Eine Stellungnahme zu Ideen, wie sie im Rahmen der Vineyardbewegung verbreitet werden.
1. Zur Vorgeschichte der Vineyardbewegung
Es ist in diesem Jahr genau 100 Jahre her, dass die Pfingstbewegung aus Amerika über Norwegen nach Deutschland kam. Die Kernbotschaft, mit der die Pfingstbewegung damals auftrat, war folgende: Die Rechtfertigung allein aus Gnaden mittels des Glaubens genügt nicht. Ein Christ benötigt darüber hinaus noch einen zweiten Segen, eine Kraftausrüstung zur Nachfolge und zum Dienst, die sogenannte Taufe mit dem Heiligen Geist (Geistestaufe). Als empirischer Beleg dafür, dass jemand den „zweiten Segen“ empfangen hat, galt das Reden in Zungen. Auch auf die Gabe der Prophetie wurde seiner Zeit Wert gelegt, jedoch hatte sie nicht die Bedeutung des Zungenredens. [1]
Ende der fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts brach dann, gewissermaßen als zweite Welle, die Charismatische Bewegung auf. Sie war sich insofern mit der Pfingstbewegung einig, als auch sie als zentrales Thema die sogenannte Geistestaufe hatte. Als Erweis dieser zweiten Erfahrung fungierte ebenfalls das Zungenreden.
Die Charismatische Bewegung unterschied sich von der klassischen Pfingstbewegung vor allem darin, dass sich letztere in eigenständigen Gemeinden konstituierte, während die Charismatische Bewegung nicht (primär) das Ziel verfolgte, selbstständige charismatische Gemeinden zu gründen. Ihr Ziel war es, die charismatischen Erfahrungen so weit wie möglich in den unterschiedlichsten Kirchen und Kirchengemeinschaften zu verbreiten. Dabei machte sie keinen Unterschied zwischen evangelischen oder römisch-katholischen Gemeinden. Die Bemühung, sich von dieser Bewegung abzugrenzen, wurde häufig als ein Verstoß gegen das Liebesgebot Jesu verurteilt, zumal der gemeinsame Nenner ohnehin nicht eine gemeinsame inhaltlich umrissene Glaubensüberzeugung war, sondern eine gemeinsame „charismatische“ Erfahrung.
2. Die Vineyardbewegung
2.1 Zur Geschichte der Vineyardbewegung
Anfang der 80er Jahre schien die Charismatische Bewegung mit ihrem religiösen Erfahrungs- und Erlebnischristentum ihren Höhepunkt überschritten zu haben. Manche begannen bereits von einer „nach-charismatischen Zeit“ zu sprechen. Aber genau in dieser Zeit, in der die „Welle“ der Charismatischen Bewegung an Dynamik einbüßte, setzte das ein, was man wenig später als „Dritte Welle des Heiligen Geistes“ bezeichnen wird.
Eng verbunden ist dieser Aufbruch mit den Namen zweier Männer aus den USA: Zum einen ist es C. Peter Wagner und zum anderen John Wimber.
Peter Wagner stand zunächst 16 Jahre im Missionsdienst in Bolivien, als er im Jahr 1967 Donald McGavran, den Gründer der Fuller School of World Mission, kennenlernte. Dieser Professor für Mission am Fuller Theological Seminary, er wird gern als der „Vater der Gemeindewachstumsbewegung“ bezeichnet, berief ihn zu seinem Mitarbeiter. Im Rückblick auf seinen Missionsdienst äußerte Wagner, dass er sich nicht an eine einzige Situation habe erinnern können, in der die Kraft des Heiligen Geistes durch ihn „hindurchgeflossen sei, um Kranke zu heilen oder Dämonen auszutreiben“. [2] Erst, nachdem er angefangen hätte, sich mit Gedankengut der Gemeindewachstumsbewegung zu beschäftigen, habe sich seine Einstellung zu den charismatischen Praktiken geändert, sodass er seine „anticharismatischen Vorurteile“ aufgegeben habe. [3]
Im Jahr 1975 begegnete er John Wimber. Wimber hatte ursprünglich eine Musikerkarriere eingeschlagen (Jazz und Rock’n’Roll), sich dann dem römischen Katholizismus zugewandt und hatte im Anschluss daran eine Gemeinde der Quäker übernommen, bis er sich schließlich, beeinflusst durch seine Frau, der Charismatischen Bewegung angeschlossen hatte. Wagner berichtet, er habe nicht nur die Begabung Wimbers als Leiter und Berater für Gemeindeaufbau erkannt, sondern er konnte ihn auch überreden, seine Quäkergemeinde zu verlassen und Mitarbeiter am neu aufgebauten Fuller Institute of Evangelism and Church Growth zu werden. Nach zwei Jahren gab Wimber diese Tätigkeit zwar wieder auf, um die Vineyard Christian Fellowship in Anaheim (Kalifornien) zu gründen (1977) und als ihr erster Pastor zu leiten. Aber durch die Zeit am Fuller Institute empfing er aus der Gemeindewachstumsbewegung entscheidende Impulse, zumal er dort eng mit Donald McGavran zusammenarbeitete.
2.2 Einiges zu Zielen, Lehren und Methoden der Vineyardbewegung
Das Ziel der Vineyardbewegung lässt sich aus folgendem Zitat Wimbers entnehmen:
Das Gesicht der evangelikalen Gruppen und Gemeinden ist dabei, sich zu verändern, und es verändert sich schnell. Fundamentalisten und konservative Evangelikale, die nicht-charismatisch sind, können es sich nicht mehr leisten, die beiden ersten Wellen des Heiligen Geistes in diesem Jahrhundert zu ignorieren … Die meisten Fundamentalisten, wenn auch nicht alle, stehen außerhalb der beiden ersten großen Wellen des Heiligen Geistes und halten an einer fünfzig Jahre alten Kritik über pfingstliche Exzesse fest. Ich glaube, dass viele in ihrer Opposition gegen Pfingstler und Charismatiker um so lauter werden, je stärker das Wirken des Heiligen Geistes um sie herum anwächst. Einige werden jedoch auch gesalbt und umgewandelt werden.
Wimbers [4]
Die Vineyardorganisation hat demnach vor allem diejenigen im Auge, die bisher von keiner „Welle“ erfasst worden sind, bzw. die bisher den ersten beiden Wellen, also der Pfingstbewegung sowie der Charismatischen Bewegung, Widerstand entgegengebracht haben, also die „konservativen, nicht-charismatischen“ Gemeinden. [5]
Bezeichnenderweise lehnt man es in dieser Bewegung nachdrücklich ab, sich selbst als „pfingstlerisch“ oder als „charismatisch“ zu bezeichnen. Vielmehr will die Vineyardorganisation eine Erneuerungs- und Gemeindegründungsbewegung sein, in der die Gaben des Heiligen Geistes praktiziert werden. Wimber verzichtet ausdrücklich auf die Verwendung des Begriffs der „Geistestaufe“, weil dieser immer in Verbindung mit dem Zungenreden gebracht werde.
Ohnehin ist ein entscheidendes Ziel der Bewegung, alles Uneinigkeit schaffende zu vermeiden. C. Peter Wagner nennt als besonderes Merkmal im Unterschied zu den beiden ersten Wellen „das Fehlen von Uneinigkeit schaffenden Elementen“. Wimber ist gerade von diesem Aspekt begeistert. Seine „höchste Priorität“ sei „der Wunsch nach Frieden und Einheit im Leib Christi“. Es überrascht wenig, wenn in Wimbers Büchern kaum ein Wort der Abgrenzung zu finden ist, sondern wenn er als kirchengeschichtliche Kronzeugen für seine Methoden sowohl Papst Gregor I., Tertullian (Montanist), Ignatius von Loyola (Gründer der Jesuiten) als auch die Wunderheilungen in Lourdes heranzieht. [6]
Wesentliches Merkmal des Auftretens der Vineyardbewegung ist die sogenannte Power-evangelism. Darunter versteht er eine Darstellung des Evangeliums, in der die Verkündigung mit Zeichen und Wundern als „Visitenkarten des Reiches Gottes“ verknüpft ist, so wie es zur Zeit der Apostelgeschichte war. [7] Namentlich Krankenheilungen stehen hier zentral. [8] Krankheit wird als eine Auswirkung und Folge der Sünde betrachtet und gilt daher in ihrem Ursprung als böse, als „ein Zeichen der Herrschaft Satans“. [9] Allerdings will Wimber im Gegensatz zu anderen Heilungsevangelisten, wie Oral Roberts, K. Hagin und Kenneth Copeland, auch Ausnahmen gelten lassen: „Es gibt auch Krankheiten, die nicht durch Sünde zu erklären sind.“ [10]
Ein weiteres wichtiges Phänomen bei Wimber ist das „Wort der Erkenntnis“. Während eines Fluges erblickte er einen Mann mittleren Alters:
„Als meine Augen gerade zufällig in seine Richtung blickten, sah ich etwas, was mich aufschrecken ließ. In sehr klaren, deutlichen Buchstaben glaubte ich das Wort ,Ehebruch’ über sein Gesicht geschrieben zu sehen. Ich blinzelte, rieb mir die Augen und sah nochmals hin. Es stand noch da! ,Ehebruch’. Ich sah es – nicht mit meinen natürlichen Augen, sondern vor meinem geistigen Auge … Es war der Geist Gottes, der mir dies offenbarte.“ [11]
„Worte der Erkenntnis“ spielen auch in Wimbers Heilungsdienst eine wichtige Rolle. Manchmal sieht er über einigen Menschen „leuchtende Lichtkegel“, die ihm anzeigen, welche Personen geheilt werden sollen, oder er spürt an seinem Körper Schmerzen, die ihm deutlich machen, welche Krankheiten bei anderen geheilt wer- den sollen. Häufig werden derartige Phänomene, die man gemeinhin als Hellsehen bezeichnet und eher dem Okkultismus zuordnet, innerhalb der Vineyardbewegung als Prophetie bezeichnet. Die Begrifflichkeit erscheint bei Wimber recht variabel.
2.3 Wayne Grudem – einige biographische Daten
In seiner Terminologie wesentlich eindeutiger ist der baptistische Theologe Wayne Grudem. Er steht nicht nur der Vineyardbewegung sehr nahe, sondern galt in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts als einer der energischsten Verfechter in den USA für die Einheit charismatischer, evangelikaler und reformierter Christen und Gemeinden. [12]
Seine Sichtweise über Prophetie hat der Verfasser zuerst in seiner Dissertation dargelegt: The Gift of Prophecy in 1 Corinthians. [13] Wenige Jahre später erschien sie in überarbeiteter und sukzessiv ergänzter Form in mehreren Auflagen unter dem Titel: The Gift of Prophecy in the New Testament and Today. [14]
Nicht nur in der Vineyardbewegung beruft man sich auf dieses Buch. Auch im aka- demischen Bereich hat diese Arbeit zur Prophetie viel Zustimmung gefunden. [15] So hat es den Anschein, dass Grudems Darlegungen als Brücke zwischen Nichtcharismatikern und Charismatikern fungiert.
3. Das Verständnis Grudems über Prophetie in der neutestamentlichen Kirche
3.1 Zweifache Prophetie
Die Kernthese Grudems zur Prophetie im Neuen Testament lautet: Man müsse bei den prophetischen Äußerungen zwei Arten unterscheiden. Zum einen kenne die neutestamentliche Gemeinde die „autoritative Prophetie“, zum anderen die „Gemeinde-Prophetie“.
Die erstgenannte Form der Prophetie entspreche dem, was man im Alten Testament darunter verstand: Die Propheten des Alten Testamentes waren Gottes Boten (2. Kön. 20,4-6; Hag. 1,13; Jer. 28,9). Ihre Worte waren Worte Gottes (Ex. 4,12; Num. 22,38; Deut. 18,18; Hes. 2,7). Diese Form der Prophetie sei mit der Fertigstellung des Kanons der Heiligen Schrift zum Abschluss gekommen. [16]
Daneben, so Grudem, begegne im Neuen Testament eine Form von Prophetie, die man als „Gemeindeprophetie“ bezeichnen könne. Diese könne nicht die Autorität der Worte des Herrn für sich in Anspruch nehmen. Sie komme nicht direkt von Gott, sie dürfe nicht mit göttlicher Inspiration gleichgesetzt werden, sondern hier gebe der Heilige Geist in den menschlichen Verstand einen „pneumatischen Impuls“, eine „spontan auftretende Erleuchtung“. Derartige „Impulse“ könnten von den Empfängern unvollkommen oder gar falsch verstanden und wiedergegeben werden. Diese Prophetie sei in ihrem Wesen nicht göttlich, sondern menschlich. Gleichwohl sei sie nützlich, weil sie vielfach unmittelbar in die Nöte der Menschen hineinspreche. Sie diene zur Auferbauung, Ermahnung und Tröstung (1 Kor. 14,3), sodass die Betroffenen realisieren würden, Gott ist unter euch (1 Kor. 14,25). [17]
3.2 Apostel anstatt Prophet
Für die autoritative Form der Prophetie stehe im Neuen Testament das letzte Buch der Bibel. Die Offenbarung hat göttliche Autorität (Offb. 22,18-19), sie hat für die gesamte Kirche Geltung. [18]
Allerdings müsse, so Grudem, beachtet werden, dass das letzte Buch der Bibel nicht durch einen „normalen“ Christen empfangen und niedergeschrieben worden sei, sondern von einem Apostel. Dieser Umstand weise darauf hin, dass im Neuen Testament die autoritative Form der Prophetie auf die Apostel übergegangen sei: Es seien die Apostel, die vom Geist Gottes inspiriert wurden. Sie waren es, die das Evangelium empfangen und autoritativ weitergegeben haben. [19]
Die Aussagen in Eph. 2,20 und 3,5, in denen von Aposteln und Propheten die Rede ist, seien so zu verstehen, dass hier „Apostel und Propheten“ dieselbe Gruppe bildeten. [20] Dieses erkenne man daran, so Grudem, dass an beiden Stellen bei „Propheten“ der Artikel weggelassen worden sei. Von daher könne man sinngemäß übersetzen: die Apostel, die auch Propheten waren. Wenn der Apostel hier zwei zu unterscheidende Gruppen im Auge gehabt hätte, hätte er den Artikel zweimal verwendet. Zur Begründung weist er hin auf: 1 Kor. 3,8; 8,6; vergleiche Eph. 3,10.
Wenn man erfassen wolle, was gewöhnlich die Gabe der Prophetie in der neutestamentlichen Kirche gewesen sei, dürfe man, so Grudem, nicht auf das Buch der Offenbarung zurückgreifen. Im Neuen Testament gebe es sonst kaum Hinweise auf Propheten, die mit „absoluter göttlicher Autorität“ gesprochen hätten. Wenn Paulus in Röm. 16,26 von „prophetischen Schriften“ spreche, denke er an das Alte Testament. [21]
Die Frage, ob es das Amt eines Propheten überhaupt gegeben habe, will Grudem offenlassen. Aber das Problem erscheint ihm auch nicht so wichtig. Selbst wenn es ein solches Amt gab, seien bekanntlich alle ermutigt worden, zu prophetieren (1 Kor. 14,1.5.39). Folglich sei als Prophet jeder anzusehen, der die Fähigkeit dazu habe.
3.3 „Gemeindeprophetie“ in der Apostelgeschichte
Die relativ geringe Autorität der üblichen neutestamentlichen Prophetie geht für Grudem aus den Berichten in der Apostelgeschichte hervor:
- In Apg. 11,28 bezeichnet der Prophet Agabus eine Hungersnot. Das Wort „bezeichnen“ weise auf eine „lockere Beziehung zwischen Heiligem Geist und dem Prophet“ hin. [22]
- In Apg. 21,4 wird von einer Prophetie berichtet, der Paulus ungehorsam gewesen sei. Also könne das dort Gesprochene nicht in göttlicher Autorität erfolgt sein. [23]
- In Apg. 21,9 liest man, dass die Töchter des Philippus prophetierten. Der Umstand, dass Frauen prophetierten, beweise, dass diese Prophetie keine hohe Be- deutung gehabt habe. [24]
- Agabus habe sogar eine Prophezeiung ausgesprochen, in der zwei Fehler ent- halten seien (Apg. 21,10-11): Erstens seien es nicht die Juden gewesen, die Pau- lus gebunden hätten, sondern die Römer (siehe: Apg. 21,31-33); zweitens sei Paulus nicht in die Hände der Heiden ausgeliefert worden, sondern die Heiden hätten den Apostel mit Gewalt von den Juden gerettet (Apg. 21,26-33.35). Eine nicht korrekte Prophetie könne nicht direkt vom Heiligen Geist eingegeben sein. [25]
3.4 „Gemeindeprophetie“ im 1. Korintherbrief
Vor allem aber bezieht Grudem seine Argumentation für eine nicht autoritative Prophetentätigkeit aus dem 1. Korintherbrief. [26] Für seine These führt er hauptsächlich folgende Argumente an:
- Der Umstand, dass Frauen, denen ausdrücklich das Leiten und das Lehren untersagt worden sei, in der Gemeindeversammlung prophetieren durften (1 Kor. 11,5), zeige, dass es sich nicht um eine autoritative Form von Prophetie handeln könne. [27]
- Die Aussage in 1 Kor. 12,28 [Gott hat etliche in der Gemeinde eingesetzt: erstens Apostel, zweitens Propheten …] mache deutlich, dass das, was ein Prophet verkündet, rangmäßig unter dem steht, was ein Apostel lehre. [28]
- Die Anweisung, eine Prophetie zu prüfen (1 Kor. 14,29), setze voraus, dass die Äußerungen eines Propheten irrtumsfähig gewesen seien. Der für Prüfen verwendete Terminus komme unter anderem in dem Bedeutungszusammenhang des Schüttelns von Weizen und des Trennens zwischen reinen und unreinen Tieren vor. [29]
- Das Nichtautoritative der Prophetie in Korinth gehe ferner aus 1 Kor. 14,30 hervor: Ein Prophet, der gerade dabei ist, seine Botschaft zu verkündigen, soll schweigen, wenn einem anderen eine Offenbarung wird. Das bedeute, so Grudem, die Prophetie des ersteren könne verloren gehen, sie brauche nicht beachtet zu werden.
Wenn in diesem Zusammenhang von „Offenbarung“ die Rede sei, sei nicht an göttliche Inspiration gedacht, sondern an Illumination: Durch eine Aktivität des Heiligen Geistes bringe Gott etwas in den Verstand, das so gewaltsam über den Betreffenden komme, „irgendwie ekstatisch“, dass dem Propheten spontan bewusst werde, dass Gott dieses in ihm verursacht habe. [30] Eine derartige „Offenbarung“ sei zwar Voraussetzung, um von Prophetie sprechen zu können, [31] aber es handele sich dabei nicht um autoritative Offenbarung. Ohnehin würden die griechischen Begriffe für „offenbaren“ bzw. „Offenbarung“ in der Bibel keineswegs immer im Zusammenhang mit göttlicher Autorität begegnen. Dazu weist Grudem hin auf: Röm. 1,18; Phil. 3,15; Eph. 1,17.
Eher sei bei „Offenbarung“ in 1 Kor. 14,30 an den in 1 Kor. 13,8-10 verwendeten Begriff des Spiegels zu denken: Ein Spiegel weise auf Unvollkommenheit und Indirektheit hin. Damit deute der Apostel das Unvollkommene, Fragmentarische und Vorübergehende von „Gemeindeprophetie“ an. Außerdem verstehe ein Prophet nicht immer völlig das, was ihm geoffenbart worden sei. Gelegentlich könne er noch nicht einmal sicher sein, ob er überhaupt eine Offenbarung empfangen habe. [32]
- Dass Propheten nicht mit derselben Autorität wie Apostel ihre Botschaft verkünden, sieht Grudem in 1 Kor. 14,37-38 belegt: Paulus stelle klar, wenn jemand, der ein Prophet zu sein beansprucht, ihm, dem Apostel, ungehorsam sei, er dem Herrn selbst ungehorsam ist. Umgekehrt hätten Propheten niemals die Autorität, die Worte eines Apostels in Frage zu stellen. [33]
4.5 Ziel der Argumentation Grudems
Fragt man nach dem Ziel, das Grudem mit seiner Unterscheidung zwischen zwei unterschiedlichen Arten der Prophetie verfolgt, ist zu antworten: Auf diese Weise kann er einerseits betonen, dass der Kanon der Heiligen Schrift abgeschlossen ist, sodass Prophetie im Sinn göttlicher Autorität aufgehört hat. Andererseits ist es ihm möglich, festzuhalten, dass es bis zum heutigen Tag noch (eine Form von) Prophetie gibt. [34]
In der folgenden Ausgabe wollen wir uns mit dieser Gedankenführung ausein- andersetzen und sie anhand der Heiligen Schrift prüfen.
[1]: Dieses macht sowohl die Berliner Erklärung vom September 1909 deutlich als auch die darauf vonseiten der Pfingstler verfasste Mühlheimer Erklärung.
[2]: J. Wimber/ K. Springer, Die Dritte Welle des Heiligen Geistes. Hochheim [Projektion J Verlag] 1988, S. 47.
[3]: Dieses „forced him to recognize Pentecostalism as a driving force in much of the growth of the third world.”
[4]: J. Wimber/ K. Springer, Die Dritte Welle, S. 28-29.
[5]: Wolfram Kopfermann, der John Wimber als „eine Leitfigur innerhalb der Christenheit des Westens“ bezeichnete, beschrieb aus seiner Sicht die Bedeutung Wimbers mit folgenden Sätzen: „In seiner Person begegnen sich drei für die Zukunft des Protestantismus wichtige Ströme: die evangelikale Bewegung, von der Wimber herkommt und der er sich weiter zurechnet; die Gemeindewachstumsbewegung, zu deren begabtesten Repräsentanten in den USA er bis heute gerechnet wird, und die Heilig-Geist-Bewegung des 20. Jahrhunderts, in deren vorderster Reihe er seinen Dienst tut. So könnte er für viele zu einer integrierenden Gestalt werden. J. Wimber/ K. Springer, Vollmächtige Evangelisation. a.a.O., S. 8.10.
[6]: Zitiert nach: W. Bühne, Spiel mit dem Feuer. Bielefeld [Christliche Literaturverbreitung] 3. Auflage 1993, S. 115.
[7]: J. Wimber/ K. Springer, Vollmächtige Evangelisation., a.a.O., S. 108.
[8]: Gott habe, so ist Wimber überzeugt, ihm gesagt: „… die Christen sind genauso dazu berufen, die Kranken zu heilen, wie sie dazu berufen sind, zu evangelisieren“. J. Wimber/ K. Springer, Heilung in der Kraft des Geistes. a.a.O., S. 58.
[9]: Siehe dazu: J. Wimber/ K. Springer: Heilung in der Kraft des Geistes, a.a.O., S. 48. ebd.. S. 11; J. Wimber/ K. Springer: Vollmächtige Evangelisation. a.a.O., S. 100.
[10]: J. Wimber/K. Springer, Heilung in der Kraft des Geistes, a.a.O., S. 51.
[11]: J. Wimber/K. Springer: Vollmächtige Evangelisation. a.a.O., S. 43.
[12]: Im Jahr 1999 wurde W. Grudem President of the Evangelical Theological Society. Er war Mitgründer und Präsident des Council on Biblical Manhood and Womanhood; er wirkte mit im Komitee, das die English Standard Version überarbeitete. Zwanzig Jahre lang lehrte er an der Trinity Evangelical Divinity School in Deerfield/ IL., an der er Leiter der Sektion für Biblische und Systematische Theologie war. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Beitrags ist er Professor of Bible and Theology am Phoenix Seminary in Phoenix/ AZ.
[13]: Die Dissertation wurde veröffentlich in: Washington/ DC [University Press of America] 1982.
[14]: Die erste Auflage erschien im Jahr 1988. Im Folgenden verwende ich die „revised edition“. Wheaton/ IL [Crossway Books] 2000.
[15]: Führende evangelikale Theologen des englischsprachigen Raums, wie J. I. Packer, Vern S. Poythress, Charles L. Holman, L. Russ Bush, Stanley Norton, H. Wayne House, and F.F. Bruce urteilten über sie (weitgehend) positiv. Siehe dazu die zitierten Empfehlungen auf dem Rückdeckel des Buches.
[16]: W. Grudem, The Gift of Prophecy in the New Testament and Today. Wheaton, Illinois [Crossway Books] 2000, Revised Edition, S. 21ff.
[17]: W. Grudem, a.a.O., S. 27 ff.
[18]: W. Grudem, a.a.O., S. 43-45.
[19]: W. Grudem, a.a.O., S. 27 ff.
[20]: W. Grudem, a.a.O., S. 45 ff.; S. 329 ff., (Appendix VI).
[21]: W. Grudem, a.a.O., S. 84-85.
[22]: W. Grudem, a.a.O., S. 71 f.
[23]: W. Grudem, a.a.O., S. 75 ff.
[24]: W. Grudem, a.a.O., S. 77; 183 ff.
[25]: W. Grudem, a.a.O., S. 77 ff.
[26]: W. Grudem, a.a.O., S. 183 ff.
[27]: W. Grudem, a.a.O., S. 68 ff.
[28]: W. Grudem, a.a.O., S. 52 ff.
[29]: W. Grudem, a.a.O., S. 54 ff.
[30]: W. Grudem, a.a.O., S. 62 ff; 95 ff.
[31]: Siehe dazu: W. Grudem, a.a.O., S. 113 ff.
[32]: W. Grudem, a.a.O., S. 100 ff.
[33]: W. Grudem, a.a.O., S. 67 ff.
[34]: So: W. Grudem, a.a.O., S. 257 ff. (Appendix C).