Wortverkündigung aus Galater 3,15-18: Warum das Gesetz das Evangelium nicht zerstören kann

Wortverkündigung aus Galater 3,15-18: Warum das Gesetz das Evangelium nicht zerstören kann

So gut wie alle Religionen dieser Welt lehren: „Tu dies, verhalte dich so, opfere jenes – und die Götter, der Gott oder das Karma werden dir wohlgesonnen sein.“ Dagegen steht das Evangelium der Heiligen Schrift. Anstatt: „Tu etwas“ sagt das Evangelium: „Alles ist getan. Du brauchst nichts zu tun. Du darfst der Verheißung glauben, dass alles für dich bezahlt ist.“ Von daher gibt es in dieser Welt einerseits das Gesetzesprinzip („Tu etwas!“), und andererseits das Evangeliumsprinzip („Alles ist getan!“).

Bereits in den Versen, die vor dem heutigen Predigtabschnitt stehen, hatte Paulus das Evangeliumsprinzip dargelegt. Manchmal hat man den Eindruck, dass der Apostel im Galaterbrief immer wieder das Gleiche in anderen Worten aussagt. Aber das zeigt eben nur, wie wichtig es ihm ist, dass wir diese Wahrheit begreifen, zumal sich die Botschaft der Bibel gerade durch dieses Evangeliumsprinzip fundamental von allen Weltreligionen unterscheidet.

Anlass für den Galaterbrief waren Irrlehrer, die in den dortigen Gemeinden aufgetaucht waren, nachdem Paulus weitergezogen war. Diese Menschen verkündigten: „Ja, tatsächlich findet sich in der Bibel immer wieder das Evangeliumsprinzip. Aber es findet sich eben auch das Gesetzesprinzip. Und man versteht die Bibel nur dann richtig, wenn man beides miteinander vermischt.“ Für diese Irrlehrer bestand der Weg zur Errettung einerseits aus Gnade, andererseits aus Gesetz. Um diese Lehre zurückzuweisen und unzweideutig zu widerlegen, schrieb der Apostel den Galaterbrief.

Eine wichtige Frage

In Galater 3,15 bis 18 wendet sich Paulus einem speziellen Problem zu, auf das jeder stößt, der die Heilige Schrift aufmerksam liest. Denn in der Bibel finden sich tatsächlich zahlreiche Gesetze. Die fünf Bücher Mose sind voll von Gesetzen. Psalm 119, das längste Kapitel der Bibel, preist das Gesetz. Auch das Neue Testament macht unmissverständlich klar, dass es nicht gleichgültig ist, wie wir uns verhalten.

Warum gibt es diese Aussagen in der Bibel? Man ist geneigt zu fragen: „Paulus, wenn du recht hast, dass die Bibel uns das Evangeliumsprinzip verkündet und nicht das Gesetzesprinzip: Warum gibt es dann so ausführliche Gesetze und Handlungsanweisungen in der Bibel?“ Um eine Antwort auf diese entscheidende Frage zu finden, schauen wir uns in der Heiligen Schrift den Anfang der Geschichte an.

Bereits bei Adam und Eva finden wir das Evangeliumsprinzip. Es steht in 1.Mose 3,15. Später begegnet es uns auch bei Noah. (1Mos. 6,8) Gott könnte alle Menschen wegen ihrer Sünden töten, aber er ist einigen gnädig und schenkt ihnen das Leben.

Ausführlich finden wir das Evangeliumsprinzip bei Abraham. Abraham bekam die wunderbare Verheißung von Gott: „Ich werde dich reich beschenken und zwar bedingungslos“. (1Mos. 12,2.3.7; 15,5; 17,2-8) Weil dabei die Verheißungen im Vordergrund standen, kann man das Evangeliumsprinzip auch als Verheißungsprinzip bezeichnen. So macht Paulus es hier, wenn er gleich vier Mal in unseren Versen von der Verheißung spricht.

Die einzige Aufgabe, die Abraham hatte, war, darauf zu vertrauen, dass Gott das tun werde, was er versprochen hat.2 Dieses Vertrauen nennt die Bibel Glaube.

Abraham war nach wie vor ein Sünder. Die Bibel verschweigt das nicht. Aber seine Sünden konnten die Verheißungen Gottes nicht zunichtemachen. Gott steht treu zu Abraham.

Ein weiteres Prinzip

Später, ab dem zweiten Buch Mose, finden wir dann das Gesetzesprinzip.3 Zu den Nachkommen Abrahams sagte Gott nicht mehr nur: „Ich will euch bedingungslos segnen.“ Er sagte nun auch: „Tu dies, und du wirst gesegnet werden, tust du es nicht, wirst du sterben.“

In der Bibel findet sich also das Evangeliumsprinzip deutlich bei Abraham. Und später bekommt das Volk dann das Gesetzesprinzip bei Mose vorgelegt. Die Frage ist: Wie passt das zusammen? Widerspricht sich die Bibel hier nicht?

Paulus sagt: Es gibt tatsächlich diesen Gegensatz zwischen den beiden Prinzipien. (Gal. 3,5.10-12) In unseren Versen, Galater 3,15-18, erläutert der Apostel nun, warum das Gesetz das Evangelium nicht zerstört, obwohl die beiden einander entgegengesetzt sind. Dafür nennt er drei Gründe.

Das Gesetz kann das Evangelium nicht zerstören,

  1. weil das Evangelium fest ist,
  2. weil das Evangelium nicht mischbar ist,
  3. weil das Evangelium bezahlt ist.

1. Das Gesetz kann das Evangelium nicht zerstören, weil das Evangelium fest ist.

Der Apostel Paulus beginnt die Verse mit einem Beispiel aus unserer Lebenswelt: Brüder, ich rede nach Menschenweise. (Gal. 3,15) In anderen Worten: „Ich gebe euch jetzt ein Beispiel aus eurem Alltag.“ Weiter schreibt er: Sogar das Testament eines Menschen hebt niemand auf oder verordnet etwas dazu, wenn es bestätigt ist. Das Beispiel stammt aus der Geschäftswelt. Auch wenn Paulus hier wörtlich von einem Testament oder Bund spricht, ist die Entsprechung für uns Menschen des 21. Jahrhunderts ein Vertrag. Wenn zwei Parteien miteinander einen Vertrag abschließen, dann ist diese Vereinbarung fest.

Das Prinzip leuchtet ein: Wenn sich ein Kreditnehmer und eine Bank auf einen Zinssatz von beispielsweise drei Prozent geeinigt haben, dann kann später nicht eine Seite kommen, und den Zinssatz erhöhen oder senken. Ein unterschriebener Vertrag ist fest.

Ein ungewöhnliches Ritual

Warum wählt Paulus dieses Beispiel? Um das zu verstehen, schauen wir uns genauer die Begebenheit an, als Gott dem Abraham versprach, ihn bedingungslos zu segnen. Gott sagte nicht einfach: „Abraham, ich mag dich gerne, und ich werde dich vielleicht segnen, wenn mir danach der Sinn steht.“ Nein, Gott machte sein Versprechen rechtlich fest, indem er mit Abraham einen Bund schloss. Das lesen wir in 1.Mose 15. Auf diese Weise erklärte er: „Abraham, ich verpflichte mich verbindlich, dich zu segnen.“

Zu Abrahams Zeiten besiegelte man rechtliche Verträge noch nicht mit einer Unterschrift. Oftmals wählte man damals ein Verfahren, das heute wohl sämtliche Tierschutzorganisationen auf den Plan rufen würde: Nachdem beide Parteien geklärt hatten, was vereinbart wird, schlachtete man einige Tiere und teilte sie in der Mitte durch. Anschließend legte man die jeweiligen Tierhälften so in zwei Reihen auf den Boden, dass zwischen ihnen eine Gasse entstand. Um den Vertrag zu besiegeln, schritten beide Parteien gemeinsam durch diese Gasse.

Was sollte dieses etwas skurrile Schauspiel bezwecken? Beide Parteien gaben damit zu verstehen: Wenn ich meinen Teil der Abmachung, des Vertrages oder des Bündnisses brechen werde, dann soll mit mir das geschehen, was mit diesen Tieren passiert ist. Als Gott seinen Bund mit Abraham schloss, wählte er also ein für die damalige Zeit gewöhnliches Vertragsritual. Und doch gab es einen großen Unterschied zwischen normalen Vertragsabschlüssen und dem Bund zwischen Gott und Abraham. Wie gesagt, normalerweise schritten beide Parteien durch die Gasse zwischen den Tierhälften. Aber bei Gott und Abraham ging einzig und allein Gott in Form einer Feuerfackel durch die Tierhälften. (1Mos. 15,17) Abraham wurde dagegen in einen tiefen Schlaf geschickt. (1Mos. 15,12) Warum tat Gott das?

Gott wollte Abraham das Evangeliumsprinzip deutlich machen. Wären nämlich sowohl Gott als auch Abraham durch die Tierhälften gegangen, hätte Gott Abraham zerteilen müssen, sobald jener eine Sünde beging. Aber durch diese Art des Bundesschlusses erklärte Gott: „Abraham, ich werde dich segnen, ich werde dein Gott sein trotz all deiner Fehler. Ich verpflichte mich, dir treu zu sein, obwohl du ein Sünder bist. Ich mache diesen Bund einseitig, von mir aus, mit dir und mit deinen Nachkommen.“

Ein weiterer Bund

Die Geschichte der Bibel geht mit den Nachkommen Abrahams weiter. Mehr als 400 Jahre später waren sie zu einem großen Volk geworden von mehr als 1 Million Menschen. Gott hatte sie aus Ägypten befreit, wo sie einige Jahrhunderte gelebt hatten, zuletzt als Sklaven des Pharao. Unter der Leitung Moses führte Gott sie zum Berg Sinai. An diesem Berg machte Gott mit den Nachkommen Abrahams einen weiteren Bund.

Dieser Bund hatte durchaus Ähnlichkeiten mit dem Bund bei Abraham. Aber in einem entscheidenden Punkt war er anders: Gott sagte hier nicht: „Ich will euch bedingungslos segnen.“ Nun sagte er: „Tut dies, und tut jenes nicht!“

Wie dieser Bund funktionierte, fasst Paulus in Galater 3,10 und 12 zusammen: Denn es steht geschrieben: Verflucht ist jeder, der nicht bleibt in allem, was im Buch des Gesetzes geschrieben steht, um es zu tun. […] Das Gesetz aber ist nicht aus Glauben, sondern: Der Mensch, der diese Dinge tut, wird durch sie leben.

Als der Bund am Sinai geschlossen wurde, schlief niemand. Das Volk war hellwach. In 2.Mose 24,7 lesen wir, wie sie auf den Bund Gottes reagierten: Darauf nahm Mose das Buch des Bundes und las es vor den Ohren des Volkes. Und sie sprachen: „Alles, was der HERR gesagt hat, das wollen wir tun und darauf hören!

Bei Abraham sagte Gott einseitig: „Ich will dich segnen“, während Abraham schlief. Hier bei Mose sagte Gott: „Tut dies, und ihr werdet gesegnet. Tut ihr es nicht, werdet ihr sterben.“ Und alle im Volk stimmten diesen Bedingungen zu.

Wie passen Abraham und Mose zusammen?

Erneut stellt sich die Frage, die wir zu Anfang stellten: Wie passt das zusammen? Wie bekommen wir Abraham und Mose, wie bekommen wir das Evangeliumsprinzip und das Gesetzesprinzip unter einen Hut? Das ist nicht irgendeine Frage, sondern eine der zentralsten, um die Bibel richtig zu verstehen.

Die Irrlehrer in Galatien hatten eine Antwort gefunden. Sie lehrten: „Tatsächlich gab Gott bei Abraham das Evangelium. Aber dann bei Mose hat er eben das Kleingedruckte hinzugefügt.“ Für sie war das Verhältnis zwischen beiden Prinzipien so ähnlich wie heutzutage bei manchen Werbeplakaten. Da wird in großen Buchstaben ein verlockendes Angebot gemacht, und ganz unten findet sich dann das Kleingedruckte, das den Haken an der Sache deutlich macht.

Paulus stellt fest, dass ein derartiges Verständnis des Verhältnisses von Evangelium und Gesetz falsch ist: Das aber sage ich: Ein von Gott auf Christus hin zuvor bestätigtes Testament [= der Bund mit Abraham] wird durch das 430 Jahre danach entstandene Gesetz nicht ungültig gemacht, sodass die Verheißung [= das Evangeliumsprinzip] aufgehoben würde. (Gal. 3,17)

Warum haben die Irrlehrer also Unrecht? Das erste Argument, das Paulus anführt, lautet: Gott hat mit Abraham einen Bund gemacht, den er mit dem Tierhälftenritual besiegelt hat. Nun kann und wird er nicht kommen und noch etwas im Nachhinein einfügen, um etwas zu verändern. Das Gesetz ist also nicht das Kleingedruckte zum Evangelium.

Paulus ist aber noch nicht fertig. Er gibt uns noch ein zweites Argument, warum das Gesetz das Evangelium nicht auflösen kann.

2. Das Gesetz kann das Evangelium nicht zerstören, weil das Evangelium nicht mischbar ist.

Nehmen wir einmal an, es wäre so, wie die Irrlehrer in Galatien es verkündigten: Das Evangelium, das Abraham empfangen hatte, müsse mit dem Gesetz des Mose gemischt werden. Erst dann hätten wir die wahre Lehre der Bibel. Was würde dann passieren?

Paulus beantwortet das am Ende von Vers 17: Ein von Gott […] bestätigtes Testament wird durch das […] Gesetz nicht ungültig gemacht, sodass die Verheißung aufgehoben würde.

Paulus sagt hier mit anderen Worten: Wenn man das Evangelium bzw. die Verheißung mit dem Gesetz vermischt, dann würde die Verheißung aufgehoben werden. In Vers 18 erklärt Paulus diesen Punkt genauer: Denn wenn das Erbe durch das Gesetz käme, so käme es nicht mehr durch Verheißung. Dem Abraham aber hat es Gott durch Verheißung geschenkt. Denselben Punkt macht Paulus auch in Römer 4,14Denn wenn die vom Gesetz Erben sind, so ist […] die Verheißung unwirksam gemacht.

Es wird klar: Sobald wir die beiden Prinzipien mischen, vernichten wir das Evangelium. Warum ist das so? Der Grund dafür ist, dass das Evangeliumsprinzip und das Gesetzesprinzip nicht gemeinsam funktionieren.

Entweder – oder

Nehmen wir an, ein wohlhabender Mann würde einem Bekannten einen Porsche schenken. Der Porsche ist ein bedingungsloses Geschenk. Kurze Zeit später würde der Wohltäter zu seinem Bekannten kommen und sagen: „Ich habe dir zwar den Porsche geschenkt, aber du darfst ihn nur behalten, wenn du für die nächsten Jahre einmal in der Woche meine Straße kehrst.“ Vielleicht ist der Beschenkte ärgerlich, vielleicht ist er auch bereit, die Aufgabe anzunehmen. Aber das ist nicht der Punkt, um den es geht. Denn sobald der wohlhabende Mann eine, wenn auch nur geringfügige Bedingung dem Geschenk hinzufügt, ist das Geschenk kein Geschenk mehr. Es ist damit ein Deal oder eine Abmachung unter Freunden geworden. Aber es ist kein Geschenk mehr.

Genauso ist es beim Evangelium. Versucht man Evangelium und Gesetz zu mischen, kommt dabei immer Gesetz heraus. Denn sobald wir 99 Prozent Evangelium und 1 Prozent Gesetz haben, ist das Evangelium kein Evangelium mehr. Denn die Frage, ob wir gesegnet werden, hängt plötzlich – wenn auch nur zu einem scheinbar sehr geringen Teil – von unserer Leistung ab. Deswegen schreibt Paulus: Denn wenn das Erbe [= unsere Errettung] durchs Gesetz käme, so käme es nicht mehr durch Verheißung [= nicht mehr durch das Evangelium](Gal. 3,18)

Das Problem der Vermischung

Es ist nicht möglich, beide Prinzipien zu mischen. Ich betone dieses deswegen so nachdrücklich, weil es so wichtig ist, dies zu verstehen. Diese Frage war nicht nur ein Problem in den galatischen Gemeinden, an die Paulus diese Verse schrieb. Diese Frage ist die erste zentrale biblische Wahrheit, die die frühe Kirche nach dem Tod der Apostel vergessen hatte. Bereits in den ersten Schriften der so genannten Kirchenväter fällt auf, dass die Christen ziemlich bald nach dem Ende der Zeit der Apostel irgendwelche Dinge wieder einführten, die der Mensch tun müsse, um gerettet zu werden.

Diese Entwicklung lässt sich im Prinzip durch die gesamte frühe Kirche sowie durch die Zeit des Mittelalters hindurch verfolgen – bis dann mehr als 1400 Jahre nach den Aposteln ein eigentlich unbedeutender Mönch namens Martin Luther völlig verzweifelt war, weil er merkte: Sobald man Gesetz und Evangelium mischt, kommt dabei nur Gesetz heraus. Das Evangelium geht vollständig verloren.

Es wurde für Luther zu einer überwältigenden Befreiung, in der Heiligen Schrift die Wahrheit zu entdecken, dass unsere Rettung nicht zu 99 Prozent, sondern zu 100 Prozent auf dem Evangelium gegründet ist. Deswegen war für ihn das kleine Wort allein so zentral. Es ist allein der Glaube, allein die Gnade, allein Christus – sola fidessola gratiasolus Christus. Wenn man Gnade und Werke, Glaube und Werke mischt, dann verliert man nicht ein bisschen vom Evangelium, man verliert alles. Diese Erkenntnis ist in der damaligen Zeit so revolutionär gewesen – sie änderte nicht nur Luthers Leben entscheidend, sondern sie löste auch ein schweres politisches Beben in ganz Europa aus.

Das Gesetzesprinzip hebt also das Evangeliumsprinzip nicht auf, denn erstens ist das Evangeliumsprinzip durch den Bundesschluss mit Abraham fest. Es kann gar nicht über den Haufen geworfen werden. Zweitens würde bei einer Vermischung beider Prinzipien das Evangeliumsprinzip vollständig verschwinden. Das sind die beiden Argumente, mit denen Paulus die Frage beantwortet, warum das Gesetz das Evangelium nicht auflöst.

Aber eine andere Frage bleibt: Wozu ist dann das Gesetz gegeben? Tatsächlich stellt Paulus genau diese Frage in Vers 19, und er beantwortet sie in den folgenden Versen. Aber lassen wir das jetzt auf sich beruhen. Zunächst wollen wir begreifen, was das Gesetz nicht tut. Bei der Beantwortung dieser Frage sind wir bisher über einige Aussagen in den Versen 15 bis 18 hinweggegangen. Denn inmitten seiner Ausführungen kommt Paulus auf Jesus Christus zu sprechen.

Die Frage stellt sich damit: Geht es hier nicht um Abraham und Mose? Was hat Christus damit zu tun? Dieser Frage wollen wir im dritten und letzten Punkt auf den Grund gehen.

3. Das Gesetz kann das Evangelium nicht aufheben, weil das Gesetz bezahlt ist.

Nun aber sind die Verheißungen dem Abraham und seinem Samen zugesprochen worden. Es heißt nicht: „und den Samen“, als von vielen, sondern als von einem: „und deinem Samen“, und dieser ist Christus. (Gal. 3,16)

Gott hatte seine Verheißung dem Abraham und seinem Samen versprochen. Das richtige Verständnis des Begriffs Same ist in diesem Zusammenhang ausschlaggebend. Einerseits steht das Wort Same für viele Menschen, eben für die Nachkommen Abrahams. Auf der anderen Seite aber ist das Wort Same Einzahl. Auf diesen Umstand, also dass das Wort Same streng genommen Einzahl ist, spielt Paulus an, wenn er schreibt: Es heißt nicht: „und den Samen“, als von vielen, sondern als von einem: „und deinem Samen“, und dieser ist Christus. (Gal. 3,16) Paulus lehrt: Als Gott dem Abraham und seinem Samen die Verheißung gab, da hatte er nicht vor allem Abraham und seine vielen Nachkommen im Blick.4 Vielmehr dachte er in erster Linie an seinen Sohn, Jesus Christus. Wie kommt Paulus darauf?

Ein heiliger Gott und sündige Menschen

Der Grund für diese Aussage liegt in Gottes Wesen begründet. Gott hatte versprochen: „Abraham, ich werde dich segnen trotz deiner Sünde.“ Das klingt schön und einfach. Aber so einfach ist die Sache nicht. Denn Gott ist heilig, gerecht und sündlos. Abraham war ein Sünder, der immer wieder Dinge falsch machte. Von daher kann der heilige Gott Abraham nicht einfach segnen. Damit Gott Abraham und seine Nachkommen segnen kann, muss Abraham erst heilig werden. Wie sollte das geschehen?

Möglichkeit eins: Gott sagt den Menschen, was sie zu tun haben, um heilig zu werden. Genau das hatte Gott dann auch gemacht, als er ihnen das Gesetz am Berg Sinai gab. Aber es zeigte sich ziemlich bald, dass die Menschen – wie auch bereits im Garten Eden – kläglich scheiterten. Denn ihre Sünde steckte viel zu tief in ihnen. Anstatt sich durch das Halten des Gesetzes heiliger zu machen, entfernten sich die Menschen durch ihr Verhalten jeden Tag nur noch weiter von Gott.

Möglichkeit zwei: Gott kümmert sich selbst um die Sünde der Menschen. Genau das tat er. Bereits beim Bundesschluss mit Abraham sehen wir, wie Gott dies andeutet. Wenn man damals einen Bund schloss, galt das Prinzip: Falls einer der beiden Bundespartner den Bund bricht, endet er so wie die Tiere. Wie wir sahen, ging Gott allein durch die Tierhälften: Damit brachte er einerseits zum Ausdruck: Ich mache den Bund von mir aus mit dir. Er bewahrte damit Abraham davor, selbst durch die Tierhälften zu gehen und so das Todesurteil auf sich zu ziehen.

Zerteilt – für uns

Aber das war nicht alles. Denn Gott sagte durch seinen ‚Alleingang‘ noch mehr: „Wenn ich den Bund breche, dann ende ich wie die Tierhälften. Aber auch wenn du den Bund brichst, ende ich ebenso wie die Tierhälften. Während du tief geschlafen hast, lief ich für mich selbst und gleichzeitig stellvertretend für dich durch die Tiergasse.“

Das ist Gnade. Unmittelbar nach der Geschichte von den Tierhälften sehen wir, wie Abraham sündigte. Er wollte der Verheißung Gottes, ihm einen Sohn zu schenken, auf die Sprünge helfen, indem er mit Hagar, der Magd seiner Frau, ein Kind zeugte. (1Mos. 16) Wäre Abraham durch die Tierhälften gegangen, wäre er spätestens jetzt als halbierter Abraham geendet.

Neben dieser Begebenheit lesen wir noch dreimal ausdrücklich im Alten Testament, dass Gott mit Menschen einen Bund schloss. Jedes Mal begingen die Menschen, genau wie Abraham, ziemlich bald nach dem Bundesschluss bzw. der Bundesverheißung eine schwere Sünde.

Gott schloss mit Noah einen Bund. (1Mos. 9,1-17) Kurz darauf betrank Noah sich hemmungslos. (1Mos. 9,20-23) Mit dem Volk Israel machte Gott den Bund am Berg Sinai. (2Mos. 19-24) Wenig später fabrizierten sie ein goldenes Kalb und beteten es an. (2Mos. 32,1-6) Auch König David bekam wunderbare Verheißungen, als Gott mit ihm einen Bund schloss. (2Sam. 7,1-16) Aber kurze Zeit später beging er Ehebruch mit Bathseba und ließ ihren Mann Urija ermorden. (2Sam. 11-12) Gott ist so gnädig und schenkt den Menschen so viel. Und wie reagieren sie jedes einzelne Mal auf seine Gnade?

Es ist reine Gnade, dass Abraham nicht durch die Tierhälften gehen musste. Es war Gottes große Barmherzigkeit, die dafür sorgte, dass Gott stellvertretend für Abraham durch die Tierhälften ging.

Aber das heißt auch, dass Gott irgendwann für die Sünden Abrahams und seiner Nachkommen bezahlen musste. Genau das hat er getan, als er 2000 Jahre nach Abraham seinen Sohn Jesus Christus in die Welt sandte. Jesus lebte das heilige Leben, das nötig ist, um mit Gott Gemeinschaft zu haben. Als einziger Mensch beging er nie irgendeine Sünde. Am Ende starb er, um die Strafe dafür zu bezahlen, dass Abraham sowie seine Nachkommen nicht heilig leben. All das ist der Grund, warum es bereits bei den Verheißungen an Abraham nicht in erster Linie um Abraham und seine fleischlichen Nachkommen ging, sondern um Jesus. Gott segnete damals auch nicht eigentlich Abraham, den er aufgrund von dessen Sünde zunächst gar nicht segnen konnte. Vielmehr segnete Gott schon damals Christus.

Aber durch den Glauben gehörte Abraham ganz eng zu Jesus. (1Mos. 15,6; Gal. 3,6.14; Röm. 4) Deswegen bekommt er Anteil an dem Segen, den Jesus für sein eigenes heiliges Leben und sein Sterben bekam. Der Segen Gottes kam durch den Mittler Christus zu Abraham. Deshalb nennt Paulus den Bund mit Abraham am Anfang von Vers 17 einen von Gott zuvor auf Christus hin bestätigten Bund.

Der Bund mit Abraham und wir

Dieser Bund, dieser Segen gilt für alle Nachkommen Abrahams. Aber mit den Nachkommen Abrahams sind nicht die fleischlichen Nachkommen gemeint, also Abrahams leibliche Blutsverwandten, sondern es ist an die Menschen gedacht, die wie Abraham an die Verheißungen Gottes glauben. Paulus macht das im selben Kapitel klar: So erkennt: Die aus Glauben sind, diese sind Abrahams Kinder. (Gal. 3,7)

Als Gott damals bei Abraham durch die Tierhälften ging, hatte er bereits Christus im Blick. Sein Sohn würde – bildlich gesprochen – dafür zerteilt werden, dass die Menschen durch ihn wieder mit Gott Gemeinschaft haben dürfen. Seitdem ist die aufgrund der Gesetzesforderungen angehäufte Schuld bezahlt, und die Verheißungen an Abraham geben uns Hoffnung.

Das meint Paulus, wenn er in Vers 16 schreibt, dass es in erster Linie schon damals bei Abraham um Christus ging, um den einen, den wahren Samen Abrahams, der am Kreuz für unsere Schuld bezahlt hat, um so den Segen des Abrahambundes allen Glaubenden zugutekommen zu lassen. (Gal. 3,29)

Wenn der Teufel uns angreift…

Damals am Kreuz ließ Jesus sich nicht nur für uns zerteilen. Er besiegte auch den Teufel. Seitdem weiß der Teufel, dass er verloren hat. Er befindet sich noch in einer Art Rückzugsgefecht gegen uns, die Nachkommen Abrahams.

So versucht er auch dich selbst immer wieder dazu zu bringen zu sündigen. Und wenn er das geschafft hat, dann kommt er zu dir und wedelt vor deinem Gesicht mit dem Gesetzesprinzip nach dem Motto: „Du weißt doch, dass du dieses und jenes hättest tun sollen, und du hast es wieder einmal nicht geschafft. Gott hasst dich jetzt, und er will nichts mehr mit dir zu tun haben.“

Jeder Christ kennt die Gedanken: „Ich bin zu schlecht für Gott. Gott wird mich bestimmt nie wieder annehmen. Kann Gott so jemandem wie mir überhaupt vergeben?“

Es sind Gedanken, die der Teufel dir ins Ohr setzt, indem er dich davon überzeugen möchte, dass du über das Gesetzesprinzip zu Gott kommen kannst.

Wie sollen wir darauf reagieren? Unsere Verse geben die Antwort: Bei Gott gilt nicht das Gesetzesprinzip, sondern das Evangeliumsprinzip. Von daher dürfen wir immer und jederzeit zu ihm kommen, egal was wir gemacht haben. Das predige dir immer wieder selbst, wenn dich der Teufel verzweifeln lassen will, um dich von Gott wegzubekommen.

Hieronymus Weller (1499-1572) war ein enger Freund Martin Luthers. Als sehr gebildeter Mann schrieb er viele Bücher und unterrichtete unter anderem auch Luthers Kinder. Aber Zeit seines Lebens hatte er damit zu kämpfen, dass es dem Teufel immer wieder gelang, ihn mit dem Gesetzesprinzip in Verzweiflung zu stürzen. Um seinen Freund aufzurichten, schrieb ihm Luther einige Trostbriefe. Einer davon endet mit folgenden Worten: „Wenn der Teufel uns wieder einmal unsere Sünde vorhält und erklärt, dass ihr Tod und Hölle verdient hättet, dann müssen wir ihm dies sagen: ‚Ich gestehe zwar, dass ich Tod und Hölle verdient habe – aber was tut es? […] Denn ich kenne einen, der für mich gelitten und alle Schuld auf sich genommen hat. Sein Name ist Jesus Christus, Gottes Sohn, und wo er ist, dort werde auch ich sein.“5

Amen.

 


1) Die abgedruckte Wortverkündigung wurde kürzlich in der Bekennenden Evangelisch-Reformierten Gemeinde in Gießen gehalten, und zwar im Rahmen einer Predigtserie über den Galaterbrief. Bitte lesen Sie vorher den Abschnitt, Galater 3,15-18, in einer guten Übersetzung.

2) Tatsächlich verlangte Gott von Abraham auch die Beschneidung (1Mos. 17,9-14) und kündigte den Fluch bei Nichtbeachtung an. Dennoch ist die Beschneidung kein (Gesetzes-)Werk, durch dessen Vollzug sich Abraham etwas bei Gott erarbeiten konnte. Vielmehr war sie ein Zeichen und Siegel der Gerechtigkeit des Glaubens (Röm. 4,11). Die Beschneidung war somit nicht Inhalt eines Gesetzesprinzips, sondern – im Gegenteil – das Zeichen für das Evangeliumsprinzip des Abrahambundes. Die Juden zur Zeit Jesu und auch die galatischen Irrlehrer machten den Fehler, mithilfe der Beschneidung das Gesetzesprinzip durchsetzen zu wollen (Gal. 5,2.11-13; 6,12.13).

3) Das Gesetzesprinzip findet sich bereits im Garten Eden, da das Bleiben im Paradies an die Bedingung des Gehorsams geknüpft war (1Mos. 2,16.17; siehe auch Hos. 6,7). Manche Theologen sprechen hier vom Schöpfungsbund.

4) Auch wenn Paulus hier in Vers 16 das Wort Same in der Einzahl versteht (Christus als der Same), gibt es andere Stellen in seinen Briefen, in denen er es als Mehrzahl versteht (alle Gläubigen als Nachkommen Abrahams), so beispielsweise in Galater 3,29 oder in Römer 4,16. Die Aussage des Paulus, dass der Begriff Same in der Einzahl zu verstehen ist, ist also nicht absolut gemeint.

5) Mit leichten sprachlichen Anpassungen zitiert aus: Brief M. Luthers an Hieronymus Weller in Wittenberg vom Juli 1530. In: J.G. Walch [Hrsg.], Dr. Martin Luthers sämtliche Schriften. Band XXIa (Briefe – Erste Abteilung), Groß-Oesingen 1987, S. 1534.