Das Zeugnis der Gemeinde durch die Botschaft, die sie verkündet

Das Zeugnis der Gemeinde durch die Botschaft, die sie verkündet

Wortverkündigung zu 1.Korinther 2,1.2

Die amerikanische Soziologin Marsha Witten berichtet von einem Flyer, den sie eines Morgens in ihrem Briefkasten fand. Auf diesem stand sinngemäß Folgendes: „Gehören Sie auch zu denen, die es schon längst aufgegeben haben, Gottesdienste zu besuchen? Die Gründe sind vielfältig: Die Predigten sind langweilig; viele Gemeinden wollen nur Ihr Geld; die Mitglieder sind unfreundlich zu Gästen; und die Qualität des Kindergottesdienstes lässt häufig auch zu wünschen übrig. Finden Sie auch, dass man den Besuch in einer Gemeinde genießen sollte? Dann haben wir eine gute Nachricht für Sie! Die XY-Gemeinde ist eine Kirche, wie für Sie gemacht. Sie wird Ihnen das geben, wonach Sie sich schon immer gesehnt haben. Sie werden neue Freunde treffen; sich von toller Musik begeistern lassen; und Sie werden lebensnahe, ermutigende Botschaften hören, die Ihre Laune garantiert steigert. In den Botschaften wird es um Themen gehen wie: Wie steigere ich mein Selbstvertrauen? Wie werde ich meine Depressionen los? Wie kann mein Leben erfolgreich verlaufen? Wie gehe ich richtig mit meinem Geld um? Wie wird mein Leben stressfreier? Sie können sich auf uns verlassen!“
Ein vielversprechender Flyer. Aber darin ist ein Problem enthalten: Es fehlt das Zentrale. Es enthält kein einziges Wort von Gott und kein einziges Wort von Jesus. Auch liest man kein einziges Wort vom Kreuz.
Einige Dinge, die sich diese Gemeinde vorgenommen hat, sind zweifellos erstrebenswert. Andere sind einfach falsch. Aber der Kern, das Zentrum der Gemeinde, fehlt vollständig. Was ist der Kernauftrag, die Mission der Gemeinde? Worum geht es?
Um diese Frage zu beantworten, wollen wir uns die ersten beiden Verse von 1.Korinther 2 anschauen.
Ab Kapitel 1,10 verteidigt Paulus seinen Dienst. Der Vorwurf der Korinther lautete: Paulus, deine Predigten sind langweilig. In unseren Versen erklärt Paulus kurz und bündig, was seine eigentliche Aufgabe ist: Ich bin nicht gekommen, euch mit beeindruckenden Reden oder prickelnden Weisheiten zu überreden, sondern um euch das Wort des gekreuzigten Christus zu bringen.
Dies spricht der Apostel Paulus nicht nur in die damalige Situation hinein. Es war nicht so, dass dies der Inhalt der Botschaft wegen einer besonderen Situation war. Das Wort vom gekreuzigten Christus ist die Botschaft des Paulus an alle christlichen Gemeinden.

Es ist auch nicht nur die Botschaft des Paulus. Es ist die Botschaft von Jesus. Es ist die Botschaft aller Apostel. Es ist die Botschaft, die den Kern des Christentums ausmacht. Das heißt: Es ist auch die Botschaft, die die Gemeinde heute in ihr Zentrum zu stellen hat.

Das hat Konsequenzen für den Pastor einer Gemeinde. Denn genau um diese Botschaft hat sich seine Verkündigung zu drehen. Es ist aber nicht so, dass nur Pastoren dieses verkündigen sollen. Es gilt in gleicher Weise für Jugendleiter, für Kindergottesdienstmitarbeiter. Es gilt für ältere Menschen, die das Wort Gottes an Jüngere weitergeben sollen, wie Paulus dies im Brief an Titus anordnet (Tit. 2,1-8). Es gilt für Menschen, die sich auf die Straße stellen und dort das Evangelium predigen oder in Form von Traktaten weitergeben. Es gilt für jeden Christen in der Gemeinde, denn Paulus schreibt später im Kolosserbrief: Lasst das Wort des Christus reichlich unter euch wohnen (Kol. 3,16). Es gilt für jeden Christen in seinem Alltag, wenn er mit Leuten zusammen ist, die Jesus Christus noch nicht kennen. Auch denen soll er nichts anderes als diese eine Botschaft weitersagen. Petrus schreibt es folgendermaßen: Seid allezeit bereit zur Verantwortung gegenüber jedermann, der Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist (1Petr. 3,15).

Auf diese Weise gibt die Gemeinde gegenüber der Welt ein Zeugnis. Es ist ein Zeugnis, das das Ziel hat, Menschen zum Glauben an Christus zu bringen, und gläubige Menschen in der Nachfolge ihres Herrn auf das Ziel auszurichten. Somit lautet das Thema für heute Morgen:

Das Zeugnis der Gemeinde des dreieinigen Gottes durch die Botschaft, die sie verkündigt.

Meine These in dieser Predigt lautet: Wenn die Gemeinde irgendetwas an die Stelle der Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus setzt, dann hat sie entweder aufgehört, Gemeinde zu sein, oder sie ist auf dem besten Weg dorthin. Es geht dabei um Antworten auf folgende zwei Fragen:
1. Was ist der Auftrag der Gemeinde nicht?
2. Was ist der Auftrag der Gemeinde dann?

1. Was ist der Auftrag der Gemeinde nicht?

Grundsätzlich ist der Auftrag der Gemeinde nicht, irgendwie auf die Trends und Weltanschauungen der Zeit aufzuspringen und die Botschaft daran anzupassen oder sie sogar ganz wegzulassen, wie das die Gemeinde getan hat, mit deren Flyer wir uns am Anfang beschäftigt haben. Das ist die Botschaft von Vers 1. Dort schreibt Paulus: So bin auch ich, meine Brüder, als ich zu euch kam, nicht gekommen, um euch in hervorragender Rede oder Weisheit das Zeugnis Gottes zu verkündigen.

Damals, zur Zeit des Paulus, gab der Zeitgeist unter anderem folgende Weltanschauung vor: Wichtig ist nicht so sehr, was jemand sagt, sondern, wie er es sagt. Es gab Wettbewerbe, in denen die besten Redner eine Rede halten mussten. Wichtig war nicht der Inhalt, sondern die Art und Weise, wie man sprach. Grundsätzlich versuchte man die Menschen von einer Sache nicht durch Argumente zu überzeugen, sondern durch unterschwellige rhetorische Tricks.

Das hatten sich Leute in Korinth zum Vorbild genommen. Sie wollten Predigten, die die Menschen überzeugten. Aber sie wollten nicht durch den Inhalt überzeugt werden. Das erschien ihnen ohnehin nicht gut möglich zu sein, denn der Inhalt lautete ja: Der Mensch ist ein Sünder, er ist Gott mit seinem ganzen Leben verantwortlich, und Gott sandte seinen Sohn in diese Welt, damit er die Schuld auf sich nimmt. Das ist keine attraktive Botschaft. Schon gar nicht war es das in der damaligen Kultur.

Heute leben wir in einem Land, in dem das Kreuz zum Symbol für das Christentum geworden ist. Wenn wir ein Kreuz sehen, denken wir an Kirche, nicht an den Tod. Aber damals war das Kreuz die schändlichste Hinrichtungsmethode. Sie war so schändlich und peinlich, dass man als gebildeter Römer oder Grieche nicht einmal darüber sprach.

Und das war für das Predigen ein Problem. Deswegen waren in Korinth einige der Meinung: Wir müssen die Botschaft vom Kreuz etwas schöner lackieren. Nein, nicht abschaffen! Jesus ist schon wichtig, und das Kreuz ist auch irgendwie nötig. Aber auf unsere Zeitgenossen wirkt das so abstoßend und irgendwie auch nicht relevant. Da müssen wir nachhelfen. Das wollten sie durch geschickte Redekunst erreichen, so dass es zu einer Vermischung des Evangeliums mit der Weisheit und dem Denken der Griechen kam.

Paulus bemerkt dazu: Ich habe das nicht gemacht, und ich werde das auch nicht machen. Das ist nicht der Auftrag, den ich von Gott bekommen habe. Ein Kapitel zuvor schreibt er: Gott hat mich nicht gesandt zu taufen, sondern das Evangelium zu verkündigen (1,17). Im zweiten Punkt beschäftigen wir uns dann damit, warum diese Botschaft nicht schön lackiert werden kann.

Vorher aber möchte ich den ersten Punkt noch vertiefen. Wir sind bei der Frage, was der Auftrag nicht ist.

Paulus wendet sich gegen die Rhetorik und die Weisheit in der Predigt. Das waren die Dinge, die damals im Trend der Zeit lagen. Aber wie verhält sich das heute? Stehen wir nicht in derselben Gefahr wie die Korinther damals? Ganz sicher sind Rhetorik und Philosophie der Griechen heute nahezu in Vergessenheit geraten. Aber ich erwähnte bereits zu Anfang, dass Paulus sich nicht nur gegen die Rhetorik oder die Philosophie wendet. Er wendet sich gegen alles, was die Gemeinde vom Zeitgeist übernimmt, um damit die Botschaft vom gekreuzigten Christus aus dem Zentrum ihrer Mission zu rücken.

Viele Gemeinden heute machen ähnliche Fehler. Der Zeitgeist heißt nicht Rhetorik, sondern Unterhaltung. Das Prinzip ist das Gleiche. Jesus und das Kreuz werden nicht geleugnet. Sie kommen sogar immer wieder in den Predigten und in den Liedern vor. Aber was den Aufbau der Gottesdienste und die Art der Predigt bestimmt, ist sehr häufig nicht das Wort vom Kreuz, sondern es sind die aktuellen Trends der Unterhaltungsindustrie und der Medien. Das Ziel ist genau das Gleiche wie bei den Korinthern: Man will Leute gewinnen, indem man die Botschaft angenehmer macht. Das Ziel ist gut. Aber der Weg ist falsch.

Andere meinen: Wir müssten unsere Gemeinden durch soziales Engagement attraktiver gestalten: Wenn wir uns nur genügend um Arme, sozial Benachteiligte oder Flüchtlinge kümmern, dann würden wir unseren Auftrag erfüllen. Nun ist es nicht falsch, dass wir uns um solche Menschen kümmern. Ganz im Gegenteil. Wahrscheinlich ist es sogar so, dass die konservativen Christen in den vergangenen Jahrzehnten sich viel zu viel um sich selbst gedreht haben. Wenn unsere Predigten zwar sehr rechtgläubig sind, aber die Christen in unseren Gemeinden niemals dazu aufgerufen werden, sich um ihre Nächsten zu kümmern, die eben oft sozial schwache Menschen oder in letzter Zeit vermehrt Flüchtlinge sind, dann läuft ganz sicher etwas schief.

Auf der anderen Seite aber wird es sehr kritisch, wenn man sich zwar ungemein sozial engagiert, aber darüber langsam aber sicher das Evangelium unter den Teppich kehrt. Manchmal wird es geleugnet. Aber meistens wird es einfach immer leiser gedreht. Ganz nach dem Motto: Das Wort vom Kreuz kennen wir mittlerweile, wir brauchen jetzt einmal etwas Neues. Oder man meint: Durch soziales Engagement bringen wir Leute in die Gemeinde, und die Geschichte mit dem Kreuz werden sie dann irgendwann nebenbei noch schlucken.

Noch dramatischer werden die Folgen, wenn das dazu führt, dass die Grenzen einer Gemeinde zwischen Drinnen und Draußen verwischt werden. So schrieb ein Schweizer Pastor in einem der bekanntesten evangelikalen Jugendmagazine kürzlich Folgendes: „Was würde geschehen, wenn wir wirklich darauf vertrauten, dass der Heilige Geist die Menschen, die in unsere Gemeinden kommen, berühren wird? Könnten wir dann nicht getrost auf das Richten, Verurteilen und Abgrenzen verzichten? Was würde geschehen, wenn es in den Gemeinden kein Drinnen und Draußen mehr geben würde, sondern nur noch das Miteinander der Gebrochenen – die wir doch alle sind und irgendwie auch immer bleiben – auf dem Weg in sein Reich? Ausgerechnet Paulus, der mit äußerster Härte unmoralisch lebende Personen vom Gottesreich und der Gemeinde ausschließt, gesteht im Römerbrief: ‚Denn nicht das Gute, das ich will, tue ich, sondern das Böse, das ich nicht will, das treibe ich voran‘ (Röm. 7,19). Müsste diese Einsicht in die unheimliche Ohnmacht des Menschen – auch des
Christen! – uns nicht alle barmherzig machen?“2

Da spielt jemand ohne mit der Wimper zu zucken Jesus gegen Paulus aus, um zu begründen, warum es keinen Unterschied mehr zwischen der Gemeinde Jesu und dem Reich der Finsternis geben darf. Es ist eine Entwicklung, die damit anfängt, dass man das Wort vom Kreuz aus dem Zentrum des Gemeindelebens entfernt. Das führt zum Ende der Gemeinde – so traurig das klingt.

„Na, ein Glück, dass ich anders bin!“ Hand auf’s Herz. Haben das nicht viele von uns eben gerade gedacht? Aber auch wir „Konservativen“ sind nicht vor der Gefahr gefeit. Als ungehorsam gegenüber der Wahrheit bezeichnet Paulus interessanterweise nicht die moralisch eher lockeren Korinther, sondern die konservativen Galater (Gal. 5,7). Bibeltreu, konservativ, bekennend zu sein, heißt noch lange nicht, dass man das Evangelium im Zentrum hat.

Ein Beispiel dazu: Es gibt eine Kommentarreihe eines amerikanischen Bibelauslegers, der die gesamte Bibel durchkommentiert hat. Nach allem, was ich weiß, gilt der Ausleger als „bibeltreu“. Seine Kommentarreihe ist in Deutschland bei einem konservativen Verlag erschienen. Es scheint also keinen Grund für irgendwelche Bedenken zu geben. Als Titel der Kommentarreihe hat sich der Bibellehrer etwas Besonderes ausgedacht. Sowohl im Deutschen als auch im Englischen beginnt jeder Kommentar mit der Aufforderung „Sei“ – gefolgt von dem, was man nun sein soll. Zum Beispiel: Sei authentisch! Sei hingegeben! Sei heilig! Sei mutig!

Stellen wir uns einmal vor, ich würde diese Kommentarreihe bei mir im Regal stehen haben. Dann käme jemand zu Besuch, der noch nie etwas von der christlichen Wahrheit gehört hat. Ich zeige ihm die Reihe und bitte ihn, mir einmal aus den Titeln zusammenzufassen, worum es wohl im Christentum im Kern geht. Was würde er sagen? Wahrscheinlich so etwas wie: Naja, im Christentum geht es wohl darum, gut zu sein, und zwar in den verschiedensten Formen.

Ich gebe zu: Ich kenne den Inhalt der Kommentarreihe nicht. Ich hoffe aber, dass die Inhalte der jeweiligen Kommentare deutlich besser sind als ihre Titel. Denn die Titel der Kommentare vermitteln ein Bild vom Christentum, das sehr fromm klingt und trotzdem grundfalsch ist.

Der Auftrag, irgendetwas zu sein oder zu tun, klingt gut. Er hat sogar einen wichtigen Platz im christlichen Glauben. Aber wenn man den Auftrag: „Sei etwas!“ zum Kern des Christentums erklärt, dann hat das mit dem Evangelium nichts zu tun. Die gute Nachricht hieße dann: „Tu etwas!“, anstatt: „Alles ist getan!“ Und die Nachricht „Tu etwas!“, ist für Sünder wie dich und mich zunächst einmal die schlechteste Nachricht der Welt.

Der Amerikaner Donald Grey Barnhouse, Pastor einer der größten Gemeinden Philadelphias, war bekannt für seine evangelistischen Radioansprachen. In einer seiner bekanntesten Predigten – irgendwann in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts – stellte er die hypothetische Frage: „Was würde passieren, wenn der Teufel die komplette Kontrolle über unsere Stadt erhalten würde? Wie würde das Leben dann aussehen?“

Wir würden wahrscheinlich an irgendetwas denken wie: Das Elend würde die Menschen im Würgegriff halten, Familien würden zerbrechen, Mord und Totschlag wären an der Tagesordnung, die Kirchen wären verwahrlost und geschlossen und die Menschen von Hass zerfressen. Barnhouse war ganz anderer Meinung: „Wenn der Teufel diese Stadt übernimmt, würden alle zwielichtigen Bars geschlossen, Pornographie und Prostitution verboten, und saubere Straßen wären mit Fußgängern gefüllt, die sich alle freundlich grüßen würden. Niemand würde fluchen, alle Kinder wären gut erzogen und brav, und die Kirchen der Stadt wären jeden Sonntag bis auf den letzten Platz besetzt – Kirchen, in denen es um alles geht, nur nicht um Christus und das Kreuz.“3

Wenn die Gemeinde irgendetwas an die Stelle der Verkündigung des Evangeliums setzt, dann hat sie entweder aufgehört, Gemeinde zu sein, oder sie ist auf dem besten Weg dahin. Und dieses Irgendetwas, das man an die Stelle der Verkündigung des Evangeliums setzt, kann selbstverständlich etwas Schlechtes sein. Zum Beispiel wie es die Unterhaltung heute oft ist. Oder es kann inhaltslose Rhetorik sein, wie bei den Korinthern. Es kann aber auch etwas Gutes sein: soziales Engagement oder gute Werke. Es kann sich liberal anhören oder sehr konservativ. Aber sobald wir es an die Stelle des Evangeliums setzen, riskieren wir alles. Deswegen ist Paulus auch nicht mit Rhetorik und Weisheit nach Korinth gekommen. Und das, obwohl er damit vielleicht die Probleme in der Gemeinde oberflächlich hätte entschärfen können.

Das bringt uns zum zweiten Punkt.

2. Was ist der Auftrag der Gemeinde dann?

1.Korinther 2,2: Denn ich hatte mir vorgenommen, unter euch nichts anderes zu wissen als nur Jesus Christus, und zwar als Gekreuzigten.

Mit anderen Worten: Liebe Korinther, was ihr wissen müsst, was ihr im Zentrum eures Gemeindelebens haben sollt, ist das Evangelium und sonst nichts.

Was ist das Evangelium? Das Evangelium ist zunächst einmal die Botschaft von geschichtlichen Ereignissen. Jesus Christus, der Sohn Gottes kam vor rund 2000 Jahren in diese Welt. Er erfüllte die Verheißungen des Alten Testaments. Er lebte ein Leben ohne Sünde, und er wurde mit gut 30 Jahren an einem Kreuz hingerichtet. Er blieb nicht tot, sondern stand aus den Toten auf und fuhr einige Wochen später in den Himmel. Im Zentrum von allem steht der schändliche Tod am Kreuz.

Deswegen fasst Paulus das Evangelium in Kapitel 1,18 als Wort vom Kreuz zusammen und bezeichnet es in 1.Korinther 2,2 kurz und knapp als Jesus, der Gekreuzigte. Aber das Evangelium ist mehr als die Auflistung geschichtlicher Tatsachen. Alle diese Ereignisse sind außerhalb von uns geschehen, lange bevor wir gelebt haben. Und doch hat es etwas mit uns zu tun. Denn zum Evangelium gehört, dass diese geschichtlichen Ereignisse für uns, sein Volk, geschehen sind. Christus wurde Mensch, um das Gesetz für uns zu halten, weil wir es nicht konnten. Er starb am Kreuz, damit wir leben dürfen. Er stand aus den Toten auf, damit wir auch einmal auferstehen. Durch Glauben eignen wir uns die Segnungen des Evangeliums zu. Und doch ist das Evangelium etwas, das zu 100 Prozent jemand anderes getan hat, und zu 0 Prozent wir. Es lautet nicht: „Tu etwas!“, oder: „Sei etwas!“, sondern es heißt: „Alles ist für dich getan!“

Das ist befreiend. Aber da es uns demütigt, mögen wir das oft nicht hören. Der Apostel Paulus hatte das im ersten Kapitel des ersten Korintherbriefs sehr deutlich gemacht: Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren gehen, uns aber, die wir gerettet werden, ist es eine Gotteskraft.

Martin Luther brachte das in seinen 95 Thesen folgendermaßen auf den Punkt: In These 62 heißt es: „Der wahre Schatz der Kirche ist das allerheiligste Evangelium von der Herrlichkeit und Gnade Gottes.“ Und dann hören wir noch These 63: „Dies ist zu Recht allgemein verhasst, weil er aus Ersten Letzte macht.“

Von daher ist es verständlich, dass viele Menschen hingehen und das Evangelium schönlackieren wollen. Damals in Korinth geschah das durch Philosophie und Redekunst, heute eher durch Unterhaltung oder soziales Engagement. So gut das Anliegen sein mag, solche Marketingkonzepte funktionieren nicht. Aber warum eigentlich nicht?

Antwort: Menschen, die das Evangelium schönlackieren wollen oder es aus dem Zentrum der Verkündigung drängen, haben eine falsche Vorstellung von der Sündhaftigkeit des Menschen. Sie glauben, dass der normale Mann auf der Straße gegenüber Gott oder der Kirche abgeneigt ist. Deswegen sei es unsere Aufgabe, ihn davon zu überzeugen, dass Gott und die Kirche besser sind als keinen Gott und keine Kirche zu haben. Und wenn wir ihn davon überzeugt haben, dann hätten wir das Ziel erreicht. Man ist der Überzeugung, der Mensch sei zwar ein Sünder, aber sobald wir ihn mit Gott konfrontieren, werde er sich kraft seiner Freiheit, für oder gegen Gott entscheiden.

Aber die menschliche Sündhaftigkeit reicht wesentlich tiefer. Egal, wie gut unsere Argumente sind, egal wie unterhaltsam wir sind, egal wie nett wir sind: Der natürliche Mensch wird sich von sich aus niemals für Gott entscheiden. Denn der natürliche Mensch ist tot in seinen Übertretungen und Sünden, wie Paulus in Epheser 2,1 schreibt. Was erforderlich ist, ist ein übernatürliches Eingreifen des Heiligen Geistes. Er muss aus toten Herzen lebendige Herzen machen. Das nennt die Bibel Wiedergeburt.

Sehr wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass Paulus nicht nur auf das Evangelium Wert legt, sondern auch auf die einfache Predigt des Evangeliums. Warum ist für ihn dieser Weg so wichtig? Antwort: Weil die Predigt des Evangeliums das Mittel ist, durch das Gott bewirkt, dass Menschen dem Evangelium glauben. Wenn wir so wollen, hat das Evangelium bei der Verkündigung zwei Funktionen. Erstens informiert es uns darüber, was am Kreuz geschehen ist. Zweitens schafft es den Glauben an den gekreuzigten und auferstandenen Jesus. Deswegen bezeichnet Paulus es in Kapitel 1,18 nicht einfach als Information, sondern als Gotteskraft.

Wir lernen im Neuen Testament, dass es Gott gefällt, dem Menschen ein neues Herz zu schenken. Aber ein neues Herz bekommt der Mensch nicht auf eine irgendwie abstrakte Weise. Vielmehr will Gott, dass das Evangelium gepredigt wird, und er verspricht, durch diese Botschaft die Herzen der Menschen kraft seines Geistes zu verändern. Deswegen schreibt Petrus: Denn ihr seid wiedergeboren nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen, durch das lebendige Wort Gottes, das in Ewigkeit bleibt (1Petr. 1,23).

Wir haben nur eine einzige Botschaft, die uns Hoffnung
gibt. Und es gibt nur einen einzigen Weg, durch den Menschen diese Botschaft ergreifen können: Das Predigen dieser Botschaft. Das heißt übrigens nicht, dass der Glaube immer sofort auf unser Predigen folgt. Predigen ist keine Zaubertablette.
Es liegt an Gottes Ratschluss, wann es ihm gefällt, das Herz eines Menschen durch die Verkündigung seines Wortes zu ändern. Jesus sagt zu Nikodemus über den Heiligen Geist, der die Wiedergeburt wirkt: Der Wind weht, wo er will, und du hörst sein Sausen, aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist jeder, der aus dem Geist geboren ist (Joh. 3,8).
Oft hören Menschen das Evangelium mehrfach, und es macht erst viel später bei ihnen klick, also vielleicht gar nicht während oder unmittelbar nach einer Predigt, sondern während sie mit Christen Gemeinschaft haben oder alleine zu Hause sind. Trotzdem ist es die Predigt des Wortes, durch die der Geist Gottes Glauben schafft. Paulus schreibt in Römer 10,17: Demnach kommt der Glaube aus der Verkündigung, die Verkündigung aber durch Gottes Wort.
Nun könnte man einwenden: Paulus, das klingt gut. Das Evangelium muss verkündigt werden. Das hast du gemacht, und deswegen ist es die Aufgabe der Gemeinde das heute ebenfalls zu tun. Aber warum schreibst du dann, dass du bei den Korinthern nichts anderes wissen wolltest als das Evangelium vom gekreuzigten Christus? Gut, wir haben jetzt verstanden, dass das Evangelium das Wichtigste ist. Aber siehst du das nicht auch so, dass zum christlichen Glauben mehr gehört als nur das Evangelium? Wir müssen doch auch noch leben. Und du willst sicher auch, dass wir wissen, wie man betet oder wie es in einer Gemeinde aussehen soll? Paulus, willst du tatsächlich, dass wir nichts anderes wissen als Christus und ihn als gekreuzigt?
Wenn wir die Briefe des Apostels Paulus lesen, dann stellen wir ziemlich bald fest, dass Paulus für alle Bereiche unseres geistlichen Lebens und auch darüber hinaus etwas zu sagen hat. Aber was meint er dann damit, wenn er hier sagt: Ich will nichts anderes bei euch wissen?
Für Paulus ist das Evangelium das Zentrum des christlichen Glaubens. Aber alle Bereiche des Lebens eines Christen stehen für ihn in Verbindung mit dem Evangelium. Was heißt das? Es gibt bekanntlich die Auffassung: Ich brauche das Evangelium für meine Errettung, aber danach beginnt mein Leben in der Nachfolge. Und da muss ich mich dann an biblische Regeln und Prinzipien halten. Das Evangelium rettet mich, aber wenn ich durch die Tür des Evangeliums gegangen bin und sie hinter mir gelassen habe, dann fängt das christliche Leben erst richtig an. Aber so funktioniert die Nachfolge nicht. Alles was wir als Christen tun, muss auch viele Jahre nach unserer Bekehrung vom Evangelium angetrieben sein. Ansonsten wird unsere Heiligung sehr schnell gesetzlich.
Ein bekanntes Beispiel ist die Ehe. Wenn Paulus über die Ehe schreibt, schreibt er nicht einfach: Habt euch lieb und ehrt einander. Sondern er schreibt: Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie auch Christus die Gemeinde geliebt hat und hat sich selbst für sie dahingegeben.
Wenn eine Gemeinde niemals hört, wie sich Ehepartner verhalten sollen, ist das ein Problem. Wenn in einer Gemeinde, über die Ehe gepredigt wird, aber im Zentrum die Frage steht: Wie werde ich ein besserer Ehepartner?, dann ist das ebenfalls ein Problem. Niemals darüber zu predigen, wäre gesetzlos. Ohne das Evangelium über die Ehe zu predigen, wäre gesetzlich.
Gleiches gilt für das Thema der Arbeit, wenn wir Vorgesetzte haben. Paulus schreibt in Bezug auf Sklaven: Bist du als Sklave berufen, so sorge dich nicht; doch kannst du frei werden, so nutze es umso lieber. Denn wer als Sklave berufen ist in dem Herrn, der ist ein Freigelassener des Herrn; desgleichen wer als Freier berufen ist, der ist ein Knecht Christi. Ihr seid teuer erkauft (1Kor. 7,21-23a).
Auch beim Zusammenleben in der Gemeinde könnte der Apostel einfach schreiben: Leute, habt euch lieb! Aber er schreibt viel mehr: Darum nehmt einander an, gleichwie auch Christus uns angenommen hat, zur Ehre Gottes! (Röm. 15,7).
Auch die verschiedenen Handlungen unseres Gemeindelebens sind zutiefst im Evangelium verankert. Nehmen wir als Beispiel die Sakramente, also Taufe und Abendmahl. In Bezug auf die Taufe schreibt Paulus in Römer 6: Oder wisst ihr nicht, dass wir alle, die wir getauft sind, in seinen Tod getauft sind? Über das Abendmahl schreibt er: So oft ihr es esst und trinkt verkündet ihr den Tod des Herrn (1Kor. 11,26).
Das Evangelium ist mehr als das Wichtigste unseres Glaubens. Es ist das Zentrum, von dem alles andere ausgeht. Es gibt viele Aufforderungen in der Bibel für unser praktisches Leben innerhalb der Gemeinde sowie in unserem Alltag. Aber alle diese Aufforderungen stehen nicht in einem luftleeren Raum, sondern sie sind gegründet im Evangelium. Deswegen schreibt Paulus, dass er unter den Korinthern nichts anderes wissen will als nur Christus, den Gekreuzigten.
Später wird er die Korinther in verschiedenen Aspekten ihres Privat- und ihres Gemeindelebens ermahnen.
Unter anderem im Bereich der Sexualität war man in Korinth eher locker. Paulus sagt nicht einfach: Leute, werdet da endlich mal strenger! Sondern er sagt: Denn ihr seid teuer erkauft. Darum verherrlicht Gott in eurem Leib und in eurem Geist, die Gott gehören. Mit anderen Worten: Habt ihr vergessen, was das Evangelium für eure Sexualität bedeutet?
Die Botschaft vom Kreuz steht über allem und im Zentrum von allem. Sie stand auch im Zentrum des Dienstes von Jesus. Er ist gekommen, um das Evangelium zu predigen (Mk. 1,38). Diese Botschaft stand im Mittelpunkt des Dienstes von Paulus sowie der anderen Apostel.
Fassen wir zusammen, was wir über diese Botschaft gelernt haben. Es sind drei Dinge:
Erstens sollte der Inhalt des Evangeliums das Zentrum unserer Gemeindearbeit sein.
Zweitens sollte die Verkündigung des Evangeliums die Haupttätigkeit unserer Gemeindearbeit sein.
Drittens sollte im Evangelium gegründete Nachfolge das Ziel unserer Gemeindearbeit sein.
Deswegen sollte diese Botschaft im Zentrum unserer Gemeindeaktivitäten stehen. Wenn sie das nicht mehr ist, dann hören unsere Gemeinden sehr schnell auf, Gemeinden Jesu Christi zu sein.
Amen.


1) Bitte lesen Sie in einer guten Bibelübersetzung die Verse 1.Korinther 2,1.2. Sie sind die Grundlage dieser Predigt.
2) http://www.dran-next.net/artikel/das-grosse-kirchenfasten/ (Markus Giger).
3) Zitiert nach Michael Horton, Christless Christianity.