Was für eine Begebenheit! Kein Autor hätte sie besser schreiben können. Es ist eine Geschichte, die das Leben schrieb. Paulus befand sich auf seiner letzten Reise nach Jerusalem. Er machte einen Zwischenhalt in Milet, um dort die Ältesten aus Ephesus zu treffen.
Er hätte auch in Ephesus Halt machen können. Doch er wusste: Das wäre riskant. Die Gemeinde in Ephesus lag ihm so am Herzen, dass er möglicherweise dann dort länger geblieben wäre. Vielleicht hätte er sich mehrere Monate in Ephesus aufgehalten. Deshalb entschied er sich, an Ephesus vorbei zu segeln und in Milet an Land zu gehen. Nun liebte er aber die Gemeinde. Es war ihm unmöglich, sie zu vergessen. Also wollte er die Ältesten der Gemeinde von Ephesus treffen, und er beschied sie, nach Milet zu kommen.
Wir lesen davon in Apostelgeschichte 20,15–17. Kurz danach wird uns von Emotionen, Tränen und einem dramatischen Abschied berichtet (Apg. 20,36–38). Im Anschluss daran reist der Apostel weiter, ins Ungewisse. Er weiß nicht, was ihn in Jerusalem erwartet. Er weiß nur: Er wird gefangen genommen werden.
Nicht jedes Detail des Abschiednehmens ist uns überliefert. Aber aus dem, was uns berichtet wird, ist eines deutlich: Der Abschied war für alle sehr bewegend: Ein letztes Mal sah Paulus diejenigen, mit denen er dreieinhalb Jahre zusammen Gott gedient hatte. Paulus und die Ältesten hatten mehrere Jahre Schulter an Schulter im Reich Gottes gearbeitet. In seiner letzten Rede an die Ältesten erinnerte der Apostel an die gemeinsamen Jahre, namentlich an seine Unterweisungen. In ihnen hatte er dargelegt, was ein Ältester in der Gemeinde Gottes zu tun hat (Apg. 20,18–35).
Bei der Verabschiedung fiel Paulus auf seine Knie, und er betete zusammen mit den Ältesten von Ephesus zu Gott. Danach konnte niemand mehr seine Tränen zurückhalten. Sie wussten: Sie werden ihren geliebten Bruder, den Apostel Paulus, nicht mehr wiedersehen. Es war ihre letzte Zusammenkunft (Apg. 20,36–38).
In seiner langen Rede an die Ältesten überliefert uns Lukas als abschließende Ermahnung des Paulus einen Satz. Er steht in Apostelgeschichte 20,28. Der Apostel bringt noch einmal auf den Punkt, wer ein Ältester ist und was seinen Dienst ausmacht: So habt nun acht auf euch selbst und auf die ganze Herde, in der der Heilige Geist euch zu Aufsehern gesetzt hat, um die Gemeinde Gottes zu hüten, die er durch sein eigenes Blut erworben hat!
Dem Apostel geht es um drei Punkte: Erstens geht es ihm darum, noch einmal die zentrale Aufgabe von Ältesten zu verdeutlichen. Zweitens hebt Paulus hervor, dass die Arbeit in der Gemeinde Werk des dreieinigen Gottes ist. Drittens erinnert Paulus daran, warum es die Gemeinde Gottes überhaupt gibt: wegen Christus und seines Werkes. Um ihn geht es immer, auch dann, wenn das vordergründige Thema die Gemeinde ist.
1. Die Aufgabe
Die Aufgabe eines Ältesten ist kurz umrissen: Habt acht auf euch selbst und auf Gottes Herde. Damit ist der Auftrag für einen Ältesten in der Gemeinde auf den Punkt gebracht. Ein Ältester ist ein Mann, der auf sich selbst aufpasst und auf die Gemeinde Jesu Christi. Es geht um zweierlei, um die Lebensführung des Ältesten und dann um die Gemeinde als Herde Gottes.
„Habt acht auf euch selbst!“
Es ist unverzichtbar, dass ein Ältester auf sich selbst achtgibt, auf sein eigenes Leben und auch auf seine eigene Lehre. An anderer Stelle schreibt der Apostel über den Ältesten, dass er einer ist, der sich an das zuverlässige Wort hält, wie es der Lehre entspricht (Tit. 1,9). Mit anderen Worten: Ein Ältester muss vor allem anderen darauf achten, dass das, was er verkündet, dem Wort Gottes entspricht und dass er danach trachtet, sein Leben entsprechend zu führen.
Wenn Paulus die Anweisung gibt, dass die Ältesten auf die ganze Herde Gottes aufpassen sollen, dann nicht zuletzt deswegen, weil er weiß, dass aus eurer eigenen Mitte Männer aufstehen werden, die verkehrte Dinge reden, um die Jünger abzuziehen in ihre Gefolgschaft (Apg. 20,30). Die Gemeinde Gottes existiert in dieser Welt als eine bedrohte, gefährdete Schar. Falsche Lehrer können in die Gemeinde einbrechen. Es wäre sogar noch katastrophaler, wenn einer dieser falschen Lehrer zu den Ältesten der Gemeinde gehören würde.
Darum die Aufforderung, auf sich selbst achtzugeben. Zunächst geht es also nicht darum, andere zu beäugen oder abzuklopfen, ob sie den neutestamentlichen Kriterien entsprechen, sondern jeder Älteste möge vordringlich sich selbst prüfen: Glaubst du, Ältester, wirklich das, was das Wort Gottes sagt? Leben du und deine Familie wirklich nach den Geboten Gottes? Bist du von dem Ziel bestimmt, ein heiliges Leben vor Gott zu führen?
„Habt acht auf Gottes Herde!“
Während ein Ältester zuvörderst auf sich selbst zu achten hat, ist er dann auch aufgerufen, die Herde Gottes zu weiden. Ihm ist aufgetragen, auf die Schafe Gottes aufzupassen, denn ihnen soll es gut gehen. Das heißt nichts anderes, als dass er vor allem anderen die Gemeinde Gottes mit dem Wort Gottes zu versorgen hat. Er muss ihnen die Heilige Schrift auslegen, den Inhalt des Evangeliums erklären und sie dazu anleiten, entsprechend zu leben.
Das ist der Sinn der Anweisung, die Gemeinde Gottes zu hüten. Es mag im ersten Augenblick den Anschein haben, dass das recht theoretisch und abstrakt klingt, vielleicht sogar etwas spröde, auf jeden Fall nicht warm genug oder seelsorgerlich. Aber das Wort Gottes ist die Grundlage für das Leben eines Christen und auch die Grundlage für die Gemeinde. Darum ist das gehorsame Predigen und Hören auf das Wort Gottes lebenswichtig.
Nehmen wir an, Sie kommen zu einem Ältesten der Gemeinde mit einer Frage. Sie wissen nicht, ob Sie errettet sind. Sie haben Schwierigkeiten mit der Heilsgewissheit. Was erhoffen Sie sich dann für eine Antwort? Wollen Sie hören: Alles gut!? Mach Dir keine Sorgen!? Es wird schon wieder werden!? Oder wollen Sie eine Antwort aus der Heiligen Schrift? Wollen Sie die herrlichen Zusagen des Wortes Gottes hören, sodass Sie daraus die Gewissheit empfangen, dass Gott demjenigen Heil und Erlösung zusagt, der von seiner eigenen Verzweiflung wegblickt und sich an die Verheißungen des Evangeliums im Glauben klammert? Sie genau auf das Evangelium und dessen Zusagen zu weisen, ist die unbedingte Aufgabe eines Ältesten.
Im vergangenen Jahr erhielt ich einen Brief aus einem Krankenhaus. Eine Frau aus Schottland hatte sich bei einem Sturz einen sehr komplizierten Bruch zugezogen und war eingeliefert worden. Sie bat um Seelsorge. Als ich sie besuchte, brachte ich ihr eine Bibel mit. Ihr Mann bedankte sich dafür mehrmals. Später, als sie selbst wieder in Schottland war, schrieb sie mir, indem sie sich erneut für die Bibel bedankte. Das, was uns tröstet, ist das Wort Gottes. Wir benötigen Hirten, die uns trösten, nicht mit irgendwelchen Plattitüden, sondern mit dem Wort der Wahrheit.
Wenn Älteste auf die Herde Gottes achtgeben, müssen sie diese Herde auch schützen. Es werden Wölfe kommen. Ein guter Hirte stellt sich dann den wilden Bestien entgegen. Erinnern wir uns an David. Er kämpfte gegen Bären und Wölfe, um die Herde seines Vaters zu bewahren (1Sam. 17,36). Entsprechend ist ein Ältester jemand, der um der Herde willen gegen falsche Lehren und Irrlehrer auftritt und für sie eintritt.
2. Die Ermahnung
Paulus fährt fort: in der der Heilige Geist euch zu Aufsehern gesetzt hat. Im Blick auf die Gemeinde impliziert diese Aussage eine Ermahnung. Sie hilft damit der Gemeinde, den Ältesten in rechter Weise zu begegnen: Es ist Gott, der die Ältesten über die Gemeinde eingesetzt hat.
Damit will Paulus nicht sagen, dass die Gemeinde auf eine besondere spirituelle Eingebung warten solle oder gar einen speziellen Gottesdienst einzuberufen habe, bei dem man erhofft, auf einmal ein Licht vom Himmel zu erblicken, das die in Frage kommenden Personen anweist. Nein, so läuft das nicht. Stattdessen haben wir im Neuen Testament Listen mit Auswahlkriterien, nach denen wir die Ältesten aussuchen sollen. Die bestehenden Ältesten nehmen eine Vorauswahl vor, und gegebenenfalls unterweisen sie diese Männer. Am Ende wird dann die Gemeinde die Ältesten wählen. Dabei vertraut sie darauf, dass Gott für dieses Amt die richtigen Männer einsetzt.
In einem Brief der Apostel und Ältesten Jerusalems an die nichtjüdischen Gemeinden lesen wir einmal die Aussage: Es hat uns und dem Heiligen Geist gefallen… (Apg. 15,28). Alles, was die Gemeindeleiter in Jerusalem vorher machten, bestand darin, sich die verschiedenen Positionen anzuhören und daraufhin das Wort Gottes zu studieren und zu befragen. Als ihnen daraus der Wille Gottes klar wurde, setzten sie es um. Dabei waren sie dessen gewiss, dass Gott sie bei dieser Entscheidung geleitet hatte.
In vergleichbarer Weise vertrauen auch wir darauf: Es ist Gott, der die Ältesten einsetzt, und die Gemeinde betet darum, dass die richtigen Ältesten gefunden werden. Und wenn die Ältesten dann eingesetzt worden sind, anerkennen wir sie als die von Gott gegebenen.
Älteste sind nicht fehlerlos. Sie sind keine Götter. Sie sind nicht unantastbar. Aber Gott hat sie seiner Gemeinde gegeben, um sie zu führen. Jedes Mitglied einer Gemeinde verspricht, dass er sich der Führung der Ältesten unterordnet.
Dieses Wort ist gleichzeitig auch eine Ermahnung an die Ältesten: Es ist Gott, der sie eingesetzt hat. Sie sind nicht deswegen zu Ältesten geworden, weil sie sich beworben haben. Sie haben keinen Einstellungstest bestanden. Es war der Heilige Geist, der sie zum Ältesten gemacht hat.
Abgesehen davon, dass diese einfache Aussage sowohl im Blick auf die Gemeinde als auch im Blick auf die Ältesten selbst eine Ermahnung ist, ist sie auch eine Ermutigung. Was ist der Grund, warum Paulus ihnen sagt, in welcher der Heilige Geist euch zu Aufsehern gesetzt hat? Warum spricht er in diesem Zusammenhang ausdrücklich vom Heiligen Geist, also von der dritten Person der Dreieinigkeit? Vermutlich liegt der Grund darin, dass der betreffende Kandidat durch den Geist Gottes zu diesem Dienst befähigt wurde. Um Ältester zu sein, benötigt man Gaben Gottes. Diese schenkt der Heilige Geist. Das Wort Gottes zu lehren, kann man lernen. Aber alles ist und bleibt leer, wenn nicht der Heilige Geist wirkt.
Darum ist dieses Wort auch eine Ermutigung. Als Ältester steht man immer wieder vor Situationen, durch die man sich überfordert sieht. Man verbringt Tage im Wort Gottes, um eine Antwort auf das anstehende Problem zu finden. Man wälzt Bibelkommentare und Systematische Theologien, um das Wort Gottes besser zu verstehen. Gelegentlich zweifelt man, ob man selbst der richtige Mann für die Arbeit in der Gemeinde ist. Manchmal denkt man, jemand anderes sei besser in der Lage, die Aufgaben zu bewältigen. Doch am Ende hängt es nicht von einem selbst ab, sondern man darf wissen: Es ist Gott, der zum Ältesten in der Gemeinde macht und auch dafür begabt.
Diese einfache Aussage des Paulus sollte einen jeden in der Gemeinde ins Gebet treiben. Wir wollen die richtigen Ältesten haben. Wir wünschen, dass die betreffenden Männer der Gemeinde verantwortlich vorstehen. Wir begehren, dass der Heilige Geist die richtigen Leiter für die Gemeinde schenkt. Deshalb lasst uns beten, dass Gott Weisheit gibt, sodass die richtigen gefunden werden, dass sie ausgestattet werden mit dem Geist Gottes und ordentlich in ihr Amt eingesetzt (ordiniert) werden.
3. Die Begründung
Warum ist der Dienst eines Ältesten so wichtig? Antwort: Weil die Gemeinde des lebendigen Gottes, weil seine Kirche sehr kostbar ist. Es ist Gott, der sie erkauft hat. Er musste einen Preis bezahlen, sodass sie erlöst wird. Gott sandte dafür seinen eigenen Sohn: die er durch sein eigenes Blut erworben hat! (Apg. 20,28).
Ich befürchte, dies ist eine Wahrheit, die wir heutzutage nicht häufig hören: Gott hat uns erkauft, durch das Blut seines eigenen Sohnes. Wir wissen, dass Christus am Kreuz gestorben ist. Wir wissen, dass er dort sein Blut vergossen hat. Wir wissen, dass Christus Gott ist. Wir wissen auch, dass er das getan hat, damit denen die Sünde weggewaschen wird, die dieses Heilswerk im Glauben annehmen.
Christus tat dies für seine Braut. Ein Mann, der seine Frau liebt und sie heiraten möchte, ist bereit, alles für sie zu tun. Christus liebt seine Braut. Er gab sein Leben für sie. Diese Braut ist die Gemeinde. Im 1.Petrusbrief heißt es: Denn ihr wisst ja, dass ihr nicht mit vergänglichen Dingen, mit Silber oder Gold, losgekauft worden seid aus eurem nichtigen, von den Vätern überlieferten Wandel, sondern mit dem kostbaren Blut des Christus als eines makellosen und unbefleckten Lammes (1Petr. 1,18.19).
In manchen Kulturen gibt es bei der Heirat eine Mitgift. In manchen Kulturen zahlt der Mann einen Preis für seine Frau. Aber Jesus Christus hat nicht einfach Gold abgewogen oder Silber ausgegeben. Er vergoss sein eigenes Blut. Petrus fügt hinzu, damit wir von unserem nichtigen Wandel wegkommen. Christus hat als perfektes Lamm den Preis für unsere Sünde bezahlt.
Wenn wir uns mit der Gemeinde Christi, seiner Kirche beschäftigen, dann sprechen wir von den Menschen, für die der Sohn Gottes sein Blut dahingegeben hat. Ich habe manchmal den Verdacht, dass wir über die Gemeinde Gottes nicht wirklich positiv denken. Manchmal sprechen Christen negativ über andere Christen. Gelegentlich reden wir auch sehr schlecht über andere Gemeinden. Aber es gehört nicht zu unseren Aufgaben, andere zu verurteilen. Es ist wichtig, wie wir über unsere eigenen Geschwister hier in unserer Gemeinde denken und reden. Sie erfüllen vielleicht nicht unseren Standard. Aber stellen wir die Frage, nachdem wir Klarheit haben, was Gottes Standard für uns ist: Was ist sein Standard für sie? Sie tun nicht immer das, was wir wünschen. Dennoch hat Gottes Sohn sein Blut für sie vergossen.
Diese Aussage von Paulus lässt mich schlucken. Gott hat mich dazu berufen, seinen kostbaren Besitz zu hüten. Es ist zum Staunen, was Gott damit getan hat. Lassen Sie uns auch mehr für die beten, die zu dieser großen Aufgabe berufen sind.