Vier Frauen im Geschlechtsregister Jesu
Am Anfang des ersten Buches des Neuen Testamentes finden wir ein Geschlechtsregister. Es werden uns die Vorfahren Jesu, von Abraham an, aufgezählt (Mt. 1,1–17).
Geschlechtsregister gehören nicht zu den Teilen des Wortes Gottes, in die man sich gerne vertieft. Nicht selten lässt man sie beim Lesen der Bibel einfach aus oder überfliegt sie.
Allerdings ist seit jeher an der zu Beginn des Matthäusevangeliums überlieferten Ahnenreihe aufgefallen, dass neben vielen Männern – das war zu erwarten – auch vier Frauen erwähnt werden: Tamar, Rahab, Ruth und Bathseba.
Gelegentlich wird besonders in der Adventszeit anhand dieser vier Frauen das Evangelium verkündet. Denn mit allen diesen vier Frauen war etwas los. Für ihre Umgebung hatten sie etwas Anrüchiges.
Bevor wir uns auf die Geschehnisse rund um die vierte der erwähnten Frauen, Bathseba, sowie ihren Mann, Urija, konzentrieren, werfen wir zunächst einen Blick auf die drei erstgenannten Frauen.
Tamar
Zunächst zu Tamar
(Mt. 1,3).
Sie war die Schwiegertochter Judas. Nachdem die Söhne Jakobs ihren Bruder Joseph in die Sklaverei verkauft und anschließend ihren eigenen Vater eiskalt belogen hatten (1Mos. 37,25–33), zerfiel die Familie. Nicht lange nach diesem Betrug zog Juda von seiner Familie weg (1Mos. 38,1). Warum sollte man auch weiterhin zusammenbleiben? Familiärer Zusammenhalt beruht auf gegenseitigem Vertrauen. Dieses war mit diesem Unrecht zerstört.
Schon bald nach dem Wegzug geriet Juda in den Sog seiner heidnischen Umgebung. Er heiratete eine Kanaaniterin. Was einst die Großeltern von Juda, Isaak und Rebekka, noch als Schock erfahren hatten, nämlich dass sich einer von ihren Söhnen, damals war es Esau, mit einer Kanaaniterin eingelassen hatte (1Mos. 28,6–9), schien im Fall Judas niemanden mehr groß aufzuregen. Die Bibel berichtet die Heirat kommentarlos. Juda bekam auch Kinder mit der Kanaaniterin.
Aber Gott ließ den verweltlichten Juda nicht laufen. Stattdessen führte er ihn schwere Wege, um ihn zu sich zurückzubringen. Gott tötete die beiden älteren Söhne Judas, die ebenfalls kanaanitische Frauen geheiratet hatten (1Mos. 38,2–10). Auch die Frau Judas verstarb bald darauf (1Mos. 38,12).
Tamar war die Frau eines der Söhne Judas. Sie war kinderlos (1Mos. 38,6). Um trotz ihrer Witwenschaft noch zu Nachkommen zu gelangen, spielte sie ihrem Schwiegervater eine Hure vor. Juda ließ sich auf ein Abenteuer mit ihr ein, ohne zu wissen, dass es seine Schwiegertochter war (1Mos. 38,12–23).
Man vergleiche einmal das Verhalten Judas mit dem seines Bruders Joseph. Über den nach Ägypten Verkauften wird gleich im folgenden Kapitel berichtet: Joseph widerstand der durch Potiphars Frau an ihn herangetragenen Versuchung. Mit anderen Worten: Während Joseph in der Fremde nicht „ägyptisch“ wurde, passte sich Juda dem kanaanitischen Lebensstil seiner Umgebung an.
Übrigens: Nachdem Juda vernommen hatte, dass seine Schwiegertochter schwanger geworden war, hinderte ihn seine eigene Treulosigkeit nicht daran, mit großer Empörung gegen sie aufzutreten und seinen ganzen Moralismus über Tamar auszuschütten. Er forderte für sie die schrecklichste Todesstrafe, das Verbrennen (1Mos. 38,24). Als Tamar auf ihrem Gang zum Schafott ihm mitteilen ließ, dass niemand anders als er selbst für ihre Schwangerschaft verantwortlich sei (1Mos. 38,24.25), musste Juda tiefbeschämt bekennen: „Sie ist gerechter als ich!“ (1Mos. 38,26).
Tamar, die wahrlich in ihrem Verhalten nicht über jede Kritik erhaben war – in dem Sich-als-Hure-Kostümieren ist sie zweifellos zu kritisieren – sticht gegenüber Juda positiv hervor. Denn immerhin konnte sie noch das in jener Zeit im Nahen Osten verbreitete Recht der Schwagerehe für sich in Anspruch nehmen. (Jahrhunderte später nahm Gott diese Regel in sein eigenes Gesetz auf; 5Mos. 25,5–10). Tatsächlich schenkte Gott ihr sogar Zwillinge, Perez und Serach (1Mos. 38,27–30), von denen der Ältere in das Geschlechtsregister Jesu gehört.
Rahab
Rahab, die zweite im Geschlechtsregister Jesu erwähnte Frau (Mt. 1,5), spielte nicht eine Hure, sondern sie war es. In zwei der drei Stellen, in denen sie im Neuen Testament erwähnt wird, wird auf diesen Umstand hingewiesen (Hebr. 11,31; Jak. 2,25).
Genau wie Tamar war Rahab Kanaaniterin. Sie war damit Teil der Völkergruppe, von der Gott gesagt hatte, dass sie dem Gerichtsurteil verfallen sei, sobald die Ungerechtigkeit dieser Nationen voll sei. (1Mos. 15,16). Der Einzug des Volkes Gottes in das verheißene Land unter Josua zeigte, dass dieser Zeitpunkt nun gekommen war.
Was Rahab mit den Kundschaftern tat, tat sie „durch Glauben“ (Hebr. 11,31). Sie hatte verstanden, dass es Gott nun um die Befreiung seines erwählten Volkes ging. Von daher sprach sie mit großer Hochachtung über Gott und über sein Volk: „Ich weiß, dass der Herr euch das Land gegeben hat, denn es hat uns Furcht vor euch überfallen, und alle Einwohner des Landes sind vor euch verzagt… denn der Herr, euer Gott, ist Gott oben im Himmel und unten auf der Erde!“ (Jos. 2,9–11). Mit der Anerkennung des Vorrangs des Volkes Gottes vor anderen Völkern entsprach sie einer anderen Kanaaniterin. Diese Frau kam einst zu Jesus, um für ihre Tochter Heilung zu suchen. Dabei erkannte sie das Vorrecht der „Kinder“ vor den „Hunden“ an (Mt. 15,21–28). Eine vergleichbare Einstellung sehen wir bei Rahab.
Rahab war jedoch gleichzeitig eine Repräsentantin des kanaanitischen, sexuell verwilderten Lebensstils. Eigentlich müsste das heißen, dass sie als eine der ersten an die Reihe hätte kommen müssen, um vom Erdboden vertilgt zu werden. Aber stattdessen wurde gerade sie gerettet. Mehr noch: Sie wurde in die Reihe der Voreltern Jesu aufgenommen.
Ruth
Mit Ruth, der dritten Frau aus dem Geschlechtsregister Jesu (Mt. 1,5), befinden wir uns in der Richterzeit. Diese Zeit war geistlich finster. Ruth war die Witwe Machlons, eines der Söhne des Elimelech, der einst mit seiner Familie nach Moab ausgewandert war. Irgendwann starb er dort. Auch seine Söhne starben in der Fremde.
Als daraufhin die kinderlose Witwe Naomi den Entschluss fasste, in ihr Geburtsland zurückzukehren, erklärte ihr eine ihrer Schwiegertöchter, Ruth, dass sie bei ihr bleiben und mit ihr durch dick und dünn gehen wolle.
Ohne die Geschichte der Ruth weiter nacherzählen zu wollen, ist in unserem Zusammenhang wichtig, dass Ruth aus dem Volk der Moabiter stammte. Die Moabiter waren aus einer inzestuösen Beziehung zwischen Lot und einer seiner Töchter entstanden (1Mos. 19,30–38). Von daher könnte man die Frage stellen, ob aus einem Volk mit einem derartigen Ursprung etwas Gutes kommen könne. Wie herrlich ist es zu erfahren, dass durch die Heirat mit Boas die Moabitin Ruth zu einer Vorfahrin unseres Herrn wurde.
Es ist deutlich, dass jede von diesen drei bisher genannten Frauen für ihre Umgebung etwas Anstoßerregendes an sich hatte. Aber auf diese Weise wird veranschaulicht, dass unser Herr sich bereits vor seiner Menschwerdung nicht scheute, sich in die Gesellschaft von Huren und sonstigen Verachteten zu begeben.
Dass der Heiland sich gerade auf solche Menschen einließ, erfolgte keineswegs aus moralischer Indifferenz. Vielmehr zeigt er damit, dass das Moralische nicht die tiefste Schicht unseres Menschseins ist. Folglich darf auch bei uns die Moral niemals das letzte Wort haben. Das letzte Wort kommt immer dem zu, der den Sünder allein aus Gnaden durch Glauben rechtfertigt.
Bathseba
Bathseba, die vierte Frau, über die im Geschlechtsregister Jesu berichtet wird (Mt. 1,6), passt ohne weiteres in die Reihe der anstoßerregenden Frauen. Mit ihrem Namen ist der Ehebruch Davids verbunden.
Die Affäre begann damit, dass bei König David ein gemächlicher, fauler Lebensstil einriss. Wenn man 2Samuel 9 liest, verhielt sich David noch völlig als der Mann nach dem Herzen Gottes. Er bemühte sich herauszufinden, ob noch jemand aus dem Haus Sauls am Leben sei. Nicht etwa, wie es in der damaligen Zeit üblich war, um sicherheitshalber auch noch den letzten Angehörigen der gestürzten Dynastie zu beseitigen. Das Gegenteil war der Fall. Der König suchte jemanden aus dem Haus Sauls, um in Erinnerung an Jonathan an ihm seine Freundlichkeit und Güte zu erweisen. David freute sich, als er Mephiboseth gefunden hatte.
Auch in Kapitel 10 begegnet uns David so, wie wir ihn kennen. Als der König der Ammoniter gestorben war, schickte David eine von Herzen kommende Kondolenz in das Nachbarland. Aber der gerade auf den Thron gekommene Sohn des verstorbenen Königs interpretierte Davids Verhalten verkehrt. Wohl nicht zuletzt auch deswegen, weil derartige Beileidsbekundungen nicht üblich waren. Es kam zum Krieg mit den Ammonitern.
Für die Israeliten verlief die Auseinandersetzung weitgehend erfolgreich. Allerdings musste die entscheidende Schlacht gegen Rabba, die Hauptstadt der Ammoniter, noch geführt werden. Da bis zum Einbruch des Winters, das heißt in dieser Region, bis zum Beginn der Regenzeit, noch kein endgültiger Sieg erstritten war, wurde der Feldzug auf das kommende Frühjahr verschoben.
Doch im Frühling zog David es vor, lieber zu Hause zu bleiben. Er sandte lediglich das Heer mit Joab in den Krieg, und weil es offenbar ein „Krieg des Herrn“ war, nahm man auch die Bundeslade auf das Schlachtfeld mit (2Sam. 11,1.11).
Als David eines Abends vom Dach seines Jerusalemer Palastes – er residierte auf dem Berg Zion – in die Unterstadt hinabsah, erblickte er Bathseba. Sie badete, vermutlich an einem Brunnen, wie er damals häufig in der Mitte eines Gehöftes stand (2Sam. 11,2.3). Der König ergriff die Initiative, ließ die Frau holen, und es kam zum Ehebruch.
Das Wort Gottes lässt keinerlei Zweifel darüber: Wo zwei zusammen schlafen, tragen beide Verantwortung. Die Heilige Schrift differenziert zwar insofern, als sie zwischen einer Untreue in der Stadt und einer Untreue auf dem Feld unterscheidet. Aber diese Unterscheidung erfolgt in der Annahme, dass die Frau sich zur Wehr setzt. Da ihr Schreien auf dem Feld von niemandem gehört werden kann, deutet man die Tat in diesem Fall als Vergewaltigung (5Mos. 22,25-27). Aber abgesehen von diesem Grenzfall lehrt die Heilige Schrift: Wenn zwei miteinander schlafen, die nicht miteinander verheiratet sind, sind beide schuldig (5Mos. 22,22–24.28.29).
Im Fall Davids und Bathsebas geschah der Ehebruch in Jerusalem, also in der Stadt. Bathseba schrie nicht. Auch sonst schien sie dem Annäherungsbemühen des Königs wenig Widerstand entgegenzusetzen. Wörtlich heißt es sogar: „Sie ging zu ihm ein.“ (2Sam. 11,4). Normalerweise wird diese Formulierung für einen Mann verwendet, der sich einer Frau mit sexuellen Absichten nähert (zum Beispiel: 1Mos. 16,2; Ps. 51,2; 2Sam. 12,24). Deutet der Berichterstatter damit ihre Bereitwilligkeit an? Wie dem auch sei: David ist nicht zu entschuldigen. Das Wort Gottes macht dies in keiner Weise. Im Gegenteil! (2Sam. 12,9).
„die des Urija“
Wenn man das Geschlechtsregister Jesu genau liest, fällt auf, dass Matthäus im Unterschied zu den drei erstgenannten Frauen den Namen „Bathseba“ nicht ausdrücklich nennt. Sie wird umschrieben als: „die [Frau] des Urija“ (Mt. 1,6). Natürlich ist damit Bathseba gemeint. Aber noch einmal: Sie wird nicht namentlich erwähnt.
Auf den ersten Blick kann die Formulierung, „die des Urija“ sogar verunsichern. Soll damit gemeint sein, dass das Kind, das beim Ehebruch gezeugt worden war, Salomo war? Das war bekanntlich nicht der Fall. Das Kind aus dem Ehebruch starb wenige Tage nach der Geburt (2Sam. 12,15–18).
Von daher könnte man sogar einwenden, die Formulierung „die des Urija“ sei nicht korrekt. Denn Bathseba sei bei der Zeugung des Salomo, des Vorfahren Jesu, gar nicht mehr „des Urija“ gewesen.
In formaler Hinsicht trifft diese Anmerkung zu. Manche Bibelübersetzungen schreiben deswegen: „die des Urija gewesen“. Aber das steht so nicht da. Naheliegender erscheint es, dass diese Formulierung ganz gezielt verwendet worden ist. Der Heilige Geist will auf diese Weise sein großes Missfallen über die Hinterlist, mit der David den Urija über die Klinge springen ließ, in Erinnerung rufen. Gerade die Formulierung, „die des Urija“ soll also auffallen. Sie soll irritieren, zum Nachdenken führen. Auf diese Weise macht Gott deutlich, dass er sich nicht durch unsere rechtlichen Konstruktionen bestimmen lässt. Auch wenn Urija inzwischen längst eine Leiche war und irgendwo im Land der Ammoniter verscharrt lag: Gott hatte diesen Mann keineswegs vergessen.
Urija
Das erste, was wir von Urija vernehmen, ist, dass er ein Hethiter war. Die Hethiter gehörten zu den ursprünglichen Bewohnern Kanaans (1Mos. 15,20). Unter anderem lebten sie in der Gegend von Hebron (1Mos. 23,7ff). Später machte Salomo die Reste dieses Volkes dienstbar (1Kön. 9,20). Das heißt, Urija gehörte genau wie die drei erstgenannten Frauen zu Menschen, die nicht blutsmäßig von den Erzvätern abstammten.
Die Nennung dieser Namen im Geschlechtsregister Jesu zeigt, dass unser Heiland lange vor seiner Geburt in Bethlehem auch die Heiden, also diejenigen, die nicht fleischlich von Abraham abstammten, im Blick hatte (Jes. 49,6).
Tatsächlich war es ja bereits zur Zeit des Alten Bundes immer wieder so, dass nicht nur einzelne Heiden in das israelitische Volk aufgenommen wurden, sondern häufig auch größere Scharen zum Volk Gottes hinzukamen (zum Beispiel Esth. 8,17).
Nach der Menschwerdung Christi wird unser Blick weit über die Grenzen der Juden hinausgelenkt (Luk. 2,32). Jesus kündigt an, aus allen Himmelsrichtungen werden Menschen zu seinem Volk hinzukommen (Mt. 8,11.12).
Für die Juden, die eine Zugehörigkeit zum Volk Gottes mit ihrer blutsmäßigen Herkunft von den Erzvätern her begründeten, stellte genau dieser Aspekt der Verkündigung Jesu ein unerhörtes Ärgernis dar. Als der Sohn Gottes in der Synagoge von Nazareth darauf aufmerksam machte, dass zur Zeit des Elia eine große Hungersnot in Israel herrschte, in der viele Witwen Not litten, aber damals der Prophet nur zu einer einzigen Witwe gesandt wurde, einer Heidin, und als er ferner daran erinnerte, dass es zur Zeit Elisas viele Aussätzige in Israel gab, aber nur Naeman, ein Syrer, geheilt wurde, erregte das die Juden so sehr, dass sie Jesus vom Berg hinab in den Tod stürzen wollten (Luk. 4,25–29).
Auch nach seiner Auferstehung, als Jesus mit seinen Jüngern über das Reich Gottes sprach (Apg. 1,3) und die Jünger selbst noch zu diesem Zeitpunkt von einem irdischen Königreich für die leiblichen Juden träumten (Apg. 1,6), sagte der Herr ihnen klipp und klar, dass seine und ihre Wirksamkeit zwar in Jerusalem und Judäa anfängt, aber dort nicht endet, sondern die ganze Erde im Blick sei (Apg. 1,8). Paulus wird später erklären, dass Abrahams Nachkommen, und zwar sowohl diejenigen aus der Beschneidung als auch die Unbeschnittenen, die Erben des ganzen Kosmos sind (Röm. 4,9–13).
Bevor Petrus überhaupt in der Lage war, das Evangelium einem Heiden, Kornelius, zu verkündigen, machte der Herr dem Apostel durch eine Vision von unreinen Tieren klar, dass das, was Gott gereinigt hat, also die Heiden, nicht unrein gemacht werden dürfe (Apg. 10,10–16). Diese Vision illustriert, wie groß für jemanden aus der Beschneidung damals die Schwelle war, überhaupt zu erfassen, dass es von nun an für die Frage der Zueignung des Heils keinen Unterschied ausmacht, ob jemand Jude ist oder Nichtjude, sondern dass es für alle einen einzigen Weg zur Rettung gibt, nämlich durch die Gnade Gottes in Christus, die allein durch den Glauben geschenkt wird (Röm. 1,16; 3,22.23). Seit Golgatha hängt die Frage, ob man zum Volk Gottes gehört oder, wie Paulus es formuliert, zum „Samen Abrahams“ gezählt wird, nur noch von der Frage ab, ob man zu Christus gehört (Gal. 3,29; Röm. 4,11.12).
Die Ermordung Urijas
Der Ehebruch Davids und Bathsebas war nur der erste Schritt. Im Anschluss daran erfolgte die Ermordung Urijas. In dem Psalm, den David verfasste, nachdem der Prophet Nathan zu ihm gekommen war, dachte David sicher auch an seinen Ehebruch. Aber ausdrücklich flehte er Gott an, dass er ihn von seiner „Blutschuld“ erretten möge (Ps. 51,16). Auch später weist die Bibel bei der Sünde Davids ausdrücklich auf die „Sache Urijas“ hin (1Kön. 15,5).
Am deutlichsten wird die Frage, wie Gott über Davids Tun urteilte, aus den Worten des Propheten Nathan beantwortet. Nachdem der Prophet dem König die Geschichte von dem Reichen erzählt hatte, der dem vorüberziehenden Wanderer ein Lamm vorsetzte, das nicht aus seinem eigenen Vermögen stammte, sondern aus dem eines armen Mannes (2Sam. 12,1–6), stellte er dem König folgende Frage: „Warum hast du das Wort des Herrn verachtet, indem du tatest, was vor seinen Augen böse ist? Urija, den Hethiter, hast du mit dem Schwert erschlagen, und seine Frau hast du dir zur Frau genommen, ihn aber hast du durch das Schwert der Ammoniter umgebracht!“ (2Sam. 12,9). Während Nathan den Ehebruch ein einziges Mal erwähnt, bringt er den Mord zweimal zur Sprache.
Verfolgen wir die einzelnen Schritte, in denen David den Urija kaltmachte.
Erster Schritt: Geheuchelte Besorgnis um das Volk Gottes
Nach dem Ehebruch ließ David den Urija vom Schlachtfeld zu sich kommen. Als der Krieger im Jerusalemer Palast eingetroffen war, erkundigte sich David nach der Kriegslage (2Sam. 11,7). Mit anderen Worten: Der König erweckte den Anschein, als habe er Urija kommen lassen, um von ihm einen Frontbericht zu erhalten. Er tat so, als ob es ihn interessiere, wie der Kampf, in dem das Volk Gottes stand, verlief. In Wahrheit kümmerte ihn nichts weniger…
Zweiter Schritt: Verlogene Freundlichkeitserweisungen
David zeigte sich bei der Audienz um Urija fürsorglich. „Und David sprach zu Urija: Gehe in dein Haus hinab und wasche deine Füße.“ (2Sam. 11,8) Die Aufforderung, die Füße zu waschen, bedeutete die Beurlaubung vom Kriegsdienst. Es war die Genehmigung, sich zu entspannen, sich zu erholen. Mit katzenfreundlichen Worten umgarnte der König seinen Krieger. Unwillkürlich muss man an die Aussprüche Salomos denken: „Ein glatter Mund richtet Verderben an.“ (Spr. 26,28). Oder an das Wort: „Wer seinem Nächsten schmeichelt, der breitet vor seinen Tritten ein Netz aus.“ (Spr. 29,5).
Mehr noch: Kaum hatte David den Urija entlassen, sandte er ihm ein Geschenk (2Sam. 11,8). Normalerweise haben Geschenke den Sinn, freundschaftliche Beziehungen zu knüpfen oder zu festigen. Hier aber war das Geschenk Blendwerk. Es war eine arglistige Irreführung, um jemandes Wachsamkeit auszuschalten oder zumindest einzutrüben.
Dritter Schritt: Tadel, weil der geschmiedete Plan nicht aufgeht
Als David erfuhr, dass Urija in jener Nacht nicht in sein Haus, zu seiner Frau gegangen war, sondern am Eingang der königlichen Burg übernachtet hatte, sich also offensichtlich beim Wachpersonal aufgehalten hatte, schien Davids Plan zu scheitern. Der König reagierte mit Missfallensbekundungen: „Warum bist du nicht in dein Haus hinabgegangen?“ (2Sam. 11,10).
Vielleicht hätte den Urija der erregte Gefühlsausbruch Davids aufrütteln und warnen können. Möglicherweise hätte er auf die Idee kommen können, dass sich hinter den zuvorkommenden Worten und schmeichelnden Gesten des Königs ein Doppelspiel verbarg. Aber Urija war in seinen Gedanken bei seinen Mitstreitern, die sich im Krieg befanden, und außerdem war er besorgt wegen der Lade des Herrn. So konnte er sich gar nicht vorstellen, dass sich im Kopf des Königs ganz andere (Hinter)gedanken festgesetzt hatten.
Vierter Schritt: Geheucheltes Ablenkungsmanöver
Noch einmal versuchte David den Urija mit Zuvorkommenheiten zu umgarnen. Er lud ihn ein, mit ihm zusammen zu essen und zu trinken. Die sich dahinter verbergende Absicht teilt uns die Heilige Schrift ausdrücklich mit: Der König machte den Urija trunken, um ihn auf diese Weise zu veranlassen, im Anschluss an das gemeinsame Essen in sein Haus zu gehen. Aber der Krieger weigerte sich auch dieses Mal. Auch diese Nacht verbrachte er am Eingang des königlichen Palastes (2Sam. 11,13).
Fünfter Schritt: Eiskalte Verlogenheit
Da David erneut seinen Plan vereitelt sah, fasste er nun die Ermordung des Urija ins Auge. Dazu gab er dem Urija einen verschlossenen Brief an Joab mit. Das Schreiben enthielt faktisch sein Todesurteil (2Sam. 11,14.15). Geht es gefühlskälter?
Sechster Schritt: Zynisches Liquidieren eines Mitstreiters
Joab verstand sofort. Er stellte Urija, der als einer der Helden Davids (2Sam. 23,39) erfahrungsgemäß nicht so schnell vor dem Feind zurückwich, an einen gefahrvollen Frontabschnitt. So war die Wahrscheinlichkeit groß, dass Urija in der Schlacht getötet würde. Und so geschah es.
Man weiß nicht recht, was mehr Abneigung erregt: Die abgebrühte Inszenierung, mit der Urija beseitigt wurde, oder die anschließende Vollzugsmitteilung an König David. Joab sah nüchtern, dass David aufgebracht sein würde, wenn man ihm die eigenen Verluste mitteilte. So gab er dem von all den heimtückischen Spielchen nichts ahnenden Boten sarkastisch mit auf den Weg: Dann erwähne, auch Urija sei gefallen. Du wirst sehen, David wird sich beruhigen (2Sam. 11,18–21).
Die Kaltschnäuzigkeit des Heerführers war damit kaum geringer als diejenige Davids. Joab machte hämisch bei dem hinterhältigen Spiel mit. Er kannte seinen König, so dass er treffend voraussagen konnte, auf welche historischen Beispiele dieser verweisen werde, wenn er von der strategischen Torheit vernahm, dass man viel zu nahe an die Stadtmauer herangerückt sei. Der Feldherr sah auch voraus, dass dem König der Verlust seiner eigenen Männer nicht so nahe gehen werde, wenn er gleichzeitig erfährt, Urija sei bei der Aktion ebenfalls umgekommen.
Tatsächlich reagierte David auf die Nachricht mit der platten Phrase: „Lass dich nicht anfechten, denn das Schwert tötet bald diesen, bald jenen!“ (2Sam. 11,25). Heute würde man vielleicht hören: Wo gehobelt wird, da fallen Späne.
Wo bleibt Gott?
Angesichts dieser infamen Tat kann die Frage aufbrechen: Hätte Gott diesen Mord nicht vereiteln können? Antwort: Natürlich hätte der Allmächtige diese Tat verhindern können. Aber offensichtlich lag das nicht in seiner Absicht.
Anfangs hat es sogar den Anschein, als ginge Gott über die mörderischen Machenschaften schweigend hinweg. Bathseba hielt die vorgesehene Trauerzeit ein – möglicherweise waren es nicht mehr als sieben Tage (vergleiche 1Sam. 31,13) – und dann fand zügig die Vermählung mit David statt. Schließlich drängte die Zeit wegen ihrer Schwangerschaft.
Aber dass zunächst von dem Eingreifen Gottes nichts zu merken war, heißt nicht, dass Gott der Bluttat Davids und seines Vasallen Joabs gleichgültig gegenüberstand. Tatsächlich klingt bereits der Schlusssatz des Kapitels beunruhigend: „Aber die Tat, die David verübt hatte, war böse in den Augen des Herrn“ (2Sam. 11,27).
Asaph schreibt in dem Psalm, der dem bekannten Bußpsalm vorangeht, folgendes: „Zu dem Gottlosen aber spricht Gott: Was zählst du meine Satzungen auf und nimmst meinen Bund in deinen Mund, da du doch Zucht hasst und meine Worte verwirfst? Siehst du einen Dieb, so freundest du dich mit ihm an, und mit Ehebrechern hast du Gemeinschaft. Deinen Mund lässt du Böses reden, und deine Zunge knüpft Betrug. … Das hast du getan, und ich habe geschwiegen. Da meintest du, ich sei gleich wie du. Aber ich will dich zurechtweisen und es dir vor Augen stellen.“ (Ps. 50,16–21).
Gottes Gnade und seine Züchtigung
Die darauffolgende Predigt Nathans führte dem König vor Augen, was Gott über sein Tun dachte. David erschrak. Seine unverzügliche Reaktion lautete: „Ich habe gegen den Herrn gesündigt!“ (2Sam. 12,13). Das Wort Gottes hatte den Ehebrecher und Mörder in den Tiefen seines Herzens getroffen. Damit waren alle Selbsttäuschungen und selbstzerstörerischen Bestrebungen, mit denen er seine Taten zu verdecken suchte – man lese einmal sein im Rückblick verfasstes Bekenntnis in den Psalmen 51,10 und 32,3.4 – zerplatzt.
Was wir dann lesen, ist herrlich. Nathan verkündete dem David die Vergebung seiner Sünden. Normalerweise standen sowohl auf Ehebruch als auch auf Mord die Todesstrafe (3Mos. 20,10; 2Mos. 21,23). Aber Gott begnadigte den Sünder: „Der Herr hat deine Sünde hinweg genommen; du sollst nicht sterben!“ (2Sam. 12,13).
Allerdings fällt auf, dass Gott damit nicht die Konsequenzen von Davids Tun wegwischte. David wurde gezüchtigt. Doch diese Strafe war nicht eine Sühneleistung, sondern war begründet darin, dass sich David als Nestbeschmutzer erwiesen hatte: „Weil du den Feinden des Herrn durch diese Sache Anlass gegeben hast…“ (2Sam. 12,14).
Gegenüber den umliegenden Völkern stand das erwählte Volk Gottes unter der Verpflichtung, die Herrschaft Gottes zu bezeugen, nicht zuletzt durch ein rechtmäßiges Verhalten. Auch aus diesem Grund hatte das Volk Gottes gegenüber den Geboten Gottes gehorsam zu sein (5Mos. 4,6–9).
Gott ging also deswegen nicht stillschweigend über die Sünde des Königs hinweg, weil er dann bei den Feinden den Eindruck erweckt hätte, er stecke mit seinem Volk unter einer Decke und würde die Sünde nicht strafen, wenn sie in seinem eigenen Volk geschieht.
Ähnlich hatte es Gott der Herr einst dem Mose zu verstehen gegeben. Als Mose wegen des Unglaubens des Volkes zu Gott um Vergebung flehte und darauf hinwies, was denn die Völker sagen würden, wenn Gott sich nicht zu seinem Volk stellt, machte der Herr seinem Knecht klar, dass es zutiefst nicht um uns geht, nicht um die Gemeinde, sondern darum, dass Gottes Heiligkeit nicht in den Schmutz gezogen wird. Das Ziel ist, dass Gottes Ehre die ganze Erde erfüllen soll. Das war der Grund, warum die Wüstenwanderung für das Volk Gottes noch 38 Jahre länger dauerte. Gott kann nicht mit sich spotten lassen. Er wäre sonst nicht Gott (4Mos. 14,13–25). Der Apostel formuliert es folgendermaßen: „Irret euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten. Was der Mensch sät, das wird er ernten!“ (Gal. 6,7–9).
Entsprechend verhält es sich hier bei David. Was in den folgenden Kapiteln des 2. Samuelbuches zu lesen ist, ist die Ernte aus der durch den Ehebruch und den Mord gelegten Aussaat.
Das, was der König hinter verschlossenen Türen getan hatte, wird vor den Augen ganz Israels geschehen: Davids Frauen wurden in aller Öffentlichkeit geschändet (2Sam. 12,11.12; siehe die Erfüllung in 2Sam. 16,22).
Als Nathan die Geschichte von dem Reichen erzählt hatte und der König erbost forderte, der Reiche solle das geraubte Lamm vierfältig erstatten (2Sam. 12,6), entsprach das dem Gesetz Gottes (2Mos. 22,1).
In den folgenden Kapiteln lesen wir, dass vier Söhne Davids getötet wurden. Erstens: Gott ließ den im Ehebruch gezeugten Sohn sehr bald nach der Geburt sterben (2Sam. 12,14–23). Zweitens: Amnon, der seine Halbschwester Tamar vergewaltigt hatte, kam durch die Hand Absaloms um (2Sam. 13). Drittens: Nachdem Absalom von David rehabilitiert worden war, erhob dieser sich gegen seinen Vater, verjagte ihn aus Jerusalem, bis der Rebell in der Entscheidungsschlacht an einer Terebinthe hängen blieb und von Joab erstochen wurde (2Sam. 14–18). Viertens: Schließlich wurde Adonia niedergehauen, nachdem er sich des Thrones seines Vaters bemächtigen wollte, als David schon im Sterben lag (1Kön. 2,23–25).
Gottes Gerechtigkeit?
Vermutlich haben wir kaum Schwierigkeiten, die Tötungen von Amnon, Absalom und Adonia zu akzeptieren. Bei diesen Königssöhnen fällt es nicht schwer, die Verbindung nachzuvollziehen, die zwischen ihren Taten und den Folgen bestand. Aber wie verhielt es sich mit dem Tod des Babys? Das Neugeborene konnte ja nichts dafür, dass es durch einen Ehebruch gezeugt worden war? War es gerecht, dass Gott dieses Kind sterben ließ?
Darauf ist zu erwidern, dass es uns nicht möglich ist, eine runde Antwort auf solch eine Frage zu geben. Auch David hoffte bis zuletzt, Gott werde sich umstimmen lassen. Wir können einzig und allein darauf verweisen, dass Gott Gott ist und dass er uns Sterblichen über sein Tun und Lassen keine Rechenschaft abzulegen braucht.
Allerdings darf man aus dieser Stelle keineswegs die Folgerung ziehen, das Sterben eines Babys sei immer Strafe Gottes. Gegen eine solche Verallgemeinerung wendet sich der Herr ausdrücklich (siehe Joh. 9,1–3).
Gelegentlich deutet die Bibel sogar das Gegenteil an. Als einmal ein Kind des Königs Jerobeam verstarb, erklärt das Wort Gottes, dass Gott es deswegen so früh hinwegnahm, weil er noch etwas Gutes an ihm fand (1Kön. 14,13). Wir verstehen nicht, warum Gott einmal diesen Weg beschreitet und dann wieder anders handelt.
Urija – ein von außen hinzugekommener Gerechter
Kehren wir noch einmal zu Urija zurück. Nicht nur im Vergleich zu David empfindet man für diesen Mann von Anfang an Zuneigung. Er, der blutsmäßig nicht zum Volk Gottes gehörte, sondern sozusagen von außen hinzugekommen war, war in geistlicher Hinsicht längst Glied des Volkes Gottes geworden. Wir schätzen ihn wegen seiner entschiedenen Treue zu dem im Kampf stehenden Volk Gottes und wegen der Verantwortlichkeit, die er für die sich auf dem Schlachtfeld befindende Bundeslade empfand.
Vielleicht, so könnte man denken, geriet Urija deswegen so unmerklich in die Mühlräder der mörderischen Gemeinheiten, weil er sich mit den Intrigen innerhalb des Volkes Gottes (noch) nicht so gut auskannte.
Indes weckt seine auffallend naive Arglosigkeit nicht nur Sympathien für ihn, sondern was ein Mann wie David mit ihm anstellte, macht uns beschämt: David hätte es besser wissen müssen.
Welch ein Fanfarenstoß ist es da, dass der Name Urija im Geschlechtsregister Jesu auftaucht! Urija ist ein Beispiel für die vielen, die von außen zum Volk Gottes hinzukamen und durch ihr kompromissloses Verhalten die so genannten Frommen an ihre Berufung erinnerten.
Was hätte das Volk Gottes von Menschen wie dem römischen Hauptmann von Kapernaum oder der bereits erwähnten Kanaaniterin lernen können angesichts ihres vorbildlichen Glaubens! (Mt. 8,10; 15,28).
Darüber hinaus kann Urija auch als Ermutigung gelten, als geistliche Stärkung für treue Menschen, die einen klaren Blick für das haben, was es heißt, zum Volk Gottes zu gehören und sich für Gott und für die Interessen seines Reiches uneigennützig einsetzen – auch wenn sie dabei Opfer hinterhältiger Intrigen werden.
Als Jahrhunderte später der König Joas den Priester Sacharja ermorden ließ, betete dieser kurz bevor er umgebracht wurde: „Der Herr wird es sehen und richten!“ (2Chr. 24,22). Ein solches Gebet bleibt nicht unerhört (2Chr. 24,23-26; Mt. 23,35).