Im Einklang mit der Ewigkeit – Gemeindemusik, die Gottes Herz erfreut
Die Form des praktizierten christlichen Glaubens ist seit Beginn der Kirchengeschichte in fast allen Bereichen einem ständigen Wandel unterzogen. Beispielsweise hat sich die Liturgie im Laufe der Geschichte immer wieder verändert. In den frühen Tagen der Kirche waren die Gottesdienste sehr einfach und bestanden hauptsächlich aus dem Lesen und Auslegen von biblischen Texten und dem Singen von Hymnen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden die Gottesdienste jedoch immer komplexer und umfangreicher, mit vielen verschiedenen Elementen wie Gebeten, Lesungen, Predigten und Abendmahlsfeiern. Doch vermutlich gibt es keinen Bereich, in dem Veränderungen im Gemeindeleben so erfahrbar und schnelllebig sind, wie im Bereich der Musik. Eine Folge davon ist, dass das Thema der Musik Gegenstand zahlloser Kontroversen und sogar Spaltungen ist. Theologen wie Musiker, Gemeindeleiter und Mitglieder vertreten nicht selten sehr gegenläufige Meinungen. Diese Unterschiedlichkeit in Meinungen ist nicht immer ein Resultat von verschiedener Auslegung und Theologie, sondern basieren auch oft zu einem gewissen Grad auf persönlichem Geschmack und Traditionen. In diesem Artikel möchte ich mich heute vorwiegend auf allgemeine biblische Prinzipien fokussieren.
Mit dem Titel des Artikels wollen wir uns aber nicht die Frage stellen, welche Musikrichtung die „richtige“ ist oder welche Liedschreiber, Instrumente oder Besetzungen die „richtigen“ sind, sondern wir schauen darauf, was Gott in seinem Wort darüber offenbart hat, welchem Zweck Musik und Gesang dienen soll und wie Musik ihn ehrt und erfreut. Zunächst werde ich die Frage beantworten, was Anbetung ist. Im zweiten Punkt werde ich auf die Rolle der Musik eingehen. Im dritten Punkt wird es um die Frage der richtigen Liedauswahl gehen, bevor ich den Artikel mit einigen Prinzipien für die Wahl der Instrumente abschließe.
1. Anbetung – Was ist Anbetung und was hat sie mit Musik zu tun?
In ihrem Buch Reformation Worship fassen Jonathan Gibson und Mark Earngey die Vorstellung der Reformatoren von Anbetung folgendermaßen zusammen:
„Anbetung ist die rechtmäßige, angebrachte und freudige Antwort moralischer Wesen – Engel und Menschen – auf Gott, den Schöpfer, Erlöser und Vollender. Dabei wird Gott gepriesen dafür, wer er ist, als ein ewiger Gott in drei Personen – Vater, Sohn und Heiliger Geist – und dafür, was er getan hat in der Schöpfung, wie in der Erlösung, und dafür, was er tun wird in der kommenden Vollendung – der Gott, dem aller Lobpreis und alle Ehre gehört, jetzt und für immer, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“[1]
Zusammengefasst: Anbetung ist angemessen. Anbetung ist freudig. Anbetung ist moralisch. Anbetung gebührt Gott. Seine Person, sein Wesen und sein Handeln in Schöpfung, Erlösung und Vollendung bilden den Gegenstand der Anbetung.
Anbetung ist etwas, was in alle Ewigkeit von Bedeutung sein wird. Anbetung war aber auch schon immer von Bedeutung, seit es die Schöpfung gibt. Im Garten Eden wurde angebetet. Gott hat sich die Patriarchen, Abraham, Isaak und Jakob sowie deren Nachkommen, das Volk Israel, erwählt. Diese hat er aus der Sklaverei in Ägypten befreit, damit sie ihn in der Wüste anbeten. Die öffentliche, von Gott bestimmte Anbetung durch Israel nahm am Sinai ihren Anfang und wurde in der Stiftshütte und später im Tempel fortgeführt. Anbetung ist seit dem Sündenfall aber auch etwas, das in Unvollkommenheit getan wird. Der Mensch ist auf dieser Erde nicht fähig, Gott so anzubeten, wie es diesem gebührt. Doch erst in der Ewigkeit wird diese Anbetung vollkommen sein, wenn wir Gott in seiner vollen Herrlichkeit sehen und gar nicht anders können, als ihn für immer anzubeten.
Wie äußert sich die Anbetung?
Es geht darum, Gott durch Taten, Denken, Reden, herrlich aussehen zu lassen – ihn in seiner Schönheit zu sehen, über ihn zu staunen und dieses Staunen zum Ausdruck zu bringen. Die unmittelbarste (wenn auch nicht die wichtigste) Form ist, dieses Staunen und dieses Lob auszusprechen bzw. zu singen. David erklärt: Aus dem Mund von Kindern und Säuglingen hast du ein Lob bereitet (Ps 8,3). Anbetung findet also unter anderem darin ihren Ausdruck, dass Münder Worte oder Gesänge von sich geben, die von anderen gehört werden. In gewissem Sinne ist das Singen über Christus auch eine Ausübung des Missionsbefehls. Menschen, die an einem Gottesdienst teilnehmen, können Gott durch den Gesang der Gläubigen ein Stück weit kennenlernen. Wie elementar ist es also, dass die Lieder, die wir im Gottesdienst singen, den Charakter und den Willen Gottes korrekt abbilden und keine Aussagen über Gott treffen, die nur den subjektiven Erfahrungen oder Gefühlen eines Menschen entstammen!
Für andere wahrnehmbar
Vom ersten Tempel Eden an bis zu dem neutestamentlichen Tempel, der Gemeinde, und jedem Einzelnen darin, ist Anbetung eines der Hauptziele des Gottesdienstes. Jeder Bestandteil soll dazu beitragen, dass Gott als herrlich dargestellt wird und dass er für alle Anwesenden verkündigt wird. In Psalm 22 erklärt David, dass der Lobpreis Gottes einen gemeinschaftlichen Sinn hat: Von dir soll mein Loblied handeln in der großen Gemeinde; ich will meine Gelübde erfüllen vor denen, die ihn fürchten! (Psalm 22,26; Hervorhebung durch den Autor). Lob und Anbetung sollen also wahrnehmbar sein. Und so sollen es auch die Emotionen sein, die durch die Anbetung Gottes im Anbeter ausgelöst werden. Den Kern der Anbetung beziehungsweise die innere Haltung des Anbeters fasst John Piper wie folgt zusammen: „Wahre Anbetung bedeutet, Gott höher zu schätzen als alles andere.“ Und es ist Gottes Wille, dass dieser Herzenshaltung Ausdruck verliehen wird und sie von anderen Menschen wahrgenommen wird.
Anbetung ist also nicht gleichzusetzen mit Musik. Der gemeinsame Gesang in einem Gottesdienst ist nicht die „Anbetungszeit“ oder der „Worship“, wie es leider häufig dargestellt wird. Doch Musik ist wahrnehmbar, hörbar, emotional erfahrbar und ästhetisch und somit ein wunderbares Ausdrucksmittel für Anbetung und Lobpreis.
2. Musik und Gesang – Was hat Gott sich dabei gedacht?
Die Söhne Korahs schrieben einst, getrieben vom Heiligen Geist: Lobsingt Gott, lobsingt! Lobsingt unserem König, lobsingt! Denn Gott ist König der ganzen Erde; lobsingt mit Einsicht! (Ps 47,7.8)
In diesen zwei Sätzen steht fünfmal der Imperativ „singt!“. Musik und Gesang sind für Gott ein wichtiges Thema. Er fordert sein Volk an vielen Stellen auf, zu singen und zu spielen. Er hat mit den Psalmen ein ganzes Gesangbuch aufschreiben lassen. Es gibt in der Bibel mehrere hundert Hinweise auf Musik und Gesang. Wir sollen in unseren Gottesdiensten nicht nur predigen (oder auf Predigten hören), beten, Sünden bekennen, sondern eben auch singen. Gott, der selbst voller Freude über sein Volk singt (Zeph 3,17), fordert sein Volk auf, ihm voller Freude zu singen. Doch warum? Was ist Gottes Ziel von Musik und Gesang? Rudolf Tissen fasst die Antwort auf diese Frage in vier Punkten zusammen:
- Gott verherrlichen
- Das Denken der Kinder Gottes mit dem Wort Gottes füllen
- Die Emotionen der Kinder Gottes mit den Wahrheiten der Bibel verbinden
- Die Einheit der Kinder Gottes zu demonstrieren und zu stärken.[2]
Das erstgenannte Ziel, Gott zu verherrlichen, haben wir uns bereits im ersten Punkt dieses Artikels angesehen, weshalb ich gleich zu dem zweiten übergehe. Musik und Gesang ist auch dazu geschaffen, das Denken der Kinder Gottes mit seinem Wort zu füllen. Im Kolosserbrief lesen wir: Lasst das Wort des Christus reichlich in euch wohnen in aller Weisheit; lehrt und ermahnt einander und singt mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern dem Herrn lieblich in eurem Herzen (Kol 3,16).
Das Denken prägen
Musik hat die Eigenschaft, Worte besser in unserem Denken zu verankern. Das ist bei Kinderliedern sehr deutlich zu beobachten. Wenn Worte oder Sätze mit Melodien, am besten noch mit Reimen, gepaart werden, bleiben sie im Gedächtnis haften. Mose gebietet dem Volk Israel, dass sie Gottes Wort auf dem Herzen tragen, ihren Kindern einschärfen und kontinuierlich darüber nachsinnen sollen (5Mos 6,6.7). Das Gesangbuch der Bibel, die Psalmen, beginnen damit, den Menschen glücklich zu preisen, der über Gottes Worte viel nachdenkt und vergleicht ihn mit einem fruchtbaren, am Wasser gepflanzten Baum (Ps 1). Da Gott unsere Unzulänglichkeit als gefallene Geschöpfe kennt, bei denen auch der Verstand durch die Sünde in Mitleidenschaft gezogen wurde, gibt er uns in seiner Gnade das Geschenk der Musik als eine Hilfe für uns, seine Worte besser in unserem Denken zu verankern. Und so erklärt Paulus, dass ein Weg, wie wir die Worte Christi reichlich in unserem Herzen wohnen lassen können, der gemeinsame Gesang ist. Wir sollen uns durch die verschiedenen Arten von Liedern, die Gott durch viele Musiker hat aufschreiben lassen, gegenseitig belehren.
Lieder haben also einen Lehrauftrag. Lieder formen unser Verständnis über Gottes Wesen und seine Werke. Eine der Gattungen in den Psalmen ist der Maskil (z.B. Psalm 32: Von David. Ein Maskil …). Dieses Wort leitet sich vom hebräischen Stamm „Sechel“ (= Verstand) ab. Manche übersetzen es mit „Lehrgedicht“. Daraus wird deutlich, dass das Singen nach Gottes Willen nicht nur eine Sache des Fühlens ist (worauf in mancherlei christlichen Strömungen der Gemeindegesang scheinbar reduziert wird), sondern auch eine Sache des Nachdenkens. Psalm 47 fordert uns dazu auf, „mit Einsicht“ zu singen. Hierin liegt auch eine wichtige Lektion für Liedschreiber, aber auch für Gemeindeleiter und -musiker, die die Lieder für eine Gemeinde auswählen. Ein Theologe sagte einmal: „Zeig mir die Lieder einer Gemeinde und ich zeig dir ihre Theologie.“
Gefühle prägen
Doch was das Singen vom Predigen bzw. vom Hören auf eine Predigt unterscheidet, ist eben das Fühlen. Dieses sollte demnach auch nicht außer Acht gelassen werden. Somit ist das dritte Ziel, die Emotionen der Singenden mit den Wahrheiten der Bibel zu verbinden. Musik ist emotional. Musik ruft Gefühle, innere Regungen und Empfindungen hervor. Dabei spielen Emotionen wie Trauer, Freude, Angst, Spannung, Ruhe, Wut, Gelassenheit, Aggression, Stress, Langeweile, Zufriedenheit, Gemütlichkeit, Schläfrigkeit, Begeisterung, Inspiration und Überraschung eine Rolle. Das hauptsächliche Alleinstellungs-merkmal von Musik ist die Emotionswelt, die dabei angesprochen wird. Die schöpferische Weisheit Gottes lässt sich daran erkennen, wie facettenreich er sich die Musik erdacht hat, sodass sie so viele verschiedene Stimmungen auslösen kann. In den Psalmen finden wir sogar immer wieder musikalische Hinweise. Es wird eingangs erklärt, wie gewisse Lieder zu begleiten sind und welche Melodien dabei zu verwenden sind. Der offenkundige Grund dafür ist, dass sich die Liedschreiber und Musiker Gedanken gemacht haben, welche Emotionen das Lied hervorrufen soll, wenn bestimmte Wahrheiten gesungen werden.
Wir können und sollen musikalische Parameter also so nutzen, dass sie die Aussage des Liedes emotional passend unterstreichen. In Liedern soll die Freude über Gottes Rettung, Christi Auferstehung oder den Himmel hörbar werden. Ebenso soll auch Trauer und Schwermut zum Ausdruck gebracht werden, wenn es um Sünde und Buße geht. Ein Gefühl der Bedächtigkeit kann das Thema Heiligung unterstreichen, Energie und Marschgefühl die Entschlossenheit in der Nachfolge, Anspannung die quälenden Sorgen und Entspannung den göttlichen Trost.
Gefühle – richtig eingeordnet
Die geistlichen Wahrheiten, über die wir in Liedern singen, dürfen und sollen uns also nahegehen. Wir sollten keine Angst vor Emotionen haben. Natürlich können wir dabei auch zu weit gehen und Emotionen zum Götzen werden lassen. Emotionen gehören dazu, sind aber nicht der Mittelpunkt. Wir wollen, dass Menschen sich an Christus erfreuen, mehr als an der Musik selbst. Emotionen sollen mit den Wahrheiten der Bibel verbunden werden und nicht allein im Raum stehen. Bob Kauflin drückt es sehr prägnant aus: „Musik ist großartig, Jesus ist großartiger!“ John Piper erklärt etwas ausführlicher: „Wahrheit ohne Emotionen produziert eine tote Orthodoxie und eine Gemeinde voller künstlicher Verehrer Gottes. Emotionen ohne Wahrheit jedoch produzieren einen leeren Rausch und oberflächliche Menschen, die die Disziplin des gründlichen Nachdenkens ablehnen. Doch wahre Anbetung kommt von Menschen, die zutiefst emotional sind und die tiefe und gesunde Lehre lieben. Starke Gefühle für Gott, gewurzelt in Wahrheit, sind das Herzstück biblischer Anbetung.“ Es gibt nichts Größeres und Begeisternderes als Gott selbst. Darum ist er auch unsere höchsten Gefühle wert.
Zudem sei gesagt, dass Gefühle nicht der Grund unseres Singens sein sollten. Unsere Gefühlswelt ist wetterwendisch und wir sollten uns beim Singen nicht davon leiten lassen, ob wir etwas fühlen oder nicht. Wenn die Bibel uns dazu aufruft, den Herrn zu preisen, geht es darum, wer Gott ist und nicht, wie wir uns fühlen. Sie ruft uns dazu auf, die Wahrheit um der Wahrheit willen zu verkündigen und nicht, weil wir sie als wahr empfinden. Das Singen aus dem Herzen erfordert immer ein gewisses Maß an Selbstwahrnehmung und manchmal auch Buße. Aber wir sind alle berufen, Gott unsere Anbetung zu geben, egal was unsere Gefühle uns sagen.
Ein Ausdruck der Einheit
Das vierte und letzte Ziel des Gemeindegesangs ist, die Einheit der Kinder Gottes zu demonstrieren und zu stärken. Das liegt schon in der Musik selbst begründet. Lieder gemeinsam zu singen, sorgt für ein Einheitsgefühl. Das sehen wir in der Armee, bei der Fußball-Weltmeisterschaft und auch in der Gemeinde. Unsere Einheit gründet sich jedoch nicht in einem Gefühl, sondern in Gott und in unserem gemeinsamen Ziel, ihn zu verherrlichen.
Das bedeutet, dass wir Lieder singen sollten, die uns vereinen und nicht trennen. In Gemeinden, in denen alle Altersgruppen vertreten sind und somit oft sehr unterschiedliche Präferenzen vorherrschen, ist es manchmal gar nicht so leicht, dieses Ziel zu erreichen. Jedoch lässt sich anhand des Singens einer Gemeinde gut feststellen, was für eine Einheit die Geschwister untereinander haben. Das ist ein wichtiger Punkt, denn die Welt soll in der Gemeinde eine Einheit und Liebe erkennen, die nur durch Christus möglich ist. Wie schade wäre es, wenn der Gemeindegesang eine ganz andere Sprache spricht.
Das Beste geben
Ich möchte diesen Punkt abschließen mit einem letzten Plädoyer dafür, dass wir in unserem Gemeindegesang nach Exzellenz streben sollen. Wir sollen auch deshalb singen, weil Gott selbst singt. In Zephanja 3,17 sagt Gott uns, dass er über sein Volk singt und jubelt. Gott ist kreativ und kunstschaffend. Er hat Gefallen an Ästhetik und Kunst, deshalb sollen wir die Kreativität unseres Schöpfers darin widerspiegeln, dass wir schöne Musik für ihn machen. Psalm 33,3 sagt uns: Singt ihm ein neues Lied, spielt gut mit Posaunenschall! Der Vers erklärt unter anderem, dass wir die Musik möglichst schön gestalten sollen und dass wir unser Bestes geben sollen. Englische Übersetzungen verwenden das Wort „skillfully“, was so viel bedeutet wie „kunstfertig“. Das impliziert, dass bei der Gemeindemusik unsere Fähigkeiten eine Rolle spielen. Es soll keine Lagerfeuermusik sein, kein schräges „Happy Birthday“ und kein Grölen wie bei einem Fußballspiel. Nein, wir haben es mit Gott selbst zu tun, der die höchste Anbetung verdient und es sich deswegen gebührt, dass wir unser Bestes geben. Dazu gehören Proben und das Üben auf Instrumenten.
3. Das Liedgut – Welche Prinzipien liegen einer guten Liedauswahl zugrunde?
In meinem dritten Punkt möchte ich nun etwas praktischer und konkreter werden und mich dem oft umkämpften Thema der Liedauswahl zuwenden. Zunächst gilt es, einige falsche Kriterien loszuwerden, die sich schnell in Gemeinden einschleichen können.
Falsche Kriterien
Eines davon ist die persönliche Präferenz. Ich erinnere mich, dass ich am Anfang meines Dienstes als Gemeindemusiker oft Lieder für den Gottesdienst ausgesucht habe, die mir musikalisch am besten gefielen. Das war naheliegend, aber kein gutes Kriterium. Ein weiteres falsches Kriterium ist das der Tradition: „Wir haben dieses Lied schon immer gesungen.“ Das ist – für sich genommen – kein Grund dafür, es auch weiterhin zu singen. Auch Trägheit kann zu einem Kriterium werden. Vielleicht habe ich einfach keine Lust, neue Lieder zu lernen oder den Aufwand des Übens zu betreiben, um ein gewisses Lied zu spielen. Beliebtheit kann zu einem Kriterium werden. Wir suchen ein bestimmtes Lied aus, weil viele Leute in der Gemeinde es so sehr mögen. Vielleicht bekommen wir nachher Lob dafür. So kann ich durch den Gemeindegesang meine Ehre anstatt Gottes Ehre suchen. Manche neigen dazu, Lieder eines bestimmten Liedschreibers auszusuchen, den sie glorifizieren. Andere suchen die Lieder aus, bei denen sie am besten ihre musikalischen Fähigkeiten zeigen können Ich kann Lieder auch als Lückenfüller einsetzen, anstatt mir Gedanken darüber zu machen, warum ich welches Lied an welcher Stelle im Gottesdienst platziere. Diese und weitere falsche Kriterien können leicht zur Grundlage unserer Liedauswahl werden und das sogar unbewusst. Deswegen ist auch hier ein gründliches Nachdenken gefragt.
Inhaltliche Kriterien
Das wichtigste und offenkundigste Kriterium ist der Inhalt. Die Aussagen des Liedes müssen sich mit den Wahrheiten von Gottes Wort decken. Dabei ist es auch wichtig, sich die Frage zu stellen, worauf die Betonung in einem Lied gelegt wird: Gott oder die menschliche Erfahrung? Ist der Text klar und verständlich? Gerade ältere Glaubenslieder enthalten oft eine alte, symbolhafte Bildsprache, die von einem Großteil der Gemeinde gar nicht verstanden wird. Dies erbaut die Gemeinde nicht, sondern ruft höchstens bei einigen ein Gefühl der Nostalgie hervor. Ein weiteres Kriterium ist die Passung innerhalb der Liturgie. Manche Lieder eignen sich speziell für den Anfang eines Gottesdienstes, manche bereiten uns auf die Predigt vor, manche knüpfen an das Predigtthema an und helfen der Gemeinde, auf die Predigt zu antworten, während manche gut zum Abendmahl passen.
Ist unser Liedgut gut gefüllt mit dem Evangelium? Werden manche biblischen Wahrheiten oder Eigenschaften Gottes ausgelassen oder überbetont? Manchmal ist es erforderlich, sich intensiv mit dem eigenen Liedgut auseinanderzusetzen und Liedtexte auf Herz und Nieren zu prüfen, denn es gibt auch Lieder, die falsche, fragwürdige oder unklare theologische Aussagen treffen. Die Musik und die Lieder haben einen klaren Auftrag und demnach müssen wir darauf achten, diesen Auftrag auch umzusetzen.
Musikalische Kriterien
Unter dem Gesichtspunkt der musikalischen Gestaltung muss man sich unter anderem folgenden Frage stellen: Ist die musikalische Umsetzung mit unserem Musikteam und in unserer Gemeinde machbar oder ist das Lied rhythmisch zu komplex und der tonale Umfang zu groß? Auch hier gilt es, das Ziel der Einheit der Gemeinde im Blick zu behalten. Nicht jeder kann über das zweigestrichene d hinaus singen. Schafft es das Musikteam, den Gemeindegesang gut anzuleiten und eine ästhetische und ansprechende Begleitung zu spielen? Dass wir als Musiker beim Spielen unser Bestes geben sollten, hat auch den Grund, dass durch die Musik kein Gefühl der Langeweile transportiert werden soll. Die Art der Begleitung sollen Spannung und Variation enthalten und die Themen des Liedes emotional passend unterstreichen. Dabei müssen wir beachten, dass die Stimmen der Kinder Gottes das wichtigste Instrument sind. Diese sollen gut getragen werden, sodass es jedem leicht fällt, laut mitzusingen. Sie dürfen aber auch nicht übertönt werden, sodass es keinen hörbaren Unterschied macht, ob man mitsingt oder nicht. Auch kann eine Begleitung, die sehr fehlerhaft oder rhythmisch ungleichmäßig gespielt wird, für Ablenkung sorgen, was umso mehr die Wichtigkeit des Übens und der Vorbereitung unterstreicht. Manche Gemeinden singen auch ohne Instrumente und nur in vierstimmigen Sätzen. Wenn die Gemeinde dazu fähig ist, kann das wunderschön sein. Doch wenn sie es nicht ist, kann es für unangenehme Situationen sorgen, die wiederum vom eigentlichen Ziel des Gesangs ablenken.
4. Instrumente – Welche Besetzung ist die Beste?
Das bringt mich zu meinem letzten Punkt: Besetzung, Musikrichtungen und Instrumente. Wir haben in den christlichen Gemeinden diesbezüglich eine große Bandbreite. Hat Gott uns in seinem Wort bezüglich dieser Thematik klare Weisungen gegeben? Mark Earngrey antwortet auf diese Frage: „Weil Jesus seinen Willen bezüglich Gottesdienstgestaltung nicht bis ins letzte Detail offenbart hat (denn er sah voraus, dass dies alles von den jeweiligen Zeiten abhängen würde, und er hat nicht eine Form als passend für alle Zeitalter erachtet), müssen wir uns auf die allgemeinen Prinzipien stützen.“ Die Bibel spricht sich nicht gegen einzelne Instrumente oder Stile aus. Unsere Aufgabe ist es, uns ehrlich zu fragen, was welchen Nutzen bringt.
Die entscheidende Frage
Wir müssen uns aber bei all den Möglichkeiten immer die einfache Frage stellen: Bringt auch unsere Besetzung uns unserem Ziel näher, die Wahrheit in den Liedern zu verkünden? Unterstützt die Art und Weise, wie wir Musik machen, das Verständnis des Liedinhalts? Wird der Text hervorgehoben? Oder wird durch zu dröhnende Bässe, hochkomplizierte rhythmische Begleitmuster oder Ähnliches die Aufmerksamkeit vom Text auf die Musik verlagert, sodass das Ziel verfehlt wird?
Mögen die Lieder, die wir in Gottesdiensten aussuchen, singen und spielen, möge die Art der Begleitung und des Gemeindegesangs und die Lieder, die wir noch schreiben werden, ein Lobpreis des kunstschaffenden und wunderbaren Gottes sein und seine Wahrheit sich dadurch tief in unsere Herzen eingraben.
Benjamin Depner ist musikalischer Leiter in der Bekennenden Evangelisch-Reformierten Gemeinde in Tübingen und Musiklehrer an der Freien Evangelischen Schule Reutlingen. Außerdem arbeitet er für das Gemeindemusik-Netzwerk Emu Musik.
[1] Gibson, J. & Earngey, M. (Hg): Reformation worship: Liturgies from the past for the present. Greensboro NC [New Growth Press] 2018, S. 2.
[2] Tissen, Rudolf: Vom Notenblatt zum Gottesdienst [Vortrag auf der E21-Regionalkonferenz Süd 2016] abgerufen am 21.2.2024 unter: https://www.evangelium21.net/media/551/vom-notenblatt-zum-gottesdienst.