Der Tempel in der Bibel (Teil 1) Geschaffen, um mit Gott an seinem Ort Gemeinschaft zu haben

Der Tempel in der Bibel (Teil 1) Geschaffen, um mit Gott an seinem Ort Gemeinschaft zu haben

In der hier beginnenden Artikelserie1 wollen wir uns mit der Frage beschäftigen, was die Heilige Schrift meint, wenn sie vom Tempel spricht. Ist der Tempel nur ein steinernes Gebäude in Jerusalem, das es mittlerweile seit fast 2000 Jahren nicht mehr gibt? Oder meint die Bibel nicht viel mehr, wenn sie vom Tempel spricht? Es ist die Absicht, dass wir uns mit diesen und weiteren Fragen rund um den Tempel in drei Artikeln beschäftigen. Dazu begeben wir uns auf eine Reise vom ersten bis zum letzten Buch der Bibel. In diesem ersten Teil schauen wir uns den Tempel im Alten Testament an.

Ich erinnere mich, dass wir im Kunstunterricht in der fünften Klasse einmal unseren Lieblingsplatz malen sollten. Offen gestanden weiß ich nicht mehr, was ich damals gemalt habe. Aber in einem größeren Sinn ist diese Frage für jeden Menschen zu jedem Zeitpunkt eine sehr wichtige. Denn jeder Mensch sollte sich in seinem Leben die Frage stellen, wo sein Lieblingsplatz in dieser Welt ist. Wofür würde man viel Geld ausgeben, um einmal dorthin zu kommen? Wo findet man das glückliche Leben?

Die Bibel gibt uns auch auf diese Frage eine Antwort. Der Liederdichter Asaph beschreibt das in Psalm 84: Wie lieblich sind deine Wohnungen, o Herr der Heerscharen! Meine Seele verlangte und sehnte sich nach den Vorhöfen des Herrn; nun jubeln mein Herz und mein Leib dem lebendigen Gott zu! Hat doch der Sperling ein Haus gefunden und die Schwalbe ein Nest für sich, wo sie ihre Jungen hinlegen kann: deine Altäre, o Herr der Heerscharen, mein König und mein Gott! Wohl denen, die in deinem Haus wohnen; sie preisen dich allezeit! Ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser als sonst tausend; ich will lieber an der Schwelle im Haus meines Gottes stehen als wohnen in den Zelten der Gottlosen.

Asaph sagt hier: Der beste Ort, an dem wir uns aufhalten können, ist die Gegenwart Gottes. Vielleicht wissen wir das vom Kopf her. Aber leben wir auch so? Ist das Gebet Asaphs auch unser Gebet?

Die Gemeinschaft mit Gott ist das Ziel unseres Lebens. Dafür wurden wir geschaffen. Aber die Frage, die sich als nächstes stellt, lautet: Wo findet diese Gemeinschaft statt? Wohin müssen wir gehen, um mit Gott Gemeinschaft zu haben? Wo ist dieser Ort, der unser Lieblingsplatz sein sollte? In Psalm 84 wird deutlich, dass dieser Ort für Asaph die Stiftshütte war, das Zelt, in dem Gott seinem Volk begegnen wollte.

Aber das stellt uns vor ein Problem. Denn die Stiftshütte oder auch den steinernen Tempel in Jerusalem gibt es nicht mehr. Und selbst wenn es ihn noch geben würde, wäre es sehr kompliziert, immer nach Jerusalem zu reisen, um mit Gott Gemeinschaft zu haben. Wie haben wir also das, was in Psalm 84 steht, auf unser Leben anzuwenden? Wie können wir heute Gott in ‚seinem Haus‘ begegnen?

Was ist gemeint, wenn die Bibel vom Tempel spricht?

Die Antwort wird den einen oder anderen vielleicht überraschen. Denn auch heute begegnen wir Gott im Tempel. Die Bibel lehrt uns nämlich, dass der Tempel Gottes nicht unbedingt ein Gebäude aus Steinen in Jerusalem ist. Es ist sogar so, dass in der Bibel der Tempel oftmals ganz unterschiedlich aussieht. Im Wort Gottes ist der Tempel nicht unbedingt ein Gebäude, das ein bestimmtes Aussehen hat. Vielmehr ist es in der gesamten Bibel immer der Ort, an dem Gott den Menschen begegnet und mit ihnen Gemeinschaft hat.

Auch wenn Gott überall ist, hat er sich einen Ort auf dieser Erde ausgewählt, an dem er in ganz besonderer Weise gegenwärtig ist. Gott verspricht, an diesem Ort zu wohnen und den Menschen nahe zu sein. Dieser Ort ist der Tempel. Und dieser Ort sollte unser Lieblingsplatz sein.

Wir wollen uns nun aufmachen auf eine Reise durch die gesamte Bibel. Dabei werden wir uns immer wieder die Frage stellen, wie der Tempel zu bestimmten Zeiten aussah und wie die Menschen Gott im jeweiligen Tempel begegnen konnten.

Der Tempel als Garten

Beginnen wir ganz am Anfang, im ersten Buch Mose. Am Anfang schuf Gott Himmel, Erde und mit ihnen das Universum. Er schuf auch die Pflanzen und die Tiere. Als letztes schuf er den Menschen nach seinem Bild. Eine Besonderheit des Menschen war, dass er, im Unterschied zu allen anderen Lebewesen, mit Gott wirkliche Gemeinschaft haben konnte. Gott gab Adam und Eva einen Ort namens Eden zum wohnen. Dort ging es den beiden sehr gut. Es war der Ort, an dem sie ohne Leid und Tränen immer fröhlich waren. Deutlich wird das schon durch die Bezeichnung des Ortes, denn Eden bedeutet Glückseligkeit.

In Eden herrschte die perfekte Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen. Die Beziehung war so gut, dass Gott abends mit den Menschen spazieren ging (1. Mose 3,8). Die Menschen waren nackt, und sie schämten sich trotzdem nicht. Nicht nur Gott war damals moralisch vollkommen gut, sondern auch die Menschen. Deswegen war alles gut.

Insofern war der Garten Eden der erste Tempel der Weltgeschichte. Eden war der Ort, an dem Gott und die Menschen in vollkommener Gemeinschaft miteinander lebten. Es gab dort keine Sünde, keinen Tod und kein Leid. Aber wie kommt man darauf zu sagen, dass Eden der erste Tempel war? Schließlich lesen wir nirgendwo in 1. Mose 1-3 etwas von einem Tempel.

Zweifellos hat dieser Einwand seine Berechtigung, denn das Wort Tempel taucht tatsächlich in den ersten drei Kapiteln der Bibel nicht auf. Aber es gibt doch viele Hinweise darauf, dass Eden tatsächlich der erste Tempel war. Schauen wir uns nur einmal drei dieser Gründe an.

Erstens: Die Bibel selbst bezeichnet Eden als das Heiligtum Gottes. In Hesekiel 28,13.14 lesen wir davon: In Eden, im Garten Gottes, warst du; mit allerlei Edelsteinen warst du bedeckt. […] Deine kunstvoll hergestellten Tamburine und Flöten waren bei dir; am Tag deiner Erschaffung wurden sie bereitet. Du warst ein gesalbter, schützender Cherub, ja, ich hatte dich dazu eingesetzt; du warst auf dem heiligen Berg Gottes, und du wandeltest mitten unter den feurigen Steinen.

Zweitens: Gott wandelte sowohl in Eden als auch im späteren Tempel. Das wird deutlich, wenn wir einen Vers über Gottes Aktivität im Garten Eden mit einem Vers über seine spätere Aktivität im (steinernen) Tempel vergleichen: „Und sie hörten die Stimme Gottes des Herrn, der im Garten wandelte (1. Mose 3,8a). Ich will meine Wohnung (= Tempel) in eure Mitte setzen, und meine Seele soll euch nicht verabscheuen, und ich will in eurer Mitte wandeln und euer Gott sein, und ihr sollt mein Volk sein“ (3. Mose 26,11.12).

Drittens: Der spätere Tempel Salomos wurde mit vielen Gartenmotiven dekoriert, was ebenfalls auf die enge Verbindung zwischen Eden und dem späteren Tempelgebäude hinweist: „An allen Wänden des Hauses ließ er Schnitzwerk anbringen von Cherubim und Palmen und offenen Blumen, innerhalb und außerhalb“ (1. Kön. 6,29). „Die Kapitelle oben auf den Säulen waren gemacht wie die Lilien in der Vorhalle, 4 Ellen [hoch]. Und es waren Kapitelle auf den beiden Säulen auch oberhalb, nahe bei dem Wulst, der hinter dem Geflecht war. Und es gab 200 Granatäpfel, ringsum in Reihen geordnet, […]“ (1. Kön. 7,19.20).

Von daher ist deutlich: Auch wenn die Bibel ihn an keiner Stelle explizit als solchen bezeichnet, war Eden der erste Tempel der Weltgeschichte. Eden war der Ort, an dem Gott und die Menschen perfekte Gemeinschaft miteinander hatten.

Aber diese Gemeinschaft ging bald verloren. Adam und Eva setzten sich über das Gebot Gottes hinweg und zerstörten durch diese mutwillige Sünde die vollkommene Gemeinschaft zwischen Gott und ihnen.

Der Tempel ist verloren

Durch den Sündenfall war die Welt gefallen. Gott war immer noch moralisch gut. Aber der Mensch war das nicht mehr. Die wunderbare Gemeinschaft Gottes mit den Menschen war zerstört.

Aber Gott gab die Menschheit nicht auf. Er wollte nach wie vor Gemeinschaft mit den Menschen haben (vergleiche 1. Mose 3,15). Die gesamte Bibel ab 1. Mose 3 handelt davon, wie Gott den Tempel, den die Menschen durch die Sünde zerstörten, wieder herstellt. Die Bibel hat 1189 Kapitel. Und alle – bis auf die ersten zweieinhalb – handeln von der Wiederherstellung des ersten Tempels. Aber der ursprüngliche Tempel wird nicht einfach nur wiederhergestellt. Der wiederhergestellte Tempel wird besser sein als der erste. Auch das macht die Bibel deutlich. Der Sündenfall war kein Unfall in Gottes Plan. Er war Teil von Gottes Plan, einen noch besseren Tempel zu schaffen. Davon war jedoch nach dem Sündenfall zunächst einmal nichts zu sehen.

In den Jahrhunderten danach gab es keinen bestimmten Ort, an dem Gott mit den Menschen Gemeinschaft hatte. Die Menschen litten unter der Trennung von Gott. Trauriger Höhepunkt dieser Trennung war die Sintflut. Und trotzdem hatte Gott die Menschen nicht aufgegeben. Wir sehen das beispielsweise an einem Mann namens Henoch. In 1. Mose 5,22 heißt es über ihn: Henoch wandelte mit Gott 300 Jahre lang.
Auch an Männern wie Abel, Noah, Abraham, Isaak und Jakob sehen wir das. Trotzdem war die Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen nicht wirklich geregelt oder festgeschrieben. Es gab beispielsweise keinen bestimmten Ort, zu dem Abraham hingehen konnte, um mit Gott Gemeinschaft zu haben. Aber wir sehen in dieser Zeit bereits drei Dinge, die erforderlich sind, um die Gemeinschaft von Gott mit den Menschen wiederherzustellen.

Erstens war ein Mittler oder ein Priester nötig. Es handelt sich dabei um jemanden, der zwischen Gott und Menschen vermittelt. In 1. Mose 14 begegnen wir einem Mann namens Melchisedek, der ein Priester Gottes des Höchsten genannt wird (1. Mose 14,18). Vier Kapitel später sehen wir dann, wie Abraham selbst vor Gott für die Stadt Sodom als Mittler eintritt.

Zweitens: Ein blutiges Opfer war notwendig. Dieses musste von jemandem dargebracht werden, der ein gläubiges Herz hat. Dieses Opfer wurde dargebracht, um die Beziehung zwischen Gott und den Menschen symbolisch wieder herzustellen, indem jemand anderes für die Sünden der Menschen bezahlt. In 1. Mose 4 lesen wir die Begebenheit von den Brüdern Kain und Abel. Beide opferten. Aber nur Abels Opfer wurde von Gott angenommen, wahrscheinlich aus dem Grund, weil es blutig war. Später opferten auch Noah (1. Mose 8,20) und Abraham (1. Mose 12,8). Eines Tages sollte Abraham sogar seinen einzigen Sohn opfern (1. Mose 22,2). Dadurch wurde bereits an dieser Stelle angedeutet: Das wahre Opfer muss ein Mensch sein.

Drittens: Nachdem die Menschen aus Eden vertrieben worden waren, war ein Ort nötig, an dem Gott und die Menschen Gemeinschaft miteinander haben konnten. Einen festen Ort gab es zunächst nicht. Aber es gab Orte, an denen die Menschen Gott Opfer darbrachten. In 1. Mose 12,8 lesen wir beispielsweise, dass Abram Gott einen Altar bei der Stadt Bethel baute. Der Name der Stadt ist in unserem Zusammenhang aufschlussreich. Denn Bethel bedeutet Haus Gottes.

Gott wollte Gemeinschaft mit den Menschen haben. Deswegen hatte er sich Abraham als Stammvater für sein Volk ausgewählt. Aus Abrahams Familie wurde ein Volk, das allerdings immer noch keinen Ort hatte, um mit Gott Gemeinschaft zu haben. Außerdem lebten sie in Ägypten, einem gottlosen Land, in dem sie zu Sklaven gemacht worden waren. So beginnt das zweite Buch Mose. Aber trotz ihrer misslichen Lage waren sie ein ganz besonderes Volk. Sie waren das Volk, mit dem Gott Gemeinschaft haben wollte, und sie waren das Volk, mit dem Gott die Wiederherstellung des Tempels beginnen wollte. In 2. Mose 6,7 sagt Gott zu diesem Volk: Ich will euch als mein Volk annehmen und will euer Gott sein; und ihr sollt erkennen, dass ich, der Herr, euer Gott bin.

Unter der Führung von Mose befreite Gott sein Volk aus der ägyptischen Knechtschaft. Über eine Million Menschen wanderten aus Ägypten aus und kamen nach einigen Wochen in der Wüste zu einem Berg namens Sinai.

Der Tempel als Zelt

Um der Gemeinschaft mit diesem Volk einen Rahmen zu geben, schloss Gott mit ihnen an diesem Berg Sinai einen Bund. Er gab ihnen dort die Zehn Gebote. Er sagte zu ihnen: Ihr habt gesehen, was ich an den Ägyptern getan habe und wie ich euch auf Adlersflügeln getragen und euch zu mir gebracht habe. Wenn ihr nun wirklich meiner Stimme Gehör schenken und gehorchen werdet und meinen Bund bewahrt, so sollt ihr vor allen Völkern mein besonderes Eigentum sein; denn die ganze Erde gehört mir, ihr aber sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein! (2. Mose 19,4-6).

Das Volk sollte ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein. Aber noch war wenig davon zu sehen. Es gab immer noch die Trennung zwischen den Menschen und Gott. Auch die Zehn Gebote konnten und können diese Gemeinschaft nicht wieder herstellen. Denn kein Mensch ist in der Lage, sie vollkommen zu halten. Von daher war ein Ort erforderlich, an dem die Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen möglich war, obwohl die Menschen Sünder waren. Und um das zu ermöglichen, gab Gott ein Zelt in Auftrag. Dieses Zelt sollte der Ort sein, an dem er mit den Menschen Gemeinschaft haben würde. So baute das Volk die Stiftshütte. Wir lesen das ausführlich in 2. Mose 25-40.

Gott beschloss, in der Stiftshütte die Dinge zusammenzuführen, die für die Wiederherstellung der Gemeinschaft nötig waren. Sie wurde der Ort, an dem Gott wohnte und wandelte. In ihr dienten Priester als Mittler zwischen Gott und den Menschen. Und in ihr wurden Opfer dargebracht, um für die Sünden des Volkes symbolisch Vergebung zu erwirken.

Die Stiftshütte war in drei Bereiche aufgeteilt. Es gab den Vorhof vor der Stiftshütte (2. Mose 27,9-19), den vorderen Bereich des Zeltes, den man das Heilige nannte, und den hinteren Bereich des Zeltes, der das Allerheiligste genannt wurde. Das Allerheiligste war der Ort, an dem die Bundeslade stand (Hebräer 9,1-5). Dieser Ort war so heilig, dass sündige Menschen ihn nicht betreten durften ohne zu sterben (3. Mose 16,2). Nur einmal im Jahr, am großen Versöhnungstag, betrat der Hohepriester das Allerheiligste, um vor Gott für das Volk symbolisch Sühnung zu erwirken (3. Mose 16; Hebräer 9,6-8).
Das zweite Buch Mose schließt mit der Beschreibung, wie Gott selbst in die Stiftshütte einzieht und sie zu seiner Wohnung macht: Da bedeckte die Wolke die Stiftshütte, und die Herrlichkeit des Herrn erfüllte die Wohnung. Und Mose konnte nicht in die Stiftshütte gehen, weil die Wolke darauf ruhte und die Herrlichkeit des Herrn die Wohnung erfüllte. So oft sich aber die Wolke von der Wohnung erhob, brachen die Kinder Israels auf während aller ihrer Wanderungen. Wenn sich aber die Wolke nicht erhob, so brachen sie nicht auf bis zu dem Tag, da sie sich erhob. Denn die Wolke des Herrn war bei Tag auf der Wohnung, und bei Nacht war Feuer darin vor den Augen des ganzen Hauses Israel, während aller ihrer Wanderungen. (2. Mose 40,34-38).

Bei der Wolke handelt es sich um die Herrlichkeitswolke, auf Hebräisch Schechina. Durch diese Wolke tat Gott kund, dass er an diesem Ort in ganz besonderer Weise anwesend war. Die Wolke machte dem Volk zwei Dinge deutlich. Zum einen war sie für alle sichtbar: Unser Gott ist mitten unter uns, um mit uns Gemeinschaft zu haben. Auf der anderen Seite verhüllte die Wolke Gott und sorgte dafür, dass das Volk Gott nicht wirklich sah. Denn wenn sündige Menschen den heiligen Gott von Angesicht zu Angesicht sehen würden, würde das ihren sofortigen Tod zur Folge haben (2. Mose 19,21; 33,20).

Anschließend vergingen viele Jahre. Das Volk zog mit der Stiftshütte 40 Jahre lang durch die Wüste in das Land, das ihnen versprochen worden war. Sie eroberten große Teile des Landes und wohnten dort. Es waren wechselhafte Jahre, geprägt von vielen Konflikten mit den umgebenden heidnischen Völkern. Sie hatten zuerst Richter, die Gott ihnen als Leiter und Retter schenkte, und später bekamen sie mit Saul den ersten König. Die Stiftshütte wurde in dieser Zeit in der Stadt Silo mitten in Israel aufgestellt (Josua 18,1), weil Jerusalem nach wie vor in der Hand der heidnischen Kanaaniter war.

Auf Saul folgte David als König über Israel, und mit ihm kamen Frieden und Wohlstand. Als König eroberte er Jerusalem und errichtete sich einen Palast. Er sorgte auch dafür, dass die Stiftshütte von Silo nach Jerusalem gebracht wurde (2. Samuel 6). Aber irgendwann stellte er im Gespräch mit dem Propheten Nathan ein Problem fest: Und es geschah, als der König David in seinem Haus wohnte und der Herr ihm Ruhe gegeben hatte vor allen seinen Feinden ringsumher, da sprach der König zu dem Propheten Nathan: Siehe doch, ich wohne in einem Haus aus Zedernholz, aber die Lade Gottes wohnt unter Teppichen. (2. Samuel 7,1.2)

Der Tempel als steinernes Haus

Zunächst ermutigte Nathan den David, das Projekt eines Tempelgebäudes in Angriff zu nehmen. Doch dann schritt Gott ein: Aber es geschah in derselben Nacht, da erging das Wort des Herrn an Nathan so: Geh hin und rede zu meinem Knecht, zu David: So spricht der Herr: Solltest du mir ein Haus bauen, dass ich darin wohne? Denn ich habe in keinem Haus gewohnt von dem Tag an, als ich die Kinder Israels aus Ägypten heraufführte, bis zu diesem Tag, sondern ich bin stets in einem Zelt und in einer Wohnung umhergezogen! Wo ich auch immer umherzog mit allen Kindern Israels, habe ich auch jemals ein Wort geredet zu einem der Stammeshäupter Israels, denen ich gebot, mein Volk Israel zu weiden, und gesagt: Warum baut ihr mir kein Haus aus Zedernholz? (2. Sam. 7,4-7). Am Ende seines Lebens plante David dann doch, seinem Gott ein Haus zu bauen (1. Chr. 22). Er hatte dafür auch schon alle Baumaterialien gesammelt. Aber bevor er mit dem Bauen beginnen konnte, sagte Gott wiederum Nein.

Daraufhin suchte David das Gespräch mit seinem Sohn und Nachfolger Salomo: Und David rief seinen Sohn Salomo und gebot ihm, dem Herrn, dem Gott Israels, ein Haus zu bauen, und sprach zu ihm: Mein Sohn, ich hatte im Sinn, dem Namen des Herrn, meines Gottes, ein Haus zu bauen, aber das Wort des Herrn kam zu mir. Du hast viel Blut vergossen und große Kriege geführt; darum sollst du meinem Namen nicht ein Haus bauen, weil du vor mir so viel Blut auf der Erde vergossen hast. Siehe, der Sohn, der dir geboren werden soll, der wird ein Mann der Ruhe sein; denn ich will ihm Ruhe schaffen vor allen seinen Feinden ringsumher. Er soll Salomo heißen; denn ich will Israel Frieden und Ruhe geben, solange er lebt. Der soll meinem Namen ein Haus bauen. Er soll mein Sohn sein und ich will sein Vater sein. (1. Chr. 22,6-10).

Erst Salomo durfte also Gott ein Haus aus Holz und Steinen bauen, und er tat es dann auch. Der Aufbau des Tempels entsprach weitgehend dem Aufbau der Stiftshütte. Auch die Gottesdienstordnung für die Priester und die Opfer blieben dieselben. Aber natürlich war der neue Bau wesentlich prächtiger, größer und stabiler. Von nun an hatte nicht nur der König in Jerusalem seinen Palast, sondern auch Gott.

Über den neuen Tempel sagte er: Was dieses Haus betrifft, das du gebaut hast: Wenn du in meinen Satzungen wandeln und meine Rechte tun und alle meine Gebote befolgen wirst, so dass du darin wandelst, so will ich mein Wort an dir erfüllen, das ich deinem Vater David verheißen habe. Und ich will in der Mitte der Kinder Israels wohnen und will mein Volk Israel nicht verlassen! (1. Kön. 6,12.13).

Und damit es für alle klar und sichtbar war, dass Gott diesen Tempel zu seiner irdischen Wohnung gemacht hatte, zog er symbolisch von der Stiftshütte in den neuen Tempel um: Damals versammelte Salomo die Ältesten von Israel und alle Häupter der Stämme, die Fürsten der Vaterhäuser der Kinder Israels, zum König Salomo nach Jerusalem, um die Bundeslade des Herrn hinaufzubringen aus der Stadt Davids, das ist Zion. [] Und es geschah, als die Priester aus dem Heiligtum hinausgingen, da erfüllte die Wolke das Haus des Herrn, so dass die Priester wegen der Wolke nicht hinzutreten konnten, um ihren Dienst zu verrichten; denn die Herrlichkeit des Herrn erfüllte das Haus des Herrn (1. Kön. 8,1.10.11).

Der Tempel stand dort für mehr als drei Jahrhunderte. Aber das Volk nutzte ihn die meiste Zeit nicht, um Gott anzubeten. Sie hatten ein riesiges Geschenk bekommen. Gott war, symbolisch gesprochen, zu ihnen gezogen, um mit ihnen Gemeinschaft zu haben und um ihnen nahe zu sein. Aber die Menschen schätzten dieses Geschenk nicht.
Trauriger Höhepunkt des Abfalls war die Herrschaft des Königs Manasse, der über 200 Jahre nach Salomo an die Macht kam. Unter seiner Herrschaft ging das Gesetz verschollen. Und der Tempel des wahren Gottes wurde zum Götzentempel umfunktioniert. Manasse baute auch Altäre im Haus des Herrn, von dem der Herr gesagt hatte: In Jerusalem will ich meinen Namen wohnen lassen. Und er baute dem ganzen Heer des Himmels Altäre in beiden Vorhöfen am Haus des Herrn. [] Er setzte auch das Standbild der Aschera, das er gemacht hatte, in das Haus, von dem der Herr zu David und zu seinem Sohn Salomo gesagt hatte: „In diesem Haus und in Jerusalem, das ich aus allen Stämmen Israels erwählt habe, will ich meinen Namen wohnen lassen ewiglich, und ich will den Fuß Israels nicht mehr aus dem Land wandern lassen, das ich ihren Vätern gegeben habe. Wenn sie nur darauf achten, nach allem zu handeln, was ich ihnen geboten habe, ja, nach dem ganzen Gesetz, das mein Knecht Mose ihnen befohlen hat!“ Aber sie gehorchten nicht, und Manasse verführte sie, so dass sie Schlimmeres taten als die Heidenvölker, die der Herr vor den Kindern Israels vertilgt hatte. (2. Kön. 21,4-5.7-9).
Um allen klarzumachen, wie wenig der König von der Wohnung Gottes hielt, errichtete Manasse an der Rückwand des Tempels Bordelle (2. Kön. 23,7). Aus dem einst prächtigen Tempel war eine Ruine geworden. Zwar besserte Manasses Enkel Josia den Tempel noch einmal aus und schaffte den Götzendienst vorübergehend ab, aber dauerhafte Veränderung der Herzen konnte auch diese Reformation nicht bewirken. Deswegen richtete Gott sein Volk, indem er die Armee der Babylonier schickte. Nach vielen Kämpfen und langer Belagerungszeit fiel Jerusalem in die Hände der Feinde. Die Stadt mitsamt dem Tempel und dem Königspalast wurde dem Erdboden gleichgemacht. Die Bevölkerung wurde größtenteils in die Gegend von Babylon verschleppt und dort angesiedelt.

Das war alles sehr schlimm. Viel schlimmer war allerdings das, was kurz vor der Zerstörung des Tempels passierte. Gott entschied sich, den Tempel zu verlassen, bevor er das Gericht schickte. Der Prophet Hesekiel sah in einer Vision, wie Gottes Herrlichkeitswolke den Tempel verließ (Hes. 1; 10; 11,22-25): Und die Herrlichkeit des Herrn ging von der Schwelle des Tempels hinweg und stellte sich über die Cherubim. Da schwangen die Cherubim ihre Flügel und erhoben sich von der Erde vor meinen Augen, als sie hinausgingen [] Und die Herrlichkeit des Herrn stieg auf, mitten aus der Stadt, und blieb stehen auf dem Berg, der östlich von der Stadt liegt. (Hes. 10,18.19; 11,23)
Wenn man die Beschreibung liest, wie Gott in seiner Herrlichkeit aus dem Tempel auszieht, fällt auf, wie lange Gott sich für diesen Schritt Zeit ließ. Aber das heißt nicht, dass Gott langsam ist. Es zeigt vielmehr, wie gütig und geduldig er ist. Gott verlässt sein Volk nicht leichtfertig. Aber am Ende tut er es, weil er es einem von ihm abgefallenen Volk vorausgesagt hat, dass er so handeln würde.

Der Tempel als wiederhergestelltes steinernes Haus

Das Volk lebte von nun an im Exil. Ohne Land, ohne König und vor allem ohne Tempel. Jahrzehnte später wurden die Babylonier von einem noch mächtigeren Königreich abgelöst: den Persern. Der persische König Kyrus erlaubte den Israeliten, zurück nach Jerusalem zu ziehen (Esr. 1,1-4). Dort angekommen bauten die Juden unter der Führung von Männern wie Nehemia, Esra und Serubbabel die Stadt mitsamt den Mauern und auch den Tempel wieder auf.

Der neue Tempel war genauso wie sein Vorgänger aus Stein gefertigt. Aber es gab einige Unterschiede. Zum einen war er kleiner und weniger prächtig als der Tempel Salomos. Zum anderen fehlten im neuen Tempel einige Dinge. Das Allerheiligste blieb leer, weil die Bundeslade verschollen war. Und wir lesen auch nirgends, dass Gott in diesen Tempel mit seiner Herrlichkeitswolke einzog. Zwar wohnte in einem gewissen Sinn Gott in diesem Tempel. Jesus selbst bezeichnet diesen Tempel als den Besitz seines Vaters (Lk. 2,49). Aber beide Symbole für Gottes Gegenwart, die Bundeslade und die Wolke, fehlten.

Der prophezeite Tempel

Die neue Situation war deutlich besser als zur Zeit des Exils. Schließlich lebten die Juden wieder in ihrer Heimat und durften ihre eigenen Angelegenheiten unter der Oberherrschaft der Perser weitgehend selbst regeln. Auf der anderen Seite war man aber nicht mehr unabhängig wie in den Jahrhunderten vor der Gefangenschaft. Auch waren längst nicht alle Juden aus Babylon heimgekehrt, und auch Jerusalem mit dem Tempel war nach dem Wiederaufbau längst nicht mehr so prächtig wie vor der Zerstörung durch die Babylonier (Esr. 3,12a).

Der Prophet Haggai macht diese Mittelmäßigkeit deutlich: Wer ist unter euch übriggeblieben, der dieses Haus in seiner früheren Herrlichkeit gesehen hat? Und wie seht ihr es jetzt? Ist es nicht so viel wie nichts in euren Augen? (Hag. 2,3). Aber es bleibt nicht bei dieser Beschreibung der aktuellen Situation: Die letzte Herrlichkeit dieses Hauses wird größer sein als die erste, spricht der Herr der Heerscharen; und an diesem Ort will ich Frieden geben, spricht der Herr der Heerscharen (Hag. 2,9).

Auch der Prophet Hesekiel verheißt eine große Zukunft für den Tempel. In den letzten neun Kapiteln seines Buches beschreibt Hesekiel dem Volk im Exil den neuen Tempel. Die Vision ist sehr detailliert (Hes. 40-48). Es wird ein Tempel sein, der größer und herrlicher sein wird als der Tempel Salomos. Auch die Herrlichkeit Gottes wird in diesem Tempel wieder wohnen (Hes. 43,1-12).

Die Realität für die Menschen unter dem zweiten Tempel sah jedoch anders aus. Nicht nur war der Tempel kleiner und weniger prächtig. Auch hatten die Menschen im Grunde durch das schwere Gericht nichts hinzugelernt.

Gleich am Anfang seines Buches bemängelt Haggai, dass die zurückgekehrten Juden zwar für sich selbst die schönsten Häuser bauten. Aber sie interessierten sich dabei kaum für den Tempel: So spricht der Herr der Heerscharen: Dieses Volk sagt: „Es ist noch nicht die Zeit, zu kommen, die Zeit, um das Haus des Herrn zu bauen!“ Da erging das Wort des Herrn durch den Propheten Haggai folgendermaßen: Ist es aber für euch an der Zeit, in euren getäfelten Häusern zu wohnen, während dieses Haus in Trümmern liegt? (Hag. 1,2-4)

Dieses Problem gibt es auch heute. Viele Christen investieren sehr viel Zeit in Freundschaften, in ihren Beruf, in die Einrichtung ihrer Wohnung, in ihre Hobbys – und vergleichsweise wenig Zeit, um Gott besser kennen zu lernen, sich unter die Lasten ihrer Gemeinde zu stellen oder anderen Menschen das Evangelium zu sagen.

Jesus sagt zu dieser Thematik: Trachtet zuerst nach Gottes Reich (Mt. 6,33). Es geht Gott nicht darum, dass wir die eigene Wohnung, den Job oder die Familie vernachlässigen. Aber es geht um die richtigen Prioritäten. Da stellt sich jedem Christen die Frage: Wie ist das in meinem Leben? Nur Eines kann in einem Leben zentral stehen. Entweder die eigenen getäfelten Häuser oder der Tempel Gottes. Entweder geht es um unser vergängliches Leben hier auf der Erde oder um die Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott.

Am Ende des Alten Testaments sehen wir Gottes Volk. In ihren mittelmäßigen Lebensumständen setzen sie die falschen Prioritäten. Für sie damals und auch für uns heute stellt sich die Frage: Wo sind unsere Prioritäten? Oder um die Frage vom Anfang aufzugreifen: Wo ist unser Lieblingsplatz?

Und bei allen Problemen, die die Juden damals hatten, stand eine Sache noch aus: Der neue Tempel, den Hesekiel und später auch Haggai verheißen hatten. Es konnte unmöglich der neue steinerne Tempel in Jerusalem sein.

Wie sich diese Prophezeiungen im Neuen Bund erfüllen und wo der Tempel für uns Christen heute im 21. Jahrhundert zu finden ist, mit diesen Fragen wollen wir uns im zweiten Teil dieser Artikelserie beschäftigen.


1 Vieles in dieser Artikelserie fußt auf dem sehr empfehlenswerten Buch von Gregory K. Beale, Der Tempel aller Zeiten – Die Wohnung Gottes und der Auftrag der Gemeinde. Oerlinghausen