Der Tempel und unser Auftrag
In den bisherigen beiden Artikeln dieser Reihe schauten wir uns den Tempel an, und zwar angefangen vom Garten Eden bis hin zum himmlischen Jerusalem. Dabei stellten wir fest, dass der Tempel der Ort ist, an dem Gott mit den Menschen Gemeinschaft hat. Über die Jahrhunderte sah der Tempel oft überhaupt nicht so aus, wie wir uns einen Tempel vorstellen. Zunächst war er ein Garten, später ein Zelt, dann ein steinernes Gebäude. Viele Jahre später wurde das steinerne Gebäude dadurch abgelöst, dass Jesus Christus selbst der neue Tempel wurde. Durch seinen Geist werden wir als Christen ebenfalls zu Tempeln und gleichzeitig Teil von Gottes Gemeinde, die ebenfalls als Tempel bezeichnet wird (Eph. 2,20-22). Nun erwarten wir den Tag, an dem Jesus wiederkommen wird, um uns zu sich zu holen, damit wir mit Gott in vollkommener Gemeinschaft leben. Die Wirklichkeit, in der wir dann leben, und der Tempel werden dann ein und derselbe Ort sein.
Im dritten und letzten Teil dieser Artikelserie wollen wir uns anschauen, was der Tempel aller Zeiten mit unserem Leben als Christen zu tun hat. Vielleicht ist es zum besseren Verständnis dieses Artikels sinnvoll, sich noch einmal vorher die beiden ersten Artikel durchzulesen (Bekennende Kirche Nr. 62, S. 17-26 und Bekennende Kirche Nr. 63, S. 15-24).
Es dauerte nur noch wenige Tage, bis Jesus gekreuzigt wurde. Am Tag zuvor war er auf einem kleinen Esel nach Jerusalem geritten und von der Volksmenge gefeiert worden. Die Nacht hatte er bei Freunden im benachbarten Bethanien verbracht, und jetzt kehrte er zurück nach Jerusalem. Sein Weg führte ihn direkt in den Tempel. Dort angekommen trieb er die Händler aus dem Tempel hinaus. Sie hatten sich im Vorhof breit gemacht (Mk. 11,15-17).
Der Grund für diese heftige Reaktion des Sohnes Gottes war, dass die Händler im Tempel ihre Geschäfte abschlossen. Jesus machte den Menschen klar: Für solche Geschäfte ist der Tempel nicht vorgesehen. In diesem Haus sollen Menschen Gemeinschaft mit Gott haben.
Aber im Grunde war die Geschäftemacherei nicht das Kernproblem. Zur Verteidigung der Händler könnte man sogar einwenden, dass sie durch ihre Verkäufe gerade die Möglichkeit gegeben hatten, die Opfertiere gleich an Ort und Stelle zu kaufen.
Außerdem machten sie ihre Geschäfte im so genannten Vorhof der Heiden, und somit störten sie den Gottesdienst der Juden überhaupt nicht.
Aber genau das war der entscheidende Teil des Problems. Denn der Herr kritisierte nicht nur an den Kaufveranstaltungen, dass sein Haus ein Bethaus sein soll, sondern er fügte ausdrücklich hinzu: Mein Haus soll ein Bethaus für alle Völker sein.“ (Mk. 11,17a). Die Händler hatten sich in dem Teil des Tempels ausgebreitet, den Gott für die Menschen vorgesehen hatte, die, obwohl sie nicht aus dem fleischlichen Volk Israel stammten, mit ihm Gemeinschaft haben wollten.
Die Händler behinderten die Juden an ihrem Gottesdienst nicht. Aber sie nahmen den Nichtjuden, den Heiden, den Raum, um Gemeinschaft mit Gott zu haben. Das war der Grund, der Jesus dazu veranlasste, die Händler aus dem Tempel zu vertreiben.
Untreue Priester
Gehen wir einige Jahrtausende zurück. Seit dem Sündenfall gab es auf dieser Welt immer zwei Gruppen von Menschen. Einerseits gab es diejenigen, die sich für Gott nicht interessierten. Andererseits waren da die, die im Tempel ihrer Zeit Gemeinschaft mit Gott suchten. Aber leider hatten in der Praxis auch die Menschen aus dieser zweiten Gruppe eine falsche Sicht auf den Tempel. Sie sahen in dem Tempel eine Art Glücksbringer. Sie meinten, Gott wohne im Tempel, und sie seien sein Volk, und also könne ihnen nichts passieren.
Der Gottesdienst dieser Menschen war häufig ein rein äußerlicher Gottesdienst. Er bestand darin, den Status quo zu sichern. Außerdem wollten sie als die fleischlichen Nachkommen Abrahams den Tempel nur für sich haben. Sie meinten, sie seien besser als sämtliche anderen Menschen auf der Erde. Dieses Problem zieht sich durch die gesamte Heilsgeschichte. Im Alten Testament klagte Jeremia, dass die Menschen hemmungslos sündigten, um sich dann anschließend im Tempel Sündenvergebung abzuholen. Durch den Mund des Propheten warf Gott seinem Volk vor, sie hätten eine Räuberhöhle aus seinem Haus gemacht (Jer. 7,1-11). Dieselben Worte verwendete Jesus 600 Jahre später. Aus der Zerstörung des ersten steinernen Tempels hatten die Juden nichts gelernt. An den Händlern zeigte sich, dass im zweiten steinernen Tempel nichts besser geworden war, und so warf Jesus ihnen vor: Ihr habt aus meinem Haus eine Räuberhöhle gemacht (Mk. 11,17b).
Adam als Priester
Wie aber versteht man nun den Tempel richtig? Eine erste Antwort finden wir bereits in den ersten beiden Kapiteln der Heiligen Schrift. In diesen Kapiteln begegnen wir Adam und Eva, die im ersten Tempel der Weltgeschichte, dem Garten Eden, lebten (siehe dazu Bekennende Kirche Nr. 62, S. 18.19). Als Priester in diesem Tempel sollten sie als Ebenbilder Gottes herrschen. Dieser Auftrag war in gewisser Weise zweiteilig. Der eine Teil war auf das Innere des Gartens gerichtet. Adam und Eva sollten den Garten bebauen und bewahren (1Mos. 2,15). Es würden Bedrohungen kommen, und als Herrscher über den Garten sollten sie diese Gefahren abwehren und den Garten in Gottes Auftrag bewirtschaften. Aber die ersten Menschen sollten nicht nur den Garten in seiner bestehenden Größe erhalten, sondern ihn auch bis an die Enden der Erde ausbreiten. Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde und macht sie euch untertan, lautete der Auftrag, den Gott ihnen gegeben hatte (1Mos. 1,28). Adam und Eva sollten also das bestehende Heiligtum nicht nur bewahren und bewirtschaften, sondern es bis an die Enden der Erde ausbreiten.
Während der Sündenfall zeigt, wie Adam und Eva in diesem Auftrag kläglich versagten, bleibt Gottes Plan bestehen. Er möchte weiterhin, dass sein Heiligtum bewahrt wird und dass es sich bis an die Enden der Erde ausbreitet.
Priester im Alten Bund
Dieses wird bereits an Abraham, Isaak und Jakob deutlich. Auch wenn sie zu ihrer Zeit keinen steinernen Tempel hatten, lesen wir immer wieder, dass sie opferten. Gleich zu Beginn bekam Abraham die Verheißung, dass Gott ihn zu einem großen Volk machen werde und dass alle Geschlechter auf der Erde in ihm gesegnet werden würden (1Mos. 12,2.3). Abrahams Nachkommen, Isaak und Jakob, bekamen von Gott dieselbe Verheißung. Sie war mit dem Auftrag verbunden: Sei fruchtbar und mehre dich! (1Mos. 26,3.4; 35,11.12). Das neue Volk war von Gott nicht einfach dazu erwählt worden, Gott anzubeten und ihm nachzufolgen, sondern es sollte ein Segen sein für alle Völker der Welt. Auch ihr Auftrag war sowohl nach innen als auch nach außen gerichtet.
Als Gott schließlich seinem Volk mit der Stiftshütte wieder einen sichtbaren Tempel gab, setzte er Priester ein. Sie sollten den Gottesdienst mit den Opfern ausüben und so den Tempel in Ordnung halten (2Mos. 29). Am Ende des Kapitels lesen wir, wie Gott versprach, mit seiner Herrlichkeit im Tempel bei seinem Volk zu wohnen.
Aber die Folgen der Sünde sind unübersehbar. Die große Anzahl der Opfer zeigt, wieviel komplizierter die Gemeinschaft zwischen Gott und seinem Volk nach dem Sündenfall geworden war. Priester standen zwischen Gott und seinem Volk, um zu vermitteln. Zu diesem Zeitpunkt konnte keine Rede davon sein, dass sich der Tempel Gottes bis an die Enden der Erde ausgebreitet hatte. Er bestand aus einem mobilen Zelt, das Gottes Volk zunächst auf seiner Wanderung durch die Wüste trug. Gott wohnte symbolisch mit seiner Herrlichkeitswolke im Allerheiligsten. Aber das war eben auf einige Quadratmeter beschränkt. Und auch die späteren steinernen Tempel eigneten sich nicht dazu, die Herrlichkeit Gottes und seine Gegenwart bis an die Enden der Erde auszubreiten. Und doch hatte auch Salomo bei seinem Einweihungsgebet für den ersten steinernen Tempel den Blick auf die gesamte Welt gerichtet: Aber auch wenn ein Fremdling, der nicht zu deinem Volk Israel gehört, aus einem fernen Land kommt, um deines großen Namens und deiner mächtigen Hand und deines ausgestreckten Arms willen, und er kommt und betet zu diesem Haus hin, so höre du es vom Himmel her, deiner Wohnstätte, und tue alles, um was dieser Fremdling dich anruft, damit alle Völker auf Erden deinen Namen erkennen und dich fürchten wie dein Volk Israel, und erfahren, dass dein Name ausgerufen ist über diesem Haus, das ich erbaut habe! (2Chr. 6,32.33).
Aber der steinerne Tempel erfüllte diesen Zweck nie. Nur selten feierten die Priester in dem Tempel so Gottesdienst, wie es Gott gefiel. Auch als Leuchte nach außen konnte der Tempel in dieser Verfassung natürlich nicht dienen. Während das mächtige Reich Salomos zerfiel und zuletzt auch Jerusalem und der Tempel durch die Babylonier zerstört wurden, blickten die Propheten in eine herrliche Zukunft. Jeremia schreibt: Und es wird geschehen, wenn ihr euch dann in jenen Tagen mehrt und fruchtbar werdet im Land, spricht der Herr, so wird man nicht mehr sagen: ‚Die Bundeslade des Herrn‘; und sie wird niemand mehr in den Sinn kommen, man wird an sie nicht mehr gedenken und sie nicht mehr vermissen; es wird auch keine mehr gemacht werden. Zu jener Zeit wird man Jerusalem ‚Thron des Herrn‘ nennen, und alle Heidenvölker werden sich dorthin versammeln, zum Namen des Herrn, nach Jerusalem, und sie werden künftig nicht mehr dem Starrsinn ihres bösen Herzens folgen (Jer. 3,16.17).
Die Lage war alles andere als rosig. Das Volk stand kurz vor dem Exil. Die Zerstörung des Tempels kündigte sich an. In dieser aussichtslosen Situation blickte Jeremia in die Zukunft, und er sprach von einer großen Zukunft für das Volk Gottes, in dem die Anbetung Gottes ohne Bundeslade, also ohne einen materiellen Tempel, vollzogen werden wird. Ferner sprach er davon, dass dieser Tempel auch für Angehörige der anderen Völker offen stehen soll.
Um das zu verstehen, gehen wir ins Neue Testament und schauen uns Jesus, den neuen Tempel, genauer an. Zur Zeit des irdischen Lebens Jesu stand der zweite steinerne Tempel in Jerusalem. Nach der Babylonischen Gefangenschaft waren die Juden nach Israel zurückgekehrt und hatten den Tempel wieder aufgebaut. Aber wie wir oben sahen, hatte sich an ihrer Auffassung über den Tempel wenig geändert. Die Händler im Vorhof waren nur die Spitze des Eisbergs. Durch sie wurde deutlich, wie wenig die Juden davon verstanden hatten, dass Gott seinen Tempel für alle Völker öffnen wollte, um ihn über die ganze Erde auszubreiten.
Der wahre Hohepriester
In diese Situation schickte Gott seinen eigenen Sohn. Jesus wurde der neue Tempel, der den steinernen Tempel ablöste (Joh. 1,14; 2,19; 4,14-26). Aber Jesus wurde nicht nur der neue Tempel. Als endgültiges Opfer und als endgültiger Hoher Priester hob er den gesamten Tempeldienst auf. Dadurch wurde übrigens dann auch die ohnehin verschollene Bundeslade überflüssig, so wie es Jeremia verheißen hatte. In der Gemeinschaft mit Jesus wird es das Leben geben, nach dem sich alle sehnten. Zu der Frau am Jakobsbrunnen sagte der Herr: Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, wird in ihm zu einer Quelle von Wasser werden, das bis ins ewige Leben quillt (Joh. 4,14).
In seiner Eigenschaft als neuer Tempel kritisierte der Sohn Gottes, dass die Juden den steinernen Tempel zu ihrem Privattempel erklärt hatten, und er vertrieb die Händler aus dem Bereich, der für die anderen Völker vorgesehen war. Auch auf anderen Wegen zeigte er, dass er als Tempel nicht nur für das Volk Israel gekommen war, sondern auch für die Menschen aus anderen Völkern. Der Knecht eines römischen Hauptmanns wurde genauso gesund wie die Tochter einer griechischen Frau. Beide Male lobte Jesus den großen Glauben dieser Menschen, die eigentlich von Gott und seinem Tempeldienst ausgeschlossen waren (Mt. 8,10; 15,28).
Und noch etwas tat Jesus Christus. Durch seinen Tod am Kreuz vereinigte er Menschen mit sich selbst, sodass sie selbst Priester wurden. Adam war Priester im Garten Eden. Nach dem Sündenfall war es dann im Volk Israel etwas Besonderes, ein Priester zu sein. Priester durften nur Männer aus dem Stamm Levi werden, und viele Teile des Gottesdienstes waren nur ihnen vorbehalten. Schon damals sollte aber das ganze Volk ein Königreich von Priestern sein (2Mos. 19,6). Auch wenn das nicht hieß, dass jeder ein aktiver Priester werden sollte, war es doch die Bestimmung von allen, ein heiliges, für Gott abgesondertes Leben zu führen.
Im Neuen Bund verhält es sich insofern anders, als wir durch unsere Einheit mit dem wahren Hohepriester Jesus Christus selbst zu Tempeln werden (1Kor. 6,19; 2Kor. 6,16) und zu tatsächlichen Priestern (1Pet. 2,5; Offb. 1,6). Das ist nicht nur ein gewaltiges Geschenk, sondern es bringt auch herausfordernde Aufträge für uns mit sich. Und mit diesen Aufträgen wollen wir uns nun beschäftigen.
Drei Aufträge für uns als Priester
Durch Christus haben wir heute überall und zu jeder Zeit Zugang zu Gott. Der Tempel ist kein fester geographischer Ort mehr, sondern er befindet sich überall dort, wo der Heilige Geist wirkt. Wie wir bereits in den ersten beiden Teilen der Artikelserie sahen, sollen wir dieses Geschenk annehmen, indem wir die Gemeinschaft mit Gott und mit anderen Christen suchen.
Daneben gibt uns das Neue Testament aber noch einige weitere Aufträge für unser praktisches Christsein mit auf den Weg. Diese Aufträge ergeben sich ebenfalls aus unserer Beschäftigung mit dem Tempel durch die gesamte Bibel hindurch.
Wie Adam im Garten Eden und wie die Priester im Alten Bund richtet sich unser Auftrag sowohl nach innen als auch nach außen. Gleich wie sie sollen auch wir den Tempel bewahren und ausbreiten. Konkret heißt das: Erstens sollen wir uns selbst reinigen, zweitens sollen wir bereit sein, uns zu opfern, und drittens sollen wir das Wort Gottes auf der ganzen Welt verkündigen.
Der erste Auftrag: Reinigung
Wir lesen mehrfach in der Bibel davon, dass wir als Christen Tempel sind. Zwei dieser Stellen finden wir in den Korintherbriefen. Das ist nicht unwichtig. Bekanntlich waren die Korinther die Problemgemeinde des Apostels Paulus. Viele der dortigen Mitglieder sahen keine Notwendigkeit, ein Leben zu führen, das sich von der Lebensweise der gottlosen Umgebung unterschied. Paulus schreibt darum auch nicht an sie: „Liebe Korinther, weil ihr so vorbildlich lebt, seid ihr Tempel Gottes.“ Vielmehr erinnert es sie daran, dass sie durch den Glauben und ihre daraus folgende Einheit mit Christus Tempel Gottes bzw. des Heiligen Geistes geworden sind, und daraus ergibt sich der Auftrag, sich selbst zu reinigen.
Im Alten Testament gab es sehr detaillierte Reinheitsvorschriften für die Priester (3Mos. 8 und 21). Weil diese Vorschriften heute so nicht mehr gelten, neigen wir dazu, unseren Zugang zu Gott für selbstverständlich zu halten. Auch den Korinthern ging es so. Aber Paulus warnt eindringlich vor einer solchen Meinung. In Korinth lebten viele Gemeindeglieder nicht so, wie Gott das will, namentlich im Bereich ihrer Sexualität. Paulus stellt ihnen rhetorische Fragen, um sie aufzurütteln: Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des in euch wohnenden Heiligen Geistes ist, den ihr von Gott empfangen habt, und dass ihr nicht euch selbst gehört? (1Kor. 6,19). Und weiter: Wie stimmt der Tempel Gottes mit Götzenbildern überein? Denn ihr seid ein Tempel des lebendigen Gottes (2Kor. 6,16).
Der Auftrag für uns als Priester des Neuen Bundes lautet also, unsere eigenen Körper rein von der Sünde zu erhalten und uns von der Welt abzusondern.
Gleiches gilt für die Gemeinde insgesamt. Auch sie ist als Leib Christi ein Tempel Gottes. Und auch für sie fordert Paulus Reinheit: Jetzt aber habe ich euch geschrieben, dass ihr keinen Umgang haben sollt mit jemandem, der sich Bruder nennen lässt und dabei ein Unzüchtiger oder Habsüchtiger oder Götzendiener oder Lästerer oder Trunkenbold oder Räuber ist. Mit einem solchen sollt ihr nicht einmal essen (1Kor. 5,11).
Adam sollte den Garten rein bewahren, und er tat es nicht. Die Priester im Alten Bund sollten den Tempel rein bewahren, und sie versagten ebenfalls. Wir sind aufgerufen, dies durch die Kraft des Heiligen Geistes besser zu machen.
Der zweite Auftrag: Opferbereitschaft
Der Garten Eden sah unter anderem deswegen so wenig wie ein Tempel aus, weil es keine Opfer gab. Damals waren sie nicht erforderlich, denn die Menschen hatten noch nicht gesündigt. Nach dem Sündenfall wurde das Opfern zur Kernaufgabe der Priester. Mit den Opfern gab es nur ein Problem: Die Opfer konnten auf die Sündenvergebung hinweisen, aber sie konnten nicht tatsächlich Sünden vergeben (Hebr. 10,11). Deswegen kam Jesus in diese Welt und wurde für uns das perfekte, sündlose und endgültige Opfer. Aber das heißt nicht, dass wir als Priester nicht mehr opfern sollen. Zwar sind alle Opfer, mit denen man für Sünden bezahlen will, überflüssig geworden. Trotzdem schreibt Paulus: Ich ermahne euch nun, ihr Brüder, angesichts der Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber darbringt als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer: Das sei euer vernünftiger Gottesdienst! (Röm. 12,1)
Petrus macht den Bezug zu uns als Priester des Neuen Bundes sogar noch deutlicher: So lasst ihr euch nun […] aufbauen […] als ein heiliges Priestertum, um geistliche Opfer darzubringen, die Gott wohlgefällig sind durch Jesus Christus (1Pet. 2,5).
Als Dank für das einmalige Opfer Jesu sollen wir unser Leben als (Dank-)Opfer für ihn darbringen. Sowohl Paulus als auch Petrus hätten andere Bilder für unseren Dienst als Nachfolger wählen können. Aber sie entschieden sich bewusst für das Bild des Opfers, also für ein Bild aus dem Umfeld des Tempels. Daran machten sie deutlich, dass wir auch hier als Priester des Neuen Bundes handeln.
Das eigene Leben zu opfern heißt für manche Christen, dass sie ihr Leben für ihren Glauben tatsächlich im wahrsten Sinn des Wortes hingeben müssen. Aber für die meisten von uns heißt es zunächst einmal, dass wir unser selbstbestimmtes Leben der Herrschaft Gottes überlassen. Und auch wenn das nicht meint, dass wir für unseren Glauben sterben müssen oder körperlich verfolgt werden, sind wir aufgerufen, Dinge für Jesus Christus aufzugeben.
Wie auch immer das Opfer in unserem Leben im Einzelnen aussieht – es wird in jedem Fall kein angenehmer Weg werden. Etwas zu opfern ist niemals einfach. Aber es ist unser Auftrag als Priester des Neuen Bundes, nicht nur irgendetwas zu opfern, sondern uns selbst. Das ist nicht leicht. Und doch lohnt es sich. Jesus sagt: Wahrlich, ich sage euch: Es ist niemand, der Haus oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Frau oder Kinder oder Äcker verlassen hat um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der nicht hundertfältig empfängt, jetzt in dieser Zeit Häuser und Brüder und Schwestern und Mütter und Kinder und Äcker unter Verfolgungen, und in der zukünftigen Weltzeit ewiges Leben. (Mk. 10,29.30).
Der dritte Auftrag: Mission
Seit dem Garten Eden steckte hinter dem Gedanken des Tempels immer der Plan, dass er irgendwann einmal die gesamte Erde umfassen wird. Vor diesem Hintergrund verstehen wir den Zusammenhang zwischen dem Tempel und dem Auftrag zur Mission.
Wenn Christen über Mission nachdenken, dann sehen sie Mission meistens als etwas Neutestamentliches. Natürlich, so räumen sie ein, habe es auch im Alten Testament Ansätze zur Mission gegeben, wie man beispielsweise an Jona sieht. Aber grundsätzlich wird Mission als etwas verstanden, das mit Pfingsten begann. Die bisherigen Überlegungen zum Tempel zeigen uns jedoch, dass der Gedanke der Mission als Teil des Tempels bereits im Alten Testament verankert ist. Der erste Missionsbefehl der Bibel findet sich im ersten Kapitel der Bibel und lautet: Seid fruchtbar und mehret euch! (1Mos. 1,28).
Im Neuen Testament forderte Jesus kurz vor der Himmelfahrt seine Jünger dazu auf, sein Reich bis an die Enden der Erde auszubreiten: Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden. So geht nun hin und macht zu Jüngern alle Völker, und tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie alles halten, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Weltzeit! (Mt. 28,18-20).
Auch dieser so genannte Missionsbefehl im Neuen Testament weist Parallelen zum Tempel auf. Gut 500 Jahre bevor Jesus die Apostel an die Enden der Erde schickte, erlaubte der persische König Kyrus den verschleppten Israeliten, aus der Gefangenschaft nach Jerusalem zurückzukehren und dort den Tempel wieder aufzubauen: So spricht Kyrus, der König von Persien: Der Herr, der Gott des Himmels, hat mir alle Königreiche der Erde gegeben, und er selbst hat mir befohlen, ihm ein Haus zu bauen in Jerusalem, das in Juda ist. Wer irgend unter euch zu seinem Volk gehört, mit dem sei der Herr, sein Gott, und er ziehe hinauf! (2Chr. 36,23).
Die Parallelen zwischen dem Befehl des Kyrus zum Tempelaufbau und dem Missionsbefehl Jesu sind deutlich. Sowohl Jesus als auch Kyrus bestätigen erstens die eigene von Gott gegebene Autorität, zweitens befehlen sie zu gehen, und drittens versichern sie, dass Gott bei den Beauftragten sein wird.
Als Kyrus auf dem persischen Thron saß, gab es keinen Tempel in Jerusalem. Er gab den Auftrag, den Tempel in Jerusalem wieder aufzubauen. Hunderte Jahre später knüpfte Jesus daran an und gab seinen Aposteln den Auftrag, nun den Tempel bis an die Enden der Erde auszubreiten, indem sie sein Wort verkündigen.
Ähnliches lesen wir bei Petrus über unseren Auftrag als Priester: Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, ein heiliges Volk, ein Volk des Eigentums, damit ihr die Tugenden dessen verkündet, der euch aus der Finsternis berufen hat zu seinem wunderbaren Licht (1Pet. 2,9).
Das Wort schafft den Glauben, der Menschen zu Christen macht und damit auch zu Tempeln. Und unser Auftrag als Priester ist es, dieses Wort weiterzusagen. Im Alten Bund freuten sich die Priester viel zu oft darüber, dass Gott ihnen und nur ihnen den Tempel gegeben habe. Niemand fühlte sich durch die Händler im Vorhof der verachteten Heiden eingeschränkt. Aber Jesus stellt klar: Auch die Heiden sollen zu Priestern in meinem Tempel werden.
Mission verfolgt von daher keinen Selbstzweck. Der amerikanische Pastor John Piper brachte es einmal folgendermaßen auf den Punkt: „Nicht Mission ist das höchste Ziel der Gemeinde, sondern die Anbetung Gottes. Mission gibt es, weil Gott nicht überall angebetet wird. Die Anbetung Gottes ist nämlich das höchste Ziel der Gemeinde.“ Von daher können wir sagen: Mission gibt es, weil der Tempel Gottes noch nicht über die ganze Erde ausgebreitet ist.
Die Hoffnung
Es ist ein großes Vorrecht, aber auch eine große Verantwortung, als Priester daran beteiligt zu sein, den Tempel rein zu halten, uns für ihn zu opfern und ihn bis an die Enden der Erde auszubreiten. Aber dabei dürfen wir zwei Dinge nicht übersehen.
Zum einen ist es letztlich Gott (und nicht wir), der seinen Tempel durch sein Wort ausbreitet. Auch wenn wir das Evangelium weitersagen, ist Gott derjenige, der durch sein Wort und seinen Geist handelt.
Zum anderen werden wir als Tempel Gottes niemals vor der Welt etwas darstellen, und zwar selbst dann nicht, wenn es durch unseren Dienst irgendwann in allen Völkern der Welt Gläubige geben wird. In Offenbarung 11 lesen wir in den ersten Versen, dass das Äußere des Tempels Gottes auch im Neuen Bund etwas Zerbrechliches ist (siehe auch 2Kor. 4,7-15). Die Gemeinde Gottes verkündigt das Wort Gottes und hat damit die stärkste Waffe der Welt. Aber sie wird gleichzeitig äußerlich verfolgt, gespalten und angefochten. Und deswegen ist auch der Tempel, wie wir ihn heute als die Gemeinschaft der Heiligen sehen, nicht das Ende der Geschichte. Das Ende der Geschichte wird erst erreicht sein, wenn Jesus wiedergekommen ist und der Tempel tatsächlich bis an die Enden der Erde ausgebreitet ist.
Johannes schreibt: Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde waren vergangen, und das Meer gibt es nicht mehr. Und ich, Johannes, sah die heilige Stadt, das heilige Jerusalem. Von Gott aus dem Himmel herabsteigen. […]. Und ich hörte eine laute Stimme aus dem Himmel sagen: Siehe das Zelt [= die Stiftshütte] Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen; und sie werden seine Völker sein, und Gott selbst wird bei ihnen sein, ihr Gott. Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, weder Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. […] Und einen Tempel sah ich nicht in der Stadt; denn der Herr, Gott der Allmächtige, ist ihr Tempel, und das Lamm. (Offb. 21,1-4.22)