Anmerkungen zu einem Buch von N.T. Wright
Die Flut der aus der Feder des anglikanischen Theologen N.T. Wright stammenden Bücher scheint unübersehbar. Nachdem die ersten Werke inzwischen ins Deutsche übersetzt worden sind, zeigt Peter Neudorf, Student an der Akademie für Reformatorische Theologie, anhand eines Buches des Verfassers exemplarisch auf, wie Wright argumentiert. Dabei deckt er im Licht der Heiligen Schrift einige der Schwächen bzw. Irrungen des Theologen auf.
Wer ist N.T. Wright?
Innerhalb des deutschsprachigen Raumes mag der Name N.T. Wright (noch) weitgehend unbekannt sein, weil man die englische Literatur von ihm nicht problemlos beziehen kann. Nicholas Thomas Wright (*1948) ist anglikanischer Bischof von Durham und einer der einflussreichsten Theologen zum Neuen Testament in der Gegenwart. Scherzhaft sagt man über ihn, er könne schneller schreiben, als manch einer liest. Bis heute umfasst sein literarisches Schaffen mehr als 50 Bücher. Anerkannte Persönlichkeiten der Emerging Church1, wie zum Beispiel Rob Bell, Brian MacLaren und Scott McKnight berufen sich häufig auf diesen Theologen und Bischof.
Auch im deutschsprachigen Raum scheint man die Literatur von N.T. Wright in manchen Kreisen zu schätzen. Oder wie soll man es sonst verstehen, dass seine Bücher auch von Theologiedozenten evangelikaler Ausbildungsstätten den Studenten empfohlen werden? Da sein Buch Warum Christ sein Sinn macht im Februar dieses Jahres auf Deutsch erschienen ist, möchte ich dies zum Anlass nehmen, dieses Buch vorzustellen.
„Warum Christ sein Sinn macht“
Das englische Original „Simply Christian“ nahm man in der englischsprachigen Welt begeistert auf. Es beansprucht, eine einfache Zusammenfassung der Grundlagen des Christentums zu sein. Wright will mit diesem Buch Menschen aus der postmodernen Gesellschaft ansprechen, die nichts oder nur wenig mit dem Christentum anfangen können. Aber auch gestandenen Christen möchte der Verfasser mit dieser Schrift eine Hilfe bieten und sie im Glauben festigen. Diese beiden Ziele verfolgt er bezeichnenderweise so, dass er sich für keine Konfession ausspricht. Er will über und für das einfache Christentum schreiben. Die deutsche Ausgabe enthält noch einen Leitfaden für Gesprächsgruppen, in dem es um das Erklären des Christentums geht.
Im ersten Kapitel behauptet Wright, der Mensch habe vier Sehnsüchte, die immer wieder bei ihm aufkommen: Die Sehnsucht nach Gerechtigkeit, nach Spiritualität, nach Beziehungen sowie nach dem Guten und dem Schönen. An diese Fragen und Sehnsüchte des Menschen knüpft der Verfasser an, um die wahre „Story„2 über die Welt aus christlicher Perspektive zu erzählen. Es fällt auf, dass er die Frage nach der Wahrheit nicht zu den zentralen Fragen des Menschen zählt. Seines Erachtens steht die Wahrheit immer hinter den Sehnsüchten zurück.
Gottes Absicht ist es, diese Welt „wieder ins Lot zu bringen“. Die Sehnsüchte des Menschen sind aus einer gebrochenen Schöpfung heraus entstanden. Nun setzt Gott sie instand. Wie Gott diese Schöpfung wieder herrichtet, schildert der Autor im zweiten Teil seines Buches. Wright stellt zunächst zwei Positionen dar, wie man sich die Realität vorgestellt hat. Er selbst grenzt sich dann sowohl vom Pantheismus ab, der Gott faktisch mit der Welt gleichsetzt, als auch vom Deismus, der Gott als weit entfernten unbeteiligten Schöpfer verstehen möchte: Das Christentum erklärt, so der Verfasser, die Wirklichkeit als eine sich überlappende Wirklichkeit zweier Realitäten. Gott, der im Himmel thront, greift an verschiedenen Stätten vom Himmel in unsere Erde hinein. Das tut Gott, indem er mit dem Volk Israel einen Bund als Treueverpflichtung schließt. Im weiteren Verlauf zeigt Wright auf, wie die Geschichte Israels von Gefangenschaft und Befreiung handelt. Gott gibt dem Volk im Buch Daniel die Verheißung, dass er eine neue Schöpfung errichten werde, in der die negativen Symptome dieser Welt verschwunden sein werden.
Das ist das Schlüsselthema in Wrights Darstellung des Christentums. Wörtlich schreibt er: „Und das Schlüsselthema, das von der großartigen Poesie des Alten Testaments vorwärts auf die Freude des Neuen Testaments verweist, ist die Erneuerung des gesamten Kosmos, von beiden, Himmel und Erde, und die Verheißung, dass in dieser neuen Welt alles gut sein wird“ (S. 89).
Mit Jesus kommt, so der Autor weiter, die Botschaft über das anstehende Königreich Gottes. Es ist der Höhepunkt der „Story“ Israels: Hier nämlich beginnt die Herrschaft Gottes über die Welt. Denn die Not der Menschen ist nicht, dass sie uninformiert sind, sondern dass sie verloren sind. Für Wright besteht die Verlorenheit des Menschen in seiner Gefangenschaft, das heißt in dem Unerfülltbleiben seiner Sehnsüchte. Jesus aber bringt die Freiheit und eine neue Welt, die tatsächlich ein Ort der Gerechtigkeit ist, sowie der Spiritualität, der Beziehungen und des Schönen. Denn in Jesus hat der Himmel die Erde erreicht (vergleiche dazu S. 103).
Nachdem die Botschaft Jesu über das Königreich in dieser Weise skizziert worden ist, kommt der Verfasser auf die Bedeutung des Lebens Jesu zu sprechen: Jesus war von Gott dazu berufen, „den langfristigen Plan des Schöpfergottes [umzusetzen], die Welt aus den Klauen des Bösen zu retten und schließlich alle Dinge wieder ins Lot zu bringen“ (S. 110).
Die Nachfolger Jesu haben die gleiche Aufgabe. Auch sie sollen diese neue Schöpfung in ihrer Umgebung ausleben, indem sie die gegenwärtig korrumpierte Schöpfung erneuern. Dieser Auftrag wird im dritten Teil des Buches entfaltet. Hier beschreibt der Autor alle weiteren Begriffe, die Bedeutung für das christliche Leben haben, wie die Kirche (Gemeinde), die Taufe, die Wiedergeburt und vieles mehr, so dass der Leser am Ende einen Überblick über die christliche Weltanschauung gewinnt, jedenfalls so, wie Wright sie verstanden wissen möchte.
Sein letztes Kapitel zeigt auf, wie sich die Sehnsüchte des Menschen im Christentum erfüllen. Der Mensch erlebt die Gerechtigkeit dadurch, dass Jesus am Kreuz die Gewaltspirale durch sein Gebet zerbrochen hat; er erfährt wahre Spiritualität bei seiner Suche nach dem Willen Gottes; die Liebe Gottes vermittelt dem Christen die Kraft für seine Beziehungen, so dass er auf eigene Rechtsansprüche verzichten kann; und die Schönheit wird in der neuen Schöpfung bleibend sein.
Die Frage, die sich stellt, lautet: Hat Wright den christlichen Glauben so dargestellt, wie ihn uns das Wort Gottes zeigt? Die Antwort darauf muss leider lauten: Nein! Denn anstatt dem Menschen die Wahrheit über Gott und sich selbst mitzuteilen, orientiert sich der Autor an den gefühlten Bedürfnissen des Menschen. Indem Wright versucht, das Christentum in einer für den Menschen des 21. Jahrhunderts plausiblen Weise wiederzugeben, dreht sich seine Konzeption um den Menschen, das heißt um die Erfüllung seiner Sehnsüchte. Er weist ihn nicht auf die Wurzel seiner Schmerzen und seines Elends hin, also auf seine Sünde und auf sein Getrenntsein von Gott. Er geht nicht darauf ein, dass Jesus gestorben ist für die unermessliche Schuld, die jeder Mensch vor dem allmächtigen, heiligen Gott hat. Aber das Problem des Menschen ist seine Schuld, die ihn von dem reinen und heiligen Gott trennt! Weil Wright die Folge der Sünde lediglich im Spiegel der Sehnsüchte des Menschen erklärt, bleibt auch sein Verständnis von Gott flach, einseitig und verkürzt.
Besonders fragwürdig ist seine Interpretation des Reiches Gottes. Die Christen sollen sich in der Gesellschaft engagieren, indem sie kulturschaffenden Tätigkeiten, beispielsweise der Kunst und der Musik, nachgehen. Dadurch soll die gegenwärtige Kultur beeinflusst und verändert werden. Auch darin wird offenbar, dass bei N.T. Wright die Frage, wie die Beziehung Gottes zum Menschen wieder in Ordnung kommt, zugunsten der Frage verändert wird, wie man im Hier und Jetzt am besten existieren kann. Nicht nur im Licht von 1Korinther 15,19 muss dieses als eine gefährliche Verkürzung, ja als eine Verdrehung des christlichen Glaubens verstanden werden.
Tom Wright, Warum Christ sein Sinn macht: Warum der christliche Glaube sinnvoll ist. Lahr [St.-Johannis-Druckerei] 2009. ISBN-10: 350101614X; ISBN-13: 978-3501016145.
1) Eine der neoevangelikalen Bewegungen, die sich inzwischen auch in Deutschland verbreiten.
2) Als „Story“ bezeichnet Wright ein geschichtliches Ereignis.