In der Reihe Zur Interdependenz Alten und Neuen Testaments liegt nun der zweite Band vor. Er enthält drei Aufsätze und zwei Predigten des Baseler Alttestamentlers Benjamin Kilchör. Die biblische Zusammenschau von Altem und Neuem Testament soll helfen, besser zu verstehen, wer der Heilige Geist ist und was er tut. In den Köpfen vieler Christen hat sich das Kirchenjahr dergestalt festgesetzt, dass sie den Heiligen Geist nur noch mit Pfingsten identifizieren und sein Wirken für eine im Grunde neutestamentliche Innovation halten. Andere identifizieren die Wirkung des Heiligen Geistes vor allem mit den Geistesgaben. Das Buch des Alttestamentlers der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel will die häufig vorhandenen Engführungen christlicher Predigt über den Heiligen Geist weiten.
Die fünf Beiträge waren ursprünglich als Vorträge und Predigten konzipiert. In ihnen betont Kilchör die in der Heiligen Schrift sowohl Alten als auch Neuen Testaments bezeugte Wirksamkeit des Heiligen Geistes – von Anbeginn der Schöpfung. Die Lehre vom Heiligen Geist geht also nicht von Pfingsten oder den Geistesgaben aus.
Es geht dem Autor aber nicht nur um eine Präzisierung der Lehre aus der Heiligen Schrift heraus und um die Zusammenschau von Altem und Neuem Testament, sondern auch um die Frage, was das heute für die Gemeinde Jesu, für jeden einzelnen Christen heißt.
Das erste der drei aufeinander aufbauenden Kapitel, „Der Geist offenbart die Herrlichkeit Gottes“ schildert, wie und in welchen Situationen sich Gottes Herrlichkeit zeigte und inwiefern der Heilige Geist hier einen zentralen Anteil an der Vermittlung des Geschehens hat. Gerade heute, wo immer wieder der „Geist der Einheit“ beschworen wird, zeigt die Heilige Schrift deutlich, dass der Heilige Geist ein Geist der Unterscheidung ist. Er trennt zum Beispiel Licht und Finsternis, etwa bei der Schöpfung, aber auch in der Herrlichkeitswolke beim Auszug aus Ägypten. „Es findet eine Unterscheidung von Finsternis und Licht statt, aber auch von Wasser und Land. Israel wird das Licht Gottes geschenkt und es kann trockenen Fußes durch das Schilfmeer ziehen, während Ägypten in der Finsternis bleibt und im Meer ertrinkt. Dies macht deutlich, dass die Herrlichkeit Gottes durch den Geist, der von Gott ausgeht, richterlich handelt: Sie befreit Israel und sie verurteilt Ägypten.“
Das zweite Kapitel widmet sich dem Thema: „Der Geist schafft Lebensraum“. Dies wird zunächst ganz innerweltlich deutlich an der Landnahme, in der der Geist Gottes dem Volk Israel Raum schafft und den Sieg über die Völker schenkt. Aber auch weitergehend, in Bezug auf die himmlische Heimat, ist es der Heilige Geist, der – erstaunlich individuell – das Bürgerrecht besiegelt und wieder an den Grundbegriff der Herrlichkeit Gottes anbindet: Der Geist selbst gibt Zeugnis unserm Geist, dass wir Gottes Kinder sind. Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, wenn wir denn mit ihm leiden, damit wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden (Röm. 8,16.17).
„Der Geist baut Gemeinde“ – so hat der Autor das dritte Kapitel überschrieben. Für die meisten Christen dürfte die Überschrift wenig überraschend erscheinen. Umso erstaunter wird mancher sein, dass es gerade diese „Bautätigkeit“ des Heiligen Geistes ist, die sich schon durch das gesamte Alte Testament zieht. In diesem Kapitel zeigt der Autor, wie sich die Kraft Gottes in der Weisheit Bahn bricht und neben der Schöpfung auch in der geschaffenen Welt kreativ, aber auch heilsstiftend wirkt. Und wie der Geist Gottes im Alten Testament die Weisheit verleiht, die zum Bau der Stiftshütte und des Tempels nötig ist, aber auch um das Volk zu führen, zu unterweisen und gerecht zu richten, so ist der Heilige Geist auch der Architekt des neuen Tempels, den die Gemeinschaft der Glaubenden darstellt.
In den zwei Predigten, je eine zu einem Abschnitt aus dem Alten Testament und eine aus dem Neuen Testament, verdeutlicht Kilchör noch einmal die Bedeutung des Heiligen Geistes für den Bau der Gemeinde Jesu im Zusammenhang mit den Themen Lebensraum und Herrlichkeit.
So ist das Buch, das theologische Forschung bewusst für die Gemeinde fruchtbar machen will, erstens eine Ermutigung, die die Herrlichkeit Gottes vor Augen stellt, zweitens eine Entlastung, weil sie die Verantwortlichkeiten klären hilft, und drittens ein Appell sich der Führung des Heiligen Geistes als Arbeiter im Weinberg des Herrn anzuvertrauen und genau das zu tun: „Sei getrost, alles Volk im Lande, spricht der Herr, und arbeitet!“
„Arbeitet! Tut, was mit eurer kleinen Kraft möglich ist und vertraut auf Gott. Wartet auf sein Eingreifen, auf sein Kommen, aber wartet nicht untätig, nicht entmutigt. Wartet nicht perspektivlos, sondern arbeitet! Tut, was euer Auftrag ist und auch dann, wenn es dem Augenschein nach nicht so viel bewegt und bewirkt, seid getrost! Denn ich bin mit euch, spricht der Herr Zebaoth. Die Gegenwart Gottes ist der Trost.“
Andreas Späth
Benjamin Kilchör, Mein Geist soll unter euch bleiben – Eine biblisch-theologische Grundlegung der Lehre vom Heiligen Geist, Logos Editions, Ansbach 2020, 80 Seiten, 6,90 Euro. ISBN: 978-3-9458182-3-7.