Kämpfer und Anbeter: Wie Jesus als das Haupt die Anbetung des Leibes bestimmt

Kämpfer und Anbeter: Wie Jesus als das Haupt die Anbetung des Leibes bestimmt

Wie Jesus als das Haupt die Anbetung des Leibes bestimmt[1]

Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Reformation war, dass der Gottesdienst der Kirche[2] auf der ausdrücklichen Lehre der Heiligen Schrift beruhen sollte. Einfach ausgedrückt: Gottes Wort muss bestimmen, wie Gottes Volk seinen Gott anbetet.

Aber das ist längst nicht alles, was damals wiederentdeckt wurde. Man erinnerte sich auch wieder daran, dass die Kirche Jesu Christi die Gemeinschaft der Heiligen ist – ein Leib von Gläubigen, die mit Christus und untereinander verbunden sind. Dieser Grundsatz gilt für alle Christen im Himmel und auf der Erde. Diese beiden Begriffe gehören zusammen. Die Beziehung der Kirche zu Christus definiert sowohl die Anbetung als auch die Identität der Kirche. Als Haupt der Kirche führt der Herr Jesus Christus sein Volk auf der Erde in die Anbetung, um es darauf vorzubereiten, mit seinem Volk im Himmel für immer anzubeten.

Zwei Zustände – eine Kirche

Die Kirche auf Erden und die Kirche im Himmel sind nicht zwei getrennte Einheiten, sondern ein Leib, der mit Christus als Haupt vereint ist. Theologen bezeichnen diejenigen, die Christus im Glauben auf der Erde sehen, oft als die kämpfende Kirche und diejenigen, die Christus im Schauen im Himmel sehen, als die siegreiche Kirche. In seinem Großen Katechismus aus dem Jahr 1645, der Familien dabei helfen soll, in ihrem Verständnis der Person und des Werkes Christi zu wachsen, erläutert John Owen diese Grundsätze in einer Reihe von Fragen und Antworten über das Wesen der Kirche:

Frage: Was ist die Kirche Christi?

Antwort: Die Gesamtheit der Auserwählten Gottes, die von Gott durch das Wort und den Geist aus ihrem natürlichen Zustand zu seinen Kindern berufen und mit Christus, ihrem Haupt, durch den Glauben im Band des Geistes verbunden sind.

Frage: Befindet sich diese ganze Kirche immer in demselben Zustand?

Antwort: Nein, ein Teil von ihr ist kämpfend, der andere siegreich.

Frage: Was ist die kämpfende Gemeinde?

Antwort: Der Teil der Auserwählten Gottes, der in seiner Generation durch den Glauben an Christus festhält und gegen die Welt, das Fleisch und den Teufel kämpft.

Frage: Was ist die siegreiche Gemeinde?

Antwort: Der Teil des Volkes Gottes, der seinen Kampf gekämpft und den Glauben bewahrt hat und nun im Himmel ist und dort zur Ruhe gekommen ist.

Owen versteht die Kirche von ihrer geistlichen Einheit mit Christus her. Dadurch hilft er uns die Einheit zwischen der kämpfenden und der siegreichen Kirche zu erkennen, denn beide sind durch ihre jeweilige Einheit mit Christus auch untereinander eins.

Was hat nun jedoch diese Unterscheidung mit dem Thema Gottesdienst zu tun? Ich möchte diese Frage unter drei Gesichtspunkten betrachten.

Erstens: die Autorität Christi

Für viele Menschen dient der Missionsbefehl in Matthäus 28 als Ausgangspunkt für die Diskussion über die Aufgabe der Kirche in der Zeit zwischen dem ersten und zweiten Kommen Christi. Aber wir könnten den Hauptpunkt des Abschnitts übersehen, wenn wir uns zu schnell auf die Anweisungen Jesu konzentrieren – nämlich zu gehen und alle Völker zu Jüngern zu machen, sie auf den Namen des dreieinigen Gottes zu taufen und sie zu lehren, alles zu befolgen, was er gebietet (V. 19.20). Der Schlüssel zum Verständnis dieses Abschnitts findet sich in der vorausgehenden Aussage Jesu, dass ihm alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben wurde (V. 18).

Der Dienst in der Ortsgemeinde gründet sich auf die Autorität, die Jesus als Haupt und König der Gemeinde besitzt (siehe Eph 1,22; 5,23; Kol 1,18; 1Tim 6,15; Offb 19,16). Das bedeutet, dass diejenigen, die berufen sind, der Kirche Christi zu dienen, dies gemäß den Anweisungen tun müssen, die er in der Schrift gegeben hat.

Abgeleitete Autorität

Folgendes Beispiel soll das veranschaulichen: Stell dir vor, ich würde dich bitten, an einem Freitagabend auf meine Kinder aufzupassen, damit meine Frau und ich gemeinsam in der Innenstadt essen gehen können. Bevor ich unsere Kinder bei dir lasse, möchte ich einige grundlegende Hausregeln besprechen. Die erste Regel: Die Kinder müssen ihr Gemüse aufessen, bevor sie ein Schokoladeneis zum Nachtisch bekommen. Die zweite Regel: Die Kinder dürfen sich einen von drei vorgegebenen Filmen ansehen. Die dritte Regel: Sie müssen vor dem Schlafengehen ihren orange-blauen Pyjama anziehen. Die letzte Regel: Um 21 Uhr müssen sie im Bett sein und das Licht ausmachen.

Diese Regeln definieren deine Beziehung zu unserer Familie. Im Rahmen dieser Regeln hast du die Freiheit, unsere Kinder zu beaufsichtigen. Wir hoffen, dass du und unsere Kinder viel Spaß miteinander haben. Aber du solltest verstehen, dass du –

 abgesehen von deinen Pflichten als unser Babysitter – keine eigentliche Autorität über unsere Kinder hast. Deine Befugnisse sind begrenzt. Unter keinen Umständen darfst du unseren Kindern sagen, dass sie auf ihr Gemüse verzichten, jede beliebige Sendung sehen oder bis Mitternacht aufbleiben dürfen. Es sind unsere Kinder, nicht deine Kinder. Deine Aufgabe ist es, sich um unsere Kinder innerhalb der Vorgaben unserer Hausordnung zu kümmern. Mit anderen Worten: Die Autorität, die du als unser Babysitter hast, ist abgeleitet und begrenzt, nicht automatisch oder umfassend.

Autorität in der Kirche

Das Leben in der Kirche ist nicht viel anders. Pastoren, Älteste und Diakone müssen sich an Gottes Hausordnung für die Gemeinde halten, die in der Heiligen Schrift beschrieben ist (siehe 1Tim 3,14.15). Gemeindeleiter haben nicht von sich aus die Autorität, Macht über die Herde Christi auszuüben. Stattdessen übergibt der auferstandene und aufgestiegene Herr Jesus Christus seine Autorität an diejenigen, die in seinem Namen dienen. Durch sein Wort und seinen Geist hat Christus Ämter, Zeichen/Sakramente und Ordnungen für den Gottesdienst und die Arbeit der Kirche gegeben. Im Neuen Testament erfahren wir, dass Christus durch das Wirken des Heiligen Geistes Älteste und Diakone (d.h. die Ämter) einsetzt, um für die Bedürfnisse der Ortsgemeinden zu sorgen (siehe Apg 6,1–7; Eph 4,9–16; Phil 1,1; 1Tim 3,1–13; Titus 1,5–16). Dabei geht es um die treue Verkündigung der Heiligen Schrift (d.h. die Lehre) und die ordnungsgemäße Verwaltung der Taufe und des Abendmahls (d.h. die Sakramente). Die Autorität, die Älteste besitzen, ist durch die von Christus gegebenen Anweisungen begrenzt. Als kämpfende Kirche erhalten wir unsere ‚Marschbefehle‘, indem wir uns an diejenigen wenden, die Christus durch seinen Geist beauftragt hat. Sie sind es, die uns seinen Willen verkünden, wie er in seinem Wort niedergelegt ist. Pastoren und Älteste haben keine angeborene Autorität, den Gottesdienst und die Arbeit der Gemeinde so zu leiten, wie sie es für richtig halten. Um für den Leib Christi zu sorgen, müssen sie nach den vom Haupt der Kirche gesetzten Maßstäben leiten. Der Grund dafür ist einfach: Die Gemeinde gehört nicht den Pastoren, Ältesten oder irgendeinem anderen Gemeindeleiter. Sie gehört Christus (Mt 16,18).

Zweitens: die Lehre der Heiligen Schrift

Bei Gesprächen über den Gottesdienst geht es oft um Vorlieben und Stilfragen. Ob wir nun über die Ehrfurcht und Schönheit einer traditionellen Liturgie oder über die Intimität und Authentizität eines modernen Gottesdienstes sprechen, wir können leicht in die Falle tappen, das gemeinsame Lob Gottes auf kulturelle Normen und persönlichen Geschmack zu reduzieren. Diese Gespräche sind wichtig. Aber wenn unser Gottesdienst durch stilistische, ästhetische oder pragmatische Gründe bestimmt wird, wird die Kirche im Laufe der Zeit zerbröckeln – sei es durch den Sumpf des Liberalismus oder den langsamen Verfall des Traditionalismus.

Stattdessen gibt es eine weit bessere Möglichkeit, über den Gottesdienst zu sprechen.

Debatten über den Gottesdienst nach persönlichen Vorlieben zu führen, geht nicht nur am eigentlichen Ziel vorbei, sondern es ist auch spaltend; es schafft in der Kirche eine Mentalität des „wir gegen sie“. Keiner gewinnt. Ohne die legitimen Meinungsverschiedenheiten unter Christen herunterspielen zu wollen, sollten wir überdenken, wie wir an die Frage des Gottesdienstes herangehen. Anstatt diese Diskussion mit der Betrachtung der verschiedenen Perspektiven der Gemeinde zu beginnen, müssen wir Gespräche über den Gottesdienst mit der Frage beginnen: Was verlangt Christus, das Haupt der Gemeinde von uns? An dieser Stelle kommt der vorhergehende Punkt über die Autorität Christi ins Spiel. Weil die Autorität der Gemeindeleitung begrenzt ist, muss der Gottesdienst der Kirche geregelt werden. Diese Überzeugung wird oft das regulative Prinzip des Gottesdienstes genannt. Es ist eines der am meisten missverstandenen und vernachlässigten Wiederentdeckungen der Reformation.

Ein für alle gültiges Prinzip

Im Jahr 1543 schrieb Johannes Calvin auf Veranlassung seines Freundes und Mentors Martin Bucer eine kleine Abhandlung mit dem Titel Die Notwendigkeit der Reformation der Kirche. Für Calvin lag der Schlüssel zur reformatorischen Lehre über den Gottesdienst in der zentralen Rolle der Heiligen Schrift bei der Gestaltung der öffentlichen Anbetung Gottes. Angesichts der Neigung des sündigen Menschen zum Götzendienst dürfen wir bei der Unterscheidung zwischen einem Gottesdienst, der Gott gefällt, und einem Gottesdienst, der ihm nicht gefällt, „nicht irgendeine Methode anwenden, die uns selbst angemessen erscheint, sondern müssen uns an die Anweisungen dessen halten, der allein berechtigt ist, Vorschriften zu machen“.

Calvin argumentiert, dass es ein für alle gültiges Prinzip gibt, das die Anbetung jeder Person bestimmen muss, die Gottes Gegenwart betritt. Er erklärt: „Wenn wir wollen, dass Gott unsere Anbetung gutheißt, muss diese Regel, die er überall mit äußerster Strenge durchsetzt, sorgfältig beachtet werden.  . . . [Denn] Gott missbilligt alle Formen der Anbetung, die nicht ausdrücklich von seinem Wort gebilligt werden.“

Nach Calvin ist nur der Gottesdienst, der durch das Wort Gottes autorisiert ist, Gott gegenüber angemessen.

Calvin war in diesem Punkt alles andere als originell. Die Heilige Schrift lehrt überall, dass das Gebot des Herrn die Gemeinschaft mit Gott regelt. Adam (1Mos 2,15–17), Abel (4,4), Noah (8,20–22), Abraham (17,9–14) und Mose (2. Mose 20,1–11) (um nur einige Beispiele zu nennen) erhalten alle göttliche Weisungen, die die Anbetung Gottes bestimmen. Umgekehrt werden Kain (1Mos 4,5), Nadab und Abihu (3Mos 10,1–3), Saul (1Sam 15,22–35), Usa (2Sam 6,3–8) und Usia (2Chr 26,16–23) von Gott verurteilt, weil sie dem Gottesdienst Israels ihre eigenen Maßstäbe auferlegt haben. Angesichts dieser Fälle sollte es nicht überraschen, dass Jesus im Neuen Testament Anweisungen zur Predigt (2Tim 4,1–2), zum Gebet (Mt 6,5–15), zum Singen (Kol 3,16–17), zur Taufe (Mt 28,19) und zum Abendmahl (1Kor 11,23–26) gibt. Diese biblischen Elemente sind unverzichtbare Bestandteile des gemeinsamen Gottesdienstes. Sie stellen die Mittel dar, mit denen Christus als Haupt der Kirche sein Volk in einem Gottesdienst leitet und führt, der ihm Ehre und Herrlichkeit bringt.

Drittens: die Perspektive der Ewigkeit

Nachdem wir uns mit der Autorität Christi und dem Wesen des Gottesdienstes befasst haben, können wir nun prüfen, wie diese beiden Grundsätze unser Verständnis der kämpfenden Kirche prägen.

Am 16. Mai 1816 hielt John Black, ein wenig bekannter schottischer presbyterianischer Pastor und ehemaliger Professor an der späteren Universität von Pittsburgh, vor einer Versammlung von Geistlichen in Philadelphia eine Predigt mit dem Titel „Kirchengemeinschaft“. In der Predigt wird die Gemeinschaft der Heiligen ausdrücklich mit dem Thema Gottesdienst in Verbindung gebracht. Black erklärt: „Die Heiligen sind durch das Bekenntnis [des Glaubens] verpflichtet, die Einheit und die Gemeinschaft im Gottesdienst und im Dienst an Gott zu bewahren. Die Kirche ist eine Gesellschaft. Sie ist nach dem Prinzip eines organischen Körpers aufgebaut, der ein Haupt und Glieder hat. Diese Verfassung geht von einem Bund aus, der das Haupt und alle Glieder in einem Zustand der Einheit und Gemeinschaft miteinander umfasst. Alle Glieder, die mit Jesus Christus vereint und untereinander Glieder sind, wandeln gemeinsam in Liebe. Sie reichen sich die Hände, denn ihre Herzen sind vereint. Sie beraten sich gegenseitig in Liebe und gehen in Gemeinschaft zum Haus Gottes (vgl. Ps 55,14).“

Vorbereitung auf den Himmel

Für Black bildet die Gemeinschaft der Heiligen ein Prinzip für unser Zusammenleben auf der Erde, das uns zeigt, wie wir andere Christen und unseren gemeinsamen Gottesdienst sehen sollten. Die örtliche Versammlung der Heiligen im Gottesdienst am Tag des Herrn ist eine ‚heilige Zusammenkunft‘, bei der wir uns unter dem Banner des Königs Jesus versammeln, sein gnädiges Wort in der Heiligen Schrift verkünden lassen und Gemeinschaft beim Essen und Trinken an seinem Tisch haben. All das bereitet uns darauf vor, gemeinsam mit der himmlischen Schar Gott durch den Dienst des Lammes anzubeten (siehe Offb 4–5; 21–22).

Noch nicht am Ziel

All das klingt wunderbar – und das ist es auch. Aber die Versammlung der Heiligen ‚diesseits des Jordan‘ ist auch von den Schwächen und Fehlern geprägt, die das Leben, den Dienst und die Anbetung in einer gefallenen Welt kennzeichnen. Ortsgemeinden sind oft gespalten. Moralische Skandale gibt es manchmal sogar in den besten Kirchen. Theologische Irrtümer können sich auf den Kanzeln und in den Kirchenbänken einschleichen. Darüber hinaus muss sich jeder von uns mit seinen eigenen sündigen Neigungen, Gedanken und Verhaltensweisen auseinandersetzen. Diese Dinge sind es oft, die unsere Versuche, Gott so anzubeten, wie er es gefordert hat, im Keim ersticken.

Während wir uns mit Sünde und Leid, Irrlehre und Rückschlägen auseinandersetzen, müssen wir unsere Augen schulen, die Kirche aus der Perspektive der Ewigkeit zu sehen. Die kämpfende Kirche muss durch den Schmelztiegel der Heiligung gehen, um sich auf den Tag vorzubereiten, an dem Christus sie seinem himmlischen Vater als eine schillernde Braut ohne Flecken und Runzeln präsentieren wird (Eph 4,13–16; 5,27). Das bedeutet, dass die Gemeinde auf der Erde noch nicht das ist, was sie einmal sein wird (1Joh 3,2). Mehr noch, wir müssen über die jetzige Zeit hinausschauen, um zu erkennen, dass die Kirche hier und jetzt nur ein kleiner Teil des viel größeren Leibes Christi im Himmel ist, der aus einer riesigen Schar von Menschen aus allen Zeitaltern und aus allen Sprachen, Stämmen und Völkern besteht. Mit Christus als unserem König haben wir als kämpfende Kirche die Hoffnung, dass das, was wir hier auf Erden nur schemenhaft sehen, vollständig verwirklicht sein wird, wenn unser Glaube sichtbar wird. Der Herr möge es schenken, dass wir bis dahin in Jesu Gegenwart treu unseren Auftrag ausführen, den er uns in seinem Wort gegeben hat.

Dr. John W. Tweeddale ist Vizepräsident der akademischen Abteilung und Professor für Theologie am Reformation Bible College in Sanford, Florida, und Pastor in der Presbyterian Church in America. Er ist verheiratet und Vater von drei Kindern.


[1] Dieser Artikel erschien zuerst in Tabletalk im April 2023 unter dem Titel: The Worship and Head of the Church militant. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Ligonier Ministries. Für die Übersetzung bedanken wir uns bei Micha Heimsoth.

[2] In diesem Artikel wird das englische Wort church konsequent mit Kirche übersetzt. Ebenso möglich wäre die Übersetzung mit Gemeinde.