Im Folgenden drucken wir eine Adventspredigt ab, die der Verfasser am 9.12.2007 in der Bekennenden Evangelischen Gemeinde Hannover (BEGH) gehalten hat. Der Text wurde für den Druck leicht überarbeitet und gekürzt.1 Bitte lesen Sie zuerst den Abschnitt in einer guten Bibelübersetzung.
Wann haben Sie zum letzten Mal überraschenden Besuch bekommen? Manchmal löst das beim Besuchten eine seltsame Mischung von Freude und Schrecken aus. Auch unser Predigtabschnitt handelt von einem Überraschungsbesuch. Und der Mann, den es trifft, Zacharias, der reagiert entsprechend mit Schrecken und Freude. Erst verschlägt es ihm die Sprache – und am Ende singt er eines der größten Loblieder, das wir in der Bibel finden. Weltweit bekannt wurde dieses Lied unter dem ersten Wort seiner lateinischen Übersetzung: Benedictus … gelobt (sei der Herr)!
Der Fall des Priesters Zacharias beweist: Man kann noch so lange als Hauptamtlicher im Dienst sein, noch so lange als Christ leben und muss trotzdem nicht in Routine ersticken. Ich denke, diese Gefahr gibt es nicht nur für Pastoren, sondern für jeden Christen: dass unser geistliches Leben zur Routine wird, dass wir uns in eingefahrenen Gleisen bewegen, dass unser Herz immer weniger dabei ist, auch bei der Art und Weise, wie wir die Weihnachtszeit begehen. Das Einzige, was uns davor bewahren kann, ist die Begegnung mit dem lebendigen Gott!
Zacharias und seine Ehefrau Elisabeth waren offensichtlich geistlich wache Leute! Sie lebten bewusst vor dem lebendigen Gott (Luk. 1,5.6) und hatten also die wichtigste gemeinsame Grundlage, die man für eine Ehe benötigt!
Spätes Elternglück
Beide gehören zu einem der angesehensten Clans Israels. Ihre jeweiligen Eltern stammen in direkter Linie von Aaron ab (dem ersten Priester Israels und Mitarbeiter des Mose). Das liegt über 1000 Jahre zurück. Elisabeth hat wieder einen Priester geheiratet, und die beiden führen nach allem, was wir wissen, eine glückliche Ehe. Das Wichtigste: Sie leben mit Gott! Das war auch damals für einen Priester nicht selbstverständlich, so wie es heute für einen Pastor nicht selbstverständlich ist. Auch damals versahen viele Amtsträger diesen Dienst nur aus Tradition oder weil er Ehre einbrachte oder aus Gewohnheit.
Zacharias und Elisabeth sind mit dem Herzen dabei. Auch wenn ihr Herz manchmal schwer ist, weil eine große Sehnsucht ihres Lebens unerfüllt geblieben ist: der Wunsch nach einem Kind (Luk. 1,7: „Und sie hatten kein Kind“). Trotzdem haben sie ein ausgefülltes Leben und einen wichtigen Dienst.
Doch dann passiert das Überraschende: Als Zacharias gerade Dienst im Tempel hat, wird er plötzlich von einem Boten Gottes angesprochen, der ihm eine unglaubliche Nachricht unterbreitet (Luk. 1,11ff): Ihr werdet doch noch einen Sohn bekommen! Der wird eine historische Aufgabe übernehmen und den Messias ankündigen! Auch seinen Namen hat Gott schon festgelegt, er wird „Johannes“ heißen, was bedeutet „Gott ist gnädig“!
Der künftige Vater kann es kaum glauben und reagiert typisch menschlich: „Woran soll ich das erkennen? Wir sind schon alt…“ (Luk. 1,18). Und Gott reagiert mit einem ersten Hinweis auf seine Macht: Von Stund an muss der Priester verstummen, bevor ihm noch weitere Bekenntnisse des Unglaubens entschlüpfen können. Gott verschließt ihm den Mund, damit er sich nicht noch weiter um Kopf und Kragen reden kann… Was muss das für einen Priester bedeutet haben! Als er aus dem Tempel herauskommt, kann Zacharias kein Segenswort sprechen und den verwunderten Pilgern nur zuwinken (1,22).
Warum unbedingt „Johannes“?
Wenig später ist Elisabeth tatsächlich schwanger. Die beiden älteren Leute werden zum ersten Mal Eltern. Natürlich ist das Baby eine Sensation im Freundeskreis, weil keiner mehr damit gerechnet hat. Acht Tage nach der Geburt erfolgt traditionsgemäß die Beschneidung. Alle gehen davon aus, dass der Sohn wie üblich nach seinem Vater Zacharias benannt wird. Umso größer ist das Erstaunen, als die Mutter entschieden widerspricht: „Nein, er soll Johannes heißen“ (Luk. 1,60).
Jetzt rufen sie den Vater herbei, ob das denn so richtig sei. Der ist immer noch stumm. Also lässt er sich eine kleine Tafel geben und bestätigt die Worte seiner Frau: Ja, der Sohn soll Johannes heißen (Luk. 1,63): „Und sogleich wurde sein Mund aufgetan und seine Zunge gelöst, und er redete und lobte Gott“
(Luk. 1,68). Nach neun Monaten endlich wieder ein Wort…
Und die ersten Worte, die Zacharias nach dieser langen Zeit des Schweigens über die Lippen bringt, sind ein Loblied, ein Weihnachtslied, das bis heute berühmte Benedictus Dominus Deus Israel…: „Gelobt sei der Herr, der Gott Israels…“ Seine Worte drehen sich nicht in erster Linie um die eigene persönliche Situation, obwohl Zacharias doch vor Freude und Stolz fast zerspringen dürfte. Das Loblied zeigt: Zacharias hat die Zeit des Stummseins offensichtlich gut genutzt. Er hat die hebräische Bibel studiert und versucht, seine persönliche Situation im Licht von Gottes Wort zu verstehen. Der Ausleger Frederic Godet beschreibt diese Studienzeit mit folgendem Vergleich: „Wie das Metall aus dem Schmelzofen ausströmt, sobald ihm ein Ausgang eröffnet wird, so entströmten dem Herzen des Zacharias […] die Gedanken und Gefühle, welche sich in ihm während der neun Monate langen Zeit der Sammlung, der Demütigung und der dankbaren Anbetung gebildet hatten.“
Und es sind nicht nur seine eigenen Gedanken, die Zacharias in das Loblied gießt, sondern Lukas betont, dass er dabei „vom Heiligen Geist erfüllt“ wird und „weissagt“, also im Namen Gottes redet (Luk. 1,67). „Gott hat uns besucht“, ruft der Priester aus: überraschender Besuch! Und das, obwohl er doch die ganze Zeit mit Gott gerechnet hatte und um seine Nähe wusste. Aber jetzt ist noch einmal eine große Veränderung passiert, Gott ist noch näher gekommen, er „hat uns besucht“ und greift in einer Weise ein, die alle früheren Offenbarungen übertrifft. Was geschieht da, was bringt Gott mit, wenn er so zu Besuch kommt?
1. Grenzenlose Macht (Lukas 1,69–73)
„Gott hat uns aufgerichtet eine Macht des Heils im Hause seines Dieners David.“ Wörtlich steht hier eine eigenartige Formulierung: „Horn der Rettung“.
Im Hebräischen (in dieser Sprache lebt Zacharias, auch wenn Lukas sein Loblied in griechischer Übersetzung überliefert) ist „Horn“ ein Ausdruck für Kraft und Macht (vgl. Hes. 29,21; Dan. 7,7f.; 8,5). Durch wen wird diese Macht kommen? Es ist offensichtlich, dass Zacharias hier nicht von seinem eigenen Sohn spricht – der käme ja aus dem Haus Levis. Diese besondere Macht wird Gott aber im Hause (im Stamm) Davids aufrichten – und damit ist klar, dass er hier schon von der Macht des Messias spricht.
Zacharias beginnt zu begreifen: Wenn Gott uns jetzt näher kommt – inzwischen hatte seine Frau schon den Besuch der ebenfalls schwangeren Maria erhalten (Luk. 1,39–56) – dann bringt er eine Macht mit, wie wir das bisher noch nicht erlebt haben. Mit dieser Macht macht er alles heil! So haben es schon die Propheten angekündigt, an deren Zusagen Zacharias erinnert (Luk. 1,70.71). Sie blicken einerseits weit voraus auf das Ende der Geschichte: Der Messias wird am Ende die militärischen, die äußeren Feinde des gläubigen Israels besiegen! So steht es in der Davids–Verheißung, so steht es auch hinter dem „Eid“, den Gott dem Abraham geschworen hatte (Luk. 1,73; vgl. 1Mos. 22,16–18). Aber Zacharias sieht genauso die inneren Feinde, die den Menschen von innen heraus zerstören: Unglaube, Sünde, Tod (vgl. 1Kor. 15,26: Der letzte Feind ist der Tod).
In Lukas 1,79 wird Zacharias dann noch ausdrücklich auf diese inneren, unsichtbaren Feinde zu sprechen kommen. Alle diese Feinde sind mächtig. Aber jetzt, da Gott uns besucht, bringt er seine grenzenlose Macht mit: Er hat das Horn aufgerichtet im Haus Davids – und mit diesem Horn setzt er unser Heil gegen alle Widerstände durch.
„Horn des Heils“
So wird das Horn (die Macht) des Heils zum Bild für den Messias. Dessen Macht wird jetzt aufgerichtet. „Er wird Macht geben seinem König und erhöhen das Horn seines Messias“(1Sam. 2,10b). Gerade dem Priester Zacharias wird sich dieser Psalmvers aufgedrängt haben (Ps. 132,16.17): „Ihre Priester will ich mit Heil kleiden und ihre Heiligen sollen fröhlich sein. Daselbst soll aufgehen das Horn Davids. Ich habe meinem Gesalbten eine Leuchte zugerichtet…“.
Jetzt steht eine große Frage im Raum: Wie kann das geschehen? Wie kommt die Macht des Messias zum Zug? Womit führt das Horn den entscheidenden Stoß gegen unsere Feinde? Wodurch rettet uns der Messias?
Die Methode des Messias wird in den Begriffen deutlich, die jetzt folgen: „erretten“ (Luk. 1,71), „Barmherzigkeit erzeigen“ (Luk. 1,72), „erlösen“ (Luk. 1,74). All dies kommt zum Zug, es wird verwirklicht durch eine entscheidende Leistung, die der Messias erbringt: die Vergebung der Sünden (Luk. 1,77).
Das ist also das Erste, was Gott mitbringt, und wofür Zacharias ihn lobt: grenzenlose Macht, welche die schlimmsten Feinde besiegt. In der Person des Messias Jesus wird Gott diese grenzenlose Macht aufrichten.
Die Macht des Messias ist bis heute nicht ermüdet. Wo immer wir das Evangelium von der Vergebung der Sünden predigen, da predigen wir Jesus als Person – und da ist diese Macht gegenwärtig, da wirkt der Herr Jesus.
Martin Luther hat plastisch beschrieben, wie Gott das „Horn Christi“ – in seinem Wort – bis in unsere Verkündigung hinein verlängert: „Horn ist hebräisch geredet und bedeutet Gewalt, Trotz, Herrschaft. Wie Daniel die künftigen Reiche schaut, wie sie kommen sollen, da schaut er Tiere mit [10] Hörnern [und einem Horn] und legt’s selber aus, dass die Hörner Könige und Reiche bedeuten. …So ist auch unser… König ein Horn. Vor allem spricht er (Zacharias) auch darum von einem Horn, weil Christus mit ihm um sich schlägt und stößt, wie die Tiere mit ihren Hörnern am Kopf […] auch tun. Christus ist Gott und Herr, und sein Horn, das ist seine Gewalt, nämlich sein Wort. Das Wort, das von Christus predigt und in dem Christus ist, das heißt ein Horn, das in der ganzen Welt herumstößt.
Wo sein Wort heute verkündigt wird, wirkt Christus selbst mit seiner Macht. Darum gilt: Wann immer wir sein Evangelium von der Sündenvergebung ausrichten, geschieht Kampf! Gott setzt seine Macht gegen alle Widerstände der Sünde und des Todes durch – grenzenlose Macht. Und wenn sich einer (und sei es der Verworfenste) dieser Macht anvertraut, sich zu diesem Horn flüchtet, dann verlieren alle anderen Mächte – die „Feinde“ – ihr Recht und ihre letzte bedrohende Kraft.
Stärker als alle Feinde
So hat es auch jener junge Vater erfahren, der durch die Alkoholsucht zur Bedrohung für seine Familie geworden war. Aber dann griff Jesus Christus in dieses Leben ein und bewies seine Macht. Aus dem Sklaven des Alkohols wurde ein Zeuge des Herrn. Und dann kam der Tag, als dieser Mann sein Zeugnis in aller Öffentlichkeit zu geben wagte. Mitten in der belebten Stadt hatte ein Atheist über Gott gelästert. Auf dem Sockel eines Denkmals stehend machte er sich über die Christen und das Beten lustig. Da konnte der junge Mann nicht länger schweigen. Mit zitternden Knien trat er vor die Menge: „Liebe Freunde“, rief er, „ich bin nicht gewohnt, öffentlich zu reden. Ich bin auch nicht mit der Absicht zu diesem Treffen gekommen, das Wort zu ergreifen, was auch immer dieser Herr sagen würde. Als er aber die Wirksamkeit des Gebets anzweifelte, sah ich mich veranlasst, hierzu Stellung zu nehmen.“
Die Zuhörer hielten den Atem an – und er fuhr fort: „Sie sehen einen Mann vor sich, der einst zu den Elendsten dieser Stadt zählte. Ich war ein Trinker, ein Spieler, einer der seine Frau schlug, kurz, ein Rohling. Meine Frau und mein Kind fürchteten sich, wenn sie meine Tritte hörten. Aber so schlecht und verdorben ich auch war, hatte meine Frau, ohne dass ich es wusste, seit Jahren für mich gebetet und auch mein Kind gelehrt, dasselbe für mich zu tun. Eines Abends kehrte ich unvorhergesehen etwas früher als sonst nach Hause zurück und war zufällig nüchtern. Als ich die Tür öffnete, war meine Frau eben die Treppe hinaufgegangen, um die Kleine ins Bett zu legen. Ich verhielt mich ganz still und lauschte… Mein Kind betete für mich: „Lieber Herr, errette meinen lieben Papa!“ „Lieber Herr Jesus, errette meinen lieben Papa!“ Und während es in seiner kindlich einfachen Sprache betete, hörte ich meine Frau mit einem Schluchzen in der Kehle sagen: „Herr Jesus, bitte antworte auf ihr Gebet!“
Sie wussten nicht, dass ich zuhörte. Lautlos verließ ich wieder das Haus. Was ich eben gehört hatte, machte einen tiefen Eindruck auf mich. Das Gebet meines kleinen Töchterchens tönte noch in meinen Ohren: „Lieber Herr Jesus, errette meinen lieben Papa!“ War ich denn noch lieb für das Kind? Ich weiß nicht, ob es jemals einen Kuss von mir bekommen hatte. Meine Kehle schnürte sich zu. Tränen füllten meine Augen, und ich rief mit lauter Stimme: „Herr, hilf mir, Herr, antworte auf das Gebet meines Kindes!“
Und Er hat es getan. Heute nehme ich zu Hause meinen Platz in anderer Weise ein. Meine Vergangenheit ist durch die Vergebung von Jesus bereinigt. Finden Sie nicht auch, es wäre feige gewesen, wenn ich hier geschwiegen hätte? Kann ich etwas anderes tun als glauben, dass es einen lebendigen Gott gibt, der nicht nur die Gebete hört, sondern sie auch erhört?“
Er hat aufgerichtet „das Horn des Heils“ (Luk. 1,69). Noch einmal: Wo Jesus mit seiner grenzenlosen Macht eingreift, da verlieren die anderen Mächte ihre bedrohende Kraft, ihre furchteinflößende Wirkung. Und darum bringt Gott, wenn er uns besucht, noch ein Zweites mit: nicht nur grenzenlose Macht, sondern das Zweite, was er uns schenkt, ist
2. Furchtloser Dienst (Lukas 1,74–77)
„…dass wir, erlöst aus der Hand unsrer Feinde, ihm dienten ohne Furcht unser Leben lang in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor seinen Augen“.
Es erstaunt, dass Zacharias ausgerechnet diese Furchtlosigkeit betont! Welche Furcht kann unseren Dienst für Gott denn behindern und lähmen? Was ist denn die „Hand unserer Feinde“ (Luk. 1,74), aus welcher der Messias uns erlösen wird?
Wieder müssen wir zwischen äußeren und inneren Feinden unterscheiden. Die äußeren Feinde von Gottes Kindern werden erst in der Zukunft endgültig entmachtet werden. Sie sind also noch da. Noch dürfen sie unseren Dienst behindern (aber nur, soweit der Herr es ihnen zulässt). Noch gibt es massive Verfolgung von Christen. Noch können junge Christen in ihren Schulklassen gehänselt werden … Diese äußere Bedrohung, die es in unterschiedlicher Heftigkeit gibt, wird erst auf der Zielgeraden der Geschichte überwunden sein.
Dennoch bezeugen es gerade auch Mitchristen, die Verfolgung erfahren haben: Wir dürfen dem Herrn trotzdem mit Freude dienen. So hat es etwa Susanne Geske bezeugt, nachdem ihr Mann von türkischen Moslems brutal ermordet worden war: Nein, sie wolle die Türkei nicht verlassen, auch jetzt nicht: „Wenn ich von Gott Frieden habe, weiß ich nicht, warum ich woanders hinziehen sollte.“ Für die Zukunft wünsche sie sich deshalb, „dass ich eine Arbeitsgenehmigung erhalte und dass meine Kinder hier die Schule zu Ende besuchen dürfen.“
Woher kommt diese königliche Freiheit? Weil der Herr uns von den inneren Feinden erlöst hat! Weil er uns die schlimmste Furcht genommen hat: vor dem Tod, vor der Zukunft, vor der Sinnlosigkeit, vor der Verdammnis.
Hebräer 2,14.15 beschreibt genau, wie Gott uns diese Furcht nimmt: „…Christus hat die Macht dem genommen, der Gewalt über den Tod hatte, nämlich dem Teufel, und die erlöst, die durch Furcht vor dem Tod im ganzen Leben Knechte sein mussten“.
Darum sind wir jetzt erlöst (Luk. 1,74). Darum dürfen wir ihm jetzt dienen in Heiligkeit und Gerechtigkeit – unser Leben lang – vor seinen Augen (Luk. 1,75). So wird es auch sein eigener Sohn praktizieren … Jetzt, endlich, kommt Zacharias auf seinen Johannes zu sprechen (der da gerade mal acht Tage alt ist): „Und du, Kindlein, wirst ein Prophet des Höchsten heißen…“(Luk. 1,76). Jetzt kann Zacharias zuordnen, was Maleachi 3,1 und Jesaja 40,3 bedeuten. Der Heilige Geist (Luk. 1,67) macht ihm klar: Dieser Herold, der dem Messias den roten Teppich ausrollen wird (Luk. 1,76b), das ist dein Sohn! Er wird dem Volk erklären, was sie brauchen, um das Heil zu bekommen: Vergebung der Sünden (Luk. 1,77).
Dieser Vorbereitungsdienst des Johannes war dringend nötig. Denn auch in Israel hatte sich das Heilsverständnis stark verschoben. Man starrte auf das Diesseits und hoffte auf Äußerlichkeiten: „Das Ideal einer äußeren Befreiung war an die Stelle der Hoffnung auf eine geistliche Erlösung getreten“ (Godet). Das soll Johannes wieder zurechtrücken.
Es ist erstaunlich, wie genau Zacharias differenziert: Johannes bringt nicht selbst die Vergebung der Sünden, sondern lediglich die Erkenntnis, dass es das Heil durch Vergebung geben wird (Luk. 1,77). Und diesen Dienst hat er dann wahrlich furchtlos ausgeübt. Denken wir zum Beispiel daran, wie er den mächtigen Herodes mit dessen Sünde konfrontierte: „Es ist nicht recht, dass du die Frau deines Bruders hast!“ Gebe Gott uns, dass auch wir ihm „dienen ohne Furcht“, dass wir uns bekennen zu seiner Wahrheit; dass wir unseren Zeitgenossen nicht verschweigen, wo allein das Heil zu finden ist!
Zum Schluss, in den letzten Versen, kommt Zacharias dann auf jenes andere Baby zu sprechen, das zu dem Zeitpunkt noch gar nicht geboren ist. Denn jetzt beschreibt er eindrücklich, wie dieses Heil in die Welt kommen wird (Luk. 1,78.79). Und das ist dann das dritte Geschenk, das Gott mitbringt, wenn er uns besucht.
3. Schattenloses Licht (Lukas 1,78.79)
„… durch die herzliche Barmherzigkeit Gottes wird uns besuchen das aufgehende Licht aus der Höhe, damit es erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens“.
Hier stoßen wir auf den auffälligsten Begriff im ganzen Benedictus. Wer wird uns besuchen: „das aufgehende Licht aus der Höhe“ (wörtlich: „der Aufgang aus der Höhe“). Eigentlich wird dieser Begriff für die Gestirne am Himmel gebraucht, für Sonne, Mond und Sterne. Etwas freier könnte man hier übersetzen: „der helle Weihnachtsstern“.
Und tatsächlich, im Alten Testament (aus dem Zacharias ja schöpft) wird der Messias immer wieder mit solchen Gestirnen verglichen: „Es wird ein Stern aus Jakob aufgehen“
(4Mos. 24,17). Im Weihnachtslied singen wir deshalb: „Jakobs Stern ist aufgegangen, stillt das sehnliche Verlangen…“ Und Jesaja jubelt (60,1.2): „… dein Licht kommt und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir“. In Maleachi 3,20 finden wir dann die Ansage: „Euch aber, die ihr meinen Namen fürchtet, wird aufgehen die Sonne der Gerechtigkeit“.
Noch ist Jesus nicht geboren, aber Zacharias kann es in Gottes Auftrag schon jetzt verkünden: Die strahlende Sonne, das glänzende Messias–Licht, der helle Stern, wird uns besuchen. Er ist schon auf dem Wege, Maria trägt ihn bereits unter ihrem Herzen. Später nimmt dann Petrus diesen Ton auf (2Petr. 1,19): „Gottes Wort scheint uns wie ein Licht am dunklen Ort… bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in unseren Herzen …“
Und im letzten Buch der Bibel schließlich wird es unser Herr Jesus von sich selbst sagen: „Ich bin der helle Morgenstern„
(Offb. 22,16).
Was Liebe vermag
Dieses herrliche Licht kann nur Gott selbst in die Welt bringen, schattenloses Licht! Es ist kein irdischer Schatten dabei, auch nicht die leiseste Trübung. Denn dieses Licht kommt „aus der Höhe“ (Luk. 1,78b), also direkt von Gott, senkrecht von oben nach unten! Warum aber sendet Gott uns so ein unschuldiges, vollkommenes Licht in unsere finstere Welt hinein? Was ist sein Motiv? Zacharias weiß nur einen einzigen Grund: „durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes“
(Luk. 1,78a). Wörtlich steht hier: „aus den Eingeweiden der Barmherzigkeit unseres Gottes“. Die Eingeweide sind im hebräischen Denken ein Bildwort für das tiefste Mitgefühl, die innigste Liebe, die zarteste Empfindung. Das ist Gottes Motiv: ein Herz voller Erbarmen.
Zacharias will uns dafür hellhörig machen: Seht den hellen Morgenstern, dieses schattenlose Licht. Es kommt aus der innigsten Fürsorge Gottes, und es ist ohne jeden Makel. Darum hat es auch eine unwiderstehliche Kraft: Es kann die schlimmste Finsternis und sogar die Schatten des Todes restlos überwinden und vertreiben (Luk. 1,79).
Wieder klingen die berühmten Weihnachtsverse aus dem Alten Testament hindurch: „Siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker – aber über dir geht auf der Herr und seine Herrlichkeit erscheint über dir“ (Jes. 60,2). „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht … und über denen, die da wohnen im Lande der Todesschatten, scheint es hell …“ (Jes. 9,1).
Wer von Jesu Licht erhellt wird, der geht fortan auf dem Weg des Friedens, den beschenkt Gott mit dem vollen Heil der Vergebung (Luk. 1,79). Der strahlende Morgenstern vertreibt die Finsternis meiner Schuld und Gottlosigkeit, das ist seine Hauptaufgabe.
Hier kommt es auf jedes Wort an. Lukas 1,77 verspricht Vergebung der Sünden – und ab Luk. 1,78 sagt Zacharias, wie solche Vergebung möglich wird: Bewegt vom innigsten Mitgefühl im Herzen Gottes sendet Gott uns durch sein Erbarmen den strahlenden Weihnachtsstern, den herrlichen Messias – aus seiner himmlischen Höhe. Jesu schattenloses Licht hat die Kraft, alle menschliche und alle teuflische Finsternis und sogar die schmerzlichen Schatten des Todes für immer und ewig zu besiegen, zu überwinden.
Das alles schwingt mit im Lobgesang des Zacharias. Das füllt sein Herz, das bewegt sein Denken, das treibt diesen erfahrenen und gestandenen Mann so sehr um, dass er gar nicht anders kann, als sein Loblied auf den erbarmenden Gott und seinen herrlichen Messias anzustimmen! Wenn doch auch unsere Herzen von dieser Adventsfreude bewegt würden. Dann könnten wir gar nicht anders als mitzusingen bei dem großen Benedictus. Der Morgenstern ist aufgegangen – und sein Licht leuchtet uns sicher nach Hause. Amen.
1) Die Originalfassung dieser und anderer Predigten steht über www.bibeltage.de und www.beg–hannover.de zum Downloaden zur Verfügung.