Grußwort des Schriftleiters

Grußwort des Schriftleiters

Denn Christus ist, als wir noch kraftlos waren, zur bestimmten Zeit für Gottlose gestorben. Nun stirbt kaum jemand für einen Gerechten; für einen Wohltäter entschließt sich vielleicht jemand zu sterben. Gott aber beweist seine Liebe zu uns dadurch, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.

Römer 5,6-8

Es ist wieder Passionszeit – die Zeit, in der wir uns als Christen besonders bewusst machen, dass Jesus Christus für uns gestorben und auferstanden ist. Diese Botschaft ist das Zentrum des Evangeliums, der Kern unseres Glaubens. Gott hat uns seine Liebe nicht nur erklärt, er hat sie bewiesen.

Viel zu selbstverständlich

Reformatorische Christen legen Wert darauf, dass das Zentrum des Glaubens nicht nur die Passionszeit, sondern jeden Gottesdienst, ja das ganze Leben prägt. Und doch stehe ich immer wieder vor der Herausforderung, dass mir das Evangelium vom Sterben und Auferstehen Christi viel zu selbstverständlich wird. Man glaubt und predigt, wie wunderbar das alles ist. Aber wenn man ehrlich ist, hat man es auch schon so oft gehört, gesagt, bekannt und erklärt, dass es einen häufig kalt lässt.

Unerwartete Hilfe

Beim Bewältigen dieser Herausforderung kam mir letztens Hilfe von unerwarteter Seite entgegen. Ich stieß auf facebook auf ein „Gebet“ einer Yogalehrerin aus dem April 2020. Angesichts der Entwicklungen rund um die Themen Klima und (damals vor allem) Corona, tat sie „Buße“ bei Mutter Erde für all das, was wir Menschen ihrer Ansicht nach der Erde angetan haben:

Liebe Mutter Erde, ich habe das Gefühl, dass ich dich um Verzeihung bitten muss, […] wir haben dich für viel zu selbstverständlich genommen, denn du Mutter […] kümmerst dich um uns und vorsorgst uns mit allem, was wir zum Leben benötigen. […] Aber nun zeigst du uns, dass es auch irgendwann mal reicht, immer nur zu nehmen, anstatt auch mal zu geben. Du stellst uns gerade vor eine sehr große Aufgabe, die wir nun ohne dich bewältigen müssen, denn du hast dich gerade dazu entschieden, dass auch manchmal die Mutter Kraft tanken und sich um sich selbst kümmern muss. Ich weiß, dass ich noch viel mehr für dich tun kann und werde mich nun noch mehr bemühen, dir gerecht zu werden und dir den Respekt zu erweisen, der dir gebührt.[1]

Ohne Religion geht es nicht

Dieses „Gebet“ zeigt einerseits, dass die gesamte Klimadebatte zur Zeit kein wissenschaftlicher Diskurs auf Grundlage einer (vermeintlich) neutralen Weltanschauung ist. Vielmehr tragen die Entwicklungen rund um Fridays for Future, Extinction Rebellion und die ‚Klimakleber‘ der Letzten Generation ganz klar Züge einer neuen Religion. Diese Analyse kommt mittlerweile nicht mehr nur von konservativer Seite, sondern von so namhaften liberalen Denkern wie dem Philosophen Peter Sloterdijk oder dem ehemaligen ZEIT-Herausgeber Josef Joffe.

Das alles sollte Christen nicht überraschen. Denn der Mensch ist unheilbar religiös, wie es der polnische Philosoph Leszek Kołakowski einmal formulierte. Er ist für die Anbetung geschaffen und er kann nicht anders, als anzubeten. Betet der Mensch nicht den wahren Gott der Bibel an, wird er nicht religionslos, sondern sucht sich andere Götter, die er verehrt. Er kann die Anbetung nicht abschaffen, sondern nur den Adressaten der Anbetung austauschen (Röm 1,21-23).

Gott wird ausgetauscht

In diesem „Gebet“ zeigt sich der Austausch der Götter in den aktuellen gesellschaftlichen Debatten mehr als deutlich: Es gibt eine „Göttin“, zu der man betet und die uns versorgt (Mutter Erde), es gibt „Sünde“ (wir nehmen nur, statt zu geben), es gibt göttliche Reaktion auf die „Sünde“ (die Göttin zieht sich zurück) und es gibt vielleicht einen Weg, die „Sünde“ zu überwinden (das Bemühen des „Sünders“, es besser zu machen und die „Göttin“ angemessen zu verehren).

„Vor diesem Hintergrund muss man die gegenwärtige klimareligiöse Welle als Absage an das Christentum deuten. Von Bismarck stammt das Diktum: ‚Wir Deutschen fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt.‘ Heute scheint es umgekehrt: Man fürchtet zwar Gott nicht mehr, aber dafür so ziemlich alles andere auf der Welt“, schreibt der katholische Publizist Martin Grichting (Neue Zürcher Zeitung vom 30.1.23).

Nicht nur ein falsches Evangelium…

Das Mutter-Erde-Evangelium ist ein falsches Evangelium. Die Erde ist eben keine göttliche Macht, die über uns gestellt ist. Im Gegenteil: Wir Menschen sind von Gott als verantwortliche Verwalter über die gesamte sichtbare Schöpfung und damit auch über die Erde eingesetzt (1Mos 1,26-30).

Daneben wurde mir allerdings vor allem deutlich, wie groß die Gnade Gottes ist – gerade, wenn man sie vor dem Hintergrund (vermeintlicher) Götter und Götzen unserer Zeit sieht. Als ich über das „Gebet“ und das darin enthaltene neue „Evangelium“ nachdachte, wurde mir schlagartig einmal mehr die Schönheit des wahren Evangeliums bewusst. Denn alle anderen Evangelien sind nicht nur falsch, sie sind vor allem trostlos und hoffnungslos.

…sondern auch ein trostloses Evangelium

Während Mutter Erde stumm ist und man nur vermuten kann, was sie von uns möchte („ich habe das Gefühl“), hat unser Vater im Himmel klar gesagt, was das Problem ist und wo die Lösung liegt.

Während sich Mutter Erde in Selbstliebe zurückzieht (muss sich um sich selbst kümmern“), beweist der Sohn Gottes seine Liebe dadurch (Röm 5,8a), dass er sein Leben für böse Menschen wie dich und mich gegeben hat (Röm 5,8b).

Während Mutter Erde den Menschen einfach sich selbst überlässt („eine Aufgabe, die wir ohne dich bewältigen müssen“), ist es Gott, der von Anfang bis zum Ende die Wiederherstellung aller Dinge geplant und ausgeführt hat.

Während Mutter Erde die (kraftlosen) Menschen zwingt, irgendwie durch eigene Anstrengung und Opfer mit ihr ins Reine zu kommen („werde ich mich noch mehr bemühen“), ist Christus für uns das Opfer geworden, als wir noch kraftlose Gottlose waren (Röm 5,6.8b).

Während unser Vater im Himmel mit dem Trost der kommenden, perfekten Welt auf uns wartet, versetzt Mutter Erde die Menschen mit der angeblich drohenden Katastrophe der Klimaapokalypse in Angst und Schrecken. Wie Martin Grichting schreibt: „Man fürchtet zwar Gott nicht mehr, aber dafür so ziemlich alles andere auf der Welt.“ Bereits vor Corona beschrieb der Publizist Norbert Bolz in seinem Buch Avantgarde der Angst die Angst als treibende Kraft der gegenwärtigen Kultur (Berlin [Matthes & Seitz] 2020).

Kurz gesagt: Die Anbetung des wahren Gottes einzutauschen (beispielsweise gegen Mutter Erde), verlangt Opfer ohne Erlösung, ist werkegerecht ohne Gnade und verbreitet Angst ohne Hoffnung.

Vater im Himmel statt Mutter Erde

Mutter Erde will uns nicht retten. Selbst wenn sie wollte, könnte sie es nicht. Und so versinkt unsere Gesellschaft, auf sich selbst geworfen, in Angst und Unsicherheit.

Der Vater im Himmel kann und will uns retten. Aufgrund von Golgatha dürfen auch wir mutig und ohne Angst den Schöpfer des Universums unseren Vater nennen: Denn wir haben nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, dass wir uns wiederum fürchten müssten, sondern wir haben den Geist der Sohnschaft empfangen, in dem wir rufen: Abba, Vater! (Röm 8,15)

Mit dieser Gewissheit wünsche ich Ihnen, dass die Lektüre dieser Ausgabe der Bekennenden Kirche dazu beiträgt, Ihnen (einmal mehr) die Schönheit des wahren Evangeliums vor Augen zu malen – nicht nur, aber gerade in der Passionszeit.

Ihr

Jochen Klautke


[1] Amiena Zylla auf facebook (16.4.2020): https://www.facebook.com/Zylla.Amiena/photos/a.402510269835129/2962956090457188/?type=3 (abgerufen am 20.2.2023).