solchen Allianz mehr als brüchig ist. Und auch wenn einen die Doppelzüngigkeit den Kopf schütteln lässt (im Iran sind solche Proteste gut, in Deutschland sind sie fremdenfeindlich), ist es dennoch auch beruhigend zu sehen, wie diese Allianz erste Risse bekommt.

Der wahre kyrios ist stärker

Die Allianz hält nicht. Das ist der eine Hoffnungsschimmer für die Nachfolger Jesu. Aber es gibt noch einen größeren.

Denn die seltsame Allianz kam nur zu Stande, weil die jüdischen Autoritäten befürchteten, dass der Leichnam Jesu gestohlen werden könnte. Was dann allerdings passierte, war für sie noch viel schlimmer, als wenn nur der Leichnam gestohlen worden wäre: Die Erde bebte, das Siegel zerbrach, die Wächter fielen wie tot zu Boden und Jesus stand von den Toten auf. In diesem Moment war klar: Es gibt jemanden, der stärker ist als die mächtigsten Allianzen dieser Welt. Es gibt nur einen kyrios. Und der heißt nicht Pilatus.

Nur einige Wochen später hielt Jesus eine letzte Rede an seine Jünger: Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden (Mt 28,18), sagte er. Das ist unsere große Hoffnung. Der König über alle Könige heißt Jesus. Er ist der wahre kyrios, der jetzt von seinem Thron im Himmel alles und jeden regiert. Und weil das vor seinem zweiten Kommen in dieser Welt oft nicht so aussieht, gibt er uns für die Zeit bis dahin ein Versprechen mit auf den Weg: Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Weltzeit! (Mt 28,20).

Mit dieser Hoffnung grüße ich herzlich alle Leser und wünsche Ihnen viel Segen bei der Lektüre dieser 93. Ausgabe der Bekennenden Kirche!

Ihr

Jochen Klautke