Was ist Theologie?

Was ist Theologie?

Festvortrag zur Eröffnung des Wintersemesters 2010/2011 an der Akademie für Reformatorische Theologie

Einleitung

Was machen wir eigentlich an der Akademie für Reformatorische Theologie? Das Wort „Akademie“ zeigt an, dass sich unser Arbeiten auf wissenschaftlicher Ebene bewegt. Aber was ist mit „Theologie“ gemeint? Wir kennen die Erzeugnisse mancher Theologen an den großen Universitäten und Hochschulen, und wir haben häufig viel Grund, darüber nicht gerade froh zu sein.

Was heißt es eigentlich, wenn man im akademischen Bereich seine menschlichen Fähigkeiten wie Erkenntnisvermögen und rationale Intelligenz auf die religiöse Wirklichkeit, auf die christliche Wahrheit und auf die Bibel richtet? Wird durch den akademischen Anspruch nicht sehr leicht das Geheimnis des Glaubens zu etwas Altmodischem degradiert oder gar zu etwas Naivem? Ist von daher das Misstrauen vieler Menschen gegenüber der Theologie nicht gut nachvollziehbar?

Sobald man anfängt, über die Frage nachzudenken, was Theologie ist, kann man zu der Überlegung gelangen, dass eine Spannung zwischen Glauben und Verstehen besteht, zwischen theologischem Wissen und Glaubensgehorsam gegenüber dem Wort Gottes.

Die hier aufbrechende Frage kann man auch so formulieren, wie sie bereits im Mittelalter der Theologe Gabriel Biel stellte: Um was für ein Wissen handelt es sich in der Theologie? Ist es ein wissenschaftliches Wissen, oder ist es etwas anderes?

Weil sich die Einheit der Wissenschaft aus der Einheit des Wissenschaftlers ergibt, suchte Biel nach dem Subjekt der Theologie. Er fragte, ob es in der Theologie um praktische Erkenntnis geht oder um spekulative.1 Der mittelalterliche Theologe stellte also sowohl die Frage nach dem Wesen der Theologie als auch nach der Person des Theologen und nicht zuletzt nach dem Resultat des theologischen Arbeitens.

Auch wenn wir im Folgenden auf diese spannungsvollen Fragen nicht umfassend eingehen können, wollen wir uns doch bemühen, in dieser Thematik einen Schritt weiterzukommen und stellen die Frage: Was ist der Sinn eines Theologiestudiums an einer bibeltreuen Ausbildungsstätte?

So viel ist hoffentlich von Anfang an klar: Innerhalb des Theologiestudiums nimmt die Bibel einen zentralen Platz ein, um nicht zu sagen den zentralen Platz. In einem Lehrbuch für Systematische Theologie wird dogmatische Theologie skizziert als „die theologische Disziplin, die in einer systematischen Weise über das spricht, was Gott in seinem Wort uns geoffenbart hat. Sie vergleicht die Lehre der Kirche mit der Heiligen Schrift, sie begründet die Lehre mit der Bibel und erklärt sie in ihrem Licht.“2
Mit anderen Worten: In der Theologie geht es unverzichtbar um die Heilige Schrift!

Noch eine Vorbemerkung. Ich gehe im Folgenden nicht in die Breite. Ich will also nicht alle Aspekte und Fächer anschneiden, die in der Theologie von Bedeutung sind. Es versteht sich von selbst, dass wir dann auf die notwendigen Sprachkenntnisse für das Verstehen der Heiligen Schriften eingehen müssten. Auch würden wir zu dem Ergebnis kommen, dass wir ohne ein philosophiegeschichtliches Grundwissen gar nicht auskommen. Selbstverständlich geht es in einem Theologiestudium, in dem die Heilige Schrift zentral steht, um die Auslegung der alt- und neutestamentlichen Schriften, und natürlich gehört die Kirchengeschichte auch dazu usw. Aber die Fragen, die im Kern der Theologie liegen, werden im Bereich der Systematischen Theologie, bzw. der Dogmatik durchdacht. Dabei geht es hier um den Fragenkomplex, der die Daseinsberechtigung der Theologie insgesamt thematisiert.

Martin Luthers Antwort auf die mittelalterliche Theologie

Um eine Antwort zu finden, knüpfen wir an Martin Luther an. Der Reformator verwendete durchaus die Begriffe, die ihm aus der universitären Tradition geläufig waren: Wissen (scientia), Subjekt (subiectum), Spekulation (speculatio) und Praxis (praxis). Aber er passte sich nicht an die überkommenen Fragestellungen an. Vielmehr nahm er seinen Ausgangspunkt in dem, was ihn „zu einem Christen gemacht hatte“.3

Anfangs war Luther noch ganz in der Mönchstradition der Augustiner verwurzelt. Allerdings hieß das für ihn nicht, dass er die scholastische Methode ablehnte. Jedoch stand er ihrem Wissenschaftsanspruch kritisch gegenüber. So gelangte er zu einer Neuausrichtung dessen, was Theologie ist.

Für die Darstellung von Luthers Ausgangspunkt greife ich dankbar die Analyse Oswald Bayers auf.4 Bayer veranschaulicht Luthers Neuausrichtung anhand dessen Auslegung des 51. Psalms. Dieser Bußpsalm Davids hatte für den Reformator große Bedeutung. In seiner Auslegung betonte er, dass die Theologie kein anderes Thema habe, als dass sie von Sünde und Gnade weiß.5 Das meinte er keineswegs theoretisch, sozusagen philosophisch, sondern er verstand es höchst praktisch, konkret: Es geht darum, „von Gottes Gesetz (lex) zu sprechen und von seiner Verheißung (promissio), also einerseits von dem anklagenden und tötenden Gesetz und andererseits von dem tröstenden, lebendig machenden Evangelium“.6 Auf diese Weise kommt die Bestimmung dessen, worum es in der Theologie geht, in seiner ganzen Tiefe ins Blickfeld.

In Psalm 51 betet jemand, der Gott Recht gibt. Genau das ist die Haltung, in der überhaupt in angemessener Weise Theologie betrieben werden kann! Der sündige Mensch und der rechtfertigende Gott (homo peccator et Deus iustificans) dürfen nicht voneinander getrennt werden, sondern sie sind zusammen das Subjekt der Theologie.

In der Theologie geht es also nicht um einen abstrakten Wahrheitsanspruch, sondern es geht immer um die schreckliche Erfahrung eines Sünders, der aufgrund seines Sünderseins Gott nur als seinen Feind ansehen kann. Das Geheimnis der Theologie besteht nun darin, dass im Wort Gottes „Christus mit drinnen ist.“7

Luther spricht in diesem Zusammenhang von dem dreifachen Amt Christi. Damit meint er die drei ineinander verwobenen Momente ein und desselben Mittleramtes (munus triplex):
Im prophetischen Aspekt des Amtes Christi steht das Mittel, das Wort, im Vordergrund, im priesterlichen Aspekt seines Amtes geht es zentral um das Vermittelte, also um Gott und Mensch, und im königlichen Moment des Amtes Christi offenbart sich die Macht seiner Mittlerschaft, das heißt sein Sieg über Hölle, Tod und Teufel.

Es ist deutlich: Für Luther steht am Anfang der Theologie die Beziehung zwischen Gott und Mensch in Christus. Die Gottesgewissheit kommt durch den Glauben. Luther kann sogar formulieren: „Der Glaube schafft sich Gott!“ (Fides est creatrix divinitatis). „Der Unglaube aber macht sich Abgötter“. Luther meint mit dieser gewagten Formulierung natürlich nicht, dass Gott ein Produkt der eigenen Religiosität ist, sondern er will damit sagen: Für mich und in mir wird Gott erst zu Gott durch den Glauben.8

Für die vorliegende Fragestellung ist entscheidend: Ein Theologe kann nicht über Gott sprechen, wenn er dabei von sich selbst absieht. Vielmehr kann er von Gott nur im Glauben sprechen. Gott hat sich geoffenbart, damit man in persönlicher Beziehung mit ihm Umgang hat.

In noch einer anderen Hinsicht erneuerte Luther das bis dahin im Mittelalter übliche theologische Denken. Die Frage Gabriel Biels, ob die Theologie praktisch oder theoretisch sei (practica vel speculativa), wird von Luther ebenfalls mit Hinweis auf den Glauben beantwortet. Hinter der mittelalterlichen Fragestellung stand Aristoteles. Dieser griechische Philosoph unterschied zwischen Anschauung (contemplatio) und Tun (actio). Die Anschauung war für Aristoteles das höchste, das vollkommene Glück.9 Zwar forderte er, dass sie anhand der Praxis zu messen sei, gleichwohl aber war sie ihm ein philosophisches, theoretisches Wissen.

Luther sieht das anders. Für ihn ist die Theologie praktisch, nicht spekulativ.10 Damit meint er aber keineswegs, dass die Theologie auf das Handeln ausgerichtet ist. Vielmehr will er damit den Umgang mit dem Wort Gottes zum Ausdruck bringen. Es geht dabei um eine bestimmte Einübung. Diese entspricht den drei Grundregeln für ein Theologiestudium, erstens: Gebet (oratio), zweitens: Nachsinnen [über das Wort Gottes] (meditatio) und drittens: Anfechtung (tentatio). Mit seinem Verständnis von Theologie und Glaube als etwas Praktischem ist jedenfalls das aristotelische Verständnis von Praxis und damit die Zuordnung von der Theorie (theoria) zur Praxis (praxis) beseitigt. Bei Luther sind Theologie und Glaube eine eigene „Form des Lebens“
(vita sui generis), die er als „empfangenes Leben“ (vita passiva) bezeichnet.11

Entscheidend ist, dass Theologie mit einer bestimmten Erfahrung verbunden ist. Es ist eine Erfahrung, die der Mensch nicht herstellt, sondern erleidet: Der Mensch wird Theologe „dadurch, dass er lebt, dass er stirbt und verurteilt wird; nicht dadurch, dass er grübelt, liest oder spekuliert“.12 Was für jeden Menschen gilt, das gilt auch für einen Theologen: Er lebt vom Empfangen. Das ist das Geheimnis des Glaubens und damit auch das Geheimnis der Theologie! Dass der Glaube zum Menschen kommt, ist allein das Werk Gottes.

Dass damit allerdings nicht eine quietistische Passivität gemeint ist, liegt an der Eigenart des Glaubens: Die Kehrseite des Sterbens des alten Adam ist nämlich höchste Aktivität. Luther rühmt den Glauben, das Werk Gottes in uns, der den alten Adam tötet, als etwas höchst Lebendiges: „Oh, es ist ein lebendig, geschäftig, tätig, mächtig Ding um den Glauben, dass es unmöglich ist, dass er nicht ohne Unterlass sollte Gutes wirken.“13 Der Grund dafür ist das Kreuz Christi. Der durch Kreuz und Leiden zum Christen und Theologen wiedergeborene Mensch, der Kreuzestheologe, nennt die Dinge beim richtigen Namen. Er sagt, was Sache ist.14

Die rechte Weise des Studiums der Theologie

Für Luther und hoffentlich auch für uns ist über jeden Zweifel erhaben, dass es keine doppelte Wahrheit gibt. Es gibt nicht auf der einen Seite eine theologische Wahrheit und auf der anderen Seite eine Glaubenswahrheit. Beides ist ein und dasselbe. Das wird anhand der drei bereits genannten Regeln für das Theologiestudium deutlich: Gebet (oratio), Nachsinnen [über das Wort Gottes] (meditatio) und Anfechtung (tentatio). 15

Luther entdeckte diese Regeln vorrangig im 119. Psalm. Sie führten bei ihm geradezu zu einer Umkehr: Nicht er lese die Heilige Schrift, sondern die Schrift lese ihn. Aus dieser Perspektive lassen sich seine Überlegungen folgendermaßen zusammenfassen: „Ein Theologe ist der, der von der Heiligen Schrift ausgelegt wird, sich von ihr auslegen lässt und sie als von ihr Ausgelegter anderen Angefochtenen auslegt.“16

Die Autorität der Heiligen Schrift war für Luther dermaßen über alles andere erhaben, dass er sich ohne weiteres vorstellen konnte, dass man seine sämtlichen eigenen Werke verbrennen oder verschwinden lassen könne, solange man nur die biblischen Bücher lese. Wie wichtig ihm diese Überzeugung war, zeigt eine seiner Aussagen über die Heilige Schrift: „Bete für das Wachstum des Wortes gegen den Satan; denn er ist mächtig und böse, rast und tobt jetzt sogar mit letzter Wut, weil er weiß, dass er nur noch kurze Zeit hat und das Reich seines Papstes gefährdet ist. Gott aber stärke in uns, was er gewirkt hat, und vollende sein Werk, das er in uns begonnen hat, zu seiner Ehre. Amen.“17

Das Buch der Psalmen war für Luther „eine kleine Biblia“18. Aber vor allem fand er sich in Psalm 119 wieder. „Der Beter liefert sein eigenes Ergehen völlig dem Ergehen des Wortes Gottes aus. Das Verhältnis zu Gott ist ganz auf das Verhältnis zu seinem Wort bezogen.“19

Dabei wird es einem rechten Theologen keineswegs nur um seine persönliche Befindlichkeit gehen. Das Gebet, das Nachsinnen [über das Wort Gottes] und die Anfechtung beziehen sich auch auf seine wirtschaftliche und politische Existenz und nicht zuletzt auf den kirchen- und weltgeschichtlichen Lauf des Wortes Gottes. Dieses geschieht inmitten eines Tumultes, eines Kampfes, der allumfassend, heftig und groß ist, vom Anfang der Welt bis zum Ende.

Es wäre eine wunderbare, geistlich sehr bereichernde Aufgabe für jeden Theologiestudenten, wenn er sich diese Wahrheit einmal anhand des 119. Psalms zu eigen machen würde.20 Auf diese Weise würde er in maßgeblicher Weise für sein Leben, sein Wachstum, sein Leiden und seinen Kampf im Dienst Gottes von der Heiligen Schrift her ausgerüstet werden. Er würde auch lernen, dass man nicht ohne Gebet, nicht ohne intensiven Umgang mit der Heiligen Schrift und nicht ohne Anfechtung und Kampf wirklich Theologe werden und bleiben kann. Gerne möchte ich dieses als „Fundamentaltheologie“ bezeichnen.

Zweifellos wäre es sinnvoll, nun auf Calvins Verständnis von Theologie einzugehen. Gerne würde ich auch an den großen niederländischen Theologen G. Voetius erinnern, dessen im Jahr 1634 in Utrecht gehaltene Antrittsvorlesung den programmatischen Titel trug: „Frömmigkeit und Wissenschaft sollen zusammengehen“ (De pietate cum scientia conjugenda).21 In dieser Tradition war es übrigens nie eine Frage, ob Glaube und Wissenschaft zusammen gehen können. Aber ich gehe darauf jetzt nicht ein.

In unserem Jahrhundert sind wir in einem völlig anderen geistigen Klima angelangt. Die Aufklärung und die Postmoderne haben die geistige Luftherrschaft inne. Die eine Strömung propagiert, dass die Theologie in allgemeinen geisteswissenschaftlichen Fakultäten untergebracht werden solle. Denn Kirche und Glauben hätten keine eigenständige Möglichkeit zu einer wissenschaftlichen Existenz. Gott und Offenbarung seien lediglich aus den Humanwissenschaften abzuleiten und verfügten über keinerlei eigene Autorität.

Die andere Denkweise, die Postmoderne, bietet zwar sehr viel Raum für spirituelle Erfahrungen und religiöse Phänomene, aber hier wird nicht die Wahrheitsfrage gestellt, geschweige denn beantwortet.

Wenn wir angesichts dieser Situation mit unserer Theologischen Akademie dennoch den Anspruch erheben, in einer Weise theologisch zu arbeiten, die sich vor den Universitäten dieser Welt nicht zu verstecken braucht, haben wir dafür durchaus Argumente. Ich formuliere sie einmal in Frageform: Warum soll in dieser Welt der Glaube an Gott weniger wert sein als der Glaube an einen umfassenden evolutionistischen Zufall? Warum soll man eigentlich den Glauben an etwas Negatives, wie zum Beispiel den Atheismus, als wissenschaftlich akzeptieren, während man den Glauben an Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde, für unwissenschaftlich erklärt?

Gegenwärtig ist es üblich, die Theologie zu definieren als „das systematische Durchdenken der Inhalte des Glaubens der Gemeinde“. Dabei will man durchaus die Bibel zusammen mit gegenwärtigen Glaubenserfahrungen und Glaubensfragen berücksichtigen. Dagegen will man sich an der Lehre der Kirche, sagen wir an den Bekenntnisschriften, nur noch „indirekt“ orientieren.22

Dazu aber ist zu sagen, dass die Lehre der Kirche für die Theologie eine regulierende Funktion hat. Denn wir fangen eben nicht erst heute damit an, die Bibel zu lesen.

Es ist keine Frage: Aufgabe der Theologie ist es nicht, lediglich das zu wiederholen, gewissermaßen aufzuwärmen, was bereits in früheren Zeiten formuliert worden ist. In jeder Zeit brechen neue Fragestellungen auf, und folglich sind die darauf zu gebenden Antworten ebenfalls immer wieder neu auf der Grundlage und im Licht der Heiligen Schrift zu durchdenken und zu formulieren. Aber dieses hat sich in der festen Überzeugung zu vollziehen, dass die Kirche und die Theologie auch im 21. Jahrhundert nicht ohne ihre eigene Geschichtlichkeit bestehen kann. Mit uns fängt das Nachdenken über das Wort Gottes nicht an! Aus diesem Grund ist es unverzichtbar, zum Beispiel auf die Stimmen eines Irenäus, Augustinus, Luther oder Calvin zu hören.

Es hat sich durch die Jahrhunderte hindurch immer wieder gezeigt, dass es eine wunderbare Kontinuität zwischen der Heiligen Schrift und der verbindlichen Lehre der Kirche Gottes gibt. Zwar sind zu allen Zeiten in die dogmatischen Formulierungen auch zeitbedingte, philosophische Faktoren eingeflossen. Folglich muss immer wieder die Gestalt der Dogmen reflektiert werden. Aber daraus darf man nicht folgern, es herrsche zwischen der Heiligen Schrift, den Dogmen und der Theologie eine totale Diskontinuität. Gemäß meiner festen Überzeugung würde man dann nämlich die starke Kontinuität übersehen, die zwischen der Heiligen Schrift und den Dogmen besteht. Man denke hier an die Formulierungen, mit denen die Dreieinigkeit (Nicäa im Jahr 325), die Person Christi (Chalcedon im Jahr 451) oder die Lehre der Versöhnung (Reformation im 16. Jahrhundert) bezeugt und verteidigt wurden.

In diesem Zusammenhang komme ich noch einmal auf Luther zurück, und zwar auf das, was er zum Glauben sagt.23 Weil die Gemeinde Gottes die Gemeinschaft der Heiligen ist, ist sie insgesamt mit Christus und mit dem von ihm vollbrachten Heilswerk verbunden. Sie ist die Wirklichkeit des Heiligen Geistes, der seit Pfingsten in ihr wohnt (1Kor. 3,16; Eph. 2,21.22). Folglich ist es nicht eine individualistische Privatangelegenheit, zu Christus zu gehören und zu beten: „Abba, lieber Vater“. Vielmehr ist es etwas Gemeinschaftliches. Aus diesem Grund sprechen wir im Plural, wenn wir beten: „Unser Vater im Himmel…“. (Vergleiche auch: Röm. 8,9.15.16).

Weil der Geist Gottes sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft lenkt, darf es nicht als rückständig, als traditionalistisch oder gar als überholt gelten, wenn sich der Glaube, der die Verbindung zwischen der Heiligen Schrift, dem Dogma und der Theologie ist, um Kontinuität zur Lehre der bisherigen Kirche bemüht und zugleich danach strebt, dieselbe Wahrheit in der heutigen Sprache zu sagen. Das geschieht heute nicht selten in Konfrontation mit dem Zeitgeist. Aber das war früher nicht anders.

So wollen wir an der Akademie für Reformatorische Theologie im Glauben weiter Theologie studieren. Dieses wollen wir fröhlichen Herzens tun in der Erwartung, dass unser Gott und Heiland derselbe ist, gestern, heute und am Tage seiner herrlichen Wiederkunft.


1) ‚Circa primum investigat, qualis notitia sit theologia, an scientia an alia. Circa secundum, quia unitas scientiae ex unitate subiecti eius attenditur, quaerit de subiecto theologiae. Circa tertium, quia obiectum, circa quod versatur, sicut cuiuslibet alterius scientiae est praxis vel speculatio, quaerit, an theologia sit practica vel speculativa.‘ Gabrielis Biel, Collectorium circa quattuor libros Scientiarum I, Werbeck / Hofmann [Hrsg.], Tübingen 1973, S. 8. Siehe auch: O. Bayer, Theologie. Handbuch systematischer Theologie. Band 1, Gütersloh [Güterloher Verlagshaus] 1994, S. 31f.
2) Siehe: J. van Genderen / W.H. Velema, Concise Reformed Dogmatics. Philippsburg [P & R Publishing] 2008, S. 25.
3) Siehe: Luthers Brief an Karlstadt am 14.10.1518. In: Weimarer Ausgabe [WA]. Briefe 1, S. 217, 60-63. Er erklärte, dass er „nicht zu einem Ketzer werden will mit dem Widerspruch der Meinung, durch welchen ich bin zu einem Christen worden“.
4) O. Bayer, a.a.O., S. 36ff. Der Verfasser legt überzeugend dar, dass bei Luther die Einheit der Theologie im Subjekt der Theologie liegt. Selbstverständlich gibt es noch viele andere wertvolle Bücher, in denen der Ansatz der Theologie Martin Luthers beschrieben worden ist. Aber auf sie hinzuweisen, würde über unser jetziges Ziel hinausgehen.
5) Luther sagt in seiner Auslegung dieses Psalms: „et postea hoc secutum, cum peccati definitionem non intelligerunt, ut neque intelligerem gratiam“ (WA 40 II, S. 316, 13ff).
6) O. Bayer, a.a.O., S. 37.
7) WA 40 II, S. 329, 7.
8) Vergleiche: O. Bayer, a.a.O., S. 42.
9) Siehe: O. Bayer, ebd.
10) WA TR 2, S. 56,22f. Vergleiche a.a.O. 5, S. 384,16f: ‚Theologia debet esse practica‚.
11) Vergleiche: O. Bayer, a.a.O., S. 44.
12) WA 5, S. 163, 28f, ‚Vivendo, immo moriendo et damnando fit theologus, non intelligendo, legendo aut speculando.‘
13) WA DB, S. 7,10,9-12 (Vorrede zum Römerbrief, 1522).
14) ‚Theologus crucis dicit id quod res est.‘ WA 1, S. 362, 21f. (These 21 der Heidelberger Disputation, 1518).
15) Siehe dazu ausführlich: O. Bayer, a.a.O., S. 55-106.
16) O. Bayer, a.a.O., S. 61.
17) WA 54, S. 187,3-7. Übersetzung bei O. Bayer, a.a.O., S. 65-66.
18) Zweite Vorrede auf den Psalter (1528), WA DB 10 I, S. 98,22-100,2.
19) O. Bayer, a.a.O., S. 67.
20) Vergleiche dazu: O. Bayer, a.a.O., S. 71-105.
21) Siehe über ihn die wertvolle Dissertation: A.J. Beck, Gisbertus Voetius (1589-1676). Sein Theologieverständnis und seine Gotteslehre. Göttingen. [Vandenhoeck & Ruprecht] 2007.
22) So zum Beispiel: J. Muis, De Schrift, Het dogma en de dogmatiek. In: Theologia Reformata, Jg. 45 / 4, (2002), S. 320-332.
23) Siehe: J.W. Maris, De Schrift, het dogma en de dogmatiek – een pleidooi voor gelovige theologie. In: Theologia Reformata, Jg. 45 / 4, (2002), S. 333-338.