Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die überragende Kraft von Gott sei und nicht von uns. Wir werden überall bedrängt, aber nicht erdrückt; wir kommen in Verlegenheit, aber nicht in Verzweiflung; wir werden verfolgt, aber nicht verlassen; wir werden niedergeworfen, aber wir kommen nicht um; wir tragen allezeit das Sterben des Herrn Jesus am Leib umher, damit auch das Leben Jesu an unserem Leib offenbar wird. Denn wir, die wir leben, werden beständig dem Tod preisgegeben um Jesu willen, damit auch das Leben Jesu offenbar wird an unserem sterblichen Fleisch. So ist also der Tod wirksam in uns, das Leben aber in euch.
2. Korinther 4,7-12
Sehen wir als Christen, als Teil des Volkes Gottes, einen Raum für Leid in unserem Lebenskonzept vor? Oder haben wir womöglich den Lebensansatz der Nichtchristen um uns herum übernommen, der darauf abzielt, ein möglichst leidfreies Leben zu führen?
Diese Frage stellt sich gerade angesichts unserer Neujahrswünsche: Wenn wir einander ein frohes neues Jahr wünschen, meinen wir oft ein Jahr, das für uns möglichst reibungslos verläuft, frei von Leid und Sorgen.
In dieser Predigt möchte ich darauf eingehen, dass Leid im christlichen Leben kein unerwünschter Kollateralschaden ist, der hin und wieder einige Unglückliche trifft. Nach der biblischen Perspektive nimmt das Leid vielmehr einen zentralen Platz im Leben derer ein, die das Evangelium ausleben wollen.
Paulus und das Leid
Für den Apostel Paulus steht und fällt das Evangelium mit dem Leid. Wir Christen betonen oft, dass das Evangelium mit bestimmten Lehren oder Auffassungen steht und fällt. Das ist nicht unbedingt falsch. Aber in diesem Abschnitt betont Paulus, dass das Evangelium mit dem Leid steht und fällt.
Um diesen Abschnitt zu verstehen, müssen wir uns den Hintergrund dieser Passage im zweiten Korintherbrief vor Augen führen. Paulus schreibt diesen Brief an die Gemeinde in Korinth aus einem bestimmten Anlass. Die Christen in Korinth hatten begonnen, Paulus‘ apostolischen Dienst abzulehnen. Paulus war ja als ein Mann bekannt, der viel Leid erduldet hatte – sei es durch Schiffbrüche, Schlangenbisse oder Steinigungen. Wir wissen aus der frühen Kirche außerdem, dass Paulus wahrscheinlich kein sehr ansehnlicher Mann war. Dazu hat es ihm wohl an einer gewissen Gewitztheit gemangelt, auch wenn er diesen Weg wohl um der Gemeinde willen bewusst gewählt hat.
Im Gegensatz dazu traten Männer in der Gemeinde auf, die von Paulus ironisch als „Superapostel“ bezeichnet werden. Diese waren rhetorisch begabt und scheinbar frei von solchen Leiden. Einige Korinther begannen daher zu zweifeln: Wenn Paulus wirklich von Gott gesandt worden wäre, warum leidet er dann so sehr? Vielleicht, so dachten sie, waren die „Superapostel“ ja die wahren Gesandten Gottes. Deshalb wandten sie sich (zumindest einige von ihnen) von Paulus ab.
Gegen die „Superapostel“
In den Kapiteln zwei bis vier des Briefes verteidigt sich Paulus gegen diese Vorwürfe. Er argumentiert, dass es sein unscheinbarer apostolischer Dienst war, der der Gemeinde in Korinth das Leben durch den Heiligen Geist gebracht hatte – und nicht der Dienst der „Superapostel“. Er führt dafür verschiedene Argumente an.
Zum Beispiel sagt er, dass diese „Superapostel“ wahrscheinlich Empfehlungsschreiben vorlegen mussten. Stellt euch vor, diese Superapostel waren wie Wanderprediger und hatten vielleicht Empfehlungsschreiben von anderen religiösen Gruppen oder christlichen Gemeinden dabei. Sie konnten daher argumentieren, dass andere bereits über sie gesagt hatten: „Schaut euch diese Menschen an, die uns wirklich näher zu Gott bringen können oder uns besondere geistliche Erfahrungen ermöglichen.“
Paulus hingegen braucht keine Empfehlungsschreiben: „Ihr, die korinthischen Christen, seid mein Empfehlungsschreiben. Denn der Heilige Geist wirkt unter euch. Ich brauche keine schriftlichen Empfehlungen, denn ihr seid mein lebendiges Zeugnis“ (s. 2Kor 3,1-3).
In diesen Kapiteln nimmt Paulus außerdem Mose als Beispiel. Er erklärt, dass damals Gott das Gesetz auf steinerne Tafeln geschrieben hatte, aber heute hat er durch seinen apostolischen Dienst in der korinthischen Gemeinde den neuen Bund in Jesus Christus auf die Herzen der Gemeinde geschrieben. Das ist sein Empfehlungsschreiben. Die Gemeinde selbst wird zum Empfehlungsschreiben des Apostels Paulus. Und Paulus sagt, dass seine einfache Verkündigung der Wahrheit von Jesus Christus den Heiligen Geist in diese Gemeinde gebracht hat – den Geist, der den Korinthern das Leben gegeben hatte.
Kurz gesagt: Es war Paulus‘ apostolischer Dienst, der die Korinther vom Tod zum Leben geführt hat. Genau das unterscheidet ihn von den „Superaposteln“.
„Superapostel“ heute?
Wie können wir aber heute diejenigen erkennen, die Jesus Christus predigen, statt sich selbst zu predigen, wie es die „Superapostel“ getan haben? Christen haben in der Vergangenheit verschiedene Kriterien dafür angeführt. Manche achten auf die Tradition, andere auf außergewöhnliche Wundertaten oder besondere geistliche Erfahrungen. Einige betonen Übereinstimmung mit bestimmten Lehren. Doch das Problem aller dieser Kriterien ist, dass sie nicht unbedingt zuverlässig sind. Es gibt Menschen mit richtiger Lehre, die dennoch dem Herrn Jesus nicht vertrauen. Jesus selbst sagte, dass es am Ende der Zeiten Wundertäter geben wird, die er nicht kennt (Mt 7,21-23). Der Beweis, den Paulus für die Wahrheit seines apostolischen Dienstes auf den Tisch legt, ist nichts weniger als das Wirken des Heiligen Geistes in der Gemeinde.
Für uns stellt sich die Frage: Führt unsere Predigt vom Tod zum Leben durch die Kraft des Heiligen Geistes in der Gemeinde? Erleben wir wirklich, dass Menschen zum Glauben an Jesus Christus kommen? Erleben wir, dass Menschen sich bemühen, ihre Sünden abzulegen, und dass Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi geschieht, wie Paulus es in diesem Brief beschreibt? Oder sind wir am Ende doch nur „Superapostel“, die sich selbst in den Mittelpunkt stellen?
Erkennen wir, dass Menschen von sexueller Unreinheit zur Reinheit, vom Hochmut zur Demut, von Gebetslosigkeit zum Gebet und von Angst zu Hoffnung gelangen? Ja, das Evangelium unter uns – nicht nur als Idee, sondern in der Kraft des Heiligen Geistes – das ist es, was Paulus hier anspricht.
Die Rolle des Leids
Nun stellt sich die Frage: Disqualifizieren die Leiden Paulus nicht für seinen apostolischen Dienst? Würden wir nicht erwarten, dass das Leiden dort weniger wird, wo Gott wirkt? Paulus antwortet auf genau diese Frage in unserem Abschnitt.
Man könnte ja erwarten, dass Paulus sein Leiden jetzt herunterspielt. Doch er tut das genaue Gegenteil. Paulus möchte den Korinthern zeigen, dass der wahre apostolische Dienst durch und durch vom Leiden geprägt ist, ja, dass das gar nicht anders sein kann.
Von daher lautet das Thema:
Das Evangelium steht und fällt mit dem Leid.
Dieser Gedanke wird in drei Schritten entfaltet.
Paulus zeigt erstens, dass das Leiden Gottes Wirken im Evangelium offenbart (Vers 7). Dann erklärt er zweitens, dass wir im Leiden einen wichtigen Aspekt des Evangeliums ausleben (Verse 8-11). Und schließlich zeigt er drittens, dass wir im Leiden das Evangelium für unseren Nächsten ausleben (Vers 12).
1. Das Leiden offenbart Gottes Wirken im Evangelium (Vers 7)
Paulus möchte den Korinthern zeigen, dass die Zerbrechlichkeit unseres Lebens kein Hindernis dafür ist, die Herrlichkeit Gottes im Evangelium sichtbar werden zu lassen. Im Gegenteil: Sie sollen begreifen, dass gerade durch unsere Zerbrechlichkeit die Herrlichkeit Gottes im Evangelium noch deutlicher hervortritt. Er nutzt dafür das Bild von irdenen Gefäßen: Wir aber haben diesen Schatz in irdenen Gefäßen. Damit meint er, dass die echten Apostel – und nicht die „Superapostel“ – diesen Schatz, das Evangelium, im übertragenen Sinn in Gefäßen aus Ton tragen.
Tönerne Gefäße
Was ist ein Gefäß aus Ton? Vor ein paar Jahren habe ich einen abgebrochenen Fuß einer Amphore am Strand auf Kreta gefunden. Amphoren waren das Verpackungsmaterial der Antike. Wenn man beispielsweise Wein, Öl oder Getreide verschiffen wollte, verpackte man es in solche großen Vasen, die man oben verschließen konnte. Der Strand, wo ich diese Tonscherbe gefunden habe, lag nahe an einem antiken Hafen. Erst dachte ich, dass dort Schiffe auf Grund gelaufen sein mussten und das Meer die Tonscherben an den Strand gespült habe. Später erfuhr ich jedoch, dass Amphoren Wegwerfmaterial waren. Man benutzte sie nur einmal, füllte sie mit Ware, verschiffte sie zum Zielort, entnahm die Ware und zerbrach sie anschließend. Amphoren waren die Einwegverpackungen der Antike. In Rom gibt es bis heute sogar einen richtigen „Berg“ in der Stadt, den Monte Testaccio, der allein deshalb existiert, weil dort hunderttausende, ja Millionen von Tonscherben zu einem Hügel aufgeschüttet wurden.
Wir haben diesen Schatz in irdenen Gefäßen. Solche Tonscherben hatte Paulus vor Augen, als er diesen Vers schrieb. Gott erwählt solche Gefäße – unser Leben ist wie so ein (Einweg-)Gefäß aus Ton –, um sein Evangelium in die Welt zu bringen. Und er tut das nicht trotz ihrer Zerbrechlichkeit, sondern gerade wegen ihrer Zerbrechlichkeit. Deshalb schreibt Paulus: damit die überragende Kraft von Gott sei und nicht von uns.
Scott Hafeman, der seine Doktorarbeit über diesen Abschnitt geschrieben hat, notiert hierzu: „Die Leiden des Paulus bieten nicht nur die Gelegenheit, dass Gottes Kraft sich zeigt; sie stellen sicher, dass diese Kraft als Gottes alleinige Kraft erkannt wird.“[1] Und das meint hier nicht zufälliges Leiden; Paulus geht davon aus, dass unser Leben im Kern wie ein irdenes Gefäß ist. Das bestimmt uns als Menschen: Wir leiden. Wir sind zerbrechliche irdene Gefäße. Unser Leben ist ganz wesentlich vom Leid geprägt. Diesen Umstand nutzt Gott, damit deutlich wird, dass die Kraft des Evangeliums nicht aus uns kommt, sondern von Gott allein.
Disqualifizierte Gefäße?
Hier ist nicht irgendeine Kraft gemeint, sondern die Kraft des Heiligen Geistes, die in der Gemeinde durch den Glauben an Jesus Christus Leben wirkt – die Kraft, die aus Toten Lebendige macht. Deshalb steht und fällt das Evangelium mit dem Leid, weil die Kraft des Evangeliums ohne Leid nicht erkennbar wird. Das Evangelium ist eine Botschaft von Schwachen für Schwache. Jesus sagt: Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu berufen, sondern Sünder zur Buße (Lk 5,32).
Nun stellt sich für uns die Frage, ob wir uns selbst als solche irdenen Gefäße sehen? Wollen wir uns so sehen? Oder meinen wir vielmehr, dass unser Leiden ein Hindernis für das Evangelium in unserem Leben ist?
Diese Art zu denken kann in zwei Richtungen gehen. Auf der einen Seite könnten wir meinen, dass unser Leiden uns für die Liebe Gottes disqualifiziert. Wir könnten denken, dass Gott uns nicht liebt, weil wir leiden. Aber Paulus sagt: Das Gegenteil ist der Fall. Leid ist ein Teil des Plans. Wir leiden, damit die Kraft Gottes erkennbar wird.
Auf der anderen Seite könnten wir denken, dass unser Leiden uns nach außen hin disqualifiziert, ein Zeugnis für das Evangelium zu sein. Wir könnten meinen, dass wir stark wirken müssen, um ein gutes Zeugnis für das Evangelium sein zu können. Aber ist es nicht eigentlich viel effektiver, wenn wir als schwache Menschen die Kraft des Evangeliums in unserem Leben bezeugen?
Ich muss an eine Frau in unserer Gemeinde denken, die schwer krebskrank ist. Da, wo ich normalerweise in unserer Gemeinde sitze, habe ich immer einen recht guten Blick auf sie. Wenn wir Lieder singen, in denen es darum geht, dass wir einst im Himmel Jesus sehen werden, dann sehe ich oft in ihrem Gesicht, mit wie viel Hoffnung und gleichzeitig mit wie viel Leid sie das singt. Sie erlebt, was es bedeutet, mitten im Tod zu leben. Das ist die Kraft des Evangeliums: Wir haben Hoffnung, dass unsere Sünden vergeben sind und wir einst in der Auferstehung der Toten bei Gott sein werden. Das Leid offenbart wirklich Gottes kraftvolles Wirken im Evangelium.
2. Im Leid leben wir das Evangelium aus (Verse 8-11)
Warum denkt Paulus, dass das Leid einen zentralen Platz im christlichen Leben hat? Wie kommt er zu dieser Auffassung? Wir finden die Erklärung in den nächsten Versen. Der Schlüssel zum Verständnis des gesamten Abschnitts sind eigentlich die Verse zehn und elf. Der Kerngedanke ist: Wir tragen das Sterben Jesu an unserem Körper, damit auch das Leben Jesu an unserem Körper offenbar werde. Wir tragen die Leiden Jesu an unserem Körper, damit auch das Leben Jesu an unserem Körper offenbar werde. Wir sehen hier das christliche Leben als ein Ausleben des Evangeliums vom Sterben Jesu, um Zeugnis für das Leben Jesu zu sein. Das christliche Leben ist ein Ausleben des Todes und der Auferstehung von Jesus Christus.
Zwei Lebensentwürfe
Aber was meint Paulus damit konkret?
Der Apostel stellt hier zwei verschiedene Lebensweisen oder Lebensauffassungen gegenüber. Da ist auf der einen Seite die Lebensauffassung der „Superapostel“, der einige Korinther verfallen sind. Und dem stellt er seine Lebensauffassung gegenüber, die er direkt auf den Herrn Jesus bezieht.
Was aber ist die Lebensauffassung der „Superapostel“? Sie glauben daran, dass wir jetzt das Leben schlechthin haben – und zwar ohne Tod: Wir leben jetzt, wir sterben später.
Die Lebensauffassung des Paulus auf der anderen Seite ist, dass wir jetzt den Tod an uns tragen, damit dadurch das Leben Jesu an uns offenbar werde. Diese beiden Lebensauffassungen stehen sich diametral gegenüber. Sie sind nicht miteinander vereinbar. Es wird deutlich, dass eine christliche Lebensauffassung nur eine solche sein kann, die das Evangelium von Jesus auslebt: das Sterben von Jesus am eigenen Körper zu tragen, damit auch das Leben Jesu sichtbar wird.
Wie Jesus – so auch wir
Paulus sagt in Vers 10: Wir tragen das Sterben Jesu an unserem Leib. Ich glaube nicht, dass Paulus das hier nur als Beispiel oder Analogie meint. Es bedeutet, dass wir mit den Leiden Christi tatsächliche Gemeinschaft haben. Und genau das ist die Antwort auf die Frage, warum das Leid einen solch zentralen Platz im christlichen Leben einnimmt: Das christliche Leben ist ein Ausleben des Evangeliums vom Sterben und der Auferstehung von Jesus Christus. Das Evangelium steht und fällt mit dem Leid. Ohne die Leiden Jesu gäbe es keine Auferstehung. Ohne das apostolische Leiden von Paulus für die Gemeinde gäbe es keine Gemeinde. Nur dadurch, dass Paulus all dieses Leiden auf sich genommen hat, konnte er das Evangelium predigen und die Kraft des Geistes konnte bei den Korinthern wirken. Ohne christliches Leid gibt es eben auch kein Ausleben des Evangeliums in unserem Leben.
Auch für mich?
Jetzt könnte man natürlich fragen: Trifft das auch auf uns zu, oder spricht Paulus hier vielleicht nur über sich selbst und seinen apostolischen Dienst? Hat das überhaupt Relevanz für mein Leben?
Paulus schreibt einen ganz ähnlichen Abschnitt im ersten Korintherbrief, ebenfalls im vierten Kapitel. Am Ende dieses Abschnitts sagt Paulus ganz klar: Werdet meine Nachahmer! (1Kor 4,16) Paulus geht davon aus, dass sein Ausleben des Evangeliums nicht nur auf ihn zutrifft, sondern auch auf die korinthischen Christen und damit auch auf uns. Paulus ruft uns auf, zusammen mit den Christen in Korinth vor 2000 Jahren, einen neuen Blick auf unser Leid zu bekommen.
Auf der einen Seite gibt es die Lebensgeschichte der „Superapostel“, die Lebensgeschichte, die die Welt für uns schreibt. Diese Lebensgeschichte besagt, dass wir jetzt leben sollen und Leid und Tod auf jede erdenkliche Weise vermeiden müssen. Damit verbunden ist die Vorstellung, dass ein gutes, vollwertiges, und komplettes Leben ein möglichst leidfreies Leben ist.
Leidvermeidung um jeden Preis
In der Vergangenheit haben Menschen immer wieder versucht, ein solches leidfreies Leben zu erzeugen. Wir müssen nur an den Kapitalismus denken: Uns wird gesagt: Wenn wir nur etwas Bestimmtes kaufen, dann haben wir ein besonders erfülltes Leben, das unsere Bedürfnisse abdecken kann. Im Kommunismus hat man versucht, alles Leid loszuwerden, indem man alle Menschen gleichmacht. Ein weiteres Beispiel ist die Sterbehilfe, die versucht, auch dem Tod noch das Leid zu nehmen. Menschen haben sich immer bemüht, dem Leid so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen.
Aber Leidvermeidung kann auch unscheinbarer aussehen. Ich denke hier ganz besonders an die Idee des Strebens nach Glückseligkeit aus der Aufklärung. In der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung steht beispielsweise ganz am Anfang, dass man das Recht hat, nach Glückseligkeit zu streben. Damit ist gemeint, dass wir ein ruhiges, ein gutes Leben führen können. Das ist zwar an sich kein schlechter Gedanke, aber er ist in unserer Gesellschaft ein Stück weit zum Selbstläufer geworden. Wir stellen uns jetzt oft vor, dass ein gutes Leben ein ruhiges, schönes Leben in einem schönen Haus mit angemessenem Wohlstand ist. Doch das Streben nach Glückseligkeit ist eben auch häufig nur Teil der Vorstellung, dass wir jetzt leben und eben später sterben.
Eine neue Perspektive
Und dann gibt es auf der anderen Seite die Lebensgeschichte, die das Evangelium für uns schreibt. Und das ist eben die Geschichte, dass wir das Sterben Jesu jetzt an unserem Körper tragen, damit auch die Auferstehung Jesu an unserem Körper deutlich wird. Und genau diese Lebensgeschichte gibt uns eine neue Perspektive auf unser Leid. Wir müssen dem Leid nicht um jeden Preis entgehen, sondern können es als Teil unseres Lebens annehmen – eines Lebens, das dem Evangelium entspricht. Gleichzeitig lehrt diese Lebensgeschichte uns, dass unsere Erfahrung der Auferstehungskraft im Hier und Jetzt untrennbar mit dem Leid verbunden ist. Wir haben Gemeinschaft mit Jesu Auferstehung, wir haben aber auch Gemeinschaft mit Jesu Leiden. Auch dafür können wir Beispiele nennen.
Wenn Menschen in der Gemeinde Sünden oder Abhängigkeiten bekennen und offenlegen, dann tut das zwar weh, aber dadurch entsteht auch Leben, Bekehrung, Bekenntnis. Das Offenlegen von Sünde und Abhängigkeiten kann dazu führen, dass Heilung geschieht. Viele von euch kennen es sicher, dass man Gottes Züchtigung in seinem Leben erfährt, wenn man für Heiligung betet. Auch wenn Heiligung oft weh tut, führt sie dennoch zu wahrem Leben. Jesus selbst ist das größte Vorbild für ein Leben, das dem Evangelium entspricht: Er starb für uns und wurde dann von Gott wieder auferweckt.
Leidensbereit?
Aber das Leiden kann auch unscheinbarer aussehen. Es kann bedeuten, dass wir persönliche Opfer bringen, wenn wir beispielsweise weniger Geld für uns selbst haben, um mehr für die Gemeinde oder andere christliche Werke zu geben. Es kann bedeuten, dass wir bereit sind, Unannehmlichkeiten auf uns zu nehmen, um dem Evangelium treu zu bleiben; wenn wir z.B. einen längeren Schulweg für unsere Kinder in Kauf nehmen, um sie in eine christliche Schule schicken zu können. In solchen Momenten verdrängen wir das Leid nicht einfach aus unsrem Leben, sondern nehmen es in Kauf, um echtes Leben zu erlangen.
Liebe Gemeinde, wir sind hier vor eine Entscheidung gestellt. Wir müssen entscheiden, nach welchem Bauplan wir unser Leben gestalten wollen: dem Bauplan der Welt oder dem Bauplan des Evangeliums. Geben wir uns der Vorstellung hin, dass ein einfaches, möglichst komfortables und leidfreies Leben das gute Leben ist?
Oder folgen wir dem Vorbild von Jesus und von Paulus und leben ein Leben, das das Leid nicht einfach verdrängt, sondern es als Gottes Weg annimmt, damit das Leben der Auferstehung bereits jetzt mächtig in uns wirken kann?
Leben wir erkennbar entsprechend dem Evangelium oder sind wir im Kern unseres Lebensentwurfes am Ende doch nicht anders als unsere nichtchristlichen Nachbarn? Haben wir am Ende doch nur einen christlichen Zuckerguss über den Lebensentwurf der Welt gegossen? Sind wir angesehen oder sind wir anstößig? Sind wir wie die „Superapostel“ oder sind wir wie Paulus, der durch sein Leid zum Anstoß wurde – und das um der Gemeinde willen? Und noch viel wichtiger ist die Frage: Sind wir bereit, den Tod von Jesus an unserem Körper zu tragen, damit die Auferstehungskraft auch in uns mächtig wird?
Das führt mich zu meinem letzten Punkt, dass wir im Leid das Evangelium für den anderen ausleben.
3. Im Leid leben wir das Evangelium für unseren Nächsten aus (Vers 12)
Paulus bricht in Vers 12 überraschend das Muster auf, das er vorher in den Versen 8-11 gebraucht hat. Dort schreibt er nämlich immer über „wir“ und „uns“. Jetzt kommt auf einmal dieses „euch“: So ist also der Tod wirksam in uns, das Leben aber in euch. Paulus geht davon aus, dass er um der Gemeinde willen an den Leiden Christi Anteil hat. In Kolosser 1,24 schreibt er ganz ähnlich: Jetzt freue ich mich in meinen Leiden, die ich um euretwillen erleide, und ich erfülle meinerseits in meinem Fleisch, was noch an Bedrängnissen des Christus aussteht, um seines Leibes willen, welcher die Gemeinde ist.
Dass Paulus um der Gemeinde willen leidet, klingt ironisch. Die Korinther haben ausgerechnet das verachtet, was ihnen das Leben gebracht hat. Die Leiden des Paulus waren die Quelle ihres neuen Lebens.
Leiden als Privatsache?
In unserer Kultur lernen wir oft, dass jeder für sich selbst leidet. Leiden ist Privatsache. Man leidet zwar, aber man erzählt es niemandem. Leiden ist etwas, was wir möglichst nicht sehen wollen. Im Lebensentwurf des Evangeliums ist es jedoch genau umgekehrt. Unser Leid als Christen kann die Kraft haben, in anderen das Leben zu erwirken. Das kann entweder dadurch sein, dass wir direkt für das Evangelium leiden (so wie Paulus). Das passiert, wenn wir Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen, um dem Evangelium treu leben zu können. Das kann aber auch indirekt sein, wenn wir durch die Art und Weise, wie wir mit Leid umgehen, ein Zeugnis für Christus sind.
Leid ist nicht bloß Privatsache. Leid war auch für Paulus keine Privatsache. Wir können, dürfen, und müssen es gebrauchen, um ein Zeugnis für das Evangelium zu sein. Wir tragen das Sterben Jesu an unserem Körper, damit (und das ist der Schlüssel hier) das Leben Jesu auch offenbar wird an unserem Körper.
Was steht unterm Strich?
Paulus zeigt uns in diesem Abschnitt auf, dass das Leid im christlichen Leben keine unglückliche Nebensache ist. Es ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Daseins, wenn wir das Evangelium vom Sterben und der Auferstehung Jesu ausleben wollen. Und von daher haben wir den Auftrag, vor der Lüge der Welt zu fliehen – nämlich die Lüge, dass wir jetzt leben würden und möglichst nur später den Tod erleben müssen. Die Wahrheit ist, dass wir zwar das Sterben Jesu an unserem Körper tragen, aber auch die Kraft seiner Auferstehung bereits jetzt – und vor allem später – an unserem Körper erfahren dürfen.
Wenn wir das verstehen, dann kann das große Segnungen für unser Leben bedeuten: Zum einen macht es uns bereitwilliger, für das Evangelium zu leiden. Es ist schwierig, in unserer Kultur und Welt für das Evangelium einzustehen und Leiden auf sich zu nehmen, um Gott treu zu bleiben. Aber wenn wir verstehen, dass Leiden einen Platz im christlichen Leben hat, dann hilft uns das, bereitwilliger für das Evangelium einzustehen.
Es bedeutet auch, dass wir das Problem des Leidens besser verstehen können. Oft fragen Menschen, wo Gott im Leiden ist und wie er gerecht sein kann, wenn wir leiden. Aber wenn wir verstehen, dass unser Leiden Teil davon ist, dass wir die Auferstehungskraft Jesu an unserem Körper tragen, dann nimmt das dem Leiden den Stachel in unserem Leben.
Und schließlich gibt uns das Hoffnung, dass unser Leiden – für uns und andere – Leben bewirken kann, wenn wir für das Evangelium Zeugnis ablegen. Wenn wir unseren Lebensentwurf nicht von der Welt bestimmen lassen, sondern von der Art und Weise, wie Paulus es uns hier zeigt, dann haben wir das Leiden an seinem richtigen Platz in unserer Lebensgeschichte eingeordnet.
Amen.
Dr. Mario Tafferner ist Dozent für Altes Testament am Tyndale Theological Seminary in Badhoevedorp in den Niederlanden. Er ist verheiratet mit Elsbeth und Vater von drei Kindern.
[1] Hafemann, Scott: Suffering and Ministry in the Spirit: Paul’s Defense of his Ministry in II Corinthians 2:14-3:3. Grand Rapids [Eerdmans] 1990, S. 65.