Grußwort des Schriftleiters

Grußwort des Schriftleiters

Darauf nahmen die Schiffsleute Jona und warfen ihn ins Meer; und das Meer hörte auf mit seinem Wüten. Da bekamen die Männer große Ehrfurcht vor dem HERRN.

Jona 1,15-16a

Jeder Mensch fürchtet irgendetwas. Keine Frage – in unserem Wunsch, so zu sein wie Gott, wollen wir am liebsten nichts und niemanden fürchten. Aber, auch wenn wir es am liebsten leugnen würden – wir alle fürchten etwas. Besonders deutlich wird das bei einigen der großen Diktatoren der Weltgeschichte. Eigentlich hatten sie vergleichsweise wenig zu fürchten, sondern wurden ihrerseits von vielen Menschen gefürchtet. Trotzdem entwickelten sie häufig eine fast irrationale Angst vor dem Machtverlust. Ein besonders eindrückliches Beispiel war Josef Stalin: Er tötete Tausende seiner Mitstreiter und isolierte sich gegen Ende seines Lebens fast vollständig von anderen Menschen – aus Angst seine Macht zu verlieren.

Es ist logisch, dass gerade in einer Diktatur Menschen, die am unteren Ende der Machtpyramide stehen, jeden Grund zu Furcht haben. Aber dass auch die, die an der Spitze der Pyramide stehen, niemals ihre Furcht loswerden, zeigt, dass sich jeder Mensch fürchtet. Die Frage ist nicht ob, sondern wen oder was.

Gottes Wort zeigt uns, dass Furcht etwas Normales ist. Als Menschen sind wir schwach, vergänglich und begrenzt. Schon als kleine Kinder merken wir, dass wir unser Leben nicht unter Kontrolle haben. Furcht ist eine logische Folge dieser Selbsterkenntnis. Deswegen führen auch alle Versuche, sämtliche Quellen der Furcht aus unserem Leben zu verbannen, paradoxerweise zu nur noch mehr Furcht.

Von Furcht geplagt

Die Schiffsleute, die wegen Jonas Flucht vor Gott in einen Sturm gerieten, fürchteten sich verständlicherweise (1,5). Schließlich standen sie kurz davor, zu sterben. Alle Bemühungen halfen nichts – weder das Schiffsgerät ins Wasser zu werfen noch mit aller Kraft ans Ufer zu kommen (1,5.13).

Noch schlimmer wurde es, als sie feststellten, dass Jona der Grund für den Sturm war. Jetzt war ihnen endgültig klar, dass eine höhere Macht es ganz bewusst auf ihr Schiff abgesehen hatte. So wurde ihre Furcht aus Vers 5, zu einer großen Furcht (1,10).

Sie kamen einem wirksamen Gegenmittel erst näher, als Jona ihnen die Lösung für ihr Problem erklärte. Es war genauso einfach wie grausam. Sie mussten ihn, den ungehorsamen Propheten, einfach nur ins Meer werfen (1,12). Nach einigem Zögern taten sie das auch. Und von einer auf die andere Sekunde war der Sturm vorbei (1,15).

Zur Furcht befreit

Damit endete auch die Furcht der Schiffsleute – so könnte man denken. Aber das Gegenteil passierte. Die Schiffsleute fürchteten sich weiter. In der Schlachter 2000 ist übersetzt, dass sie große Ehrfurcht bekamen. Das kann man so übersetzen. Aber im Hebräischen wird wortwörtlich dieselbe Formulierung gewählt wie in Vers 10, wo die Schiffsleute aufgrund des Sturms in große Furcht geraten.

Das Toben des Sturms und das Ende des Sturms hatten genau den gleichen Effekt auf die Seeleute. Sie fürchteten sich im Sturm mit großer Furcht – und genauso, nachdem der Sturm vorbei war. Es gab nur einen Unterschied: Das Objekt ihrer Furcht hatte sich geändert. War es vorher der Sturm, ist es jetzt der Herr – der, der den Sturm in seiner Hand hält.

Wir alle haben Angst vor etwas oder jemandem. Entweder wir fürchten irgendetwas oder wir fürchten den einzig wahren Gott. Die Alternative zu Gottesfurcht ist nicht Furchtlosigkeit, sondern irgendeine andere Furcht. Otto von Bismarck sagte im späten 19. Jahrhundert: „Wir Deutschen fürchten Gott und sonst nichts auf der Welt.“ Es ist stark zu bezweifeln, dass damals ein Großteil der Deutschen Gott wirklich gefürchtet hat, aber grundsätzlich hat Bismarck recht: Wer Gott fürchtet, braucht sonst nichts zu fürchten. Wer Gott nicht fürchtet, wird seine Angst nie los. „Die Gnade hat mich Furcht gelehrt und auch von Furcht befreit“, so bringt es John Newton in einer Strophe seines weltbekannten Liedes Amazing Grace auf den Punkt. Vielleicht könnte man mit Blick auf die Schiffsleute noch treffender singen: „Die Gnade hat mich Furcht gelehrt und dadurch von Furcht befreit.“

Große Gottesfurcht – kleine Ängste

Eine ganz ähnliche Erfahrung machten die Jünger, als sie ebenfalls auf einem Schiff von einem Sturm überrascht wurden und in Panik gerieten, während Jesus seelenruhig im Schiff schlief. Als der Sohn Gottes durch seinen Befehl den Sturm gestillt hatte und die Jünger für ihre Furcht kritisiert hatte (Mk 4,39-40), war ihre Reaktion genau die gleiche wie die der Schiffsleute bei Jona: Und sie gerieten in große Furcht und sprachen zueinander: Wer ist denn dieser, dass auch der Wind und der See ihm gehorsam sind? (Mk 4,41)

Möge die 101. Ausgabe der Bekennenden Kirche dazu beitragen, dass Sie diesen Gott, dem sogar Wind und Wellen gehorchen, ein Stück tiefer fürchten lernen und dadurch alle anderen Ängste kleiner werden.

Ihr

Jochen Klautke