Sollten wir Rachepsalmen in der Gemeinde singen?

Sollten wir Rachepsalmen in der Gemeinde singen?

„Abstoßend“ und „ärgerlich“.[1] Zwei Attribute, die wahrscheinlich nur wenigen Stellen in der Bibel angeheftet werden. Doch wenn es um die sog. „Feindpsalmen“ geht, lässt sich Kritik aus verschiedenen Richtungen vernehmen. So schrieb der evangelische Theologe Helmut Thielicke (1908–1986):

[Die Feindpsalmen enthalten] „manches menschliche, allzu menschliche Rachegelüst, das sich mit einer gewissen Wonne vorzustellen sucht (und diese Vorstellung dann genießt), wie die Gegner Gottes (und damit die eigenen Gegner) im Glutofen göttlicher Zorngerichte geröstet werden“.[2]

Auch von katholischer Seite lassen sich ähnliche Zeugnisse gegenüber diesen Teilen der Bibel vernehmen. So wurde im Zweiten Vatikanischen Konzil festgelegt, dass bestimmte Psalmenpassagen, bei „denen der Fluchcharakter überwiegt“[3], aus dem Stundengebet gestrichen werden. Auch aus freikirchlicher Perspektive werden die Feindpsalmen angegriffen. Der Theologe Armin Baum schreibt:

„[…] im Gebet des gekreuzigten Jesus für seine Feinde leuchtet das Angebot der Vergebung so hell und stark wie nie zuvor. Es überstrahlt auch das schwächere Licht der alttestamentlichen Rachepsalmen.“[4]

Wie gehen wir damit um? Was macht ein Christ, wenn er den Psalter liest und zu Stellen kommt, in denen Feinde verflucht werden? Können solche Passagen gebetet werden? Und wenn wir aufgefordert werden einander zu ermahnen mit Psalmen […] (Eph 5,19) – gilt das auch für solche Psalmen? Wie kann das praktisch aussehen?

Diesen Fragen soll im vorliegenden Artikel nachgegangen werden. Drei Schritte sind hierbei notwendig: Erstens müssen wir uns mit der Auslegung beschäftigen, also der Frage, wie die Feindpsalmen zu verstehen sind. Zweitens muss geklärt werden, ob wir überhaupt den Auftrag haben, tatsächlich alle Psalmen als Gemeinde zu singen. Und drittens braucht es praktische Überlegungen, wie Gemeinden an den Psalmengesang allgemein und an die Rachepsalmen im Spezifischen herangeführt werden können.

Wie wir die Feindpsalmen verstehen und beten können

Was sind Feindpsalmen? Zu Beginn sollte festgehalten werden, dass es für diese Art von Psalmen keinen feststehenden Gattungsbegriff gibt. So werden sie manchmal Rache-, Wut- oder Fluchpsalmen genannt. Auch gibt es keine festen Grenzen, welche Psalmen nun diesen Titel verdienen – da in vielen Psalmen Feindesmotive vorkommen, wenn auch oft vereinzelt. Die Begriffe der „Rache“, des „Fluches“ oder der „Wut“ sind für die meisten dieser Psalmen nicht angebracht, da es oft nicht um Rache und Fluch oder einen Akt der Wut geht. Die wohl beste Beschreibung lautet daher „Psalmen mit Feindesbezug“, oder vereinfacht „Feindpsalmen“.

Wie sollten wir diese Psalmen lesen und beten? Nicht nur bei den Feindpsalmen steht der christliche Beter vor einem Problem. Wie bereits Bonhoeffer festhielt, gibt es Psalmen, in denen es sich nicht passend anfühlt, die Worte des Psalmisten selbst nachzubeten. Das gilt im Besonderen für Verse, in denen auf die eigene Unschuld plädiert (z.B. Ps 26), wo großes Leid beklagt (z.B. Ps 22), oder wo Gericht über Feinde herbeigebeten wird (z.B. Ps 109). Der erste Schlüssel, diese Psalmen in rechter Weise zu beten, besteht darin, anzuerkennen, dass Christus selbst als wahrer Mensch jeden Psalm beten konnte. Er war der einzige Unschuldige, der wahre leidende Gottesknecht und der, der seine Feinde zum Schemel seiner Füße machen wird. Er hat das Recht und die Autorität, alle Psalmen inklusive der Feindpsalmen zu beten. In seinem Buch „Gemeinsames Leben“ schreibt Bonhoeffer dazu:

„Der Psalter ist das Gebetbuch Jesu Christi im eigentlichsten Sinne. […] Jesus Christus betet den Psalter in seiner Gemeinde. Seine Gemeinde betet auch, ja, auch der Einzelne betet, aber er betet eben, sofern Christus in ihm betet – er betet hier nicht im eigenen Namen, sondern im Namen Jesu Christi.“[5]

Bonhoeffer macht noch eine zweite Beobachtung: Der gesamte Psalter ist nicht einfach das Gebetsbuch des Einzelnen, sondern des Leibes Christi. Als Einzelne erkennen wir, wie unser „Gebet nur ein kleinster Bruchteil des ganzen Gebets der Gemeinde ist“.[6] Selbst wenn ich keine Feinde habe, so erkenne ich an, dass Christen – insbesondere in der Verfolgung – an anderen Orten das Gebet der Feindpsalmen dringend benötigen.

Weitere Prinzipien geben Hilfestellungen, wie einzelne Feindesaussagen gut interpretiert werden können:

  • Die Psalmen selbst wollen als Gebete eines Königs verstanden werden. Die meisten von ihnen werden David in seiner Rolle als König zugeschrieben. Die „Feinde“, von denen David schreibt, sind daher oft nicht einfach seine persönlichen, sondern vielmehr zuerst Gottes Feinde. Wer diese Psalmen betet, sollte sich also fragen: Wo stellen sich Menschen gegen Gottes gesalbten König – gegen Christus?
  • Die Feindpsalmen können als eine Seite der Bitte nach Gottes Reich betrachtet werden: Wenn Christus uns im Vaterunser auffordert, um seine Königsherrschaft zu bitten, schließt das die Vernichtung von Gottes Feinden mit ein und genau das erbeten wir in den Feindpsalmen.
  • Manchmal fällt es schwer, Aussagen der Feindpsalmen zu „fühlen“. Dabei hilft folgender Gedanke: Die Psalmen sind nicht unbedingt Ausdruck unseres Herzens – sie sollen vielmehr unser Herz formen, für die richtigen Dinge einzustehen und um sie zu eifern.
  • Die Feindpsalmen sind Gebete. Sie sind eben nicht eigenes Handeln, sondern das Rufen um Gottes Eingreifen. Man überlässt ihm die Rache, so wie er es einfordert.
  • Die Sprache der Psalmen ist poetisch – nicht jede Metapher muss also wörtlich verstanden werden. Trotzdem sollten wir gerade dort, wo der Psalmist bewusst harte Sprache gebraucht und uns diese Sprache abstößt, zum Nachdenken gebracht werden.
  • Auch die Bekehrung von Gottes Feinden ist eine Antwort, wie Gott Gerechtigkeit schaffen kann. Seine Feinde werden vernichtet, indem aus Feinden Freunde werden (s. Ps 83).

Da es nicht „die“ Feindpsalmen gibt, ist es wie immer hilfreich, bei einzelnen Aussagen der Psalmen den Kontext zu berücksichtigen. Was feststeht: Es ist auch heute für Christen möglich, die Feindpsalmen zu beten – in Christus und zur Verbreitung von Gottes Reich. Deswegen greifen Äußerungen von Theologen, die die Feindpsalmen als etwas vor allem Alttestamentliches oder Überholtes ansehen, deutlich zu kurz.

Der Auftrag, die Psalmen zu singen

Selbst wenn wir die Feindpsalmen als Christen beten können, stellt sich die Frage: Sollten wir diese Psalmen im Gottesdienst singen? Um dieser Frage nachzugehen, sollte zuerst überprüft werden, ob Christen generell den Psalter als Gesangsbuch gebrauchen sollten:

Liturgischer Gebrauch der Psalmen im Judentum

Die Psalmen hatten eine hohe Bedeutung im „gemeinschaftlichen und persönlichen Gottesverhältnis“ Israels.[7] Er wird als „das Gesang- u. Gebetbuch Israels“[8] bezeichnet. Der liturgische Gebrauch der Psalmen in atl. Zeit ist, wenn auch nicht durch viele Einzelnachweise, belegt.[9] Auch Esra 3,10f. deutet in diese Richtung. So ist es nicht verwunderlich, dass die Psalmen selbst bereits in ihren Überschriften Hinweise auf ihren musikalischen Gebrauch bieten. Auch wenn nicht immer eindeutig ist, was mit diesen Überschriften gemeint ist, lassen sie doch darauf schließen, dass zumindest viele der Psalmen in Israel gesungen wurden.[10]

Liturgischer Gebrauch der Psalmen im Christentum

Nicht nur in der jüdischen, auch in der christlichen Tradition spielten die Psalmen eine bedeutende Rolle in der Liturgie.[11] Eph 5,19 und Kol 3,16 zeigen, dass die Psalmen bereits von der frühen Kirche für liturgische Zwecke verwendet wurden.[12] Auch die vielfachen neutestamentlichen Bezüge und Zitate der Psalmen scheinen darauf hinzudeuten, dass der Psalter einen hohen Wert im Alltag der Schreiber hatte. Bei den Kirchenvätern wird der Stellenwert der Psalmen daran deutlich, dass über kein anderes Buch der Bibel so viele Kommentare erschienen, wie über den Psalter.[13] Auch wenn es gut sein kann, dass es in den ersten drei Jahrhunderten nach Christus keinen regulären Psalmgesang in christlichen Gemeinden gab,[14] scheint sich diese Verwendung doch durchgesetzt zu haben: So wurde spätestens ab dem vierten Jahrhundert der Psalter zum Gesangbuch im „liturgischen und privaten Gebrauch“.[15] In den Benediktinerklöstern kam es zu einem wöchentlichen Durchbeten der Psalmen. Auch in der Reformation spielte der Psalter eine entscheidende Rolle: Luther befand ihn als eines der wichtigsten Bücher der Bibel,[16] er vertonte mehrere der Psalmen;[17] durch Calvin kam der „Genfer Psalter“, in dem alle Psalmen vertont wurden, hervor.[18]

Bis zum 19. Jhd. erfreute sich der Psalter großer Beliebtheit in verschiedenen Konfessionen und Denominationen. Doch bemängelt VanGemeren, dass die „Psalmen [heute] weniger gesungen und gelesen werden“[19] und daher viele Gemeindemitglieder verlernen, zu beten.

Bedeutung der „Psalmen“ in Epheser 5,19 und Kolosser 3,16

Gibt es ein biblisches Mandat dafür, die Psalmen im Gottesdienst zu singen? Die beiden Hauptstellen dafür finden sich in Eph 5 und Kol 3. Dort werden die Gemeinden aufgefordert, einander mit Liedern zu ermutigen und so dem Wort Christi reichlich Raum zu geben. Dabei gebraucht Paulus drei Begriffe für die Lieder, die sich die Gemeinden zusingen sollten: Es sind „Psalmen, Hymnen und geistliche Lieder“.

Erst einmal gilt es, festzustellen, dass die drei Worte nicht klar voneinander getrennt werden können.[20] Das Wort für Psalmen (psalmoi) wird an anderer Stelle im NT für ein Zitat aus einem atl. Psalm genutzt (s. Apg 13,33). Die Mehrzahl psalmoi wird von Lukas für den gesamten Psalter gebraucht (s. Lk 20,24; 24,44; Apg 1,20). Einzig in 1Kor 14,26 wird das Wort möglicherweise nicht für den alttestamentlichen Psalter verwendet.[21] Auch wenn nicht eindeutig zu klären ist, wofür genau die drei Worte stehen, gilt festzuhalten, dass der Psalter in Paulus Gedanken mindestens ein Teil dessen war, was sich die jungen Gemeinden zusingen sollten. Es würde seltsam erscheinen, wenn Paulus die Gemeinden zum gemeinsamen Gesang auffordert, ohne die Psalmen zu nennen oder im Sinn zu haben: Immerhin waren sie fester Bestandteil der jüdischen Liturgie, inspiriertes Wort Gottes und Grundlage vieler Verweise auf Christus. Sie waren damit ideal, um sich gegenseitig geistliche Psalmen, Lieder und Hymnen zuzusingen.

Sollen alle Psalmen gesungen werden?

Wenn Paulus hier die alttestamentlichen Psalmen im Sinn hat, meint er dann alle Psalmen, oder sollte eine Unterscheidung getroffen werden und bestimmte Psalmen herausgestrichen werden (wie z.B. im katholischen Gebetsbuch)? Die Verse aus Epheser 5 und Kolosser 3 beantworten diese Frage nicht, aber der Psalter selbst legt keine innerliegende Trennlinie nahe. Auch wenn manche Psalmen mehr als andere darauf hinweisen, gesungen werden zu wollen, kann hier keine Teilung vollzogen werden. Folgende Punkte sprechen dafür, bei den Feindpsalmen keine Ausnahme zu machen:

Erstens wurde der Psalter als Gesamtwerk zusammengefügt – die einzelnen Psalmen stehen mit einer Absicht in der gegebenen Reihenfolge, hier einzelne Psalmen hinauszuschneiden, würde den Psalter zerstückeln.

Zweitens stehen die Feindpsalmen an verschiedenen Stellen im Psalter. Die einzelnen Psalmen sind also nicht als Gruppe verstanden worden, die man einzeln betrachten müsste.

Drittens ist es gar nicht so einfach möglich, von „den Feindpsalmen“ zu sprechen (s.o.). Wer einmal damit beginnt, Feindpsalmen ausradieren zu wollen, wird schnell feststellen, dass damit nicht nur Gesamtpsalmen gestrichen werden, sondern oft innerhalb beliebter Psalmen herumgeschnitten werden muss. Der Maßstab dafür ist dann das eigene Empfinden, anstatt darauf zu vertrauen, dass auch diese Stellen zur Unterweisung in der Gerechtigkeit von Gottes Geist inspiriert sind (s. 2Tim 3,16f.). Psalmen sind immer als eine literarische Einheit zu verstehen.

Es lässt sich also feststellen, dass der gesamte Psalter auf Grundlage seiner Verwendung in AT und NT und Paulus‘ Anweisungen in Eph 5,19 und Kol 3,16 als Gesangsbuch für die Gemeinde dienen sollte. Er muss nicht die einzige Grundlage sein, ist aber eine gute, vom Geist inspirierte Quelle, aus der geschöpft werden soll. Auch die Feindpsalmen sollten hier Verwendung finden. Doch wie kann das praktisch aussehen?

Praktische Überlegungen zum gemeindlichen Psalmengesang

Um eine Gemeinde nicht bloß über die Feindpsalmen aufzuklären, sondern auch den Gemeindegesang durch diese Psalmen zu bereichern, muss die Kultur einer Gemeinde im Bezug zu ihrer Musik verändert werden. Gerade bei Gemeinden, in denen ein einseitiges Verständnis von Gemeindemusik vorliegt, ist Korrektur nötig. Um eine ganzheitliche ,Kulturveränderung‘ anzustreben, müssen Gemeinden zu Gemeindemusik allgemein gelehrt werden. Neue Feindpsalmenvertonungen müssen geschaffen und verbreitet und die Texte von vorhandenen und entstehenden Lobpreisliedern erklärt werden. Außerdem müssen Lieder gut in Gemeinden eingeführt werden.

  1. Gemeinde(n) zu Gemeindemusik lehren: Neben einer guten Lehre über die Feindpsalmen brauchen Gemeinden ein gesundes Verständnis von Gemeindemusik. Hierbei sollte betont werden, wofür Gemeindemusik von Gott gedacht ist: Zur Anbetung Gottes, zur Erbauung der Gemeinde, zum gegenseitigen Lehren und Ermahnen, und damit Gottes Wort in den Herzen der Leute durch seinen Geist wohnt (vgl. Eph 5,18–19; Kol 3,16). Oft wird Gemeindegesang als ein individualistischer Akt in Gemeinschaft verstanden: Jeder Christ betet für sich zu Gott und stärkt seine Gottesbeziehung. Das Zurückbesinnen auf gemeinschaftliche Anbetung in Liedern sollte dazu führen, dass man Gemeindegesang auch als Belehrung versteht, in der Gebete geformt werden und nicht bloß der Ausdruck der einzelnen Herzen der Gläubigen sind. Außerdem muss der Christusbezug des gesamten Gottesdienstes und damit auch der Lieder der Gemeinde gelehrt werden: Die Gläubigen drehen sich um Jesus, nicht andersherum. Diese Erkenntnis, mit der Lehre über die Psalmen als geistgegebenes Gesangbuch der Kirche, darf zu einem Verlangen nach christuszentrierten Psalmvertonungen führen.
  2. Feindpsalmenvertonungen schaffen und verbreiten: Leider gibt es wenige gute deutschsprachige Feindpsalmenvertonungen. Um es Gemeinden zu erleichtern, Feindpsalmen in ihr Liederrepertoire aufzunehmen, bräuchte es dringend weitere treue Psalm-Vertonungen. Dabei muss drauf geachtet werden, die Psalmen nicht auseinander zu reißen, indem bestimmte Stellen weggelassen oder falsch umgedeutet werden. Außerdem darf der Bezug zu Christus in einem paraphrasierten Psalm sichtbar werden. Diese Vertonungen sollten sowohl musikalisch passend (meist in Form einer zur Klage passenden Melodie), dem Verlauf des Psalms angemessen und für eine durchschnittliche Gemeinde mit durchschnittlichen Musikern spielbar sein. Wer sich dieser Aufgabe annimmt, wird anderen Gemeinden helfen, indem diese Lieder vertont, auf möglichst breiten Plattformen öffentlich gemacht und mit Noten zur Verfügung gestellt werden.
  3. Klarere Feindestheologie in modernen Lobpreisliedern: Ein Schritt, der Theologie der Feindpsalmen in der Gemeinde größeren Raum zu geben, besteht darin, die bereits vorhandenen Anspielungen auf diese Theologie herauszustellen. Wenn Feindesbezüge in Liedern vorkommen, kann derjenige, der das Lied einleitet, erklären, wer hier mit den „Feinden“ gemeint ist und so die Gemeinde lehren. Wenn Bezüge zum Vaterunser oder anderen ähnlichen Stellen in einem Lied vorkommen, kann der doppelte Ausgang und damit die Vernichtung aller Feinde Gottes herausgestellt werden, damit die Gemeinde hierin gelehrt wird.
  4. Einzelnes Heranführen: Wenn gute Feindpsalmenvertonungen gefunden wurden, benötigen sie eine besondere Behandlung bei der Einführung im Gottesdienst. Während viele andere Lieder ohne große Vorbereitung im Laufe eines Gottesdienstes eingeführt werden können (weil sie allgemein verständlich sind), brauchen Feindpsalmen mehr Zeit und gute Kommunikation der Gemeinde gegenüber. Je besser die Feindpsalmvertonung ist (gerade in ihrer christologischen Reflexion), desto einfacher wird es hierbei für die Gemeinde sein, den Feindpsalm gut einordnen und mitsingen zu können.

Die Feindpsalmen sind Teil von Gottes Wort an sein Volk und besitzen Potenzial, das ausgeschöpft werden soll – im persönlichen Gebet, im Gebet in der Gemeinde und im Gemeindegesang. Es braucht Anstrengung, Überwindung und Durchhaltevermögen, um den Schatz der Feindpsalmen zu heben und einer Gemeinde schmackhaft zu machen. Es wird sich letztlich aber, wie bei allen Worten, die Gott seinem Volk schenkt, erweisen als nützlich zur Lehre, zur Zurechtweisung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, dass der Mensch Gottes vollkommen sei, zu allem guten Werk geschickt (2Tim 3,16–17). Wenn Gott zu seinem Wort steht, wird er auch die Feindpsalmen wieder einer größeren Bedeutung im deutschsprachigen Raum zukommen und dadurch seine Gemeinde zu größerem und heiligerem Eifer für seine Sache heranwachsen lassen. Gott gebe seiner Kirche das Wollen und Vollbringen dazu!

Samuel Stolz studierte Theologie am Seminar für Biblische Theologie in Beatenberg/CH und am Martin Bucer Seminar in München. Er ist Jugendpastor in der FeG München-Mitte und gehört zur Leitung des Jugendnetzwerks Josia. Er ist verheiratet mit Bernice und Vater einer Tochter.


[1] Erich Zenger, Ein Gott der Rache? Feindpsalmen verstehen, Herder Verlag: Freiburg im Breisgau / Basel / Wien, 1994. S. 11.

[2] Helmut Thielicke, Gespräche über Himmel und Erde – Begegnungen in Amerika, Quell-Verlag: Stuttgart, 1964. S. 76.

[3] Die Artikel sind hier zu finden: http://www.liturgie.de/liturgie/pub/litbch/aes.pdf (abgerufen am 30.10.25).

[4] Armin Baum, Warum Jesus am Kreuz keine Rachepsalmen betete, Idea Spektrum (15/2020). S. 16–18, hier S. 18.

[5] Dietrich Bonhoeffer, Gemeinsames Leben, Brunnen Verlag: Gießen, 2025. S. 59.

[6] Ebd., S. 61f.

[7] Egelkraut u. a., Das Alte Testament, Brunnen Verlag: Gießen, 2017. S. 681.

[8] Paul Zeller (Hg.), Psalmen, Calwer Bibellexikon: Biblisches Handwörterbuch illustriert, Calwer Verlag: Stuttgart, 1912. S. 587.

[9] S. Alexandra Grund-Wittenberg, Wer schrieb und wer las den Psalter? Gebrauch und Trägerkreise der Psalmen im Lichte antiker Quellen, Biblische Zeitschrift (67/2023). S. 186–211, hier: S. 204.

[10] S. Delitzsch, Commentary on the Old Testament, Volume 5: Psalms, Hrsg. von C.F. Keil und F. Delitzsch. Hendrickson Publishers: Peabody, Mass., 1996. S. 19.

[11] S. VanGemeren, Psalms, in: The Expositor ́s Bible Commentary, Volume 5 (gen. ed. F. E. Gabelein), Zondervan: Grand Rapids, Michigan, 1991. S. 6.

[12] S. Ash, Teaching Psalms – Volume One: From text to message, Proclamation Trust Resources: London, 2018. S. 21.

[13] S. ebd., S. 22.

[14] S. Müller (Hg.), Theologische Realenzyklopädie, de Gruyter: Berlin, New York, 1994. S. 453. Gesang gab es aber mit großer Sicherheit, s. Andreas Scheuermann, Praise and Worship – Zur Bedeutung populärer Lobpreismusik für den Gottesdienst, Brunnen Verlag: Gießen, 2023. S. 128.

[15] Ash, Teaching Psalms One, a.a.O., S. 22.

[16] Weber, Werkbuch Psalmen: Die Psalmen 73 bis 150, Bd. II, Verlag W. Kohlhammer: Stuttgart, 2016. S. 271.

[17] In seiner Tradition folgten u. a. Schütz, Bach und Händel, s. Weber, Werkbuch Psalmen: Theologie und Spiritualität des Psalters und seiner Psalmen, a.a.O., S. 273.

[18] S. ebd.

[19] VanGemeren, Psalms, a.a.O., S. 6.

[20] S. White, Der Brief des Paulus an die Kolosser, Historisch-Theologische Auslegung, SCM R. Brockhaus: Witten, 2018.S. 320.

[21] S. Robert S. Smith, Come, Let Us Sing: A Call to Musical Reformation, The Latimer Trust: London, 2020. S. 125.