War die Reformation Sünde? Eine kritische Auseinandersetzung mit Johannes Hartl

War die Reformation Sünde? Eine kritische Auseinandersetzung mit Johannes Hartl

Mehr als 10.000 größtenteils begeisterte Teilnehmer, modernste Medientechnik, charismatischer Lobpreis und eine römisch-katholische Abendmahlsfeier. Die MEHR-Konferenz elektrisierte quer durch alle christlichen Konfessionen Tausende, und selbst die Tagesschau berichtete von dem Event im Januar 2017. Mittendrin: der Konferenzleiter und Gründer des Gebetshauses in Augsburg, Dr. Johannes Hartl (geboren 1979).

Es ist wohl nicht übertrieben, ihn als einen der populärsten Theologen in der gegenwärtigen evangelikalen Szene zu bezeichnen. Er trat in den letzten Jahren unter anderem als Redner beim Willow-Creek-Leitungskongress und auf dem Männertag des Forum Wiedenest auf. Auf den ersten Blick mag das verwundern. Denn Hartl ist promovierter römisch-katholischer Theologe, der sich selbst klar zum römisch-katholischen Glauben und der zugehörigen Tradition bekennt.[1]

Da viele konservative Protestanten in Deutschland ausgerechnet im Jahr des Reformationsjubiläums begeistert von einem katholischen Theologen sind, stellt sich die Frage, wie Hartl selbst zur Reformation steht.

Auf die Frage, ob das Reformationsjubiläum ein Grund zum Feiern sei, schreibt er gleich zu Beginn seines Buches Katholisch als Fremdsprache: „Ja und Nein! Nein, denn können wir Christen eine Spaltung feiern, die objektiv eine ‚Sünde‘ ist? […] Feiern – Ja! Wir wollen unseren Gott feiern, der durch alle menschliche Sünde hindurch der Kirche unfassbar große Gnaden geschenkt hat.“[2]

Tragische Sünde oder helles Licht?

Nach Ansicht Hartls war die konfessionelle Spaltung eine bedauernswerte Fehlentwicklung innerhalb der Kirchengeschichte. Denn schließlich habe Jesus seine Gemeinde zur Einheit berufen. Aber Gott in seiner großen Gnade habe, so der Leiter des Augsburger Gebetshauses, trotz der sündigen Reformation, die Kirche nicht im Stich gelassen und sie weiterhin gesegnet.

Die Sicht der Reformatoren war freilich eine andere. Für sie stand das Geschehen unter dem Motto: post tenebras lux – Nach der Finsternis Licht. Die Jahrhunderte der römisch-katholischen Vorherrschaft galten für sie als tiefste Dunkelheit, ein Schatten, der Gott und das Evangelium vor den Menschen verdunkelte. Doch nun konnten sie endlich wieder den Glanz der Sonne wahrnehmen. Damit ist gemeint, dass die Reformation im wesentlichen ‚neues‘ Licht auf zwei Fragen geworfen hat:

Erstens wurde dort die Frage nach der Autorität gestellt: Wie kommt man zur Erkenntnis Gottes und seines Willens? Die Antwort darauf lautete: Allein durch die Schrift (sola scriptura). Dies wird auch das formale Prinzip der Reformation genannt.

Zweitens beschäftigten sich die Reformatoren mit der Frage nach der Rechtfertigung: Wie kann ein sündiger Mensch mit Gott wieder ins Reine kommen? Die Protestanten antworteten darauf: Allein aus Gnade (sola gratia), allein durch Glauben (sola fide), allein in Christus (solus Christus). Dies bezeichnet man als das materielle Prinzip der Reformation.

Besonders bei der Heilsfrage handelte es sich für die Reformatoren nicht um eine triviale Nebensächlichkeit. „Wir streiten ja doch nicht um des Kaisers Bart, […] sondern um die Kernfragen des ganzen Christentums!“, erläuterte Calvin in seinem Brief an Kaiser Karl V. über die Notwendigkeit der Reformation.[3] Es geht um Leben und Tod, Himmel und Hölle, ewige Glückseligkeit und ewige Verdammnis. Für Luther war die Rechtfertigungslehre „der Artikel, mit dem die christliche Kirche steht und fällt“. Calvin bezeichnete sie als „den hauptsächlichen Pfeiler […], auf dem unsere Gottesverehrung ruht.“[4]

Größer kann der Kontrast kaum sein. Für die eine Seite gilt die Reformation als sündige Spaltung der Kirche, der es durch ökumenische Bemühungen entgegenzuwirken gilt. Für die andere Seite war sie ein strahlendes Licht, das die geistliche Gemeinschaft im Evangelium erst wieder ermöglicht hat.

Einander verstehen

Um zu begreifen, worum es bei der Kontroverse geht, ist es wichtig, die beiden Sichtweisen im Licht der Kernfrage der Auseinandersetzung im 16. Jahrhundert zu verstehen: Wie kann ein sündiger Mensch mit einem heiligen, gerechten Gott Gemeinschaft haben, das heißt gerechtfertigt werden?

Die römisch-katholische Theologie beantwortete diese Frage damals wie heute folgendermaßen: Durch den Sündenfall hat Adam die übernatürliche Gabe der heiligmachenden Gnade verloren. Gleiches gilt für alle seine Nachkommen (Erbsünde). Erlösung heißt von daher: Rückführung in den ursprünglichen Zustand und eine tatsächliche Veränderung zu einem gerechten Leben. Dies geschieht durch den Prozess der Rechtfertigung, die in der Sündenvergebung, der Heiligung und der Erneuerung des inneren Menschen besteht. Rechtfertigung meint demnach nicht nur eine äußerliche Gerechtsprechung, sondern ein wesenhaftes innerliches Gerechtwerden des Menschen.

Grundlage für dieses Verständnis von Rechtfertigung ist die Taufe. Durch diese wird die Erbsünde getilgt und der Mensch durch die Wiedergeburt zum ewigen Leben befähigt, indem ihm die heiligmachende Gnade eingegossen wird. Gänzlich in die Kirche einverleibt wird der Getaufte dann durch die Firmung und die Teilnahme an der Eucharistie (Abendmahl).

Neben der heiligmachenden Gnade benötigt man aber auch die helfende Gnade Gottes. Diese hilft dem Gläubigen in seinem täglichen Kampf gegen die Sünde. Der Grad ihrer Wirkung hängt vor allem davon ab, wie gewissenhaft der Gläubige nach einem frommen Leben trachtet. Diese helfende Gnade ist nicht bleibend, sondern muss immer wieder erneuert werden. Diese Erneuerung geschieht primär durch den Gebrauch der Sakramente, vor allem der Eucharistie.

Dennoch besteht auch die Gefahr, die heiligmachende Gnade zu verlieren, indem man schwere Sünden, so genannte Todsünden, begeht. Diese können nur durch das Sakrament der Buße vergeben werden, welches heilsnotwendig ist und den Sünder wieder in den Stand der Gnade versetzt. Die Sakramente (mit Ausnahme der Taufe) dürfen ausschließlich durch die Kirche gespendet werden und sind nur für diejenigen bestimmt, die Teil der (römisch-katholischen) Kirche sind.

Unter dem Strich lehrt diese Kirche, dass es kein Heil ohne Werke, kein Heil ohne Sakramente und kein Heil außerhalb der (römisch-katholischen) Kirche gibt. Von daher gibt es in der römisch-katholischen Theologie auch keine Heilsgewissheit.

Diese Sicht auf die Errettung wurde von der evangelischen Theologie verworfen. Für sie hat Adam im Paradies nicht nur die heiligmachende Gnade verloren, sondern er ist völlig gefallen. Denken, Fühlen, Wollen und Handeln sind seit dem Sündenfall bei Adam und allen seinen Nachfahren zutiefst gegen Gott eingestellt. Deswegen ist mehr erforderlich als eine bloße Heilung und Unterstützung einer geschwächten Seele. Der Reformator Johannes Calvin schreibt: „[Die menschliche Seele] ist nicht nur verwundet, sondern gar derart verderbt, dass es nicht bloß der Heilung, sondern geradezu der Annahme einer neuen Natur bedarf!“[5]

Diese Errettung geschieht allein aus Gnade, durch die Gott im Menschen die Wiedergeburt wirkt und ihm den Glauben schenkt. Durch den Glauben an Jesus Christus wird dem Menschen die Erlösung zugerechnet, die Jesus Christus am Kreuz vollständig gewirkt hat. Dabei wird dem Menschen die Gerechtigkeit Christi äußerlich zugesprochen, nicht innerlich eingegossen. In sich selbst bleibt der Mensch Sünder, während er in Christus sündlos dasteht. Er ist, wie Luther es formulierte, gleichzeitig gerecht und Sünder (simul iustus et peccator). Diese Rechtfertigung hat zwar gute Werke zur Folge, geschieht aber ohne das Zutun des Menschen. Gott verheißt jedem Gläubigen, ihn im Glauben bis ans Lebensende zu bewahren. Von daher kann der Christ sich sicher sein, auch tatsächlich vor dem Gericht Gottes zu bestehen (Heilsgewissheit). Auch wenn die Sakramente Taufe und Abendmahl, gute Werke und die Gemeinde eine wichtige Rolle im Leben eines Christen spielen, tragen sie nichts zu seiner Rechtfertigung bei.

Viele Wege führen nach Rom – nur einer in den Himmel

Da sich offenkundig die beiden Heilskonzepte im Kern widersprechen, können sie nicht miteinander vereint werden.[6] Und damit wird das eigentliche Problem deutlich. Denn obwohl viele Wege nach Rom führen mögen, lehrt die Heilige Schrift klar, dass es nur einen Weg in den Himmel gibt. In seinem Brief an die Gemeinden in Galatien schreibt der Apostel Paulus: Mich wundert, dass ihr euch so schnell abwenden lasst von dem, der euch durch die Gnade des Christus berufen hat, zu einem anderen Evangelium, während es doch kein anderes gibt; nur sind etliche da, die euch verwirren und das Evangelium von Christus verdrehen wollen. Aber selbst wenn wir oder ein Engel vom Himmel euch etwas anderes als Evangelium verkündigen würden als das, was wir euch verkündigt haben, der sei verflucht! Wie wir es zuvor gesagt haben, so sage ich auch jetzt wiederum: Wenn jemand euch etwas anderes als Evangelium verkündigt als das, welches ihr empfangen habt, der sei verflucht! (Galater 1,6-9)

Es gibt nur ein Evangelium, und wer dieses leugnet oder ein anderes verkündigt, der sei, so der Apostel, verflucht! Nur eines der beiden Rechtfertigungsverständnisse gibt das Evangelium Christi wahrheitsgemäß wieder, und demnach muss das andere eine verdammungswürdige Irrlehre sein. Sowohl die Reformatoren als auch die römisch-katholische Kirche sahen diesen Sachverhalt. Deswegen verurteilten sie sich auch gegenseitig mit scharfen Worten. Martin Luther schrieb über die katholische Auffassung der Rechtfertigung: „Denn wo der falsche Zusatz und die verkehrte Auffassung dabei sind, dass wir durch die Werke rechtschaffen und selig werden wollen, sind sie schon nicht mehr gut und ganz verdammenswert; denn sie sind nicht frei und schmähen die Gnade Gottes, die allein durch den Glauben rechtschaffen und selig macht, und das vermögen die Werke nicht, nehmen sich’s aber trotzdem vor und greifen damit der Gnade in ihr Werk und ihre Ehre ein.“[7]

Um auf die Schriften der Reformatoren zu antworten, traf sich die römisch-katholische Kirche Mitte des 16. Jahrhunderts zum Konzil von Trient (1545-1563). In den bis heute gültigen Beschlüssen des Konzils heißt es unter anderem: „Wer behauptet, dass der sündige Mensch durch den Glauben allein gerechtfertigt werde, und darunter versteht, dass nichts anderes als Mitwirkung zur Erlangung der Rechtfertigungsgnade erfordert werde und dass es in keiner Weise notwendig sei, sich durch die eigene Willenstätigkeit zuzurüsten und zu bereiten, der sei ausgeschlossen.“[8]

Es gab viele Unterschiede zwischen den Katholiken und den Reformatoren. Aber in einer Sache waren sie sich völlig einig: Beide Seiten hatten eindeutig erfasst, dass es in der ganzen Debatte im Kern um die Frage der Errettung geht und dass die beiden Positionen nicht miteinander vereinbar sind.[9]

Was sagt Johannes Hartl dazu?

Während also sowohl die römisch-katholische Kirche als auch die Reformatoren klar erkannten und benannten, wo die Unterschiede liegen, spielt Hartl die Sachlage herunter. Nach seiner Auffassung seien die harschen Auseinandersetzungen der Reformation hauptsächlich aus Hartherzigkeit, Stolz und Missverständnissen erwachsen.[10] Was uns vereine, sei in Wahrheit viel größer als das, was uns trenne, und darum solle man erst einmal über die Gemeinsamkeiten reden, bevor man über die Unterschiede diskutiere. Und überhaupt, so Hartl, habe die katholische Kirche bereits den Löwenanteil der Reformen durchgeführt, die Luther sich so dringlich ersehnt hatte. Mit Blick auf das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) schreibt er: „Was Luther ursprünglich wollte, wurde weitgehend durch dieses Konzil erfüllt.“[11] Darunter fallen für Hartl „[ein] neuer Stellenwert der Ortskirche, Ökumene, [ein] neues Bild von Israel, Menschenrechte, Engagement für den Frieden, Zusammenarbeit mit den anderen Religionen“[12]. Den Kernpunkt der Reformation, nämlich die Frage nach dem Heil, spricht er dabei gar nicht an.[13]

Unberechtigte Kritik?

Doch nicht jeder teilt Hartls Einschätzung. So wurde in der Vergangenheit auch immer wieder Kritik an dessen ökumenischen Bemühungen geäußert. Die evangelische Nachrichtenagentur idea berichtete im Oktober 2017 über einen facebook-Artikel des Augsburger Theologen, in dem er auf die „Ironie“ der gegen ihn vorgebrachten Kritik eingeht. Denn einerseits werfe man ihm von evangelischer Seite vor, subtil katholische Lehren zu vermitteln, und andererseits müsse er sich aus dem eigenen Lager anhören, zu viel protestantischen Geist in der katholischen Szene zuzulassen. So sei er für manche Christen „ein doppelter Satansbraten“[14]. Vor allem seine protestantischen Gegner hätten es bisher versäumt auf den Punkt zu bringen, wo genau denn seine Lehre irre.

„Ich schwärme von Jesus“ und möchte, dass sich „Menschen inniger in ihn verlieben“, schreibt Hartl am Ende seines facebook-Artikels an seine protestantischen Kritiker. Außerdem versuche er doch, das Evangelium in den schönsten Farben zu malen. [15]

Die Frage ist nur: Von welchem Jesus schwärmt er? In welchen Jesus sollen wir uns „verlieben“? In den Jesus, der uns allein durch den Glauben vollkommen und ein für alle Mal gerecht spricht? Oder in den Jesus, der uns allmählich und schrittweise gerecht macht und uns in diesem Leben niemals Heilsgewissheit schenkt?

Und: Welches Evangelium malt Hartl in den schönsten Farben? Das römisch-katholische „Evangelium“ aus ‚Glaube plus Werke, Sakramente und Kirche‘ oder das Evangelium, das uns die Rettung allein aus Gnade, allein durch den Glauben und allein auf der Grundlage von Christi Werk auf Golgatha verheißt?

Warum feiern wir eigentlich?

Stellen wir uns vor, wir geraten mehr oder weniger ungeplant in eine größere Feier. Dutzende von fröhlichen Menschen feiern einen Mann, der im Zentrum des Geschehens ist. Leider kann man nicht erkennen, warum dieser Mann gefeiert wird. Also fragen wir die erste Person, die uns über den Weg läuft. Sie antwortet uns: „Der Mann da vorne in der Menge wird heute 50 Jahre alt.“ Während wir zufrieden mit der Antwort gerade weitergehen wollen, dreht sich eine Frau um und meint: „Nein, Unsinn, der Mann wird heute 60.“ Wir müssen ein bisschen schmunzeln und zucken mit den Schultern. Um den Widerspruch zu klären, sprechen wir einen älteren Herrn an, der sich gerade etwas zu trinken holt: „Wie alt wird denn das Geburtstagskind heute?“ – „Er hat gar nicht Geburtstag, er ist gerade Großvater geworden“, bekommen wir zur Antwort. „Ach Schatz“, unterbricht ihn seine Frau, „das stimmt doch gar nicht.“ Und an uns gewendet sagt sie lachend: „Er ist zum Chef einer großen und wichtigen Abteilung in seiner Firma aufgestiegen. Deswegen wird heute gefeiert.“

Was würden wir nach diesem etwas skurrilen Erlebnis denken? Vermutlich würde jeder von uns kopfschüttelnd nach Hause gehen. Da feiert eine Gruppe von Menschen einen Mann. Aber die Gäste sind sich überhaupt nicht über den Anlass der Feier einig. Ähnlich ist es, wenn Katholiken und Protestanten versuchen, zusammen Gottesdienst zu feiern. Welchen Jesus beten sie an? Den römisch-katholischen Jesus oder den Jesus, den die Reformatoren im Evangelium wiederentdeckt haben?

Einander verstehen – gemeinsam vorwärts gehen. So lautet der Untertitel von Hartls Buch Katholisch als Fremdsprache. Tatsächlich ist es sehr wichtig für eine faire Auseinandersetzung, die Position der anderen Seite zu verstehen und richtig wiederzugeben.

Genau das taten die Reformatoren und die Vertreter des Trienter Konzils trotz ihrer harten Worte. Beide Seiten begriffen, dass die Unterschiede den zentralen Kern des Glaubens betreffen. Deswegen urteilten sie so deutlich über die jeweils andere Seite. Natürlich kann man die Unterschiede kleinreden, für veraltet erklären oder sie weitgehend ignorieren. Aber wenn man die Sachlage ernst nimmt, dann folgt aus dem „einander Verstehen“ kein „gemeinsames Vorwärtsgehen“ – zumindest nicht in geistlichen Angelegenheiten.

Wer seine Begeisterung für die Ökumene nicht teile, der habe vielleicht nur Angst, dass anderen das Bier woanders besser schmecke als im eigenen Lager,[16] schreibt Hartl. Was der römisch-katholische Theologe nicht sieht oder vielleicht auch gar nicht sehen will: Es geht nicht um Bier – auch nicht im übertragenen Sinne, sondern um sehr viel mehr. Es geht um das Zentrum unseres Glaubens und damit um die Frage, wer Jesus ist, was er getan hat und wo Menschen die Ewigkeit verbringen werden. Initiativen wie das Gebetshaus Augsburg können deshalb auch nicht als Fortschritt zur konfessionellen Wiedervereinigung betrachtet werden, denn sie verschleiern die Grundlage wahrer geistlicher Gemeinschaft. Sie versuchen ohne Evangelium etwas zu stiften, was biblisch betrachtet eine direkte Frucht des Evangeliums ist.

Entweder – oder

1563 ist nicht nur das Jahr, in dem das Trienter Konzil nach 18 Jahren Beratung die evangelische Rechtfertigungslehre auf Schärfste verurteilte, es ist auch das Jahr, in dem in Heidelberg ein kleines Buch veröffentlicht wurde, das den evangelischen Glauben in 129 einfachen Fragen und Antworten zusammenfasst: der Heidelberger Katechismus. Frage 30 darin lautet: „Glauben denn auch die an den einzigen Heiland Jesus, die Heil und Seligkeit bei den Heiligen, bei sich selbst oder anderswo suchen? Nein. Sie rühmen sich zwar seiner mit Worten, verleugnen ihn aber mit der Tat. Denn entweder ist Jesus kein vollkommener Heiland…oder er ist denen, die ihn mit wahrem Glauben annehmen, alles, was zu ihrer Seligkeit nötig ist.“

Seien wir uns darüber im Klaren: Wenn das stimmt, dann war die Reformation keine Sünde, sondern ein helles Licht nach langer Finsternis. Viele unserer evangelischen Vorfahren waren bereit, eher auf den Scheiterhaufen zu gehen, als dieses Licht aufzugeben. Sollten wir nicht ebenso bereit sein, Farbe zu bekennen und diese wunderbare Botschaft entschieden zu verteidigen?

Letztlich sollten wir niemals vergessen: Nicht Luther, Melanchthon, Calvin, Zwingli, Bucer oder Brenz waren das strahlende Licht der Reformation, sondern das war das Evangelium von Jesus Christus. Wie sehr können wir Gott dafür danken, dass er diese Männer dazu gebraucht hat, unsere Finsternis zu erhellen. Und deswegen sind 500 Jahre Reformation wirklich ein Grund zum Feiern.


[1]) Hartl, Johannes / Tanner, Leo, Katholisch als Fremdsprache. Koblenz 2015, S. 9.

[2]) Hartl, Johannes / Tanner, Leo, Katholisch als Fremdsprache. Koblenz 2015, S. 8.

[3]) Calvin, Johannes, Mahnschreiben an Karl V. Um Gottes Ehre! Matthias Simon [Hrsg.] München 1924, S. 243.

[4]) Calvin, Johannes: Unterricht in der christlichen Religion, Neukirchen-Vluyn 2009, S. 396.397.

[5]) Calvin, Johannes: Unterricht in der christlichen Religion, Neukirchen-Vluyn 2009, S. 133.

[6]) Vielerorts meint man, dass die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre (1999) die Stolpersteine aus dem Weg geräumt hätten und nun ein Konsens zwischen den Konfessionen gefunden sei. Doch wie Scott Manetsch zutreffend anmerkt, ist dies eine Illusion. Zwar hat die römisch-katholische Kirche reformatorische Begrifflichkeiten wie sola fide und sola gratia in ihr Vokabular aufgenommen, aber sie hat sie gleichsam mit ihrer altbekannten Theologie gefüllt. Faktisch bejaht die römisch-katholische Kirche die in Trient formulierte Rechtfertigungslehre im Katechismus (KKK 1989, 2019), aber auch deutlich in Artikel 4.2 (Innere Anhaftung der Gerechtigkeit Gottes) und 4.4 (Taufwiedergeburt) der gemeinsamen Rechtfertigungserklärung. Demnach ist die einzige Annäherung, die durch dieses Dokument erfolgt ist, die der mitwirkenden protestantischen Kirchen in Richtung Rom und nicht andersherum. Siehe: Manetsch, Scott, Is the Reformation Over? John Calvin, Roman Catholicism, and Contemporary Ecumenical Conversations. In: Themelios 36.2 (2011), S. 200f.

[7]) Luther, Martin, Von der Freiheit eines Christenmenschen. S. 9. Hervorgehoben durch die Verfasser.

[8]) Konzil zu Trient, 6. Sitzung, Lehrsätze über die Rechtfertigung, 9. Artikel; in: Neuner, Josef und Heinrich Roos, Der Glaube der Kirche in den Urkunden der Lehrverkündigung. 13. Auflage, Regensburg 2009, S. 514.

[9]) Das heißt nicht, dass ein Mitglied der römisch-katholischen Kirche nicht errettet sein kann. Jeder, der an Jesus Christus als seinen Herrn und Erlöser glaubt, wird gerettet werden. Auch sind wir der Auffassung, dass man gerade heute als bibeltreuer evangelischer Christ in ethischen Fragen mit konservativen Katholiken an einem Strang ziehen sollte. Ein Beispiel: Als der Ludwigsburger Theologe Siegfried Zimmer im Frühjahr 2015 einen Vortrag mit dem Titel „die schwule Frage“ hielt und darin biblische Aussagen zum Thema Homosexualität in Frage stellte, indem er sie uminterpretierte, schrieb Johannes Hartl auf facebook eine sehr gute Antwort (abrufbar unter: http://hanniel.ch/2015/04/22/standpunkt-bekehrung-zur-empathie/). Auch Hartls Aufforderung, gegen gesellschaftliche Entwicklungen wie die Islamisierung oder die Säkularisierung einzustehen, ist äußerst begrüßenswert (Katholisch als Fremdsprache, S. 130.131).

Dennoch ist festzuhalten, dass die römische-katholische Kirche aus biblischer Sicht keine wahre Kirche ist. Der amerikanische reformierte Theologe R.C. Sproul schreibt dazu: „Wenn die reformatorische Sicht auf die biblische Lehre der Rechtfertigung korrekt ist, […], dann bedeutet deren Verdammung, gleichzeitig das Evangelium zu verdammen. Wenn irgendeine Gemeinschaft sich zum christlichen Glauben bekennt, aber dessen essentielle Wahrheiten leugnet, dann belegt sie damit, selbst nicht mehr eine wahre oder rechtmäßige Kirche zu sein.“ Siehe: Sproul, Robert Charles, Are We Together? Sanford 2012, S. 35 (Übersetzung durch die Verfasser).

[10]) Hartl, Johannes / Tanner, Leo, Katholisch als Fremdsprache, Koblenz 2015, S. 36.38.

[11]) Hartl, Johannes / Tanner, Leo, Katholisch als Fremdsprache, Koblenz 2015, S. 47.

[12]) a.a.O., S. 46.47.

[13]) Die Frage nach der Errettung des Menschen wird in Katholisch als Fremdsprache nie explizit über mehrere Seiten thematisiert, sondern immer nur nebenbei in wenigen Zeilen gestreift.

[14]) Hartl, Johannes, An die geschätzten Protestanten unter meinen Kritikern.“ https://www.facebook.com/johannes.hartl.100/posts/2145781008781218. (Download vom 31.10.2017).

[15] ebd.

[16] Hartl, Johannes, An die geschätzten Protestanten unter meinen Kritikern. https://www.facebook.com/johannes.hartl.100/posts/2145781008781218. (Download vom 31.10.2017).