Doch es wird geschehen am Ende der Tage, da wird der Berg des Hauses des Herrn fest gegründet an der Spitze der Berge stehen und wird über alle Höhen erhaben sein, und Völker werden ihm zuströmen. Und viele Heidenvölker werden hingehen und sagen: »Kommt, lasst uns hinaufziehen zum Berg des Herrn, zum Haus des Gottes Jakobs, damit er uns über seine Wege belehre und wir auf seinen Pfaden wandeln!« Denn von Zion wird das Gesetz ausgehen und das Wort des Herrn von Jerusalem. Und er wird das Urteil sprechen zwischen großen Völkern und starke Nationen zurechtweisen, die weit weg wohnen, sodass sie ihre Schwerter zu Pflugscharen schmieden und ihre Spieße zu Rebmessern; kein Volk wird gegen das andere ein Schwert erheben, und sie werden den Krieg nicht mehr erlernen; sondern jedermann wird unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum sitzen, und niemand wird ihn aufschrecken; denn der Mund des Herrn der Heerscharen hat es geredet! Denn alle Völker mögen wandeln, jedes im Namen seines Gottes; wir aber wollen wandeln im Namen des Herrn, unseres Gottes, immer und ewiglich! An jenem Tag, spricht der Herr, will ich das Hinkende sammeln und das Verstoßene zusammenbringen und die, denen ich Unheil zugefügt habe […] denn nun musst du aus der Stadt hinausziehen und auf dem Feld wohnen und nach Babel wandern! Dort sollst du gerettet werden, dort wird dich der Herr erlösen aus der Hand deiner Feinde.
Micha 4
Vor einigen Jahren gab es in unserer Nachbarschaft einen Trauerfall. Ein junger Mann starb an Krebs. Kurze Zeit später wurde in der Whatsapp-Gruppe, die wir als Nachbarn haben, die Traueranzeige herumgeschickt mit folgenden Liedzeilen darauf:
Ich wär‘ gerne voller Zuversicht, jemand, der voll Hoffnung in die Zukunft blickt, der es schafft, all das einfach zu ertragen. Ich würd‘ dir eigentlich gern sagen: Alles wird gut!
Alles wird gut?
Gibt es Hoffnung, dass alles gut wird? Hast du dir diese Frage schon einmal gestellt?
Vielleicht bist du gerade im Moment in deiner Lebenssituation an einem Punkt, wo du dir diese Frage stellst. Diese Fragen haben sich viele Menschen damals in Israel zur Zeit von Micha gestellt. Es war so viel unheilbar kaputt gegangen durch die Abwendung von dem lebendigen Gott. Jetzt in Micha 4 sehen wir plötzlich, wie Licht in der Dunkelheit aufblitzt.
Die Botschaft, die jetzt kommt, ist deshalb so überraschend, weil uns in den ersten drei Kapiteln ein wirklich düsteres Bild begegnet: ein Volk Gottes, das Götzendienst betreibt und die Moral der Kultur ihrer Nachbarn übernommen hat: Propheten, die bestechlich sind; Priester, die sich dem geistlichen Abfall nicht mehr entgegenstellen; Könige, die Ungerechtigkeit fördern.
Auf der anderen Seite treffen wir auf einen Gott, der sich das nicht länger anschauen möchte und deshalb furchtbares Gericht ankündigt. Die Herzen des Volkes Gottes waren radikal von ihrem Gott abgewichen. Sie hatten den Bund mit ihrem Gott komplett aus den Augen verloren und deshalb reagiert Gott so. Gericht stand vor der Tür und würde einige Zeit später tatsächlich eintreffen. Im Jahr 722 vor Christus würden die Assyrer in das Nordreich einfallen und nur ein paar Jahrzehnte später die Babylonier in das Südreich. Was zurückbleiben würde, sind Trümmer, Verwüstung, Verzweiflung und völlige Ungewissheit darüber, ob alles noch einmal gut werden wird, ob es noch eine Zukunft gibt.
Eine Verheißung für dunkle Zeiten
Unser Abschnitt sagt: Ja, es gibt eine Zukunft – nicht wegen des Volkes, sondern wegen der Verheißung Gottes, die wir ganz am Ende des Propheten Micha lesen (7,18-20). Da wird uns versprochen, dass niemand so ist wie unser Gott. Wir erfahren, dass wir an einen Gott glauben, der barmherzig ist und Gefallen daran hat, gnädig zu sein. Weil niemand ist wie unser Gott, gibt es Hoffnung auf Wiederherstellung, auf Trost und Heilung. Und jetzt kommt die richtig gute Nachricht, die dieses Kapitel für dich und mich hat: Das, was Gott hier verheißt, ist nicht etwas, was uns nur irgendwie in ferner Zukunft erwartet. Das hier ist Hoffnung für dein und mein Leben im 21. Jahrhundert.
Michas Botschaft für das Volk damals war: Es gibt Hoffnung, weil Gott der ist, der er ist, weil er treu ist und voller Gnade. Eines Tages wird der Herr selbst alles wiederherstellen, was zerbrochen ist. Er wird heilen, was wir durch unsere Sünde kaputt gemacht haben und zwar in einer Art und Weise, wie wir es uns heute noch nicht vorstellen können. Wir dürfen heute wissen, dass sich diese Botschaft aus Micha 4 in der Person von Christus und in seinem Werk erfüllt hat, dass sie sich heute erfüllt und noch erfüllen wird, bis er eines Tages kommt.
Frieden für alle Völker (V. 1-5)
Der Abschnitt beginnt mit einem Blick auf einen ganz besonderen Berg, der alle anderen Berge überragt. Micha spricht eine Prophetie aus, die es wirklich in sich hat. Er schaut aus der Perspektive damals in eine ferne Zukunft und sieht etwas Unglaubliches: ein Königreich, das alle anderen Königreiche überragt und das über ihnen steht. Er sieht, dass Gott aus den Trümmern der Gegenwart, vor denen sie als Volk gerade stehen, etwas Schönes entstehen lässt.
Micha geht es hier nicht um irgendwelche geographischen Veränderungen, die stattfinden werden. Er meint nicht wirklich, dass der Tempelberg in Jerusalem eines Tages zu einem riesigen Gipfel heranwächst. Mir ist bewusst, dass es diese Art von Auslegung gibt. Ich glaube aber nicht, dass sie dem Text wirklich gerecht wird. Berge kommen bereits in Kapitel eins des Propheten Micha vor. Da steigt Gott herab – und was passiert? Berge zerschmelzen. Diese Berge sind nicht wirklich Berge aus Stein und Fels. Sie stehen für die Götzen, vor denen wir als Menschen niederfallen. Sie stehen für menschliche Königreiche, die so gewaltig, so unbesiegbar, so unerreicht scheinen. Sie stehen für menschliche Macht, die sich gegen Gott aufbäumt.
Micha schaut in die Zukunft und er sieht wie ein Berg heranwächst und alle anderen Berge überragt. Er sieht, wie ein Königreich alle anderen scheinbar so mächtigen Königreiche übertrumpft. Er sieht also etwas, was z.B. auch Daniel viele Jahre später im babylonischen Exil sehen wird: einen kleinen Felsen, der herabkommt und alle anderen Königreiche platt macht und zu einem Berg heranwächst, der die gesamte Erde erfüllt.
Schwerter zu Pflugscharen
Der Tempelberg stand symbolisch für den Ort, wo Gott wohnt und regiert. Zwischen den Cherubim im Allerheiligsten war sein Thron aber natürlich nur bildlich. Der Thron Gottes ist nicht in einem Gebäude, sondern im Himmel über der ganzen Erde und über dem ganzen Kosmos. Wenn also Micha sieht, wie sich der Berg des Hauses des Herrn über alle anderen Berge erhebt, ist die Botschaft klar: Gott thront über allem. Sein Königreich steht über allen Königreichen.
Und dann sieht Micha, wie Völker und Nationen aus aller Welt herbeiströmen zum Haus Gottes, zum Berg des Herrn, um von Gott Führung und Leitung zu erfahren. Er sieht, wie Gott für Gerechtigkeit sorgt und wie Frieden zwischen den unterschiedlichen Nationen entsteht. Schwerter werden zu Pflugscharen und Speere zu Winzermessern. Dieses anschauliche Bild spitzt Micha sogar noch zu in Vers 3, wo er sagt, dass es keinen Krieg mehr geben wird.
Das klingt fast zu gut, um wahr zu sein. Zu diesem Frieden kommt noch ungetrübte Sicherheit, Versorgung und Ruhe dazu, wie Micha es in Vers 4 beschreibt: sondern jedermann wird unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum sitzen, und niemand wird ihn aufschrecken.
Wenn man genauer hinschaut, merkt man, dass Micha hier etwas beschreibt, was das Alte Testament Shalom nennt: Menschen leben unter der Herrschaft eines absolut guten Königs in einem Reich, in dem Gerechtigkeit und Frieden herrschen, in dem sie wirklich sicher sind und Ruhe finden können für ihre Herzen und Seelen. Das ist Shalom.
Vor einigen Jahren war ich mit meiner Frau für ein paar Tage in den Dolomiten, um zu wandern. An einem Tag haben wir uns eine richtig lange Tour vorgenommen und sind bis zu einer Hütte geklettert, die auf ungefähr 2700 m liegt. Ich liebe es, zu wandern und diesen Ausblick zu genießen. Wenn man dann ganz oben steht, hat man das Gefühl, man würde weit über allen anderen Bergen stehen (was natürlich nicht stimmt, denn es gibt andere Berge, die höher sind). Auch wenn man in andere Gebiete unserer Erde verreist und auf Gebirge trifft, bei denen die Gipfel in Höhe von 7000 bis 8000 Metern Normalität sind, gibt es immer einen Gipfel, der höher ist. Es sei denn man befindet sich auf dem Gipfel des Mount Everest, also jenem Berg, der wirklich alle anderen überragt. Unerreicht thront dieser Gigant über einfach allem, was auf diesem Planeten lebt und existiert. Nach dem Mount Everest kommt nichts.
Die letzten Tage
Gott verheißt hier, dass sein Königreich eines Tages alle anderen Berge überragen wird. Das hier ist mehr als einfach nur eine Wiederherstellung der Königslinie Davids, auf die die Juden damals so gehofft haben. Das hier ist viel größer. Es ist nämlich auch nicht auf Israel begrenzt. Es ist global. Es umfasst den gesamten Planeten.
Die Frage ist natürlich bei solchen Prophezeiungen: Wann wird das hier passieren? Was sind denn diese letzten Tage von denen Micha hier spricht? Die Antwort lautet: Es ist schon passiert, es passiert – und es wird passieren.
Denn wir befinden uns in den letzten Tagen. Die letzten Tage beschreiben in der Bibel den Zeitraum zwischen Jesu erstem und zweitem Kommen. Wir lesen z.B. in Hebräer 1,1-2, dass Gott durch seinen Sohn am Ende der Tage gesprochen hat. Petrus macht seinen Zuhörern in seiner Predigt an Pfingsten klar, dass das, was in Jerusalem passiert ist, eine Erfüllung dessen ist, wovon Micha gesprochen hat. Petrus kombiniert in Apostelgeschichte 2 zwei Verheißungen: eine aus Joel 3 und diese hier aus Micha 4. Er macht deutlich: Wir sind in diesen letzten Tagen, von denen die Propheten gesprochen haben. Wir sind in diesen Tagen, wo der Berg Gottes, also das Königreich Gottes, unaufhaltsam wächst und alles andere überragen wird. Wir sind in diesen letzten Tagen, wo die Völker herbeiströmen zum Berg Zion und dieser mehr und mehr die gesamte Erde umfassen wird.
Der Berg, von dem Micha spricht, ist das Königreich Gottes. Seitdem Jesus zum Vater gegangen ist und er den Heiligen Geist gesandt hat, wächst dieses Reich ununterbrochen. Aus allen Kulturen und Nationen kommen Menschen zum Berg Zion und werden durch Glauben Teil dieses Königreichs.
Frieden für heute
Das ist genau das, was der Hebräerbrief in Kapitel 12 zu uns sagt: Ihr seid nicht gekommen, zu etwas das betastet werden könnte, sondern ihr seid gekommen zum Berg Zion und zur Stadt des lebendigen Gottes.
Diese Verheißung hat sich erfüllt, weil das Reich Gottes gekommen ist. Und sie erfüllt sich jetzt gerade, weil Menschen jetzt in diesem Moment weltweit tagtäglich Jesus als ihren König annehmen und bekennen. Diese Verheißung erfüllt sich vor unseren Augen und sie erfüllt sich in deinem und meinem Leben. Dieses Friedensreich ist da, weil Jesus durch seinen Tod und seine Auferstehung die Gewalt und Mächte der Finsternis für immer besiegt hat.
Er hat triumphiert und sein Triumph kann nicht mehr angefochten werden, denn er sitzt zur Rechten Gottes und hat alle Macht im Himmel und auf Erden in seiner Hand. In Hebräer 10,12-13 lesen wir diese wunderschöne Verheißung: Er aber hat sich, nachdem er ein einziges Opfer für die Sünden dargebracht hat, das für immer gilt, zur Rechten Gottes gesetzt, und er wartet hinfort, bis seine Feinde als Schemel für seine Füße hingelegt werden.
Er muss nichts mehr tun. Sein Triumph steht fest. Sein Reich wird sich ausbreiten, bis er wiederkommt. Das hier ist garantierter missionarischer Erfolg, weil unser Gott stark genug ist, um das, was er sich vorgenommen hat, auch auszuführen. Er baut sein Reich und niemand wird ihn stoppen.
Übernatürlicher Friede
In diesem Abschnitt werden diese Dinge als Tatsachen beschrieben. Es wird geschehen, die Völker werden kommen die Nationen werden hingehen. Der Ausgang der Geschichte steht fest und jetzt schon kommen Menschen von überall zu diesem König. Jetzt schon gibt es Frieden zwischen Menschen aus unterschiedlichsten und sogar verfeindeten Kulturen, weil sie im Evangelium vereint werden. Jetzt schon dürfen Menschen – egal woher sie kommen – bei König Jesus Ruhe für ihre Herzen finden, weil Jesus jetzt schon regiert und sein Reich sich ausbreitet.
Er bringt Shalom, er bringt verlorenen Herzen Frieden, weil wir durch ihn Versöhnung mit dem gerechten Gott haben. Er bringt getriebenen Herzen Ruhe, weil wir bei ihm das finden, was wir wirklich brauchen für unsere Seelen. Er bringt aufgeschreckten und ängstlichen Herzen Hoffnung, weil er uns unter den Schatten seiner Flügel eine unzerstörbare Sicherheit gibt. Er gibt verwundeten Herzen Wiederherstellung durch die Kraft seines Evangeliums. Er bringt durch sein Kreuz Versöhnung für Beziehungen, sodass Waffen endlich niedergelegt werden können.
Ja, der Friede, den wir hier sehen, kommt uns total utopisch vor – wie aus einer anderen Welt. Aber das ist auch gut so. Denn dieser Friede kommt auch aus einer anderen Welt. Es ist übernatürlicher Friede, den Gott seinen Kindern in Jesus schenkt und immer mehr schenken will, die zusammen bekennen (Vers 5): wir aber wollen wandeln im Namen des HERRN, unseres Gottes, immer und ewiglich!
Praktisch erfahrener Frieden
Über diesen Frieden sagt Paulus in Kolosser 3,15: Und der Friede des Christus regiere in eurem Herzen. Dieser Friede darf nicht nur als Tatsache außerhalb von mir bleiben, sondern er soll immer mehr mein Herz und mein Denken regieren, indem ich mir die Zusagen und Verheißungen Jesu immer mehr zuspreche und mein Herz darin verankere. Dann wird sein Friede mein Herz, meinen Kopf, aber auch meine Beziehungen immer mehr regieren. Es ist ein Friede, der unerklärlich ist, der den Verstand übersteigt und dann werden wir selbst in den dunkelsten Stunden unseres Lebens nicht den Mut verlieren, weil Jesus unser Friede ist.
Dann werden uns Sorgen und Ängste selbst bei einer total ungewissen Zukunft nicht niederringen, weil Jesus unser Friede ist. Dann wird mein Herz immer noch aufgewühlt sein, aber es wird auch wieder zu Ruhe kommen, weil Jesus mein Friede ist. Dann werden Ehemänner und Ehefrauen anfangen, wie Löwen für ihre völlig kaputten Ehen zu kämpfen, weil Jesus ihr Friede ist. Dann werden wir uns für Versöhnung in hoffnungslos erkalteten Beziehungen in unseren Gemeinden einsetzen, weil Jesus unser Friede ist. Dann werden wir selbst denen, die uns furchtbar verletzt haben, vergeben können, obwohl wir uns das selbst nicht zugetraut haben, weil Jesus unser Friede ist. Dann werden wir unsere Herzen und Häuser für Menschen öffnen, die wir natürlicherweise eigentlich auf Distanz halten würden, weil Jesus unser Friede ist.
Kriege und Stürme – ob sie in oder außerhalb von uns stattfinden – werden aufhören, wenn sein Friede uns regiert. Das ist die Konsequenz dieses Friedensreichs. Es ist nicht einfach nur etwas, was außerhalb von uns stattfindet. Es ist vor allem etwas, was in uns beginnt und uns verändert. Der Friede, der uns gehört, ist nicht von dieser Welt, aber er ist echt und er ist für das echte Leben. Es ist ein Friede, der allen gehört, die zu Jesus gehören.
Ein Königreich für Hinkende (V. 6-8)
Für wen ist dieses Friedensreich, das sich so unaufhaltsam und gewaltig ausbreitet? Gott macht uns in den Versen 6 bis 8 deutlich, wer Teil dieses Königreichs ist. Und die Antwort in diesen Versen fällt schon sehr überraschend aus.
Gott verheißt ein Königreich für körperlich eingeschränkte, für seelisch ermattete Menschen, für Menschen ohne Zuhause. Diese Menschen sammelt er, um sie zu einer mächtigen Nation zu machen. Diesen Menschen verheißt er dieses überwältigende Königreich. Das ist natürlich eine ganz klare Botschaft an die Mächtigen in Israel damals, die so fokussiert auf Reichtum, auf materiellen Luxus, auf politische Macht waren, dass sie das Denken und die Werte ihrer heidnischen Kultur übernommen haben. Sie waren nur auf den eigenen Vorteil aus und bereit, über Leichen zu gehen. Das Arme, das Schwache, das Kleine hatte keinen Wert in ihren Augen. Es wurde übersehen, ausgebeutet und unterdrückt. Das Land war überschwemmt von Ungerechtigkeit. In Kapitel 3 lesen wir, dass die Städte in Israel mit Blut gebaut wurden. So waren die Führer des Volkes.
Ein Herz für Schwache
Und Micha zeigt uns einen König, der ein gewaltiges Königreich baut, das aber ganz anders ist. Dieser König ist ebenfalls mächtig, viel mächtiger als die Führer des Volkes damals, aber sein Herz ist gerade auf das ausgerichtet, was in diesem Moment in Jerusalem übersehen, unterdrückt und ausgebeutet wird. Dieser König baut sein Reich mit diesen Menschen und macht das hinkende zu einer mächtigen Nation. Der Bioethiker Peter Singer von der Princeton University ist überzeugter Evolutionist. In einem seiner Bücher hat er den Gedanken verteidigt, dass das Töten von Babys – vor allem denen mit körperlichen und geistigen Einschränkungen – kein ethisches Problem mehr darstellen darf, weil diese kleinen Wesen ja noch keine Fähigkeiten wie Rationalität, Bewusstsein und Selbstbestimmung besitzen.
Das ist ein furchtbarer und zutiefst teuflischer Gedanke. Gott ist so unglaublich anders. Er richtet sein Herz ganz besonders auf das, was schwach ist, was nichts kann. Diesen Gedanken musste Paulus den Korinthern beibringen, die von ihrer Kultur auch so geprägt waren. Das Starke, das Beeindruckende, das Schöne, das Reiche wurde vergöttert und das Kleine gering geschätzt. Er sagte zu ihnen (1Kor 1,26-28): Seht doch eure Berufung an, ihr Brüder! Da sind nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme; sondern das Törichte der Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zuschanden zu machen, und das Schwache der Welt hat Gott erwählt, um das Starke zuschanden zu machen; und das Unedle der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, und das, was nichts ist, damit er zunichtemache, was etwas ist.
Genau das sehen wir bei Jesus. Er ist dieser große König, der alle Macht im Himmel und auf Erden hat. Er kommt herab, verkündet das Reich der Himmel und fängt an, Menschen zu rufen und zu sammeln. Tut er das mit folgenden Worten: Kommt her zu mir alle, die ihr euer Leben im Griff habt, die ihr stark und selbstbewusst seid, die ihr die Gewinner seid, die ihr die beste Version eurer selbst seid, die ihr den Durchblick habt, die ihr okay seid…?
Nein! Er sagt: Kommt her zu mir alle, die ihr müde und beladen seid (Mt 11,28a). Unser König hat sein Herz ganz besonders auf das gerichtet, was müde, schwach und klein ist. Es gibt nur eine Sache, die dich dafür qualifiziert, Gottes Aufmerksamkeit und Liebe zu erfahren: eben nicht okay zu sein, schwach zu sein: Über den Geringen und Armen wird er sich erbarmen, und die Seelen der Armen retten (Ps 72,13).
Ganz anders als erwartet
Vor einigen Jahren bin ich auf ein Video gestoßen von meinem damaligen Lieblingsbasketballspieler Kobe Bryant, der 2020 tödlich verunglückt ist. Nach einem Spiel war er auf dem Weg nach draußen und kam dabei an Tausenden von Fans vorbei, die natürlich alle ein Autogramm haben wollten. Sie kreischten und schrien, aber Kobe Bryant ging einfach vorbei. Er ignorierte sie, er bahnte sich seinen Weg durch diese Menschenmenge und wirkte dabei total fokussiert, als müsste er ganz dringend irgendwohin gehen. Ein paar Momente später war klar, wohin er wollte. Am Ende der Masse von Fans saß ein kleiner Junge im Rollstuhl. Er war geistig und körperlich eingeschränkt und er wusste nichts davon, dass sein großer Star auf dem Weg zu ihm war und ihn ganz bewusst ausgesucht hatte, um ihm ein Autogramm zu geben, um ein Foto mit ihm zu machen und um ihm einen Basketball zu schenken.
Ihr könnt euch die Freude des Jungen vorstellen! Was ist, wenn Jesus viel mehr so ist, so dass seine Augen in ganz besonderer Weise und voller Freude auf die gerichtet sind, die schwach, klein und müde sind? Was ist, wenn Jesus auf uns schaut in unserer Schwachheit, in unserem Kleinsein, in unserer Sünde und eben nicht sagt: Geh mir aus den Augen, sondern: Meine Liebe gilt genau für dich?
Es ist nicht unsere vermeintliche Stärke oder Liebenswürdigkeit, die ihn veranlassen, uns zu lieben. Es ist unsere Zerbrochenheit, unsere Schwäche, die sein Herz jedes Mal mit neuer Liebe für uns überflutet. Was ist, wenn sein Herz mit Liebe gefüllt ist, für die, die kapiert haben, dass sie nicht okay sind? Was ist, wenn er gerade die liebt, die völlig überfordert sind mit dem Leben und vor allem völlig überfordert mit ihrer Sünde, Last und Schuld?
Komm zu Jesus!
Jesus hat riesige Freude daran, seine Kraft und Schönheit dort aufblitzen zu lassen, wo wir Menschen es nicht erwarten würden. Und so kommt es, dass sie neue Kraft bekommen, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden (Jes 40,31).
Wir kommen mit unserer Schwäche, unseren Einschränkungen, unserer Sünde zu ihm und er schenkt uns Vergebung, Stärke und für immer die Zusage seiner Liebe. Das Königreich, das Jesus baut, ist ein Königreich für Hinkende. Er wartet darauf, dich willkommen zu heißen und dann mit seiner Kraft auszustatten, damit die Herrlichkeit des Allmächtigen in deinem Leben aufstrahlt. Also kannst du müde, hinkend, ermattet, kraftlos sein – gerade dann darfst du zu Christus kommen und ich darf dir auf der Grundlage des Wortes sagen, dass er sich freut, wenn du in seine Arme läufst, denn seine Kraft wird in unserer Schwachheit sichtbar. Er ist der König der Erschöpften und wir dürfen aus seiner Kraft leben.
Hoffnung für Leidende (V. 9-14)
Vers 9 bringt uns durch das Wort jetzt zurück in die damalige Gegenwart. Die Verse 11 und 14 zeigen, dass die Gegenwart nicht rosig aussieht. Diese letzten Verse unseres Textes greifen die Bedrohung durch die übermächtigen Feinde auf und wahrscheinlich auch die Erfahrung des Exils. Sie geben uns einen Einblick in das, was damals in Jerusalem los gewesen sein muss. Das sind Feinde, die sich darauf freuen, Jerusalem zu vernichten.
Hoffnungslose Zeiten
In Vers 11 sind das übermächtige Armeen, die sich versammelt haben und nur darauf warten, über die Stadt herzufallen. In Vers 14 wird es richtig dramatisch: Die Feinde haben dem Richter, also dem König, ins Gesicht geschlagen. Der Schlag ins Gesicht ist ein Bild von absoluter Erniedrigung, ein Bild, das alle Zuversicht der Stadt in sich zusammenfallen ließ, denn der König war nicht irgendwer. Auf dem König ruhten die Hoffnungen der Stadt. Da war also Angst, Panik, Unruhe und Unsicherheit. In Micha 4 wird die Gegenwart nicht schöngeredet. Gott sagt nicht einfach nur: Schau in die wunderbare Zukunft, die ich für dich habe. Nein, Gott vertröstet nicht einfach mit dem Blick in die Zukunft, sondern er gibt uns eine hoffnungsvolle Perspektive für die Gegenwart (Vers 10): Winde dich und brich in Geschrei aus, du Tochter Zion, wie eine Gebärende; denn nun musst du aus der Stadt hinausziehen und auf dem Feld wohnen und nach Babel wandern! Das ist die harte Realität, aber dort (also im Exil) wirst du gerettet werden. Dort wird der Herr dich aus der Hand deiner Feinde erlösen. Mit anderen Worten: Du wirst meine Gnade, meine Gegenwart mitten im Exil erleben.
Hoffnung im Leid
Außerdem erinnert Gott sein Volk daran, dass er nicht die Kontrolle verloren hat – unabhängig davon, wie chaotisch das gerade auch aussieht. In Vers 12 lesen wir: Sie (die Feinde) erkennen aber nicht die Gedanken des Herrn, und sie verstehen seinen Ratschluss nicht.
Israel dachte, dass Gott die Kontrolle verloren hätte, aber das hat er nicht. Wenn du das Gefühl hast, dass der christliche Glaube immer nur auf später vertröstet, dann zeigt dir dieser Abschnitt das Gegenteil. Wir haben diese große Hoffnung auf die Zukunft unseres Gottes, aber Gott verheißt hier seinem Volk, dass sie mitten im Leid weit weg von zu Hause seine Gnade erleben werden.
Für welche Zeiten ist der christliche Glaube gut? Ich mache immer öfter in der Seelsorge die Beobachtung, dass Christen (vielleicht auch gerade im westlichen Teil der Welt) der Glaube wegschwimmt, sobald es herausfordernd wird, sobald sie reales Leid trifft.
Gottes Wort sagt sehr klar: Du wirst leiden. Nirgendwo hat Jesus uns versprochen, dass Glaube an ihn das Leben in dieser Welt einfacher, schmerzfreier und komfortabler macht. Gottes Reich ist schon da und wir gehören zu Jesus und trotzdem leben wir in einer gewissen Weise im Exil. Wir sind noch nicht zu Hause und so leiden wir an den Folgen und den Herausforderungen einer gefallenen Welt. Wir erleben Angst, Stress, Streit, Krankheit und Tod. Wir leiden an der zerstörerischen Wirkung von Sünde auch in unserem Leben. Wir machen die Erfahrung wegen unseres Glaubens auch zunehmend Ausgrenzung zu erfahren. Für genau diese Zeiten ist der christliche Glaube gut, denn die Botschaft, die Gott damals für Israel hatte, gilt auch uns heute ganz genauso: Du wirst leiden, du wirst eine Zeitlang im Exil sein, aber ich werde bei dir sein.
Du wirst inmitten der Dinge, die dich herausfordern und vielleicht sogar überfordern, meine Kraft erleben, weil mein Geist in dir lebt. Du darfst mitten in deinem Chaos wissen, dass ich nicht die Kontrolle verloren habe und dass ich fähig bin, aus den Trümmern, die dir unüberbrückbar scheinen, Schönes zu erschaffen – entweder schon in diesem Leben, aber garantiert dann für immer in meiner herrlichen Gegenwart.
Hoffnung für heute
Der christliche Glaube vertröstet nicht einfach. Wir haben im Tod, in der Auferstehung und in der Königsherrschaft von Jesus eine tragfähige echte Hoffnung für die schlimmsten und furchtbarsten Zeiten im Hier und Jetzt.
Denn sein Tod gibt uns die Gewissheit, dass Gott gut ist und gut bleibt, auch wenn ich nicht alles verstehe. Seine Auferstehung gibt mir die Garantie, dass er für mich gesiegt hat und dass er eines Tages alles wiederherstellen wird. Weil er jetzt zur Rechten Gottes sitzt, habe ich die absolute Zusicherung: Ihm entgeht nichts. Er hat mich nicht vergessen und er wird nie die Kontrolle verlieren. Christlicher Glaube ist Glaube für das echte Leben, Glaube für den harten Alltag, Glaube für die ungewisse Zukunft, Glaube für den Gang ans Grab.
Christlicher Glaube ist Glaube fürs Exil, denn mitten im Exil dürfen wir hoffnungsvoll sein, weil Jesus gestorben, auferstanden ist und jetzt regiert und wiederkommt, weil sein Reich da ist und eines Tages sichtbar sein wird.
Hoffnung für die Zukunft
Was Micha 4 beschreibt, ist bereits passiert, es passiert und – das ist unsere große Sehnsucht – es wird eines Tages passieren. Das, was Gott hier ankündigt, wird eines Tages für alle sichtbar werden. Jetzt erleben wir noch Dunkelheit, Leid, Schmerz und Not. Bald schon erleben wir nur noch Frieden. Jetzt haben wir eine gemischte Erfahrung. Bald haben wir nur noch eine einzige Erfahrung: nämlich die Erfahrung des Friedens in seiner Gegenwart. Jetzt sind auch unsere Beziehungen immer wieder von Zerbruch und Distanz geprägt. Dort werden sie in Freundschaften verwandelt werden von ungeahnter Tiefe, weil Gott noch einmal seinen Mund öffnen wird (wie in Vers 4) und sagen wird: Jetzt mache ich alles neu.
Alles wird gut!
Ich wär‘ gerne voller Zuversicht, jemand, der voll Hoffnung in die Zukunft blickt, der es schafft, all das einfach zu ertragen. Ich würd‘ dir eigentlich gern sagen: Alles wird gut!
Ohne Christus sind diese Zeilen nicht mehr als ein sentimentaler Wunsch. Denn diese Sehnsucht kann nur Christus stillen. Wir wollen alle so gerne glauben, dass alles gut wird. Aber was ist, wenn du diesen Frieden nicht in einer Sache finden wirst, die du haben oder besitzen kannst, nicht in Gesundheit, nicht in Beziehungen, nicht in besseren Umständen, sondern in einer Person, die Christus heißt? Er ist der, der dich so geliebt hat, dass er sein Leben für dich am Kreuz gab, um dir Frieden mit Gott und so auch Frieden für dein Herz zu bringen.
Viele Jahre nach Micha 4 stand der König der Welt in Jerusalem und ihm wurde ins Gesicht geschlagen. Nicht nur das: Dieser Mann ging ans Kreuz für dich und mich und starb am Kreuz von Golgatha für deine und meine Schuld. Er gab sein Leben, damit wir Frieden mit Gott haben können.
Wenn dieser Christus dein Christus ist, dann kannst du dir sicher sein und kannst sogar von ganzem Herzen sagen: Ich weiß, dass eines Tages alles gut wird. Es wird alles gut, weil Christus wiederkommen wird. Dann wird er mich aus dem Exil dieses Lebens zu sich nach Hause bringen. Und dann wird Frieden herrschen bis in alle Ewigkeit. Amen.
Rudi Tissen dient als Pastor der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Unna. Daneben promoviert er derzeit über ein Thema aus dem Propheten Amos und ist begeisterter Musiker. Er ist verheiratet mit Christina und Vater einer Tochter.